Begrenzung des Arbeitsgebietes – Der Siedlungsboden des Helmegaus in germanischer Zeit

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Autor: Hans Silberborth
Titel: Begrenzung des Arbeitsgebietes – Der Siedlungsboden des Helmegaus in germanischer Zeit
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aus: Geschichte des Helmegaus
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1940
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Erscheinungsort: Nordhausen
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 1,
Kapitel 1
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Abschnitt I.
Der Helmegau in germanischer Zeit


Kapitel 1
Begrenzung des Arbeitsgebietes – Der Siedlungsboden des Helmegaus in germanischer Zeit


Die Landschaft südlich des mittleren und östlichen Harzes weist eine vortreffliche natürliche Begrenzung auf. Der Harz im Norden, der Kyffhäuser und die Hainleite im Süden, die Muschelkalkplatten der Bleicheröder Berge im Westen sondern sie von benachbarten Gebieten und geben ihr den Charakter einer Festungslandschaft, in die man schwer eindringen kann. Die Geschichte dieser Landschaft verläuft deshalb weniger bewegt als die offener Gegenden. Abgesehen von ihrem Unterlauf fließen Helme und Wipper inmitten Deutschlands in einem stillen Winkel. Nur im Osten zwischen Südostharz und Kyffhäuser öffnet sich bei Wallhausen und Sangerhausen ein breiteres Tor, das einen achtbaren Ost-West-Strom durch die Helmeauen spülen läßt, und da hier auch, den Ostrand des ausklingenden Harzes nutzend, eine zweitrangige Nordsüdlinie von Magdeburg nach Erfurt verläuft, ist hier der Eingang für alles Leben, das von Magdeburg, Halle und Leipzig heranpulst.

Hinter den großen Ost-West-Straßen am Nordrande des Harzes und des Thüringer Waldes steht das Helmetal zurück. Die Geschlossenheit des ganzen Gebietes möchte zu seiner geschichtlichen Behandlung reizen. Sie ist aus guten Gründen noch nie erfolgt und müßte trotz der trefflichen geographischen Begrenzung eine weitere mitteldeutsche Landschaft erfassen. Denn schon in germanischer und frühmittelalterlicher Zeit gehört unser Gebiet den verschiedensten Gauen, ja verschiedenen germanischen Stämmen und im späteren Mittelalter und in der Neuzeit einer Unzahl von Territorien an, deren Teilgeschichte nur geschrieben werden könnte unter dauernder Berücksichtigung des Ganzen. Das würde weit über den Rahmen einer Heimatgeschichte hinausgehen. Ja, selbst bei einer Bescheidung auf ein kleineres Gebiet, wie es hier vorgesehen ist, mußten ganz zwangsläufig die Verhältnisse der weiteren Umgebung, zuweilen selbst ganz Mitteldeutschlands in den Kreis der Betrachtung einbezogen werden. Und wie um die örtliche, so steht es um die zeitliche Begrenzung.

Da hier nun der Plan vorliegt, die Frühgeschichte unserer engeren Heimat zu schreiben, war räumlich dafür der in Karolinger Zeit entstandene Helmegau gegeben, der das Tal der oberen und mittleren Helme samt seinem Harzer Einzugsgebiet, der Zorge und Thyra, umfaßt. Zeitlich mußte die Darstellung da einsehen, wo zum ersten Male einigermaßen erkennbare und mit Namen zu belegende Völker im Helmegau erscheinen; sie mußte da aufhören, wo der Name „Helmegau" aus der Geschichte verschwindet, weil er, geschichtlich genommen, jeden Sinn verloren hatte. —

Alles Wesentliche, Dauernde im Schicksal der Völker rührt nicht vom Menschen her, sondern von der Natur. Die Höhenlage, die Bodenbeschaffenheit, vor allem das Klima einer Landschaft schaffen die Grundlagen, auf denen überhaupt erst eine vom Menschen beeinflußbare Entwicklung einsetzen kann.

Wir müssen bis zum Ausgang der Bronzezeit für Mittel- und Nordeuropa ein mindestens um 2 Grad wärmeres und bedeutend trockeneres Klima annehmen als für die folgenden Zeiten. Das Harzgebirge war damals im Osten zum großen Teile Steppenland, im übrigen war es von lichtem Waldwuchs bedeckt. Die Aue zwischen Vielen und Roßla lag trocken und bewohnbar da.

In der frühen Eisenzeit, um 700 vor der Zeitwende, setzte der Klimasturz ein; besonders die Übergangsjahreszeiten, Frühjahr und Herbst, dauerten länger und wurden kühler und bedeutend feuchter. Das hatte für unsere Landschaft zur Folge, daß sich weite bisher bewohnbare Steppengebiete mit Wäldern bedeckten und Flußauen, durch die bisher ein sanftes, im Sommer in den groben Schotterablagerungen verrinnendes Flüßchen dahinrann, versumpften.

Dieser Klimasturz wurde zum Schicksal der Völker. Im südlichen Skandinavien und im ganzen westlichen Ostseeraum, wo bisher Weizen und Hirse gedieh, wo unter den Laubbäumen Hasel- und Walnuß zu finden gewesen waren, verschlechterten sich die Lebensbedingungen derart, daß die Bevölkerung gezwungen wurde, nach Süden zu wandern, um neues Siedlungsland zu erobern. In unseren Gegenden wurden die nunmehr ungeheuren Waldgebiete menschenleer, längs der Flüsse und Bäche und in einzelnen Mulden mit gutem Schwemmlandboden drängte sich eine karge Bevölkerung. Die Hinterlassenschaft der Völker jener Zeiten, die einst nicht bloß in unserer Südharzer Landschaft reiche Kulturen erwiesen hatte, sondern auf dem ganzen Harze anzutreffen gewesen war, schrumpfte mehr und mehr zusammen. Der Harz, abgesehen von einem geringen von Moränenschutt überdeckten östlichen Rand, der von Osten her bis an die Linie Ermsleben-Meisdorf im Norden, Breit un gen - Uftrungen im Süden reicht, urwaldbedeckt wie er war, verödete ganz, ebenso im Süden unseres Gebietes der nördliche Steilabfall derHainleite samt einer breiten Zone nach Süden hin. Der ganze Zug der Windleite, die das Helmetal vom W ippertale scheidet, war bewaldet. Ebenso waren es die Vorhöhen des Harzes, soweit sie dem Zechsteinbande angehören, also Gipse, Dolomite und Stinkschiefer an der Oberfläche zeigen. Erhebliche Waldbestände auf diesem Boden, welcher der Kultivierung trotzte, sind ja — etwa im Kohnstein, Giebichenhagen, Altem Stolberg, dem Roszlaer Forst um Questenberg herum — noch heute vorhanden. An manchen Stellen gerade des zu Tage tretenden Gipsgesteines darf man freilich nicht an üppigen Hochwald denken, sondern an Buschwald mit reichlichem Unterholz; zuweilen wird ganz trockene Kuppen und dürre Steilhänge sogar nur Heidekraut und Gestrüpp aus Dornen, Rosen, Haseln bedeckt haben, wie wir es in dem Gelände um die Hunskirche westlich Steigertal noch heute finden. Die Questenberge, entstellt Clettenberg, und Questentäler oder Namen wie Stöckey in unserer Gegend zeigen diese Heidekraut-Gestrüppflächen an.[1]

Zwischen Harzvorhöhen und Windleite im eigentlichen Helmegebiete waren die sanften Buntsandsteinrücken und ihre Flanken weit hinab sämtlich bewaldet; die aus mittlerem Buntsandstein aufgebaute Hardt und die Heide südlich Roßla und Bennungen waren bewaldet oder es waren Gestrüppflächen. Die Aue war versumpft; hier bestand das breite Helmeried.[2]

Allzuviel siedlungsfähiges Land blieb nicht übrig; vor allem finden wir es selten in weiten, zusammenhängenden Flächen. Das südliche Vorland des Harzes zeigt zwischen den Höhenzügen des Zechsteins und unteren Buntsandsteins eine Reihe von Tälern, die hier und da fruchtbares Schwemmland und Lößboden aufweisen. Am Unterlauf der Thyra oder bei der Einmündung von Seitentälern in sie, etwa der Hafel, ferner besonders an der Zorge und Wieda von Niedersachsrverfenan aufwärts, wo die Schotterablagerungen noch nicht gar zu breit sind, finden wir größere, aber schmale Flächen waldlosen Schwemmlandbodens. Ebenso luden hier immer wieder die im Kalkgebiet der Zechsteinzone häufigen Erdsälle, ähnlich den Dolinen des istrischen Karstes, zur Besiedelung ein. Nur kleine Flächen inmitten großer Waldgebiete standen hier zur Verfügung; aber der fruchtbare, in die Mulden hineingeschwemmte Ackerboden war dem Anbau günstig, und die Wälder mit Eicheln und Eckern boten ein günstiges Gelände für die Schweinemast. Eine etwas breitere und längere in die Zechsteinzone eingebettete Wanne, mit diluvialen Fluß-Schottern und Löß ausgefüllt, befindet sich nördlich des Bauerngrabens um Agnesdorf herum.

Ähnlich war es im südlich vorgelagerten Buntsandsteingebiet. Hier aber, wo die Flüsse breitere Auen bildeten, fand sich auch das einzige zusammenhängende Siedlungsland. Im Osten legte sich eins dieser früh bevölkerten Gebiete um den nördlichen und östlichen Rand des Kyffhäusers. Nur Kelbra gehört von dieser Landschaft unserem Helmegau an, Sittendorf, Tilleda, Ichstedt und andere Orte rechnen zum Nabelgau. Ein zweites, zu allen Zeiten besiedeltes Gebiet erstreckte sich vom Nordhang der Wind- leite bis an die Helme und Zorge hin von Auleben über Heringen, Uthleben bis Sundhausen. Zu weit an die Flußläufe heran darf man es aber nicht annehmen, da hier teils sumpfiges Gebiet war, teils wie etwa südlich Nordhausen, Flußschotter lagerten. Die dritte Fläche dehnte sich südlich der Helme von Klein-Werther bis Schiedungen, allerdings nach Westen hin sich immer mehr verengend. Hier ist fruchtbarer Lößboden vorhanden, der sich als sogenannter Flankenlehm in der Nähe der Helme und fleckenweise auch am Fuße der Windleite findet.

Südlich der Windleite, längs der Wipper, finden wir die Verhältnisse ganz ähnlich gelagert. Auch hier haben wir am Südrande der Wipper, zwischen Fluß und Steilrand der Hainleite, einen fruchtbaren Lößstreifen, der sich von Stockhausen über Furra, Wolkramshausen bis an das Eichsfelder Tor erstreckt und noch breiter ist als der Streifen des oberen Helmetales. Doch diese Landschaft, die dem nördlichen Altgau oder dem Wippergau zugehört, erweckt unsere Teilnahme nur noch als benachbartes und mit uns besonders schicksalsverbundenes Gebiet.

Nördlich der Helme und unteren Zorge kann nur noch ein schmales Gebiet zwischen dem Helmeried und den Harzvorhöhen als altes Kulturland angesprochen werden. Es ist ein schmaler Streifen von Görsbach über Urbach und Leimbach bis vor die Ostflanke Nordhausens, von dessen Breite man sich, durch die heutigen Verhältnisse getäuscht, keine übertriebene Vorstellung machen darf, da das Aueried von Süden her bis gegen Görsbach und Urbach reichte und zwischen Leimbach und Nordhausen beim heutigen Gute Himmelgarten auch versumpftes Land vorhanden war.




  1. s. u. Abschnitt II, Kap. 3.
  2. Vergl. Mitteldeutscher Heimatatlas, Karte 3; O. Schlüter, Die frühgeschichtlichen Wohnflächen. Bei dem kleinen Maßstabe tritt die Bedeutung der Sumpf- und Riedflächen für unsere Landschaft nicht genügend zutage. Auch die ganz beträchtlichen Flächen groben Schotters, die besonders die Zorge in der Nähe Nordhausens begleiten, waren für Siedlungen und Anbau ungeeignet.