Die Bewohner Thüringens und insbesondere des Helmegaus bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert

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Autor: Hans Silberborth
Titel: Die Bewohner Thüringens und insbesondere des Helmegaus bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert
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aus: Geschichte des Helmegaus
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Erscheinungsdatum: 1940
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Erscheinungsort: Nordhausen
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 1,
Kapitel 2
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Kapitel 2
Die Bewohner Thüringens und insbesondere des Helmegaus bis zum 2. nachchristlichen Jahrhundert


Der Helmegau war seit spätestens dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert in der Hand germanischer Völker.[1] Doch ihr Name ist uns unbekannt; von ihren friedlichen und kriegerischen Taten ist wenig auszumachen. Auf dem Questenberge hatten sie eine Kultstätte, die Wallburgen des Kohnsteins bei Niedersachswerfen und der Webelsburg bei Hainrode gewannen sie einem fremden Volke ab, dessen Kultur wir einigermaßen beschreiben, das wir aber mit noch nicht genügender Sicherheit einordnen können. Um 500 v. Chr. war der ganze Steilrand der Hainleite in germanischer Hand. In die folgenden Jahrhunderte fällt die Blütezeit der Kelten. Von ihrer Kultur blieben auch die Lande zwischen Harz und Hainleite nicht unberührt; die Hasenburg scheinen sie um 300 v. Chr. im Besitz gehabt zu haben. Die Herren im offenen Lande aber waren nach wie vor Germanen.[2]

Seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert machten sich neue, verstärkte Bewegungen unter den germanischen Völkern bemerkbar. Die Kimbern wanderten aus ihrer jütischen Heimat, ostgermanische, wandalische Völker drängten nach Süden und erschienen an der mittleren und oberen Oder und Weichsel. Diese Völkerbewegungen hatten auch Einfluß auf das nördliche Mitteldeutschland, das von swebischen Völkern besiedelt war. Von Norden her drückten den späteren Langobarden nahestehende Völker nach Süden und siedelten zwischen Elbe und Weser, andere swebische Völker rückten in südwestlicher Richtung vor, überschritten den Oberrhein nördlich Basel und kamen mit den Römern in heftige Tuchfühlung.

Auf welcher Straße dieser Weg der Sweben nach Südwest durch Mitteldeutschland gegangen ist, bleibt unbekannt; möglich ist es, daß starke Scharen durch das Helmetal gezogen sind und dort wohnende Stämme mitgerissen haben. Eine Abwanderung aus unserer Landschaft im ersten Jahrhundert v. Chr. ist unverkennbar.[3] Das bevölkerungsarme Land lockte neue, vom Nordharzrande kommende Scharen an. Wahrscheinlich war es die junge Mannschaft, die aus Raummangel oder Abenteuerlust diese alte „Kultursteppe" der Magdeburger Börde verließ und, nach Süden vorstoßend, neue Siedlungsmöglich- keiten suchte. Ihr Zug ist durch die Orte Meisdorf, Helfta, Allstedt, Voigtstedt, Brücken, Bennungen, Roßla, Stockhausen, Bebra bei Sondershausen gekennzeichnet. Wahrscheinlich wollte dieses Volk durch den Paß von Sondershausen nach Süden; dabei wurde ihm hier am Geschling der Durchgang verlegt. So kam es zu heftigen Kämpfen um die dort angelegte gewaltige Wallanlage im Tal von Bebra und auf den das Tal umgebenden Höhen. Ein reiches Gräberfeld, das die Ankömmlinge bei Bebra angelegt haben, beweist ihre Verwandtschaft mit den Nordharzern. Es sind den Langobarden und anderen Hermionischen Völkern nahestehende Germanen, die erstmals um 50 v. Chr. in unsere Landschaft eintraten.

Noch heute ist erkennbar, wie der Sondershäuser Paß befestigt war. Am südlichen Ausgang des Bebraer Tales war zunächst eine kleine Talsperre angelegt, dann war weiter nördlich beim Chausseehaus im Westen die Hohe Buche, im Osten der Ölmüllerberg, die „Ole Burg", mit besonders eindrucksvollen Wällen befestigt, die über das Tal hinfort miteinander zusammenhingen. Schließlich, in der Nähe des Ortes Bebra, war das an sich schon schwer passierbare, versumpfte, noch heute mit Teichen versehene Tal durch neue Sperrwälle geschlossen, die sich von dem im Westen gelegenen Eichenberge ins Tal hinabzogen, während im Osten der große und kleine Totenberg steil anstiegen.[4]

Das Volk, das diesen Talriegel hier angelegt hat, ist unbekannt, unbekannt ist auch, ob die Germanen, die wir vielleicht als Hermunduren bezeichnen können, die Festungswälle bezwungen haben. Plinius und Strabo nennen diese Hermunduren und geben uns ihre ungefähren Wohnsitze für die Zeit um Christi Geburt an.[5] Plinius nennt den Völkerverband in Mittelgermanien Hermiones und rechnet dazu „Suebi, Hermunduri, Chatti, Cherusci." Ganz offenbar haben wir es bei den einzelnen Völkern mit Zusammenschlüssen verschiedener kleinerer germanischer Stämme zu tun. Einige dieser Stämme haben sich zu den Hermunduren, d. h. den Großen Duren, vereinigt. Da wir die Swehen an der unteren Elbe und Havel, die Chatten in Hessen annehmen können, möchte man für die Cherusker den Raum westlich der Sweben, für die Hermunduren den Raum östlich der Chatten beanspruchen.[6] Danach wäre es möglich, daß die Hermunduren zwischen Harz und Thüringer Wald und im Osten bis an die Elbe heran gesessen hätten. Strabo wiederum nennt nebeneinander Langobarden und Hermunduren, eine Zusammenstellung, die zu dem Pliniusbericht einigermaßen paßt. Die Langobarden müssen eines der nordwestlichsten Swebenvölker gewesen sein, die Hermunduren hatten ihre Wohnsitze südlich von ihnen. Von beiden Völkern erzählt Strabo, sie seien, offenbar unter dem Eindruck römischer Waffenerfolge, hinter die Elbe nach Osten in die öden geflüchtet.[7]

Die Nachprüfung durch die Archäologie scheint die Richtigkeit des Straboschen Berichtes ergeben zu haben. Tatsächlich sind den Langobarden verwandte germanische Stämme, die wir mit den Hermunduren gleichsetzen können, in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts in Nordthüringen anwesend gewesen, sie haben aber spätestens um Christi Geburt das Land geräumt und sind hinter die Elbe zurückgegangen, wo der archäologische Ausweis sie vom Flä - ming im Norden bis an das Erzgebirge im Süden ergibt.

Velleius Paterculus bestätigt das, indem er zum Jahre 5 n. Chr. von der Elbe weiß, daß sie „am Gebiet der Semnonen und Hermunduren vorüberfließt".[8] Hermunduren sind westlich der Saale nicht mehr vorhanden. Ihre ferneren Schicksale sind aber doch in gröbsten Umrissen soweit zu erkennen, daß man behaupten kann, sie hätten nach der Zeitwende nie mehr das Gebiet zwischen Harz und Thüringer Wald betreten.

Die Hermunduren breiteten sich nämlich an der Elbe und Saale aufwärts recht schnell nach Süden aus. Der Wall des Erzgebirges und die Markomannen in Böhmen hielten sie zunächst von diesem Lande ab. Deshalb zogen sie sich nach Westen hin an den Frankenwald und oberen Main. Hier gab ihnen 3 v. Chr. Domitius Ahenobarbus neue Wohnsitze und verpflichtete sie damit wahrscheinlich gleichzeitig, den Römern als Grenzschutz gegen die mächtigen Markomannen in Böhmen zu dienen. 19 n. Chr. vertrieben die Römer mit hermundurischer Hilfe den Markomannenfürsten Marbod. Dadurch gelang ihr Eindringen in Böhmen. Anscheinend strömten von Norden längs der Elbe immer neue Hermundurenscharen nach, so daß sie sowohl nach Süden wie nach Westen hin expandieren konnten: Auf die in Mähren sitzenden Quaden gewannen sie 51 n. Chr. Einfluß, die Lh alten besiegten sie im Jahre 58 an einem Salzflusse. Damit siedelten sie vom mittleren Main und von der oberen Werra bis an die obere Elbe.[9]

Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. bezeugt Tacitus die Hermunduren dann einwandfrei an der oberen Donau als Freunde der Römer.[10] Hier an der Donau müssen sie, wahrscheinlich sich nach und nach in einzelne Stämme auflösend, während des ganzen 2. Jahrhunderts gesessen haben. Um 200 n. Chr. war das Hermundurenreich zerfallen. Wenn man also, da weder literarische noch archäologische Zeugnisse dafür sprechen, nicht annehmen will, daß die germanischen Scharen, die wir in der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts bei Sondershausen treffen, weiter in die Beckenlandschaft eingedrungen sind und daselbst, während der Stamm weiter nach Süden wanderte, mindestens erhebliche Volkssplitter zurückgelassen haben, so kann man Thüringen nicht als Wohnsitz der Hermunduren betrachten. Dann ist man aber auch in Verlegenheit, welchem germanischen Volke man überhaupt Thüringen für die ersten beiden Jahrhunderte nach unserer Zeitrechnung zusprechen soll.

  1. Vergl. unten Kapitel 5: Die Befestigungsanlagen. — Leider lag das angekündigte Standardwerk: Hans Neinerth, Vorgeschichte der deutschen Stämme, Verlag Bibliographisches Institut zu Leipzig, bei der Drucklegung noch nicht vor und konnte deshalb nicht benutzt werden.
  2. Für die Vorgeschichte unserer Gegend sei in erster Linie hingewiesen auf die treffliche Arbeit von P. Grimm, Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Unterharzes und seines Vorlandes auf Grund der Bodenfunde; Jahresschrift für die Vorgeschichte der Sächsisch-Thüringischen Länder, Halle, 1930, Bd. 18. Für unsere Zeit kommt in Betracht Jahresschrift 18. 91 ff. Das von den Germanen im 6. Jahrhundert verdrängte Volk ist von Kossinna als keltisch angesprochen worden. Dagegen liegen Bedenken vor; namhafte Praehistoriker nennen das unbekannte Volk „vorkeltisch", ein Ausdruck, der wenig gut gewählt erscheint. Mir scheint das Volk den Illyrern anzugchören und bald — schon seit 800 v. Chr. — stark von germanischer Kultur beeinslußt zu sein. — Die Webelsburg nimmt Grimm 1930 noch als germanische Wallburg an; Grimm, a. a. O. 94. Dagegen: Grimm, Die Wallburg auf dem Kohnstein zwischen Salza und Niedersachswerfen, Jahresschrift 1938, Bd. 29, 196, mutmaßt er, wohl richtiger, eine ursprünglich „vorkeltische", d. h. also nach unserer Auffassung „illyrische" Burg, die von den Germanen gestürmt wird. — Vergl. unten Kap. 5.
  3. W. Schulz, Die Bevölkerung Thüringens im letzten Jahrhundert v. Thr. auf Grund der Bodenfunde, Jahresschrift 1928, 16, und W. Schulz, Vor- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands, 152 fs. Auf dieses zusammenfassende Werk seien Nicht- sachleute nachdrücklich verwiesen.
  4. P. Zschiesche, Die vorgeschichtlichen Burgen und Wälle in Thüringen, Halle, Hendel, 1892. III. .14 ff. Ein Urnenfriedhof mit Leichenbrand ist im Jahre 1868 bei Bebra aufgedeckt; die Funde liegen im Sondershäuser Museum.
  5. E. Plinius Secundus, Historia naturalis IV. 99—100. Strabo in VII. 3 seiner Geographie.
  6. Die Aufstellung geschieht mit allem Vorbehalt, da die Römer Sweben in den verschiedensten Teilen Germaniens angeben. Freilich wird Plinius nicht die Stämme meinen, die Caesar, Comment. VI. 10 als Sueben bezeichnet, welche nach Südwestdeutschland abgewandert waren.
  7. Strabo, VII. 3.
  8. Vergl. Kirchhofs, Thüringen doch Hermundurenland, 14. Kirchhofs legt die Velleius-Stelle so aus, als ob die Elbe die Semnonen im Osten von den Hermunduren im Westen getrennt hätte.
  9. Tacitus, Annales XIII. 57 schildert die berühmte Schlacht vom Jahre 58 um die Salzquellen. Die Hermunduren blieben Sieger und weihten alle Beute, Rotz und Mann, dem Ziu und dem Wotan. — Mit Kirchhofs kann man Satzungen an der Werra oder etwa Neustadt an der fränkischen Saale als Kampfplatz annehmen. Vergl. Kirchhofs, a. a. O. 11. Unmöglich kann man, wie Wähler, Die Thüringer Bevölkerung, Langensalza, 1920, 15, es tut, die Schlacht ohne weiteres an der Werra annehmen.
  10. Kirchhofs, der den Bericht des Tacitus nicht übergchen kann, stellt ihn zusammen mit dem etwa 70 Jahre älteren des Velleius Paterculus. Nach Tacitus hätten, so meint Kirchhofs, die Hermunduren am mittleren Main gesessen und von dort aus nach der Donau hin mit den Nömern Handel getrieben. So dehnt K. den Tacitus-Bericht. Kirchhofs, a. a. O. 9 ff. Und da Velleius sie als an der Elbe neben den Semnonen sitzend bezeichnet, müssen sie nach Kirchhofs ihre Wohnsitze vom Main über den Thüringer Wald, das Thüringer Becken, die Saale Hinfort bis an die Elbe gehabt haben: Thüringen doch Hermundurenland! Aus den Quellen aber ist zu entnehmen, daß die Hermunduren ein wanderndes Volk gewesen sind, das kurz vor Chr. an der mittleren Elbe saß, hundert Jahre später an der oberen Donau. Von Westen nach Osten an der Donau entlang von etwa Ulm bis Wien nennt Tacitus einwandfrei: Hermunduren, Narister, Markomannen, Quaden. Ptolemäus kennt im 2. Jahrhundert an der Donau noch die Teuriochämen und Turonen, die möglichenfalls hermundurische Stämme sind. Wähler, a. a. O. 17.