Das Nordhäuser Innungswesen
Kapitel 7.
Nordhausens innere und äußere Politik
im 15. Jahrhundert.
Wir haben gesehen, daß nach der Revolution vom Jahre 1375 eigentlich sämtliche Einrichtungen beibehalten wurden; nur neue Männer waren gekommen; der Rat setzte sich nicht mehr aus den alten Geschlechtern zusammen, sondern im wesentlichen aus Zunftmitgliedern. Diese gaben fortan dem städtischen Leben das Gepräge; es wurde bürgerlicher, handwerksmäßiger. Nordhausens Politik wurde weniger kraftvoll, aber auch weniger gefahrvoll, der ganze Lebenszuschnitt wurde weniger auf das Wagen als auf das Wägen eingestellt. Wie der Handwerker als Standesangehöriger sein gutes Auskommen hat, aber gewohnt ist, mit dem Pfennig zu rechnen und bedächtig ans Werk zu gehen, so tat er es nunmehr auch als Inhaber der Staatsgewalt. Man steckte sich keine hohen Ziele mehr, aber man erlitt auch keine Verluste. Man suchte nicht mehr Ruhm und Ehre in der großen Welt, sondern suchte sein täglich Brot und war treu im Kleinen. Die Ruhe, die Selbstgenügsamkeit, die Treue des Handwerkers beherrschte die ganze Stadt. Diese Welt des Handwerkers gilt es deshalb hier zu betrachten. Schon im vorigen Abschnitt, wo wir von den Befugnissen des Rates zu sprechen hatten, konnten wir das Gebaren der Handwerker und ihren Einfluß auf die städtische Verwaltung beobachten. Hier gilt es nun aber, den Handwerker bei seinen Lebensgewohnheiten selbst und bei seiner Arbeit aufzusuchen, und dieses Bild von seiner, des herrschenden Standes Lebenshaltung wird nicht unwesentlich dazu beitragen, ein Bild von Altnordhausen überhaupt zu gewinnen. Da sich aber im Gegensatz zu den wenigstens wirtschaftlich alleinstehenden und allein handelnden Angehörigen der Geschlechter das gesamte für die Öffentlichkeit wichtige Leben des Handwerkes in seiner Organisation, in seiner Innung abspielte und er nur durch diese Bedeutung gewann, müssen wir diese Innungen betrachten und ihr Wesen und Wachsen, wenn wir das Wesen und Wachsen des Handwerkers verstehen wollen. Handwerker fanden sich schon in der ersten historischen Siedlung auf Nordhäuser Boden, in dem alten fränkischen Reichshofe am Frauenberge. Ein Kapitulare Karls des Großen verfügte, daß jeder Reichshof mit Schmieden, Schustern, Bäckern, Zimmerleuten u. a. besetzt werden sollte. Handwerker übten auch auf der sächsischen curtis dominicalis, auf dem Wirtschaftshofe, ihre Tätigkeit aus. Hier muß es auch in der langen Zeit von 900-1200 schon zu Zusammenschlüssen unter ihnen gekommen sein; doch waren diese Vereine, wie man sie nennen kann, noch weit davon entfernt, Innungen zu sein. Gleichgesinnte, Gleichstrebende schlossen sich zu gemeinsamen Vergnügungen und Unterhaltungen zusammen; es bildeten sich die sogenannten Trinkstuben. Ganz von selbst ergab es sich dann aber, daß man sich bei solchen Zusammenkünften auch über Angelegenheiten des Gewerbes unterhielt, Erfahrungen austauschte, Streitigkeiten zu schlichten suchte, wirtschaftliche Erfolge und Nöte besprach. Kaum wird man in der ältesten Zeit politische Fragen erörtert haben. Die Handwerker des Wirtschaftshofes waren Unfreie, und da sie noch keinen Vergleich zwischen ihrem Leben und dem Leben freier Gewerbetreibender ziehen konnten, waren Gelüste nach politischer Selbständigkeit oder gar politischer Macht ausgeschaltet. Erst seitdem in der Mitte des 12. Jahrhunderts freie flandrische Weber herbeizogen und sich neben einigen freien Bauern und Kaufleuten auch andere freie Handwerker niedergelassen hatten, begannen sie sich zu regen. Doch kann man von einer Entwicklung der Handwerker zu Nordhausen in dieser Beziehung bis zum Jahre 1220 kaum sprechen, obwohl in anderen deutschen Gemeinwesen, besonders in den westdeutschen Städten, schon straff organisierte Zusammenschlüsse bestanden. Auch die Einfachheit des ganzen Lebenszuschnittes in dem kleinen Nordhausen ließ die Bedeutung der Handwerker noch zurücktreten. Bis 1220 haben wir in Nordhausen noch durchaus die geschlossene Hauswirtschaft, wie sie der Frankfurter Wirtschaftshistoriker Bücher nennt. Seife, Kerzen, Webwaren, Netze, Tischlerarbeiten fertigte noch jeder Haushalt selber an; jedenfalls war der Umsatz gering. Andere arbeiteten nur für einen kleinen Kreis von Abnehmern; der bei weitem größte unter diesen blieb noch lange der Wirtschaftshof, welcher Schmiede, Gerber, Drechsler, Schilderer beschäftigte. Ganz allgemein für Deutschland wurde um 1200 diese geschlossene Hauswirtschaft von der geschlossenen Stadtwirtschaft abgelöst; bei Nordhausen können wir den Ausgang auch für diese Entwicklung auf das Jahr 1220 festlegen. Seitdem bildete Nordhausen mit seiner Umgebung einen Wirtschaftsorganismus. Aus dieser näheren Umgebung der Stadt stammten die meisten mercatores, Händler, Brauer und Krämer; mit dem Lande standen sie in Zusammenhang. Hierher bezogen sie ihre Rohprodukte, das Korn, den Flachs, die Wolle, den Hopfen. Ihre Selbständigkeit und ihre Wohlhabenheit zeichnete sie vor den anderen Gemeindemitgliedem aus. Burgenses, Bürger nannten sie sich allein und betonten ihre Sonderstellung den übrigen gegenüber. Sie fühlten sich als die Gefreundten, als die Geschlechter, sie fühlten, daß sie durch Standes- und Interessengemeinschaft verbunden waren. So kam es unter ihnen zu einem ersten festeren Zusammenschluß. Aber auch dieses Band, das sie alle umschloß, war nichts weniger als eine Zunft; im Gegenteil, der Drang des einzelnen nach Freiheit gerade in wirtschaftlicher Beziehung war so groß, daß er nicht selten gegen die gemeinsamen Interessen verstieß. Ihr Zusammenschluß war mehr hervorgerufen durch die Anmaßung nach unten, gegen die Handwerker und Unfreien, und durch die Abwehr nach oben, gegen die Ritter der Burg, als durch den Wunsch, wirtschaftliche Interessen unter sich zu fördern. Sie waren es, die den Reichsministerialen den städtischen Rat abtrotzten, sie waren es, die die Gewerbetreibenden möglichst am Boden halten wollten. Unterdessen hatten nämlich die Handwerker von den Geschlechtern gelernt, was man politisch erreicht, wenn man zusammenhält. Das war der Grund, weshalb sie sich im Laufe des 13. Jahrhunderts zu festeren Verbänden zusammenfanden. In dieser Beziehung hat Below recht, wenn er sagt, der Zusammenschluß sei erfolgt zur Ausübung des Zunftzwanges. Danach wären also die Zünfte nur eine Weiterentwicklung der alten Trinkstuben. Und dennoch haben wir auch in diesen Korporationen noch nicht das vor uns, was wir eigentlich als Zunft bezeichnen. Zur Bildung solcher Zünfte kam der Anstoß nicht von den Handwerkern selbst, sondern von den einflußreichen Geschlechtern, die im Rate saßen. Zwei Gründe bewogen diese Geschlechter dazu. Der erste war wirtschaftlicher Natur, der Markt nämlich erzeugte das Bedürfnis nach Zünften. Wie die Ministerialen zur Beherrschung und Beaufsichtigung des Marktes der wohlhabenden Händler bedurft hatten, so bedurften die Händler dazu der Gewerbetreibenden. Diese allein waren die Sachverständigen, wenn es sich darum handelte, die Ware auf den Bänken des Marktes oder in den Werkstätten der Handwerker zu kontrollieren. Wir haben schon oben gesehen, daß unter Mitwirkung von Handwerkern Gesetze für Fleischer, Gerber, Goldschmiede und dergl. entstanden, daß unter Teilnahme von Gewerbetreibenden eine Preisregulierung stattfand, um Produzenten und Konsumenten gerecht zu werden, daß unter Zuziehung von Handwerkern die Beaufsichtigung fremder Händler und ihrer Ware erfolgte.[1] Eine solche Mitwirkung am Markte konnte aber nicht so erfolgen, daß die Geschlechter diesen oder jenen Handwerker, dessen Fähigkeiten sie gar nicht kannten, herausnahmen und mitbestimmen ließen, sondern das mußten die einzelnen Gewerke selber tun. Damit war deren Zusammenschluß zu einer eigentlichen Zunft gegeben. Der andere Grund, um dessentwillen die Geschlechter eine straffere Organisation der Gewerbe begünstigten, lag auf politischem Gebiete. So scharf sie sich auch von dem niederen Volke abheben wollten, so sehr verbanden sie doch gemeinsame Interessen mit diesem gegen die feudalen Adligen. Sie allein konnten deren Niederzwingung und Vertreibung nicht durchsetzen; dazu bedurfte es der großen Masse des Volkes. Daß mit Hilfe dieser Kleinbürger die Zerstörung der Burg und die Vertreibung der Tyrannen kurz vor dem Jahre 1280 gelungen ist, beweisen die Handwerker, die kurz nach 1280 zwar nicht als vollberechtigte Ratsmitglieder, aber doch als Berater der Geschlechter in autoritativer Stellung erscheinen. Auch diese politischen Verhältnisse haben die Zünfte mitschaffen helfen. Allein aus sich heraus, wie Below meint, haben sich die Handwerker also nicht in Zünften zusammengefunden, sondern die Ämter, welche sie im Markt und in der Polis erhielten, haben wesentlichen Anteil an der Bildung dieser Korporationen. In dieser Beziehung hat Keutgen durchaus recht. Nur darf man nicht vergessen, daß der erste Zusammenschluß, den man aber noch nicht als Zunft bezeichnen kann, allerdings der eigenen Initiative der Handwerker zuzuschreiben ist.[2] Die wichtigsten und ältesten Gewerbe waren die, welche für den täglichen Bedarf arbeiteten: die Bäcker, die Fleischer, die Schuhmacher. Dazu traten auch in Nordhausen schon sehr früh die Weber. Viele von diesen kamen um die Mitte des 12. Jahrhunderts vom Rhein und aus Flandern und siedelten sich außerhalb der damaligen Stadtumfriedung am Nordfuße des Petersberges an. Sie kannten aus ihrer Heimat auch schon den Vorzug straffen Zusammenschlusses und ahmten ihn nun in Nordhausen nach. Schon 1149 erhielten in Köln die Weber den Stiftungsbrief für ihre Zunft. Zu diesen ersten Gewerben, die sich zusammenfanden, traten dann allmählich die anderen: die Kürschner, Schmiede, Becherer, Filzer, Knopfmacher, Sattler, Böttcher. Mit fortschreitender Entwicklung des Handwerks kam es zu immer weiteren Abspaltungen von den ursprünglichen Gewerben. Man erreichte dadurch im Mittelalter ähnliches wie heute durch die Maschinenarbeit: möglichst genaue, möglichst schnelle, möglichst billige Arbeit, nur daß in der Neuzeit viele Maschinen nebeneinander tätig sind, bis ein Stück fertig ist, während im Mittelalter derselbe Mensch auf möglichst beschränktem Arbeitsgebiete ein Ganzes von Anfang bis zu Ende bearbeitete. Früher erzielte man schnelle und billige Fabrikate durch Teilung der Arbeit dem Stoffe nach, heute erzielt man sie durch Teilung der Arbeit den Arbeitern nach. – Die Handwerker waren also im 13. Jahrhundert in strenger Abhängigkeit gehalten worden, hatten sich dann im Laufe des 14. Jahrhunderts wirtschaftliche und politische Rechte erkämpft, nachdem sie durch den Zusammenschluß in Zünften ihren Angriffen Wucht und Stoßkraft verliehen hatten, und hatten sich schließlich 1375 der Herrschaft in Nordhausen bemächtigt. Die vornehmen Geschlechter waren von der Mitregierung ausgeschlossen worden, nur auf dem Umwege über die Zunft konnte ein Bürger in den Rat gelangen. Die 9 einflußreichsten und an Zahl stärksten Zünfte stellten die Mitglieder des Rates. Es waren so gut wie sämtlich nur Bürger, die dem sogenannten Mittelstände angehörten. Eine größere Kapitalbildung verhinderten sie durch ihre eigenen Zunftgesetze; nur wo ein Zunftmitglied auch Braugerechtsame besaß, konnte es mit größeren Einnahmen rechnen. Doch war auch der Handel mit Bier beschränkt, da festgesetzt wurde, daß innerhalb der Stadt jährlich niemand mehr als 20 Fuder, in den Vorstädten niemand mehr als 10 Fuder Bier brauen durfte. Auch das Quantum Braugerste, das zum Einbrauen zugelassen war, unterlag Bestimmungen sowie die Zeit, in welcher gebraut werden sollte. Dennoch waren die Zünfte, die von vornherein zum Markte und seiner Beaufsichtigung herangezogen wurden, weil sie lebenswichtige Gewerbe vertraten, bei weitem besser gestellt als diejenigen Berufe, die nicht am Markte teilhatten. Diese gingen aller wirtschaftlichen und politischen Rechte verlustig und waren nur als Tagelöhner angesehen. Zu ihnen zählten die Zimmerleute, Maurer, Erdarbeiter. Erst seit Ausgang des 16. Jahrhunderts, erst, seit man stattlichere Häuser baute, die berufstechnisch vorgebildete Arbeiter verlangten, kam ein Gewerbe wie das der Zimmerleute in Nordhausen zu Ansehen. Völlig für unehrlich galten die Barbiere und Leimmacher sowie die niederen Stadtangestellten, die Schäfer, Pfeifer, Feldhüter, Gossenkehrer, Scharfrichter. So hatten sich die Zünfte gebildet. Welche Stellung zur Stadt und zur Allgemeinheit nahmen sie ein, welche Lebensformen schufen sie sich? Die Geschichte des Nordhäuser Innungswesens umfaßt die Zeit von 1300-1800, also 500 Jahre. Einen so langen Zeitraum in einem einzigen Bilde einzufangen, ist immer mißlich. Denn naturgemäß ist ein stetes Werden und Wachsen vorhanden, und die Zustände, die für die Anfangszeit gelten, haben sich am Schlüsse gänzlich verändert. Nicht selten können gerade kulturhistorische Schilderungen eben deshalb nur recht bedingt Anspruch auf historische Treue erheben, weil sie die Entwicklung unberücksichtigt lassen. So muß es auch als ein bedenkliches Unterfangen erscheinen, das Nordhäuser Innungswesen vom 14. bis 18. Jahrhundert in einem einzigen Kapitel zu behandeln. Und dennoch ist das hier möglich, weil sich kaum etwas Konservativeres als das Zunftwesen und seine Verfassung denken läßt. Eine ganz ähnliche Auffassung von Beruf, Lebenshaltung, Stellung zur Umwelt wie um 1300 findet sich noch um 1800. Mit der fortschreitenden Technik kommt es wohl zu Anpassungen, aber die Organisation des Zunftwesens und seine Geltung innerhalb des Staatsganzen bleiben fast unverändert. Deshalb besteht hier in der Tat nicht die Gefahr zu starken Zusammenlegens. Wo aber durch neu auftretende innerpolitische Strömungen kleine Wandlungen festzustellen sind, sollen sie nicht unberücksichtigt bleiben. Zu den wichtigsten und lehrreichsten Betrachtungen führt die rechtliche Stellung der Innungen im Staate; deshalb soll auch hier zunächst die Eingliederung der Innungen in das Staatsganze erörtert werden. Manches, was schon oben bei den Auseinandersetzungen über die Befugnisse des Rates Erwähnung gefunden hat, muß dabei ergänzt werden; vor allem liegt hier auch der Blickwinkel ganz anders: Während dort vom Wesen des Marktes, seiner Organisation, den Aufsichtsbehörden die Rede war, sind hier die Zünfte und ihre Verfassung in den Mittelpunkt gerückt. Die oberste und ursprünglichste Behörde für das wirtschaftliche Leben Nordhausens war ja der Schultheiß als Wahrer des Marktfriedens und Inhaber der Zivilgerichtsbarkeit. Deshalb stand ihm auch die Aufsicht über alle Gewerbetreibenden zu. Diese entrichteten alljährlich kleine Gebühren an ihn als ihren Aufsichtsbeamten. So berichtet das alte Schulzenbuch, daß die Kaufleute oder Gewandschnitter 10 Schillinge, den Schilling zu 9 Pfennigen, die Knochenhauer 20, die Kürschner 10, die Bäcker 6, die Filzer 7, die Weber 4, die Leineweber 6, die Schuhmacher 30, die Schmiede 4, die Krämer 3 1/2, die Becherer 2 Schillinge an den Schultheißen zu entrichten hatten. Beinahe 250 Jahre später, im Jahre 1538, waren die Abgaben fast genau dieselben, nur die Becherer, die Anfertiger von hölzernen Trinkgefäßen, fehlen, weil sich der Beruf überlebt hatte; die Schneider sind mit 3 Schillingen hinzugekommen, die Krämer geben jetzt 4 Schillinge statt 3 1/2. Auch für die Buden auf den Märkten zahlten die Handwerker den Schultheißen ein kleines Standgeld, und nach den beiden Jahrmärkten hatten ihm einzelne Zünfte pflichtgemäß Geschenke darzubringen, z. B. die Bäcker Semmeln. Doch in der Zeit, wo mit der auf steigenden Geldwirtschaft das Bürgertum seine Einrichtungen, d. h. also hier die Organisation der Gewerbe, ausbildete, waren die Befugnisse des Schulzen schon fast sämtlich an den Rat übergegangen. Seit 1290, also seit dem Aufkommen der Zünfte in Nordhausen überhaupt, war deshalb der Rat ihre eigentliche Aufsichtsbehörde. Und das mit Recht; denn der Rat hatte sie ja erst mit derartigen Eigenschaften ausgestattet, daß sie zu wirklichen Zünften, d. h. zu Vereinen mit amtlichen Befugnissen geworden waren. Wenn nun aber auch aus geselligen Vereinen erst in dem Augenblicke Zünfte entstanden waren, wo diese Organisationen öffentlich rechtliche Aufgaben zuerteilt bekommen hatten und unter ihrer Mitarbeit allgemein verbindliche Erlasse gegeben wurden, so kann doch nie von einer Nebenregierung der Zünfte in der Stadt die Rede sein. Niemals war es etwa so, daß die Innungen von sich aus für die Allgemeinheit maßgebende Beschlüsse hätten fassen können, es war selbst niemals so, daß sie sich ohne Rücksicht auf die Staatsgewalt allein für ihre Organisation hätten bindende Gesetze geben können. Im Gegenteil, je bedeutungsvoller eine Innung durch ihr Gewerbe für die Allgemeinheit war, je wichtiger es deshalb auch war, welche Verfassung eine solche Innung für die Gesamtheit der Bürger hatte, umso lebhafter interessierte sich die Behörde für sie und ließ sich keinen Augenblick das Recht nehmen, der Zunft selbst in ihre eigensten Angelegenheiten dreinzureden. Zu keiner Zeit konnten in Nordhausen die Zünfte ihre Beschlüsse ohne Beaufsichtigung des Rates fassen. Gewiß ist während des ganzen Zeitraumes von 500 Jahren die Haltung des Rates gegenüber den Zünften Schwankungen unterlegen; sein Aufsichtsrecht behielt er dennoch stets. Im 14. Jahrhundert bewahrte sich der Rat eine besonders starke Stellung und kontrollierte nicht nur ständig die Aufgaben der Innungen für die Allgemeinheit, sondern wachte auch eifersüchtig über sein Recht, Statuten und Privilegien zu genehmigen oder durch eigene Erlasse umzugestalten. Im 15. und 16. Jahrhundert, in der Blütezeit des Zunftwesens, ist dann ein Nachlassen dieser Bevormundung, ist ein Eingehen auf die Wünsche der Berufsorganisationen, manchmal bis zur Schädigung der Staatsinteressen, zu beobachten, bis seit dem 17. Jahrhundert, vor allem aber im 18. Jahrhundert wieder ein schärferes Zugreifen des Rates eintrat und dieser sich nicht scheute, Beschlüsse der Zünfte, die der allgemeinen Wohlfahrt abträglich waren, aufzuheben, oder aber, wo sich die Korporationen auf alte Privilegien stützen konnten, bei Verstößen einzelner Bürger gegen die Zunftordnungen gern die Augen zuzudrücken. Damit war dann die Überleitung zu der schließlichen Aufhebung der Zünfte zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegeben. Doch selbst in den Zeiten ihres größten Einflusses konnten sie nur unter Aufsicht und mit Genehmigung des Rates handeln. Als 1375 der Rat im wesentlichen aus Handwerkern gebildet wurde, kamen die Ratsherrn zwar als Mitglieder ihrer Innungen in den Rat, galten aber hier nicht als Vertreter derselben, sondern hatten als Vertreter der Gesamtheit der Bürgerschaft ihres Amtes zu walten. Natürlich sahen diese Ratmänner von Innungs Gnaden schon zu, daß ihre Berufsgenossen nicht zu kurz kamen; da aber 9 Zünfte dem Rate angehörten, die teilweise in scharfer Konkurrenz zueinander standen, war schon dafür gesorgt, daß die Vertrauensleute einer einzigen Zunft nicht zum Schaden der Allgemeinheit ihren Willen durchsetzten. Und wenn auch unzweifelhaft nach 1375 der Zuschnitt der ganzen städtischen Verwaltung durch die Innungen bedingt war, so hatten die beiden Innungsmeister für die Interessen ihrer Innung selbst doch kaum größere Bedeutung als zuvor. Gewiß war die Zunft dürch ihre beiden Ratsherrn von Einfluß auf das ganze politische Leben der Stadt, - durch die Gesamtheit ihrer Mitglieder aber war sie es nach wie vor nur auf das wirtschaftliche Leben, und zwar nur so weit dieselben Fachleute waren. Sie leisteten nur Hilfe bei der städtischen Selbstverwaltung, wo dieser die Beamten oder sonstigen Organe fehlten. Eigentlich waren in dieser Beziehung die Innungen nichts weiter als unsere heutigen städtischen Deputationen, in die ja auch einerseits durch die städtischen Körperschaften, andererseits durch die Bürgerschaft diejenigen der Bürger hineingelangen, denen man ein besonderes fachmännisches Urteil oder Interesse zutraut, so daß sie den Magistrat und die Stadtverordneten bei der Verwaltung der Stadt beraten können. Wie aber heute den städtischen Körperschaften jederzeit die Revision der Deputationsbeschlüsse zusteht, so konnte auch damals der Rat jederzeit Stellung zu den Urteilen der als Fachberater herangezogenen Handwerker nehmen. Dabei ergab es sich ganz von selbst, ohne daß es rechtlich festgelegt zu werden brauchte, daß hier der Rat seine Autorität stark geltend machte, dort wiederum die Zunft selbständig bestimmen und anordnen konnte. Bei dieser Tätigkeit der Innung für die Allgemeinheit kann man leicht drei Stufen unterscheiden und dementsprechend auch bei der Beaufsichtigung des Rates über die Innung. Wo die Innungen einschneidende Maßnahmen für die gesamte Bevölkerung vorzunehmen hatten, behielt sich der Rat stets ein unbeschränktes Revisionsrecht vor, wo zweitens die im städtischen Ehrendienst tätigen Handwerker als Sachverständige in reinen Gewerbesachen ihr Urteil abgaben, hielt sich der Rat meist, aber nicht immer an die Gutachten der Innung gebunden, wo schließlich die Innungsgenossen rein technische Aufgaben ihres Gewerbes, welche die Allgemeinheit nicht berührten, zu lösen hatten, ließ der Rat sie gänzlich gewähren. Dasselbe war naturgemäß der Fall, soweit sich die Innung Gesetze gab, die nur ihr Eigenleben betrafen; auch hier hielt sich der Rat möglichst zurück. Jedesmal da, wo die Innungsmitglieder im Dienste der Allgemeinheit standen, wachte der Rat zu allen Zeiten streng über die Innung. Wo also die Innungen zur Beaufsichtigung des Marktes herangezogen wurden, etwa zur Prüfung von Maß und Gewicht oder zur Überwachung der Fertigfabrikate, handelten sie wohl im Auftrage des Magistrats, aber doch stets unter seiner Kontrolle. Häufig, besonders wenn die Gutachten nicht über offen ausliegende Waren abzugeben waren, delegierte der Rat auch eines oder mehrere seiner Mitglieder, die zusammen mit den Handwerkern die Überprüfung vorzunehmen hatten. So mußten z. B. die Böttcher in Anwesenheit von zwei Ratmännem vierteljährlich die Fässer in den Brauhäusern „besichtigen und rechtfertigen“. Natürlich war der Rat besonders aufmerksam auf die Lebensmittelgewerbe. Bäcker und Fleischer standen deshalb unter seiner schärfsten Aufsicht. Damit die Stadt in Zeiten der Not, wenn etwa draußen der Feind lagerte oder Pestilenz einen Verkehr mit dem Lande unmöglich machte, nicht Hunger litt, gebot der Rat schon sehr früh, schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts, den Bäckern, stets darauf zu sehen, daß sie genügend Brot auf ihren Bänken hätten. Ließ es ein Bäcker daran fehlen, so fiel er in die hohe Strafe von 5 M Silber. Ebenso war den Knochenhauern geboten, immer frisches Fleisch bereitzuhalten. Beide Innungen mußten auch einen besonderen Eid schwören, der für wichtig genug gehalten wurde, daß ihn die Statuten aufnahmen. Die Bäcker schwuren: daz wir dy Innunge (Innungsgesetze) nach der stad eynunge (allgemeine Gesetze der Stadt) woln bewaren, so wir best kunnen, daz allirmelch an brot redelichen kouff gebe und daz in den beugen (Bänken auf dem Markte) nicht brotes gebreche zcu kouffe, an (ohne) arglist, daz swöret ir, daz uch got ezo helffe und dy heiligen. - So lautete der Bäckereid um 1400; einen ähnlichen mußten die Fleischer schwören. Ja, die Aufsicht des Rates in den ältesten Zeiten ging sogar so weit, daß ursprünglich er und nicht die Innung das Innungsrecht verlieh, damit ihm immer tüchtige Fachberater zur Seite standen. Erst im Laufe des 14. Jahrhunderts mit dem vermehrten Einfluß der Handwerker auf die städtische Verwaltung übernahm die Innung die Verleihung, doch behielt sich der Rat immer die Bestätigung vor. Jeder, der Meister geworden war, mußte sich dem Rate vorstellen, „wie es hier in den Gilden üblich ist“. Und in den Artikeln der Fleischer heißt es: und sol kein meister in die bennke dretten, die handwergsmeister haben in den (ihn denn) für ein erbar radt gestellet. Deshalb bestimmte auch schon eine alte Satzung, daß, wer sich seines Innungsrechtes begibt und es wiederhaben will, dem Rate und nicht etwa seiner Innung 2 M Silber zahlen muß. Doch die Überwachung der Innung durch den Rat ging noch dadurch weit über eine bloße Kontrolle der Innungsmitglieder hinaus, daß die Behörde ihren Einfluß auch auf den Nachwuchs der Innung, auf Lehrjungen und Gesellen, ausdehnte. Der Allgemeinheit mußte daran liegen, daß ihr möglichst tüchtige Handwerker zur Verfügung standen, und deshalb war es das Bestreben des Rates, recht viele fähige Knaben einer Zunft zuzuführen. Die Zünfte wiederum strebten danach, möglichst wenige zum Handwerk zuzulassen, um die Konkurrenz auszuschalten; und von den wenigen bevorzugten sie auch wieder nicht die besten, sondern diejenigen, die schon Angehörige in der Zunft hatten. Nun konnten ja zwar die Zünfte gegen die Aufnahme von unbescholtenen Bürgersöhnen nichts einwenden, so ungern sie auch manchmal das Hineindrängen in die Zunft sahen; umso mehr war es aber ihr Bestreben, jeden, an dem ein Makel zu haften schien, auszuschalten. Schon sehr früh versuchten sie deshalb, die Zunft für uneheliche Kinder zu sperren. Demgegenüber erließ im 14. Jahrhundert der Rat noch den Befehl: Eynen jungen, der da unelichen geborn ist, den mag man wol lere an eime iclichen hantwerke. Allerdings blieb für das uneheliche Kind immer noch eine gewisse Erschwerung bestehen, insofern durch die abgelegten Lehrjahre noch nicht gesagt war, daß der betreffende als Meister zugelassen zu werden brauchte. Dazu mußte er erst ein Haus und das Bürgerrecht erwerben. Seit dem 15. Jahrhundert setzten die meisten Innungen überhaupt durch, daß uneheliche Söhne nicht einmal mehr die Lehre antreten durften. Nur die Böttcher ließen solche Kinder noch zu, doch auch diese strebten danach, sie auszuschließen. Da aber griff der Rat ein und verbot eine solche Beschränkung. Das war aber erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Aufklärung und französische Revolution schon auf den Sittenkodex eingewirkt hatten. Doch sieht man immerhin an dieser Haltung des Rates, daß er jederzeit großzügiger dachte und handelte als die einzelne Zunft. Aber auch die Überwachung der Behandlung der Gesellen in den Innungen ließ der Rat sich nicht nehmen. Und er tat recht daran; denn nicht selten suchten die Meister ihre Stellung gegen Lehrlinge und Gesellen über Gebühr auszunutzen. Bei den Gesellen versuchten die Meister, auch wieder um möglichst die Konkurrenz auszuschalten, vor allem die Anfertigung des Meisterstücks zu erschweren. Um das zu erreichen, schlugen beispielsweise die Böttcher im 18. Jahrhundert ein recht merkwürdiges Verfahren ein. Sie fanden sich, wenn ein Geselle sein Meisterstück anfertigte, Tag für Tag in der Werkstatt ein, setzten sich zu ihm, plauderten und tranken und hielten ihn in jeder Weise von der Arbeit ab oder suchten zu bewirken, daß durch die Ablenkung allerhand Fehler in die Arbeit hineinkamen und er dann die Prüfung nicht bestand. Konnten sie dennoch die Herstellung des Meisterstücks nicht verhindern, so suchten sie, ehe der Geselle ihnen gleichberechtigt wurde, wenigstens möglichst viel aus dem armen Teufel herauszuschlagen. Er mußte sie freihalten; sie würfelten und tranken, während er arbeitete; und der Geselle, um sie sich gewogen zu erhalten, mußte die Zeche bezahlen. Da griff denn doch der Rat in diese erbaulichen Zustände am 17. Oktober 1768 energisch ein. Der Rat übte also zum Wohle der Öffentlichkeit die Beaufsichtigung über die Zünfte aus. Als nun seit 1375 die Zünfte selbst in den Rat eingezogen waren, mußte er, um sich selber rein zu halten, nicht selten sogar die Ratswahl der Zünfte überwachen. Oft genug wählten die 9 ratsfähigen Gilden nämlich ihre beiden Ratsgefreundten nicht nach fachlichen Gesichtspunkten aus, sondern die Innungsmitglieder suchten aus ihrem Wahlrecht alle möglichen unsauberen persönlichen Vorteile herauszuschlagen. Sie ließen sich von den Ratskandidaten für das Versprechen, sie zu wählen, Gelder und andere Vorteile versprechen und schädigten auf diese Weise sowohl das Ansehen des Rates wie das ihrer Innung aufs schwerste. Unzählige Male mußte der Rat gegen solche Handlungsweise einschreiten und schärfste Maßnahmen gegen den Bestechenden wie den Bestochenen anwenden. Jahrhundertelang unterband er auch dadurch dergleichen Machenschaften; erst um 1700, als die Verwilderung in den herrschenden Kreisen Nordhausens aufs höchste gestiegen war, half kein Verbot mehr. Da mußte erst das stadtfremde Geschlecht der Riemanns Remedur schaffen. Hatte der Rat, wenn auch zu verschiedenen Zeiten in verschiedenem Umfange, auf die einzelnen Mitglieder der Zünfte Einfluß, so bewahrte er diesen auch auf die Verfassung der ganzen Zunft. So unterlagen nicht nur die Gesetze, die das Verhalten der Zunftgenossen zur Öffentlichkeit regelten, seiner Aufsicht, sondern auch alle Bestimmungen, welche die Meister für das innere Leben ihrer Zunft trafen, erforderten wenigstens seine Genehmigung und konnten von ihm jederzeit revidiert werden. Zu allen Zeiten übte der Rat die Polizeiaufsicht über die Zünfte aus. So hatten die Krämer eins der ältesten Zunftprivilegien, das wir überhaupt kennen, im Jahre 1325 vom Rate erhalten, welches besagte, daß die Krämer nur in einer bestimmten Straße zusammenwohnen durften, und welches für ihren Handel ganz bestimmte Waren festsetzte. Oder weiter: wenn eine Innung ihre Statuten abänderte, so erhielten die neuen Artikel erst nach Bestätigung des Rates ihre Geltung, wie z. B. 1584 der Rat den Knochenhauern zwei Nachträge zu ihren Gesetzen genehmigte. Auf diese Weise konnte sich auch das internste Leben der Innungen den Eingriffen des Rates nicht entziehen. Das ging so weit, daß der Rat den Schuhmachern bei 5 Talern Strafe gebieten konnte, nach dem Umtrünke auf ihrem Schuhmacherhause sofort nach Hause zu gehen, nicht etwa auf der Straße zu randalieren oder die Festlichkeiten in noch festlicherer Stimmung an anderen Stätten fortzusetzen. Diese Bestimmung stammt freilich erst aus dem Jahre 1778, aus der Zeit der Juristenherrschaft. Und 1785 mußte der Rat nochmals gegen die trinkfreudigen Schuster eingreifen. Es war allerdings am 27. Juni, also zu heißer Sommerzeit, wo 4 Tonnen Bier im Gildehause aufgelegt worden waren und dieses Quantum für die durstigen Seelen keineswegs ausreichen konnte. Bei der gehobenen Stimmung der zechenden Meister befand man am Herrentische zwar für gut, daß des Umtrunkes genug sei; doch da kamen die Meister Bock junior, Vogt, Herbothe, Brachmann und Braune an den Herrentisch, nahmen den Handwerksmeistern ihr Bier weg und schütteten es in die eigenen Kannen. Darob entstand nun ein solcher Tumult im Hause, daß sich ein Volksauflauf vor dem Schuhhofe bildete. Wegen dieses Ärgernisses griff dann der Rat ein; die aufsässigen Meister mußten vor versammeltem Rate Abbitte tun und eine Geldstrafe entrichten. - Die überschäumende Fröhlichkeit der Schuster machte dem Rate überhaupt öfter zu schaffen. Als sich die Innung bei ihrem uralten Feste unter der Merwigslinde zu großer Ausgelassenheit befleißigte, mußte der Rat im Jahre 1736 das Fest aufheben. Ebenso mußte der Rat gegen die Bäcker im Jahre 1753 einschreiten. Er erließ deshalb vier Verordnungen, deren wesentlicher Inhalt bestimmte: 1. Sie sollten sich bei ihren Zusammenkünften auf dem Bäckergildehause jedesmal friedsam, still und sittsam aufführen. 2. Sie sollten gegen die Herrn und Handwerksmeister diejenige Bescheidenheit und Gehorsamkeit bezeigen, welche ihre Schuldigkeit erforderte. 3. Sie sollten an dem Tische und dem Orte, wohin jeder gehörig, verbleiben und sich ruhig verhalten. 4. Sofern der eine oder andere von den Herrn und Handwerksmeistern vorgefordert oder wenn bei diesen von ihnen etwas anzubringen sein möchte, sollten sie vor dem Hermtisch erscheinen und dasjenige, was ihnen vorgetragen oder von ihnen angebracht wird, mit Bescheidenheit anhören oder vorstellen, überhaupt sich dabei so aufführen, wie es die Wohlanständigkeit eines jeden vernünftigen und sittsamen Bürgers ohnedies erfordert. Im Übertretungsfalle drohte der Rat Geldstrafen an: „Hiernach hat ein jeder mehrbemeldeter Bäckerinnung sich zu achten!“ Von allen diesen Eingriffen des Rates in das innere Leben der Zünfte hören wir allerdings erst im 18. Jahrhundert, wo die Riemanns begannen, mit dem alten Schlendrian einigermaßen aufzuräumen. Übrigens war noch ein Unterschied in der Behandlung der 9 ratsfähigen Gilden und der anderen Zünfte durch die Behörden vorhanden. Die ratsfähigen Gilden besaßen größere eigene Rechte und nahmen dem Rate einen Teil seiner Polizeigewalt über die Zunft ab. So heißt es in den Satzungen der Krämer: Ein Handwerg der Kramer ist eines der Handwerge, daraus man Rath und Rethe bestätiget. Deshalb ist es mit dem „ Gehorsam “ privilegieret. Die vier Handwergsmeister haben Macht, Rath und Handwergs wegen Gehorsam zu gebieten jedem, der in der Gilde ist und ihnen Gehorsam gelobt. - Doch auch über diese Zünfte besaß der Rat die polizeiliche Oberaufsicht. Das geht auch daraus hervor, daß der Rat für Strafen, die von der Zunft verhängt waren, Appellationsinstanz war. Oft genug nämlich kamen unter den Innungsbrüdem Reibungen vor. Dafür sorgte schon der Konkurrenzneid. Nicht selten wurde den Meistern einer Zunft nachgesagt, sie hätten die Strafen über ihre Kollegen nicht nach sachlichen, sondern persönlichen Motiven verhängt. Dann ging man an den Rat. Um aber zu vermeiden, daß solche Einsprüche zu oft erfolgten und dadurch dem Ansehen der Zunft Schaden erwüchse, auch um den Rat vor Überlastung mit kleinlichen Querelen zu bewahren, wurde bestimmt, daß die den Zunftgenossen auferlegte Strafe sich verdoppelte, wenn der Rat die Klage nicht annahm, sondern die Sache an die Zunft zurück verwies. Von dem dann fälligen Strafgelde erhielt der Rat die Hälfte, die andere zog die Zunft ein. Dennoch kamen ärgerlichste Streitigkeiten innerhalb der Zunft oft genug vor. Einer der größten Konflikte brach im Jahre 1705 in der Schuhmachergilde aus. Da wünschten am 16. April 1705 die Schuster aus den Vorstädten, die schlechter gestellt waren als die mitten in der Stadt, in der Schuhgasse, wohnenden Meister, das Recht zu erhalten, ihre Buden auch auf dem Markte aufschlagen zu dürfen. Schon 1625 und 1679 hatten sie dieses nicht unbillige Verlangen gestellt, doch widersprach diesem Wunsche der Artikel ihrer Statuten, „daß kein Schuh verkauft werden dürfe, als wo er gemacht sei, abgesehen von den beiden Jahrmärkten“. Da wollten nun die abseits Wohnenden in einer Zunftversammlung des Jahres 1705 ihre Forderung mit Gewalt durchdrücken. Nachher berichteten die Handwerksmeister der Zunft darüber an den Rat: „Bei neulicher Zusammenkunft der Gilde haben diese turbenten Meister sich nicht gescheut, wider Herkommen insgesamt vor den Herrentisch mit großem Ungestüm zu treten. Es hätte nicht viel gefehlt, daß sie uns Ältesten und Vorsteher der Schuhmachergilde nach den Köpfen gegriffen. Dabei haben sie öffentlich gerufen: ,Der Teufel soll Euch danken, daß Ihr uns zum Meisterrecht angenommen habt.‘“ – Also Aufruhr vor versammelter Mannschaft! Da mußte der Rat eingreifen. Ebenso hatte aber der Rat auch die Stellung der Innungen zueinander zu regeln. Auch hier nahm er seine Rechte in den verschiedenen Jahrhunderten verschieden wahr. Rücksichtslos griff er zum Wohle der Allgemeinheit im 14. und 18. Jahrhundert durch; mehr Entgegenkommen zeigte er in den dazwischenliegenden Zeiten. So mußte der Rat den Schiedsrichter spielen, als ein Streit zwischen Gewandschnittem und Wollwebern ausbrach. Es war ein altes Recht der bevorzugten Gewandschnittergilde, daß sie ihre Waren in den Kaufkammern des Rathauses feilhalten durfte. In diesen Gewandkammern wollten nun auch die Wollweber zugelassen werden. Doch da die alten Gerechtsame der Gewandschnitter dieser Änderung entgegenstanden, bestimmte der Rat, daß die Wollweber nie aus den Kammern selbst, wohl aber vor den Kammern verkaufen dürften, sonst sollten sie 1 M Silbers Strafe bezahlen, von der 2/3 den Gewandschnittem, 1/3 den Wollwebem zufallen sollte. - Mehrfach mußte der Rat auch Gelegenheit nehmen, in die Auseinandersetzungen der Krämer und der mit diesen in einer Zunft vereinigten Sattler einzugreifen. Welche Folgen solche Reibungen bei zwei in einer Gilde zusammengeschlossenen Gewerben haben konnten, ersieht man aus dem Streite der Schuhmacher mit den Lohgerbern, der dadurch entstand, daß die Schuster auch Rohleder verkauften, was die Gerber für sich allein in Anspruch nahmen. Der Rat versuchte dabei vergeblich eine Einigung und willigte schließlich 1734 in die Trennung der beiden Gewerbe. Bedeutende Schwierigkeiten für den Rat entstanden auch immer durch das Verhältnis der einheimischen Gewerbe zu fremden Handwerkern und Kaufleuten. Zum größten und folgenreichsten Konflikt zwischen einer Zunft und dem Rate kam es deshalb in den sechziger Jahren des 14. Jahrhunderts, als die Knochenhauer nicht mehr fremde Fleischer auf dem Markte zulassen wollten. Damals mußten bekanntlich nach öffentlicher Widersetzlichkeit der Knochenhauer 60 Familien der Zunft die Stadt verlassen. Später traf der Rat die Regelung, daß auf der einen Seite vor dem Rathause - der westlichen, während die Wollweber im Süden standen - sämtliche Nordhäuser Fleischer feilhalten sollten, ihren Fleischbänken gegenüber alle fremden Fleischer. Übrigens durfte hier nur das gute Fleisch verkauft werden, Eingeweide und Kutteln wurden auf dem Königshofe vertrieben. Daher der Name Kutteltreppe. Eine solche Maßregelung, wie sie damals die Knochenhauer traf, wagte der Rat später nie wieder vorzunehmen. Dadurch kam es, daß das laufende Publikum durch die Monopolstellung der einzelnen Zünfte schwer geschädigt wurde. Erst im 18. Jahrhundert vollzog sich in dieser Haltung des Rates ein bedeutungsvoller Umschwung. Diesen kann man am besten an der Einstellung der Stadtverwaltung zu der Krämerzunft verfolgen. Schon im 17. Jahrhundert wurde es für die wenigen einheimischen Krämer immer schwieriger, alle Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, bürgerte sich doch, nachdem die Entdeckung fremder Erdteile wirksam geworden war. fast Jahr für Jahr ein neues Kolonialprodukt ein. Zitronen, Gewürze, Kaffee, Zucker, früher kaum gekannte ausländische Waren, wurden vom Publikum immer mehr verlangt, und der Krämer konnte nicht immer die rege Nachfrage befriedigen. Ebenso war es mit den Modeartikeln aus Frankreich und England. Wie sollten sich die guten Nordhäuser Krämer über die neuesten Moden auf dem Laufenden halten und jederzeit die neuesten „englischen Manns Strümpfe“, die in einer Urkunde genannt werden, beschaffen! Dennoch gehörten dergleichen Waren „in die Krämerei“, und die Innung erhob sogleich beim Rate Beschwerde, wenn sich etwa ein Fremder einfallen ließ, den Vertrieb zu übernehmen, obwohl die Innung selbst den Artikel nicht führte. Da war denn der Rat nicht selten in arger Verlegenheit. Auf der einen Seite standen die unantastbaren Privilegien der Innung und die beiden Ratsherrn der Krämer im Rate, welche die Forderungen ihrer Innungsbrüder mit Eifer verfochten; auf der anderen Seite stand das offenbare und berechtigte Verlangen der Bevölkerung, sich mit solchen Waren versehen zu können, wobei die Hausfrauen der Herrn Stadtväter auch nicht selten ein energisch’ Wörtlein mögen mitgeredet haben. 1568 gaben die Privilegien der Krämer noch den Ausschlag. Damals hatte ein „Welscher“ mit dem guten deutschen Namen Klaus Kirchner seidene Borten zunächst am Neuen Wege, hernach in einem eigenen Hause am Königshofe feilgehalten. Die sich darüber beklagende Innung erhielt Recht, und Kirchner mußte seinen Laden schließen. 100 Jahre später, im Jahre 1656, war man doch anderen Sinnes geworden. Ein fremder Zuckerbäcker, der mit Kaffee und Zucker handelte, setzte sich zum größten Ärger der Krämer in Nordhausen durch. Noch schlimmere Eingriffe in ihre uralten heiligen Privilegien mußten sich die Krämer nach und nach aber dadurch gefallen lassen, daß seit Ausgang des 17. Jahrhunderts immer öfter der Grundsatz durchbrochen wurde, keine Krämerwaren dürften anderswo als in der Krämergasse verkauft werden. Lange Zeit stützte der Rat auch dieses Recht der Krämer, das sie 1325 bekommen hatten. Doch die Stadt hatte sich vergrößert; in den Vorstädten, im Grimmel, im Altendorf, auf dem Sande, in der Neustadt, am Frauenberge wohnten fast mehr Einwohner als in der Altstadt. Und alle mußten wegen einer Stange Süßholz in die Krämergasse laufen. Besonders fühlbar machte sich dieser Zustand, wenn eine Hausfrau abends bemerkte, daß sie eine Kleinigkeit beim Einkauf vergessen hatte. Und wenn es die Gewürznelken zur abendlichen Biersuppe waren, - sie mußten „in den Krämern“ geholt werden! Anderswo gab es keine, und durfte es keine geben. Das waren schließlich unhaltbare Zunftvorrechte. Bis ins 18. Jahrhundert hinein vermochten zwar die Krämer jeden fremden Händler, der sich einfallen ließ, sich in einer Vorstadt niederzulassen, erfolgreich zu bekämpfen. Dann aber sah der Rat solchem unstatthaften Handel immer mehr durch die Finger; denn hier hatten sich wahrlich Gesetz und Recht wie eine ew’ge Krankheit fortgeerbt. 1775 erlaubte der Rat schließlich offiziell, daß kleine Mengen Krämerwaren, bis zu 2 Loth Kaffee und bis zu 1/4 Pfund Zucker, in Kramläden am Neuen Wege und in der Neustadt geholt werden durften. Noch schärfer als auf solche Händler, die sich in der Stadt niederließen, achtete man auf Hausierer. 1545 vereinigten sich „die ehrbaren Räte einträchtiglich, daß kein Hausierer, es sei mit wesserlei Waren, in der Stadt soll gelitten werden, sondern von Stund an durch unseren Diener abgewiesen werden.“ Und doch fanden sie sich, besonders die Juden, in den Straßen und Herbergen immer wieder ein und wurden auch ihre Waren los. Ganz allgemein sah der Rat aber doch seit Beginn des 18. Jahrhunderts, daß viele der Innungsprivilegien nicht mehr in die Zeit hineinpaßten. Schwierig genug aber war seine Stellung gegenüber dem kodifizierten und zäh verteidigten Recht. Durch die Durchbrechung der Tradition hielten die Innungen ihr Dasein und das ihrer Mitglieder aufs Spiel gesetzt und wehrten sich bis aufs äußerste. Oft genug riefen sie deshalb über die Zuständigkeit des Rates hinaus die Entscheidung des Reichskammergerichts an, holten Urteile von Juristenfakultäten ein, führten die langwierigsten und kostspieligsten Prozesse um ihrer Vorrechte willen. Am meisten waren jederzeit die Krämer gefährdet, die alle möglichen Waren, welche schließlich jeder vertreiben konnte, im Handel führten. Als sie sich im Jahre 1681 neue Statuten gaben, bestimmten sie daher sogar in Artikel 12, daß, da die Krämer viel Prozesse mit großen Kosten führen müssen, jeder, der eine Krämerei anfängt, sogleich 3 Taler nur für gemeinschaftliche Prozeßkosten in die Innungslade bezahlen müsse. Ferner mußte schon 1691 jeder Krämer von einem Zentner Krämergut, das er von der Leipziger oder Braunschweiger Messe heimbrachte, 1 Groschen, 1714 gar 2 Groschen entrichten. 1736 hatten sie trotz mancher Prozesse 66 Taler 12 Groschen in ihrer Lade, die aber zu weiteren Rechthändeln nicht langten, so daß sie zu einer Sondersteuer ihrer Mitglieder gezwungen waren. Dem Rate, der seine Befugnisse geschmälert fühlte, war das Anrufen des Reichskammergerichts natürlich nicht genehm. Dennoch ließ er sich das eigentliche Aufsichtsrecht über die Innungen zu keiner Zeit nehmen. Das geht besonders aus gewissen Anerkennungsgebühren hervor, welche die meisten Innungen dem Rate zu entrichten hatten. So kam z. B. von den Lohgerbern dem Rate die Hälfte des Lehrjungengeldes zu und ebenso das von den Gesellen angefertigte Meisterstück. Es bestand in einem Feuereimer, den der Rat dann auf der Diele des Rathauses aufhing und zum Nutzen der Stadt verwendete. Doch auch Konventionalstrafen verlangte der Rat von den Innungen oder einzelnen ihrer Mitglieder. Hierbei kann man die Doppelstellung der Innung als bloßen Vereins und als Organs der Öffentlichkeit am besten erkennen. Hatte sich der einzelne nur gegen die Statuten seines Vereins vergangen, dann zog die Innung allein die Strafe ein. So geschah es wegen regelwidrigen Benehmens auf Kneipabenden, bei Besprechungen oder Festen, wegen Ungehorsams gegen die Gebote der Innungsmeister oder wegen Verstoßes gegen Verpflichtungen aller Art, wie sie z. B. die jüngsten Handwerksmeister bei Zusammenkünften oder Begräbnissen zu erfüllen hatten. Häufig bestanden dann die Strafen nicht in Geld, sondern in Wachs für Kerzen oder in Bier für die gemeinsamen Umtrünke. War wiederum nicht die Innung, sondern die Allgemeinheit geschädigt, so zog der Rat die Buße allein ein. Der Bäcker, der zu kleine Brote buk und dadurch das Publikum betrog, mußte dem Rate 1 M Strafe bezahlen. Und dergleichen Strafen wurden viele verhängt, von der 5 Schillingstrafe an, die den Krämer traf, der Messer teurer als 3 Heller verkaufte, bis zu der Strafe von 1 M Silbers und 1/2 Jahr Gefängnis, in welche der fremde Händler fiel, der außerhalb des Wagehauses kaufte und verkaufte, von den paar Groschen Strafe, welche die Lohgerber für das Firnissen der Schuhe mit Erde zu entrichten hatten, bis zu der Strafe von 1 M Silbers, die der Goldschmied, der nicht lötiges Silber verarbeitet hatte, bezahlen mußte. Waren schließlich sowohl Innung wie Publikum durch das Verhalten eines Handwerkers geschädigt, so teilten sich Rat und Innung in die Strafgebühren. Wer z. B. von den Bäckern durch Zugaben die Kundschaft anzulocken suchte oder besseres Roggenbrot als festgesetzt buk, fiel in die hohe Strafe von 8 M. Hiervon erhielt der Rat 4 M und die Zunft 4 M. Denn durch ein derartig schmähliches Vergehen, wie es das Backen zu guten Brotes war, fühlte sich mit Recht auch die Innung geschädigt, und in die Zunftlade floß deshalb das Geld. Trotz dieser unbedingten und unbeschränkten Aufsicht des Rates über die Innung waren diese dennoch für das wirtschaftliche Leben von allergrößter Bedeutung und besaßen in dieser Beziehung auch eine nicht zu unterschätzende Machtfülle. Wie heute die Handels- und Handwerkskammern die Behörden bei der Preisbildung, bei der Prüfung der Eignung, bei der Beaufsichtigung der Gewerbe unterstützen und beraten, so taten es früher die Innungen. Ja, ihre Befugnisse gingen deshalb noch weiter als die der heutigen wirtschaftlichen Organe, weil dem mittelalterlichen Staate irgendwelche Beamte hierfür durchaus fehlten. Die Innungen standen den Behörden keineswegs nur beratend zur Seite, sondern stellten ihre Mitglieder ehrenamtlich zur Verfügung. Diese wurden dadurch aus der reinen Interessengemeinschaft der übrigen Zunftmitglieder herausgehoben und bekamen gewissermaßen Beamtenqualifikation. Sie mußten auch dem Rate einen Eid leisten, daß sie nach bestem Gewissen nicht ihrer Innung, sondern der Allgemeinheit dienen wollten. Der Rat nahm diese im Ehrendienst der Stadt stehenden Handwerksmeister in Ordnungsstrafen, wenn sie etwa ihre Pflicht vernachlässigten; im allgemeinen wurden als Disziplinarstrafe vom Rate 10 Schillinge verhängt. Für ihre Tätigkeit lieh die Stadt diesen ihren wirtschaftlichen Aufsichtsbeamten zur Durchführung ihrer Anordnung ihre Diener oder stellte dieselben wohl gar der Innung zur Verfügung, wenn deren Rechte geschmälert schienen und deshalb eine Exekution nötig war. Um nur einige Beispiele anzuführen: die Bäckerinnungsmeister mußten im Auftrage der Stadt an den drei Märkten, dienstags, donnerstags und sonnabends, Brot und Semmeln auf Größe und Güte prüfen. Ebenso war es den Fleischerinnungsmeistem geboten, an den Markttagen das feilgehaltene Fleisch zu besichtigen, und zwar das ihrer Zunftgenossen und das der fremden Knochenhauer. Da aber die beiden Innungsmeister trotz aller Beamtenqualifikation die auswärtige Konkurrenz vielleicht nicht ganz fachlich behandelt hätten, waren ihnen zu der Besichtigung noch die Ratsherrn, die von den Fleischern dem Rate angehörten, auf ihrem Kontrollgange beigegeben. So heißt es schon um 1400: Ess solln ouch die zcwene uss deme hantwergke, die ime rathe sitzen mit yren hantwergksmeistern alle sunnabin und dinstage vorm koufhuse und in den schern (Buden) das fleisch besihe borgern und gesten. Selbst auf die Hausschlachtung erstreckte sich das Aufsichtsrecht, wie Artikel 6 der Knochenhauerstatuten des 18. Jahrhunderts zeigt: Welcher Bürger allhier ein Rind schlachtet, er sey wer er wolle, so soll das Rind nicht eher entzwey oder viertel weiss gehauen werden, es haben denn die Handwerksmeister der Knochenhauer-Gilde es besichtigt. Ähnliche Befugnisse über Kauf und Verkauf, auf offenem Markt und in der Werkstatt, über Einheimische und Fremde hatten die beiden Handwerksmeister jeder der Nordhäuser Innungen. Hier sei nur noch die Beaufsichtigung der Böttcher und ihrer Waren durch die Meister erwähnt, weil dieses Gewerbe für Nordhausen wegen seiner Brau- und Branntweinindustrie von größter Wichtigkeit war. Am 3. Februar 1428 wurde da festgesetzt: Kein Böttcher dürfte „weiß Holz“ für Eichenholz verarbeiten, sondern müßte Eichen für Eichen, Tannen für Tannen ausgeben. Wer sich dagegen vergangen hatte, wenn die „Vormunde“ Besichtigung hielten, mußte, weil er das Ansehen der Innung geschädigt hatte, jedesmal 1/2 Pfund Wachs zu Lichten der Zunft als Strafe geben. Ebenso mußten die Böttchermeister die Fässer auf ihre Größe prüfen und mit dem Eichstempel versehen. Alle Fässer, die in der Stadt verkauft werden sollten, mußten den Stadtadler erhalten zum Zeichen dafür, daß ihre Größe für richtig befunden war. Die Fässer mußten sämtlich 6 1/2 Eimer fassen, wobei 1/2 Stübchen mehr oder weniger, etwas mehr als 2 Liter, nichts schadete. Diejenigen Fässer, die nach außerhalb gingen, unterlagen dieser Prüfung nicht. Da es sich bei dieser Eichung um eine für die Öffentlichkeit sehr bedeutsame Angelegenheit handelte, wurden die Innungsmeister von zwei Ratsmitgliedern begleitet. Dasselbe geschah, wie 1457 festgesetzt wurde, bei der vierteljährlichen Nachprüfung der Fässer in den Brauhäusern. Damit eine ordnungsgemäße Überwachung gewährleistet war, mußten die übrigen Zunftgenossen den Anordnungen der kontrollierenden Meister unbedingt nachkommen; sonst fielen sie in eine Strafe, die je nach dem an die Innung oder an Innung und Rat gezahlt werden mußte. Nicht selten mag sich, besonders auf dem Markte, wo die anderen Kollegen dem Gemaßregelten leicht beispringen konnten, Widerspruch geregt haben. Deshalb bestanden ausdrücklich Gebote, daß sich keiner um die Vorgänge an anderen Verkaufsständen zu kümmern habe. Für die Knochenhauer lautete noch im 18. Jahrhundert Artikel 23: Wenn die Herrn und Handwerks-Meister im Scherren was zu tractieren und zu reden haben, so soll Meister und Meisterin, Meisters Sohn, Gesell oder Lehr junge dabey treten, es sey denn, daß er von den Herrn dazu ver langet wird; wer dawider handelt, gibt Straffe auf erkänntniss. Ebenso bediente sich der Rat bei Preisfestsetzungen der Zunftmitglieder als Sachverständige. Nur bei den lebenswichtigen Gewerben der Bäcker und Fleischer schrieb der Rat die Preise vor, doch offenbar auch nach Einholung von Gutachten. 1399 setzte der Rat für Brote fest:
1568 durften die Fleischer nehmen:
Die Aufsicht darüber, daß diese Preise inngehalten wurden, hatten die Innungsmeister. Schon bemerkt ist, daß die Dienstgewalt der Vertrauensleute des Magistrats sich' auch über fremde Händler erstreckte. Unter deren Konkurrenz hatten besonders die Krämer zu leiden. Schon im 14. Jahrhundert hatten sie deshalb vom Rate erwirkt, daß fremde Krämer nirgends in Straßen oder an Kirchen länger stehen durften als zwei Tage nacheinander. Die Aufsicht über die Befolgung dieser Bestimmung war den Krämern selbst überlassen. Wenn sich die Fremden ihren Geboten nicht fügten, konnten sie „nach ihrer Gewohnheit“ mit ihnen verfahren, wie es in den alten Statuten heißt. Als in späteren Jahrhunderten diese Selbsthilfe nicht mehr gestattet war, stellte der Rat den Krämern seinen Ratsbüttel zur Vertreibung der Hausierer zur Verfügung. Ähnlich wurden die Juden behandelt. Diese verkauften sehr gern Krämerwaren, vor allem Barchent, Zwillich, Zwirn, Seidentuch. Die Überwachung auch dieses wilden Handels stand den Krämerzunftmeistem zu; doch wenn sie einschreiten wollten, mußten sie sich an den Rat wenden. So geschah es z. B. 1684. Die Juden wurden überhaupt von Handwerkern und Kaufleuten recht unfreundlich bedacht. So hatten die Knochenhauer in ihren Statuten einen Artikel, der verbot, den Juden Fleisch zu verkaufen oder einen Juden anzulernen. Nun, zu Vegetariern sind sie ja trotz allem nicht geworden! Auf diese Weise standen also die Vertrauensleute der Innung, die Innungsmeister oder „Vormunde“, wie sie auch genannt wurden, unter der Oberaufsicht des Rates im Dienste der Allgemeinheit. Alles, was nun die inneren Angelegenheiten der Innung betraf, regelte diese selbständig, genau so wie etwa heute ein eingetragener Verein, nur daß die Ausübenden der einzelnen Gewerbe verpflichtet waren, diesem Vereine beizutreten. Die Innungen früherer Jahrhunderte waren sämtlich Zwangsinnungen. Wer ein Gewerbe treiben, wer als Handwerker das Bürgerrecht erwerben wollte, mußte einer Innung angeschlossen sein und sich ihren Gesetzen unterwerfen. Daraus entsprang, so sehr sie unter der Kontrolle des Rats standen, doch die große Macht der Innungen. Sie besaßen bei der Mangelhaftigkeit des Verkehrs und des Warenaustauschs durchaus eine Monopolstellung, und durch den Zwang, den sie auf ihre Mitglieder ausüben konnten, durch ihren Einfluß auf Umsatz und Preisbildung, Festsetzung der Arbeits- und Verkaufszeit, Beaufsichtigung der Erziehung des Nachwuchses und Erteilung des Meisterrechts waren sie doch von höchster wirtschaftlicher und damit politischer und kultureller Bedeutung. Die mit amtlichen Befugnissen ausgestattete wirtschaftliche Korporation hieß in Nordhausen im 13. und 14. Jahrhundert Innung, in späteren Jahrhunderten meistens Gilde, ganz selten kommt der Name „Zunft“ vor. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatten diese Innungen eine eigene Verfassung kaum entwickelt, sondern ihr Leben regelte sich noch nach den Gesetzen, die der Rat ihnen in den Statuten der Stadt gegeben hatte. Seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts schritten dann die Nordhäuser Zünfte aber zur eigenen Kodifizierung ihrer Verfassung. Diese Innungsstatuten änderten sich natürlich im Laufe der Jahrhunderte; man schuf sie um, wo sie nicht genügten oder überholt waren, man fügte hinzu, wo sich Lücken herausgestellt hatten. Dennoch behielten alle diese Innungsgesetze als Fundament die alten Privilegien und Grundsätze der Handwerker während der ganzen fünfhundertjährigen Zunftgeschichte bei und bewahrten deshalb trotz mancher Unterschiede im einzelnen doch ein sich außerordentlich gleichbleibendes Antlitz. So gaben sich die Knochenhauer um 1400, 1589, 1635, 1687 und im 18. Jahrhundert neue Statuten, die Bäcker 1625, 1717,1800. Ein weiteres Kennzeichen ihrer Zusammengehörigkeit nach außen hin war die Führung eines Innungssiegels. Das älteste uns noch erhaltene Siegel einer Zunft ist das der Schuhmacher aus dem 14. Jahrhundert. Das Siegel ist von geringem Umfang. Um seinen Rand laufen zwei Perlenreihen, zwischen denen als Inschrift, z. T. mit zusammengezogenen Buchstaben und abgekürzten Worten, steht: „Siegel der Schuhmacher, der Lower (Lohgerber) zu Nordhausen“. Die Mitte nimmt ein dreieckiger, quergeteilter Schild ein, welcher oben einen Adler, unten nebeneinander zwei Handwerkszeuge, Schabeisen und Schneidemesser, zeigt. Andere Zünfte, z. B. die Krämerzunft, hatten in der Mitte des Siegels ihren Schutzheiligen, bei den Krämern war es der heilige Laurentius. Um das Bild herum stand dann die Aufschrift; etwa: „Der Kramer Insiegel zu Nordhausen.“ Dergleichen Siegel besaß jede Innung; sie wurden in der Lade der Innung aufbewahrt, standen aber jedem vollberechtigten Mitgliede zur Verfügung. Die beiden Meister jedes Handwerks führten die Aufsicht darüber, daß kein Mißbrauch mit dem Siegel getrieben wurde. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde weiterhin auch durch das Vereinshaus der Innung, das Innungs- oder Gildehaus, gestärkt, in welchem die Innungen ihre Versammlungen, ihre Beratungen oder „Morgensprachen“ und ihre Feste abhielten. Die vornehmste Innung, die der Gewandschnitter, hatte das Rathaus als Innungsgebäude. Im 14. Jahrhundert, als noch die alten Geschlechter und vornehmen Kaufleute allein die Stadt regierten, waren Rathaus und Kaufhaus der Gewandschnitter noch dasselbe; bald hieß diese Stätte rathus, z. B. 1300 und 1308, bald pretorium oder mercatorium, z. B. 1300, 1310, 1321. Hier hielten sie ihre Besprechungen und Feiern ab. Hier auf dem Rathaus fand also auch die Jahreshauptversammlung der Gewandschnitter, die erste überhaupt nachweisbare Zusammenkunft einer Innung, statt. Die Nachricht stammt aus den Statuten vom Jahre 1308 und besagt, daß die Gewandschnitter alljährlich am Andreastage, dem 30. November, auf dem Kaufhause eine Versammlung hatten, den alten Vorstand entlasteten, ihre beiden Innungsmeister wählten und ein Festmahl genossen, zu dessen Ausstattung jeder Gewandschnitter, auch der dem Feste fembleibende, 4 Pfennige beisteuem mußte. Der Jahresbeitrag war auf die geringe Summe von 1 Pfennig festgesetzt. Am bekanntesten geworden ist das Schuhmachergildehaus am Kornmarkte, das links neben dem heutigen Gasthause „Zum Römischen Kaiser“ lag. Es hat die mannigfachsten Schicksale durch gemacht. Schon 1322 wird es als curia calcificum genannt. Wahrscheinlich Mitte des 16. Jahrhunderts baute sich dann die Schuhmacherinnung ein neues Vereinshaus. Dieser „alte Schuhhof“ brannte im Jahre 1612 völlig herunter, und genau 100 Jahre später, 1712, erlitt der neue Sehuhhof bei einer großen Feuersbrunst dasselbe Geschick. Kurz darauf baute aber die zahlreiche und wohlhabende Gilde ihr Haus wieder auf und ließ zur Erinnerung an das Unglück über der Tür folgende, recht Hans-Sachsisch anmutende Inschrift anbringen: Der Schuehoff werde ich von alters her genannt, Nach der Trennung der Lohgerber von den Schustern im Jahre 1734 schufen sich die Gerber ein eigenes Gildehaus am Lohmarkte. - Die Bäcker hatten ihr Gildehaus in der Rautenstraße. Doch nicht nur Innung und Siegel, Gewerbe und Haus stärkte den Innungen das Standesbewußtsein, sondern das alltägliche Zusammenwohnen und Zusammenarbeiten, das wohl auch kleinlichen Neid förderte, sie aber in erster Linie zu einer Schicksalsgemeinschaft verband. Die Mitglieder mehrerer Nordhäuser Gilden wohnten sämtlich oder doch in der Hauptsache in einer Straße beisammen. Daher stammen noch Namen wie Krämerstraße, Weberstraße, Töpferstraße, Flickengasse, wo die Ruze oder Schuhflicker wohnten, und bis vor kurzem noch die Schuhgasse. Die Böttcher wohnten auf dem Hagen zusammen. Abgesehen von den Krämern, konnten die Angehörigen einer Gilde allerdings auch in anderen Straßen der Stadt wohnen; doch schienen die Inhaber von Häusern in den bestimmten Gildestraßen immer bevorzugt zu sein, weshalb ja die in den Vorstädten ansässigen Schuhmacher den in der Schuhgasse wohnenden Kollegen ihren Unwillen im Jahre 1705 etwas kräftig Ausdruck gaben. Am engherzigsten war das Prinzip des Zusammenwohnens jedenfalls bei den Krämern durchgeführt. In ihrer Krämerstraße standen 12 Häuser mit den Kramläden der Besitzer. Vom 14. bis tief ins 18. Jahrhundert hinein durften nirgends Kramwaren feilgehalten werden als in dieser Krämerstraße. Schon ein Statut vom Jahre 1325 bestimmte: „Es soll kein Krämer anderswo wohnen und soll keine Krämerei von Bürgern anderswo feilgehalten werden in der Stadt Nordhausen, denn zwischen St. Nikolai und der Schmergasse.“ Eifersüchtig wachten sie über diesem Privilegium, und erst das 18. Jahrhundert durchbrach ihr Vorrecht. Doch auch auf den Wochen- und Jahrmärkten standen die Buden und Bänke der einzelnen Gewerbe beieinander. So hielten direkt vor den Kaufkammem des Rathauses die Wollweber feil. Am Steinweg empor, also an der westlichen Rathausseite entlang standen die „Schern“, die Verkaufsstände der Fleischer oder Knochenhauer; gegenüber von ihnen durften die auswärtigen Metzger verkaufen. Da die Buden für den Verkauf nicht gleich günstig gelegen waren, regelten in späterer Zeit die Innungen den Besitz der einzelnen Stände. Bei den meisten entschied das Los, so z. B. seit 1533 bei den Bäckern, die ihre Brotbänke auf dem Kornmarkte hatten. Doch treffen wir auch auf Bestimmungen, welche die jüngsten Meister bei der Vergebung der Verkaufsstände benachteiligten. Schon das Zusammenleben in Gassen von ganz bestimmter Ausdehnung und Häuserzahl, das Gebundensein von Arbeit und Verkauf an eine ganz bestimmte Zahl von Marktbuden legte es nahe, die Mitgliederzahl der einzelnen Innung zu beschränken. Man spricht deshalb von ungeschlossenen und geschlossenen Zünften, je nachdem die Mitgliederzahl unbeschränkt war oder nicht. Die meisten Innungen hatten allerdings die entsetzliche Stickluft, welche durch die unerhörte Gebundenheit des Individuums an die Korporation erzeugt wurde, dadurch wenigstens gemildert, daß sie eine bestimmte Mitgliederzahl nicht festsetzten. Doch verallgemeinert Heineck zu stark, wenn er schreibt: „Die sämtlichen Zünfte in Nordhausen waren ungeschlossen, niemals auf eine bestimmte Anzahl Mitglieder beschränkt.“[3] Tatsächlich müssen mehrere Innungen doch als geschlossen angesehen werden. So hatten zwar die Krämer keine festgesetzte Anzahl Mitglieder; da aber nur 12 Häuser in der Krämerstraße zur Verfügung standen, konnten durchaus nicht beliebig viel Krämer in die Zunft eintreten. Die Zahl der Zunftgenossen betrug im 17. Jahrhundert durchschnittlich 35-38, davon waren aber mehr als die Hälfte Sattler, die zur Innung der Krämer rechneten, so daß nicht viel mehr Krämer übrigblieben, als Häuser vorhanden waren. Es ist falsch, wenn Heine aus dem sich immer gleichbleibenden Mitgliedbestande auf einen Stillstand der Innung schließt; nur die ständig gleiche Zahl der Häuser bedingte die ständig gleiche Zahl der Mitglieder.[4] Man kann also bei den Krämern sehr wohl von einer geschlossenen Zunft sprechen. Ähnlich stand es bei den Gewandschnittern, deren Zahl an die der vorhandenen Gewandkamm em im Rathause gebunden war. Ja, eine Zunft, die der Knochenhauer, versuchte im 18. Jahrhundert für ihre Mitglieder sogar eine ganz bestimmte Zahl zu nennen, wie sie denn im 20. Artikel ihrer Statuten festsetzte: „Es sollen allhier in Nordhausen nicht mehr als 40 Meister sein und auch keiner über bemeldete Zahl werden.“ Die Anzahl der einzelnen Handwerke selbst und damit die der Innungen war außerordentlich groß. Allerdings hatten sich eine ganze Reihe Gewerke mit anderen zu einer Zunft vereinigt, um sich durch die größere Zahl mehr Geltung und Ansehen zu verschaffen. Neun von den Innungen, bei denen aber auch in mehreren verschiedene Handwerke zusammengekoppelt waren, konnten, allein jährlich 2 ihrer Mitglieder in den Rat wählen. Durch diese Vereinigung ergaben sich aber gerade für die Ratswahl mancherlei Reibungen. Deshalb mußten Gesetze geschaffen werden, welche die Vertretung der einzelnen in einer Zunft zusammengeschlossenen Gewerke regelten. Das geschah dann nach der Zahl der Mitglieder und dem Ansehen des Handwerks in der Stadt. So war eine der größten Innungen die der Schuhmacher, bei der meist gegen 80 Schuster und mehr als 40 Gerber gezählt wurden. Deshalb wurde bestimmt, daß bei Ratswahlen jedesmal auf zwei Schuhmacher ein Lohgerber kommen sollte. Bei dieser Festsetzung hatten die Schuhmacher den Gerbern gegenüber nicht nur ihre fast doppelte Zahl geltend gemacht, sondern auch ihr vornehmeres, sauberes Gewerbe; Ja, zeitweilig versuchten es wohl die Schuhmacher, die Gerber ganz von den Ratssitzen zu ihren Gunsten auszuschalten. Ähnlich stand es bei den in einer Innung zusammengeschlossenen Krämern und Sattlern, und zu den Sattlern zählten wieder die Beutler und Riemenschneider. Zu allen Zeiten beanspruchten die Krämer als angeseheneres Handwerk einen Vorzug vor den Sattlern. Sie nannten sich selbst „eine der vornehmsten Gülden hiesiger Stadt“, und von den Sattlern sagten sie, sie gehörten nur pro numero, um die Mitgliederzahl der Gilde zu verstärken, ihrer Innung an, da diese nur „hin und wieder in dieser oder jener Ecke ein kleines, auch nicht viel gütiges Häuschen hätten“. Worauf dabei die Herrn Krämer ihren Stolz gründeten, ist uns heute nicht mehr ersichtlich; denn zur Meisterung ihres Krames gehörte unter den einfachen Verhältnissen jener Zeiten wahrlich nicht viel, wie sie deshalb als einzige Zunft auch keine Gesellenjahre hatten, während sich die Sattler abmühen mußten, die Mysterien ihres Handwerks zu begreifen. Auch hier tritt wieder hervor, daß die Anmaßung immer proportional der Unwissenheit ist. Jedenfalls gab es wegen der Ratssitze Streit genug zwischen den Gildebrüdem, und selbst die Bestimmung, daß abwechselnd Jahr für Jahr ein Krämer und ein Sattler in den Rat gelangen sollte, schaffte noch keine Ruhe. Unregelmäßigkeiten kamen dennoch vor, bis im Juni 1730 eine genaue Abgrenzung der beiderseitigen Rechte erfolgte. Im Laufe der Jahrhunderte gingen einige Gewerbe ein, weil sie sich überlebt hatten oder ihr Handwerk von anderen mit übernommen wurde. So verschwanden die Filzer und die Becherer. Viel häufiger aber kam es im Laufe der Zeit und mit der Vervollkommnung der Technik zur Differenzierung einzelner Handwerke und damit zur Entstehung neuer. So gab es neben den Knochenhauem die Kotteler und Garbräter, bei den Bäckern unterschied man Weiß- und Heimbäcker, aus den Schmieden gingen die Huf-, Grob-, Bohr-, Nagel-, Messerschmiede hervor, die Schlosser spalteten sich in eigentliche Schlosser, Sporer, Büchsen-, Uhr-, Winden- und Lotmacher. Von dieser Tendenz, durch Arbeitsteilung immer schneller und exakter arbeiten zu können, ist ja schon oben gesprochen worden. Bei dieser Vielheit der Gewerbe war es aber häufig nicht leicht, das Arbeitsgebiet der einzelnen Handwerke scharf voneinander zu scheiden. Dadurch fand sich nun wieder genug Gelegenheit zu heftigsten Auseinandersetzungen. Das gab schon der Einung vom Jahre 1375 Veranlassung zu bestimmen: „Ouch sal der hantwerk nicheyn dem andern noch nymant in syn hantwerk grifen met icheinerleye argelist.“[5] Dennoch waren Übergriffe unausbleiblich. Selbst die vornehmste und älteste Innung, die der Gewandschnitter, blieb davon nicht verschont. Handwerke, wie die der Woll- und Leineweber sowie der Schneider, verübten gar leicht Einbrüche in das eigentliche Arbeitsgebiet der Gewandschnitter. Mit den Wollwebern setzten sie sich deshalb schon im 15. Jahrhundert vor dem Rate auseinander, und es heißt darüber in den Akten: „Die Räte sind übereingekommen, daß unsere Herrn, die Wollweber, sollen schneiden die Tuche, die man hier macht und einer dem anderen abkauft. Dagegen die Gewandschnitter kaufen allerlei Tuch nach ihrer Bequemlichkeit.“ Ebenso gerieten die Schuhmacher und Gerber aneinander. Den Schuhmachern stand nämlich nur zu, Fertigfabrikate zu verkaufen, den Lohgerbern das Rohmaterial. Doch behaupteten 1679 die Schuster, „hiesige Schuhmachergilde und deren Glieder dürfen in ihren eigenen Gerberhäusem durch eigene hierzu gebrauchte oder gemietete Gerber und Gerbergesellen ihr roh eingekauftes Leder zu ihres Handwerks Benötigung nach Belieben zubereiten lassen“. Das bestritten die Gerber, und es kam schließlich zu so unerquicklichen Auseinandersetzungen, daß die Gerber, die mit den Schuhmachern Jahrhunderte lang eine Zunft gebildet hatten, im Jahre 1734 austraten. Am schwierigsten gestaltete sich aber wieder die Abgrenzung der Krämer von anderen Gewerben. Dabei lagen die Verhältnisse noch ziemlich einfach den Drogisten und Apothekern gegenüber. So konnten die Krämer zwar Gewürze, Spezerei und Farbwaren aller Art feilhalten, aber nicht Arsenik, Fliegenpulver, Senisblätter und Purgativa. Besonders das letztere wäre sicher auch nicht ungefährlich gewesen! Schwieriger gestaltete sich schon die Abgrenzung zu den Schmieden und Messerschmieden hin. Deshalb mußten die Gegenstände, welche Krämer verkaufen konnten, einzeln aufgezählt werden. So stand ihnen das Feilbieten von verzinnten Blech- und Eisenwaren zu, ebenso konnten sie kleine Messer bis zum Werte von 3 Scherflein verkaufen; alles andere blieb den Schmieden vorbehalten. Am schlimmsten aber stand es um die Auseinandersetzung mit den Sattlern und Riemenschneidem, mit denen die Krämer noch dazu in einer Innung zusammengeschlossen waren. Die Krämer durften zum größten Leidwesen der Lederbranche Gürtel, Sättel, Zäume und Riemen in ihrem Krame führen. Trotz der Gebundenheit aller Verhältnisse waren bei diesem Ineinandergreifen Übertritte von einem Handwerke zum anderen nicht gar zu selten. Besonders wenn ein ehrgeiziger Handwerker aus einer weniger angesehenen Zunft in eine vornehmere strebte, kamen sie vor. Das geschah recht häufig bei den Schneidern und Wollwebem, die bei den Gewandschnittern Aufnahme suchten. So wurde 1571 dem Asmus Rinkleb von den Schneidern „ein ehrlicher Abschied“ gegeben, als er zu den Gewandschnittem übertrat. Ebenso traten 1572 und 1582 Wollweber unter die Gewandschnitter. 1596 wurde Johannes Wilde in diese Gilde aufgenommen, und fast zwei Jahrhunderte hindurch sollte diese Familie nun für Nordhausen von Bedeutung sein. Tritt schon hier in mancher Beziehung der Einfluß des Eigenlebens der Innung auch auf öffentliche Einrichtungen hervor, so macht sich dieser besonders dadurch geltend, daß die Innungen die Heranbildung des Nachwuchses so gut wie völlig selbständig handhabten. Selbst die Bestimmung darüber, wen eine Innung als Lehrjungen annehmen wollte, war ihr so gut wie ganz überlassen. So wachten die Innungen eifersüchtig darüber, daß kein Sohn, dessen Vater ein sogenanntes unehrliches Gewerbe betrieb, Mitglied der Innung werden konnte. Das waren die Innungen ihrer Standesehre, wie sie sie verstanden, schuldig. Doch auch die Heiraten mit Angehörigen unehrlicher Gewerbe waren verboten. Als z. B. 1618 Jakob Malitsch, der Ratsherr aus der Schmiedegilde war, die Tochter eines Herreder Bauern heiratete, wurde er seines Ehrenamtes entsetzt. Man hatte nämlich erfahren, daß der Vater des Mädchens, ehe er Bauer wurde, ein Schäfer gewesen war, also einem unehrlichen Gewerbe angehört hatte. Damit war auch seine Tochter unehrlich. Malitsch wandte sich wegen seiner Rehabilitierung sogar an den Kurfürsten von Sachsen. Dieser trat für ihn ein; drei Nordhäuser Pfarrer verwandten sich für den ehren werten Mann. Es half alles nichts. Die Innung ließ sich nur vernehmen: „Sie hätte ein Buch, über 350 Jahre alt, aber dergleichen sei nicht darin zu finden.“ - Man sieht also, daß wir gar keine Veranlassung haben, mitleidig auf das Kastenunwesen im alten Ägypten oder Indien herabzublicken. Bei einem bestimmten gleichen Stande der Entwicklung haben alle Zeiten bei allen Völkern eine ähnliche Einstellung zur Ordnung der menschlichen Gesellschaft. Als unehrlich galten in Deutschland und in Nordhausen nicht immer dieselben Gewerbe. Bis ins 17. Jahrhundert hinein rechnete man selbst Bachmüller, Schäfer und Barbiere sowie niedere Beamte, wie Totengräber und Nachtwächter, dazu. Später setzte sich eine mildere Auffassung durch, bis im 18. Jahrhundert nur noch Kinder von Scharfrichtern und Juden als unehrlich galten. Ebenso verlangten die Innungen schon früh die eheliche Geburt des Aufzunehmenden. Wir haben gesehen, daß die alten Statuten zwar noch außerehelich geborene Knaben als Lehrlinge zuließen, daß aber schon im 15. Jahrhundert die meisten Gewerbe die Ehelichkeit forderten. Bei diesen Vorurteilen blieb man bis ins 19. Jahrhundert hinein; der Name Bankert oder Bangert wurde einem solchen armen Kinde nicht selten als eigentlicher Name angehängt, und seine Nachfahren tragen ihn heute noch. Gestattete aber eine Innung wie die der Böttcher den Eintritt unehelicher Knaben, so wollte sie von diesen doppelte Aufnahmegebühren haben. Das verbot jedoch der Rat. Hatte nun ein Knabe vor, bei einem Handwerk als Lehrjunge einzutreten, so wurde er der Innung „vorgestellt“. Vor der Versammlung der Handwerker mußten die Eltern „Bericht“ über die eheliche Geburt und über ihr eigenes ehrliches Gewerbe beibringen. Waren dergleichen Zeugnisse schriftlich nicht vorhanden, so mußten zwei einwandfreie Zeugen über die Verhältnisse des Knaben an Eides statt aussagen. Am liebsten nahm man nur Kinder aus der einheimischen städtischen Bevölkerung, doch wurden auch Söhne vom Lande zugelassen, wenn sie die nötigen Unterlagen für ihren Eintritt in die Lehre beibringen konnten. Im allgemeinen war es Brauch, den neuen Lehrling erst einige Wochen zu „versuchen“; d. h. ein Meister nahm ihn in die Lehre und beobachtete ihn zunächst eine Zeit lang auf seine Tauglichkeit. Damit der Meister diesen Brauch nicht ausnutzte, mußte er nach einer bestimmten Zeit - zwischen 2 und 10 Wochen kommen vor - dem Handwerke Bericht erstatten, ob er den Jungen weiter anlemen wollte oder ihn untauglich gefunden hatte. Erst nach dieser Probezeit wurde der Knabe als eigentlicher Lehrling vor dem Handwerk „aufgedungen“ und damit den Gesetzen der Innung unterworfen. Für dieses Aufdingen mußte er der Innung eine Summe Geldes entrichten. Diese war je nach der Art des Handwerks verschieden; vornehme und wohlhabende Innungen, denen an einem standesgemäßen Auftreten lag, nahmen verhältnismäßig hohe Beträge. So verlangten die Krämer, die noch im 16. Jahrhundert bescheiden waren, seit dem 17. Jahrhundert die ungewöhnlich hohe Gebühr von 10 Talern 6 Groschen und dazu noch 2 Taler in die Innungslade. Dazu kamen dann noch die Einschreibegebühren und eine „Kollation“ an Wein und Bier für das Handwerk. Ebenso mußten sich die Lehrlinge nach vollbrachter Lehrzeit ihren Lehrbrief erkaufen. Dafür beanspruchten die Krämer wieder 10 Taler 6 Groschen, die Schuster 1 Taler 15 Groschen, die Bäcker 1 Taler. Zugleich bestand bei allen Innungen der von übelstem Kastengeist und dem Wunsche nach degenerierender Inzucht zeugende Brauch, daß Söhne von Angehörigen der Innung selbst nur die Hälfte bei Antritt und Entlassung zu entrichten hatten. So setzten die Gewandschnitter schon 1469 fest, daß die Aufnahme eines Lehrlings in die Zunft 10 M Silbers, wenn er aber „in die Innung geboren“ war, nur 5 M kosten solle. Dieser Brauch bürgerte sich allenthalben ein, wobei wieder die Krämer am meisten darauf bedacht waren, daß ihre Kramläden in den Händen von Innungsgenossen blieben. Sie bestimmten 1681 deshalb den Satz von 12 Talern beim Antritt und von über 10 Talern bei Beendigung der Lehrzeit; der älteste Sohn eines Meisters brauchte aber nur 1 Taler Einschreibegebühr und 1 Taler bei seiner Entlassung aus den Lehrjahren zu zahlen. Daß die Lehrjahre keine Herrenjahre waren, häufig die Knaben von ihren Lehrmeistern sogar nicht ganz sanft behandelt und ausgebeutet wurden, davon geben eine Reihe Innungsgesetze Zeugnis, welche die Lehrjungen gegen gar zu arge Willkür in Schutz nahmen. Hier mag nur erwähnt werden, daß zwar der Lehrling, der seiner Lehre entlief, des eingezahlten Lehrgeldes verlustig ging, daß man in diesem Falle aber auch beim Meister die Schuld suchte und ihn dadurch bestrafte, daß er eine bestimmte Anzahl von Jahren keinen Lehrjungen wieder annehmen durfte. Im übrigen standen die Knaben durchaus in der „Mund“ ihres Lehrherm, gehörten also zur Familie. Der Meister hatte seinen Lehrjungen nicht nur im Handwerk auszubilden, sondern auch auf sein geistiges und körperliches Wohl bedacht zu sein und seinen Lebenswandel zu überwachen. Natürlich mochte es nicht selten vorkommen, daß die Jungen, die in den Flegeljahren standen, sich allerhand dumme Streiche erlaubten und es nicht unberechtigt war, wenn eine etwas schwere Hand über ihnen waltete. Ja, eine solche Lehrlingsausgelassenheit gab wohl gar Veranlassung zum Eingreifen der ganzen Innung. Da wurde dann wohl bestimmt, daß kein Junge auf den Naschmarkt gehen dürfe; und 1614 beschlossen sogar die Schneider, die ihrer Lehrlinge nicht so recht Herr werden zu können schienen, daß ein Lehrjunge als „Pritschenmeister“ ausgewählt werden sollte, der widerspenstigen Knaben die „Pritsche“, d. h. eine Tracht Prügel verabreichen mußte: „Demnach auch biß anhero ungezogene Jungen sich befunden, welche sich an keine Geldstrafe kehren wollen undt dennoch sich nicht wenig ungebürlich erzeiget, als ist denselben halsstarrigen Jungen eine Pritsche zur Straffe verordnet, zue welchem Ende denn ein Pritschmeister unter ihnen erwehlet werden soll. Wer sich dessen weigert, gibt Straffe ein Wochenlohn.“ Die Dauer der Lehrzeit war bei den einzelnen Handwerkern ganz verschieden. Die längste beanspruchten die Krämer mit 6 Jahren; dafür brauchten ihre Lehrlinge aber weder ein Gesellenstück anzufertigen noch überhaupt eine Gesellenzeit durchzumachen. Sonst schwankte die Lehrzeit zwischen 2 und 4 Jahren; die Bäcker lernten 3 Jahre, ebenso die Fleischer, die Lohgerber 2. Da die Meister von der Arbeitskraft des Lehrlings Vorteile hatten, die Innung aber argwöhnisch den Wohlstand jedes Zeitgenossen beaufsichtigte und möglichste Gleichheit auf Kosten der Freiheit des einzelnen anstrebte, so finden sich bei allen Innungen auch Vorschriften über die Anzahl der Lehrjungen, die gehalten werden durften. Zugleich verhinderte man dadurch auch ein allzu starkes Hineindrängen in das Gewerbe und die spätere Konkurrenz. Deshalb war es üblich, nur einen Lehrjungen für jeden Meister zuzulassen; doch wurde diese Bestimmung zuweilen, z. B. bei den Krämern, dadurch gedehnt, daß eigene Kinder, die in der Werkstatt oder im Laden tätig waren, nicht mitzählten. Häufig treffen wir auch auf die Anordnung, daß ein Meister, der einen Knaben fertig ausgebildet hatte, erst einige Jahre warten mußte, ehe er einen neuen Lehrling zugewiesen erhielt. Der jüngste Meister bekam zunächst überhaupt keinen Lehrjungen. Auf diese Weise war also eine Art numerus clausus für Lehrlinge eingeführt. Eine Verkürzung der Lehrzeit durch Geldzahlung war nur bei den Krämern gestattet. Hier durften die Jungen jedes Lehrjahr mit der Entrichtung von 10 Talern an die Innung abkaufen, wodurch denn manches Patriziersöhnlein nach einer gar kurzen Lehre mag Meister geworden sein. Nach Ablauf der Lehrzeit meldete sich der Lehrling beim Vorsitzenden der Gesellen, dem Altgesellen, brachte den gewöhnlichen, ihm einstudierten Gruß vor und bat um „Bruderschaft“. Dabei mußte er den Gesellen eine kleine Summe entrichten, etwa 1 Taler, und ihnen eine Kollation an Bier darreichen. Oft wurde auch die Stiftung eines silbernen Schildes, eines zinnernen Tellers, einer Kanne oder eines Trinkhumpens gefordert. Die Böttcher z. B. verlangten von einem neuen Gesellen 2 Taler oder ein Essen; war einer schon Geselle und kam nur, von auswärts zuwandemd, nach Nordhausen in Arbeit, so zahlte er einen Taler. Der neue Bursche mußte mit zwei auf die Gesellenlade gelegten Fingern geloben, den Gesetzen der Burschenschaft nachzuleben und ein wackerer Geselle zu sein, wie es z. B. bei den Bäckern heißt: „Daß er will über die Artikel halten und als ein Mitbruder will helfen legen, zechen, zahlen und tun, was andere fromme Bäcker tun und getan haben, es sei gleich hier oder anderswo.“ Die eigentliche Lossprechung des Lehrlings nahmen jedoch die Meister der Innung vor. Er wurde bei offener Lade „losgesprochen“ und ihm der Lehrbrief ausgefertigt. Dieser gelangte aber nicht in seine Hände, sondern wurde in der Innungslade aufbewahrt. Erst nach dieser Lossprache war er rechter Gesell oder, wie es in Nordhausen viel häufiger heißt, Knecht oder Diener. Damit begann dann die Wanderzeit, der außerdem noch an dem Orte, an welchem sich der Gesell als Meister niederlassen wollte, ein „Mutjahr“ folgte. Auch diese Wanderzeit war bei den einzelnen Innungen ganz verschieden lang. Die Krämer kannten gar keine Gesellenjahre, die Sattler verlangten 4 Wanderund 1 Mutjahr, die Schuster 3, später 4 Wander- und 2 Mutjahre, die Fleischer hatten 3, die Bäcker 4 Jahre festgelegt. Auch hier ging im Laufe der Zeit die Tendenz dahin, das Meisterwerden durch eine möglichst lange Gesellenzeit zu erschweren. Nur für die eigenen Nachkommen sorgten die Meister und verlangten von den eigenen Kindern nur die Hälfte der sonst festgelegten Wanderzeit. Welchen Schikanen in der Spätzeit des Zunftwesens der angehende Meister aber häufig ausgesetzt war, geht daraus hervor, daß man verlangte, daß, wer auch nur einen Tag zu früh von der Wanderschaft nach Nordhausen zurückkehrte oder wer während dieser Zeit nur einmal in Nordhausen geweilt hatte, daß dieser Geselle nochmals dieselbe Zeit, also nochmals 3 oder 4 Jahre wandern mußte. Ja, die Schuhmacher trafen sogar die unsinnige Bestimmung, daß ein Fremder, der sein Mutjahr antreten wollte und damit beabsichtigte, sich einmal in Nordhausen selbständig zu machen, genau 2 Tage vor Johannis Baptistä vor dem regierenden Handwerksmeister erscheinen und sich anmelden mußte, sonst mußte er noch ein Jahr warten. Hie und da konnte das Mutjahr abgekauft werden, aber für außerordentlich hohe Summen. Die Schuster verlangten z. B. 40 Taler. Wenn nun der wandernde Gesell zur Arbeit in einer Werkstätte antreten wollte, so durfte er sich nicht etwa einen ihm genehmen Meister auswählen, sondern mußte dort eintreten, wo gerade eine Stelle frei war. Auch war den Meistem eine bestimmte Zahl von Gesellen vorgeschrieben. So durften z. B. die Schuhmacher nur 2 Schemel besetzen, d. h. nur einen Gesellen und einen Lehrling oder zwei Gesellen haben. Wohnten in einem Hause zwei Schuhmachermeister, so durften sie zusammen nicht mehr annehmen. Traf es sich aber, daß ein Geselle um Arbeit ansprach, aber kein Platz für ihn vorhanden war, so empfing er von der Innung ein Zehrgeld und mußte seinen Stab weitersetzen. Nur ein kurzer Aufenthalt von 2-3 Tagen auf der Gesellenherberge war ihm gegönnt. Die Hausordnung in dieser Herberge aber ist kulturhistorisch so lehrreich, daß wir uns nicht versagen können, wenigstens 5 ihrer Artikel hier folgen zu lassen: Artikel 1. Wenn ein fremder Gesell allhier einwandert und auf die Herberge kommt, so soll er zuvor den Gruß mit sich bringen. Hat er solchen abgelegt, soll er den Vater um Herberge ansprechen und sein Bündel in eine Ecke legen, wenn es der Vater nicht hindert. Artikel 2. Auf den Abend zu rechter Zeit, um Glock 8, soll er ums Bruderbette bitten und nicht ungebeten darin liegen. Er soll das Hemde nicht anbehalten, noch die Kleider so nahe an das Bett legen, damit die Betten nicht verunreinigt werden. Nicht länger soll er darin liegen bleiben, bis die Glocke 7 geschlagen hat, bei Strafe von 6 Groschen. Artikel 3. Keiner darf ohne erhebliche Ursache über 2 oder 3 Tage auf der Herberge liegen, bei Strafe von 6 Groschen. Artikel 7. Ohne des Herbergsvaters Wissen und Willen soll keiner in der Stube Tabak trinken, bei Strafe von 3 Groschen. Artikel 18. Kein Handwerksbursche soll seinen Degen ziehen oder eine andere Wehr entblößen. – Während nun die Lehrlinge als unmündige Kinder angesehen und gehalten wurden, auch keine eigene Organisation hatten, waren die Gesellen durchaus selbständig und hatten innerhalb der Zunft ihren Gesellenverein. Sie besaßen ihre eigene Lade und ihre eigene Verfassung. An ihrer Spitze standen ein oder meist zwei Altgesellen. Sie hatten ihre eigenen Zusammenkünfte, konnten dabei über ihre Interessen beraten und Gelage abhalten. Der neu Aufgenommene oder der Zuwandemde hatte der Versammlung den „Willkommen“ nach ganz bestimmten Formeln zu entbieten. Gelang ihm dieser nicht ohne Anstoß, so half der Altgeselle ein, doch büßte er seine Ungeschicklichkeit mit einer kleinen Geldstrafe. Danach brachten seine neuen Kameraden dem Ankömmling den Willkomm dar. Bei den Schmiedegesellen heißt es darüber 1654: … Ist auch den Gesellen vergönnt, einen „Willkommen“ zu haben. Welcher Gesell zuvor nicht allhier gearbeitet hat und zum ersten Male aufleget, dem soll derselbe voll Bier eingeschenkt und demselben verehret werden dergestalt, daß er ihn stehenden Fußes auf 3 Mal austrinke und zuvor mit bedeckten Achseln, unbedecktem Haupte, ohne Tuck, ohne Schnuck und ohne Bartwischen. Wer dawider tut, gibt einen guten Groschen Strafe. Jedoch soll vorher und bevor von den Altknechten einem Gesellen der Willkomm präsentiert wird, nach seinem Meister geschickt und Nachfrage gehalten werden, ob er als Geselle oder Junge arbeite. Nach dieser Aufnahme wurde dem neuen Gesellen die „Schenke gehalten“. Natürlich ging es in vorgerückter Stunde unter den jungen Burschen nicht immer ganz ordentlich zu. Da kam es dann wohl zum Völltrinken, zu Zank oder gar zu Prügeleien. Hielten sich die Ausschweifungen in solchen Grenzen, daß die Öffentlichkeit keinen Anstoß daran nahm, so war es der Gesellschaft verstattet, die Unruhestifter selbst zu bestrafen. Wegen des Volltrinkens verfügte z. B. ein Artikel der Schlosser: „Es soll auch keiner mehr Bier oder Wein zu sich nehmen, als er beherbergen kann. Würde es aber einer überflüssig zu sich nehmen, mehr als er kann über die Vordertürschwelle tragen, so soll er einen Wochenlohn, 8 Groschen, zur Strafe geben.“ Im übrigen unterlagen aber auch die Gesellen nicht nur der Beaufsichtigung durch die gesamte Innung, sondern auch der einzelne Geselle der seines Meisters. Hierüber bestimmten z. B. die Knochenhauer schon sehr früh: Welcher knecht, der allhier zu Northausen diennen will, der sol alsbalt sein briefffur ein erbar handwerck bringen, das ehr gelesen wird, wo ehr gelernt hat und ob er dem hantwerge genugsam ist, und alsbalt ein groschen darann geben. Ehr soll auch gelobenn, das ehr alhier nicht spielen wil, weder mit karten noch wurffel, in der stat noch uff dem dorfe; wan ehr das bricht, so gibt ehr dem hantwerge ein daler zur straff. Wenn aber ein meister mit einem knechte spillt oder iungen, der sol geduppelt geben, auch sol er keinem leste rer abkauffen noch verkauffen. Also ein gesitteter Lebenswandel wurde den Gesellen nicht nur von den eigenen Kameraden, sondern auch von der Zunft zur Pflicht gemacht. Das Gefühl für die Würde ihres Standes, das Gefühl der Kameradschaftlichkeit und Zusammengehörigkeit wurde bei ihnen aber auch durch eine Reihe wohltätiger Einrichtungen, die sie sich selbst geschaffen hatten, erweckt. Sie hatten ihre eigene Kasse, aus der sie die Ausstattungsgegenstände für ihren Versammlungsraum, auch zinnerne Kannen, Teller, silberne Schilder bezahlten, aus der aber auch Unterstützungsgelder für kranke Kameraden, für Beerdigungen u. dergl. flössen. Nach Verlauf der Wanderjahre und nach einem oder zwei Mutjahren wurden die Gesellen endlich zur Meisterprüfung zugelassen. Welche Unsitten sich dabei zuweilen die Meister gegen sie erlaubten, ist oben schon erwähnt worden. Hier mag nur noch, indem wir dabei Heineck folgen, von einigen Gewerben angeführt werden, was sie als Meisterstück von ihren Gesellen verlangten. So wünschten die Flachmaler um 1600 folgendes Meisterstück: Welcher in dieser Stadt sich in unsere Innung begeben will und Meister werden, der soll und muß
Die Schneider setzten 1651 folgende Künste von ihren Meistem voraus: Wenn einer Meister werden will, worauf ein ganz ehrbares Handwerk gezielet und sich vereiniget, so soll er etliche vornehme Stücke verfertigen, nämlich an Manneskleidem einen Priesterrock, einen langen Mantel, eine Harzkappe, ein ganz Kleid, einen Kutscherrock, einen Handschuh mit Däumling und ein Paar Fußsohlen. An Weibskleidem einen langen Faltenmantel, eine Schaube und ein Leibstück. Und endlich die Kupferschmiede bestimmten gegen Ende der guten alten Zunftzeit, im Jahre 1772, folgendes: Wenn ein fremder Geselle, der keines Mitmeisters Sohn ist, das Meisterrecht gewinnen will, so soll selbiger zuvor 3 Jahre gewandert haben und sich desfalls mit seinen Kundschaften und Attesten legitimieren und überdies seinen Geburtsund Lehrbrief beibringen. Hat er aber keine 3 Jahre, sondern nur 2 gewandert, so soll selbiger für das eine noch fehlende Wanderjahr 24 Reichstaler erlegen, wovon 12 Reichstaler in eines hochedlen Rates Kämmerei und 12 Reichstaler in unsere Meisterlade kommen. Dann soll derselbe 6 Meisterstücke machen, als
und mit einem hohlen Fuß, V2 Zoll hoch und den Deckel, daß er inwendig in den Hals hineinschließt, mit Kopf und Zarge aus einem Stück.
geziert nebst einem dazugehörigen Kohlenbehälter von starkem Eisenbleche.
Boden abgehämmert und an der Seite geschlagen sein muß.
dem Gelenke geschlagen sein muß.
einem jeden einen Reichstaler für ihre Versäumnis und demjenigen Meister, bei welchem er die Meisterstücke verfertigt, 2 Reichstaler für Kohlen und Werkzeugbenutzung. Bei einigen Innungen, denen sich für die Meisterprüfung nur wenige Gegenstände zur Anfertigung darboten, legte man auf die genaue Größe oder Stärke des Meisterstückes Wert. So hatte der angehende Seilermeister nachzuweisen, daß er Länge und Schwere eines Seiles möglichst genau traf, der Böttchergeselle hatte sein Meisterstück, einen Bottich, möglichst den vorgeschriebenen Inhalt gemäß anzufertigen. Während solche Eignungsprüfung, wie sie die Herstellung eines Meisterstükkes war, sowohl für das Ansehen der Innung wie auch für die ordnungsmäßige Belieferung des Publikums durchaus zweckentsprechend war, hatten andere Vorschriften über das Meisterwerden wiederum nur kleinlicher Konkurrenzneid und engstirnige Ausschaltung Fremder geschaffen. Dergleichen Bestimmungen verfügten die Zahlung nicht unwesentlicher Gebühren für die Erwerbung des Meistertitels von solchen Personen, die nicht das Handwerk vom Vater übernahmen, sondern neu in die Innung eintraten, oder verlangten, daß einer nicht eher Meister werden könne, ehe er nicht eines Meisters Witwe oder Tochter geheiratet habe. Einen solchen unsinnigen Beschluß faßten die Knochenhauer im 18. Jahrhundert. Hier hätte das Wohl der Öffentlichkeit doch verlangt, daß der Rat energisch eingriff. Daß im übrigen jeder Meister das Bürgerrecht erwerben und nach Möglichkeit ein eigenes Haus besitzen mußte, war selbstverständlich. Die Gebühren für die Erlangung der Meisterschaft waren ganz allgemein recht bedeutend. Die Krämer verlangten im 17. Jahrhundert von Einheimischen 12, von Fremden 24 V2 Taler, 1721 aber schon 83 Taler 5 Groschen, nämlich:
Die Bäcker auferlegten ihren neuen Meistern schon im 16. Jahrhundert 30 Taler und eine Kollation; Fremde hatten außerdem noch 10 Taler an den Rat zu zahlen. 1738 hatte sich die Summe für Fremde auf 67 Taler 22 Groschen und einen zinnernen Teller gesteigert; Einheimische brauchten nur 10 Taler 14 Groschen zu entrichten. Man sieht auch hier, wie das Prinzip im Laufe der Zeit immer mehr überspannt wird und daß der Zusammenschluß, der vor Jahrhunderten notwendig und segensreich war, zu Inzucht, zu Stillstand, zur Terrorisierung der Käufer geführt hatte. Andere Innungen verlangten nicht ganz so hohe Verträge, neigten aber auch immer mehr dahin, sich mit chinesischen Mauern zu umgeben. So forderten die Schuhmacher 18 Taler und 1 Taler für einen Umtrunk. Nach Anfertigung des Meisterstückes und Erfüllung aller ihm von der Zunft sonst noch auferlegten Verpflichtungen geschah vor der versammelten Innung die „Vorfahrung“ des neuen Meisters. Er wurde als vollberechtigtes Mitglied aufgenommen. War er schon verheiratet, so mußte auch seine Frau in die Innung eintreten. Für ihre Aufnahme war eine kleine Summe, bei den Schustern 1 Taler, bei den Bäckern 1 Taler 9 Groschen, in die Zunftlade zu bezahlen. Damit war sie anerkannte Meistersfrau und genoß dieselben Rechte wie die männlichen Innungsmitglieder. Ihr kamen z. B. bei gewissen Anlässen, bei Familienfesten, bei Begräbnissen dieselben Ehrungen zu wie dem Gemahl. Starb der Mann, so blieb bei den meisten Innungen seine Witwe vollberechtigtes Mitglied, bei einigen besaß sie die „halbe Innung“; sie konnte das Geschäft mit Gesellen weiterführen, die Innung nahm auch an ihrem und ihrer Familie Geschick weiter Anteil, sie konnte aber bei den Innungsversammlungen ihre Stimme nicht abgeben. Der Versammlung der vollberechtigten Meister stand in erster Linie zu, ihre beiden Innungsmeister, meist nur Handwerksmeister oder Vorsteher genannt, zu wählen. Diese hatten die Aufsicht über die Innungslade, in der die wichtigsten Briefe, die Privilegien und das Siegel der Innung aufbewahrt wurden. Ein Kämmerer wachte über die Gelder und Mobilien der Innung. Als Mitgliedsbeitrag bezahlten die Meister vierteljährlich einen geringen Betrag, das sogenannte Zeitgeld. Diese Beiträge gingen meistens drauf für Festlichkeiten, bei denen Wein, Bier, Brannt wein oder das Essen aus der gemeinsamen Kasse bezahlt wurden. Dann sah es die Innung aber auch als ihre Pflicht an, sich an wohltätigen Spenden für Kranke, Arme, Abgebrannte, Vertriebene zu beteiligen. Besonders in den Religionskämpfen des 17. Jahrhunderts und am Anfang des 18. Jahrhunderts stoßen wir immer wieder auf Unterstützungsgelder für protestantische Emigranten. Ferner schuldeten die Innungen einigen städtischen Beamten kleine alljährliche Abgaben. Da mußte der Kantor der Kirche, in die man ging, bezahlt werden, da bekamen die Nachtwächter ihr Neujahrsgeschenk, da mußten Hausleute zur Bewachung von Läden und Ständen unterhalten werden. Endlich floß aus der gemeinsamen Kasse auch noch die uralte Anerkennungsgebühr an den Schultheißen. Hatten die beiden Zunftmeister für ihre Innung eine Versammlung anberaumt, so tagte diese „Morgensprache“ bei „offener Lade“. Gehorsam und sittiges Betragen bei diesen Beratungen oder Festlichkeiten waren genau umschrieben. Verstöße gegen die Ordnung wurden mit Geld, Stiftung von Kerzen oder Verürteilung zu Freibier geahndet. Die jüngsten Meister hatten noch besondere Pflichten zu erfüllen. Sie hatten auf Geheiß der Innungsmeister die Mitglieder einzuladen, sie trugen bei Begräbnissen den Sarg des Verstorbenen, sie verfielen in gewissen Fällen in doppelte Konventionalstrafe. Die Beratungen waren geheim, Schweigepflicht war jedem auferlegt. Auch den innungsberechtigten Frauen gegenüber durfte nichts ausgeplaudert werden. Die Seifensieder z. B. bestimmten darüber: „Es soll auch kein Meister seinem Weibe, wenn die Zusammenkunft gehalten, sagen oder offenbaren, bei einem Taler Strafe.“ Wir mutmaßen, daß die Seifensieder schlimme Erfahrungen gemacht hatten und daß trotz der hohen Strafe das Gebot oft überschritten worden ist, mehr auf Veranlassung der Frauen als der Männer. Nun, das kam der Kasse zugute! Hier auf diesen Versammlungen wurden die Beschlüsse gefaßt über die Dauer der Arbeitszeit, über die Sonntagsruhe, über Verkauf an Sonn- und Feiertagen, über Beschickung der Märkte. Hier legte man fest, wie groß die Verkaufsstellen und Läden sein durften, wo die einzelnen Meister auf dem Wochenmarkte oder auf dem Jahrmärkte Bänke und Buden haben sollten, wieviel Tage lang sie an Jahrmärkten feilhalten durften. Hier schließlich setzte man auch einheitliche Preise fest, beriet über das Verhalten anderen Innungen oder fremden Kaufleuten gegenüber. Um nur einiges herauszuheben: Die Gewandschnitter einigten sich schon im 15. Jahrhundert mit den Wollwebem, daß die Wollweber nur selbstgefertigte Waren, die Gewandschnitter aber auch fremde verkaufen durften. Während der Jahrmärkte, das war allgemein von den Zünften beschlossen worden, mußten die Verkaufsstände in der Stadt geschlossen, durfte nur auf dem Markte verkauft werden. - Die Krämer hatten Auseinandersetzungen mit fast jeder Zunft und besonders mit fremden Hausierern, da jeder Handwerker und Kaufmann ihnen „in den Kram pfuschte“. An den beiden Nordhäuser Jahrmärkten hielten sie zunächst 3 Tage feil, bis sie 1524 noch einen vierten Tag beschlossen. Die Sonntagsruhe hielten sie zwar inne, gestatteten aber seit 1556, daß auch sonntags an Fremde, die in die Stadt gekommen waren, verkauft werden dürfe. Ihre Waren wollten sie Zunftbeschluß gemäß nicht weiter auslegen, als das eigene Haus reichte. - Die Fleischer regelten, allerdings unter besonderer Aufsicht des Rates, die Fleischpreise, bestimmten im 15. Jahrhundert, daß Rind- und Schweinefleisch nicht zugleich verkauft werden durfte, ein Beschluß, der bis 1637 Geltung behielt. Fremde oder Juden wollten sie nicht im Schlachten unterrichten. Ihre Fleischbänke auf dem Markte losten sie alljährlich aus. Käufer auf dem Markte durch Anpreisen der Ware anzulocken war strengstens untersagt. 1589 beschlossen sie, sonntags Fleisch nur bis zum Kirchgänge feilzuhalten. Auch der zweite Ankauf von Vieh auf dem Lande wurde von der Gilde überwacht. An Sonntagen durfte kein Fleischer zum Einkauf aufs Land gehen, auch keinen Gehilfen deshalb ausschicken. Ähnliche Bestimmungen trafen die Bäcker. Sie nahmen eine Abgrenzung vor zwischen Heim- oder Brotbäckem und Weiß- oder Feinbäckern, sie legten Wert auf gesittetes Betragen in der Öffentlichkeit und verboten deshalb das Vordrängen beim Müller, das Lästern und Fluchen im Brot- und Wagehaus. - Die Schuhmacher besaßen zu ähnlichen Satzungen noch die, daß ihre Fertigfabrikate nur da verkauft werden durften, wo sie hergestellt waren, Ausnahmen waren nur für die Jahrmärkte gestattet. - Böttcher und Kannegießer gaben sich Gesetze über die Größe und den Inhalt der Gefäße, die sie herstellen wollten. Die Böttcher auf erlegten sich auch die von Wohlanständigkeit zeugende Verpflichtung, daß beim Holzkauf der reichere dem ärmeren nicht den ganzen Vorrat durch Überbieten wegkaufen durfte. Nur wenn das auf dem Markte oder im Walde lagernde Holz vorher bestellt war, durfte es der Besteller ganz für sich in Anspruch nehmen. Auch den Besuch fremder Märkte regelten sie und schrieben eine bestimmte Menge Ware vor, die mitgenommen werden durfte. Nur ein paar Jahrmärkte, z. B. der in Querfurt, waren völlig freigegeben. Doch die Innungsmitglieder fühlten sich nicht nur als wirtschaftlicher Interessenverband, sondern fühlten sich verbunden auch zu innigster Lebensgemeinschaft. Die Innung war eigentlich gedacht als eine einzige große Familie, in der jeder Anteil nahm am Geschick seines Innungsbruders, sich freute seines Glükkes, ihm beisprang im Unglück. Dieser Gedanke, eine wahre Lebensgemeinschaft zu bilden, wurde besonders gefördert dadurch, daß auch die Frauen der Meister der Innung angehörten. Dadurch erlebte die ganze Zunft Freud’ und Leid der einzelnen Familien mit. Von Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen bei den einzelnen Mitgliedern nahm die ganze Innung Kenntnis. Die Krämer bestimmten 1703, die Gilde solle bei der Hochzeit eines Meistersohnes oder einer Tochter einen silbernen Löffel, drei Loth schwer, als Hochzeitsgeschenk verehren. Alle Innungen hatten genaue Ordnungen für die Teilnahme an Begräbnissen. Beim Tode eines Meisters oder einer Meisterin folgte nach bestimmter Reihenfolge die ganze Innung, die 4 jüngsten Meister trugen den Sarg. Fröhliche gemeinsame Innungsfeste verstärkten weiterhin das Band der Freundschaft. Alle Innungen feierten am 30. November, am Andreastage, ihr großes Innungsfest. Dann wurde dem abgehenden Vorstande Entlastung erteilt, den Innungsmeistem für ihre Mühewaltung ein Geschenk verehrt, der Zeitpfennig wurde bezahlt und schließlich ein Festessen abgehalten. Für die 9 ratsfähigen Innungen war fernerhin der Tag der Rats wähl zu trium regum, der Tag der Heiligen Drei Könige, von größter Bedeutung. Da kamen die Innungen auf ihren Häusern oder in den für die Versammlung bestimmten Räumen zusammen und feierten dort die in der Nacht vorher zu Ratsherrn neu gewählten beiden Zunftmitglieder. Dabei kam es auch wohl zu Zank und Streit, wenn der eine oder andere ehrgeizige Zunftgenosse von der Wahl enttäuscht war oder wenn die Meinung aufkam, die Wahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dergleichen mißgünstige Äußerungen rügte aber nicht nur die Innung, sondern der Rat selbst griff ein, wenn durch Verleumdung oder üble Nachrede sein Ansehen gefährdet schien. Selbstverständlich waren die neuen Ratsherrn ihrer Gilde eine gehörige „Kollation“ schuldig, und sie durften damit, wie einmal die Knochenhauer bestimmten, nicht etwa ein Vierteljahr warten. Doch auch sonst fand sich Gelegenheit zu Umtrunk und Gelage. Jedesmal wenn einer Meister geworden war, hatte er seine Kameraden freizuhalten, bei den vornehmeren Gilden durch ein Essen, bei den weniger wohlhabenden durch ein Faß Bier. Auch einzelnen Mitgliedern auferlegte Strafen für Verstöße gegen die Innungsstatuten verwandelte man für die Gesamtheit der Innungsbrüder gern in Annehmlichkeiten dadurch, daß man sie in Branntwein, Bier oder Wein festsetzte. Häufig ging es bei solchen Festlichkeiten ausgelassen genug zu, und die schönsten Vorsätze und noch schöneren Innungsgesetze wurden durch die zahlreichen vollen Humpen gebührlich über den Haufen geworfen samt den würdigen Meistem, die sie innezuhalten beschlossen hatten. Die Böttcher stellten 1758 wegen Ausschweifungen ihre Schmausereien ein; bei anderen Innungen mußte hin und wieder sogar der Rat mit Polizeistrafen eingreifen. Das bändigte ja dann wohl die allzu über schäumende Lebenslust, hat sie aber gottlob nie gänzlich unterdrückt. Leider fiel einer der schönsten alten Bräuche im Laufe des 18. Jahrhunderts einreißenden Unsitten und der Trennung der Lohgerber von den Schustern im Jahre 1734 zum Opfer: das alte Merwigslindenfest der Schuhmacher. Einer alten Sage nach soll die Linde von dem alten Könige Merwig, eines Schuhmachers Sohn, gepflanzt worden sein. Der biedere König, der sich durch eigene Tüchtigkeit aus seinem niederen Stande zu dem geachteten, keinem Zunftzwang unterliegenden Handwerk des Scepter- und Reichsapfeltragens emporgearbeitet hatte, soll seine Abkunft nie vergessen und verleugnet haben, Grund genug, ihn an dem einzigen noch vorhandenen Zeugen seiner ersprießlichen Tätigkeit, diesmal seiner gärtnerischen, zu feiern. So zog denn seit alten Zeiten die ganze Schuhmacherinnung, die Lehrlinge mit ihren dreisten Mäulern, die Gesellen mit frohen Bändern am Hute, die Meister mit ehrwürdigen Bärten, auch die Frauen und Kinder im Mai jeden Jahres, später alle 7 Jahre, in prächtigem Zuge mit Fahnen und Musik, die wehrhaften Innungsmeister selbst mit ihren Waffen ausgerüstet, hinaus an die Merwigslinde. Hier ward ein ausgelassenes Fest im Freien begangen. Am Abend nahm sich jeder einen Zweig von der Linde, und mit diesem Grün geschmückt, traten die lustigen Schuhmacher ihren Rückmarsch an. 1736 untersagte der Rat leider dieses Fest. Das 18. Jahrhundert war bedauerlicherweise zu vernünftig und deshalb zu verständnislos für dergleichen alte Volksbräuche, und bleiche Juristen mit spitzen Nasen regierten den Staat. Die Merwigslinde aber hat gern ihren Blätterschmuck hergegeben, um frohe Menschen zu putzen und ein Stücklein göttlicher Natur wenigstens eine Zeit lang in der dumpfen Werkstatt des Alltags grünen zu lassen. Die alljährliche Beraubung ist ihr auch außer ordentlich gut bekommen, und so rauscht und raunt sie noch heute alte Erinnerungen und freut sich, wenn sonntags fröhliche und geputzte Menschen an ihr vorbei ins Grüne wandern. Wir vermuten aber, daß sie einem mit seiner Familie vorbeiziehenden munteren Schuhmacher irgendein Pechgerüchlein noch heute mit allerschönstem Lindenduft vergilt. Wie die Innung ihre Mitglieder zu heiteren Festen vereinte, so auch zu ernsterem Beginnen. Die Zeiten waren gottgläubig und kirchlich-fromm. Glaube und Kirche wurzelten tief im Volke und gaben dem Dasein Sinn und höhere Weihe. So waren auch die Zünfte mit dem kirchlichen Leben aufs innigste verbunden. Soweit sie vereint in besonderen Straßen saßen, gehörten sie auch einer bestimmten Kirche an. Die Krämer aus der Krämergasse, ebenso die Schuster aus der Schuhgasse gingen in die Marktkirche, die Böttcher vom Hagen in die Blasiikirche. Hier saßen sie auch nach Korporationen gemeinsam in ihren Kirchenstühlen. Die vornehmen Krämer mieteten 1692 auch für ihre Bedienten, welche sie in die Kirche begleiten mußten, 8 Plätze nebeneinander. Alle Innungen stifteten in der katholischen Zeit Nordhausens reichlich Wachs und Kerzen; auch Vergehen gegen die guten Sitten wurden gern mit Wachs gebüßt. Mag auch ein solches Mittel, Wohlanständigkeit zu erzielen, als recht äußerliche Erziehung erscheinen, so darf man doch den hohen Wert christlicher und kirchlicher Bräuche für die Gesittung nicht unterschätzen. Materialismus, Selbstsucht, Roheit wurden doch wesentlich gemildert durch den Einfluß der Religion. Besonders die. Gesellen fanden sich nicht nur zu derben Trinkgelagen und rohen Späßen zusammen, sondern auch zu Vereinigungen, bei denen sie sich erbauten und ihr Menschentum emporzuläutem strebten. Diese Gesellenbrüderschaften sind etwa unseren christlichen Vereinen junger Männer zu vergleichen. Zur Gewinnung einer sittlich gefestigten Lebensanschauung trugen sie jedenfalls in hohem Maße bei. So wird die Bruderschaft Unserer lieben Frauen der Schmiedeknechte „in den Predigern“ im Jahre 1541 genannt, die Schuhknechte hatten eine ebensolche 1514 an St. Nikolai, die Wollweberknappenbruderschaft war den Augustinern angeschlossen. Doch auch die Meister hielten sich nicht zu gut, solche Bruderschaften zu bilden. Die Bäcker hatten 1500 eine bei den Barfüßern; die Bruderschaft der Krämer nannte sich nach ihrem Schutzpatron, dem heiligen Laurentius. Andere Handwerker sind in den zahlreichen anderen Bruderschaften nachzuweisen. In ihren Innungen oder in diesen Bruderschaften begingen sie auch die hohen kirchlichen Festtage und nahmen an den Umzügen teil. Von dem Festzuge zur Spende am Freitage vor Palmarum war schon die Rede; ebenso fand ein großer Aufzug alljährlich am Fronleichnamsfeste statt. In strenger Ordnung, die niedrigsten Gewerbe beginnend, ging der Festzug durch die Stadt. Die zuweilen noch als unehrliche Leute auftretenden Stübner, Badestubenbesitzer und Barbiere, sowie die Feldschützen, Ackerknechte und Leineweber eröffneten den Zug; dann folgten die ehrlichen Innungen in folgender Reihe: die Tischler, die Böttcher, die Knochenhauer, die Schuhmacher und Gerber, die Kürschner, die Kramer, die Schmiede, die Bäcker, die Wollweber, die Schneider, die Kaufleute oder Gewandschnitter, die Winzer. Hinter diesen Zünften kamen die Schulmeister und Schüler der Bürgerschule von St. Jakobi, dann die weltlichen Geistlichen der Kirchen, die nicht unter dem Kreuzstift standen; an diese schlossen sich die Mönchsorden der Stadt, darauf folgten die Schüler des Kreuzstiftes und endlich - der Gipfel der Vornehmheit - die Pfarrer und Vikare der übrigen Kirchen sowie die Domherrn. Der vornehmste und würdigste ging zuletzt, mit bedeutendem Gesiegte. Überweht von hundert bunten Fahnen, fromme Gesänge anstimmend, durchzog man die Stadt, an vier Stationen haltmachend. Dann endete schließlich der Zug im Domstift, wo eine Messe gelesen wurde.[6] So waren denn die Innungen gegen Tod und Teufel gehörig gewappnet; gewappnet waren sie aber auch gegen die Feinde dieser Welt, und mannhaft wußten sie wenigstens in älterer Zeit Gewehr und Schwert bei Aufläufen oder gegen den äußeren Feind zu führen. Nach Straßenzeilen geordnet, standen die Bürger im Kampfe. Die wehrhafteste Innung bildeten die wackeren Schuhmacher. Sie waren ebenso wie die Schützenkompagnie verpflichtet, bei Aufläufen oder bei Stürmen auf die Stadt als erste auf dem Platze zu erscheinen. Die Stadt hatte ihren Schuhhof dafür vom Wachtgelde befreit. Als 1786 der Rat mit diesem Brauche brechen wollte, da längst schon kein rauflustiger Honsteiner oder Braunschweiger mehr zu bekämpfen war, pochten sie auf ihr gutes altes Recht und fochten es ehrlich durch. Am Tage der Heiligen Drei Könige wählte jede Zunft auch ihre „Kriegsmeister“. Ferner unterhielt jede Zunft neben ihren Handwaffen eigenes größeres Geschütz. Bei den Gewandschnittem werden 3 lange Büchsen, 1 kurze Faustbüchse, 3 Pulverflaschen genannt. Doch im 16. Jahrhundert änderte sich fortwährend dieser Bestand an Waffenvorräten, nachdem der Gebrauch des Schießpulvers sich allgemein eingebürgert hatte. Die Krämer hatten 1595 5 Langrohre, 1685 3 lange Büchsen, 1 Faustbüchse, 3 Pulverflaschen.[7] So stellt sich denn das Bild vom Leben der Nordhäuser Innungen dar: Es war ein wirtschaftlich kleinlicher Geist, der sie beherrschte, der nur durch einen engstirnigen Selbsterhaltungstrieb hervorgerufen war, der sich in erster Linie nur auf die Gewinnung und Sicherung der täglichen Nahrung richtete. Doch scheinen diese Zünfte für ihre Zeiten und ihre Verhältnisse nötig und natumotwendig gewesen zu sein. Andere Zeiten schaffen sich andere, ihnen genehme Formen. Allerdings war gerade bei dem Leben der Zünfte das Gesetz der historischen Beharrung besonders stark, und so überlebten sie auch noch das 18. Jahrhundert, dessen wenigstens kulturell schon freierem Geiste auch eine freiere Wirtschaftsform angemessen gewesen wäre. Erst die reinigende Luft der Französischen Revolution blies die dicken, schweren Schwaden hinweg. Doch in ihren besten Zeiten, im 15. und 16. Jahrhundert, haben die Zünfte für das Gemeinwohl Außerordentliches geleistet und jene Ideen gefördert, die über die Nichtigkeiten dieser Welt hinaus- und hinüberzeigen in eine Welt höherer und allgemeingültigerer Werte. Heineck, Bausteine zu einer Geschichte der Bäckerinnung, 1925. Heine, Die Artikel der alten Knochenhauerinnung zu Nordhausen, Zeitschrift des Harzvereins, 1896. Heine, Die alte Schuh- und Lohgerberinnung, Nordh. Familienbl. 1898. Heine, Geschichte der Krämerinnung, Nordh. Familienblätter 1899. Heineck, Aus der Chronik des ehrbaren Schuhmachergewerbes, Ndh. Ztg., Okt. 1925. Heineck, Innungsgewohnheiten der Böttcher, in: Der Böttchermeister, 1924 Nr. 28, 29. Heineck, Zur Geschichte des Schneiderhandwerkes, in: Europäische Modenzeitung. Heineck, Die Statuten der Seifensieder- und Lichtzieher-Innung, in: Seifensiederzeitung, Verlag Chem. Industrie, Ziolkowsky, 1897.
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