Pocken, Pest und Pillen: Unterschied zwischen den Versionen
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Insgesamt konnten 314 am Medizinalwesen beteiligte Personen nachgewiesen werden. Die Analyse der Medizinalgesetzgebung durch den Rat zeigt, dass diese relativ spät einsetzte, lückenhaft blieb und vieles der Eigeninitiative engagierter Ärzte wie Conrad Fromann überließ. Die Regelungen für Apotheker werden dagegen als fortschrittlich bewertet. | Insgesamt konnten 314 am Medizinalwesen beteiligte Personen nachgewiesen werden. Die Analyse der Medizinalgesetzgebung durch den Rat zeigt, dass diese relativ spät einsetzte, lückenhaft blieb und vieles der Eigeninitiative engagierter Ärzte wie Conrad Fromann überließ. Die Regelungen für Apotheker werden dagegen als fortschrittlich bewertet. | ||
Anhand der Quellen wird erstmals der Versuch einer vollständigen Seuchengeschichte unternommen, die neben Pestepidemien auch Lepra, Syphilis und Kinderkrankheiten aufzeigt. Die Pestordnung von 1681 erscheint zu spät gekommen zu sein, um die letzte verheerende Pest von 1681-83 mit | Anhand der Quellen wird erstmals der Versuch einer vollständigen Seuchengeschichte unternommen, die neben Pestepidemien auch Lepra, Syphilis und Kinderkrankheiten aufzeigt. Die Pestordnung von 1681 erscheint zu spät gekommen zu sein, um die letzte verheerende Pest von 1681-83 mit über 3000 Toten noch verhindern zu können. Eine abschließende Analyse der Katastrophe ist den Quellen nicht zu entnehmen. 1801 wurde laut der Arbeit durch den Arzt Filter die Pockenimpfung eingeführt. | ||
Mit vier nachgewiesenen Hospitälern scheint die Stadt über eine gute Kapazität verfügt zu haben. Das [[Waisenhaus]] soll überregionale Bedeutung besessen haben. Das um 1780 gebaute Anatomiehaus war bisher unbekannt. Die Entwicklung des Apothekenwesens ist den Quellen zufolge durch das Apothekenmonopol bis 1747 gehemmt worden. | Mit vier nachgewiesenen Hospitälern scheint die Stadt über eine gute Kapazität verfügt zu haben. Das [[Waisenhaus]] soll überregionale Bedeutung besessen haben. Das um 1780 gebaute Anatomiehaus war bisher unbekannt. Die Entwicklung des Apothekenwesens ist den Quellen zufolge durch das Apothekenmonopol bis 1747 gehemmt worden. |
Aktuelle Version vom 29. Juli 2024, 06:16 Uhr
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Pocken, Pest und Pillen ist ein im November 2022 erschienenes Buch von Antonia Jäger über die Medizingeschichte der Reichsstadt Nordhausen 1223-1802. Grundlage war die 2005 von der Autorin vorgelegte Dissertation Das Medizinalwesen der Freien Reichsstadt Nordhausen (1220-1802) (Universität Jena). Das Werk wurde am 11. November 2022 durch die Autorin und die Lesser-Stiftung in der Stadtbibliothek Nordhausen vorgestellt.
Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
In der Einleitung erläutert Jäger ihre Motivation für die Erstellung einer ersten Gesamtdarstellung der Medizingeschichte Nordhausens, um damit eine bestehende Forschungslücke zu schließen. Als zeitlichen Rahmen wählt sie die Epoche der Reichsfreiheit von 1220 bis 1802, da in dieser Zeit die Stadt die Möglichkeit hatte, die Gesundheitsfürsorge selbst zu gestalten.
Im ersten Kapitel werden die spärlichen Quellenfunde zum Mittelalter untersucht. Kapitel 2 gibt einen Überblick über die Stadtentwicklung bis 1802. Die Kapitel 3 bis 5 befassen sich mit den Berufsgruppen der Ärzte, Chirurgen und Hebammen. Für einige Ärzte wie Wilhelm Gesenius oder Franz Ernst Filter wurden anhand der Quellen erstmals Biographien erstellt.
Kapitel 6 enthält nach Auswertung der Quellen erstmals den Versuch einer vollständigen Seuchengeschichte Nordhausens von 1300 bis 1802 mit einem Schwerpunkt auf der Pest. Insbesondere die letzte Pestepidemie von 1681-83, bei der etwa jeder zweite Nordhäuser starb, wird eingehender analysiert. Kapitel 7 beleuchtet anhand der Quellen Krankheiten, Todesursachen und den Umgang mit Krankheiten. Die Kapitel 8 und 9 sind der Geschichte der Nordhäuser Hospitäler und Apotheken gewidmet. Das Waisenhaus scheint überregionale Bedeutung gehabt zu haben. Erwähnt wird auch erstmals das um 1780 gebaute Nordhäuser Anatomiehaus.
Kapitel 10 gibt einen Überblick über das medizinische Schrifttum Nordhäuser Ärzte. Im Anhang finden sich erstmals veröffentlichte Originaltexte. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis verweist auf die breite Quellengrundlage der Untersuchung.
Ziel, Methode und Quellenlage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Als Ziel der Arbeit wird die Erstellung eines umfassenden Überblicks über die Medizingeschichte der Reichsstadt genannt, wobei auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte berücksichtigt werden sollen. Damit ist der Anspruch verbunden, über die klassische Ereignisgeschichte hinaus auch Alltags- und Sozialgeschichte einzubeziehen.
Nach Auskunft von Jäger erfolgte eine Auswertung aller verfügbaren Archivquellen und gedruckter Originaltexte zur Nordhäuser Medizingeschichte. Hierzu zählen Hospitalakten, Apothekenakten, Amtsbücher, Ratsprotokolle und andere Dokumente. Wichtige Quellen waren demnach auch die Collectanea des Stadtphysikus Conrad Fromann sowie zeitgenössische Chroniken und Verordnungen. Zur Vervollständigung von Lebensdaten wurden Kirchenbücher herangezogen. Die Quellenlage wird trotz Kriegsverlusten als ausreichend für eine umfassende Bearbeitung des Themas eingeschätzt.
Ergebnisse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Laut der Untersuchung sind die Anfänge des Medizinalwesens mit ersten Hospitälern im 13. Jahrhundert und ersten Belegen für Vertreter medizinischer Berufe im 14. Jahrhundert anzusetzen. Die Frühgeschichte der Hebammen bleibt mangels Quellen lückenhaft.
Insgesamt konnten 314 am Medizinalwesen beteiligte Personen nachgewiesen werden. Die Analyse der Medizinalgesetzgebung durch den Rat zeigt, dass diese relativ spät einsetzte, lückenhaft blieb und vieles der Eigeninitiative engagierter Ärzte wie Conrad Fromann überließ. Die Regelungen für Apotheker werden dagegen als fortschrittlich bewertet.
Anhand der Quellen wird erstmals der Versuch einer vollständigen Seuchengeschichte unternommen, die neben Pestepidemien auch Lepra, Syphilis und Kinderkrankheiten aufzeigt. Die Pestordnung von 1681 erscheint zu spät gekommen zu sein, um die letzte verheerende Pest von 1681-83 mit über 3000 Toten noch verhindern zu können. Eine abschließende Analyse der Katastrophe ist den Quellen nicht zu entnehmen. 1801 wurde laut der Arbeit durch den Arzt Filter die Pockenimpfung eingeführt.
Mit vier nachgewiesenen Hospitälern scheint die Stadt über eine gute Kapazität verfügt zu haben. Das Waisenhaus soll überregionale Bedeutung besessen haben. Das um 1780 gebaute Anatomiehaus war bisher unbekannt. Die Entwicklung des Apothekenwesens ist den Quellen zufolge durch das Apothekenmonopol bis 1747 gehemmt worden.
Fazit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Mit Pocken, Pest und Pillen wird der Anspruch erhoben, erstmals eine umfassende Analyse der Nordhäuser Medizingeschichte für die Zeit der Reichsfreiheit von 1220 bis 1802 zu liefern. Dabei werden neben Ereignissen und Personen auch Aspekte der Sozial- und Alltagsgeschichte berücksichtigt, um so eine Forschungslücke zu schließen. Die Quellenlage wird als ausreichend eingeschätzt, um trotz der Kriegsverluste eine weitgehend lückenlose Darstellung zu ermöglichen. Insgesamt zeichnet die Arbeit den Eindruck eines langsamen, oft zögerlichen Entwicklungsprozesses des Medizinalwesens nach, der maßgeblich nur durch das Engagement einzelner Ärzte vorangetrieben wurde. Damit leistet die Untersuchung nach eigener Aussage einen wichtigen Beitrag zur Medizin- und Stadtgeschichte Nordhausens und kann möglicherweise als Grundlage für weitere vergleichende Studien dienen.
Inhaltsübersicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Einleitung | 12 |
Quellenlage und Forschungsstand | 14 |
1. Das Nordhäuser Medizinalwesen im Mittelalter | 19 |
1.1 Von der Entstehung der Reichsfreiheit bis zu den ersten Spuren des Medizinalwesens | 19 |
1.2 Die ersten Vertreter medizinischer und pharmazeutischer Berufe im mittelalterlichen Nordhausen | 21 |
1.3 „Arztlohn“ und Hygiene - Ansätze einer Medizinalorganisation in den Statuten von 1470 | 26 |
1.4 Hospitalgründungen im Mittelalter und erste Regulierungen | 27 |
2. Politische Geschichte der Stadt Nordhausen in der Frühen Neuzeit (1500-1802) | 31 |
3. Die Ärzte der Neuzeit | 33 |
3.1 Regelungen der ärztlichen Tätigkeit ab 1500 | 33 |
3.2 Die Physici - leitende Ärzte des städtischen Gesundheitswesens | 38 |
3.3 Die praktisch tätigen Ärzte - Meister der konservativen Heilkunst | 73 |
4. Chirurgen, Wundärzte, Barbiere und Bader | 93 |
4.1 Die Entstehung der Baderinnung 1584 und ihre Entwicklung 94 | |
4.2 Die Bader und ihre Badestuben - Gesundheitspflege und kleine Chirurgie | 97 |
4.3 Die Gründung der Chirurgeninnung 1678 und ihre Innungsordnung 4.4 Rats-Chirurgen und Barbiere - Herrscher über Blut, Eiter und ausgerenkte Glieder | 102 |
4.5 Ein buntes Treiben von Gastchirurgen, Zahnärzten, Optikern und einem Bruchbandschneider am Ende des 18. Jahrhunderts | |
4.6 Sektionen und das Anatomiehaus auf dem Klosterhof | 134 |
5. Die Hebammen | 139 |
5.1 Der Hebammeneid von 1515 und erste Hebammen | 139 |
5.2 Die Hebammenordnung von 1674 und die Weiterentwicklung der Geburtshilfe | 140 |
5.3 Tabellarische Übersicht aller Hebammen nach 1500 | 148 |
6. Lepra, Pest und Pocken - die Bekämpfung der Seuchen | 151 |
6.1 Lepra | 152 |
6.2 Syphilis | 155 |
6.3 Der englische Schweiß 1529 | 158 |
6.4 Die Pest - Infektions- und Pestordnungen 1551 und 1681 | 160 |
6.5 Die letzte Nordhäuser Pest 1681-1683 | 168 |
6.6 Maßnahmen gegen die Unreinigkeit der Straßen | 181 |
6.7 Schwindsucht (Tuberkulose) | 183 |
6.8 Fäulichtes Gallenfieber 1785/86 | 185 |
6.9 Pocken | 191 |
6.10 Scharlach | 194 |
6.11 Tollwut | 197 |
6.12 Weitere Erkrankungen | 198 |
7. Krankheiten, Unfälle und Todesursachen der Nordhäuser | 203 |
7.1 Der medizinische Alltag - wie kamen Arzt und Patient zusammen? | 203 |
7.2 Der Umgang mit Krankheit | 206 |
7.3 Alkohol - Gedeih und Verderb | 212 |
7.4 Die kupferne Armprothese von 1632 | 219 |
7.5 Läuse - der ewige Kampf gegen heimliche Plagegeister | 220 |
7.6 Krankheiten der Kinder um 1700 | 222 |
7.7 Tetanus - ein widersprüchlicher Fallbericht von 1733 | 226 |
7.8 Leistenhernien - der Streit über ein peinliches Thema im Jahr 1801 | 230 |
7.9 Unfälle, Mord und Totschlag - ein Überblick vom 16. bis zum 18. Jahrhundert 232 | |
7.10 Daten zur Sterblichkeit der Nordhäuser von 1785 bis 1801 | 236 |
7.11 Populationslisten 1803-1807 - Todesursachen der Nordhäuser | 239 |
8. Das Hospitalwesen | 248 |
8.1 Nicht-öffentliche Einrichtungen | 248 |
8.2 Hospital St. Georgii - das älteste Leprosenhaus | 249 |
8.3 Hospital St. Cyriaci - der Siechenhof | 252 |
8.4 Hospital St. Martini - die Altersversorgung für Vermögende | 264 |
8.5 Hospital St. Elisabeth - Pilgerherberge und Ausgangspunkt der letzten Pest | 282 |
8.6 Das Waisenhaus - Glanzstück städtischer Fürsorge | 290 |
8.7 Armen- und Bettelordnungen | 294 |
9. Das Apothekenwesen | 298 |
9.1 Der Apothekereid und erste Vorschläge einer Ordnung im 15./16. Jahrhundert | 298 |
9.2 Die Apothekenordnung von 1657 | 301 |
9.3 Die Krämer und der Medikamentenhandel | 307 |
9.4 Die Adlerapotheke als Alte Ratsapotheke am Holzmarkt | 309 |
9.5 Die Mohrenapotheke als Neue Ratsapotheke am Pferdemarkt | 320 |
9.6 Tabellarische Übersicht aller Apotheker und Provisoren nach 1500 | 326 |
10. Medizinisches Schrifttum | 337 |
10.1 Nordhäuser medizinische Schriften | 337 |
10.2 Medizinische Literatur im Nordhäuser Buchhandel des 18. Jahrhunderts | 345 |
10.3 Medizinische Aufklärung im Nordhäuser Intelligenzblatt ab 1776 | 349 |
11. Nordhausen 1802 - der Stand des Medizinalwesens zum Ende der Reichsfreiheit | 355 |
12. Ausblick - Entwicklungen nach 1802 | 357 |
Zusammenfassung und Fazit | 362 |
ANHANG | 367 |
Medizinhistorische Zeittafel der Freien Reichsstadt Nordhausen | 368 |
Stadtplan von Nordhausen mit medizinischen Einrichtungen bis zum 18. Jahrhundert | 371 |
Bader, Barbiere, Wundärzte, Chirurgen und Gesellen in Nordhausen seit 1478 | 372 |
Ausgewählte Quellen | 389 |
1. Auszug aus der 4. Statutensammlung von 1470 | 389 |
2. Des Cunradi Ernst Doctoris und Physici Designatio, des Apothekers | |
Bestallung belangend, 1571 | 390 |
3. Briefe des Chirurgen Jacob Eckhard an den Nordhäuser Rat, 1581 | 391 |
4. Hospitalordnung St. Cyriaci, 1631/1725 | 395 |
5. Apothekenordnung von 1657 | 397 |
6. Hebammenordnung von 1674 | 406 |
7. Chirurgeninnung: Gründung und Innungsordnung, 1677/78 | 409 |
8. Hospitalordnung St. Martini, 1687/1721 | 419 |
9. Dr. Filter: Sollen wir unsern Kindern die Kuhpocken einimpfen lassen?, 1801 | 421 |
10. Dr. Filter: Aufruf an Eltern, die ihre Kinder lieben, 1802 | 425 |
11. Bericht Dr. Filters zum Stand des Nordhäuser Medizinalwesens, 1802 | 426 |
12. Abrechnungen der Ratsapotheke, 1535 bis 1621 | 434 |
Quellen- und Literaturverzeichnis | 438 |
Ungedrucktc Quellen | 438 |
Gedruckte Quellen, Urkundenbüchcr, Zeitungen (bis 1900) | 442 |
Literatur | 447 |
Internet | 461 |
Abkürzungsverzeichnis | 463 |
Verzeichnis der Tabellen | 464 |
Verzeichnis der Graphiken | 464 |
Bildnachweis | 464 |
Personenregister | 466 |
Sachregister | 474 |