Der Nordhäuser Roland (7/1957)
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Seite | Titel | Autor |
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147 | 50 Jahre Jugendzahnpflege Nordhausen | Kreisjugendzahnarzt |
149 | Das "Hockergrab" im Meyenburg-Museum | Dr. Ernst Diederichs |
151 | Ein heimatkundliches Lesebuch entstand | Horst Rauscher |
153 | Monatsprogramm Juli 1957 | |
155 | Spielplan der stat. Theater des Kreisgebietes | |
157 | Ein heimatkundliches Lesebuch entstand (Fortsetzung von Seite 152) | Horst Rauscher |
157 | Die Landschaft der Gemeinde Gebra | Christa Kleineberg |
161 | Nordhäuser Chronik / Mai 1957 |
Ein heimatkundliches Lesebuch entstand[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Juni 1955 wurde durch eine Anweisung des Ministeriums für Volksbildung der vorbereitende Fachunterricht in Biologie, Erdkunde und Geschichte, der bis dahin in den 4. Klassen unserer Grundschulen erteilt worden war, aufgehoben. An seine Stelle trat der heimatkundliche Unterricht. Der Lehrstoff dieses Faches entspricht in weitaus höherem Maße der Interessenwelt und der Aufnahmefähigkeit der Kinder. Er ist gekennzeichnet durch die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse in unserm Staate und ihre sichtbaren Zeugen. Im Mittelpunkt der Heimatkunde steht der Mensch, der durch seine Arbeit neue Werte schafft, der die Natur verändert, der seine Heimat ständig schöner gestaltet. Der Heimatkundeunterricht verfolgt somit neben der Vermittlung von Kenntnissen in der Hauptsache erzieherische Aufgaben. Ein ganzes System von Maßnahmen war zu verwirklichen, um den beginnenden Unterricht möglichst schnell aus dem Stadium der Improvisation in den Zustand einer gut fundierten, wirkungsvollen, fachgemäßen, erfolgreichen Arbeit zu erheben. Das Pädagogische Kreiskabinett der Abteilung Volksbildung und die neugebildete Fachkommission für Heimatkunde entschlossen sich, zur Herausgabe eines heimatkundlichen Lesebuches für die Kinder, da das Buch eines der vielen Mittel ist, die der Lehrer anwendet, um zum Denken anzuregen, um allmählich, ausgehend von den Erscheinungen der Heimat, den geistigen Blick der Kinder mehr und mehr zu weiten. Vieles war bei den Vorarbeiten zu berücksichtigen. Gegenwartsnahe Darstellungen und geschichtliche Überlieferungen mußten gegeneinander abgewogen werden. Obwohl die Geschichte der Heimat einen großen Teil des Inhalts einnimmt, will das Heimatkundebuch kein Geschichtsbuch sein. Während das eine geschichtliche Zusammenhänge darstellt, bemüht sich das andere um die Gestaltung der Ereignisse der Umgebung. Erst in späteren Schuljahren nimmt der Lehrer die Systematisierung des Geschichtsstoffes vor und knüpft die Verbindungen zwischen der Geschichte der Heimat und den geschichtlichen Vorgängen in Deutschland. Eine besondere Stellung nimmt die Sage ein. Im Altertum und Mittelalter waren Sagen die plausible Ausdeutung unerklärlicher Vorgänge in der Natur oder am Himmel oder bei extremen Witterungserscheinungen. Exakte Nachweise oder Erklärungen dafür gab es nicht, da die Naturwissenschaften noch in ihren Anfängen steckten. Dazu kam der Einfluß der kirchlichen Dogmen auf das geistige Leben. Sagen wurden damals nicht den Kindern erzählt, Sagen gehörten zum Gedankengut der Erwachsenen. Geister, Gnome, Elfen, Spukerscheinungen bildeten für sie unumstößliche, ernstzunehmende Realitäten. Diese Überlegung mag zunächst seltsam erscheinen. Sie erklärt jedoch, warum in unserer Zeit, dem Jahrhundert der Naturwissenschaften, in dem Verstand und Logik, nicht mehr Gefühl und Mystik 'dominieren, im Volk keine Sagen mehr entstehen. Die Einbeziehung der Sage in den Unterricht soll dazu beitragen, nicht bei der bloßen Beschreibung eines Objekts stehenzubleiben, sondern das Objekt in den Mittelpunkt einer Handlung zu stellen. Nicht die Sage wird erläutert, sondern die Sage soll der Erläuterung des Objekts dienen. Viel Mühe bereitete der Redaktionskommission die Bearbeitung von Darstellungen unseres sozialistischen Aufbaus. Das Mittel des Vergleichs oder der Gegenüberstellung verleitet dabei leicht zu Übertreibungen oder zur SchwarzWeiß-Malerei. Hier beginnen das Bestreben um Wahrheit und Schlichtheit, der Kampf gegen die Phrase, das Bemühen, unsere Jugend zu denkenden Menschen zu erziehen. Bei der Darstellung unseres sozialistischen Aufbaus soll der Aufwand an Energie und Idealismus, den unsere Menschen aufbrachten und aufbringen, zur Verbesserung unseres Lebens, nicht verheimlicht werden. Aber wir wollen dabei schlicht bleiben. Oder soll unsere Jugend wirklich glauben, daß schon alles getan sei und daß ihr die sozialistischen Errungenschaften als reife Früchte in den Schoß fielen? Schwierig gestaltete sich, das Erlangen von Erlebnisberichten aus dem Kampf der Arbeiter während der letzten 50 Jahre. Keine Quelle schreibt darüber. Dias Pädagogische Kreiskabinett ermittelte die Veteranen der KPD-, der SPD, der Gewerkschaft, der Roten Turnerschaft, der Freidenkerbewegung. Sie wurden zu einer Zusammenkunft geladen. Wir baten sie zu erzählen. Die Streikbewegung der Tabakarbeiter wurde wieder lebendig, der Kampf um den Achtstundentag, der Widerstand gegen die Ausbeutung durch die Unternehmer. Sie erzählten von Maifeiern unter Polizeieskorte, von Vorgängen beim Mitteldeutschem Aufstand, Gerichtsverhandlungen, Inhaftierung, Kerker, Illegalität. Es war der Inhalt ihres Lebens, den sie schilderten. Bei der Textgestaltung spielten stilistische Momente, unterrichtsmethodische Gesichtspunkte und authentische Darstellung eine Rolle. Es ist nicht der Sinn der kindertümlichen schriftlichen Beiträge, die unmittelbare Anschauung zu ersetzen, sondern ihre Aufgabe, dort wirksam zu sein, wo diie Gegenständlichkeit oder das gute Objekt fehlen. Alle Artikel gehen von der Erkenntnis aus, daß alles Lesen ein Apperzipieren ist, ein geistiges Aneignen durch Einfügen des Gelesenen in die persönliche Gedankenwelt. Eigene Gedanken und hinzukommendes Neues aber erzeugen Vorstellungen und rücken bestimmte Stoffgebiete in den Mittelpunkt des Interesses. Wirkungsvoll können also nur Beiträge sein, die sich dem vorhandenen Gedankenkreis gut einfügen und leicht angleichen. Die Verfasser mußten die Welt des Kindes kennen, mußten sich psychologisch in ihr auskennen, von der Freude der Kinder am Erleben des Neuen, Unbekannten, zu Erforschenden wissen, wenn sie gestalteten. Gleichermaßen galt dabei ihr Streben dem melodisch-rhythmischen Satz, ihr Suchen dem unverbrauchten, treffsicheren Ausdruck. Um möglichst vielseitig zu sein, ist das heimatkundliche Lesebuch reich illustriert. Federzeichnungen im Text beleben das Sich-Vorstellen des Gelesenen. Sie stellen historische Szenen dar oder gestalten Sagen phantasiereich aus. Kartenbeilagen vermitteln Übersichten über Teilgebiete des Kreises. Etwa 70 Fotos zeigen die vielgestaltige Tätigkeit der Menschen unseres- Kreises oder bringen die Schönheit der Heimat nahe. Sie unterstützen den Text und sollen klare Vorstellungen schaffen helfen. Entsprechend dem Erkenntnisprozeß, der den Aufbau einer jeden Unterrichtsstunde bestimmt, verläuft die Stoffanordnurag. Zur Beratung über die inhaltliche Richtigkeit wurden der Stadtarchivar, der Leiter der Kreisbildstelle, Facharbeiter aus Betrieben und alteingesessene Lehrkräfte gebeten. Inzwischen wurden die Arbeiten am heimatkundlichen Lesebuch abgeschlossen und die erforderlichen Druckgenehmigungen eingeholt. Insgesamt waren etwa 100 Lehrkräfte über eineinhalb Jahre ehrenamtlich an dieser umfassenden und schwierigen Aufgabe beteiligt. Die gesamte Arbeit ist ein Beitrag dieser Gruppe zum Nationalen Aufbauwerk des Kreises Nordhausen der Jahre 1956 und 1957. Der geschätzte Wert des entstandenen Buches beläuft sich auf 22'000 M. Zum neuen Schuljahr wird das heimatkundliche Lesebuch, in der Hand aller Schüler der Unterstufe sein. Es ist nach Angabe des Ministeriums für Volksbildung der erste Versuch dieser Art innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. 1953: 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |