Nordhausens innere und äußere Politik im 15. Jahrhundert

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Autor: Hans Silberborth
Titel: Nordhausens innere und äußere Politik im 15. Jahrhundert.
Untertitel:
aus: Geschichte der freien Reichsstadt Nordhausen
Herausgeber: Magistrat
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Magistrat der Stadt Nordhausen
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 3,
Kapitel 6
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Abschnitt III.
Nordhausen
in der Zeit des ausgehenden Mittelalters.




Kapitel 6.
Nordhausens innere und äußere Politik
im 15. Jahrhundert.


Die große Revolution vom Jahre 1375 ist immer im Gedächtnis der Nordhäuser Bürgerschaft lebendig geblieben. Noch 1775, als schon die letzten Strahlen der reichsfreiheitlichen Sonne am Abendhimmel verklangen, begingen die Innungen festlich das große Ereignis von einstmals, ein Ereignis, das mit seinem gewaltigen Charakter einzig dasteht in der von duldsamen und friedliebenden Bürgern bewohnten Stadt Nordhausen, und das deshalb durchaus ein Ereignis ist, nicht hervorgegangen aus der Eigenart der Bevölkerung, sondern emporgetragen mit Naturnotwendigkeit aus der ganzen großen Entwicklung des deutschen Volkes. Überall in deutschen Landen rührten sich zwischen 1350 und 1400 die Gewerbetreibenden gegen die herrschenden Geschlechter; in Süd-und Mitteldeutschland glückte vielfach die Bewegung, im Norden, besonders in den eigentlichen Hansestädten, konnte der alte aristokratische Rat sich behaupten. In Nordhausen jedenfalls gelang der Schlag vollständig, der Einfluß der gefreundten Geschlechter als solcher war für immer gebrochen. Neue Männer kamen ans Regiment mit neuen Neigungen und ganz anderem Charakter.

Sogleich die ersten Amtshandlungen der neuen Gewalthaber trugen ganz anderes Gepräge, als sie die der früheren gezeigt hätten. Voll Vorsicht und ohne Zutrauen in die eigene Einsicht ging man an die Änderung der Verfassung; so blieb sie in allen Grundzügen dieselbe. Dann hielt man es für angebracht, Rechtfertigungsschreiben an die benachbarten Städte zu senden, und legte in ihnen die Gründe für die Revolution zwar richtig dar, die Gewalttaten selbst aber suchte man zu vertuschen. Wann hätte jemals ein gefreundter Rat Rechenschaft gegeben, wenn sie nicht verlangt und er dazu nicht genötigt worden wäre! – Das waren die ersten Handlungen der neuen Männer; schon sie lassen die neue Zeit in ihrem Charakter erkennen.

Nicht mit einem Male freilich wurde das Steuer völlig herumgeworfen. Abgesehen davon, daß gewisse sich immer gleichbleibende Notwendigkeiten auch die gleiche Einstellung wie früher erforderten, boten auch manche Namen von schon früher an der Regierung beteiligten Geschlechtern die Gewähr, daß die neue Zeit langsam und schrittweise heraufgeführt wurde. Wohl hätten die neuen Ratsherren den früheren Einfluß gern völlig ausgeschaltet. Doch sie waren des Regierens noch zu unkundig, als daß sie jegliche Erfahrung des alten Rathauses hätten missen können. Daher mußten einige vorrevolutionäre Männer in den neuen Rat hineingenommen werden, deren Stimme ausschlaggebend war, deren Schritte man aber dennoch argwöhnisch belauerte. Und man hatte Grund dazu. Wer seit 100 Jahren des Herrschens gewöhnt war und mehr als einmal Leben und Gut für einen kühnen Entschluß gewagt hatte, der konnte nur schwer die Herrschaft mit denen teilen, die er bisher verachtet hatte.

So stand auch nach 1375 an der Spitze des Rates als Bürgermeister Nicolaus Torbaum aus altem Geschlechte. Er war übernommen worden, und seine Ehren blieben unangetastet, doch das alte Blut regte sich bald. Aus Gesinnungsgenossen, aus Vettern und Freunden suchte er sich einen Anhang zu schaffen, trat wohl auch mit den verbannten Geschlechtern in Verbindung und ging schließlich - die letzte Stufe vor dem Umsturz - dazu über, das Recht zu Gunsten seiner Freunde zu beugen. Zu voreilig war er ans Werk gegangen; er wurde gestürzt und 1383 vertrieben; Aufnahme sollte er nur für 800 Pfund lötigen Silbers finden, eine Summe, die so hoch war, daß er sie schwerlich aufbringen konnte und deshalb ewig in der Verbannung bleiben mußte. Doch andere Mitglieder seiner Familie blieben nicht nur unangetastet, sondern selbst in leitenden Stellen der Vaterstadt. 1397 unterzeichnete ein Torbaum als Bürgermeister einen Vertrag für die Stadt Nordhausen.

Der Umsturz selbst war ziemlich unblutig verlaufen; die meisten der Gefreundten wurden nur gefangengenommen, mußten Urfehde schwören und wurden dann der Heimat verwiesen. Doch einige Vornehme hatten daran glauben müssen. Im Augustinerkloster waren sie begraben worden, und seit 1397 hatten die Mönche die Verpflichtung, alljährlich Seelenmessen für die Erschlagenen zu lesen. Unter den Familien, die Blutopfer hatten bringen müssen, war die Familie Junge besonders hart betroffen. Ein Berit Junge war getötet worden, und nach einer Duderstädter Urkunde war auch ein Henze Junge ums Leben gekommen. Im Namen der Familie hatten Berit Junge und Henze Junge, Nachkommen der Erschlagenen, schon am 20. März 1375 vor dem Rate zu Duderstadt versprochen, an Nordhausen keine Blutrache üben zu wollen.

Dies zahlreiche Geschlecht der Junges zerflatterte seit seiner Verbannung aus Nordhausen in alle Winde. Berit Junge trat in das Kloster zu Walkenried, zwei andere Junges befanden sich 1378 in Erfurt; von da gingen sie nach Köln am Rhein und ließen sich dort nieder. Von hier aus begann nun das wohlhabende und einflußreiche Geschlecht, obwohl es Urfehde geschworen hatte, sich an der Vaterstadt Nordhausen zu rächen. Es strengte einen Prozeß beim Königlichen Hofgericht gegen Nordhausen an, der sich zwei Jahrzehnte hinzog, der Kosten und Ungelegenheiten genug verursachte und der hin und wieder sogar in offene Fehden der Prozeßführenden gegeneinander ausartete.

Den Prozeß selbst führten Bruno und Heinrich Junge, wie es heißt, um Sühne dafür zu erlangen, daß ihr Vater bei „Nacht und Nebel“ ermordet, Weib und Kind vertrieben und von ihren Gütern verstoßen seien. Als Sühneleistung verlangten die beiden Kläger nicht weniger als 100000 Gulden. Beiden Parteien aber leistete das Hofgericht zu langsame Arbeit, und so suchten sie, nach der Gewohnheit der Zeit, auf eigene Faust ihr Recht, oder vielmehr des anderen Schaden. So nahmen die Nordhäuser einen Henze Junge, als er aus Lamparten, aus der Lombardei, zurückkam, gefangen und beraubten ihn; die Junges wiederum sammelten einen Haufen verwegnener Burschen um sich und schädigten damit die Nordhäuser Flur und Nordhäuser Kaufleute. Nordhausen selbst gab den dadurch erlittenen Verlust auf 1100 Gulden an. Man war also in der lustigsten Rauferei begriffen. Erst seit 1418 machte der Prozeß sichtbare Fortschritte, und zwar zu Gunsten Nordhausens. Als am 2. November 1418 vor dem Hofgericht zu Regensburg die Nordhäuser erklärten, daß gleich nach der Ermordung ein Sühnevertrag geschlossen worden sei, fällte der Richter den Spruch, die Stadt solle vor dem Gericht des Landgrafen von Hessen diese Tatsache beeidigen, dann werde sie von allem Schadenersatz freigesprochen. Das geschah; doch mit diesem Ausgang ihres Handels gaben sich die Junges keineswegs zufrieden. Am 29. Februar 1420 stand Nordhausen abermals vor dem Hofgericht, diesmal zu Breslau. Da Nordhausen hier noch besser gerüstet war als einstmals und Zeugnisse auch von Erfurt und Mühlhausen beibrachte, daß jeder Zwist längst schon gütlich beigelegt sei, erfolgte abermals ein Freispruch. Und dabei blieb es trotz der äußersten Anstrengung der Junges, das Urteil noch zu ihren Gunsten umgebogen zu erhalten. Am 12. März 1426 bestätigte der Vorsitzende des Hofgerichts, Rudolf Graf von Sulz, zu Wien nochmals den Spruch vom Jahre 1420. Damals waren also mehr als 50 Jahre nach der glorreichen Nordhäuser Revolution vergangen, und doch versetzte sie noch immer die Gemüter zuweilen in Bewegung.[1]

Unterdessen hatte sich aber das neue Regiment in Nordhausen an seine Aufgaben gewöhnt; die neuen Verhältnisse hatten sich durchgesetzt, die neuen Ratsherrn hatten von den alten sehr schnell gelernt, mit dem gebührenden Anstand vor sich selbst und mit dem nötigen Abstand gegen ihre Untertanen auf den Ratshermbänken zu sitzen. Im nunmehr demokratischen Nordhausen bildete sich allmählich eine neue Aristokratie heraus, und das Spiel konnte von neuem beginnen. Die Form der Regierung war daher bald die gleiche wie einst, der Inhalt allerdings hatte sich wesentlich geändert, denn die neuen Männer mit anderem Charakter machten auch andere Stadtpolitik.

Mit dem Heiligen Römischen Reiche deutscher Nation ging es seit dem Tode Karls IV. unaufhörlich bergab, und diese Entwicklung war naturgemäß auf alle Verhältnisse im Reiche von Einfluß, selbst auf die katholische Kirche, die ja zwar als international ihren eigenen Gesetzen folgte, deren Haupt und Glieder von den Zuständen im deutschen Reich aber dennoch nicht unberührt blieben. Die schwachen Könige suchten den Frieden zu erhalten, sie verkündeten von Zeit zu Zeit für einzelne Teile oder für das Ganze einen Landfrieden; doch drangen sie nicht durch, da keine Macht hinter ihnen stand. So hatte im Juli 1384 König Wenzel zwar in der Heidelberger Stallung für Süddeutschland einen Landfrieden zustande gebracht, der im August auf das ganze Reich ausgedehnt wurde, aber kurz darauf durchtobte gerade Süddeutschland der furchtbarste Bürgerkrieg. Einmal trug die schwankende Politik des Königs selbst dazu bei, der bald die Städte gegen die Fürsten stützte, bald die Fürsten gegen die Städte. Vor allem lag aber die Schuld an den Ständen, an Fürsten und Bürgern selbst. In dem Jahrhunderte langen Kampfe zwischen der Zentralgewalt und den Teilgewalten hatten sich zum Schaden Deutschlands die letzteren gegen das Königtum durchgesetzt. Dadurch ging das Gefühl der Zusammengehörigkeit immer mehr verloren, jeder pochte dem ohnmächtigen Haupte gegenüber eigensinnig auf seine Rechte, gab mißtrauisch nichts davon zum Wohle des Ganzen preis und beobachtete argwöhnisch den mit gleichen herrlichen Privilegien gesegneten Nachbarn. Man hat wohl die deutschen Könige gescholten, daß sie sich nicht, wie es die französischen getan haben, an die Spitze der Städte gestellt und mit einem großen Bürgeraufgebot die Fürsten zum Gehorsam gezwungen haben. Doch der Vorwurf ist unberechtigt; die Könige haben mehrfach dergleichen Versuche gemacht, doch sind sie gescheitert, gescheitert an dem in den Köpfen der Bürger genau so ausgebildeten germanischen Individualismus wie bei allen anderen, und gescheitert, weil es zu spät war: Die im Laufe von Jahrhunderten erlangte Selbständigkeit der Städte war zu groß geworden, als daß sie von ihrer Freiheit etwas aufgegeben hätten. Daß sie in ihrem kurzsichtigen Egoismus selbst sich schädigten und nach und nach der erstarkenden Fürstenmacht bedingungslos ausgeliefert waren, bemerkten sie damals noch nicht.

Während so das Reich zerfiel, suchten, um sich im allgemeinen Drunter und Drüber zu schützen, die einzelnen Interessengemeinschaften untereinander Verbindung und Zusammenschluß. Dabei war die Grundlage für Nordhausens Außenpolitik sein Bündnis mit Erfurt und Mühlhausen. Verträge zwischen diesen drei Städten bestanden ja schon seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts; doch gestalteten sich die Beziehungen umso inniger, je rechtloser im Reiche die Verhältnisse wurden. Am 18. Februar 1400 wurde der Bündnisvertrag erneuert, nach welchem sich Erfurt bis zu 40 Mann und 20 Schützen, Mühlhausen bis zu 20 Mann und 10 Schützen der Stadt Nordhausen zur Hilfeleistung verpflichtete. Dieses engste Zusammengehen der drei Städte dauerte bis zum Jahre 1472; doch standen sie auch weiterhin noch bis über die Reformationszeit hinaus im besten Einvernehmen. Mühlhausen und Nordhausen hatten als schwächere Städte besonders den Schutz des mächtigen Erfurt nötig, und dieses wiederum, so blühend es dastand, bedurfte doch des Rückhaltes an den Reichsstädten, da seine Selbständigkeit als kurmainzischer Besitz und mehr noch wegen seiner Lage mitten im Gebiete der Thüringer Landgrafen oft genug gefährdet war.

Zeitweilig wurde das Dreistädtebündnis noch erweitert. Das erfolgreiche gemeinsame Vorgehen ließ es auch andere Städte, nördlich des Harzes, verlokkend erscheinen, Anschluß an die Thüringer Städte zu suchen. 1416 traten Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben dem Bunde bei. Dieses Freundschaftsverhältnis wiederum näherte aber die drei Städte dem großen norddeutschen Bunde der Hanse.

Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben hatten sich nämlich am 21. April 1426 mit Goslar, Magdeburg, Braunschweig, Hildesheim, Halle, Göttingen, Osterode, Einbeck, Hannover, Helmstedt und Northeim zu einem Bunde zusammengetan, um die Tagfahrten nach dem hanseatischen Vororte Braunschweig hin gemeinsam zu beschicken. Die genannten Städte erneuerten auch ihr Bündnis von drei zu drei Jahren. Was diese Städte durch den Zusammenschluß erhofften, lehren die Urkunden: Befriedung der Straßen, Unterstützung gegen Vergewaltigung, Widerstand gegen Eingriffe auswärtiger Gerichte in die eigene Gerichtsbarkeit, d. h. Einschränkung der Macht der heimlichen Feme. 1426 kamen sie in Braunschweig zusammen, „ umme schel und not als umb daz heimlige ding unde andere sach. “

Nun war natürlich auch den thüringischen Städten an der Bekämpfung der Stegreifritter auf den Straßen und an dem Widerstand gegen die Feme gelegen, und es war deshalb durchaus verständlich, daß Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben ihre Freunde von jenseits des Harzgebirges einluden, auch dem Hansebunde beizutreten. - Schon im Sommer 1426 wurden Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen aufgefordert, doch auch in Braunschweig zu erscheinen. Am meisten Bereitwilligkeit, sich dem größeren Bunde anzuschließen, zeigte Nordhausen. Nordhausen stand den norddeutschen Städten am nächsten; einflußreiche Nordhäuser Familien, wie die Swellingrebel, von denen wir noch mehrfach hören werden, hatten ausgezeichnete Handelsbeziehungen nach dem Norden. Geringe Lust war bei Mühlhausen und Erfurt vorhanden, und dadurch wurde auch Nordhausen ferngehalten. Schon 1426 scheint der Vertrag, der seinen Eintritt in die Hanse bekräftigen sollte, fertig vorgelegen zu haben, baten doch Göttingen, Duderstadt und Heiligenstadt, die auch Lust zum Anschluß hatten, um Einsicht in den Vertrag; doch die beiden anderen mit Nordhausen engbefreundeten Städte scheinen den endgültigen Beitritt Nordhausens verhindert zu haben. Auf der Tagfahrt vom 12. März 1427 nach Braunschweig hin war Nordhausen nicht vertreten. Trotz dieses Widerstrebens der thüringischen Städte ließen es die befreundeten Nordharzer Gemeinden nicht an Überredungen fehlen. Mehrfach führte Aschersleben mit Nordhausen weiter Verhandlungen, bat auch am 28. Juni 1428, die Einladung zu einer Zusammenkunft nach Braunschweig an Erfurt und Mühlhausen weiterzugeben. 1429 wurden Nordhausen und durch die Vermittlung Nordhausens auch die beiden anderen Städte wiederum entboten, diesmal nach Lübeck, dem Vororte der gesamten Hanse.

Jedoch nicht dieses Liebeswerben, sondern allein die Gefahr brachte die drei Städte endlich 1430 dazu, um Aufnahme in die Hanse zu bitten. Damals drohten nämlich die Hussiten mehr denn je, nach Thüringen einzufallen, und diese Not trieb besonders Erfurt, Hilfe und Anlehnung zu suchen. So waren denn die drei Städte im Mai 1430 in Braunschweig vertreten, und die Urkunden, die den Eintritt erklärten, wurden aufgesetzt. Mit dem Herzen aber sind sie nie bei der Sache gewesen. Deshalb traten sie auch, sowie die Gefahr beschworen war, wieder aus. Schon am 3. Juni 1432 zeigte Mühlhausen der Nachbarstadt an, daß es ausgetreten sei, und dieser Entschluß wird auch Nordhausen noch in demselben Jahre zum Verlassen des Bundes bewogen haben. Der geringe Zusammenhang mit dem Norden und die verhältnismäßig hohen Bundesbeiträge führten den Austritt herbei. Erfurt hatte nämlich laut Bundesbeschluß von Mai 1430 jährlich 250 Gulden, Nordhausen und Mühlhausen hatten je 80 Gulden aufzubringen. Erfurt war mit seiner Summe überhaupt die am höchsten besteuerte Stadt des sächsischen Viertels; Magdeburg, Braunschweig und Halle hatten 200, Hildesheim, Göttingen u. a. 70, Goslar, Halberstadt, Hannover 50, Osterode und Helmstedt 30 Gulden zu bezahlen, Summen, die deshalb interessant sind, weil sie die Einschätzung, die Wohlhabenheit und Größe der Städte in damaliger Zeit erkennen lassen. - Was aber auch aus dieser Einstellung der thüringischen Städte hervorleuchtet, ist schimpflicher Eigennutz und Mangel an Solidaritätsgefühl, welcher die Städte die kurzsichtigste, sie selbst später schädigende Politik treiben ließ. Spießbürger machen auch heute gern solche Politik.[2]

Während sich das Verhältnis Nordhausens zur Hanse alsbald wieder lockerte, bestand das Bündnis (eynunge unde ubirtracht) mit Quedlinburg, Halberstadt und Aschersleben mehrere Jahrzehnte und trug gute Früchte. Welchen Wert dieses Freundschaftsverhältnis hatte, ersieht man daraus, daß Nordhausen an der Beilegung innerer Fehden in Halberstadt im Jahre 1426 bedeutenden Anteil hatte. Am 31. August 1433 ferner schickte Nordhausen, getreu seinem Bündnis, obwohl es durch den Berchtenkrieg selbst in Bedrängnis geraten war, dennoch eine Schar Söldner mit 12 Pferden gen Halberstadt als Hilfe in einem Kampfe, in den Halberstadt, Magdeburg und Zerbst gegen Adlige jener Gegenden verwickelt waren. 1435 wiederum kam Mühlhausen der Stadt freundnachbarlich zu Hilfe, und 1451 trat Nordhausen als Friedensvermittler zwischen Aschersleben und Quedlinburg einerseits und den Herrn von Veltheim andererseits auf.

So finden wir hier aus Interessen- und bürgerlicher Standesgemeinschaft ein Bündnis auf Gegenseitigkeit vor. Doch genügten diese Bündnisse bei den zahllosen Fehden jener friedlosen Zeiten des 15. Jahrhunderts allein nicht. Andere Bindungen mußten hinzutreten, sollte die Stellung der Stadt ungefährdet, sollte ihr der Friede gewährleistet sein. Dabei muß man nun zwischen Dienstverträgen, Bündnissen und eigentlichen Schutzverträgen unterscheiden. Dienstverträge z. B. gingen gern und häufig kleine Adlige oder Grafen mit der Stadt Nordhausen ein, meist nach Fehden. Bei solchen Dienstverträgen sagten die Adligen, welche die Stadt beunruhigt hatten, derselben für eine Reihe von Jahren ihren Schutz zu, versprachen wohl auch mit Mann und Roß der Stadt zu helfen. Dafür hatte dann die Stadt eine bestimmte, meist geringe Geldsumme, etwa 50 Gulden, jährlich zu entrichten. Wenn man bei solchen Verträgen auch nicht ohne weiteres von einem Abhängigkeitsverhältnis des Adligen von der Stadt sprechen kann, so war die Stadt bei dergleichen Übereinkünften doch dem anderen Kontrahenten mindesten gleichberechtigt. So übernahm z. B. 1405 Schwarzburg-Sondershausen 3 Jahre den Schutz Nordhausens, 1444 Schwarzburg und Honstein auf 4 Jahre für 200 Gulden, 1458 die Herzöge Heinrich, Ernst und Albrecht von Braunschweig auf 6 Jahre gegen jährlich 30 Gulden. Andere derartige Dienstverträge schloß die Stadt 1460 mit Schwarzburg, 1462 mit Honstein, 1464 mit Braunschweig, 1471 mit Schwarzburg und Stolberg auf 15 Jahre gegen jährlich 80 Schock Groschen, 1490 mit Schwarzburg, Stolberg und Honstein abermals auf 10 Jahre für 60 Gulden jährlich; dieser Vertrag wurde im 16. Jahrhundert verlängert.

Daneben standen nun die eigentlichen Bündnisse, welche die Stadt mit anderen Vertragschließenden auf völlig gleicher Grundlage einging. Alle Städtebündnisse sind derartige Bündnisse; aber auch mit Fürsten schloß die Stadt, wenigstens im 14. Jahrhundert, noch solche Verträge. So beruhte z. B. der am Martinitage 1351 zwischen Nordhausen und dem Landgrafen Friedrich dem Strengen eingegangene Vertrag durchaus auf Gegenseitigkeit. Beide Kontrahenten standen auf gleicher Stufe.

Doch gewann im Laufe des 15. Jahrhunderts das Bild ein gänzlich verändertes Aussehen. Die Fürstenmacht festigte sich nach und nach immer mehr. Das entscheidende Jahr für Süddeutschland war schon 1388, wo bei Döffingen und Worms der Greiner und der Pfälzer Ruprecht die Städte aufs Haupt schlugen. Und ein Menschenalter später setzte sich die Fürstenmacht auch in Mittel- und Norddeutschland durch. Während es noch Friedrich I. von Zollem-Brandenburg mit den Rittern zu tun hatte, demütigte schon Friedrich II. Eisenzahn die Städte, vor allem die Stadt Berlin-Cöln.

Ebenso ging die Entwicklung in Mitteldeutschland. Hier wurde die Fürstenmacht dadurch sowohl Adligen wie Städten überlegen, daß Friedrich I. 1423 Thüringen und Sachsen dauernd in der Hand eines Geschlechtes, der Wettiner, vereinigte und auf diese Weise eine mitteldeutsche Großmacht schuf. Zwar blieben hier gewisse Rückschläge nicht aus. So litt die Herrschaft der Wettiner in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts noch unter den Hussitenstürmen, und in den vierziger und fünfziger Jahren verhinderten blutige Bruderfehden die Festigung der Fürstenmacht. Doch dann konnten die Fürsten endgültig ihr Übergewicht behaupten. Das spürten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts alle Städte Sachsens und Thüringens; auch Nordhausen. Und ihren Ausdruck fand die nunmehrige Überlegenheit der Fürsten darin, daß die Städte, also auch die Reichsstadt Nordhausen, nicht mehr als gleichberechtigt mit den Fürsten verhandelten, sondern sich gezwungen in ihren „Schutz“ begeben mußten. Diese Schutzverträge bedeuteten also eine Schutzhoheit der Fürsten über die Stadt. Durch die ständige Zahlung einer Geldsumme und in bestimmten Fällen auch durch die Pflicht zur Heeresfolge anerkannte die Stadt die fürstliche Überlegenheit. Schon der Vertrag, den Herzog Wilhelm von Sachsen am 17. Dezember 1469 auf Lebenszeit mit Nordhausen schloß, war der Vertrag eines Stärkeren mit einem Schwächeren, und am 23. Oktober 1482 wurde Sachsens Schutzhoheit über Nordhausen völlig besiegelt dadurch, daß Ernst und Albert von Sachsen, die Begründer , der ,beiden .sächsischen Linien, Nordhausen auf 10 Jahre für 300 Gulden in Schutz nahmen, mit'der Maßgabe, daß die Stadt den Schutz von 10 zu 10 Jahren aufs neue nachsuchen sollte. Das geschah dann auch bis 1604. Der Dreißigjährige Krieg unterbrach dann für fast ein halbes Jahrhundert dieses Verhältnis; seit 1660 zahlte Nordhausen aber wieder seine 300 Gulden. Daß aber der Rückhalt, den Sachsen der kleinen Stadt Nordhausen gewährte, derselben schon im 15. und dann besonders im 16. Jahrhundert von größtem Nutzen sein sollte, wird aus der weiteren Geschichte der Stadt hervorgehen.[3]

Bei allen diesen Verträgen und Bindungen war vom Reiche überhaupt nicht mehr die Rede. Während in früheren Jahrhunderten gerade das Eintreten des Königs für seine Reichsstadt ausschlaggebend war und die Zentralgewalt auch weitgehend die Nordhäuser Politik bestimmte, finden sich im 15. Jahrhundert kaum Spuren davon. Auch der Königsurkunden für die Stadt werden immer weniger, und meist sind sie völlig belanglos. So bestätigen Sigmund 1415 zu Konstanz, Friedrich III. 1442 zu Frankfurt die Privilegien Nordhausens. Sonst treffen wir kaum auf namhafte Urkunden, es sei denn, daß die Stadt sich 1436 von Sigmund, 1444 von Friedrich III. gewisse Hoheitsrechte besonders in der Feldflur zuschreiben ließ, kaiserliche Gnadenakte, die aber auch mehr von moralischer als praktischer Bedeutung waren, da der Kaiser natürlich auf jeden Versuch verzichtete, den der Stadt zugebilligten Ansprüchen mit der Tat Geltung zu verschaffen. Erst unter der Regentschaft Maximilians wurde das wieder anders; doch wurden ja schließlich auch seine und seines Enkels, Karls V, Reformen zwar nicht mit untauglichen Mitteln, aber am nach und nach völlig untauglich gewordenen Objekt vorgenommen. Die Stadt mußte eben selbst sehen, wie sie durch die Fährnisse der Zeit hindurchkam.

Wie unruhig und friedlos die Zeit des 15. Jahrhunderts auch für Nordhausen war, geht aus dem Nordhäuser Fehdebuch hervor, in welchem uns ein beinah unübersehbares Wirrsal von Waffengängen, Plackereien, Überfällen entgegentritt. Und doch zeigen diese Fehden ein ganz anderes Antlitz als die des 14. Jahrhunderts. Ganz selten ging von Nordhausen die Initiative aus, ganz selten wurde bei den Unternehmungen ein bestimmter Plan verfolgt, ganz selten wurden die Schläge scharf und schneidig geführt. Es war ja auch ein Grund mit gewesen, weshalb die alten Geschlechter vertrieben worden waren, daß sie eine höchst aktive Außenpolitik getrieben hatten. Die neuen Männer wünschten Ruhe, sie beschieden sich mit dem, was sie besaßen, sie wünschten ihren leidlichen, behäbigen Wohlstand festzuhalten, wollten nichts aufs Spiel setzen. In jeder Beziehung war das neue demokratische Regiment ideenärmer und konservativer, aber vielleicht gerade um deswillen der großen Menge viel genehmer. Der bourgeois gab die Richtung an, der juste milieu war das Ziel. Auseinandersetzungen mit Nachbarn waren höchst unbeliebt und wurden, solange es irgend ging, vermieden, Fehden wurden nur geführt, weil auch „der Frömmste nicht im Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Weitschauende Politik wurde nur ein einziges Mal begonnen, bei dem Versuch, sich dem norddeutschen Hansebunde anzuschließen, doch auch hier blieb es bei dem Versuch. Sonst wurde nur in einer Beziehung ein bestimmter Gedanke mit Zähigkeit festgehalten, daß nämlich die Stadtflur, die an sich schon klein war, unter allen Umständen der Stadt erhalten bleiben müsse. Um ihretwillen scheute man deshalb auch keine Fehden. Im übrigen aber war die Haltung Nordhausens, abgesehen von den ersten Jahrzehnten nach 1375, durchaus passiv.

Als ein Unternehmen, bei dem die alte Rauf- und Beutelust noch einmal durchbrach, kann man die Plünderung des Nonnenklosters Katlenburg im Jahre 1397 ansehen. Was eigentlich die Veranlassung zu diesem Streifzug gewesen ist, den Nordhausen im Bündnis mit den Grafen von Beichlingen, Querfurt und Heldrungen sowie mit den Herrn von Wangenheim ausführte, läßt sich nicht ausmachen. Wahrscheinlich waren es die wirtschaftlichen Beziehungen, die Nordhausen zu Querfurt hatte, welche die städtische Politik beeinflußten und die Bürger mehrfach an die Seite der Querfurter und der benachbarten Heldrunger und Beichlinger führte. Kurzum, im Jahre 1397 verheerten die Verbündeten die Besitzungen des Klosters, zündeten einige Weiler an und raubten das Kloster selbst aus. Papst Bonifazius IX. bannte Nordhausen deshalb, und erst am 16. Mai 1398 gelang dem Abte Heinrich von Gerode und dem Pfarrer von Klettenberg auf dem Rathause zu Nordhausen ein Vergleich zwischen Stadt und Kloster. Nordhausen mußte 280 Gulden bezahlen; die Kosten für die Vermittlung und die Lossprechung vom Bann mögen außerdem nicht gering gewesen sein.

Lag bei diesem Unternehmen ein durchaus freier Willensentschluß Nordhausens vor, so brachten die streitlustigen und degenschnellen Stadthauptleute die Stadt zuweilen sehr gegen ihren Wunsch in Ungelegenheiten. Als Anführer ihrer Söldner nahm ja schon im 14. Jahrhundert die Stadt kleine Adlige in Dienst. Auf diese Weise dienten der Stadt im 15. Jahrhundert, um 1430 z. B. Balthasar von Harras, dann Wedekind von Uslar, um 1440 der Herr von Westerhagen, später Hans von Buhla, Hans von Sundhausen und andere. In den sechziger Jahren erscheinen sogar einmal die Honsteiner im Solde der Stadt. Diese Hauptleute mußten mit ihren Gewappneten vor allem die Wagenzüge begleiten, die Straßen sichern, die Kaufleute und Fuhrknechte gegen Überfälle verteidigen. Doch das streitbare Blut der Herren konstruierte wohl auch manchmal einen Angriff, wo niemand an Belästigung gedacht hatte; oder offen daliegende Besitztümer reizten zu einem kleinen Raubzuge auf eigene Faust, wodurch dann der Brotgeber in nicht geringe Verlegenheit kam. So scheint z. B. Balthasar von Harras im Jahre 1429 großen Gefallen an Duderstädter Pferden gefunden zu haben, führte sie weg und freute sich des Fanges. Doch Nordhausen mußte nach kurzer Fehde für den Übergriff 240 Gulden zu Elende, wo die uralte Richtstätte der Grafschaft lag, bezahlen.

Sonst finden wir Nordhausen kaum je im Angriffe. Selbst Unruhen innerhalb der Bürgerschaft führten nicht zu Verfolgungen der Vertriebenen, die der Stadt schaden wollten, und zu Verwicklungen mit den Nachbarn. Auch kamen ja Verbannungen ganzer Geschlechter oder gar ganzer Korporationen wie im 14. Jahrhundert nicht vor. Deshalb waren es, abgesehen von dem unten zu behandelnden Berchtenkriege, immer nur unbedeutende Zwischenspiele. So hatte z. B. die Stadt 1427 eine Fehde mit Hans Böttcher aus Sachsa, weil die Nordhäuser seinen Bruder gehangen hatten; doch war der Strauß von keiner Bedeutung und schnell erledigt.

Am meisten machten der Stadt die kleinen Adligen zu schaffen, welche durch die Not der Zeit und durch ihre Freude an Raufereien zu Stegreifrittem geworden waren. Beinahe alle Burgenbesitzer der Umgebung kamen von Zeit zu Zeit mit den Nordhäusern in Konflikt, und fast immer waren es Störungen des Handels oder Plünderungen von Nordhäuser Kaufmannsgut. Die Honsteiner, die Hardenberger, die Morunger, die Boyneburger, die Uslarer auf den Gleichen bei Göttingen, die Herrn von Plesse, die Asseburger, die Pappenheimer, die Stockhäuser von der Bramburg, hin und wieder die alten Regensteiner, alle kreuzten die Waffen mit den Nordhäusern, weil sie auf ihren hungrigen und windigen Burgen einen Haß auf die vollen Speicher der Städte hatten. Die meisten Fehden waren durchaus harmlos, kosteten wenig Blut und sicher weniger Geld als heutige Prozesse.

Für solche Fehden hatte sich in jener Zeit, wo hinter dem Landfrieden kein machtvoller Kaiser stand und jeder selbst sich helfen mußte, ein richtiger Kommment herausgebildet; die Fehden wurden geradezu als von jedem anerkannte Rechtsmittel benutzt. Ein ungeschriebenes Gesetz diktierte für den Austrag dieser Händel ganz bestimmte Formen, als ob es in der Welt nichts Natürlicheres gäbe, als sein Recht mit dem Schwert in der Faust zu suchen. War ein Streitfall vorgekommen, so wurde die Fehde angesagt. Man schickte dem, von dem man sich verletzt fühlte, eine „Bewahrung“, d. h. man machte ihn aufmerksam, daß er sich nunmehr vorsehen müsse; der Lehnsherr des Gegners bekam eine „Oberbewahrung“. Ohne solche Ankündigung der Fehde, „unverwahrten Dinges“, übereinander herzufallen, galt als nicht anständig. Die Honsteiner, Uslarer und Stockhäuser mußten sich von Nordhausen deshalb einmal den Vorwurf unfairer Handlungsweise gefallen lassen, weil sie am 22. August 1441 ohne Fehdeansage mit 150 Mann vor Nordhausen erschienen, 16 Bürger gefangen nahmen, Kühe, Schweine, Pferde wegtrieben und einen Bürger gar erschlugen.

Natürlich hatte eine solche unvermutete Fehde, wenigstens im Anfänge, meist mehr Erfolg als eine angekündigte, da der Angegriffene sich keines Überfalls versah und völlig überrascht war. Ja, es gelang dann wohl selbst inmitten der wohlverwahrten Stadt ein guter Fang, wie z. B. am 30. Juni 1458 Kersten von Berga in der Hundgasse Dietrich von Nantzesdorf gefangen nahm und als gute Beute nach Bennungen fortführte, da er den Stadtwächtem aufbinden konnte, er handele auf Ratsbefehl.

Nordhausen selbst schickte, dem Brauche der Zeit folgend, oft genug gleich ganze Serien von Fehdebriefen ab, wenn ihm Unrecht widerfahren war. So gingen 1441 infolge des erwähnten Überfalls zu gleicher Zeit an 4 Honsteiner, an die Uslarer und Stockhäuser sowie an Hans von Hardenberg Absagen. Dazu kamen Bewahrungsbriefe an viele Ritter auf dem Eichsfelde, die offenbar den Ritt mitgemacht hatten: an die Herren von Gerweshausen, Eschwege, Kerstlingerode, Winzingerode, Buhla. Den Oberbewahrungsbrief schickte man an Erzbischof Dietrich von Mainz als den Lehnsherrn der kleinen Adligen, welcher in seinem Palast zu Mainz beim Frühstück wahrscheinlich schmunzelnd diese Zeitung las.

Der Anlaß zu solchen Fehden waren fast immer Straßenüberfälle. Häufig war es nur auf die Pferde abgesehen, dann aber auch auf die gefüllten Geldkassen oder Waren, die Nordhäuser Händler mit sich führten. Selten brachen Fehden aus wegen Überfälle, die unter dem Vorgeben geschahen, der Angreifer könne sonst nicht zu seinem Gelde kommen, das ihm Nordhäuser Bürger schuldeten. Aus diesem Grunde wurden z. B. am 10. März 1442 dem Nordhäuser Claus Wolf 4 Pferde am Kohnstein weggenommen.

Oft war es auch auf die Reisenden selbst abgesehen, um Lösegeld zu erpressen. Setzten sich die Angegriffenen dann zur Wehr, so standen die edlen Strauchritter natürlich für nichts; es setzte Wunden oder ging gar ans Leben. So wurde Hans Lorenz aus Nordhausen 1442 auf dem Wege von Frankenhausen nach seiner Heimatstadt, als er zwischen der Falkenburg und Thalheim war, beraubt, geschlagen und durch den Leib geschossen. Noch schlimmer erging es einem Nordhäuser Krämer, der 1435 beim Mönchshofe der Numburg erschlagen ward. Hände und Füße wurden ihm abgehauen, eine gräßliche Verstümmelung des Körpers, die uns in den verrohten Zeiten öfter begegnet. Ebenso wurde am 20. November 1469 ein Nordhäuser bei Stempeda seines Pferdes und 30 Gulden Geldes beraubt, er selbst getötet. War eine besondere Schändung des Überfallenen beabsichtigt, so hängte man ihn, wie es am 6. Dezember 1437 einem armen Nordhäuser vor der Dorfschenke zu Klettenberg geschah, der vom Grafen Heinrich von Honstein und seinem Lehnsmannen Walter von Werna angehalten worden war; ein Knappe des adligen Gesindels warf ihm einen Strick um den Hals und knüpfte ihn auf. Großer Beliebtheit erfreuten sich die Überfälle im Harzwalde beim Holzabfahren durch die Nordhäuser. Schon 1347, während die Nordhäuser in eine Fehde mit dem Bischof von Halberstadt verwickelt waren, wurden Nordhäuser Böttcher, die Holz holten, von Mannen des Hildesheimer Bischofs, des Amtsbruders des Halberstädters, überfallen, geschlagen und verstümmelt. Selbst der König wurde deshalb damals von den Nordhäusern in Anspruch genommen, natürlich ohne Erfolg. Der Bischof von Hildesheim schrieb in dieser Sache eigenhändig folgenden Brief an Karl IV.: Leber Herre Karl, Römischer König und König tho Beheym. Also gy mek gescreven hebben umme de borgere von Northusen, des bidde ek yu tho wetende, dat myn Broder, de bischop van Halberstat, sek vele beklaget hett, dat de borgere van Northusen synen unde mynen vianden .... behilplich weren met spise und met lüden, des he dreppliken groten schaden hedde; dar öme nie umme wedder varen enkonde, des öme not ys, dar öme sy he öre viand: unde wes viand vorbenömbde brode ys, des viand bin ek also lange, wente öme wedderfaren mak, des öme not ys. Wanne ok de van Northusen sek met mynem vorbenömbden broder berichtet, so wolde ek öne nöde icht don nok thokeren.[4]

Ein anderes Mal, im Jahre 1454, nahm Hans von Hardenberg im Walkenrieder Forst 5 Bürger gefangen und erbeutete 20 Pferde; 1479 wurden im Holze dem Martini-Hospitale Pferde abgenommen, der Hofmeister wurde erschlagen. Gegenüber den zahllosen Fehden mit den Burgenbesitzem vom Eichsfeld, vom Werra- und Leinegebiet gedieh den Nordhäusern im 15. Jahrhundert nur selten Span mit den Herren nördlich des Harzes, mit den Regensteinem oder den Bischöfen von Hildesheim und Halberstadt. Nur ein kleiner Krieg, den Nordhausen im Verlaufe der unten zu erwähnenden Berchtenfehde führte, verdient Erwähnung:

Am Nordrande des Harzes hatten im Jahre 1409 die unruhigen und raublustigen Herren von Schwichelde auch den Wernigeröder Teil der Harzburg erworben Und waren dadurch zu nicht unbeträchtlicher Macht gelangt, die sie in mancherlei Händeln aufs trefflichste zu nutzen suchten. Schon 1413 hatte deshalb Otto Codes von Braunschweig-Göttingen, ein tüchtiger Regent, was immerhin bei den sonstigen Eigenschaften der Göttinger Herren bemerkenswert ist, im Bunde mit anderen Herren und Städten den Schwicheldem das Handwerk gelegt. Leider nicht gründlich genug. Die Plünderungen im Harzgebiete gingen weiter, und für unruhige Gesellen, welche die Stadt Nordhausen belästigen wollten, waren die Schwichelder immer zu haben. So machten sich denn im Jahre 1435 die Nordhäuser, vereint mit den Heldrunger und Querfurter Grafen, zusammen 150 Reiter und 300 Fußsoldaten, auf, besuchten die Gegenseite des Harzes und plünderten und verbrannten nach der Art der Zeit eine Reihe von Dörfern. Eine größere Fehde entstand, da nunmehr Wernigerode, Nöschenrode, Drübeck und andere Orte für die Herren von Schwichelde gegen die Eindringlinge kämpften. Da hielt man sich denn nicht allzu lange auf, sondern begnügte sich mit der Beute und kehrte, stattliche Viehherden vor sich hertreibend, in die Heimat zurück. Größere Fehden, die Nordhausen stark in Mitleidenschaft zogen, wurden von der Stadt selbst gar nicht vom Zaune gebrochen. Die Anstöße dazu kamen stets von außen. Natürlich standen bei kriegerischen Verwicklungen die Auseinandersetzungen mit den Honsteiner Grafen an erster Stelle. Unter diesen Herren machte nun der Stadt Nordhausen in den ersten Jahrzehnten ein äußerst fehdelustiger, um keine Mittel verlegener Mann, Graf Dietrich IX. von Honstein-Heringen, das Leben schwer. Offenbar war Dietrich von klein auf an Unruhen und Kriegshandwerk gewöhnt, und so konnte er sein Lebelang nicht ablassen von rauhen Kriegssitten.

Die Honsteiner machten damals schwere Zeiten durch. Es ist ja schon oben gezeigt worden, wie Thüringen-Meißen auch in unseren Gegenden an Einfluß ständig gewann und seine Besitzungen ausdehnte. Die geringeren Burgenbesitzer hatten schnell den Fürsten gegenüber klein beigeben müssen; aber hier stand ein tüchtiges Grafengeschlecht auf dem Plane, das sich freilich dauernd durch Erbteilungen geschwächt hatte. Dennoch war dies alte Geschlecht widerstandsfähiger als viele andere Grafschaften und wahrte seine Rechte nach Kräften. 1380 hatten die Thüringer ihm schon den Krieg ins Land getragen und die Stammburg selbst erobert. 1397 mußten die Grafen sich wieder dem Landgrafen beugen und wurden auf diese Weise solange belästigt, bis sie sich gezwungen sahen, Teile ihrer Güter als Lehen von Thüringen zu nehmen.

Noch beschäftigt mit inneren Angelegenheiten und getreu ihrem neuen Grundsätze, sich friedlich zu halten, hatten die Nordhäuser bei diesen Fehden hinter ihren Wällen zugesehen, wie rings um ihre Stadt herum die Fluren der Honsteiner verheert wurden, wohl auch mit einiger Schadenfreude, da sie den alten Nachbarn und Gegner leiden sahen. Jetzt war nun aber Dietrich IX. großjährig geworden und alt genug, selbst auf Raub auszugehen.

Da lagen nun, wie geschaffen zu leichter Beute, reich und schutzlos die Besitzungen des Klosters Walkenried. Zwar war eigentlich kein Anlaß vorhanden, über das Kloster herzufallen, aber zur Erfüllung von Wünschen gibt es ja manchen Weg, und auch Dietrich fand seiner Meinung nach einen durchaus gangbaren, wenn derselbe auch reichlich schon mit Gras bewachsen war. Vor beinah 100 Jahren nämlich, im Jahre 1323, hatten die Honsteiner einen schlimmen Strauß mit den Mönchen von Walkenried gehabt, die einen der Grafen damals ermordet hatten. Dieser arme Graf ruhte noch immer ungerächt mit eingeschlagenem Schädel im Grabe. Da war unser Dietrich der geeignete Mann, die Bluttat an dem Ahnen dadurch zu rächen, daß er sich an den nahrhaften Gütern der Mönche in der Aue bereicherte. So stellte er an den Abt von Walkenried das Ansinnen, er solle ihm den vierten Teil der Ernte von den Klosterhöfen, die in seinem Grafschaftsgebiet lagen, als Steuer geben. Doch 25 Prozent Einkommensteuer schien dem Abte etwas reichlich hoch, er versagte sie dem Grafen, und so war denn der Kriegsfall gegeben.

Im Jahre 1404 begann der Kampf damit, daß Dietrich die Walkenrieder Klosterhöfe von Berga bis Bielen rein ausplünderte. Die Mönche schrieen Zeter, riefen des Königs Ruprecht Hilfe an, und dieser beauftragte die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen und Goslar mit der Reichsexekution. Für Nordhausen war die Gelegenheit günstig, den verhaßten Nachbarn zu demütigen und ihm womöglich das eine oder andere Dorf, etwa Bielen, abzujagen. Auch die Gefahr war nicht groß dabei, da die Herrn Vettern Dietrichs, die Grafen von Honstein- Klettenberg im Westen und von Honstein-Kelbra im Osten, in die Reihe seiner Feinde traten. Daher kam es auch, daß das Übergewicht im Felde bald erlangt war und die Hauptstadt des Gegners, Heringen, zweimal, im August 1406 und im November 1407, belagert werden konnte.

Doch an dem befestigten Orte scheiterte der Angriff; denn wenn die Belagerer auch schon Feldschlangen mit sich führten, so waren doch die Verteidigungswaffen, Mauern und Wälle, noch immer beinahe unüberwindlich. Vor allem lag der Mißerfolg aber natürlich an der kläglichen Kriegsausrüstung des Reiches. Bei dieser vom Könige befohlenen Exekution zu Gunsten eines dritten, des reichen Klosters Walkenried, wollte keiner seine Haut zu Markte tragen. Dagegen wußte Dietrich, wofür er kämpfte. Sobald im Spätsommer des Jahres 1406 die Belagerung Heringens auf gegeben werden mußte, brach er hervor und verwüstete furchtbar die Walkenrieder Liegenschaften, die, ungedeckt von den Reichstruppen, seinen Angriffen ausgesetzt waren.

Nur wo man einen eigenen Vorteil aus dem Kampfe erhoffte, setzte man sich wirklich ein. So hielt das Nordhäuser Aufgebot mit Zähigkeit die beiden Grafendörfer Bielen und Windehausen. Doch die Machthaber der Stadt waren mit jener einfachsten Regel der Politik unvertraut, daß nur ein voller Sieg, wo er auch gewonnen sei, den erwünschten Lohn einträgt, kleine Teilerfolge aber auch wieder verloren gehen, wenn man nicht mit Mut und Lust ein siegreiches Ende herbeizuführen trachtet. Nordhausen besaß damals diese Einsicht nicht, trat nicht mit aller Kraft für Walkenried ein, und so kam es, daß, als endlich 1410 zu Ilfeld Friede geschlossen wurde, Walkenried in allen Stücken nachgeben und Nordhausen aus den besetzten Dörfern abziehen mußte.

Nachdem Dietrich IX. diesen bedeutenden Erfolg errungen hatte, trieb es ihn sogleich, mit seinem ungetreuen Vetter, dem Grafen von Honstein-Kelbra, abzurechnen. Auch hier war Beute zu erlangen; und ein Adliger von gleicher Gesinnung wie er, Friedrich von Heldrungen, der einen Haufen Raufbolde, Ritter, Knechte, ihrem Herrn entlaufene Bauern mit Sensen und Dreschflegeln, um sich gesammelt hatte, ließ sich nicht lange bitten, sondern zog ihm zu, um Anteil an Raub und Beute zu gewinnen. Im Jahre 1412 wütete dieser „Fleglerkrieg“ in der Umgebung Nordhausens, und Dörfer und Bewohner hatten so zu leiden, wie seit dem bösen Winter des Jahres 1294 nicht, wo die zügellosen Scharen Adolfs von Nassau in der Aue weilten. 22 Dörfer und Weiler gingen in Flammen auf und wurden so zerstört, daß nachher ihr Aufbau nicht lohnte, sondern sie seitdem als Wüstung liegen. In Nordhausens nächster Nähe gingen damals unter: Krimderode bei Görsbach, Hunsdorf und Liebichenrode bei Steigerthal, Blicherode, Gunsdorf und Thiergarten bei Neustadt. Die Burg Honstein selbst wurde am 15. September 1412 nächtlicherweise überrumpelt, und Graf Heinrich von Honstein-Kelbra mußte sich fast unbekleidet in abenteuerlicher Flucht nach Ilfeld in Sicherheit bringen.

Da endlich schritt der Landgraf von Thüringen ein, und ihm mußten sich Dietrich von Honstein und Friedrich von Heldrungen beugen. Bald darauf starb Dietrich rühmlos und ohne Erben. 1417 erbten die Stolberger und Schwarzburger gemeinsam die Herrschaft Honstein-Heringen; Graf Botho von Stolberg ward im November 1417 durch Kauf alleiniger Besitzer der alten Stammburg Honstein.

Dadurch ergaben sich auch für Nordhausen ganz neue Verhältnisse. Den honsteinschen Besitz östlich und südlich der Stadtflur hatten nun die Stolberger und Schwarzburger an sich gezogen und waren unmittelbare Nachbarn der Reichsstadt geworden; nur der Westen, die Herrschaft Honstein-Klettenberg, verblieb noch dem alten, einst so begüterten Geschlecht.

Als bedeutendere Heerfahrt der Nordhäuser sei nur noch die gegen den Hanstein im Jahre 1429 erwähnt, welche die Nordhäuser, um ihrer Bündnispflicht gegenüber Mühlhausen zu genügen, antraten. „Darnach machte man eyne herfard vor hanstein, dy ward wendig (notwendig) umme des willen, das herczoge Otte von herczberg dy von northeim und osterode wedderbettin (widerstritten).“ Es handelte sich also darum, daß die Nordhäuser den Bürgern von Northeim und Osterode gegen Otto von Braunschweig zu Hilfe zogen und die Mühlhäuser, die unter den Räubereien der Hansteiner viel zu leiden hatten, in ihrem Kampfe gegen das Raubnest unterstützen. So lagen denn die Nordhäuser nach 60 Jahren wieder einmal vor dem Hanstein, und es mochten noch alte Leute vorhanden gewesen sein, die dem Nordhäuser Aufgebot vor der Ausfahrt von dem verunglückten Zuge voreinst erzählten und ihm den guten Rat gaben, ja recht vorsichtig zu Werke zu gehen. Übrigens konnten die verbündeten Städter auch diesmal dem stark befestigten Berge über der Werra nichts anhaben. Desto mehr ging es wieder über die armen Bauern her: 13 Dörfer der Hansteiner wurden geplündert und angezündet, auch das Dorf Rimbach am Fuße der Burg ging bis auf wenige Häuser in Flammen auf.[5]

Für die damaligen Verhältnisse in Nordhausen war es schon alles mögliche, daß sich die Bürger zu so weiter Fahrt herbeiließen. Es blieb auch bei dieser einen Unternehmung, und das umso mehr, als die Nordhäuser bald im eigenen Hause der Plackereien genugsam zu dulden hatten.

Am 9. Dezember 1428 nämlich war zu Nordhausen ein unglaublich frecher Diebstahl vorgekommen: Bei Nacht waren aus dem Rathause Gelder, die zu einem Feldzuge gegen die Hussiten dort gesammelt lagen, sowie silberne Geräte aller Art gestohlen worden. Die Diebe mußten mit der Örtlichkeit sehr vertraut gewesen sein, hatten aber ihre Spur so gut zu verwischen gewußt, daß sie lange unentdeckt blieben. Allmählich aber richtete sich der Verdacht immer mehr gegen einige hochgestellte Nordhäuser Persönlichkeiten. Man mußte annehmen, daß der Ratsherr Hans Kirchhof, der Syndikus der Stadt Hermann Liebenrod und sein Unterschreiber, ein Geistlicher und Angehöriger des Domstifts namens Johann Schulze aus Frankenhausen, die Täter waren. Der Rat wagte sich zunächst trotz dringenden Verdachts nicht an die Untersuchung. Kirchhof entstammte einer angesehenen Gewandschnitterfamilie, sein Vater Apel Kirchhof war ein um die Stadt wohlverdienter Mann, besaß auch einflußreichen Anhang in seinem Sohne Gerke Kirchhof und seinem Schwiegersöhne Kurt Berchte. Hermann Liebenrod hatte dem Gemeinwesen schon in dem Jungeschen Prozesse große Dienste erwiesen, und die Persönlichkeit Schulzes war wegen des geistlichen Gewandes schwer anzutasten. Dazu kam, daß sich schon 60 Jahre nach der großen Revolution aus den Männern ein neues Patriziat gebildet hatte, das fest zusammenhielt gegen die Menge des Volkes und lieber einen Schaden für die Stadt vertuschte als seine Angehörigen bloßstellte. Doch als die Sache nun ruchbar wurde und der Rat weiter zauderte, kam es zu Volksaufläufen und zu drohenden Gebärden wider den Rat, der die Missetäter nicht strafte, welche das von den Bürgern mit saurem Schweiß zusammengebrachte Geld gestohlen hatten.

So mußte man sich zum Einschreiten bequemen, der Volksstimmung nachgeben und Liebenrod und Schulze gefänglich einziehen. Schulze wurde gefoltert; die Stadt aber wurde sogleich, weil sie sich an einem Geistlichen vergriffen hatte, mit dem Interdikt belegt. Doch Schulzes Verbrechen war zu offenbar. Der Erzbischof von Mainz ernannte für den Inhaftierten zwar ein geistliches Gericht, dem unter dem Vorsitz eines Mainzer Kommissars die beiden Nordhäuser Domherren Werner Rothe und Albrecht Echte angehörten; aber auch dieses Gericht mußte das Ergebnis des ersten Verfahrens bestätigen. Deshalb wurde schon am 24. November 1430 der Bann über Nordhausen vom Papste Martin V. auf gehoben.

Über den weiteren Prozeß berichtet der Thüringer Chronist Hartung Kammermeister sehr gut. Auch Liebenrod wurde nach dem Geständnis Schulzes eingezogen, und die Nordhäuser „worgeten den gar sere in dem gefengnisse“. Nunmehr kam an den Tag, daß Liebenrod und der junge Ratsherr Kirchhof den Raub ausgeführt hatten, während Schulze hatte Schmiere stehen müssen. Auch Kirchhof wurde am 11. September 1430 peinlich verhört „unde marterten den so sere, das er sprach, er hette es gethan unde die silberin schalen gein Erfforte eyme goltsmed bracht“.

Nun fällte das Gericht über die beiden weltlichen Übeltäter das Urteil; Liebenrod gab sich im Gefängnis selbst den Tod, Kirchhof wurde an eisernen Ketten morgens und nachmittags zweimal auf gehängt, bis er starb. Wir aber haben uns die Untersuchung darüber, was für eine famose Hinrichtungsart das war, gespart; denn wir gestehen, daß es uns nicht allzuviel Freude bereitet, den Spuren des erfinderischen menschlichen Ingeniums nach Gausamkeiten nachzugehen. Kirchhof beteuerte bei der langwierigen Hinrichtung aber immer wieder seine Unschuld. Er „schrey dicke unde vil zcetir ubir gewalt unde unrecht“.

Diese furchtbare Hinrichtungsform scheint bei der zuschauenden Menge doch das Mitleid mit dem Gemarterten erregt zu haben, und man wurde durch die Beteuerungen des Gequälten irre an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens. Die angesehenen Verwandten empfanden es jedenfalls als ungeheuren Schimpf. Der Vater des Hingerichteten Apel Kirchhof ging außer Landes nach Weißensee und erhob dort Klage vor dem Landgericht des Landgrafen. Nicht so rechtmäßig gingen der Bruder des Getöteten Gerke und sein Schwager Berchte gegen Nordhausen vor. Sie schnitten schon am 21. September 1430 den Körper des Gehenkten heimlich ab und wandten sich an den Landgrafen von Hessen und die heimliche Feme.

Hier tritt uns nun zum ersten Mal dieses ursprünglich westfälische Gericht entgegen, das im 15. Jahrhundert mehr gefürchtet als wirksam war. Es war eine merkwürdige Macht, die den ordentlichen Gerichten damals Konkurrenz machte, in die Gerichtshoheit der Städte und Länder eingriff und deshalb verhaßt war und bekämpft wurde. Damals stand gerade die Feme in größter Blüte, und es konnte deshalb immerhin nicht ganz ungefährlich für Nordhausen sein, als die Verwandten des Hingerichteten bei dem „freien heimlichen Gericht zu Kreuzburg zum Wolfsheim unter dem Freigrafen Hans Fegestock“ die Klage gegen die Stadt anhängig machten. Nordhausen sah sich genötigt, sich vor dem Gericht zu verantworten und schickte zum 26. und 27. Juli 1431 Bevollmächtigte unter dem Bürgermeister Heinrich Stöckey an das Femegericht. Doch dabei kam es nun zur offenen Fehde zwischen der Stadt und den Bluträchem: Auf der Rückkehr aus Hessen wurden nämlich die städtischen Gesandten am 29. Juli überfallen, und mit Mühe gelang dem Stadthauptmann Balthasar von Harras die Abwehr. Nun ging aber auch Nordhausen energisch vor. Zunächst legte es Verwahrung bei Kaiser Sigmund ein, daß man gewagt habe, die Stadt vor ein auswärtiges Gericht zu ziehen, da man sich nur vor einheimischen Richtern zu verantworten brauche. Die Stadt stützte sich dabei abgesehen von einem Privileg Albrechts von Thüringen aus dem Jahre 1267 offenbar auf das Privilegium Karls IV. vom 10. August 1349: „Wenn wegen eines Urteils vor Gericht zu Nordhausen Zweifel beständen, so solle gelten, was die Ratsmeister darüber entschieden.“ Ferner hatte König Wenzel am 21. Oktober 1386 den Richtern des Landfriedens zu Westfalen verboten, Rat und Bürger von Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen vorzuladen; und ein ähnliches Privileg gab er am 9. März 1391 noch einmal.

Da die Verwandten des Getöteten von auswärtigen Gerichten also nichts zu erwarten hatten, versuchten sie die Rache mit offener Gewalttätigkeit. Dabei scheuten sie weder Opfer noch Mühe. Sie gewannen den Bischof Magnus von Hildesheim und viele Grafen und Adlige zu einem Feldzuge gegen die Städt. Diese ward 1432 regelrecht blockiert, und auch nach dem Abzüge der Heerscharen unterblieben Streifzüge Gerkes und Berchtes nicht. Im Februar 1433 schossen sie Brandpfeile über die Mauer ins Töpferviertel.

Bis 1435 blieb es unsicher in der Nordhäuser Flur. Nordhausen selbst rüstet sich zum Gegenschlage mit seinen Bundesgenossen, den Querfurtern und Heldrungem, und unternahm den eben geschilderten Zug gegen die Herrn von Schwichelde. Doch folgte dem Zuge der Gegenzug. 1436 gelang es Kurt Berchte, den Herzog Heinrich von Braunschweig für 200 Gulden zu bewegen, gegen die Stadt zu rüsten. Dieser trieb den Nordhäusern nicht nur alles Vieh hinweg, sondern wagte am 27. September 1436 sogar vom Töpfer- und Altentor her den Sturm auf die Stadt. Der schlug zwar fehl; in der Bedrängnis aber hatte Nordhausen begonnen, seine Außenbefestigungen zu verstärken und hatte dafür vom Kaiser Sigmund auch ein Privileg erhalten. Dadurch jedoch zog sich Nordhausen nur weitere Feinde in den Stolbergern und Schwarzburgem zu, die ihre Gerechtsame an der Stadtflur angetastet meinten. So wurden zu allem übrigen auch hier noch Wirrungen heraufbeschworen.

Den Höhepunkt erreichte dieser „Berchtenkrieg“ im Jahre 1437, als Heinrich von Braunschweig mit Kurt Berchte, seinem Spießgesellen Klaus Haferung und 100 Reisigen die Nordhäuser, die zum Frankenhäuser Jahrmärkte zogen, überfiel. Die Bedeckung für die Nordhäuser Kaufleute war zu schwach. Der Stadthauptmann mußte samt seinen Söldnern in den Kirchhof von Badra flüchten. Hier fanden sie Schutz, und so kamen sie noch leidlich glimpflich davon. Was ihnen hätte geschehen können, zeigt das Schicksal des Bischofs Burchardt von Halberstadt, der in demselben Jahre kurz darauf, am 20. November 1437, nachdem er die Aue ausgeplündert hatte, von dem Grafen Heinrich von Honstein im Alten Stolberg in den Hinterhalt gelockt und bis zur Vernichtung geschlagen worden war.

Doch die Nadelstiche hörten nicht auf. Erst als 1441 vor Nordhausen wieder ein Bürger erschlagen worden war, 16 Gefangene und viel Vieh fortgenommen waren, organisierte der Stadthauptmann Ulrich von der Nesse den Widerstand. Seitdem wagten sich die Kirchhofs und ihr Anhang nicht mehr an die Stadt heran. Endlich, am 4. August 1443, 15 Jahre nach dem Diebstahl, gelang dem Grafen von Schwarzburg zwischen der Stadt und den Kirchhofs eine „Richtung“. Die Kirchhofs verzichteten auf weitere Verfolgung ihrer Rachepläne und erhielten als Gegenleistung ihre Besitzungen an Ackerland und Gewandkammem wieder oder eine Entschädigung dafür. In ihrem Besitze war auch das nach ihnen genannte Kirchhofholz unter dem heutigen Harz-Rigi, das vor einigen Jahren erst durch die Fürsorge des Magistrats fröhliche Auferstehung gefeiert hat.[6]

Schon in den Berchtenkrieg hinein spielt das „heimliche Gericht zu Westfalen“, die Feme, ein seltsamer Auswuchs am Baume des deutschen Gerichtswesens. Nur aus einer Rechtlosigkeit sondergleichen ist dieses Gericht zu verstehen, und nur aus dieser heraus konnte es Bedeutung erlangen. Von Westfalen ging es aus, wo die Bevölkerung seit uralter Zeit unverändert ihre Schöffengerichte beibehalten hatte. „Freigerichte“ hießen diese Gerichtsstätten, weil nicht nur Adlige, sondern jeder freie Mann, auch Bauern und Bürger, Schöffen und „Wissende“ sein konnten. Zunächst auf den westfälischen Sprengel beschränkt, erlangten sie nach und nach Ansehen im ganzen Reiche, besonders unter den Königen Ruprecht und Sigmund.

Das Gericht konnte eröffnet werden, wenn unter dem Vorsitz des Freigrafen mindestens 7 Schöffen, den alten fränkischen Rachinburgen entsprechend, beisammen waren. Da aber den Freigerichten der sichere Rechtsboden fehlte, sie sich auf keine Tradition außerhalb Westfalens stützen konnten, ihre Kompetenzen gegenseitig nicht abgegrenzt waren und der eine Freistuhl den Spruch des anderen nicht selten aufhob, auch keine Macht hinter ihnen stand, verloren sie bald an Einfluß. Besonders die Städte, die ihre eigene Gerichtshoheit durch die Feme beeinträchtigt sahen, wandten sich gegen diese Gefahr, und mehr als eine hanseatische Tagfahrt hatte deshalb als Gegenstand ihrer Beratung das „heimliche gericht“. Am 21. April 1426 versuchten die Städte des Braunschweiger Viertels nördlich des Harzes sogar eine Abgrenzung der beiderseitigen Gerichtshoheit, indem sie bestimmten: ... darup hette wii uns vordrogen, alse de vrigreven neyn (nicht ein) gerichte uppe ostersiiden (östlich) der Wessere heben scholden.[7] Also nur auf roter Erde jenseits der Weser sollten die Gerichte Recht sprechen können.

Die drei thüringischen Städte hatten diesen Beschluß nicht mitgefaßt, sympathisierten aber mit dem Vorgehen der Hanse, denn auch sie waren von der Feme bedroht. Nordhausen kam, abgesehen von dem Streitfälle im Jahre 1431, noch mehrfach mit ihr in Berührung. Besonders gern wandten sich die überall rechtlosen Juden an das heimliche Gericht, um dort ihr Recht zu suchen. So waren es auch zwei Fälle, bei denen sich Juden durch Nordhausen beeinträchtigt fühlten, welche Nordhausen vor das Fehmgericht brachten.

Im ersten Falle handelte es sich um einen Juden Abraham aus Magdeburg. Dieser hatte in Nordhausen geweilt und hier ein Vergehen begangen. Er floh zu Botho dem Älteren von Stolberg, der damals gerade den Nordhäusern wegen der Stadtflur gram war, und ward von diesem auch aufgenommen. Als sich Nordhausen aber seinetwegen an Kaiser Sigmund wandte, fühlte er sich unter den Fittichen des Grafen nicht mehr sicher und benutzte nun sein Untertänigkeitsverhältnis zu Agnes von Hessen, Herzogin von Braunschweig, um bei ihr Schutz vor der Rache Nordhausens zu erlangen. Hier klagte er vor dem Freigrafen Manegold zu Freienhagen in Hessen gegen die Stadt. Der Prozeß muß sich dann Jahre lang hingezogen haben, doch ist weiter nichts bekannt, als daß die Fürstin „Nordhausen mit dem heimlichen freien Gericht von Freienhagen sehr bedrängt habe“. Jedenfalls wurde der Streit, der schon Ende der dreißiger Jahre des 15. Jahrhunderts seinen Anfang genommen hatte, erst 1444 durch den Landgrafen von Hessen gütlich beigelegt.

Über den zweiten Fall sind wir besser unterrichtet; er spielte in den Jahren 1455-1457 wegen des Juden Moses Eltmann vor dem heimlichen Gericht. Moses hatte in Nordhausen Handel getrieben, seine Schulden nicht bezahlt und war deshalb in Haft genommen worden. Hinterher klagte er vor Niklas von der Nieß, dem Münzmeister des Landgrafen von Hessen, vor Manegold und Hermann Knulberge, Freigrafen des Freistuhls zum Freienhagen. Wieder wandte sich Nordhausen wegen Antastung seiner Gerichtshoheit an den Kaiser, und dieser, es war Friedrich III., verbot auch am 19. April 1455 das Verfahren. Johannes Schope, ein Mainzer Kleriker und Kaiserlicher Schreiber, sollte dem Femegericht das kaiserliche Schreiben übergeben. Doch erging es ihm dabei schlecht genug. Am 15. Juni 1455 kam er nach Wolfhagen zum Freigrafen Manegold, den er gerade beim Mittagessen traf, und es entwickelte sich nun zwischen beiden ein recht erbauliches Gespräch. Manegold fragte: „wes baten (Bote) seyet ir“, und Schope antwortete, er „sie von unsirs aller gnedigsten hern wegen des Kaisers“. Worauf der Freigraf schrie: „Ir siet des kraden tufels bathen; ich schesse wol in des Keysers briffe unde in die von Northusen ... Ir soldet dem Keyser weddir brengen sine briffe und soldet on vor uns laden. “ Abgesehen von diesen Äußerungen, die man denn doch auch im 15. Jahrhundert, das an kräftige Redewendungen gewöhnt war, als Majestätsbeleidigung ansah, vergriff sich aber Manegold auch noch an dem Abgesandten des Kaisers und ließ ihn in einen Turm werfen, „dar kroten und slangen inne sin“. Hier mußte er sich 2 1/2 Wochen gedulden, wurde dann von Niklas von Nieß übernommen, der ihn weitere 4 Wochen, davon 2 in Fesseln, gefangen hielt. Während dieser Zeit äußerte sich ein anderer Freischöffe: „der Keysser ist der man nicht, der uns unssir gerichte sal entlegen. Her hat auch obir uns nicht zcu gebitten.“

Welch trauriges Bild entrollt sich hier von der Machtlosigkeit und dem geringen Ansehen der Staatsgewalt! Doch hatten immerhin die Übergriffe der Freigrafen für Nordhausen den Vorteil, daß der Kaiser das ganze Verfahren gegen die Stadt sogleich unterband, die drei Richter Niklas, Manegold und Knulberge selbst aber ächtete.

Am 28. Juli 1457 bestätigte Landgraf Ludwig von Hessen, daß sein Münzmeister sich mit Nordhausen vertragen habe.

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts war der Einfluß der Feme gebrochen. Wir hören zwar noch in den achtziger Jahren, daß die Feme Nordhausen habe „kümmern, aufhalten und hemmen wollen“, doch war die Angelegenheit ohne Bedeutung. Im April 1498 wurde nochmals ein Nordhäuser Jude, der „aide Josep vor ein Freigericht geladen, erschien aber nicht, und zwar weil es ihm der Rat untersagt hatte. Als das Freigericht dagegen Einspruch erhob, wurde ihm im Dezember 1498 vom Abte Nikolaus des Schottenklosters zu Erfurt als Richter des geistlichen Gerichts die Exkommunikation angedroht, weil es Nordhausens Privilegien nicht geachtet habe. Nikolaus bezog sich dabei neben jener Urkunde Wenzels vom Jahre 1391 auf eine zweite, die erst neuerlich, am 12. Oktober 1497, Maximilian für die Stadt erlassen hatte und in welcher er der Stadt bestätigte, daß sie vor keinem fremden Gericht zu erscheinen brauche. - Ja, selbst im 16. Jahrhundert, im Jahre 1534 wurde Nordhausen noch einmal vor einen westfälischen Freistuhl vorgeladen, beschwerte sich aber sogleich beim Reichsgericht in Speyer, und dieses lud sowohl den anmaßenden Freigrafen Stefan Simon wie auch den Ankläger Kaspar Krause vor. Irgendwelche Bedeutung hatte die Angelegenheit nicht; der Einfluß der Femegerichte war längst beseitigt.[8]

Doch noch von anderen Widerwärtigkeiten wurde Nordhausen gerade in den dreißiger und vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts belästigt. In jenen Tagen versetzten die Hussiten ganz Deutschland in Aufregung. Wie die Feme nur möglich war als Kind einer rechtlosen Zeit, waren es die Hussitenstürme nur als Kinder einer machtlosen Zeit. Die Deutschen jener Tage waren kriegsstark und kriegsgewohnt wie je, doch waren sie bei dem Zerfall jeder einheitlichen Kriegsverfassung und jeglichen Gemeinschaftsgefühls dem Ansturm dieser tschechischen Horden schutzlos preisgegeben.

Je mehr man in Frankreich gerade damals durch das Auftreten der heiligen Johanna Sinn für große nationale Aufgaben gewann, desto mehr ging in Deutschland das Gefühl dafür verloren. Niemand wollte für den Nachbarn eintreten, und wenn er sich dazu aufschwang, wollten die zur Verfügung gestellten Truppen ihre Haut nicht für „Fremde“ zu Markte tragen. Selbst für die allgemeine Not pekuniäre Opfer zu bringen, war man kaum noch gewillt. Eine Hussitensteuer wurde ausgeschrieben, die auf Vermögen von 1000 Gulden und darüber 1 Gulden, auf Vermögen von 200 Gulden und darüber 1/2 Gulden, auf noch geringeren Besitz 6 Straßburger Pfennige legte; die Juden durften auf den Kopf 1 Gulden bezahlen. Doch selbst in dieser Notzeit zögerte man, für das Reich die notwendige Belastung zu tragen. Nur dieses Verhalten ermöglichte es den Böhmen, ihre verheerenden Züge in die benachbarten Länder zu unternehmen, und ließ alle deutschen Unternehmungen gegen die Scharen Prokops und Ziskas scheitern.

Es war im Jahre 1426, wo zum ersten Male auch Nordthüringer im Kampfe mit den Hussiten bluteten. Damals waren diese angriffsweise gegen Außig vorgegangen und bedrohten Sachsen. Ein sächsisch-thüringisches Aufgebot, das 30000 Mann gezählt haben soll, war schließlich unter Busse Vitzthum zusammengebracht worden; die Grafen Nordthüringens waren in dem Heere zahlreich vertreten; Nordhausen fehlte. Im Juni rannte man bei Außig vergeblich gegen die Wagenburg der Hussiten an und erlitt große Verluste durch das Feuer der Gegner; dann brachen die Böhmen hervor und brachten dem in Verwirrung geratenen Heere eine furchtbare Niederlage bei. Da sanken dahin die Grafen Ernst und Friedrich von Gleichen, Friedrich von Beichlingen sank dahin; da ward Ernst von Honstein erschlagen, erschlagen ward der Burggraf von Kirchberg. Furchtbare Blutopfer brachte Nordthüringen damals; die Nordhäuser fehlten.

Und dann kamen die Einfälle der Hussiten nach Schlesien, nach Sachsen, nach Brandenburg. Da zitterten die Landschaften, da zitterten die Städte; Not und Gefahr wurden aber vielfach weit übertrieben. Die Heere der Böhmen bestanden aus einem Volks auf gebot, zahlreich waren ihre Mannschaften; das machte sie so furchtbar jenen Zeiten, die nur kleine Scharmützel von wenigen hundert Mann kannten. Sie waren fanatisch, begeistert, grausam, sie trieben den Krieg nicht als Sport, sondern als blutigen Ernst, nicht um Gefangennahme der Gegner, sondern um ihren Tod. Das ließ damals jeden erzittern.

Am meisten bedroht schien Erfurt. Hilfeflehend wandte es sich überall hin. 1430 brachte ihm Göttingen namhafte Hilfe, ohne daß es nötig gewesen wäre. Auch Nordhausen und Mühlhausen jammerten. Die beiden Städte sahen den wilden Prokop schon vor ihren Mauern, obwohl dieser gar nicht daran dachte, auf jene für die Böhmen abgelegenen Gegenden seine Züge zu richten. Nur die Hussitennot trieb die drei Städte auch in die Arme der Hanse. Augenblickliche Not und schäbiger Eigennutz war es allein, nicht eine große Idee. Am Neujahrstage 1430 hatte man schon in Lübeck über die Hussitengefahr verhandelt, und Herzog Wilhelm von Braunschweig hatte für seinen Oheim, den Markgrafen von Meißen, um Hilfe gebeten. Die Tagfahrt gen Braunschweig im Mai desselben Jahres war nur deshalb von den thüringischen Städten beschickt worden, weil die bleiche Angst sie dazu trieb. Es wurde beschlossen, jede dem Bunde angeschlossene Stadt sollte der anderen zu Hilfe kommen, wenn diese angegriffen werde.

Zu Hause sollte jeder Abgesandte seinen Mitbürgern die Größe der Gefahr ausmalen und über die „Anfertigung von Wagenburgen“ reden.

So fühlte denn auch in Nordhausen schon jeder ein Hussitenschwert zwischen den Rippen. Damals war es auch, wo man die Befestigungen der Stadt deshalb verstärkte und die eigenen militärischen Hilfsmittel überdachte, „imminente herreticorum invasione“ da der Einfall der Ketzer drohte.

Der viele Lärm war um nichts. Die Gefahr war weder für Deutschland so groß, wie sie schien, noch kam sie für unsere Gegenden überhaupt in Betracht. 1430 und 1432 bei den Vorstößen der Hussiten gegen Brandenburg litt der östliche Rand Thüringens wohl etwas, doch seine eigentlichen Gefilde blieben verschont; Nordhausen selbst hat nie einen böhmischen Ketzer gesehen.[9]

Ebenso erfuhr Nordhausen Gnade bei dem furchtbaren Bruderkriege, der Thüringen und Meißen 1446-1451 furchtbar durchtobte und die Stadt Erfurt bis tief ins Mark hinein traf.

Sachsen wurde durch diesen Bruderzwist derart geschwächt, daß die Böhmen neue bedrohliche Einfälle versuchten. Deswegen schrieb Herzog Wilhelm von Sachsen am 7. Juli 1454 auch an die Nordhäuser, sie sollten Reiter, Fußtruppen und Geschütz bereithalten und auf Anruf gen Süden ziehen, ihm zu Hilfe zu kommen.

Während und im Gefolge dieser fast dreißigjährigen Unruhen, in die Thüringen und Sachsen erst durch den Hussitenkrieg, dann durch die Bruderfehde versetzt worden war, hatte natürlich das Raubzeug aller Art wieder gute Tage gehabt. Alles, was um Ruhe und Frieden rang, der Kaiser, die Fürsten, die Städte waren zu beschäftigt gewesen, alle Dinge waren zu sehr in Unordnung geraten, als daß man den kleinen Spitzbübereien hätte Einhalt gebieten können, die, wie in einem unbestellten Garten das Unkraut, damals wieder herrlich gediehen. Sobald aber Herzog Wilhelm Ruhe im eigenen Hause hatte, ließ er sich die Befriedung der Straßen angelegen sein. Am schwersten litt damals Mühlhausen unter der Wegelagerei der Herren vom Eichsfeld und vom Wesergebiet; doch auch bis hinunter in die Aue nach Nordhausen und in die Herrschaften der Harzgrafen hinein erstreckten sich ihre Raubzüge, Hans von Jühnde und Hans von Gladebeck nahe bei Göttingen, Hans von Falkenberg, ein Vorfahr des berühmten Verteidigers Magdeburgs im Jahre 1631, die Stockhäuser Herren auf der Bramburg im Wesergebiet waren wilde Gesellen, denen das Handwerk gelegt werden mußte, sollten Handel und Wohlfahrt nicht unerträglichen Schaden erleiden.

Ein großes Aufgebot unter Herzog Wilhelm selbst, das sich besonders aus Mühlhäusem und Nordhäusern zusammensetzte, machte sich also Anfang Juli 1458 daran, die Burgen der Raubritter zu brechen. Es waren böse Tage für die armen Schnapphähne. Jetzt halfen ihnen nicht mehr wie im 14. Jahrhundert Gräben und Mauern und Türme. Die Belagerer ließen ihre schweren Geschütze spielen, und alle Burgenherrlichkeit sank dahin. Schon am 6. Juli fiel die Burg Jühnde, am 11. Juli wurde die Bramburg erobert. Leider ging man nach dem Brauch der Zeit nur mit den armen Dienstmannen der Ritter scharf ins Gericht; einige wurden sofort gehängt. Die adligen Wegelagerer selbst konnten sich teils in Sicherheit bringen, teils wurden sie nur gefangen nach Weimar und Gotha an den Hof des Landgrafen abgeführt, und hier kamen sie mit gelinder Buße davon, nachdem sie Urfehde geschworen.

Raubritterdämmerung war hereingebrochen. Zwei Menschenalter später, als Sickingen auf dem Landstuhl durch ein Stück, aus einem fürstlichen Geschütz geschleudert, zu Boden sank, war es gänzlich um die Ritterschaft geschehen. Der Tag der Fürstenherrlichkeit brach an.

Ob wir aber bisher von großen oder kleinen Fehden zu berichten hatten, bei keiner war Nordhausen mit dem Herzen beteiligt, denn keine berührte das Lebensinteresse der Stadt. Das war während des ganzen 15. Jahrhunderts nur bei einer einzigen der Fall, die mit Unterbrechung 60 Jahre lang dauerte und in der Nordhausen um die Freiheit seiner kleinen Stadtflur rang.

Das Werden der Nordhäuser Stadtflur ist oben geschildert worden. Doch waren diese Ländereien nur ihrem Besitz nach in Nordhäuser Hände übergegangen, die Gerichtshoheit besaßen die Honsteiner. Außerordentlich verwickelt wurden aber die Verhältnisse dadurch, daß offenbar die Nordhäuser über den Teil der Stadtflur, den sie seit der Gründung der Burg durch König Heinrich besaßen, auch die Gerichtshoheit innehatten. Vogt und Schultheiß übten sowohl als Beamte des Nonnenklosters von 1158-1220 wie auch als Reichsbeamte seit 1220 innerhalb und außerhalb der Stadt die Gerichtsbarkeit aus. Ein kleines Gebiet der Stadtflur hatte Nordhausen also seit ältesten Zeiten auch hoheitsrechtlich im Besitz. In allem Lande aber, das die Stadt später erworben hatte, waren die Honsteiner Gerichtsherren; doch war bald ursprünglich städtischer und nachträglich erworbener Boden nicht mehr zu unterscheiden. Diese Unklarheit wurde noch dadurch begünstigt, daß die Honsteiner die Vogtei über Nordhausen besaßen, ihr Vogt also innerhalb der Stadt und außerhalb ihrer Mauern das Hochgericht abhielt, und wurde weiter begünstigt in den Jahren 1323-1342, wo die Honsteiner auch Inhaber des Schulzenamts in Nordhausen waren, also auch dieser Beamte in der gesamten Stadtflur die Zivilgerichtsbarkeit ausübte. Als nun 1342 die Trennung von Honstein erfolgte, waren die rechtlichen Verhältnisse völlig verdunkelt. Die Nordhäuser nahmen zu Unrecht an, ihnen gehöre die Stadtflur nicht nur zu eigen, sondern sie besäßen daselbst auch die Gerichtshoheit. Die Honsteiner nahmen zu Unrecht an, die Stadtflur gehöre zwar Nordhausen, aber die Gerichtsbarkeit gehöre ihnen. In der Tat konnten sie das Gericht in dem größeren Teil der Stadtflur hegen, in dem kleineren ursprünglichen Teil der Nordhäuser Flur besaßen es aber die Bürger.

Weitere Schwierigkeiten, die Hoheitsrechte auseinanderzuhalten, entstanden nach 1417, als die Honstein-Heringer-Linie ausgestorben war und ihre Verwandten die Erbschaft angetreten hatten. Zunächst waren für die Herrschaft vier Erben vorhanden, doch bald hatten nur die beiden nächsten Anlieger, die Stolberger und die Schwarzburger, alle früheren Gerechtsame und Besitzungen in ihre Hände gebracht. Diese beanspruchten nun als Erbnachfolger der Honsteiner die Gerichtshoheit in der ganzen östlich und südlich der Stadt gelegenen Flur.

Einfacher waren die Verhältnisse im Westen. Hier reichte bis an die Zorge heran städtisches Gebiet, jenseits der Zorge lag zwar auch noch städtischer Besitz; doch die Gerichtshoheit besaß, unangetastet von den Bürgern, die Linie Honstein Klettenberg. Diese hatte eine Gerichts Stätte am Siechhof auf dem Sande dicht an. der Grenze städtischer Gerichtshoheit. Schließlich erhob aber Nordhausen auch diesen Honsteiner gegenüber Ansprüche, seitdem 1464 die Stadt von den Honsteinern die Vogtei als Pfand erworben hatte und nun behauptete, daß die Gerechtsame des Vogtes sich auch über den gesamten westlichen Teil der Stadtflur, über die Flur der früheren Ortschaften Niedersalza sowie Nieder- und Oberode erstreckte. Da kam es auch zum Streit mit der Linie Honstein-Klettenberg. Mit der Gerichtshoheit war auch das Jagdrecht verbunden. Auch das beanspruchten einerseits die Grafen, im Osten also die Stolberger und Schwarzburger,

im Westen die Honsteiner, andererseits die Städter. Denn auch hinsichtlich des Jagdrechts waren die ursprünglichen Rechtsverhältnisse aus dem Bewußtsein der Bevölkerung geschwunden. Seit Jahr und Tag hatten die Bürger die Jagd in ihrer Flur unangefochten ausgeübt.

Die Frage wurde aufgerollt, als nach dem Jahre 1417 die Stolberger und Schwarzburger Grafen Anspruch auf die Gerichtsbarkeit im östlichen und südlichen Teil der Stadtflur erhoben.

Noch verwickelter wurde aber der ganze Streit durch die Aufrollung der Frage nach der rechtlichen Stellung des Frauenbergklosters. Wir hatten schon oben gezeigt, daß die alten Honsteiner immer gewisse Gerechtsame an diesem Kloster besaßen, die wahrscheinlich daher rührten, daß der Gründer des Klosters Neuwerk, der Vogt Ruprecht, im Vasallenverhältnis zu den Honsteinem gestanden, daß aber die Stadt den Frauenberg immer als ihr Eigentum betrachtet hatte. Schon 1399 begann um das Frauenbergkloster der Kampf. Damals stifteten die reichen und frommen Brüder Segemund das Martinihospital und blieben seine Patrone. Davon soll noch unten berichtet werden.[10]

Dieses Hospital aber trat bald in Verbindung mit dem Kloster, und dadurch wurde ein Streit mit diesem heraufbeschworen. Die Nordhäuser vertraten die Ansprüche des Klosters, das sie als ihren Besitz ansahen. Die Stolberger, obgleich sie damals noch nicht Schutzherrn des Klosters waren, da die Linie Honstein-Heringen noch blühte, standen auf Seiten der Segemunde, welche die Gerechtsame des Klosters über das Martinihospital nicht zulassen wollten. Im Verlaufe dieses Streites zerfiel Simon Segemund, der eine der Stifter, so sehr mit der Stadt, daß er gezwungen wurde, die Stadt zu verlassen und sich zu seinem Gönner, dem Stolberger Grafen, zu begeben. Dieser nahm ihn auf der Ebersburg, nach anderen, unwahrscheinlicheren Nachrichten in Questenberg auf. 1403 wurde der Streit gütlich beigelegt. 10 Siehe unten Kapitel 8. , fr Doch diese Auseinandersetzung hatte nur die Bedeutung eines kleinen Vorpostengefechtes. Erst im Jahre 1436 wurde es ernsthaft. Damals nämlich befestigten die Nordhäuser, die mit den Kirchhofs und Berchtes in blutiger Fehde lagen, ihre Stadtflur und erlangten dafür auch ein Privileg vom Kaiser Sigmund. Das rief die Aufmerksamkeit und bald den Groll der Stolberger und Schwarzburger hervor, die ihre Hoheit in diesem Teil der Stadtflur angetastet glaubten. Auf der anderen Seite hatten aber auch die Nordhäuser Anlaß zu mannigfacher Beschwerde. Durch den Anspruch auf die Gerichtsbarkeit innerhalb städtischen Besitzes war es nämlich bald überhaupt nicht mehr möglich, der Verbrecher habhaft zu werden, die nur ihren Fuß aus den Mauern der Stadt in die Flur zu setzen brauchten, um vor Verfolgung sicher zu sein; denn sie befanden sich nun ja im Gerichtsprengel der Grafen. Das geschah z. B. im November 1436, als der Jude Abraham flüchtig wurde und sich in stolbergschen Schutz begab.

So brachen denn die Streitigkeiten Ende des Jahres 1436 aus, zunächst mit einem leichten Geplänkel, bei welchem man sich vor dem Gericht des Landgrafen in Weißensee noch zu einigen suchte. Doch schon kam es zu Übergriffen der Stolberger: Sie trieben Nordhäuser Vieh hinweg. Nordhausen wandte sich deshalb am 13. Dezember 1436 an Kaiser Sigmund. Am 17. Dezember zu Prag stellte der Kaiser die Stadt in den Schutz des Kurfürsten Friedrich von Sachsen und in einer zweiten Urkunde auch in den des Landgrafen Ludwig von Hessen. Diese mächtigen Fürsten vermochten die Stolberger noch einmal zum Nachgeben zu bringen. Die Streitigkeiten fanden gütliche Begleichung.

Überhaupt muß man anerkennen, daß die Stolberger und Schwarzburger immer zu friedlicher Austragung bereit waren. Es kamen doch allmählich Zeiten herauf, in denen wenigstens größere Herrn nicht sogleich zu Plünderungen und Brand griffen. Auch der ganze vornehme Charakter der Stolberger ließ es nicht zu, daß sie um kleiner Differenzen willen wie beliebige Stegreifritter ihr Recht oder Unrecht suchten. Auch wußten beide Parteien sehr wohl, daß sie bei der Wahrung des Friedens ihren Vorteil am besten fanden. Das Verhältnis gestaltete sich also nach und nach wieder freundlicher, ohne daß doch die rechtliche Lage geklärt worden wäre. 1458 kämpften Stolberger und Nordhäuser Seite an Seite die Raubritter der Burg Jühnde nieder. Selbst ein Übergriff der Nordhäuser im Jahre 1459, bei dem die Bürger zwei gräfliche Diener im Hoheitsgebiet von Stolberg, wie die Grafen behaupteten, aufgegriffen hatten, wurde noch gütlich beigelegt. Nordhausen ging sogar ein Bündnis auf 4 Jahre mit den Grafen ein und zahlte ihnen dafür 200 Gulden. In demselben Jahre erschien noch Graf Heinrich der Ältere von Stolberg auf einem großen Feste in der Stadt Nordhausen. Graf Johann von Beichlingen wurde mit einer Mansfelderin vermählt; der Ehekontrakt wurde in Nordhausen aufgesetzt. Zu diesem Feste war eine erlauchte Versammlung in Nordhausens Mauern anwesend. Erzbischof Friedrich von Magdeburg, ein geborener Beichlinger, war gekommen, Herzog Heinrich von Braunschweig war erschienen, die Schwarzburger, Stolberger und Mansfelder weilten in der Stadt. Einen bedenklichen Charakter nahmen die Zwistigkeiten wegen der Flur erst wieder im Jahre 1464 an. Damals müssen die Nordhäuser weitere Befestigungen innerhalb ihrer Liegenschaften angelegt und besonders durch die Ausübung von Jagd und Vogelstellerei die Schwarzburger und Stolberger wieder auf ihre Anrechte an der Flur aufmerksam gemacht haben. Es kam zu ernsthaften Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Nordhäuser den Herzog Wilhelm von Sachsen anriefen. Auf einer Tagung zu Weimar wollte dieser den Spruch fällen. Doch nahmen die Grafen außerordentlich ungern den Herzog zum Schiedsrichter an. Denn abgesehen davon, daß ihre Rechte durch das Anwachsen der Fürstengewalt schon vielfach geschmälert worden waren und sie deshalb vor diesem mächtigen Herrn auf der Hut sein mußten, schien ihnen Herzog Wilhelm sogar insofern Partei zu sein, als er Inhaber des Schulzenamtes in Nordhausen war und ein Interesse daran besitzen mußte, daß sich die Befugnisse seines Schulzen auch auf die städtische Flur erstreckten. Deshalb suchten sie jetzt auf eigene Faust ihr Recht. Sie erschienen im Sommer 1464 vor der Stadt, sperrten die Straßen und schnitten die Zufuhr an Holz, Kohle und Getreide ab, ja, drohten selbst mit Verwüstung. Jedoch, obgleich durch dieses Vorgehen ein friedlicher Ausgleich zunächst unmöglich schien, boten die Grafen dennoch die Hand dazu, die Rechtsverhältnisse durch Zeugenvernehmungen einwandfrei feststellen zu lassen. Beiderseits schaffte man Zeugen herbei und protokollierte vom Juli bis Dezember 1464 eifrig deren Aussagen, natürlich gänzlich erfolglos, da man sich nur auf die persönliche Erinnerung der zumeist uralten Leute, die man heranzog, stützen konnte. Die Stolberger Zeugen sagten also günstig für die Grafen, die städtischen Zeugen günstig für die Stadt aus. So behaupteten die einen, das Gericht der Grafen gehe bis an die „Zingeln“,[11] bis an die Stadtmauern; die Jagd habe früher den Honsteinem gehört, und einige Bürger hätten nur die Erlaubnis zum Jagen und Vogelstellen erhalten; Befestigungen seien vor den Toren der Stadt nie vorgenommen worden. Ein Zeuge behauptete auch das Recht der Grafen am Neuwerkskloster. Die anderen wiederum, die der städtische Schultheiß Heinrich von Wenden am 30. Juli vernahm, behaupteten, daß erst im Jahre 1408 die Honsteiner vor den Toren der Stadt auf dem Sande nur für ihre eigenen Untertanen eine Richtstätte geschaffen hätten. Welche Bewandtnis es damit hatte, werden wir noch unten sehen. Ferner sagten sie aus, daß das Jagdrecht jederzeit von den Bürgern ausgeübt worden sei. Befestigungen dürften die Bürger allenthalben in der Stadtflur anlegen, und über das Kloster Neuwerk habe die Stadt das Schutzrecht, sie habe das Tor daselbst mit Nägeln geschlossen und empfange Ackerzins; auch sei das Kloster im Segemundschen Streit nicht von den Grafen, sondern von der Stadt geschützt worden.

Unterdes wagten die Stolberger nicht die Vermittlungen Herzog Wilhelms gänzlich abzulehnen, und so fanden am 3. Juli 1464 zu Weimar, am 20. August zu Erfurt und am 4. November in Mühlhausen Verhandlungen unter dem Vorsitze des Herzogs selbst statt. Doch blieb die Zufuhr während aller dieser Monate den Nordhäusern abgeschnitten.

Als das Eingreifen Sachsens den Nordhäusern keine Erleichterung brachte, versuchten diese, sich an den Kaiser zu wenden. Das hätten sie in früheren Zeiten wahrscheinlich sogleich getan; doch wußten sie, wie machtlos der arme Herrscher war. Friedrich III. zitierte schließlich auf Bitten der Nordhäuser am 4. April 1465 die Grafen vor sein Tribunal, doch hielten es diese nicht für nötig, der Einladung Folge zu leisten.

Mitten in diesen Auseinandersetzungen ereignete sich ein weiterer Zwischenfall: Die Nordhäuser bestatteten einen Verunglückten, der auf dem Gebiete stolbergischer Gerichtshoheit ums Leben gekommen sein sollte. Da begannen die Grafen die offene Fehde und beantragten ihrerseits gegen Nordhausen die Reichsacht. Daraufhin mischte sich Herzog Wilhelm, der, wie es scheint, seine Bemühungen als zur Erfolglosigkeit verurteilt, aufgegeben hatte, doch wieder ein und entbot die Streitenden zu einem großen Tage nach Mühlhausen. Sachsen selbst, dann die Grafen, die Nordhäuser, Erfurt, Mühlhäuser waren mit großem Gefolge anwesend. Herzog Wilhelm entschied: die Nordhäuser sollten den Toten wieder an die Stelle, von der er aufgenommen war, legen; im übrigen sollte die Fehde aufhören, und die Grafen sollten Verzicht auf ihre Ansprüche leisten.

Mit diesem Spruche jedoch waren Stolberg und Schwarzburg keineswegs zufrieden. Im Herbst 1465 zu Naumburg und im April 1466 zu Weimar fanden noch weitere Tagungen statt. Bei diesen Verhandlungen gelang endlich der Vergleich. Die Nordhäuser kauften erblich die Gerichtsbarkeit über die Stadtflur für 4004 Gulden. Die Flurgrenze selbst wurde genau festgelegt und versteint. Herzog Wilhelm ließ es sich nicht nehmen, selbst bei der Umreitung der Stadtgrenze zu sein: „die beleytunge bereit der fürste mite“, die Belegung mit Steinen beritt der Fürst mit.[12]

In diesem Vergleiche war das Schutzrecht der Grafen über das Frauenbergskloster beibehalten geblieben, und dieser Punkt der Abmachungen gab deshalb bald Anlaß zu neuen Streitigkeiten. Zwischen 1450 und 1480 baute ja die Stadt ihre Befestigungen bedeutend aus und verstärkte auch die Mauern und Gräben des Frauenbergs. Dieses Vorgehen schien nun den Schwarzburgem gegen ihre Hoheitsrechte zu verstoßen, und sie sandten deshalb ihren Lehnsmannen Heinrich von Hagen nach Nordhausen, der Einspruch erheben sollte. Doch die Nordhäuser nahmen diesen kurzerhand gefangen, und als der Schwarzburger selbst vor Nordhausen erschien, erlitten noch weitere Kriegsmannen des Grafen dieses Geschick. Wieder war es den Bemühungen Herzog Wilhelms zu danken, daß dieser neue Streitfall schnell beigelegt wurde. Am 17. November 1471 gaben sich die Parteien damit zufrieden, daß das Frauenbergskloster zwar im Schutze der Grafen von Stolberg und Schwarzburg bleibe, daß aber die Nordhäuser das Recht hätten, das Kloster mit Befestigungsanlagen zu umgeben.

Nun sollte man meinen, daß endlich klare Rechtsverhältnisse geschaffen worden seien. Dem war aber nicht so; 1477 und 1479 kam es zu neuen Reibereien, als die Nordhäuser einen Untertanen der Stolberger wegen einiger Verbrechen hinrichten ließen. Die Grafen, immer gern bereit, der Stadt entgegenzukommen, suchten auch hier zunächst eine gütliche Einigung. Im Sommer 1480 kam es zu Rüxleben zu Verhandlungen, bei denen die Erfurter und Mühlhäuser ihren Nordhäuser Freunden wieder sekundierten. Als deshalb der Streit sich gänzlich zum Vorteil der Nordhäuser zu wenden schien, brachen die Grafen die Verhandlungen ab und gingen zu offener Fehde über. Im August 1480 griffen sie zu ihrem alten, für die Stadt recht peinlichen Mittel, die Straßen zu sperren. Doch nun griff die Stadt, die in den letzten Jahrzehnten außerordentlich befestigt worden war, zu Gegenmaßregeln und ließ ihren Stadthauptmann Berld von Hanstein gegen die Stolberger reiten. Auch konnten die Nordhäuser auf Unterstützung von vielen Seiten rechnen: Erfurt und Mühlhausen, Wilhelm von Sachsen und die Grafen von Mansfeld standen auf ihrer Seite. Demgegenüber zogen den Stolbergern nur die Grafen von Regenstein zu. Ihr Werben um die Hilfe Braunschweigs hatte keinen Erfolg; Wilhelm der Ältere schickte das Schreiben Stolbergs an ihn den Nordhäusern zu.

Besonders nützlich erwies sich die Hilfe der verbündeten Städte: Die Erfurter und Mühlhäuser brachten ihre Proviantzüge für Nordhausen unter starker Bedekkung heran, so daß die Grafen keinen Überfall wagten.

Im November 1480 verhandelten die Parteien zu Weimar vor Herzog Wilhelm ergebnislos. Dann wandte man sich wieder an den Kaiser; doch nur mit dem Erfolge, daß dieser am 5. Dezember die Sache dem Sachsenherzog übertrug. Unterdessen rüsteten beide Teile weiter. Schwarzburg und Stolberg befestigten das Dorf Bielen an der Nordhäuser Stadtgrenze und machten von hier aus ihre Ausfälle in die Stadtflur. Daraufhin versuchte Herzog Wilhelm nochmals eine gütliche Einigung; als diese aber mißlang, schickte er den Städtern 40-50 Mann seiner „Einrösser“zu Hilfe, schwerbewaffnete Söldner zu Pferde. Dadurch kamen die Grafen wieder in Nachteil. Der stete Freund Nordhausens, Herzog Wilhelm selbst, starb über dieser neuen Fehde dahin.

Während der beiden Jahre 1481 und 1482 dauerte die Fehde mit kleinen Scharmützeln, Straßenraub, Blockierung weiter, ein Zustand, der nicht gerade der Befriedung der Landschaft günstig war. Denn allerhand Gesindel zeigte sich wieder auf den Straßen und schuf eine ungeheure Unsicherheit im ganzen Gebiete des Südharzes. Die Herzöge von Sachsen, denen um ihrer Untertanen willen am Frieden sehr gelegen war, beauftragten deshalb Hans von Besä, einen Nordhäuser Ratsherrn, damit, für die Sicherheit der Landstraßen zu sorgen, stellten ihm auch Reisige dazu zur Verfügung. So wurde eine Art Schutzpolizei organisiert. Hans von Besä ließ allenthalben von der Hainleite bis tief in den Harz hinein seine Bewaffneten herumstreifen und auf Wegelagerer fahnden. Das rief nun aber den neuen Unwillen der Stolberger hervor, deren Polizeigewalt dadurch beeinträchtigt wurde.

Als deshalb im Jahre 1483 vier Bewaffnete aus Heringen von den Reisigen des Nordhäusers aufgegriffen, nach Nordhausen gefänglich eingeliefert und dort sogar der Tortur unterworfen wurden, gingen die Grafen wieder schärfer gegen die Stadt vor. Erst am 16. Juli 1483 schien man des gegenseitigen Schabernacks müde zu sein: Nordhausen gab die gefangenen stolbergschen Untertanen heraus, die Grafen verzichteten auf die Blockade der Stadt. Doch verfolgte Herzog Ernst von Sachsen, dem man diese Beilegung zu danken hatte, seine Ziele nicht mit der Energie wie der alte Herzog Wilhelm. 1484 sah sich Nordhausen schon wieder blockiert.

Endlich am 16. Mai 1485 kam ein Vertrag zustande, den man als Vorfrieden bezeichnen kann. Die Grafen hoben die Sperre auf ein Jahr auf; die Nordhäuser durften ihr Bier in der Grafschaft verhandeln; die beiderseitigen Gefangenen wurden losgegeben; noch in demselben Jahre sollte die endgültige Regelung erfolgen. Zu dieser kam es zwar nicht, doch hörten nun wenigstens die offenen Kämpfe auf, und am 3. Juli 1490 wurde endlich der Friede wiederhergestellt, nachdem die Streitigkeit schon 1436 begonnen, seit 1464 aber fast dauernd Unfrieden geherrscht hatte. In diesem letzten Vertrage wurden eigentlich nur die Bestimmungen von 1466 wiederholt. Nordhausen war endlich völlig Herr seiner östlichen Stadtflur.[13]

Während dieser schwierigen Auseinandersetzungen Nordhausens mit den Stolbergern und Schwarzburgem um den Osten und Südosten seiner Stadtflur brachen ähnliche Streitigkeiten um den Westen und Südwesten der städtischen Liegenschaften mit den Honsteinem der Linie Honstein-Klettenberg aus. Zeitweise gelang es den Nordhäusern, ihre beiden Gegner auseinanderzuhalten, zeitweise, so z. B. in den sechziger Jahren, verbanden sich aber die Honsteiner mit den Stolbergern, und dann war die Bedrängnis der Stadt besonders groß. Da die Honsteiner die Vogtei über Nordhausen innehatten, berühren sich die Streitigkeiten aufs innigste mit der Geschichte dieses Amtes. Es handelte sich besonders um die Nordhäuser und honsteinsche Richtstätte am Siechhofe. Hier befand sich das alte Hochgericht für Nordhausen; hier lag aber auch seit Beginn des 15. Jahrhunderts ein Zivilgericht der honsteinschen Grafschaft. Daß man dieses Gericht so nahe unter die Nordhäuser Stadtmauern gelegt hatte, war folgendermaßen gekommen:

Um 1400 kam es häufig vor, daß die Bauern aus der Grafschaft von den Nordhäuser Bürgern Geld und Waren borgten und mit der Zahlung im Rückstand blieben. Die Wiedererlangung war aber für die Bürger schwierig; denn kamen sie auf das Land, ihre Forderungen einzutreiben, so fanden sie widerstrebende Schuldner, ja, sie wurden mit Gewalt aus den Dörfern getrieben und mit Schlägen bedroht. Vielfache Klagen der Nordhäuser bei den Honsteinem hatten schließlich um das Jahr 1410 zu Verhandlungen in der Ortschaft Woffleben bei Nordhausen geführt. Auf dieser Tagung waren die Grafen den Bürgern dadurch entgegengekommen, daß sie ein bürgerliches Gericht dicht unter die Mauern der Stadt nach dem Siechhof hinzulegen beschlossen, wo die Klagen zwischen Bauern und Städtern zum Austrag gebracht werden konnten: „ ... da die bürger ire schulden ohne abenthüre (\benteüeY)möchten gefordern wie es in dem Abschied hieß. Über Erbgüter aber, die nach Nordhausen hin schoßbar waren, die also zur Nordhäuser Gemarkung rechneten, sollte dieses Gericht nicht bestimmen können. Es war nur ein Gericht für honsteinsche Hintersassen, nicht für eigentlich Nordhäuser Angelegenheiten. Deshalb hieß es auch noch zum Jahre 1529: „Die Honsteiner haben bei dem Gericht auf dem Eichholze oder der Bank, welche hart an der Bleiche liegt, vor dem Siechhofe Gericht gehalten über die ihrigen, nicht über die Nordhäuser.“ Der Rat gab 1410 den Honsteinem für ihr Entgegenkommen 50 Mark lötiges Silber. Doch die Honsteiner brachten nach Ansicht der Nordhäuser die Händel, welche die Städter mit den Bauern hatten, nicht unvoreingenommen zum Austrag, und die Bürger wandten sich daher, um überhaupt eine Stelle zu haben, wo ihnen Recht wurde - ein neuer Grund zu Mißhelligkeiten - an das geistliche Gericht zu Nordhausen. 1452 kam es deshalb zu erregten Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und der Grafschaft. Die Verhandlungen mit Nordhausen führten damals als Lehnsleute der Honsteiner die von Tettenborn und die von Wernrode.

Als nun die Stadt 1464 die Vogtei pfandrechtlich von Honstein erworben hatte, versuchten die Nordhäuser das honsteinsche Gericht auf dem Sande überhaupt zu beseitigen. Natürlich erhoben die Grafen sogleich Protest, denn sie befürchteten nicht mit Unrecht, daß die Nordhäuser, nachdem sie die Vogtei von ihnen erkauft hatten, Anspruch auf die Gerichtsbarkeit auch in der Stadtflur erheben wollten. Wenn sie nun aber auch durchaus berechtigt waren, solche Machenschaften der Bürger zurückzuweisen, so schossen sie doch damit weit über das Ziel hinaus, daß sie nunmehr beanspruchten, die Zollgrenze zwischen der Stadt und ihrer Grafschaft an den Siechhof verlegen zu können. Das war natürlich unmöglich, denn die Stadtflur war im Besitz von Bürgern und gehörte wirtschaftlich zur Stadt, nur die Gerichtsbarkeit übten die Grafen in ihr aus, und nur diese durften sie beanspruchen, wenn die Nordhäuser sie ihnen schmälern wollten. Durch Zeugen wurde deshalb auch sogleich einwandfrei festgestellt, daß das Siechhofgericht, obgleich dort die Streitigkeiten zwischen den honsteinschen Bauern und den Nordhäuser Bürgern von den Grafen geschlichtet wurden, auf Nordhäuser Grund und Boden gelegen sei und die Zollgrenze sich bei der Kirche des Dorfes Salza und in Hesserode befinde. Gerade wegen dieser Grenzstreitigkeiten konnte man zu keiner Einigung kommen, und deshalb riefen endlich im Jahre 1480 die Nordhäuser den Kaiser Friedrich III. an, der dann den Streit zu Gunsten Nordhausens dahin schlichtete, daß Honstein vor dem Siechhofe keinen Zoll zu nehmen berechtigt sei. Damit es nicht wieder zu Unstimmigkeiten komme, wurde zugleich das honsteinsche Gericht auf Nordhäuser Boden aufgehoben.[14]

Wir sahen schon bei diesen Streitfällen, daß verfassungsrechtliche Fragen bei ihnen eine bedeutende Rolle spielten und die Befugnisse des Vogts und des Schultheißen öfters berührt werden mußten. Von diesen beiden Ämtern und ihrer Entwicklung soll deshalb im folgenden weiter die Rede sein.

Die Vogtei hatte ja bis zum Jahre 1356 die Linie Honstein-Sondershausen inne, dann ging sie nach deren Erlöschen an die ältere honsteinsche Linie, Honstein- Klettenberg, über. Diese war im Besitze der Vogtei bis zu ihrem Aussterben im Jahre 1593. Doch lag gemäß dem kaiserlichen Privileg vom Jahre 1349 die gesamte Verfolgung des Übeltäters, die Untersuchung und die Fällung des Urteils in den Händen des Rates. Der Vogt hatte durch seine Anwesenheit dem Urteil nur Rechtskraft zu verleihen.

Die Beaufsichtigung der Strafgerichtsbarkeit, die Honstein in Nordhausen besaß, hieß: „An des Heiligen Reiches Stuhle zu Nordhausen“. Dem Gerichte konnten die Honsteiner selbst präsidieren, sie ernannten aber meist, in späteren Zeiten immer, einen ihrer Ministerialen zu ihrem Vertreter. Jedenfalls weilte der Vogt nicht in der Stadt, sondern draußen in der Landschaft. Wollten die Nordhäuser einen Verbrecher richten, so mußten sie sich an den Grafen von Honstein wenden, und dieser sandte auf ihre Bitten seinen Vogt in die Stadt. Wenn auch die gesamte Gerichtsbarkeit in Händen der Stadt lag, - den Vollzug des Urteils konnte man nicht ohne Vogt vornehmen. War dieser dann auf Anforderung der Bürgerschaft herbeigekommen, so hegte er unter ganz bestimmten Formeln, die sich bis ins 18. Jahrhundert erhielten, das Gericht.

Doch Verfolgung, Inhaftierung, Untersuchung und Exekution hatte die Stadt Nordhausen seit dem Jahre 1349 unbeeinflußt von irgend einer Seite vorzunehmen. Natürlich lag es dem Rate auch ob, die Fehmstätten einzurichten und die Galgen zu erbauen. Deshalb heißt es in einer Urkunde, was später vielfach bei Verteidigung der städtischen Freiheiten wiederholt wird: „Nordhausen hat das Recht, Galgen zu errichten, zu greifen und zu fahen, ewig oder zeitlang zu verweisen, in Stöcken die Übeltäter zu versuchen, Statuten zu setzen, verwirkte Güter zu konfiszieren.“

Die Hauptrichtstätte lag vor dem Siechentore auf dem Sande, eine andere war vor dem Töpfertore; doch heißt es z. B. zum Jahre 1464, daß zuweilen auch an anderen Stätten „nach des Rats Willen zu Nordhausen gerichtet werde“. Im 18. Jahrhundert stand der Galgen vor dem Bielen-Tore. Um 1640, während des Dreißigjährigen Krieges, als man nicht gern mit einem Zuge vor die Tore Aufsehen erregte, wurden zwei Verbrecher sogar einmal an einem schnell auf dem Töpfermarkt mitten in der Stadt errichteten Galgen erhängt.

Immer wurde auch von der Stadt betont, sie sei reichsunmittelbar. Dieser Rechtszustand ist insofern wichtig, als dadurch zum Ausdruck kommt, daß vom „Stuhle zu Nordhausen“ keine andere Appellation möglich war als an das Reichskammergericht. Es kam öfter vor, daß sich Verurteilte an die Honsteiner Grafen wandten; dann betonte Nordhausen jedesmal das Unstatthafte dieses Vorganges. Gefährlicher war es, als Sachsen, das schon im 16. Jahrhundert für einige Jahre die Vogtei besaß, beanspruchte, daß vom Vogteigericht zu Nordhausen an seine Gerichte appelliert werden könne. Als 1542 Moritz von Sachsen Nordhäuser Gerichtsangelegenheiten vor sein Forum ziehen wollte, legte die Stadt sogleich Verwahrung ein, und Meyenburg verfaßte damals einen eingehenden Bericht über die Rechte Sachsens. „Dieweil wir dem Reiche mit leiblichen Eiden und sonst niemand verwandt sind“, besitzt nur das Reich und nicht Sachsen die Berufsinstanz.

Nachdem also der Vogt alle seine Rechte an Oberaufsicht, Verwaltung, Heereswesen schon um 1300 eingebüßt, nachdem er seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auch im Gerichtswesen allein formale Angelegenheiten zu erledigen hatte, war sein Amt völlig bedeutungslos geworden, ja, es war so ohne jegliche tatsächliche Macht, daß, als die Honsteiner ihr Amt 1448 an Nordhausen verkaufen wollten, die Stadt auf das Angebot nicht einging. Selbst die geringe Summe von 150 Gulden, die die Grafen dafür haben wollten, schien für das Amt zu hoch. Doch die Honsteiner wußten sehr wohl, wie sie trotz ihres geringen Einflusses einen Druck auf die Stadt ausüben konnten. Auf die Weigerung der Nordhäuser hin schickten sie einfach, wenn Anforderungen kamen, den Vogt nicht mehr in die Stadt, und da das Mittelalter an alten Bräuchen starr festhielt und nicht von ihnen ließ, selbst wenn sie keinen Inhalt mehr besaßen, so kam Nprdhausen dadurch in die größte Verlegenheit; denn die Verbrecher konnten nun zwar abgeurteilt, die Vollstreckung des Urteils konnte aber nicht vorgenommen werden. Dazu mußte der Vogt den Stab brechen.

Noch einmal kam es zu einem Vergleich; als sich aber 1464 derselbe Vorgang wiederholte, mußten die Nordhäuser wohl oder übel auf das Angebot der damaligen Honsteiner Grafen, der Grafen Ernst und Hans, eingehen und die Vogtei in Pfand nehmen. Sie besaßen sie, wie schon erwähnt, von 1464 bis 1505. Nun war also die Vogtei in den Händen Nordhausens, das andere Reichsamt, das Schulzenamt, nach wie vor in den Händen Sachsens. Wenn sich auch die Nordhäuser zunächst gesträubt hatten, das einflußlose Amt des Vogts für eine erkleckliche Geldsumme an sich zu nehmen, so zögerten sie, einmal in seinem Besitze, doch nicht, daraus Kapital zu schlagen. Sogleich gingen sie daran, die Gerechtsame des Schulzen durch die Vogteigerechtsame zu schmälern. So gehörte z. B. zu den alten Rechten des Vogtes die Oberaufsicht über alle Liegenschaften des Reiches in und um Nordhausen; der Schulze, der in Marktangelegenheiten überhaupt selbständig war, hatte nur die Zinseinnahmen daraus.

Wie es denn in alten Urkunden heißt: „Was an Häusern, Äckern, Ländereien, Weingärten, Hopfenbergen, Wiesen und was liegende Gründe sind in der Stadt, Feld und Flur erklagt wird, dabei muß der Vogt sein. Vom Helfegelde gibt der Schultheiß an den Vogt ein Drittel.“ Diese Abhängigkeit des Schulzen vom Vogte war noch nicht aus dem Rechtsbewußtsein geschwunden, und als nun die Vogtei an die Stadt gelangte, benutzte diese sogleich ihre neue Zuständigkeit, die Rechte des Schultheißenamtes, d. h. Sachsens, damit zu schmälern. Hatte man bisher gern zugegeben, wenn der Schultheiß, der als Inhaber der Zivilgerichtsbarkeit durch die von der Stadt abhängigen Schöffen doch vielfach städtischen Eingriffen unterlag, abgesehen von den handelsrechtlichen Angelegenheiten auf Grund der Steuerhoheit des Reiches auch über den Grand und Boden möglichst weitgehend und unter Ausschaltung des Vogts verfügte, so besann man sich jetzt auf die alten Befugnisse eben dieser Vogtei, um die Rechte des Schulzen auf liegende Güter und Häuser in Frage zu stellen und diese in die eigene Gewalt zu bekommen. Deshalb erinnerte gleich 1464, nachdem die Stadt die Vogtei von den Honsteinem pfandweise erhalten hatte, der Rat daran, daß „Freveltaten an solchen Gütern der Rat vom Schulzengericht an die Vogtei ziehen kann“, was besagen will, daß seit 2 Jahrhunderten darüber vor dem Gericht des Schultheißen verhandelt worden war, daß jetzt aber dieser Teil der Gerichtsbarkeit von der Stadt selbst übernommen werden sollte. War die Erwerbung der Vogtei durch die Stadt dem äußeren Anschein nach unbedeutsam, - sie kam gelegen zur Einschränkung des Schulzenamtes. Weitere, noch unten zu berührende Händel mit Nordhausen um eines Rechtes willen, das für die Honsteiner beinahe nur noch ideellen Wert besaß, ließen nun aber in ihnen den Entschluß reifen, die Vogtei gänzlich an Nordhausen zu verkaufen und sich damit gänzlich aller Rechte an Nordhausen zu begeben.

Donnerstag nach Catharina im Jahre 1505 verkauften deshalb die vier Brüder, Wilhelm, Dommeister zu Mainz, Heinrich, Ernst und Hans von Honstein ihr Halsgericht, das sie „binnen und bussen der Stadt Nordhausen vom Heiligen Reiche zu Lehen hatten“, redlich und erblich mit allen „Würden, Nutzungen, Gerechtigkeiten, Obrigkeiten, Zugehörangen und Gebrauchungen“ für 600 Gulden an Nordhausen. Kaiser Maximilian bestätigte am 30. Oktober 1505 in Würzburg den Verkauf und „daß nun hinfür die gemeldeten Bürgermeister und Rat und genannte Stadt Nordhausen solch Ober- und Halsgericht von uns und dem Heiligen Reiche in Lehnsweise innehaben, gebrauchen und genießen sollen und mögen, inmaßen dieselben von Honstein gebraucht und genossen haben“. Das Wiederkaufsrecht behielt sich Honstein vor. Und diese Klausel wurde alsbald den Nordhäusern zum Verhängnis. Nach vollzogenem Verkauf griff nämlich Sachsen ein, das im Besitze des Schulzenamtes war.

Sachsen hatte in den letzten Jahrzehnten, wo die Vogtei an Nordhausen verpfändet war, schon mehrfach erfahren, daß seine eigenen Rechte an Nordhausen durch die Vogtei geschmälert wurden, und befürchtete nun ein weiteres Abbröckeln seiner Befugnisse in Nordhausen. Doch wahrscheinlich nicht allein deshalb lag ihm daran, neben dem wichtigen Schulzenamt auch die weniger wichtige Vogtei in seine Hand zu bekommen. Hatte es beide Ämter in seinem Besitz, so gelang es vielleicht einmal, die Reichsstadt zu einer sächsischen Landstadt zu machen, ein kühner Plan, aber ein Plan, durchaus gelegen im Bereich der Möglichkeit jetzt zu einer Zeit, wo das Reich seiner Auflösung immer mehr entgegenging und an Stelle seiner Rechte die Fürstentümer ihre Macht nach außen erweiterten und im Inneren ausbauten. Zudem mußte gerade eine Stadt wie Nordhausen, die der Mittelpunkt für den gesamten Handel und Verkehr der z. T. in sächsischem Besitz oder unter sächsischer Schutzherrschaft befindlichen Goldenen Aue war, diesen mächtigen und ehrgeizigen Nachbarn zum Zugriff reizen. Sachsen knüpfte deshalb sogleich, nachdem Nordhausen die Vogtei erworben hatte, mit den Grafen von Honstein Verhandlungen an und bot einen viel höheren Kaufpreis für die Vogtei, als ihn Nordhausen bezahlt hatte. Darauf säumten die Grafen nicht, von ihrem Rückkaufsrechte Gebrauch zu machen und die Vogtei an Sachsen weiterzuverschachem. Sachsen gab am Sonntag nach Michaelis 1506 dafür 1600 Gulden; da aber augenblicklich Nordhausen die Vogtei für 600 Gulden innehatte, so sollte Sachsen 1000 Gulden an Honstein und 600 Gulden an Nordhausen zahlen. Die Stadt wurde zu dem Handel nicht hinzugezogen, sondern ihr nur der Verkauf angezeigt.

Diese für unser Rechtsempfinden ungeheuerliche Abmachung war, da sich die Grafen das Wiederkaufsrecht von Nordhausen vorbehalten hatten, rechtlich möglich, doch muß es befremden, daß die Honsteiner ohne weiteres annahmen, die Stadt werde ihnen das Amt für dieselbe Summe von 600 Gulden Wiederverkäufen, wie sie selbst die Vogtei gekauft hatte.

Der Rat, geprellt wie er war, sah ein, daß er nach der rechtlichen Seite hin keine Einwendungen machen konnte, erhob aber dennoch gegen den Verkauf an Sachsen Bedenken. Es hieß, Sachsen könne sich nun vielleicht Eingriffe in die städtischen Hoheitsrechte erlauben. Diese wurden deshalb nachdrücklich festgestellt und zugleich damit die Richtigkeit der Vogtei dargetan. Man führte aus, der Rat habe die Handhabung der gesamten Strafgerichtsbarkeit; der Vogt spreche mir die Formeln und breche den Stab. Im einzelnen sei es Sache des Rates, die Verbrecher innerhalb und außerhalb der Stadt, soweit die nordhäusischen Landesgrenzen reichten, zu verfolgen, die Untersuchung läge in seiner Hand, ebenso die Formulierung des Urteils. Auch die Femstätten und Exekutionen unterlägen der Aufsicht des Rates; Galgen und Richtplatz seien vom Rate angelegt, die Vollstreckung des Richtspruches werde von ihm bezahlt und von seinen Dienern vollzogen. Kurz, der Rat habe das Recht, wie es immer wieder heißt: „Galgen zu errichten, zu greifen, zu fangen, ewig oder eine Zeit lang zu verweisen, in Stöcken die Übeltäter zu versuchen, Statuten zu setzen, verwirkte Güter zu konfiszieren.“

Schließlich wurde das Dazwischentreten Sachsens durch neue Geldopfer an Honstein abgewandt. Zudem nahm die Grafschaft die Vogtei wieder an sich. Doch scheinen damals schon Abmachungen zwischen Honstein und Sachsen getroffen worden zu sein, daß Sachsen ein Anrecht oder mindestens das Vorkaufsrecht besitzen sollte. Daraus werden spätere Einmischungen Sachsens erklärlich, wie denn Sachsen auch immer, z. B. 1523 Herzog Georg, betonte, daß die Honsteiner die Vogtei von Sachsen zu Lehen trügen.

So waren denn seit 1506 die Grafen wieder Inhaber der Vogtei, und sie sollten sie bis zu ihrem Aussterben 1593 behalten. Erquickliche Verhältnisse waren damit weder für die Honsteiner noch für die Stadt Nordhausen geschaffen. Veranlassung zu Konflikten gab es die Menge; insbesondere lebten bald die alten Streitigkeiten wegen der Flurgerichtsbarkeit und wegen Anforderung des Vogtes durch die Stadt bei Exekutionen wieder auf.

In der Tat war es uralter Brauch, daß die Honsteiner jedesmal einen Gerichtsvogt in die Stadt schickten, wenn er von den Nordhäusern angefordert wurde. „Wir können beweisen, daß vor alters ist gewest, daß er (der Graf) einen Vogt auf einem Dorfe gehabt. Wenn wir haben wollen richten lassen, so haben wir dem Vogt den Gerichtstag verkündet.“ Der Rat schrieb dann folgendermaßen: „Gnädiger Herr, wir wollen einen Übeltäter für (vor) peinlich Gericht auf schierst ... stellen lassen, ist unsere Bitte, Ihr wollet den Gerichtsvogt dieser Tage einen, den Euer Gnade uns hiermit ernennen wollen, zu früher Gerichtszeit anhero schicken und das Gericht hegen lassen.“

In Zeiten aber, wo, wie während der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts, die Nordhäuser mit den Grafen auf gespanntem Fuße lebten, versuchten die Honsteiner, den Städtern Schwierigkeiten zu machen, ließen sich lange bitten oder behaupteten gar, nach ihrem Belieben den Vogt schicken zu können. Nicht selten traten in Nordhausen dadurch Verlegenheiten ein, die die Honsteiner den Städtern gern bereiteten, sei es, um sie nur ihre Macht fühlen zu lassen, sei es, um Vorteile für sich oder ihren Beamten, den sie entsandten, zu gewinnen. Besondere Nöte erwuchsen der Stadt daraus im Jahre des Bauernaufstandes 1525. Damals waren alle Bande gelockert, Zucht und Ordnung waren dahin, strenge Strafmaßnahmen schienen geboten, und Exekutionen waren deshalb häufig. Die Honsteiner ließen sich aber bitten und ließen die Nordhäuser warten. Schließlich beantragte Nordhausen, daß der Vogt innerhalb der Stadt wohnen bleibe, da alle Augenblicke Missetaten durch Hinrichtungen geahndet werden müßten. Es fanden darüber auch Verhandlungen in Nordhausen „im Schern zu den drei Eichen“ statt; die Honsteiner sagten auch Abhilfe zu, es geschah aber nichts. Ja, in den nächsten Jahren verschlimmerte sich der Zustand noch; die Honsteiner vernachlässigten das Amt, das ihnen offenbar nichts einbrachte, immer mehr. So blieb den Nordhäusern als letzte Zuflucht nur der Kaiser. Sie wurden bei Karl V. im Jahre 1532 zu Regensburg daher vorstellig: der Vogt werde gar nicht oder nur unregelmäßig geschickt. Prozesse und Exekutionen erlitten Verzögerung, die Übeltäter blieben unbestraft. Der Kaiser erhörte die Bitte und gestattete ihnen für den Fall, daß kein Vogt geschickt werde, „so sollten sie das Malefiz-Recht selbst mit ehrbaren und verständigen Männern besetzen“. Wer deshalb Nordhausen angreifen wolle, verfalle in eine Strafe von 15 M Silbers. Zwar versuchten die Honsteiner noch einmal die Vogtei auf die Stadt auszuüben dadurch, daß sie drohten, endgültig die Vogtei an Sachsen zu verkaufen, wenn sie nicht den Vogt nach Belieben schicken könnten; doch focht das die Nordhäuser, mit dem Edikt des Kaisers in der Tasche, nicht mehr an.

Nordhausen hatte in dieser Frage unbestritten einen Sieg errungen. Nicht so befriedigend war der Verlauf des Streites mit den Honsteiner Grafen über die Flurgerichtsbarkeit, obgleich auch hier das Recht unzweifelhaft auf Seiten der Stadt war. Wie schon 1464 und 1480, so bestritten auch nach dem Jahre 1505, nachdem die Honsteiner die Vogtei wieder an sich genommen hatten, dieselben den Nordhäusern ihre Strafgerichtsbarkeit vor den Toren der Stadt. Der Vogt, den sie nach Nordhausen schickten, sollte nur intra muros, aber nicht im ganzen Stadtgebiet zu richten haben. Die Nordhäuser Feldflur, so behaupteten sie, gehöre zu ihrer klettenbergischen Gerichtsbarkeit.

Die Nordhäuser, die wohl wußten, daß ihre Hoheit selbst im Weichbild der Stadt in Gefahr war, stemmten sich mit allen Mitteln gegen diese Ansprüche und erhoben schon 1523 beim Reichskammergericht in Speyer Klage. Die Honsteiner wiederum wollten den Streit vom Reichskammergericht abziehen und vor ein sächsisches Gericht bringen mit der Begründung, sie gingen mit der Vogtei bei Sachsen zu Lehen. Doch hatten sie bei diesem Rechtsstreit nicht mit der Klugheit Michael Meyenburgs gerechnet, der soeben Oberstadtschreiber von Nordhausen geworden war. Dieser rettete 1525 durch einen trefflichen Schachzug die Situation. Auf seine Veranlassung ging nämlich 1525 ein Schreiben an Herzog-Georg von Sachsen, die Grafen von Honstein hätten zwar die Vogtei an Nordhausen verpfändet, behaupteten aber, das Nordhäuser Land außerhalb der Mauern gehöre zu ihrem klettenbergischen Gerichtssprengel, und sie trügen diesen vom Stifte Halberstadt zu Lehen. Damit fielen alle Gerichtsgebühren an sie und nicht an Nordhausen als den derzeitigen Inhaber der Vogtei: Auf diese Weise werde aber auch Sachsen beeinträchtigt, das ja das Nordhäuser Schulzenamt habe. Denn von allen Gerichtsgefällen auf städtischem Boden gebühre dem Schulzen 2/3, dem Vogte 1/3. Der sächsische Schultheiß gehe also der Gebühren für die Aburteilung der Straftaten in der Feldflur Nordhausens verlustig. - Dieser Brief verfehlte seine Wirkung auf Sachsen nicht; es erhob sogleich Protest bei Honstein, und die Grafen unterließen es wenigstens, sich weiterhin in dieser Angelegenheit der Flurgerichtsbarkeit an Sachsen zu wenden.

Unterdessen lief der Prozeß in Speyer, und dieses hochwohllöbliche Kammergericht war schließlich am 16. November 1528 so weit, daß es bemerkte, es könne aus der Feme den Streit nicht entscheiden und müsse deshalb ein Schiedsgericht einsetzen. Zu Schiedsrichtern bestimmte es den Grafen Botho von Stolberg und den Rat der Stadt Erfurt. Doch auch hier kam es binnen fünf Jahren, von 1529-1534, zu keiner Entscheidung. Die Honsteiner lehnten jeden Spruch ab, der ihre Forderungen nicht anerkannte, und wollten nur für 1000 Taler Gericht und Zoll am Siechhof fallen lassen und in eine neue Grenzfestsetzung einwilligen.

Dazu verstand sich wiederum Nordhausen nicht und hatte auf Grund der Kaiserurkunde vom Jahre 1480 ein gutes Recht auf Ablehnung. So ging es denn hin und her, bis am 24. Mai 1543 die Honsteiner für 500 Goldgulden und 100 Joachimstaler auf das Zivilgericht am Siechhof Verzicht leisteten, jede Erhebung von Zoll innerhalb städtischen Gebietes einstellten und die Gerichtshoheit in der Stadtflur an Nordhausen verkauften. Mit Hinweis auf die nun fast 40 Jahre währenden Zwistigkeiten heißt es in den Urkunden: Weil damals Graf Ernst von Honstein dem Rate an den peinlichen Gerichten und derselben Exekution wegen des Kaiserlichen Privilegiums nicht weiter hat können Einhalt und Verhinderung tun, hat er die Gerichtsvogtei dem Rate anno 1546 um 1500 Gulden versetzt. Nur die Lehnshoheit an der Werthermühle behielt sich Graf Ernst V. von Honstein vor. 1546 erwarben dann die Nordhäuser durch neue große Opfer, durch 1500 Gulden, pfandrechtlich die Vogtei.

Wie es damals bei einer Gerichtssitzung des Strafgerichtshofes zuging, daß der Vogt damals nichts weiter als Attrappe war, während der Rat und die von ihm eingesetzten Schöffen die gesamte Gerichtsbarkeit wahrnahmen, geht aus einer eingehenden Darlegung Meyenburgs aus dem Jahre 1542 hervor. Ergänzt man diesen Bericht durch eine Auskunft, die Nordhausen 1617 auf Ansuchen Nürnbergs über die Reichsämter an diese Stadt gab, so entsteht ein klares Bild von dem Amte des Vogtes und dem Gerichtsverfahren seit Beginn der Neuzeit. Es mögen einige Stellen aus der Meyenburgischen Darstellung folgen:

„Um das peinliche Gericht ist es also gelegen, wenn ein Übeltäter ergriffen wird, so hat der Rat Macht, denselben vor Gericht zu stellen oder stellen zu lassen und bürgerlich zu strafen oder ohne Strafe loszugeben. - Die Vogtei ist nichts anderes, denn wenn der Rat zu Nordhausen für sich selbst oder auf Ansuchen andere peinlich zu richten oder einen Übeltäter vor ein peinlich Gericht zu stellen vergünstigen will, dann ist der Graf von Honstein schuldig, den Vogt ans Gericht zu schicken. -Seit 1546 bestellte Nordhausen den Vogt selbst. - Wenn der Vogt erscheint, dann setzt er sich an die Gerichtsstätte, und schickt der Rat zwei des Rates zu Nordhausen als Gerichtsschöppen, welche der Rat, die ihm gefällig, zu kiesen und jederzeit zu ordnen hat, auch in das Gericht. Vor denen, als den Schöppen und dem Vogt, wird durch die Gerichtsfronen das Gericht gehegt. Und wenn zu dem Übeltäter geklagt, bis auf das Urteil, dann hat der Vogt kein Urteil zu befassen, zu sprechen oder zu erkennen, sondern die Räte der Stadt Nordhausen werden die Zeit, wenn man über den Missetäter richten will, alle bei ihren Eiden fordern. Dieselben müssen erstlich einträchtig erkennen, wenn sie des Übeltäters Bekenntnis haben lesen hören, ob die Tat genugsam sei, daß der Mensch darum vor Gericht soll gestellt werden. Wenn dann einträchtig erkannt worden ist, daß man den Missetäter vor das Gericht soll stellen, und ihm vergünstigen, was er sich mit Recht vergünstigen kann, das wird den Schöppen befohlen, daß sie das Endurteil den Scharfrichter, was die Missetat verursacht, sollen stellen lassen. Und wird also das Urteil durch den Rat an seiner Statt durch seine Schöppen zu sprechen befohlen. - Wenn auch das Urteil gefällt, so zerbricht der Vogt den Stab und setzt das Gericht auf und hat nichts mehr der Sachen zu schaffen, sondern der Rat gibt ihm 23 Pfennige zur Besoldung, und bestellt der Rat die Exekution durch ihre Diener. - Aus dem allen erscheint, daß der Schultheiß in bürgerlichen und der Vogt in peinlichen Sachen am Gericht gar nichts zu schaffen habe, was die Urteile anlangt, denn allein, daß sie das Gericht hegen lassen. Was aber die peinlichen und die bürgerlichen Urteile anlangt, die werden alle durch den Rat und desselben Schöppen fürder gesprochen.“ –

Danach ist also das Verfahren folgendes:

  1. Der Rat verfolgt den Übeltäter und setzt ihn gefangen.
  2. Er beschließt darüber, ob ein Verfahren anhängig gemacht werden soll.
  3. Die Untersuchung, gegebenenfalls die Tortur, wird durch aus dem Rate bestimmte Personen geleitet.
  4. Ist das Schuldbekenntnis erfolgt, beschließt der gesamte Rat, ob der Verbrecher vor das Gericht gestellt werden soll oder nicht.
  5. Das Urteil spricht der Rat; im allgemeinen wird das Urteil von einem auswärtigen Schöppenstuhl oder der Juristenfakultät einer Universität eingeholt.
  6. Nach erfolgtem Bekenntnis und nach erfolgter Festsetzung der Strafe konstituiert sich das öffentliche Vogteigericht. Ihm gehören der Vogt als Vorsitzender und zwei Schöppen aus dem Ratskollegium als Beisitzer an. Das Gericht wird öffentlich vor dem Weinkeller gehegt.
  7. Hier erfolgt die in bestimmten Formeln vor sich gehende Verurteilung des Angeklagten.
  8. Der Verurteilte wird dem Scharfrichter übergeben. –

Die seit 1546 gänzlich in den Händen des Rates liegende Rechtsprechung geschah meist weise und milde. In einem späteren Kapitel wird von den Strafverfahren und Exekutionen in der Reichsstadt Nordhausen zu sprechen sein.[15] Nur einige wenige Verbrechen, unter denen die Allgemeinheit besonders zu leiden gehabt hatte, wurden mit raffinierter Grausamkeit gesühnt. Im allgemeinen jedenfalls war man in Nordhausen, vielleicht mehr als anderwärts, zu Milde und menschlichen Strafen geneigt. Beugungen des Rechts kamen wohl vor, wie es bei der Rechtsprechung einer so kleinen Stadt mit allen möglichen Bindungen und Verwandtschaften unausbleiblich ist; doch überschritten die Fälle nicht das Maß des Erträglichen. Im großen und ganzen fürchtete man doch die öffentliche Meinung und verfuhr unparteiisch und kam dadurch der in den kaiserlichen Lehnbriefen immer wiederkehrenden Forderung nach, zu verfahren: „gegen den Reichen als den Armen, den Armen als den Reichen, auch darin nicht ansehen weder Liebe, Leid, Mut, Gabe, Gunst, Furcht, Freundschaft, Feindschaft noch sonst keine anderen Sachen, denn allein gerechtes Gericht und Recht, inmaßen das gegen Gott den Allmächtigen an dem jüngsten Gericht zu verantworten.“ –

Noch bedeutsamer als die Vogtei war für die Stadt das Schulzenamt. Der Kampf um seine Kompetenzen ging deshalb noch heftiger, wurde aber bis ins 16. Jahrhundert hinein von der Stadt so gut wie erfolglos geführt, weil das mächtige Sachsen im Besitze dieses Amtes war.

Nach der Umbildung des Rates im Jahre 1375, nachdem die Zünfte das Regiment an sich gerissen hatten, fühlten diese neuen, doch mehr aus dem niederen Volke stammenden Herrenschichten die Hoheit des Schulzenamtes umso mehr, als hier noch ein Stück alter, feudaler Zeit offenbar unangetastet und vor den Zugriffen der Stadt durch größere auswärtige Mächte geschützt, bestand. Aber auch wirtschaftliche Verhältnisse traten, mehr noch als im 13. Jahrhundert, hinzu, daß man das Schulzenamt als unzeitgemäß erachtete. Hatte das 13. und beginnende 14. Jahrhundert ganz allmählich die Geldwirtschaft heraufgeführt, so entfaltete erst gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts überall in deutschen Landen das Bürgertum seine Blüte. Trotz aller Ungunst der Verhältnisse, trotz der zerfallenden kaiserlichen Macht, trotz der vielen Fehden mit großen und kleinen Adligen setzte sich das Bürgertum doch siegreich durch. Und auch das Nordhäuser Bürgertum, stolz auf seine Leistungen, wehrhaft eintretend für seine Freiheiten und Rechte, rüttelte und schüttelte an der alten Überlieferung und wollte überkommene Fesseln abstreifen. Besonders in Erscheinung trat dieser Kampf der Bürgerschaft gegen den Schultheißen seit Beginn des 15. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts war das Schulzenamt in Händen derer von Mühlhausen. Da scheint nun der Schultheiß Hans von Mühlhausen sein Amt reichlich ernst genommen und dadurch die Bürger erbittert zu haben. Klagen wurden laut, der Schultheiß nehme zu hohen Zoll und lasse sich für seine Amtsgeschäfte teurer bezahlen, als festgesetzt sei. Was für ein modus vivendi in diesen Fragen gefunden wurde, steht dahin; nur soviel ist gewiß, daß es den Bürgern nicht gelang, dem Schultheißen auf diesen Gebieten Rechte abzutrotzen, denn zu eindeutig und klar waren hier seine Befugnisse umschrieben.

Anders dagegen war es bei den Eingriffen in die Marktgerichtsbarkeit des Schultheißen. Hier konnten die Kompetenzen nicht so abgegrenzt werden, da der Schultheiß das Recht „beim Rate borgte“. Es war schon Brauch geworden, daß der Rat nicht nur bei einzelnen schwierigen Rechtsfällen um sein Urteil angegangen wurde, sondern daß er es dem Zivilgericht zur Pflicht machte, von ihm den Spruch einzuholen. 1424 gab Hans von Mühlhausen nach und bekundete dem Rate ausdrücklich, daß er nur durch den Rat „für Recht erkannte“. Um aber die Gerichtsbarkeit selbst allmählich in die Hände zu bekommen, änderten damals auch die Bürger die alte Taktik, den Schultheißen gegen den Vogt auszuspielen, und beriefen sich nun auf alte Vogteirechte gegenüber dem Schulzenamte. Das Amt des Vogts war längst völlig bedeutungslos geworden und nicht mehr zu fürchten; jetzt galt es also, unter Hinweis auf die Kompetenzen des Vogts die des Schultheißen an sich zu bringen. Auch hierbei kam das Gerichtsverfahren, wie es üblich war, der Bürgerschaft zu statten. Für alle auf dem Markte vorkommenden Vergehen hatte ja der Schultheiß die Voruntersuchung, und erst wenn die Schuld feststand, wurde der Verbrecher dem Vogte zugeführt, ein Verfahren, über dem Nordhausen bisher eifrig gewacht hatte. Jetzt wollten die Bürger auf Grund der alten Bestimmung jeden Marktfrevel von vornherein vor das völlig von ihnen abhängige Gericht des Vogtes ziehen, den Schultheißen als Strafrichter ausschalten und sich selbst die Strafgerichtsbarkeit zulegen. Und als der Schultheiß dagegen Verwahrung einlegte, beschwerten sie sich darüber, daß der Schultheiß diejenigen dem Gerichte entziehe, „die das Gericht verdient hätten“. Immerhin wurde auch hier die Feste nicht im Sturm genommen, und es blieb dabei, daß vor dem Schulzengerichte, allerdings nach Einholung des Urteils vom Rate, Recht gesprochen wurde.

Ebenso wurde schon damals gegen das Geleitrecht des Schulzen Einspruch erhoben; jahrelang übernahmen die Bürger den Schutz der Reisenden und Hausierer innerhalb des Stadtgebietes selbst und steckten dafür das Geleitgeld ein. Und genau so umkämpft wie das Geleitrecht war das auf den ältesten Befugnissen des Schultheißen beruhende Recht der Führung des Grundbuches und der Ausstellung von Hypothekenbriefen. Hierin erreichten die Nordhäuser schon vor 1424 einen Teilerfolg, indem der Graf von Stolberg einen Vergleich zustande brachte dahinlautend, daß sowohl dem Rate wie dem Schultheißen das Recht zustehen solle, die Eintragungen vorzunehmen: ... als ist solcher irthumb gütlichen abgeteidingt, also das der Schultheiß und der Rath zu Northausen von beyden teylen widder abverkundigen lassen, und solche gebot solten von beyden teylen gantz abe sein, sundern wer fort mehr über hauß ader erbe brive geben ader nehmen wyll, das magk er thun vom Rathe ader Schultheißen, von welchen er wil, inmassen als hievor.[16] Daß durch diesen Vergleich tatsächlich der Rat die Aufsicht über die Grundstücke und ihre Belastung bekam, ist klar, denn es wird fortan wenig Bürger gegeben haben, denen es einfiel, nun die Eintragung beim Schultheißen vornehmen zu lassen.

Schließlich spitzten sich die Verhältnisse so zu, daß die Bürger in der Mitte des 15. Jahrhunderts in offenem Widerstand gegen den Schulzen standen. 1445 zwangen sie Heinrich von Mühlhausen die Stadt zu verlassen. Er flüchtete zu seinem Oberherm Elerzog Wilhelm von Sachsen, und dieser verlangte kategorisch seine Wiederaufnahme und eine namhafte Entschädigung. Die Städte Erfurt und Mühlhausen vermittelten in dem Konflikt; gemäß ihrem Schiedsspruch kehrte der Schultheiß zurück, und Nordhausen mußte ihm 16 Schock alter Groschen bezahlen.[17] ^Damals belehnte Sachsen Ritter, die in der Nachbarschaft der Stadt ansässig waren, mit dem Schulzenamte; diese sollten dem Schultheißen offenbar Rückhalt gegen die Stadt gewähren. Doch den Schulzen, die sie einsetzten, ging es nicht viel besser als ihren Vorgängern. Der Schultheiß Hans Kornmann mußte sehr schnell abberufen werden, und seinen Nachfolger Hans Kling ereilte bald dasselbe Geschick. Sachsen war teilweise selbst daran schuld, denn es übertrug gerade damals, am 9. Oktober 1448, der Stadt auf zwei Jahre eins der wichtigsten Schulzenrechte, nämlich die Münze für 400 Gulden. Doch sofort kam es zu Mißhelligkeiten, so daß Sachsen die Münze schon im Januar 1449 zurücknahm. Nunmehr übernahmen die sächsischen Rittergeschlechter das Schulzenamt selbst, damit das Amt „bie macht blibe“, wie der Herzog schrieb. 1454 übernahm Hermann von Weither selbst das Schulzenamt, und 40 Jahre lang führten nun die Schulzen ein strammes Regiment. Und nicht bloß die Bürger mußten Sachsens Hoheitsrechte anerkennen, sondern auch gegen andere Übergriffe wurden die Rechte Sachsens energisch verteidigt. So wagte es der Schultheiß Hans von Breitenbach 1484 sogar, einen Ministerialen der Grafen von Honstein namens Claus Walther, der widerrechtlich im sächsischen Hoheitsgebiete Zoll eingenommen hatte, gefänglich einzuziehen und trotz der Reklamation der Honsteiner nicht freizugeben. Sachsen belobte seinen Schultheißen wegen dieses Vorgehens und befahl ihm, den Inhaftierten erst nach bezahlter Buße aus der Haft zu entlassen. Doch Hans von Breitenbach (1482-1490) scheint den Bogen überspannt zu haben. Gerade unter seinem Regiment begannen neue Angriffe der Bürger gegen das Amt einzusetzen. Man warf ihm vor, er habe Zoll erhoben, ehe die Ware in der Stadt abgesetzt gewesen sei, er habe auch zuviel Zoll verlangt, z. B. für einen Marktscheffel (12 Scheffel) Hafer 2 Pfennige, während diese Summe erst für eine Fuhre zu entrichten sei. Ebenso habe er den Kleinverkauf z. B. mit Käsen und Nüssen zu hoch besteuert, ein Vorwurf, der sich ganz persönlich gegen den Schultheißen richtete, da er den Zoll für diese Waren für sich vereinnahmte; auch auf Kleider, die in Nordhausen angefertigt würden, lege er einen Zoll. Schließlich halte er sich auch als Gerichtsherr bei Inhaftierungen nicht an die Bestimmungen und nehme Pfändungen unrechtmäßig vor.

Diese offenbaren Übergriffe nahm die Stadt ihrerseits zum Anlaß, die Rechte des Amtes anzutasten. Seit 1488 beanspruchte sie wieder das Geleitrecht, seit 1490 sabotierte sie die Zolleinnahmen. Da wich Sachsen dem Druck und berief Hans von Breitenbach ab. Doch seine Nachfolger konnten sich nun gar nicht mehr durchsetzen. Pfändungen, die der Gerichtsbüttel vornehmen wollte, wurden von der Stadt verhindert. Klagen ließ der Rat nicht vor das Schulzengericht gelangen, sondern entschied selbst über sie, ja, Befehle des Schultheißen wurden einfach vom Rate aufgehoben. Schließlich, es geschah in den Jahren 1492 und 1495, entzog man dem Schultheißen seine ältesten Vorzugsrechte und bestritt ihm die Steuerfreiheit, die Befreiung vom Wachtdienste und das Recht, ohne Abgaben Bier zu brauen.

Um des aufsässigen Nordhäuser Rates Herr zu werden, übertrug Sachsen das Schulzenamt wieder einem Adelsgeschlechte der Umgebung, den Wurmbs auf Furra, zwischendurch wurde auch der tatkräftige Hans von Breitenbach einmal wieder zum Schulzen ernannt. 1503 drohte Georg von Sachsen mit energischen Schritten; in dem Schriftstück, das damals an den Rat von Nordhausen gelangte, hieß es: „Damit an Euch kein Mangel der Billigkeit erscheine, verlangen Wir, daß Ihr dem Gerichte Beistand leistet, damit unsere Gerechtigkeit geschützt, gehandhabt und bekräftigt werden möge.“

Die Bürger gaben nach, bis dann die Reformation mit ihren Umwälzungen und der unrechtmäßigen Aneignung vieler Titel und Rechte dazu verlockte, die Schulzenrechte wieder anzutasten. In diesen Jahren war ein Mann namens Leonhard Busch Schultheiß, dem die Bürgerschaft Schwierigkeiten bereitete und den wir als letzten Schultheißen betrachten können, der nicht nur dem Worte nach, sondern noch tatsächlich Hoheitsrechte über Nordhausen ausübte.

1520 ließ sich der Rat von Nordhausen zunächst dahin vernehmen, der Schultheiß gehe in Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit vom Rate zu Lehen. Er begründete das damit, daß Nordhausen als Reichsstadt „merum et mixtum imperium“ ( die unbedingte Oberhoheit) in seinem Hoheitsgebiete innehabe, deshalb auch das Aufsichtsrecht über das Schulzenamt besitze und nur die Verwaltung vom Kaiser an Sachsen übertragen sei. Damit begann ein 18jähriger Kampf um das Schultheißenamt. 1523 versuchten die Bürger in die Münzgerechtsame des Schultheißen einzugreifen. Ein Jude war dabei betroffen worden, wie er falsche Münze unterzubringen suchte, und der Rat legte ihm deshalb eine Geldstrafe auf, obwohl die Sache vor das Schulzengericht gehörte. In den folgenden Jahren tasteten dann die Bürger eigentlich sämtliche Rechte des Amtes an. Der Rat gewährte unter Ausschaltung des Schulzen Schuldenerlaß oder -aufschub, er bestritt dem Schulzen das Recht, Hypothekenbriefe auszustellen, er zog Vergehen gegen die Marktordnung vor sein Forum und bemächtigte sich auf diese Weise der Zivilgerichtsbarkeit. Dann ging er daran, seine Bürger von den Lasten zu befreien: Er bestritt die Oberaufsicht des Schultheißen über die Handwerker und gestattete diesen, nicht mehr ihr Zeitgeld (jährliche Abgabe) zu entrichten, auch ließ er zu, um die Einfuhr zu erleichtern, daß 11 in der Umgebung liegende Dörfer keinen Zoll mehr zu bezahlen brauchten. Schließlich wandte er sich gegen die wesentlichsten Hoheitsrechte des Schultheißen, um wirklich zum Ziele des schon lange behaupteten meri et mixti imperii zu gelangen: Er nahm dem Schultheißen die Verleihung des Bürgerrechts und bestritt ihm die Besteuerung der Erbzinsgüter. Begünstigt wurden diese Versuche der Bürger, sich von lästigen Fesseln zu befreien, noch dadurch, daß Sachsen das Amt 1530 für kurze Zeit an Nordhausen verpfändete. Als dann Leonhard Busch nach Ablauf dieser Frist seine Tätigkeit als sächsischer Schulze wieder aufnahm, führte er nichts mehr als den Namen eines Schultheißen; ein Recht war damit nicht mehr verbunden. Da griff denn Sachsen doch noch einmal energisch ein. Herzog Georg von Sachsen ordnete eine eingehende Untersuchung über die Gerechtsame und die Zuständigkeit des Schulzenamtes an. Das führte zur Ausarbeitung des sogenannten Schulzenbuches vom Jahre 1538. Es wurde eine Kommission von einigen Ratsdelegierten und zwei Vertretern des Herzogs eingesetzt, nämlich Melchior von Kutzleben und Georg Vitzthumb, Amtmann zu Sachsenburg. Diese vertieften sich nun eingehend in das Schulzenbuch aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts sowie in die späteren Akten, in denen bei Streitfällen um den Wirkungsbereich des Amtes die Entscheidungen niedergelegt waren. So entstand das neue Schulzenbuch, das im wesentlichen eine Abschrift des alten war, erweitert um einige Zusätze, und das damit die Bürger eigentlich um alle ihre schwer erkämpften Erfolge brachte.

Nur einige wenige und geringfügige Konzessionen machte die neue Ordnung: Hypothekenbriefe durften auch vom Rate aufgesetzt werden, bei Schuldforderungen durfte gemäß einem Nachtrag der Schultheiß für das Recht des Klägers erst eintreten, wenn diesem vom Rate sein Recht verweigert war; und die Urteilssprüche der Schöffen des Zivilgerichts, die sie selbst nicht finden konnten, mußten sie vom Rate erborgen.[18] Damit der Rat sofort sein Urteil fällen könne, hatte der Schultheiß die Verpflichtung, dem Rate 8 Tage vor der Gerichtssitzung die Akten zur Einsicht zugehen zu lassen. Wir sehen: Es sind alles Zugeständnisse, die zwar die Gerichtshoheit Nordhausens erweiterten, die aber nur dort gemacht wurden, wo mit ihnen keine nennenswerten Einnahmen verbunden waren. Überall wo das Schultheißenamt befugt war, Gelder einzustreichen, nahm Sachsen alle früheren Rechte voll in Anspruch. Starke Beschränkungen seiner Hoheit, wie es die Abgaben für die Verleihung des Bürgerrechts durch den Schulzen, die Abgaben der Zünfte und ähnliches waren, und ziemlich lückenlose Beaufsichtigung des Handels durch die Erhebung des Zolls und die Aufsicht über die Münze mußte sich Nordhausen gefallen lassen auf Grund des neuen Schulzenbuches, welches alte, z. T. in Vergessenheit geratene Rechte wieder zu Leben erweckt hatte. Was zwei Jahrhunderte ertrotzt und errungen hatten, war mehr oder weniger dahin. Unter dem Einfluß der neuen Zeit erhob sich die Macht der Fürsten, erste Anzeichen des Heraufkommens absoluten Regiments kündigen sich hier auch in der Nordhäuser Geschichte an. Mit der Erringung wirklicher Reichsfreiherrlichkeit und Souveränität für Nordhausen schien es aus zu sein; alles deutete eher darauf hin, daß Nordhausen eine sächsische Landstadt würde. Wie dann aber gerade die ehrgeizige Politik Moritz’ von Sachsen dieses Äußerste verhinderte und Nordhausen seine Reichsfreiheit behielt, gehört einem späteren Kapitel an.[19]

Während des ganzen 15. Jahrhunderts war die königliche Gewalt so gut wie ausgeschaltet; unter Friedrich III. schienen sich die Reichseinheit, die Reichswehrmacht, das Reichsrecht überhaupt völlig aufzulösen. Die Teilgewalten, Fürsten und Städte, hatten den Sieg davongetragen. Im Zeichen der Geldwirtschaft, des Söldnerwesens und des Schießpulvers bahnte sich der Absolutismus an, die Entwicklung ging dahin, daß Deutschland in einzelne Teilreiche zerfiel. Nur der Macht der Beharrung und den Bemühungen Maximilians gelang es, das totsieche Reich noch 300 Jahre am Leben zu erhalten.

Die Reichseinheit! Zwei außerordentlich kluge Gedanken Maximilians bewahrten das Reich vor der gänzlichen Auflösung. Der eine war, die Städte mit ihrer zahlreichen Bevölkerung mehr als bisher am Reiche zu interessieren. Deshalb verschaffte ihnen der König 1489 eine Vertretung auf den Reichstagen; neben den Kurfürsten und Fürsten nahmen sie fortan, die dritte Kurie oder Bank bildend, an den Reichstagen teil. Die andere Maßnahme Maximilians, die das Reich zusammenhielt, war die Einteilung Deutschlands in 10 überterritoriale Kreise 1512 auf dem Reichstag zu Köln. Wurde dadurch die Sonderentwicklung der einzelnen Stände und Länder auch nicht völlig unterbunden, so wurden die in einem Kreise zusammengeschlossen und gemeinsame Tagungen abhaltenden Territorien doch immer wieder daran erinnert, daß sie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengehörten. Wie bedeutsam diese Kreiseinteilung Maximilians war, lehrt auch die Geschichte Nordhausens recht gut. Nordhausen wurde dem niedersächsischen Kreise zugeschlagen. Dadurch wurde eine jahrhundertlange Entwicklung unterbrochen. Hatte es bisher politisch und wirtschaftlich durchaus zu Thüringen geneigt, hatte es bisher zwei Jahrhunderte hindurch im engsten Bündnis mit Erfurt und Mühlhausen gestanden, so lockerten sich nun allmählich die alten Beziehungen durch die neue Verbundenheit mit dem Norden. Hatte die Stadt schon immer gewisse Beziehungen auch zu Goslar und Braunschweig gehabt, so wurden diese jetzt enger und herzlicher, und neue Beziehungen, z. B. zu Lüneburg, traten hinzu. Nur die Tatsache, daß das Land ihres Schutzherrn, des Herzogs von Sachsen, dem obersächsischen Kreise angehörte, verband die Stadt auch noch mit dem Süden. Doch anstelle des langsam erlahmenden Erfurt trat immer mehr das aufblühende Leipzig.

Die Reichs Wehrmacht! Wie es um diese aussah, haben wir zur Genüge bei dem Hussitenkriegen gesehen. Und hier scheiterten alle wohlgemeinten Reformen Maximilians so gut wie ganz. Die „Reichsarmee“ war und blieb das Gespött der ganzen Welt. Da halfen keine Reichstagsbeschlüsse, die den Territorien den „gemeinen Pfennig“ auferlegten, da halfen keine Anforderungen von Bewaffneten, die nach dem Verhältnis der Kopfzahl der Bevölkerung zu stellen waren, da half nichts mehr gegen die Unlust, Gut oder Blut für das Reich aufzubringen.

Zahlreiche Mandate des Königs auch an Nordhausen zeigen seine unablässigen Bemühungen, aber auch deren Erfolglosigkeit. Am 29. Juli 1489 wurden ganze 2 Reiter und 7 Fußsoldaten von Nordhausen verlangt, also wenig genug, doch keine Quelle bezeugt, daß die paar Mann wirklich gestellt seien. 1490 gelangte derselbe Befehl an Nordhausen; die Mannschaften sollten im Türkenkriege Verwendung finden. Nordhausen versprach statt der Truppen Geld, zahlte aber nicht, so daß der König 1492 mahnen mußte. Im April dieses Jahres bequemte sich die Stadt endlich zur Hergabe von 650 Gulden anstelle von 5 Reitern und 15 Fußsoldaten für den Krieg mit Frankreich. 1496 sollte als Reichsumlage der „gemeine Pfennig“ in Höhe von 150000 Gulden erhoben werden. 430 entfielen davon auf Nordhausen; es bezahlte tatsächlich aber nur 200, und das war im Verhältnis zu anderen deutschen Staaten schon allerhand. Gänzlich fruchtlos blieben des Kaisers Mahnungen in den nächsten Jahren, so daß sich Maximilian am 27. Oktober 1506 herbeiließ, der Stadt ausführlich die schlimme Lage des Reiches zu schildern. Wir glauben nicht, daß die Stadt daraufhin etwas anderes tat, als das Rundschreiben zu den Akten zu nehmen. Und so ging es weiter: Jahr für Jahr Gesuche um Truppen oder Geld, und Jahr für Jahr verhallten die Bitten ungehört. Im wesentlichen konnte sich der Kaiser allein auf seine eigene Hausmacht verlassen und mit dieser allein die Reichspolitik durchführen. Kann man es Österreich da verdenken, daß es allmählich Hauspolitik statt Reichspolitik zu treiben begann?

Das Reichsrecht! Hier nahm man die Reformen Maximilians etwas williger auf, da sie mit weniger Opfern verknüpft waren. 1495 ward auf dem Reichstage zu Worms das Reichskammergericht geschaffen, dessen Entscheidungen in den folgenden Jahrhunderten zwar nicht immer von den einzelnen Ländern geachtet wurden und dessen Apparat äußerst langsam und schwerfällig arbeitete, das aber doch besonders für kleinere Staaten wie Nordhausen von wesentlicher Bedeutung war und das mit dazu beitrug, dem Fehdewesen ein Ende zu bereiten. Auf dem Gebiete der Strafjustiz schuf dann Maximilians Nachfolger Karl V. 1533 die Halsoder Peinliche Gerichtsordnung, die allenthalben in Deutschland Anerkennung fand und auch für Nordhausen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts als Strafgesetzbuch in Geltung war. Andere Ordnungen, z. B. die Reichshandwerksordnung, trugen weiterhin dazu bei, ein wenn auch noch so loses Band um die deutschen Länder zu schlingen.

So bereitete sich mit Beginn des 16. Jahrhunderts nicht nur auf Grund der unbewußten Entwicklung des westeuropäischen Kulturkreises, sondern auch auf Grund bewußter menschlicher Eingriffe allenthalben in Deutschland eine neue Orientierung vor, in politischer und wirtschaftlicher Beziehung. Unvergleichlich entscheidender für Deutschlands, Europas, der Menschheit Schicksal wurde aber die Bewegung auf geistigem Gebiete, die Luthersche Reformation. Ehe wir jedoch ihre Wirkung betrachten, müssen wir noch ein Bild vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben in dem Nordhausen des 15. Jahrhunderts gewinnen.




  1. Urkunden in Nordhäuser Archiv.
  2. Das interessante Kapitel „Nordhausen und die Hanse“ ist bisher noch nicht behandelt worden. Vergl. Hanseatisches Urkundenbuch, vor allem VI. 347, 624. VI. 586, 1053, 1066. Bemmann, Die Hanse und die Reichsstadt Mühlh. i. Th., Hansische Geschichtsbl. 1910. Ulrich Kleist, Die sächsischen Städtebünde zwischen Weser und Elbe im 13. und 14. Jahrh. Zeitschrift des Harzvereins 1892, 1 ff. Die tüchtige Arbeit umfaßt im wesentlichen nur ein Stück des Nordharzes.
  3. Vgl. Gebser, Bündnisse, Schutz- und Dienstverträge der Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen. Göttinger Dissertation 1909.
  4. Lesser, Chronik, 466. Förstemann, Chronik, 286 nach Cyracus Spangenberg.
  5. Vergl. Förstemann, Chronik, 296. Meyer, Honstein 37 ff. Lemke, Walkenried, 33. Botho zu Stolberg, Gesch. des Hauses Stolberg 179 ff. Zu der oben angezogenen Stelle vergl. Förstemann, 298. Hier hat Förstemann ein sinnentstellendes Komma gesetzt, weshalb die Stelle aus dem Fehdebuche wiedergegeben ist. Vergl. Neue Mitteilungen, VIII 4. 124.
  6. Vergl. Lemcke, Nordh. Familienblätter, 1887, Nr. 98-100, Hartung Cammermeister, ed. Reiche, Halle 1896.
  7. Hanseatisches Urkb. VI: 350.
  8. Vergl. Michelsen, Rechtsdenkmale aus Thüringen, 238 ff. E.G. Förstemann, Urk. Nachrichten über Verhandlungen westf. Femegerichte mit Nordhausen. Zum letzten Fall vergl. Frommann, IV. 895.
  9. Vergl. Hanse-Recesse VIII. 458. - G. Schmidt, Beiträge zu der Gesch. der Hussitenkriege; Forschungen zur deutschen Geschichte VI. 1866. Botho v. Stolberg, a.a.O., 225 f.
  10. Siehe unten Kapitel 8.
  11. lat. cingulum; cingere umgürten, umgeben; vergl. umzingeln.
  12. Vergl. Hoche, Vollständige Geschichte der Grafschaft Honstein; Halle 1790. Botho von Stolberg, Geschichte des Hauses Stolberg, besonders 361 ff. Meyer, Die Nordhäuser Stadtflur, Festschrift 1920. - Die Grafen treten ab: 1) alle Gerichtsbarkeit über Hals und Hand, sowie die niedere in dem versteinten Flurbezirk. 2) Das Recht, darin Befestigungen, namentlich Gräben und Zindeln anzulegen. 3) Das Recht der freien Jagd und des Vogelfangs, dagegen sollen die Grafen ihre Rechte am Frauenbergkloster behalten und die Bürgerschaft 4004 Gulden an die Grafen in Heringen entrichten. Damit sollte aller Unfriede aufgegeben sein. Das Kirchhofholz gehörte zum Gericht der Grafen, aber das Weidwerk durften die Nordhäuser ausüben. - Die Frommannschen handschriftlichen Aufzeichnungen bringen zahlreiche Hinweise.
  13. Vergl. Botho von Stolberg, Geschichte des Hauses Stolberg.
  14. Nachrichten in den handschriftlichen Aufzeichnungen von Frommann.
  15. Siehe unten Kapitel 11.
  16. Neue Mitteilungen, V. 3. 53.
  17. Neue Mitteilungen, V. 3. 54.
  18. Neue Mitteilungen, V. 3. 51; vom Komment.
  19. Urkunden über Vogtei und Schulzenamt im Ndh. Archiv unter II. S. a. 1-15. Manches bringen auch die Handschriften von Frommann und Filter.