Nordhausen um 1790
Nordhausen um 1790
„Die Stadt zählt 15-1600 Häuser von 8000 höchstens 9000 Menschen bewohnt. Der Ort ist, wie alle alten Städte, nichts weniger als schön gebaut. Man hat bei dessen Aufbau mehr Rücksicht auf die Erwerbs- und Nahrungszweige der Einwohner, als auf ihre bequeme Wohnung genommen. Die im Vorhause verteilten wenigen Zimmer scheinen mehr der Kornböden, Brenngebäude und Schweineställe, die mit dem Vordergebäude ein Quadrat bilden, als der Menschen willen da zu sein. Künstliche Gebäude und Anlagen würde man in Nordhausen vergeblich suchen, aber überall stößt man auf so viel mehr Industrie, Tätigkeit und Erwerbefleiß, der durch alle Klassen verteilt ist. Fruchthandlung, Gartenbau, Branntweinbrennerei und Schweinezucht sind die eigentlichen Nahrungszweige der hiesigen Einwohner. Ganz Obersachsen bis einige Meilen diesseits Leipzig bringt sein Getreide dem Nordhäuser zum Verkauf her. Was in der Stadt nicht verbraucht und verbrannt wird, verhandelt dieser an den Harzbewohner. Nicht allein die Vorstädte, auch die großen Dörfer Sundhausen und Windehausen, die nichts als Gartenbau treiben, bringen ihre Früchte dreimal in der Woche auf den hiesigen Markt. Der wichtigste Nahrungszweig der Nordhäuser bleibt indessen ihr Branntweinbrennern Jetzt sind hier 198 solcher Blasen täglich im Gange. Diese Branntweinfabriken ruhen weder an Sonn- noch Feiertagen. Im Durchschnitt werden jeden Tag 1600, im Jahre 600 000 Scheffel Getreide verbrannt. Der Nordhäuser Kornbranntwein ist seiner Stärke und Güte wegen berühmt und geht über 80 Meilen seines Umkreises. Von den Branntweinhefen werden eine Menge Schweine gemästet, welche aus Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen, selbst aus Pommern und Polen Hergetrieben, von dem Nordhäuser 10 Taler das magere Paar eingekauft und gemästet, dem Gebirgsbewohner für 24 Taler wieder verkauft werden. Man rechnet wenigstens 4000 jährlich hier gemästeter Schweine. 16 Oelmühlen, aus welchen jährlich über 17 000 Zentner Oel bereitet und nach dem gewöhnlichen Preise für mehr denn 150 000 Taler verkauft werden, werfen dem Bürger einen reichen, sicheren Gewinst ab. Auch in der Umgegend haben die Nordhäuser die mehrsten Oelmühlen in Pacht. Das Holz, welches das starke Brennen erfordert, ist bisher vom Harze genommen worden. Der Holzmangel aber, der sich auf dem Gebirge selbst eingebunden, verteuert diesen dem Nordhäuser unentbehrlichen Artikel sehr, schon gilt der Malter totes Tannenholz 1 Taler 18 Groschen. Die Brenner haben seit einem halben Jahre angefangen, Steinkohlen zu brauchen, die aus einer dem Fürsten von Stolberg angehörenden Steinkohlengrube genommen werden. Jetzt ist die Stadt darüber her, eine ähnliche Grube in ihrer Nähe auf eigenem Gebiet aufzunehmen. Glückt dieses, so bleibt ein großer Teil des Gewinstes, der jetzt dem Nachbarn zufließt, in der Stadt. Auch wird hier viel Bier gebraut, doch nichts ausgeführt, alles wird in der Stadt verbraucht. Die vielen Obersachsen, die ihr Getreide herbringen, der Harzbewohner, den der Ankauf seiner Nahrungsmittel herrnst, die vielen Viehhändler und Schweinetreiber vertrinken ein ansehnliches Quantum dieses Getränkes. Die Nordhäuser selbst sind tüchtige Biertrinker; sie haben zwei weiße Biere: Broihan und Gose, nebst einem Braunbier. Die Neustadt hat zur Grenze, wo sie anfängt, eine hölzerne Säule, worauf ein kupferner bäuchiger Adler mit ausgespannten Flügeln schwebt.[1] Die Kirchen sind alle im alten, ganz gewöhnlichen Stil gebaut, enthalten auch im Innern nichts Bemerkenswertes. Wo ein Plätzchen frei war, sind vergoldetes Laubwerk, Trauben, marmorierte Säulchen und blaue Felder angebracht. Vorzüglich bekleckt und mit bunten Vorhängen prangend sind die Stühle der Ratspersonen; aufgefrischte und neubemalte Wappen und Schilder finden sich hier in großer Menge. Nur das schöne Geschlecht geht in die unteren Kirchenstühle, jedes männliche Wesen gehört auf die Emporkirche. Die Nordhäuser Damen sind Wohl die einzigen, welche Uniformen nach der Verschiedenheit ihres Alters tragen. Alle von der wohlhabenden Klasse, welche über das Stufenjahr der Schönheit hinausgekommen sind, strotzen in dunkelroten Gros de Tours-Kleidern.[2] Junge Weiber, mannbare Mädchen tragen blaue taftene Jacken und strohgelbe Röcke. Noch nicht zu diesem Alter gediehene Mädchen gehen in dunkelbraunen Tamis,[3] reichlich mit rosafarbenem Band gebrämt. Diese sind indessen Kirchen- und Gala-Trachten, an gewöhnlichen Tagen sieht man diese Uniformen nicht. Kein Frauenzimmer, das schon weiß, warum es zum schönen Geschlecht gehört, tritt über die Gasse, ohne mit einem Mantel, der bis an die Fersen reicht, behängen zu sein. Diese sind bei den Gemeinen von Kattun, bei den Besseren von blauem Tuche, oben mit einem gleichfarbigen Aufschläge und einer goldenen Tresse besetzt. Die vornehmsten sind solche, bei denen noch vorne längs dem offenen Bande eine solche Tresse herunter geht. Sämtliche Weiber halten viel auf bunte Schuhe von blauem oder rotem Tuch mit breiten Absätzen, die ihren großen, Platten Füßen aber keine Grazie milteilen. Der einfache Kopfputz der Weiber der niedrigen Klasse steht besser; sie binden ihre vielen Haare in eine Art Toupee und tragen hinten ein simples Käppchen, das mit einem breiten Bande festgebunden ist. Schöne Gesichter sind äußerst selten. Die meisten sind länglich, gelb und ohne Ausdruck, doch sind die Augen ziemlich munter. Die Männer sind ein wenig schöner und scheinen sehr vermischter Abkunst zu sein. Dem Gottesdienste wohnen die Kindermägde mit den Kindern bei. Die junge Frau läßt sich ihren Säugling nachtragen und reicht ihm die Brust, wenn ihm während der Predigt hungert. Zuweilen klagen die Kleinen ihre Langeweile durch ein jämmerliches Geschrei. Einer machte es zu arg; der tolerante Prediger, der durch das Gequäk gestört wurde, legte ihm aber kein Schweigen auf, sondern hielt inne und geduldete sich, bis der kleine Schreier entfernt war. Mein Glück wollte, daß gerade bei meiner Ankunft ein Jubelfest gefeiert wurde. Vor und nach der Predigt wurde lange musiziert. Jomellis[4] rauschende Sinfonie aus C-dur machte den Anfang. Eine Ouvertüre von Graun,[5] die F-moll-Arie, welche Euridice in Glucks Orheus singt und Bachs halber Morgengesang waren, so unbarmherzig sie auch hergefiedelt und von sechs großen Chorjungen abgeblökt wurden, leicht wieder zu erkennen. Der dieser zusammengelegenen Musik untergelegte Text war original. Der Charakter der Nordhäuser ist offen, frei, ohne Ziererei. Man spricht über Staats- und Stadtsachen ohne Umschweife und Aengstlichkeit, selbst in Gegenwart der Senatoren. Vor diesen nimmt man den Hut ein ganz klein wenig tiefer ab, sonst bezahlt man ihnen keine Ehrerbietung. Es gefällt ihnen, daß man anderswo Reformen macht, sie selbst aber glauben sich keiner Reformen zu bedürfen. Nebenher bemengen sich die Brenner und Schweinefütterer ein bißchen mit der Politik und blättern so viel in fremden Zeitungen daß sie das Historische der Zeitläufe ziemlich inne haben, ohne sonderlich ins Feine zu gehen. Die Bürger sind mittelmäßig wohlhabend und setzen ihr Glück nicht sowohl in Luxus und Glanz als in Zufriedenheit, unübereilte Tätigkeit und gute Laune. Gesunden Menschenverstand trifft man fast überall. Falsche Anmaßungen, Prahlsucht und Witzelgeist sind mir nicht vorgekommen. Sie finden sich nicht lächerlich und klein, wie die zu Goslar und sind nicht aufgeblasen. Man beschwert sich nicht über den Magistrat, nicht über schlechte Nahrung, nicht über die Eingriffe der Fürsten. Man prahlt nicht mit seinen Herrlichkeiten und begnügt sich mit dem goldenen Mittelstände bei dem Bewußtsein, es so ziemlich mit dem Schicksal getroffen zu haben. Zu neuen Unternehmungen taugen die Nordhäuser nicht, können aber sehr Wohl bestehen, wenn es mit ihrem Nährstande beim alten bleibt, worin sie jetzt noch von Niemanden gestört werden. Die Religiosität steht im Mittel; man spottet nicht, aber man ist lau. Der Nordhäuser besucht den Gottesdienst unausgesetzt mit anständiger Andacht, aber ohne religiösen Enthusiasmus. Weniger Modesucht, Nachahmung und französische Sitten findet man in keiner der Reichsstädte. Noch hat kein Franzose, selbst als Sprachmeister hier gedeihen können, auch jetzt hat und verlangt die Stadt keinen dieser in Deutschland so reichlich verstreuten Menschwesen. Den Sitten sieht man das Obersächsische schon an. Die eiserne Tätigkeit, das harte, verdrossene Arbeiten, die gefurchten Stirnen der Niedersachsen sind schon verschwunden. Der Dialekt ist hochdeutsch mit Vermischung plattdeutscher Redensarten. Die Stadt hält 50 Mann Soldaten, die unter einem Hauptmann stehen.“
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