Der Nordhäuser Roland (6/1955)

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Der Nordhäuser Roland (Juni 1955)
Reihe Der Nordhäuser Roland
Band-Nr. 6/1955
Autor Verschiedene
Herausgeber Kulturbund
Erscheinungsjahr 1955
Stand: 6. Januar 2016
Digitalisat: [# PDF (4 MB)]
Editionsrichtlinien:
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  • Nur für Nordhausen relevante Artikel sind hier wiedergegeben. Das Digitalisat ist hingegen vollständig.
  • Es wurden keine Illustrationen übernommen.
  • Sperrschrift wird nicht wiedergegeben.
Titel Autor
Liebe Nordhäuser Bürger! Rat der Stadt Nordhausen
Der Festumzug und seine Bedeutung H. Döltz
Der Nordhäuser und sein Gehege H. Doltz
Der Roland zu Nordhausen, seine Herkunft und Bedeutung R. H. Walther Müller
Nordhieser un liebe Gäste! Nordhieser Roland
Nordhausen im Aufbau G. Pfeffer

Liebe Nordhäuser Bürger!

Nach 10 Jahren harter Aufbauarbeit können wir im letzten Jahr des ersten Fünfjahrplans au£ stolze Erfolge in unserer Arbeit zurückblicken. Bei Wettbewerben im Republik- und Bezirksmaßstab haben zahlreiche Betriebe Siegerfahnen und Anerkennungen errungen. Am August-Bebel-Platz, in der Schillerstraße, Hohe-kreuz-i und Blödau-Straße sind ganze Straßenzüge neuer schöner Wohnungen entstanden. Das „Filmtheater der Neuen Zeit“ bietet uns Erholung, Freude und Entspannung. Der Vorbau geht jetzt seinem Ende entgegen. Mit dem Bau der Rauten- und Töpferstraße erhält Nordhausen eine moderne Straßenführung durch die Innenstadt. Im Zuge der Pflege des Kulturerbes sind unter anderem das Alte Rathaus und die Blasiikirche in ihrer alten Form wieder aufgebaut. ,

Im Nationalen Aufbauwerk 1954 haben wir insgesamt Werte in Höhe von 460 000 DM geschaffen und hiermit gleichzeitig den größten Erfolg im Bezirk Erfurt errungen. Ausgehend von dem Kernspruch „Wer schaffen will, muß fröhlich sein“ wollen wir nun auch in diesem Jahr in Nordhausen in der Zeit? vom 16. bis )19. Juni unser Nordhäuser Rolandsfest feiern. Gewisse Ansätze des Vorjahres und entsprechende Erfahrungen berechtigen zu der Erwartung, daß bei einigermaßen günstiger Witterung unser diesjähriges Nordhäuser Rolandsfest im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes für alle Nordhäuser Bürger und unsere Gäste von nah und fern zu einem wirklichen Volksfest werden wird. Vielerlei kulturelle und sportliche Veranstaltungen, sowie der historische Festumzug bieten die Gewähr, daß jeder Träger der Nordhäuser Festplakette in all seinen Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen völlig zufriedengestellt werden wird.

Die zu erwartenden Gäste aus dem Westen unserer deutschen Heimat verleihen dem diesjährigen Nordhäuser Rolandsfest einen gesamtdeutschen Charakter. Ihnen gilt unser besonderer „Willkommensgruß“!

Allen an der Vorbereitung und Durchführung dieses schönen Heimatfestes Beteiligten spreche ich an dieser Stelle im Namen des Rates und des Zentralen Aufbaukomitees der Stadt Nordhausen den besten Dank aus.

Ich grüße alle Nordhäuser Bürger, die sich an unserem Nordhäuser Rolandsfest beteiligen, aufs herzlichste und wünsche dem Fest einen vollen Erfolg.

Rat der Stadt Nordhausen
Vorsitzender des Zentralen Aufbaukomitees der Stadt Nordhausen
i. V. Eichholz, Stadtrat

Der Festumzug und seine Bedeutung

Im Mittelpunkt eines jeden großen Festes und besonders eines Heimatfestes steht in der Hegel ein Festzug. Er ist das eigentliche Kernstück allen Feiern und Veranstaltungen, um ihn rankt sich das ganze übrige/ Geschehen. Aus diesem Grunde soll er auch bei dem „Nordhäuser Rolandsfest“ nicht fehlen.

In drei großen Teilen wird sich vor den Zuschauern eine Folge von Bildern entrollen, die von der Gründung unserer Stadt bis in die Jetztzeit hinein ihre Geschichte und die Entwicklung ihrer Kultur und Wirtschaft darstellen werden.

Der erste und geschichtliche Teil wird nachfolgende Bilder und Szenen bringen:

Festumzug,

1. Bild: Gründung der Burg Nordhausen (910)
Heinrich I. berät mit einem Baumeister die Burganlage.
Fronleute fahren das Baumaterial heran.
2. Bild: Kaufleute und Handwerker an der Macht (1277)
Das differenzierte Wirtschaftsleben verdrängt die feudale» Verwaltung der Reichsministerialen. Die Bürger nehmen die Verwaltung ihrer Stadt in die eigene! Hand und geben sich selbst eine Verfassung. Den Rat bildet vornehmlich die Gilde der Gewandschnitter, doch strebenj die Handwerker der Schuhmacher, Gerber, Bäcker, Fleischer und Schmiedel energisch nach einer Beteiligung am Regiment.
3. Bild: Kampf gegen die Patrizier (1375)
Die Selbstsucht der reichen Patrizier führt zum Sturz der Geschlechterherrschaft Nach dem Sturm auf das Riesenhaus (1375) werden1 die Mitglieder des alten Rats verbannt. Fortan besteht der Rat zu einem« größeren Teil aus Handwerkern, doch wird die alte Verfassung nicht geändert.
4. Bild: Bauernkrieg (1525)
Thomas Müntzer reitet in den Kampf, gefolgt von Bauern und revolutionären, vermögenslosen Städtern.
5. Bild: Nordhausen wird preußisch (1802)
Die reichsstädtische Bürgerwehr und die Stadtsöldner werden abgelöst durch preußisches Militär. Die Kliquenwirtschaft in der Verwaltung wird beseitigt. Nordhausen ist zwar nur noch eine kleine Provinzstadt, hat dafür aber Anschluß an ein größeres Vaterland gefunden.
6. Bild: Fremdherrschaft und Befreiungskriege (1806—1813)
Nordhausen wird dem Königreich Westphalen eingegliedert und hat unter französischen Durchzügen schwer zu leiden. Kosaken und York’sche Jäger versinnbildlichen die endliche Befreiung vom fremden Joch.
7. Bild: Grenzort um 1835
Die Grenzen nach Hannover und Schwarzburg beeinträchtigen Handel und Wandel. Allgemeine Arbeitslosigkeit treibt die Bevölkerung zum Grenzschmuggel. Rigoroses Vorgehen der preußischen Grenzzollbeamten und der Garnison rufen allgemeine Erbitterung hervor. Der Maurergeselle Brinckmann wird nachts in der Hütergasse erschossen.
8. Bild: Revolution 1848
Der Prediger Eduard Baltzer opponiert gegen die preußische Landeskirche, begründet die Nordhäuser Freie Gemeinde und wird als Politiker der bedeutende Erzieher zu Freiheit und Menschenwürde.
9. Bild: Tabakarbeiterstreik 1901
In einem 26 wöchigen Streik erringen die Nordhäuser Tabakarbeiter, nach hartem Kampfe und von der gesamten deutschen Arbeiterschaft durch Boykottmaßnahmen solidarisch unterstützt die Anerkennung ihres gewerkschaftlichen Zusammenschlusses.
10. Bild: Deutsche Arbeiterbewegung 1901—1945
In dieser Zeit festigt sich die deutsche Arbeiterschaft organisatorisch und stärkt sich ideologisch. Im Jahre 1912 aus Anlaß der Reichstagswahl warnte die große Vorkämpferin für Frieden und Sozialismus „Rosa Luxemburg“ die Menschen vor der drohenden Kriegsgefahr und erklärte den Werktätigen, daß es in ihrer Macht liegt, / den Krieg zu verhindern. — 1918 Büdung der Arbeiter- und Soldatenräte.— 1919 Gründung' des Spartakusbundes. — 15. März 1920 Generalstreik. — 1923 Höhepunkt der Inflation. — 1924 Der Faschismus beginnt sein reaktionäres Haupt zu erheben. — 1924/29 Die amerikanischen Imperialisten wollen Deutschland finanziell und damit wirtschaftlich und politisch unterjochen. — 1933 Machtübernahme des Faschismus. — 1939/45 Die Folgen des Faschismus, des 2. Weltkrieges sind für

Nordhausen: 8800 Opfer des Bombenterrors.

Der zweite Teil des Zuges will mit etwa 25 Festwagen die Entwicklung der Stadt nach dem unheilvollen Kriege nachdrücklich unter Beweis stellen, indem man markante Punkte des Stadtbildes, die besonders im Mittelpunkt des Aufbaus standen oder noch! stehen, mit den sich immer mehr entwickelnden Produktionszweigen unserer Stadt sinnvoll in Verbindung setzte. Was durch} fleißige Hände aus Schutt undi Asche wieden zu neuem! Leben erstand, wird somit im Zuge für sich} und den Lebenswillen unserer Bevölkerung beredtes Zeugnis ablegen. Die Werktätigen sollen sehen, was bisher erreicht wurde und daraus Kraft zu neuen Leistungen schöpfen. Sot werden unter anderem das „Theater der Neuen Zeit", das August-Frölich-Heim, das Alte Rathaus, die Promenade, das Pionierhaus ,.Hermann Matern“ vorüberrollen. Das Stadttheater, an dessen Leistungen sich das gesamte Kreisgebiet erfreut, wird anläßlich des Schmerzjahres eine Szene aus „Maria Stuart“ stellen, nationale^ Kulturgut wird durch Erhaltung des Petrikirch-turmsj und der Frauenbergkirche gewahrt, die „Finkenburg“ soll die Unterstützung des Handwerks durch unsere Regierung symbolisieren, der Schulneubau in Krimderode mit über 25 000 freiwilligen Aufbaustunden den Willen zu einem besseren Leben und die Sorge für unsere Jugend charakterisieren. Auch}der Poppenbergturm, das beliebte Ausflugsziel der Nordhäuser, der im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes wieder hergestellt wird, ist nicht vergessen worden. Der letzte und dritte Teil endlich bringt die Industriealisierung unserer Stadt unter Herausstellung der Großbetriebe, ihrer Produktion und ihrer Absatzgebiete, das Aufblühen des Bergbaus, die Entwicklung der Landwirtschaft von der Leibeigenschaft bis zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG), einen Querschnitt durch die Sportbewegung von Turnvater Jahn bis zur Gesellschaft/ für Sport und Technik (GST), und schließlich einen Überblick über die Jugendbewegung in all ihren Formen. So> soll! uns derl Festzug zeigen, wasi wir\ bisher beim Aufbau unserer Heimatstadt erreicht haben. Vieles muß' noch erreicht werden, das vor Augen zu führen, soll der Sinn des! Festzuges sein. Er soll darüber hinaus aber auch die Liebei zu unserer Stadt, zu unserer Heimat und zu Deutschland} weiter erhalten und vertiefen. Nach der Fertigstellung) der Rauten- und Töpferstraße wird der Festzug folgenden Weg nehmen:

Stellplatz: August-Bebel-Platz, von dort durch die Gartenstraße, Töpferstraße, Rautenstraße, Karl-Marx-Straße, Albert-Kuntz-Platz, Oscar-Cohn-Straße, Ernst-Thälmann-Straße, Karl-Liebknecht-Straße, Leninallee, Altentor, Altendorf, Barfüßerstraße, Kranichstraße, Pferdemarkt, Am Hagentor, Straße der Jugend, Käthe-Kollwitz-Straße, Gartenstraße zurück zum August-Bebel-Platz.

Der Nordhäuser und sein Gehege

Im schmucken August-Frölich-Heim in der Goethestraße, wo unsere Alten so vorbildlich betreut und so gut aufgehoben) sind, war es, als ich den nun schon achtundachtzig jährigen Karl Feuchte nach seinen Erinnerungen an das Gehege fragte. Er hatte gerade einen „Grand mit Dreien“ überzeugend gewonnen und war dementsprechend gut aufgelegt. „Als ich geboren wurde“, meinte er, „war gerade ein Jahr vorher die Bahnstrecke Halle-Nordhausen eröffnet worden. Und als ich zehn Jahre alt war, wurden zwischen Rathaus und! dem alten Ratskeller die ersten Telefongesprächsversuche aufgenommen. Wie lange ist das alles her. Natürlich erinnere ich mich auch aus jener Zeit an das Gehege. Damals standen nur die unteren Gaststätten, dazu kamen dann noch Buden. Die „Bretzel-Marholden“ bot Schaum- und Salzbretzeln, fünf Stück für einen Groschen an, und „Zies’chen Fischer“ lieferte die „Zies’chen“ mit Brötchen und Senf, das Stück ebenfalls für einen Groschen. Musik gab es nur in der unteren Halle und dann nur Blasmusik, nachmittags und abends. Aber Tanz gab es damals noch nicht.“

Ja, der alte Herr hat ein schönes Stück Nordhäuser/ Geschichte mit erlebt, und er bestätigt uns, daß die Einwohnerschaft gern und zu mancherlei Gelegenheiten in das Gehege ging. Aber wer einmal in den Bänden „Das Tausendjährige Nordhausen“ blättert, der findet an vielen Stellen noch mehr Hinweise darauf, wie eng verwurzelt der* Nordhäuser mit diesem schönen Flecken Erde vor den Toren seiner Stadt war.

Die meisten wissen, daß die Hänge unter der Merwigslinde seit Jahrhunderten kahl und nur mit Gebüschl und Heide bewachsen waren. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Hänge planmäßig bepflanzt, und der Hochzeitsbitter Fromm macht 1807 bekannt, daß er Spazierenden auf dem Geiersberg alle Sorten Erfrischungen anzubieten hat. In Charlotte Lorche ist ihm dann wahrscheinlich eine Konkurrenz entstanden, denn 1811 bietet auch sie Erfrischungen an und verkündet außerdem, daß sie auch für Musik sorgen werde.) Am 3. August 1815 wurde im Gehege eine große Friedensfeier anläßlich der Beendigung der Befreiungskriege abgehalten, und im Sommer 1817 legte! Turnlehrer Salomo dort den ersten Turnplatz an. Ein ganz besonderes Ereignis war 1829 das große! Elbmusikfesti in Nordhausen, bei dem die Fremden} und Gäste in das Gehege geführt und an dort, aufgestellten Tischen festlich bewirtet wurden.

Um 1813 kam der Begründer der Stadtkapelle und damit des späteren Stadttheaterorchesters, J. Herrmann, nach Nordhausen, der auch als Begründer der Gehegekonzerte angesehen werden muß. Im August 1829f schreibt H. nämlich: „Am 12. fand hier da®| erste Volksfest im Gehege statt. Es wurde daselbst eilt Vogelschießen mit Armbrüsten abgehalten. Von nachmittags 2 Uhr begann die Musik mit Blasinstrumenten, von 6 bis 1 Uhr nachts gab es Janitscharenmusik. Acht Tage darauf am 18. hat die( Harmonie Blasmusik von 6 bis 11/ Uhr.“ Im selben Jahre gestattet der! Magistrat, für den Betrieb der Gastwirtschaft Buden einzurichten. Am 3. Juni 1831 schreibt Herrmann: „Die erste Harmoniemusik auf dem Turnplatz (Gehegeplatz) fand statt“. Dieser Tag kann daher als Gründungstag der Gehegekonzerte angesehen werden. 1832 kann man auf diese Konzerte sogar abonnieren.; 1833 findet diel Musik ab 5 Uhr nachmittags statt. Die Musiker standen auf einer Bühne, dicht an den Bäumen, auf die sie auf einer Leiter hinaufklettern mußten, während die größeren Instrumente mit Stricken hinaufgezogen wurden. Im selben Jahre gibt Ferdinand Lange bekannt, daß er eine „Bude“ errichtet hat. Diesen, Budenwirtschaften schließen sich bald Lux (Drei Linden) und Eyl (Hoffnung) an, die dort Filialen ihrer Stammwirtsehaften einrichten. 1834 schreibt ein Chronist, daß der Nordhäuser es liebe, bei seinen Ausflügen die heimatlichen Kirchtürme nicht außer Sicht zu lassen. Man ging zum „Schurzfell“, zum „Hannoverschen Zoll“, nach Niedersachswerfen, nach Hesserode, wo es schmackhafte Forellen gab, aber auch zu Frau Nebelung nach Sundhausen, wo auch die Sondershäuser Musikschüler einkehrten, wenn sie in Nordhausen am Theater gespielt hatten und nun zu Fuß (!) den Rückweg? antraten. Eine Reise in den Harz war ein Wagnis, am liebsten ging man eben ins Gehege, wo es 1852 bereits „zahlreiche“ Restaurantsl gibt und wo man sonntags, oft aber1 auch in der Woche bei Musikklängen lustwandeln kann. In diesem Jahre kündigt auch Theaterdirektor Max Dientrich an, daß" er am 1. Pfingsttag inn Gehege ein Tivolitheater eröffnet. Es muß aber mehr eine Art Jahrmarktsbude gewesen sein. Schon Anfang Juli nahm das Unternehmen, ein unrühmliches Ende, die Schauspielerschar war zu gemischt, und die Leistungen! waren mehr als mangelhaft. —\ 1865 gibt es im Gehege eine merkwürdige Veranstaltung. Es wird ein Gehegekonzert (Streichmusik) gegeben, bei dem nur Werke Nordhäuser Komponisten (Sörgel, Ohse, Krüger, Ramsthal, Bergmann, Graßler, Bauer, Buchmanni und Weißenborn) aufgeführt werden. 1894/95 geht das von der älteren Generation gern begangene Maienfest wieder ein. Ein Jahr darauf fallen der alte Huldabrunnen und der Gehegepavillon dem Fortschritt zum Opfer, dafür wird 1904 eine zweite Tonhalle errichtet, zu derem Bau die Gehegegastwirte 4000 Mark beisteuerten. Das nächste Jahr bringt den Fortfall der Tellersammlungen. Unser Karl Feuchte konnte sich noch gut an die „Klapperschlangen“ erinnern, bei deren Nahen so mancher Unbemittelte reißaus nahm. In den Jahren 1911 und 1912 wird eine gründliche Durchforstung des Geheges vorgenommen, es wurden neue Ausblicke geschaffen und neue Wege angelegt.

So rundet sich das Bild. Gewiß, die Technik ermöglicht es uns heute, in kurzer Zeit weitentfernte und schöne Ziele aufzusuchen, aber trotzdem bleibt das Gehege noch immer für1 viele ein Anziehungspunkt, ganz gleich, ob man sich unter den hohen, alten Bäumen ergeht oder bei den Klängen der Musik seinen Sonntags-nachmittags-Kaffee trinkt.

Aus diesem Grunde ist auch bewußt ein großer Teil des „Nordhäuser Rolandsfestes“ unter die alten Bäume des Geheges gelegt worden. Dort, wo unsere Vorfahren schon seit so vielen Jahren ihre Feste feierten, dort wollen auch wir fröhlich sein. Das Gehege soll mit Recht wieder den ihm gebührenden Platz erhalten, eine Stätte sein, an der unsere Werktätigen Erholung und Freude finden. Ministerpräsident Otto Grotewohl hat einmal ein Wort geprägt, das in diesem Zusammenhänge verdient, wiederholt zu werden: „Ein Volk soll seine Kultur und seine Vergangenheit ehren und pflegen, sonst kann es seine Zukunft nicht wertvoll und glücklich gestalten.“

Wenn an den Festtagen, eine froh und/ festlich gestimmte Menge den vielen Darbietungen kultureller und sportlicher Art in den würdig hergerichteten Anlagen und auf dem Festplatz beiwohnen wird, dann wird sich! zeigen, daß Fest- und Organisationskomitee sich dieses Wort zum Leitspruch werden ließen und' dann wird es auch so sein, wie es schon" immer war: Nordhausen und sein Gehege gehören zusammen. H. Döltz


Der Roland zu Nordhausen, seine Herkunft und Bedeutung

Kürzlich erhielt ein jungen Nordhäuser einen Brief, in dem ihn ein polnischer Korrespondenzfreund um Auskunft ersuchte, was es mit dem Nordhäuser Roland für eine Bewandtnis habe, was für einen „König“ er darstelle usw. Ähnliche Fragen mögen schon andere Mitbürger mitunter in Verlegenheit gesetzt haben, und es ist in der Tat nicht ganz einfach, eine bündige Erklärung zu geben, was die Rolandfigur am Nordhäuser Rathaus eigentlich bedeutet, und aus welchem Grunde oder zu welchem Zwecke sie dort aufgestellt worden sei.

Eine prägnante Erklärung, die sozusagen zu der landläufigen Auffassung geführt hat, gab E. G. Förstemann, indem er schrieb:

Unter den sieben Wahrzeichen der Stadt nimmt der Roland eine vorzügliche stelle ein. Die Rolandsbilder sind in den sächsischen (d. h. niedersächsischen) und thüringischen; Städten um, den Harz, auch in der Mark Brandenburg, ein) gewöhnliches Sinnbild und,) Zeichen höherer Gerichtsbarkeit, vielleicht ursprünglich der Marktgerechtigkeit. Auch unsere Väter hielten den Roland für ein Palladium, woran die Freiheit und Reichsunmittelbarkeit der Stadt geknüpft sei.“

Karl Meyer, der wohl das gesamte im Stadtarchiv liegende Material über den Roland gesammelt hat, hat in einem! Aufsatze das Rolandsproblem mit der Irminsulforschung verquickt und nachzuweisen versucht, daß ein „truncus“ aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts als ältester Nordhäuser Roland anzusehen sei. Dieser „truncus“ (= Stamm, Stock) ist zwar in der Nähe des) „antiquum mercatorium“, “des alten Kaufhauses an der Krämerstraße, das der Vorgänger unseres Rathauses war, belegt, hat aber nichts mit einem Roland zu tun, sondern stellte, wie die wissenschaftliche Kritik alsbald bekanntgab3), einen Pranger oder Diebes-,,stock“ dar. Auf Meyers sachliche Roland-Daten, die er als Anhang zu vorerwähntem Aufsatze veröffentlichte, komme ich noch zurück.

Hans Silberborth erwähnt den Roland im Texte seiner „Geschichte der Freien Reichsstadt Nordhausen“ überhaupt nicht und vermerkt seine Existenz lediglich in der „Zeittafel“ unter den Jahren 1411, 1647 und 1717.

Ich selbst habe im April 1953 in dieser Zeitschrift versucht, unter bewußter Außerachtlassung aller Theorien, die sich mit der Entwicklung alter Markthoheitszeichen zu Standbildern mit dem Namen des legendären Schildknappen Rolande befassen, die Ursachen für die Errichtung des Nordhäuser Rolands aus der politischen Situation der Stadt zu erklären. Wie vielgestaltig und widersprechend jene Theorien sind und wie wenig sie zur Erklärung des Vorhandenseins) unseres Rolands nützen, hat' Studienrat i. R. Kähler dann im September 1953 in der gleichen Zeitschrift hinreichend deutlich gemacht. Das im Juni 1955 stattfindende Heimatfest, das durch den Namen „Nordhäuser Rolandsfest“ gekennzeichnet wird, gibt erneut Veranlassung, die Beziehungen darzustellen, die zwischen unserer Stadt und ihrem Rolande bestehen, das heißt also, auf die ganz spezifischen Ursachen einzugehen, aus denen gerade an diesem Ort ein Roland gesetzt wurde und aus denen er jahrhundertelang als „Palladium“ (= Schutzheiligtum) erhalten erneuert und verehrt worden ist. Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, daß das uns überkommene Standbild an der Südwestecke des alten Rathauses eine Neuschöpfung von 1717 ist. Im Gegensatz zu anderen Rolanden, die entweder primitive Holzfiguren oder aber kunstvoll in Stein gehauene) nur leicht gerüstete und barhäuptige Rittergestalten darstellen, zeigt der Nordhäuser Roland in Statur und Gewandung eher eine Reminiszenz an gewisse Kriegsvölker des Dreißigjährigen Krieges zweifellos die Absicht vor, ihn „groß, gewaltig und schrecklich“ zu gestalten. Also schuf der Handwerksmeister, ohne fremde Beispiele nachzuahmen, diesen martialischen Koloß. Daß er ihn mit einer Krone versah mag auf die alte Tradition von der Gründung der Stadt durch einen König Merwig zurückzuführen sein.

Das kupferne Haubendach über dem Roland trug eine gegossene und vergoldete Kleinplastik, die einen im Neste sitzenden und seine Jungen fütternden Pelikan darstellte. Dieses sinnvolle Emblem gehörte bereits seit 1659 zu den Attributen des älteren Roland, der bei den Stadtbränden von 1710 und 1712 zerstört wurde. Auch dieser Pelikan wurde zu den Wahrzeichen Nordhausens gerechnet, und! der erste Nordhäuser Buchdrucker, Johann Erasmus Hynitzsch, gebrauchte 1669 dieses Rolandemblem als Druckerzeichen. Ehei wir uns dem Vorgänger des jetzigen Rolands zuwenden, soll doch noch einer „historischen Begebenheit“ gedacht werden, bei der, wie so oft, unser Roland in der ihm geläufigen Nordhäuser Mundart das Wort ergriff. Es ist wohl anzunehmen, daß der Schild, auf den er sich mit der linken Faust stützt, ursprünglich auf gelbem Felde den schwarzen Reichsadler trug. Als Nordhausen preußisch wurde, hielt es die Obrigkeit für angebracht, den preußischen Adler in weißem Felde darauf anzubringen. Dieser Zustand blieb bis 1880. Da aber ließ der Roland sich vernehmen (und der Ortshistoriker Karl Meyer brachte es in die Zeitung) „Min Schild, äs au sichre värpumfaeget; schtatt dn Rieehsadeiaer hahn se dn pröischen Vogel druffgemolt; das kinnte au endlich emol geennert un värbessert wäre; fröilich därftes dler Moler noochdern au nich vergesse, un mitte din Schild mit goldgaeler Farbe äbberschtrieche“!

Wie der ältere Rolandl, der also bis 1712 auf seinem Posten stand, ausgesehen hat, ist uns nicht genau überliefert. Nach einem Bericht von 1708 war er „wohl auspoliert, geharnischte und hat ein Schwert und Helm angethan.“ Dem gegenüber erwähnt ihn der Nordhäuser Chronist Kindervater 1710 als „mit Cron und Schwert“ versehen. Die letztere Schilderung eines Ortsansässigen dürfte richtig sein Die andere Angabe von einem Harnisch und Helm scheint sich auf die Ritterfigur im Giebel des Riesenhauses zu beziehen, von der man zuweilen behauptet hat, sie. sei eine Nachbildung des alten Rolands. Dem widerspricht freilich, daß der sog. „Riese“ kein Schwert, sondern eine Lanze trug. Aus archivalischen Quellen, hauptsächlich wieder aus Fromans Köllektaneen, hat Karl Meyer folgende Nachrichten über unseren Roland zusammengestellt:

1441: am 19. September verlas der Oberstadtschreiber Konrad Elschner in Gegenwart des Ratsmeisters (Bürgermeisters) Dietrich von Bodungen mehrere Absagebriefe (d. h. Fehdeankündigungen) vor dem Rolande
1458: goß der Nordhäuser Kurd Solling ein städtisches Geschütz, das den Namen „Snel unde balde dervon“ führte undi die Inschrift trug: „Rulande undj dem Riehe bin ich wol bekant“.
1525: sagte ein Anführer des Müntzerschen Haufens, namens Pfannschmied, zu dem Nordhäuser Bürger Hans Sander, als dieser als. Gesandter der Nordhäuser Anhänger Müntzers imi Lager der Bauern bei Ebeleben erschien: Sander solle bei dem Rolande kochen“, (das heißt in das Gefängnis hinter dem Rolande kommen).
1550: wurde „aus bewegenden Ursachen … den Wächtern' hinter dem Rulandi ihr Lohn auf gebessert“.
1567: und 1581 wird erwähnt, daß Ratsedikte öffentlich am Rolande angeschlagen werden.
1586: ließ der Rat „zwei Maß geben dem Maler, so den Roland gemalet‘.
1587: muß Michael Kant 2 Mark Strafe geben dafür, daß er sich aus der Stadtknechte Hände los gewircket, als; er hat sollen zum Rolande geführt werden (das heißt in das Gefängnis).
1659: „am 26. Juni ist der' Roland zum ersten Male rot gekleidet worden und oben auf die Hauben ein güldener Knopf gesetzet wordlen und oben darauf ein silberner Pelikan mit seinen Jungen, welcher ist, wie man saget, der Stadt Wahrzeichen“.

Froman hat auch folgende „Alte reimen, so von dem Rolande allhier vor langen jaren unter den bürgern bekant gewesen“, überliefert:

Ich Roland, Edler ma
und großer Starcker Rese,
Es hüten sich alle vor diesem plan,
wollen sie von minen schwerte genesen
Ich Roland starcker man,
mit gar behandlicher Tücke,Ich stehe hier uff des richtes plan,
Trotz dem, der mich will pflücken
Es soll ihm nicht gelücken.

Die älteste authentische Erwähnung des Rolandes aber findet sich in dem Auszuge aus einem städtischen Erbzinsbuche, den ebenfalls Froman (1616–1706) seiner Abschriftensammlüng einverleibte. Es heißt da unter dem Jahre 1421:

„Vom eckhause an dem Steinweg; gein (gegenüber) Rulande gibt man 16 Schillinge“. Diese auf dem Blattrande nachgetragene Notiz, die Froman also beinahe übersehen hätte, erhält eine erhöhte Bedeutung beim Vergleich mit einer Eintragung im gleichen Erbzinsbuche vom Jahre 1376, die besagt, daß „von dem Eckhuse vorn an dem Holzmarcke gein dem Rathhuß“ anderthalb Mark: Zins gezahlt worden sind. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Eckhaus am Holzmarkt (dem späteren Lutherplatz) und das Eckhaus am Steinwege, beide gegenüber dem Rathause, identisch sind. (Es muß die Stelle eingenommen haben, wo sich vor der Zerstörung 1945 das Schuhhaus Pabst befunden hat). Daraus bzw. aus der unterschiedlichen Bezugnahme auf das gegenüberliegende Rathaus (1376) und den Roland (1421) muß geschlossen werden, daß der Nordhäuser Roland in den Jahren zwischen 1376 und 1421 errichtet worden ist.

Fassen wir die aus schriftlichen Quellen entnommenen Daten zusammen, so gewinnen wir folgendes Bild. In der Zeit um 1400 wird am Rathause gegenüber dem Eckhause Steinweg–Holzmarkt ein hölzerner Roland aufgestellt. Er trägt Schwert und Krone, der Platz vor ihm wird als „richtes plan“, das heißt Gerichtsplatz, bezeichnet, öffentliche Bekanntmachungen werden zu seinen Füßen verlesen oder an ihm bzw. seinem Schilde angeschlagen. Hinter ihm im Rathaus befindet sich das Stadtgefängnis. Das alles bestätigt die von Förstemann gegebene Erklärung, dlaß der1 Roland als Sinnbild der Gerichtsbarkeit angesehen wurde). Dennoch ist diese Feststellung nicht ausreichend, um das Vorhandensein des Rolands zu begründen.

Einmal hatte ja die vom Gerichtswesen des platten Landes sich abhebende marktstädtische Gerichtsbarkeit in Nordhausen schon einige hundert Jahre bestanden, ohne daß sich die Notwendigkeit eines Symbols ergeben hätte. Zum anderen aber haben ja die meisten Marktstädte, selbst nur in den begrenzten Gebieten Niedersachsen und Thüringen, nie einen Roland gehabt, obwohl sie eine städtische Gerichtsbarkeit besaßen, und auch die Einengung der Rolandvorkommen nur auf reichsunmittelbare Städte ist nicht berechtigt, denn, um nur zwei bedeutende Plätze zu nennen,, weder Goslar noch Mühlhausen haben je ihre Reichsfreiheit durch einen Roland dokumentiert.

Wir erkennen also, daß die Errichtung eines Rolands gänzlich unabhängig von dem Besitz oder der Verleihung von Hoheitsrechten oder gewissen Privilegien stattgefunden hat. Auch von einer Gewohnheit etwa gleichprivilegierter Städte, sich mit einem Symbol ihrer Freiheiten aus eigener Machtvollkommenheit zu schmücken, kann nicht gesprochen werden. Ist aber die Aufstellung eines Rolands eine individuelle Angelegenheit dieser oder jener Stadt, so gilt es. nun die Motive zu ermitteln, die die Errichtung des Nordhäuser Rolands zwischen 1376 und 1421, bewirkten.

Da scheinen denn drei Jahreszahlen und die durch, sie fixierten Ereignisse der Nordhäuser Stadtgeschichte von größter Bedeutung zu sein, und diese Jahreszahlen 1375, 1400 und 1421 umschließen undi füllen genau die Zeit, in der unser Roland in Erscheinung tritt. Durch eine Revolution der kleinbürgerlichen Handwerker am 14. Februar 1375 gegen die patrizische Ratsherrschaft war erreicht worden, daß' nicht allein ein großer Teil der1 Ratsmitglieder nebst ihren Familien aus der Stadt verbannt worden war, sondern daß auch eine neue Wahlordnung in die „Statuten“ (Grundgesetze) der Stadt aufgenommen wurdeß), durch die den Handwerksmeistern und der nicht innungsmäßig gebundenen „gemeyne“ durch vier Bürger, die „ubir den rat“ gesetzt, waren, ein außerordentlicher Einfluß auf die Lenkung der Stadt möglich wurde. Vor allem die Bestimmung, daß man künftig niemand in den Rat wählen solle, „der dy gesiechte von sippe weyn (wegen) anhort, von den disse ufflouft (Aufruhr) entstanden ist“io), legte die Axt an die Wurzel der damals im ganzen Reiche üblichen und geheiligten Ratsverfassung. Über die Arbeitsweise des neuen Rates liegen uns ebensowenig Nachrichten vor wie über die zweifellos anhaltenden internen Auseinandersetzungen zwischen den Ständen. Es ist aber anzunehmen, daß nicht allein auf Betreiben der im Exil befindlichen Gefreundten, sondern . mehr noch durch eine Art Boykottierung der „revolutionären“ Nordhäuser Ratsverfassung; durch die Reichsgewalt und andere Städte einer weitgehenden Demokratisierung Einhalt geboten wurde, und daß nach kurzer Zeit auch der neue Rat das Regiment mit! den alten Zügeln führte.

Bezeichnend dafür ist die Erneuerung des mit den Städten Erfurt und Mühlhausen bestehenden Schutz Vertrages am 19. Februar 1400. In diesem Vertrage wurde ausdrücklich bekräftigt, daß jemand, der „von den selbin bürgern“ (lies: dem Rate) von Nordhausen verurteilt, ausgewiesen) oder geächtet sei oder noch werden würde, von den Vertragsstädten nicht in Schutz genommen noch verteidigt werden dürfe. Dieser Passus bezog sich keinesfalls mehr allein auf jerie Patrizier von 1375 und, ihre Nachkommen, sondern grundsätzlich auf alle gegenwärtigen oder zukünftigen Widersacher des Rates. Mit dieser Präventivklausel war eine Warnung an alle) gerichtet, die möglicherweise immer noch den Rat für eine vom Volk wählbare und absetzbare Einrichtung ansahen!

Die gleiche Schutzklausel enthielt dann auch die, Urkunde vom 20. April 1421, durch die die Städte Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben ihren Beitritt zu dem thüringischen Städtebunde erklärten. Wie sehr gerade die gleichen inneren Angelegenheiten der Städte ihre Räte zusammenführten, beleuchtet die „Halberstädter Schicht“ von 1423. Auch dia ging es um die Beseitigung des Rates. und1 wir sind in diesem Falle verhältnismäßig eingehend unterrichtet, wie bald die Reaktion (unter anderen des Bischofs) den alten Zustand wieder herstellte. Wenn wir versuchen, uns die Machtstellung des Rates unserer Stadt gegen Ende des 14. Jahrhunderts klarzumachen, so dürfen wir die Art seiner Entstehung und Entwicklung nicht außer Acht lassen. Der Ort Nordhausen verdankt zwar seinen Ursprung der Erbauung einer Burg diesesr Namens durch König Heinrich I. Die Fortbildung dieses Ortes zu einer Marktsiedlung und einer durch) Mauern befestigten Stadt aber ist das Werk von Generationen hier zusammenströmender Kaufleute, Handwerker und Handel treibender Bauern aus Thüringen und dem Harz, aus der Goldenen Aue und dem Eichsfelde. Aus diesem persönlich „Freien“ oder „nach Jahr und Tag“ in der Stadt frei Gewordenen wurde durch gemeinsames Schicksal eine städtische Bevölkerung, aus der heraus die weitblickendsten und erfolgreichsten Männer zu Wortführern und Repräsentanten der Gemeinde sich entwickelten. Sie waren es, die die bürgerlichen Belange gegenüber den königlichen Ministerialen und der Herrschaft der Äbtissin zum heiligen Kreuz durchsetzten und die seit 1220 allein die Verwaltung der Stadt in die Hand nahmen. Durch den Handel wurden sie reich und sie mehrten den Reichtum und ihren Einfluß durch „conubium“ das heißt durch Familienverbindungen, untereinander. Noch bevor die Handwerker sich in Innungen zusammenschlossen, waren sie in der Gilde der Gewandschnitter organisiert, und die Zugehörigkeit zu dieser Gilde war eine Voraussetzung, um in den Rat zu kommen. Wir haben zwar Zeugnisse dafür, daß bereits Ende des 13. Jahrhunderts auch einige Handwerksmeister dem Rate angehörten, und wir haben gesehen, daß die Revolution von 1375 einen breiten Einbruch der Handwerkerinnung zur Folge hatte, indes war die Gewandschnittergilde so lebensfähig wie je, die Ausmerzung ihrer hoffärtigsten Mitglieder hatte geradezu reformierend gewirkt. Und von der Gilde aus wurde alles getan, den neuen Ratsherren, wie ihren Wählern die Unantastbarkeit des Rates klarzumachen, wie sie in mancherlei Gestalt in den Statuten der Stadt verankert war. Dem Eindruck kaiserlicher Pergamente, die immer wieder die Rechte der Stadt und damit zugleich die Vorrechte des Rates bestätigt hatten, konnten sich die neueni Ratsmitgliedler nicht entziehen. Für die Außenstehenden, die nicht „in des Rates Heimlichkeit“ waren, bedurfte es eines stärkeren, überzeugenden Mittels. Für sie ließ der Rat einen Roland errichten, mit dem in psychologisch ger-schick t er Weise die Autorität und Machtvollkommenheit des Nordhäuser Rates unter den Deckmantel kaiserlicher Macht und des Reichsrechtes gestellt wurden. Denn Name und Gestalt des Rolands,, der der Legende nach Neffe und Schildträger Kaiser Karls des Großen gewesen war, verkörperte den Schützer des Rechts, mit dem der Überlieferung) nach Carolus Magnus das Reich zu Frieden und Wohlstand1 gebracht hatte.

Gewiß sind alle diese Begriffe von, den Nordhäuser Bürgern um 1400 nicht im einzelnen analysiert worden, das Monument selbst aber, das auf öffentlichem Markt- und Gerichtsplatze jedermann vor Augen stand, hat seine Wirkung nicht verfehlt. An die) 200 Jahre blieb, soweit wir aus den Quellen wissen, die Ratsverfassung unerschüttert, und Nordhausen hat während' ded 16. und 16. Jahrhunderts in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht eine besondere Blütezeit erlebt.

Daß unter solchen Verhältnissen der Roland! einem Bedeutungswandel unterlag, ist verständlich. Nicht länger) mehr war er der Bürgerschaft einel Warnung, von freiheitlich-revolutionären Unternehmungen gegen den Rat Abstand zu nehmen. Mit Recht fühlte sie sich als Urheber und Träger städtischer Errungenschaften und sah in der ragenden Gestalt am Rathause nur noch das Symbol aller der verschiedenen Privilegien ihrer Stadt.

Die hiervor dargestellte Auffassung von der Entstehung und Bedeutung unseres Nordhäuser Rolands erfährt eine treffliche Bestätigung durch die fast gleichzeitig erfolgte Errichtung eines Rolands in Bremen. Schon im Anfang des 12. Jahrhunderts bestand am Bremer Markte eine hölzerne Statue, über deren ursprüngliche Bedeutung nichts Sicheres bekannt ist, die aber mit dem Bekanntwerden der Rolandsage in Deutschland um die Mitte des 13. Jahrhunderts den Rolandnamen erhielt. Als dieser Roland 1375 einem Stadtbrande zum Opfer gefallen war, dachte zunächst niemand daran, ihn zu erneuern, denn eine öffentlich-rechtliche Bedeutung hatte das Standbild ja nicht. Erst im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Bemühen des Bremer. Rates, die Vorrang ihrer Stadt vor Lübeck, Hamburg und anderen Städten der Hanse zu, beweisen, trat der Roland wieder hervor. Mit Hilfe gefälschter Privilegien hatte dem Bremer Rat seine Vorrechte und. Freiheiten bis auf Karl den Großen zurückgeführt.

Gleichzeitig war eine neue Rats Verfassung erlassen worden, unter der erstmalig im Jahre 1404 Ratsneuwahlen stattfanden. In demselben Jahre aber wurde auch der neue, steinerne Roland vor dem Rathause zu Bremen aufgestellt. Das zeitliche Zusammentreffen dieser Ereignisse beweist aufs deutlichste die kausale Verbindung zwischen dem Rolandsstandbild und der Machtposition des Rates. Da diese Macht aber auf der (legalen oder gewaltsamen) Erwerbung der verschiedensten Stadtrechte beruhte und die Erhaltung und Mehrung solcher Rechte stets Aufgabe des Rates war, verschmolzen Ursache und Wirkung, Ratsgewalt und städtische Hoheitsrechte, in dem monumentalen Symbol des Rolands.

Hat sich aus vorstehender Darstellung ergeben, daß unser Nordhäuser Roland ursprünglich den harten Willen der verantwortlichen Männer dieses Stadtrates zum Ausdruck! brachte, eine verfassungsändernde Gewalttat nicht zu dulden, daß er dann aber zum Repräsentanten des Stolzes der Stadtbürger auf die gemeinsamen Errungenschaften wurde,, so sind wir heute wohl] berechtigt, in ihm nicht bloß ein ehrwürdiges Kulturdenkmal zu sehen, sondern ein Mahnmal, Recht und Verfassung zu schützen und den gemeinschaftlichen Errungenschaften der Vergangenheit immer bessere folgen zu lassen.

Nordhieser un liebe Gäste!

Wenn ich von min Podäste runger geklättert bän, um an en Fäste mätzumachen, was se ze min Ehren veranstallte wullte, so äs das wol eine miner greßten Freiden, die ich in dn letzten finnefhunnert Johren erläwet ha. Un daderveer sa ich erschte mohl min scheensten Dank und begrieße uch alle ufs herzlichste!

Mi wulln die paar Tahge dr Festesfreide, die uns dr Rat dr Schtadt Nordhusen fer unsen Pullewer bescheert hat, mol so fiere, wie! mes änl ohler! Ziet jewohnt warn. Was se frieer unger Luttern sin Namen fertig gebrocht hahn, das wär me je woll au noch) schaffe. Un das me dodrty dns Fortschritt au nich ver-gässe, es fern vernüneftgen Nordhieser was selebstverständliches. Un do kämmet mich so dr* Gedanke, daß es hiete wie domols ganz gut äs, daß ich so als äne Ohrt Reschpecktspersoon fern Rathuse steh, un sich bi min Ahnblicke doch so mannecher äwerlät, was se dr ohlen Stadt Nordhusen schuldig äs. Un se hahn’s ganz richtig jemachst, daß se mich innen Mittelpunkt von s ganze Fäst gestellt hahn, un ich doderbi met minner Erfahrunge son bäßchen kann mätspräche.

Bi min erschien Derchgang derch Nordhusen äs mich ja nateriich so allerlei uffgefalln. Kingersch, wie doch, unse scheene ohie Schtadt zerteppert äs. Äh Jammer! Un das darf nichj weller passiere( Se hahn je nune schunt ganz scheene uffj erlernet, aber daß se de Hisser so wie de Schtadtsuldaten lohßen uff marschiere, un derbi nich mohl an der riehtjen Ecken son scheenes Fachwerkhaus inn ohlen Schtihle hänbauen, das will mich eijentlich nich so richtig in Kopp. Un s äs mant gut, daß de Bebberschten met ner Benzinhuddel uff de Verwaltung jefahrn wärri, un doderbi dn Dreck in dn Stroßen nich so schpiern. Unsereiner hät je so sinne Dohne, wemme sich bin Klaatschräjen derchl de Schtadt schongliere muß! Aaber lohst’s mant gut sie, se kriehn dn Toppern au poch fertich.

Minne Sorjen ha’ch au noch, daß es in Nordhusen mant noch wehnij von, där Sorte Menschen gitt, wiese so frieher dr ohle Äwerschbärk, de Muhme Ehrizen, dr Professor Zwanzjer unsoWitter feerschtellten, un die met ihrn Bledsinnj so mannechen Schpaß verzappten. Au das jehärt zu Nordhusen, daß me in dr ’ohlen Ohrt knätsche, wie ein dr Schnußen gewachsen äs. Un däsdernhaleb sutte die paar Tahge, die e nune bin Rolandsfäste fieere sullt, mol) alles vergässe, wTas uch so bedrickt, und haht nich immer Angest fer dr eijenen Kurasche, lacht un läwet so, wies uch einer wünscht, un das äs dr

Nordhieser Roland!

Nordhausen im Aufbau

Am 4. April 1955 gedachten wir zum 10. Male des» Tages der Zerstörung durch die Bomberverbände der anglo-amerikanischen Imperialisten. In wenigen Minuten war die Stadt eini einziger Trümmerhaufen. Was nicht durch Bomben' oder Luftminen vernichtet wurde, fiel dem Feuer zum Opfer. Über 8800 Tote waren zu beklagen. Von 13 075 Wohnungen wurden 6187 total zerstört und 4574 beschädigt. An den letztgenannten Zahlen kann man den Zerstörungsgrad der Produktionsstätten, öffentlichen Gebäude, Schulen, Kirchen und Kulturstätten ermessen.

Heute nach 10 Jahren erzwangen dieselben Kräfte die Durchpeitschung der Pariser Kriegsverträge im Bonner Bundestag und wollen mit dieser erkauften Parlamentsmehrheit einen zweiten Ritt gen Osten vorbereiten, um dann das» grausige Spiel des zweiten Weltkrieges nochmals zu wiederholen.

Dieses darf nicht gelingen und muß durch alle friedliebenden Menschen verhindert werden. Wir wollen nicht, daß die aus eigener Kraft erzielten stolzen Erfolge nochmals der Vernichtung preisgegeben werden.

Richten wir heute, anläßlich des Nordhäuser Rolandsfestes, einen Rückblick auf die vergangenen 10 Jahre des Wiederaufbaus, dann erfüllen uns diese mit stolzen und tiefen Dank. Wie überall in der DDR haben; auch die Werktätigen Nordhausens eine große wirtschaftliche und kulturelle Aufbauarbeit geleistet. War früher die Kautabak- und Branntweinindustrie vorherrschend, so bestimmt) heute, durch die großzügige Hilfe unserer Regierung, der Schwermaschinen- und Fahrzeugbau das Bild unserer Stadt. Neben anderen Erzeugnissen sind Traktoren des VEB Schlepperwerk und die Bagger des VEB Maschinenbau Nordhausen weit über die Grenzen unserer» Heimat hinaus ein Begriff geworden.

Bis heute wurden durch die Bereitstellung von Werterhaltungsmitteln sowie durch eigene Leistungen der Bevölkerung 4000 Wohnungen in Nordhausen wieder) instand gesetzt. Mit Beginn des Wohnungsbauprogramms im Jahre 1950 wurden bisher 835 Wohnungseinheiten durch Investitionen und 400 Wohnungseinheiten durch Privatinitiative erreicht. Außerdem errichtete! der genossenschaftliche Wohnungsbau in der Halleschen Straße 24 Wohnungseinheiten. Auf dem Gebiet des Schulwesens wurden in den vergangenen Jahren Mittel zum Bau von 2 Grundschulen und 1 Berufsschule freigegeben. Für die außerschulische Erziehung ist den Thälmann-Pionieren ein Pionierhaus an der Rotleimmühle übergeben worden» In diesem sind die Voraussetzungen vorhanden, wöchentlich etwa 2000 Pioniere und Arbeitsgemeinschaften verschiedener Art zu betreuen. Außerdem wurden dias Neue Stadthaus, Alte Rathaus, ehemalige Waisenhaus, Amtsgericht und die Blasiikirche wieder aufgebaut. Unser schwer zerstörtes Stadttheater eröffnete bereits 1949 seine Pforten. Mit der Landbespielung stieg die Besucherzahl in der Spielzeit 1953/54 auf 400 000, gegenüber 200 000 im Jahre 1950. Eines der modernsten Lichtspieltheater konnte im. Frühjahr 1954 mit 800 Plätzen eröffnet werden.

Ebenso wurde in unserer Stadt eine Kinderkrippe und eine Kindertagesstätte sowie ein Feierabendheim, das 80 Personen aufnehmen kann, gebaut, Im Gesundheitswesen ist die neu errichtete Poliklinik mit einer Betreuung durch, 21 Ärzte und mit ihren, 66 Betten nicht mehrl wegzudenken. Das Deutsche Rote Kreuz baut eine Großgarage für 10 Sanitätskraftwägen. Weiterhin wurden in .unserer Stadt Lehrlings Wohnheime, die Ingenieurschule für Landmaschinentechnik, die für die weitere Entwicklung unserer Landwirtschaft im Republikmaßstab von großer Bedeutung sein wird, gebaut. Ebenso wurden die Sportplätze unserer) Stadt erweitert und wieder instand gesetzt. Besonders durch die Totomittel konnten die leichtathletische Anlage im Ernst-Thälmann-Stadion sowie die Turnhalle für die Theo-Neubauer-Schule wieder instand gesetzt werden. Zahlreiche Beispiele könnten noch angeführt werden. Das Interesse der Bevölkerung wird aber nicht nur durch Worte, sondern durch Taten unter Beweis gestellt.

Schon mit Beginn der Enttrümmerungsarbeiten wurden gewaltige Leistungen erzielt. Wenn durch staatliche Mittel 342 000 cbm Schuttmassen beseitigt, weit über 6 Mill. Steine gewonnen und rund 1500 Tonnen Träger bzw. Schrott für den planmäßigen Wiederaufbau gewonnen wurden, so sind die Zahlen der zusätzlichen Materialgewinnung für das Nationale Aufbauwerk der Stadt Nordhausen nicht gering. Viele Bürger der Stadt stellten ihre Arbeitskraft zusätzlich dem Nationalen Aufbau unserer schwer zerstörten Heimatstadt zur Verfügung. AJlein im vergangenen Jahr wurde durch die freiwilligen Leistungen unserer Bürger im Nationalen Aufbauwerk ein Wert von rund 460 000 DM geschaffen und manch stolzer Blick auf die Grünanlagen, die Bauobjekte, Spielplätze usw. besagt, „da warst auch du dabei — und1 das ist mit dein Werk“. So soll es auch in diesem Jahr sein und unsere aktivsten Auf bauhelf ei4 rufen den letzten noch Abseitsstehendeh zu, sich auch in die Front der Erbauer eines neuen Deutschlands einzureihen. Denken wir daran, daß jeder freiwillige Hammerschlag, jeder Spatenstich, jede Mark unseren Aufbau beschleunigt und die echte Friedenstat ist. Je schneller wir unsere Stadt aufbauen, desto schneller überzeugen wir unsere westdeutschen Brüder und Schwestern und gewinnen sie für den patriotischen Kampf für ein einheitliches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland. Darum, liebe* Bürger der Stadt Nordhausen, gemeinsam an die Arbeit im letzten Jahr des ersten Fünfjah,-Plans. Wir alle lieben den Frieden, unsere Heimat und unsere Stadt Nordhausen. Wir alle wollen für uns und unsere Familie — für die Gesellschaft — ein glückliches und friedliches Leben und werden darum das Nationale Aufbauwerk 1955 auch zu einem großen Erfolg gestalten.

G. Pfeffer