Ritter-, Räuber- und Geisterromane und ihr Verleger Fürst in Nordhausen
Ritter-, Räuber- und Geisterromane und ihr Verleger Fürst in Nordhausen
Eine Jahrhunderterinnerung von Heinrich Heine. Man konnte geneigt sein zu glauben, das deutsche Volk habe in den Jahren um 1800, zur Zeit Goethes und Schillers, sich erbaut an den Schöpfungen unserer großen Dichter und ihre Werke mit Genuß gelesen. Wie aber stand es in Wirklichkeit um die Teilnahme des Volkes an den Dichtungen Goethes und Schillers? In den Gesprächen mit Eckermann sagt Goethe 1827, also gegen Ende seines Lebens, nachdem er Dichtungen von Herder, Bürger und Voß erwähnt hat: „Was ist davon lebendig geworden, so daß es uns aus dem Volke wieder entgegenklänge? Sie sind geschrieben und gedruckt worden und stehen in Bibliotheken, ganz gemäß dem allgemeinen Lose deutscher Dichter. Von meinen eigenen Liedern, was lebt denn? Es wird wohl eins und das andre einmal von einem hübschen Mädchen am Klavier gesungen, allein im eigentlichen Volke ist alles stille.“ In der Tat war von den Werken unserer großen Dichter wenig ins Volk gedrungen. Wohl wurden einzelne Dramen von Schiller aus den meisten Bühnen ausgeführt, so z. B. bei uns in Nordhansen „Die Räuber“ bereits 1789, „Die Jungfrau von Orleans“, „Maria Stuart“, „Die Braut von Messina“ im Jahre 1818, „Wilhelm Toll“ 1821, — noch mehr wurden allerdings Stücke von Kotzebue gegeben —: aber Erzählungen und Romane unserer großen Meister blieben ganz unentdeckte Gebiete: sie wurden nicht gekauft und nicht gelesen. Das zeigt sich auch in den Buchhändleranzeigen zu Anfang des 19. Jahrh.; im „Nordhäuser wöchentl. Nachrichtsblatt“ wird ein Werk von Goethe oder Schiller höchst selten angeboten. Und doch wurde auch damals schon verhältnismäßig viel gelesen. Freilich Bücher kaufen war im allgemeinen ein Luxus, den sich nur Wohlhabende gestatten konnten. Das Lesebedürfnis stillten vielmehr Leihbibliotheken, die es auch bei uns zu Anfang des 19. Jahrhunderts schon gab. Und was diese den Lesern boten, war weit entfernt von dem, was unsere großen Dichter in ihren Schriften niedergelegt hatten. Es ist schwer, sich eine Vorstellung von dem Tiefstand der Bücher zu machen, die damals begierig vom Volke verschlungen wurden: plattester Unterhaltungsstoff von einer Dürftigkeit und Roheit, daß man heute ein derartiges Buch schlechterdings nicht mehr lesen kann. Nach Inhalt und Form hatte der Roman immer mehr an Wert verloren. Der Leser des 18. Jahrh. begnügte sich mit dem Ritter- und Räuberroman niedrigster Sorte. Schon einmal, im 12. und 13. Jahrhundert, hatte die Ritterdichtung in Blüte gestanden, aber mit dem Verfall des Rittertums war auch die Poesie, die es umgab, dahingeschwunden. Den Anstoß, diese Zeit wieder aufleben zu lassen, hatte Goethe mit seinem Drama „Götz von Berlichingen“ gegeben. Seinem Beispiele folgten die Dichter des Sturmes und Dranges, und als das Rittertum nun wieder Mode geworden war, bemächtigten Schriftsteller dritten und vierten Grades sich dieses dankbaren Stoffes, um all die spannenden Motive, die darin enthalten waren, im Roman zu verwerten. Zehn Jahre nach Goethes „Götz“ erschienen Schillers „Räuber“, und die Romanfabrikanten fühlten sofort die Verwandtschaft heraus, die zwischen den Personen beider Stücke bestanden. Waren die Räuber nicht auch Helden, Vertreter der Kraft und des Rechts gegenüber der entnervten Gesellschaft? Und übten die rohen Elemente des Ritterslandes nicht dieselben Greuel wie die Räuber? War es da ein Wunder, daß Gotz und Karl Moor von den Romanschreibern mit gleicher Liebe bedacht wurden? Schuf Goethe für das 18. Jahrh. das Ritterideal, so verdankt die Räuberromantik Schiller ihre Entstehung. Der edle Räuber wurde der Held zahlreicher Romane. Der vornehmste Ahnherr aller Banditen ist aber Rinaldo Rinaldini, den Goethes Schwager Vulpius 1798 herausgab - und sich damit die literarische Unsterblichkeit sicherte. Mit den Rittern und Räubern verbanden sich die Geister. Das 18. Jahrh. ist zwar das Zeitalter der Aufklärung: aber jene Zeit war ebenso wundersüchtig als nüchtern. Schwärmer und Schwindler, Geisterbeschwörer und Wundertäter fanden überall ihre Gläubigen. Der Geisterglaube > bot den Romanschreibern ein dankbares Gebiet der Ausschlachtung. Sie konnten ihre Helden jetzt in die fürchterlichsten Gefahren bringen, mit Hilfe eines unverhofft erscheinenden Geistes werden sie leicht gerettet. Massenhaft wurde diese Art Literatur hergestellt und artete zu einem Krebsschaden des deutschen Lebens aus. Nichtsdestoweniger ist sie für den Kultur Historiker beachtenswert. Sie macht uns manche Züge früheren Lebens anschaulich und liefert einen Gradmesser für den geistigen Standpunkt der großen Mehrheit des damaligen leselustigen Publikums. Unter den Verlegern dieser vielbegehrten Literatur sind besonders zwei als Großbetriebe ihrer Art berühmt und berüchtigt geworden, nämlich Basse in Quedlinburg und Fürst in Nordhausen. hat in zwei Geschlechterfolgen, Vater und Sohn, in Nordhausen das Buchgewerbe betrieben. Der Vater, Christoph Andreas Fürst, stammte aus Ansbach in Bayern; er wurde 1801 Bürger in Nordhausen und ließ sich hier als Buchbindermeister nieder. Seine Wohnung war Lutherplatz 1. Im Jahre 1807 richtet er hier die erste Leihbibliothek ein. Am 1. April d. I. wird er vor den Bürgermeister Grünhagen geladen, weil er unterlassen hat, zur Gründung der Bibliothek die Erlaubnis des Magistrats einzuholen. Im Jahre 1802 ist ihm ein Sohn geboren, Ern st Friedrich Fürst. Auch dieser erlernt die Buchbinderei. Mehr scheint ihn aber die Leihbibliothek interessiert zu haben; er beobachtete hier, was die Leute als Lesestoff wählten: es waren vorwiegend Ritter- und Räuberromane. Darauf gründet er seinen Lebensberuf: im Jahre 1828 errichtet er einen Verlag und macht das durch folgende Anzeige bekannt:
Das Unternehmen gedieh. Jedes Jahr brachte er Dutzende von Romanen heraus. Sie fanden reißenden Absatz; von dem „Galanten Stutzer“ z. B. mußte schon nach zwei Monaten eine neue Auflage gedruckt werden. Die Bücher erschienen in Oktavformat, das Papier und die Ausstattung waren denkbar schlecht; dabei kostete ein Band von 150 bis 180 S. durchschnittlich 1 Thlr. E. F. Fürst wurde dabei ein wohlhabender Mann. Zuerst betrieb er den Verlag in dem väterlichen Hause am Lutherplatz, in dem fein Vater auch noch die Buchbinderei und die Leihbibliothek hatte. Aber schon 1836 kaufte er sich das Haus Baltzerstraße 3 (Ecke Baltzer- und Schreiberstraße), wo er nun seinen Verlag unterbrachte. In Buchhändlerkreisen hieß er der „Fürst von Nordhausen“, und man kolportierte gern einen Spottvers aus ihn: „Du bist ein Fürst unter den Fürsten, wie der Sausack unter den Würsten.“ Ein in Deutschland reisender Franzose, der von ihn auch gehört hatte, nannte ihn in seiner Reisebeschreibung „Le prince de Nordhouse avec son cortége de brigands“, der Fürst von Nordhausen mit seinem Gefolge von Räubern. Als sein Vater 1846 starb, wurde das Haus am Lutherplatz verkauft; die Leihbibliothek erwarb Fr. Kramer (Ecke Engelsburg und Krämerstraße, heute Buhtz; sein Bruder war Dr. August Kramer, der Erfinder elektrischer Apparate), die Buchbinderei scheint eingegangen zu sein. sie tragen alle, soweit es sich um Romane handelt, die Spuren fleißigen Gebrauchs, die meisten so sehr, daß man sie nur mit Überwindung eines physischen Ekels in die Hand nimmt. Wichtig für den Erfolg des Buches war meist schon der Titel: er mußte die Leser anlocken.. Titel, wie „Die Kindesmörderin oder Mönch und Nonne“, oder ein anderer „Der Totenritt oder das Bündnis des Brudermörders“ oder etwa wie dieser „Das Totenhemd in der Schauergruft oder die blutige Nonne am Rabenstein“ wirkten berückend und unwiderstehlich. Selten sind die Titel einfach, meist doppelt; der Verfasser hat dadurch Gelegenheit, mehr von dem Inhalt zu verraten und die Spannung des Lesers zu erhöhen. Die Zeit von 1830-40 waren Wohl die besten Geschäftsjahre für Fürst. Dann scheinen die Räuberromane nicht mehr so gut gegangen zu sein. Der Rationalismus war der Ritterromantik nicht günstig; das politische Denken erwachte, der Staatsbürger verlangte sein Recht. Nun verlegte Fürst neben diesen Büchern noch allerlei praktische Werke, die er auch früher schon mit herausgebracht hatte, jetzt aber besonders bevorzugte, z. B. „Der wohlunterrichtete Barbier", „Heilung der Frostbeulen", „Die Kunst seine Branntweine und Liköre herzustellen", „Grundregeln des Fruchtwechsels", „Unterricht im Fleckenreinigen", „Die Kultur der Georginen", „Krankheiten der Greise", „Das Zahnen der Kinder", „Der sidele Kaufmann in der Westentasche" usw. Aber auch damit scheint er kein Geschäft gemacht zu haben. Da legte er 1846 „diesseits des Seiffartschen Gartens" (so hieß damals „Hüpede'ns Garte n") „am Fahr- weg nach der Steinmühle" eine Bleiweiß- und Essigfabrik an. Aber auch dies Unternehmen hatte keinen Erfolg. Er konnte seine Gläubiger nicht mehr befriedigen. Bereits im Juli 1848 werden in seinem Hause Möbel und Bücher durch das Gericht verkauft. Er versucht dann, sein Haus in der Baltzerstratze und seine Meiweißsabrik zu verkaufen; es gelingt ihm aber nicht. Der Konkurs bricht über sein Vermögen aus. Im Dezember 1848 machte das Gericht bekannt, datz sein HauS, geschätzt aus 3078 Thlr. 13 Sgr. 4 Pf., am 4. April 1849 versteigert werden soll, und im Januar 1849 wird angezeigt, daß seine Bleiweitzfabrik nebst Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und 2^ Acker Land am 19. Juni 1849 zum Verkauf kommen soll. Über sein späteres Leben ist nichts bekannt. Am 16. März 1851 wurde in Jauer eine Buchhändlerfirma E. F. Fürst gegründet, doch hat sich nicht feststellen lassen, ob das unser Nordhäuser Fürst gewesen ist, wahrscheinlich ist es. Dann erscheint in Breslau und Leipzig eine Verlagsfirma E. F. Fürst, und eine Nachricht besagt, daß der Buchhändler Fürst aus Nordhausen am 24. Mai 1861 in Breslau gestorben ist. ist wenig zu sagen: „Ihre Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch; versunken und vergessen ..“ Manche der Romanschreiber des Fürst'schen Verlags müssen in Nordhausen selbst oder in der Nähe gewohnt haben, da oft Stoffe aus der Geschichte der Stadt oder ihrer nächsten Umgebung behandelt werden oder die erfundene Erzählung hier spielt. Fürst selbst und seine Frau sollen verschiedene Romane verfaßt haben. Manche schrieben auch unter einem angenommenen Namen, so daß es schwer ist, die Autorschaft festzustellen. Manchmal legt sich auch ein Verfasser verschiedene Namen bei. Die Fruchtbarkeit dieser Literaten ist oft staunenswert; so hat ein gewisser Bartels Dutzende solcher Geschichten geschrieben. Ebenso oft ist ein Fröhlich als Verfasser genannt. Besonders fruchtbar ist auch Schöpfer; er scheint identisch zu sein mit dem Dr. C. Schöpfer, der hier 1834 Hilfslehrer an Johns Erziehungsanstalt war und auf dem Petersberg wohnte; von 1834-1836 gab er den „Thüringer Boten“ heraus. Leibrock war Lehrer in Braunschweig; neben Romanen hat er auch „Sagen des Harzes“ bei Fürst erscheinen lassen. Ernst Johann Daniel Bornschein in Gera war Schauspieler, dann Buchhändler und schließlich Schriftsteller. Er verfaßte bereits 1862 den Roman „Das Nordhäusische Wundermädchen, ein weiblicher Rinaldini“. Der Titel enttäuscht. Das „Wundermädchen“ hat mit Nordhausen nur insofern etwas zu tun, als es „aus der lachenden Aue zwischen Nordhausen und Stolberg“ stammt, wo ihr Vater, der Graf Orsini, ein Schloß hatte und wo sie ihre Jugend verlebte. „Wundermädchen“ hieß sie wegen ihrer Klugheit und Schönheit. Nicht nur in den Künsten und Wissenschaften zeichnete sie sich aus, sondern auch im Reiten, Fechten und Schießen. Früh schon machten ihr die Männer den Hof; aber keiner findet Gnade bei ihr. Mit 14 Jahren tötet sie einen, der sie küssen will. Nun verläßt sie die Heimat. In Männerkleidung wandert sie durch Thüringen über Erfurt, Weimar, Altenburg, dann nach Dresden, Prag und Linz. Meist ist sie Jägerbursche bei vornehmen Herren; einmal macht ein Graf sie zum Hauptmann eines Regiments; als solcher tötet sie im Duell einen Offizier. Dann wird sie Schauspielerin. Später zieht sie als Harfenmädchen im Lande umher. Dabei wird sie von Räubern, gefangen genommen. Sie benimmt sich ihnen gegenüber aber so entschlossen, daß diese sie zu ihrem Anführer machen. Schließlich heiratet sie in Italien einen Grafen. – Man sieht, an Abenteuern aller Art fehlt es in dieser „romantischen Geschichte“ nicht. Bemerkenswert ist, daß bereits 4 Jahre nach dem Erscheinen des Original-Rinaldo-Rinaldini von Vulpius dieser weibliche Rinaldini geschrieben wird, ein Beweis, wie beliebt dieser Räubertyp war. Es sollen nun einige Romane aus dem Fürst'schen Verlag folgen, die in oder bei Nordhausen spielen. Zunächst ein Buch, das aus zwei Teilen besteht:
Ende, Digitalisat unvollständig |