Nordhausen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Bürgertum 1220-1290

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Textdaten
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Autor: Hans Silberborth
Titel: Nordhausen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Bürgertum 1220-1290
Untertitel:
aus: Geschichte der freien Reichsstadt Nordhausen
Herausgeber: Magistrat
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Magistrat der Stadt Nordhausen
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 2,
Kapitel 3
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Abschnitt II.
Nordhausen
unter der Herrschaft der Geschlechter
1220—1375.




Kapitel 3.
Nordhausen in der Zeit des Überganges
vom Feudalismus zum Bürgertum
1220—1920.


Seit dem Jahre 1158 hatte das Nonnenstift zum Heiligen Kreuze die Stadt Nordhausen im Besitze gehabt. Noch zeugen Blechmünzen, Brakteaten jener Zeit mit dem Bildnis der Äbtissinnen Hedwig, Cäcilia und Beatrix, von der Herrschaft des Stifts über das Gemeinwesen. Es war eine schwächliche Herrschaft gewesen, diese Klosterherrschaft, die zwar nicht der Entwicklung der Gemeinde, aber doch ihrem Ansehen geschadet hatte. Solange Heinrich der Löwe als vom Reiche eingesetzter Oberschutzherr seine starke Hand über die Ansiedlung gehalten hatte, mochten gröbere Eingriffe und Rechtsbrüche noch unterblieben sein. Als aber der Zorn Barbarossas 1181 den Löwen hinwegblies, war Nordhausen und sein Nonnenstift schutzlos den gierigen Zugriffen seiner Nachbarn preisgegeben. Kaiser Friedrich hatte zwar im November 1181 dem Thüringer Landgrafen Hermann die Stadt anvertraut, aber die Persönlichkeit Hermanns war nicht dazu angetan, Bedrängte vor dem Unrecht anderer zu wahren. Bei dem gewaltigen Heinrich von Braunschweig genügte ein kurzer Machtspruch, genügte fast ein Stirnerunzeln, den Friedensbrecher von seiner Beute hinwegzujagen, bei Hermann von Thüringen genügte nicht Fehdehandschuh noch Schwertgeklirr, die Meute vom Wilde zu bringen. Denn er, der Hab und Gut, wenig wählerisch in seiner Gesellschaft, mit edelsten Sängern und mit rohsten Schnapphähnen auf der Wartburg vertat, er, der selbst kleinliche und bedenkliche Mittel nicht verschmähte, eigenen Vorteil zu erjagen, war nicht der Mann dazu, andere zu Recht und Ordnung anzuhalten.

So geriet das Nonnenstift in Verfall: Äußerlich schwand sein Besitz, innerlich scheint Lockerung der Sitten das Ansehen gefährdet zu haben. Der Vogt Ruprecht, der um 1200 die Interessen des Stiftsbesitzes wahrzunehmen hatte, war ein wenig tatkräftiger Mann. Er hauste im alten fränkischen Reichshofe am Frauenberge und konnte kaum sein eigenes Leben bewahren, viel weniger das Gut der Nonnen kraftvoll verwalten. Kinderlos wie er war, und ohne Hoffnung, seinen Namen im Diesseits zu erhalten, setzte er alles daran, sich im Jenseits einen Platz zu sichern. Er gründete auf dem Boden des alten fränkischen Reichshofes das Zisterziensernonnenkloster Neuwerk und stattete es mit dem ihm noch verbliebenen Reichslehen aus.

In diesen schwankenden Zeitläuften erwuchs nun dem Stift und der Stadt in dem Propste Dietrich von Honstein ein Retter. Graf Dietrich hatte als ein jüngerer Sohn des Geschlechts den geistlichen Stand gewählt und war 1208 Propst des Nonnenstifts geworden. Lange hatte er während der Thronstreitigkeiten zwischen Philipp und Otto IV., zwischen Otto und Friedrich II. mit gebundenen Händen dem Niedergange des Klosters zusehen müssen. Da, als sich nach dem Tode Ottos IV. und nach der allgemeinen Anerkennung Friedrichs II. die Verhältnisse in Deutschland gefestigt hatten, glaubte er endlich die Zeit gekommen, zum eigenen Nutzen, zum Wohle seiner Heimat und zum Vorteil des Reichs den entscheidenden Schritt tun zu können. Seine weitreichenden, einflußreichen Verbindungen mußten ihm dazu behilflich sein.

Das Geschlecht der Honsteiner, dem er entstammte, war ja vielfach bekannt und verwandt mit den meisten Thüringer Herren und Grafen. Dietrichs Onkel Edgar III. war mit Oda, einer Tochter des Burggrafen von Magdeburg verheiratet. Dieser wieder entstammte dem Geschlecht derer von Querfurt. Durch ihn, aber auch durch andere Beziehungen, war er mit dem damals blühenden Grafengeschlechte der Käfernburger bei Arnstadt bekannt geworden; er selbst hatte mehrfach als Gast auf der Käfernburg geweilt. Und aus diesem Geschlecht der Käfernburger stammte wieder der schon bei drei Königen überaus einflußreiche Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg. Diesen seinen Gönner gewann er nun dafür, bei König Friedrich für seine Pläne einzutreten: Das alte Mathildische Nonnenkloster sollte aufgehoben werden und daraus ein Mannsstift mit Propst Dietrich an der Spitze entstehen; die in den letzten Jahrzehnten entfremdeten Liegenschaften des Nonnenklosters sollten mit Hilfe des Reichs an das Stift restlos zurückgebracht werden, und das städtische Gemeinwesen sollte statt dessen reichsfrei werden.

Friedrich II. wird leicht auf diese Pläne Albrechts von Magdeburg und Dietrichs von Honstein eingegangen sein. Die schwierige Lage der Nonnen, die Gründung eines neuen Nonnenklosters am Frauenberge durch Ruprecht und die Entwicklung Nordhausens als eines städtischen, allmählich schwer von einem Stift zu regierenden Gemeinwesens werden ihn zu dem Entschluß gebracht haben. Auch die Gelegenheit, altes, unter die Kirche geratenes Reichsgut dem Reiche zurückzugewinnen, mag ihn bewogen und dem Plane schnell geneigt gemacht zu haben. So ward denn am 1. April 1219 zu Hagenau auf Bitten des Propstes Dietrich und nach dem Vortrage der Erzbischöfe von Mainz und Magdeburg sowie des Kanzlers Konrad, Bischofs zu Metz, der Beschluß zur Umwandlung des Nonnenklosters in ein Domherrenstift und zur Stellung Nordhausens direkt unter das Reich gefaßt.

Eigenen Einblick in die Verhältnisse verschaffte sich der König im Sommer 1219, wo er in Thüringen und Sachsen weilte: Im Juni hielt er in Erfurt Hof, und in Goslar stellte er eine für diese Stadt wichtige Urkunde aus. Es steht nicht fest, daß er damals in Nordhausen selbst geweilt hat, doch muß er unsere heimatlichen Gaue durchzogen haben.

So war die Urkunde vom 27. Juli 1220, die die Verhältnisse in Nordhausen auf längste Zeiten hinaus bestimmen sollte, wohl vorbereitet. Durch diesen kaiserlichen Spruch wurde das Kloster in das Mannsstift zum Heiligen Kreuze umgewandelt; den Propst des Stiftes wählte der König selbst aus, der Erzbischof von Mainz als Diözesan übertrug dem vom König Bestimmten die Geschäfte. Der Propst bekam das Recht, den Scholastikus zu ernennen; das Domkapitel besetzte die wichtigste Stelle aus seiner Mitte selbst, die des Dechanten. Dazu erhielt das Domstift wichtige Rechte: der gesamte Besitz des alten Nonnenklosters ging an das Stift über. Innerhalb Nordhausens wurde es samt seinen auf städtischem Boden wohnenden Insassen, auch den weltlichen, der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen; es wurde befreit von allen städtischen Lasten: von den Steuern, vom Wachtdienst, von der Hilfeleistung zum Mauerbau. Zu diesen Freiheiten traten noch wichtige Rechte innerhalb der Stadt. Das Stift behielt die Einnahmen des Zinses an den Wohnstätten, des sogenannten Wortzinses,[1] es erhielt die Hauptkirchen Nordhausens, St. Nikolai, St. Petri, St. Marien auf dem Frauenberge unterstellt; 1234 kam St. Blasii noch hinzu. Trotz dieser gewaltigen Freiheiten und Rechte ward ihm aber eines genommen: die Stadt Nordhausen selbst. Diese nahm König Friedrich samt ihrer Stadtflur für sich selbst in Anspruch und unterstellte die Gerichtsbarkeit, den Zoll und die Münze königlichen Beamten. Damit ist das Jahr 1220 das Geburtsjahr der Freien-und Reichsstadt Nordhausen.

Gewiß, ein bedeutsamer Schritt für Nordhausen war damit vorwärts getan. Um aber alle Lebensbedingungen unserer Heimatstadt im Mittelalter wirklich verstehen zu können, muß man sich jederzeit vor Augen halten, daß in diesem nun selbständigen Gemeinwesen ein völlig selbständiges Gebilde, das Domherrenstift, lag. In der Tat ein Staat im Staate! Und König Friedrich sowie sein junger Sohn Heinrich, der für den nach Italien reisenden Vater die Regentschaft in Deutschland übernahm, wußten sehr wohl, daß sie für das, was sie der Kirche genommen hatten, dieselbe auch weiterhin entschädigen mußten. Auch Heinrich hielt nicht nur seine Hand über das Stift, sondern begünstigte es nach Kräften. 1234 hatte ein furchtbarer Brand große Teile der Altstadt Nordhausen zerstört. Auch die Domkirche hatte schwer gelitten. Das war ein erwünschter Anlaß, von neuem auf die Notlage der Kirche hinzuweisen, strenge Befehle zu erlassen, daß endlich Ernst gemacht werde, den der Kirche noch immer entwendeten Besitz zurückzuerstatten und neue Privilegien den alten hinzuzufügen. Die Päpste jener Zeit aber, Honorius III. 1221 und Gregor IX. 1235, bestätigten durch ihre Bullen den von den deutschen Königen geschaffenen Zustand.[2]

Die reichen Liegenschaften des Domstifts erlaubten den Domherren ein stattliches und sorgenfreies Leben. Das Kapitel wurde fast ausschließlich eine Versorgungsstätte für die Söhne thüringischer und sächsischer, nach Einführung der Reformation in Nordhausen, Mainzer und Würzburger Adelsgeschlechter.

Der vom König ernannte Propst, fast immer ein hoher Adliger, brauchte nicht in Nordhausen zu residieren, sondern konnte sein Pfründe, wo es ihm beliebte, genießen. Der Dekan des Stifts war deshalb häufig die ausschlaggebende Persönlichkeit. Doch beide waren sowohl in der Verwaltung des Stifts wie in der Ausübung der Zucht von dem Kapitel der Domherrn abhängig. Jede wichtige Angelegenheit mußte dem Kapitel unterbreitet und darüber ein Beschluß herbeigeführt werden. Aus diesem Kapitel hob sich noch der Scholastikus heraus, der die Aufsicht über die Domschule führte und der den Leiter derselben, den Rektor, sowie dessen Unterlehrer auswählte. Sämtliche Stiftsherren waren Geistliche, hatten die Tonsur erhalten, trugen geistliches Kleid und selbst das für die Geistlichkeit vorgeschriebene Schuhwerk. Jeder von ihnen wohnte am Dom mit seiner Dienerschaft in einem besonderen Haus, seiner Kurie, in die er sich einkaufen mußte und für deren Instandsetzung er alljährlich eine kleine Summe zu entrichten hatte. Vornehme Absonderung nicht nur von der Bürgerschaft, sondern selbst von den städtischen Geistlichen war Pflicht der Domherren. Taten sie einen Gang durch die Stadt, so war ihnen gemessene Haltung und würdiges Auftreten geboten; daß jederzeit ein Diener sie begleitete, waren sie sich selbst und der heiligen Kirche schuldig.

Das Stift war seit der Ottonenzeit freigebig von gütigen Königen und frommen Christen beschenkt und ausgestattet worden. Am wenigsten Einkünfte bezog es noch aus Nordhausen selbst. Die alte Grund- und Gebäudesteuer, der Wortzins, der aus der Stadt dem Stifte zufloß, brachte nur geringe Ausbeute, da der einmal festgesetzte Satz nicht erhöht werden konnte und der Wert des Geldes ständig sank. Mehr schon brachten die Abhängigkeit der städtischen Kirchen und die Parochie Wechsungen ein, die dem Stifte gehörte. 21.50 M[3] Silbers wurden daraus verrechnet. Die Untertänigkeit (signum suhjectionis) dieser Kirchen kam aber nicht bloß durch diese Abgaben zum Ausdruck, sondern auch durch die Verpflichtung der Geistlichen, an den Hauptprozessionen des Stifts, an den beiden Kreuzfesten, der Kreuzerfindung am 3. Mai und der Kreuzerhöhung am 14. September, teilzunehmen.

Die Haupteinnahmen flössen dem Stifte jedoch aus seinen liegenden Gütern zu. Diese lagen, nachdem 1253 die alten westfälischen noch aus Mathildischem Privatbesitz stammenden Besitzungen an das Bistum Münster verkauft worden waren, sämtlich in Sachsen und Thüringen. Nicht weniger als 84 Ortschaften hat man errechnet, in denen Höfe und Häuser dem Nordhäuser Kreuzstifte zinspflichtig waren. Die meisten Besitzungen lagen in Nordhausens Nähe selbst: So 900 Morgen Land in der Flur von Bielen und Windehausen, die einst zu Goslar gehört hatten und die der Dechant Friedrich von Bila erwarb. Die reichsten Erträgnisse aber kamen aus dem Gute Vogelsberg im Weimarischen, einem Vermächtnisse Kaiser Ottos II. vom Jahre 974, das mehr als 10 000 Morgen umfaßte und bis ins 19. Jahrhundert, also fast 850 Jahre, dem Stifte verblieb. Aus diesem Gute bezog das Stift im 14. Jahrhundert jährlich 10 500 Scheffel Getreide, 500 Hühner, 110 M Silber, 250 Pfund Pfennige. Die z. T. wendischen Leibeigenen standen in strenger Abhängigkeit, mußten bei einem Todesfall die verhaßte Steuer des Besthaupts, d. h. des besten Stückes aus dem Erbe, an den Zinsherrn abgeben, und bei der Verheiratung stand ihm die Abgabe des sogenannten Bettemunds zu. Aus diesen großen Einkünften kann man den Reichtum des Domhermstifts ermessen und die glückliche, sorgenfreie Lage der Inhaber jener Pfründen erkennen.[4]

Obgleich nun aber auch im Jahre 1220 das Domstift außerordentliche Rechte zuerteilt bekommen hatte, war Nordhausen doch von ihm frei und unabhängig geworden; und das war das Wichtigste für die Entwicklung unserer Stadt. Machte sich schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine andere Einstellung der Bevölkerung in wirtschaftlicher Beziehung bemerkbar, waren schon gegen Ausgang des 12. Jahrhunderts die Händler und Gewerbetreibenden gegenüber den reinen Ackerbauern in der Mehrzahl, trieben schon damals einige der aus der Umgebung zugezogenen Adlige Handel und veranlaßten auch manchen Reichsministerialen auf der Burg und im Wirtschaftshofe zu Nordhausen ein bürgerliches und einträchtiges Gewerbe zu betreiben, so ist seit 1220 zum ersten Male festzustellen, daß diese Adligen, seien es nun bloße milites, Mannen mit Roß und Rüstung, oder seien es mercatores, vornehme Kaufleute, sich als eine Einheit fühlten, als in der Stadt gemeinsam wohnend, zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden gegenüber dem flachen Lande, gegenüber den benachbarten Territorien, ja, gegenüber ihrem Herrn und Könige selbst. Das ist die Bedeutung des Auftretens der burgenses, der Bürger, in einer Urkunde aus den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts, also kurz nach dem Jahre 1220.

Wirklich „Stadt“ – und das ist die zweite und außerordentlich wichtige Bedeutung des Jahres 1220 – wurde aber damals Nordhausen dadurch, daß es rechtlich vom Lande getrennt wurde. Bisher hatte es nur zwei Potenzen einer wirklichen Stadt gehabt, die politische als ummauerte civitas, und die wirtschaftliche als bevorrechteter Markt; jetzt erhielt es die dritte: Nordhausen wurde aus dem ländlichen Gerichtssprengel herausgenommen und bekam seine eigene städtische Gerichtsbarkeit. Hatte bisher der Vogt des Nonnenstiftes, wahrscheinlich unter der Aufsicht der Grafen von Klettenberg, die Gerichtsbarkeit über das gesamte Immunitätsgebiet des Klosters ausgeübt, so wurde er als Gerichtsherr der Freien Reichsstadt nunmehr unabhängig und hegte das Gericht nach eigenem Ermessen. Die Klettenberger blieben Vorsitzende des Landthings, das bei der zentralen Lage Nordhausens noch weiter in Nordhausen, vielleicht, wie Meyer annimmt, auf dem Löseberg, dem heutigen Rähmen, tagte.[5]

Nimmt man die wesentliche Umgestaltung aller Dinge in Nordhausen durch die Königsurkunde vom Jahre 1220 zusammen mit dieser allgemeinen Entwicklung, dann tritt erst die ganze Bedeutung jener ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts recht in Erscheinung.

Eine wirkliche, freie Bürgerschaft war in Bildung begriffen, eine Bürgerschaft, die auch fühlte, daß sie nach außen hin unabhängig von jeder Gewalt ausgenommen der des Reiches war, und die sich bewußt ward, daß sie in ihrer inneren Zusammensetzung etwas anderes war als die Bauernschaften auf dem Lande oder die adligen Herren auf den Gutshöfen. Zum Zeichen aber der Freiheit und Selbständigkeit in ihren Willensentschlüssen begann diese Bürgerschaft bald nach dem Jahre 1220 ein eigenes Stadtsiegel zu führen. Dieses Stadtsiegel, das um 1225 zum ersten Male erscheint, trug die Umschrift: Sigillum Northusensis Civitatis', es ist ein untrügliches Zeichen für die Entwicklung Nordhausens zur Stadt im mittelalterlichen Sinne. An zwei Urkunden des Zisterzienserklosters Walkenried vom Jahre 1229 und 1230 ist das Siegel zuerst erhalten. Es zeigt zwei königliche Gestalten zwischen zwei Türmen. Förstemann hat diese Gestalten als Friedrich II. und seinen Sohn Heinrich gedeutet. Uns scheint diese Auslegung unmöglich; denn die linke Figur trägt das Kopftuch einer Frau, wie es im 13. und 14. Jahrhundert die Abbildungen von Frauengestalten immer zeigen. Deshalb werden die beiden Persönlichkeiten wohl die Gründer Nordhausens und seines Stifts, König Heinrich I. und seine Gemahlin darstellen.

Dieses erste Siegel der Stadt wurde um 1300 durch ein zweites mit der Umschrift Sigillum Northusen Civitatis Imperii ersetzt, und dies war dann bis ins 16. Jahrhundert im Gebrauch. Daneben führte die Stadt seit dem Jahre 1336 ein Sekretsiegel, das einen einfachen Adler zeigt, dessen Kopf von einem Helme mit zwei Büffelhömem geschützt ist. Geringe Sachen wurden ferner seit der Mitte des 15. Jahrhunderts mit einem größeren Siegel versehen, das nur einen gekrönten Adler aufweist. Beide Siegel waren bis 1736 im Gebrauch. Der auf dem Sekret sichtbare Adler wurde Nordhausens Stadtwappen. Ob aber Nordhausen dieses Wappen, den Adler unter einem mit Büffelhömem gezierten Helm, von dem der deutschen Kaiser oder dem der Thüringer Landgrafen entlehnt hat, bleibe dahingestellt. Kaiser wie Landgraf führen den gleichen Wappenschild, der Kaiser in goldenem, der Landgraf in silbernem Schmuck.[6]

Die Geschichte Deutschlands und besonders die seiner Städte wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts weniger von Friedrich II., den seine Sorgen an Italien fesselten, beeinflußt als von seinem Sohne Heinrich und seinen Ratgebern, die in des Kaisers Abwesenheit in Deutschland regierten. Jene Berater des jugendlichen Fürsten hatten die Bedeutung der Städte richtig erkannt und förderten ihre Blüte nach Kräften. Nordhausen nahm an diesem ersten Aufstieg deutschen Städtewesens teil. Nachdem schon, wie Karl Meyer gezeigt hat, im 12. Jahrhundert der Petersberg außerhalb des Mauerrings besiedelt worden war und die Zeile der Weberstraße sich gebildet hatte, rückte jetzt das Altendorf aus dem Zorgegrunde an die Stadt von Norden heran. Dieser Stadtteil ist nicht erst damals entstanden und hat nicht allein, wie Meyer meint, vom Dorfe Hohenrode her seine Einwohner empfangen, sondern hier müssen seit alters einzelne Gehöfte verstreut gelegen haben, deren Bewohner nun die Hut der Stadtmauer aufsuchten. Daß der Schutz, den Nordhausen gewährte, auch die Bauern von Hohenrode lockte, sie ihre einstigen Wohnstätten wüst liegen ließen und in die Altendorfer Bevölkerung aufgingen, soll nicht geleugnet werden.

In derselben Zeit von 1220-1234 ward auch der Hagen nördlich der Stadt gerodet, eine Kapelle wurde gebaut und dem heiligen Blasius geweiht, und um dieses Heiligtum entstand das Blasiiviertel, ein weiterer Stadtteil, aber auch noch außerhalb der eigentlichen Stadtbefestigung gelegen und nur durch Gräben und Flechtzäune geschützt.

So dehnte und reckte sich die kleine Stadt, ihre Insassen gewöhnten sich, gar trotzig und sicher daherzuschreiten, und ihre Ratsmeister dünkten sich wohl bald, nicht weniger zu sein als jene stolzen Grafen vor ihren Toren.

Die wichtigsten dieser Nachbarn der freien Stadt waren die Klettenberger und Honsteiner Grafen. Der klettenbergische Besitz lag in der Hauptsache westlich und nördlich der Stadt. Doch war der Glanz dieses Hauses schon im Erbleichen, und ihre Güter gingen bald in die Hände der Honsteiner über. Schon 1230 erwarben diese größere Teile der Grafschaft mit dem Hauptorte Ellrich, und wahrscheinlich 1267 brachten sie die ganze Grafschaft an sich.

Viel bedeutsamer, und zwar auf Jahrhunderte hinaus, sollten die Honsteiner und die sich um 1200 von ihnen abzweigende Linie der Stolberger Grafen für Nordhausen werden. Nachdem dieses Grafengeschlecht 1268 Greußen, 1295 Sondershausen und 1303 von den Grafen von Beichlingen Roßla erworben hatte, reichte sein Einfluß vom Ostabhange des Eichsfeldes im Westen bis vor die Tore von Sangerhausen im Osten; von den südlichen Harzbergen im Norden bis tief ins Thüringer Becken im Süden. Darunter befand sich auch mancher alte Reichsbesitz, dessen Reichsvögte, ungeschützt vom Reiche wie sie waren, in die Lehnsherrlichkeit der mächtigen Grafen geraten waren. Bedenkt man schließlich, daß die Stadt Nordhausen außerhalb ihrer Mauern nur eine sehr kleine Stadtflur besaß, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts beinahe noch dieselbe war wie zur Ottonenzeit, so erscheint diese Stätte der Reichsfreiheit fast wie ein Inselchen, das rings von weiten Wellen honsteinschen Landes umbrandet war. Ja, einige Spritzer honsteinscher Macht schlugen in das städtische Gebiet hinein. Mit größter Wahrscheinlichkeit bekamen die Honsteiner gleich 1220 die Vogteirechte über Nordhausen und haben sie bis 1593, wo das Geschlecht ausstarb, innegehabt. Nordhausens Chronist Förstemann spricht einmal vorsichtig die Vermutung aus, daß die Grafen von Klettenberg im Besitz der Vögtei in Nordhausen gewesen seien, und Meyer nimmt diese Ansicht auf, indem er darauf hinweist, daß die Namen von Nordhäuser Reichsministerialen häufig unter klettenbergischen Urkunden stehen und daß die Klettenberger mehrere Höfe in Nordhausen ihr eigen nannten, z. B. auf der Südseite des Petrikirchplatzes einen, den sie 1266 dem Kloster Ilfeld vermachten, und an der Töpferstraße einen zweiten, den sie dem Hospital in subsidium pauperum schenkten.

Viel weitergehend war der Einfluß der Honsteiner auf Nordhausen. In dem entscheidenden Jahre 1220 war ein Honsteiner Propst des Domstifts, die Nordhäuser Reichsministerialen kommen ständig in engster Verbindung mit den Grafen vor, in Nordhäuser Besitzverhältnisse, besonders im Frauenberger Gebiet, griffen sie öfter ein. Vor allem scheint mir dadurch auch das merkwürdige, bisher nie geklärte Schutzverhältnis verständlich, in dem das Nonnenkloster Neuwerk zu den Honsteinem stand und auf Grund dessen in späteren Jahrhunderten, besonders im 15. Jahrhundert, die Nachfolger der Honsteiner, die Stolberger und Schwarzburger, Anspruch auf Teile der Stadtflur und auf das Kloster erhoben. Der letzte Vogt Ruprecht, der das Nonnenkloster gründete, wird im Lehnsverhält- nis zu den Honsteinem gestanden haben, und diese werden auf Grund der Vasallität ihre Rechte geltend gemacht haben. Alles deutet darauf hin, daß schon Dietrich I. von Honstein, der Sohn Elgers III., die Vogtei in Nordhausen besessen hat.

Das waren mächtige Nachbarn, diese Honsteiner, und manches sorgliche Nachdenken haben sie den Nordhäusern bereitet in den 370 Jahren, wo sie durch die Aue ritten und vor den Nordhäuser Toren Zoll erhoben.

Eingeschränkt ward ihre Macht allerdings durch die Landgrafen von Thüringen, die als Pfalzgrafen von Sachsen des Königs Stelle in unseren Landen vertraten und das Schutzrecht über des Reiches Besitz ausübten. Dadurch hatte nach 1181 schon Hermann von Thüringen bedeutende Rechte über Nordhausen gewonnen, und er hatte sich wohl in den Kämpfen der Staufer und Welfen die Hoffnung gemacht, einstmals in Nordhausen als seiner Landstadt einreiten zu können. Doch hatte der königliche Akt von 1220 Thüringens Rechte beschnitten. „Judiciariam, monetam et theoloneum“, Marktgerichtsbarkeit, Münze und Zoll waren dem Reiche und seinem Schultheißen vorbehalten worden. Aber schon 1234 vergab diese Einkünfte der Kaiser gegen den Willen seines Sohnes an den Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen, nur das Schulzenamt allerdings und seine wichtigen Befugnisse, nicht die Stadt selbst, wie man wohl hat behaupten wollen; denn in einer Urkunde vom 21. Juni 1237 spricht der Kaiser die Herren der Stadt als ministeriales Imperii an. Wenn also Nordhausen nicht direkt zu einer thüringischen Landstadt herabgedrückt worden war, so besaß der Thüringer doch in der Ausübung des Schutzrechts und des Schulzenamtes genügend Gerechtsame über die Stadt. Freilich war das in der friedlosen Zeit des 13. Jahrhunderts, wo „Untreue im Hinterhalt lauerte und Gewalt auf der Straße daherfuhr“, eher ein Vorteil als ein Schade für die Stadt.

Diese seit der Verbannung Heinrichs im Jahre 1235 so recht unruhige Zeit für Deutschland verlief für Nordhausen anscheinend ohne stärkere Erschütterung. Heinrich Raspe schützte sie. Als er dann 1247 starb, übernahmen die Anhaltiner als seine Verwandten seine Rechte. Diese Anhaltiner hatten von Konrad von Mainz die Ebersburg zu Lehen und hatten von dort aus schon seit längerer Zeit nach der Reichsstadt Nordhausen gierig ausgeschaut. Ohne vom Kaiser, der im fernen Italien weilte und sich dort mit dem Papste herumschlug, damit belehnt zu sein, traten die Anhaltiner 1247 einfach das thüringische Erbe an. Doch blieb Nordhausen auch nach 1247 eine königliche Stadt, nur das Vogteirecht übten die Honsteiner aus, das Schulzenamt und die Schutzherrlichkeit besaßen die Anhaltiner. Als Schutzherren Nordhausens verwandten sich dieselben am 21. August 1253 auch bei König Wilhelm von Holland, der den Bürgern alle ihre Rechte und Freiheiten bestätigte. Und wenn am 13. Oktober 1273 Otto von Anhalt seine Genehmigung für die Gültigkeit der von den Ratsleuten festgelegten Statuten gab, so tat er das auch nicht als Besitzer, sondern nur als Schutzherr der Stadt. Ja, daß die Landgrafen von Thüringen als Pfalzgrafen von Sachsen und damit als Vertreter des Königs nicht willens waren, die Rechte des Reiches aufzugeben, geht aus einem Zeugnis vom 15. Juli 1267 hervor, in welchem Albrecht von Thüringen und Meißen den Nordhäusern gestattete, keinem Kläger außerhalb der Mauern ihrer Stadt zu antworten. Schwerlich hätte auch Heinrich der Erlauchte von Meißen in den sechziger Jahren ein Turnier in Nordhausen abgehalten, wenn er dort nicht auf Reichsboden gewesen wäre.[7]

Auf dem so bedeutungsvollen Reichstage zu Nürnberg 1274, auf dem Rudolf von Habsburg die während der kaiserlosen Zeit abhanden gekommenen Rechte des Reiches wiederherstellte, faßte der König auch den Entschluß, mit der unsicheren Rechtslage in Nordhausen ein Ende zu machen und zu des Reiches Nutzen alle Rechte, die 1220 das Reich in Nordhausen gehabt hatte, ungemindert zu beanspruchen. Schon in einer Urkunde vom 24. August 1274 nennt er Nordhausen „seine“ Stadt und gebietet „seinen“ Reichsbeamten in ihr, das benachbarte Kloster Walkenried zu schützen.

Das waren die rechtlichen Verhältnisse, an welche die Stadt nach außen hin gebunden war. Wie ward sie nun im Innern verwaltet?

Daß sie rechtlich seit 1220 eine Sonderstellung innehatte und weder die Straf- noch die Zivilprozesse ihrer Bewohner vor dem Landgericht geführt wurden, ist gezeigt worden. Doch auch verwaltungstechnisch und wirtschaftlich waren ihr nunmehr Sonderaufgaben gestellt, die sie im Laufe der Zeit immer mehr aus ihrer rein bäuerlichen Umgebung hinauswachsen ließen. Da wirkte es fast wie ein Anachronismus, daß noch immer die Reichsministerialen der Burg und des königlichen Wirtschaftshofes bestimmenden Einfluß auf die städtische Verwaltung und Wirtschaft besaßen. Schon 1220 können es nur wenige Ritter noch gewesen sein, die mit Roß und Rüstung auf der alten Heinrichsburg hausten. Die meisten hatten schon einen bürgerlichen Beruf ergriffen und lebten in wirtschaftlich besseren Verhältnissen als ihre einstigen Standesgenossen. Und daß sie nun unabhängig von der Gnade der Äbtissin oder des Königs leben konnten, wog ihnen das aufgegebene Schwert und Wappenzier bei weitem auf. Dennoch wurde die Stadt von den wenigen verbliebenen Reichsministerialen noch beherrscht.

An ihrer Spitze stand der advocatus, der Reichsvogt. Ihm kam in erster Linie zu, Ruhe und Ordnung in seinem Stadtbezirk zu halten und gegebenenfalls die Rechte der kaiserlichen Stadt auch nach außen hin zu schützen. Deshalb wurde er auch wohl „Schutzherr“ genannt. Er war also der oberste Kriegsherr des Stadtbezirks und führte als solcher den Befehl über das Aufgebot der Reichsministerialen und der waffenfähigen Bürger. Auch die Verteidigungsanlagen der Stadt hatte er zu beaufsichtigen. Daß dieses Befestigungswesen der Stadt zunächst Sache des Reiches war, und erst später, gegen Ausgang des 13. Jahrhunderts, in die Hände der Bürger hinüberglitt, geht auch daraus hervor, daß noch in späteren Jahrhunderten eine Reihe ursprünglicher Reichsdörfer Steinfuhren zu der Befestigung Nordhausens beizutragen hatten. So hatte das Dorf Ryterode (wüst bei Großwerther) 4, das Dorf Steinsee 4, Kleinwechsungen 9, Hesserode 4, Hörningen 6, Sundhausen 24, Hochstedt 8, Herreden 4 Fuhren Steine zu liefern.

Wie der Vogt für Schutz nach außen hin zu sorgen hatte, so hatte er auch durch Ausübung der Polizeigewalt den Frieden im Lande zu wahren. Allerdings waren hierbei seine Befugnisse insofern stark eingeschränkt, als die Aufsicht über den Markt und das eigentlich städtische Getriebe dem Schultheißen zukam; aber die Überwachung des ganzen Stadtgebietes, besonders der Stadtflur und alles dessen, was nicht mit dem Markte, mit Handel, Gewerbe und fahrender Habe, zusammenhing, sondern sich auf liegende Gründe, Hofstätten, Äcker bezog, lag in seiner Hand. Das geht aus den Nordhäuser Statuten hervor, in denen es heißt: „Was an Häusern, Äckern, Ländern, Weingärten, Hopfenbergen, Wiesen und was sonst liegende Gründe sind, in der Stadt, Feld und Flur erklagt wird, dabei muß der Vogt sein. Vom Helfegelde gibt der Schultheiß dem Vogt ein Drittel.“ Auch aus dieser Abgabe ist die Abhängigkeit des Schultheißen vom Vogte hinsichtlich der Beaufsichtigung des Reichsbodens zu erschließen. Der Schulze hatte zwar als Finanzbeamter des Reiches die Überwachung des Grund und Bodens und die Einziehung der Grundsteuer, aber seine Abhängigkeit vom Vogte als Oberbeamten kommt hierin doch zum Ausdruck.

Der Vogt hatte die Oberaufsicht über die Verwaltung des gesamten Reichsgutes, doch ließ er die wirtschaftlichen, für die Stadt besonders wertvollen Angelegenheiten durch den Schultheißen bearbeiten. Daher war er auch mit der langsam emporkeimenden Stadt bei weitem nicht so verwachsen wie der Schultheiß. Er kann als der Vertreter der Vergangenheit, der feudalen, agrarwirtschaftlichen Zeit angesehen werden; der Schultheiß war dagegen der Vertreter der Gegenwart, der Zukunft und der bürgerlichen, geldwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung. Der Vogt hatte ferner als erster Reichsbeamter die dreimal im Jahre tagende Volksversammlung, das nach ihm genannte „Vogtthing“, einzuberufen und zu leiten, das in erster Linie als Kontrollversammlung aufzufassen ist, dem aber auch alle wichtigeren Beschlüsse mitgeteilt wurden, über welche dasselbe dem Namen nach die oberste Entscheidung hatte.

Endlich war der Vogt auch der oberste Richter des Immunitätsbezirks; in seiner Hand lagen die Strafgerichtsbarkeit und der Blutbann. Bald nach 1220 jedoch, und zwar unabhängig von jener mehr zufälligen Urkunde Friedrichs II. und vor allem durch die Entwicklung der gesamten Verhältnisse bedingt, begann sich schon die Bürgerschaft gegen die Herrschaft des Vogts zu regen. Die zwanziger und dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts sind bedeutsam wegen der städtefreundlichen Politik von Friedrichs II. Sohne Heinrich, die den Bürgern Bewegungsfreiheit gewährte und den allgemeinen Tendenzen der Zeit mehr entgegenkam, als das sonst bei den feudal eingestellten Staufern der Fall ist. Schon wünschte die Bürgerschaft nicht mehr ihre Interessen allein durch die Reichsministerialen vertreten zu sehen, sondern sich selbst als Wahrerin städtischer Belange zu fühlen. Das ist der Sinn eines Protestes der Bürger gegen einen Schenkungsakt, den der Vogt Johannes Ruso im Jahre 1247 vornahm und bei dem offenbar städtischer Besitz in fremde Hände übergehen sollte. Die Bürger waren nicht mehr gewillt, sich selbstherrlich regieren zu lassen oder unbesehen alle Willensäußerungen des Vogts auf dem Thing hinzunehmen.

Dieses dreimal im Jahre zusammentretende Vogtthing der werdenden Stadt muß überhaupt als die Keimzelle des Widerstandes und der Auflehnung gegen den Vogt angesehen werden. Trat doch hier eine gesellschaftliche Schicht zusammen, die in ihrer ganzen Haltung und Bildung nicht mehr mit der bäuerlichen Bevölkerung verglichen werden kann. Der Wohnsitz im Mittelpunkt einer weiten Landschaft, der Zusammenfluß und Austausch mannigfacher Beziehungen, die Anregungen, die durch das Zusammenleben verschiedenster gesellschaftlicher Kreise gegeben war, bedingten einen Weitblick, eine geistige Regsamkeit und schließlich auch ein Selbstbewußtsein, das nicht mehr einfach Gehorsam gegen aufgelegte Entschlüsse gestattete. Mancher Wortführer der Bürgerschaft im Thing mochte dem Verhandlungsleiter, dem Vogt, geistig überlegen sein. So scheint diese Versammlung, mehr als es bisher die Forschung über die Entstehung des Städtewesens zugegeben hat, gerade zum Emporblühen der städtischen Selbstverwaltung und zur Bildung eines städtischen Rates beigetragen zu haben. Hier in den Things hoben sich einzelne Bürger aus der Menge heraus, wurden allmählich wie selbstverständlich die Vertreter bürgerlicher Interessen und schließlich die anerkannten Vorsteher (consules) des Gemeinwesens.

Dazu kam, daß die Masse der Bürger sich ihrer materiellen Mittel bewußt wurde. Zunächst sprang schon die zahlenmäßige Überlegenheit den paar Reichsministerialen gegenüber ins Auge. Dann stärkte der Wohlstand der reichen Kaufmannsgeschlechter den ärmlichen, wirtschaftlich zurückgebliebenen Adligen gegenüber das Selbstvertrauen, vor allem war es aber, wie wir immer wieder bei geschichtlichen Entwicklungen feststellen können, die allgemeine Wehrpflicht, die dem Bürger das Rückgrat steifte. Alle Bürger waren zum Dienst mit der Waffe verpflichtet; daraus entsprach ein gleiches Recht für alle. Nicht mit einem Male trat dies ins Bewußtsein, aber unleugbar ist die Tatsache, daß die Bürger sehr bald merkten, wieviel sie für die Verteidigung der Stadt bedeuteten und wie wenig die paar Reichsministerialen und an der Spitze der „Schutzherr“ der Stadt, der Reichsvogt.

Die Ritter selbst, denen dieser Umschwung nicht entging, suchten naturgemäß Rückhalt an den Adligen der Landschaft. So finden wir sie nicht selten im Gefolge der Klettenberger und Honsteiner Grafen. Doch, war dieser Rückhalt schon immer von zweifelhaftem Werte, so mußte er zu einem Nichts herabsinken, als die Klettenberger in den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts ihre Beziehungen zu den Gegenden um Nordhausen herum überhaupt lösten und die Honsteiner um deswillen immer schlechtere Bundesgenossen wurden, als sie in ihrem Drange nach Macht und Ausdehnung auch nach Reichsgut ausschauten und die Reichsritter durch ihren Zugriff ebenso in Gefahr kamen wie durch die Selbständigkeitsgelüste der Bürger.


Bild 5.
1. Aeltestes Stadtsiegel Sigitlum Northusensis Civitatis um 1200.
2. Zweites Stadtsiegel - Originalstempel im Städtischen Museum - Sigitlum Nordthusen Civitatis Inperii - wohl bald nach 1230 angefertigt. Carl Schiewek, Phot.


Bild 6 a.
1. Des Rats Sekret, angefertigt 1336. Nunmehr richtig Imperii.
2. Siegel von einer Urkunde Ende des 17. Jahrhunderts.
3. Des Rats Siegel, im Gebrauch seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Carl Schiewek, Phot.


Während die Reichsritter im allgemeinen und im besonderen unter ihnen der Vogt nach und nach an Ansehen in der Stadt verloren, gewann einer dieser Ministerialen doch immer mehr an Bedeutung für die Entwicklung des Gemeinwesens: das war der Schultheiß.

Ging das Amt des Vogts in erster Linie auf die politische Vertretung von Reichswegen, so war der Schultheiß das vornehmste Organ für die wirtschaftliche Seite. Er hatte besonders die Aufsicht über Nordhausen als Marktflecken, zugleich war er der wirtschaftliche Inspektor, der Finanzminister des Dominialbesitzes. Seine erste Amtsbezeichnung war villicus, d. h. Amtsvorsteher, Wirtschaftsverwalter, Gutsinspektor der villa. In dieser Stellung ist 1157 Hermann de Northusen bezeugt, und der Titel villicus hielt sich lange neben dem bald viel gebräuchlicher werdenden Titel scultetus, Schultheiß. 1236 wird noch der Schultheiß Henrikas, 1261 der Schultheiß Johannes villicus genannt. Im allgemeinen bürgerte sich seit Beginn des 13. Jahrhunderts allerdings die Bezeichnung Schultheiß ein.[8]

Als villicus oder scultetus hatte der Ministeriale die Aufsicht über die Lehnsgüter und ihre Bewirtschaftung und zog den Grundzins von ihnen ein. Auch den regelmäßigen Eingang von Naturallieferungen aller Art, Holz und Steinfuhren, Lieferungen von Flachs und Wolle hatte er zu überwachen. Doch war hierbei der Vogt sein Vorgesetzter. Dieser hatte die Gesamtaufsicht und hatte nur ein wichtiges, viel Arbeit erforderndes Verwaltungsgebiet, das gesamte Finanzwesen, an den Schulzen abgetreten. Daher erklärt es sich, daß die Eintreibung aller Steuern und die Erhebung der Zinsen in den Händen des Schultheißen lag. Als Finanzbeamter hatte er auch den Zoll an den Grenzen des Marktortes zu erheben und das Getriebe auf dem Markt zu überwachen. Ein- und Ausfuhr, Regelung des Marktverkehrs, Beaufsichtigung des Gewerbes waren aber so unauflöslich miteinander verbunden, daß hier eine scharfe Abgrenzung der Kompetenzen unmöglich war und der Schultheiß die Aufsicht über das gesamte Gebiet speziell städtischer Fragen übernahm. So kam es, daß ihm, was den Markt betrifft, auch eine wichtige Befugnis zustand, die eigentlich in den Machtbereich des Vogtes fiel: er handhabte an Königs statt den Königsfrieden, der über dem Markte lag, er besaß die Marktgerichtsbarkeit. Für den Schutz, den er auf diese Weise den Bürgern zur friedlichen Ausübung ihres Gewerbes und Handels gewährte, mußten die Kaufleute und Handwerker ihm kleine Abgaben leisten; ebenso entrichteten die Buden auf dem Markte ihre Gefälle an ihn.

Als Vorsitzender dieses Marktgerichtes führte er den Titel praefectus. Damit war sein Amt aufs engste mit dem Leben und Schicksal der Stadt verknüpft. Die Stadt war in lebenswichtigen Angelegenheiten vom Schultheißen abhängig. Solange der Markt von Nordhausen klein, Handel und Gewerbe auf ihm von geringem Umfange war, vermochte der Schultheiß die Gerichtsbarkeit und die Aufrechterhaltung der Ordnung allein oder unter Zuhilfenahme eines anderen Ministerialen vom Wirtschaftshofe zu bewältigen. Solange die Einwohner des Fleckens Hintersassen des Klosters, Ministeriale der Burg und wenige zugewanderte Händler waren, konnten die einfachen wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Schwierigkeiten überblickt werden. Anders wurde es nach dem Jahre 1220. Einwohnerzahl und Verkehr stiegen, die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden mit dem allmählichen Übergange zur Geldwirtschaft komplizierter, der Schultheiß, dazu erzogen, Roß und Rüstung zu führen, konnte sich allein nicht mehr in die gewerblichen und handelsrechtlichen Verhältnisse hineinfinden. Manche seiner Kameraden vom Burghofe waren schon Bürger der Stadt mit bürgerlichem Gewerbe geworden, wurden ihm entfremdet, und ihre Interessen waren mehr die der Bürger als der feudalen Ritter. Aus den Reihen dieser vornehmen Kaufleute mußte er nun aber seine Ratgeber wählen, sie wurden die Beisitzer, die Schöffen, beim Marktgericht, aus ihren Reihen nahm er den Münzherrn für den Schlagschatz. Auch die Unterbeamten, die er benötigte, die Büttel und Zollbeamten, mußte er aus den Kleinbürgern der Stadt nehmen. Er war freier nach oben hin, unfreier nach unten hin geworden. Jedenfalls zeigen alle diese Verhältnisse, daß der Schultheiß mit der Entwicklung und dem Gedeihen der Stadt aufs engste verbunden war und die Stadt ein weitgehendes Interesse an den Befugnissen dieses Reichsbeamten besaß.

Doch neben den alten, jetzt nur erweiterten und komplizierten Aufgaben wuchsen allmählich auch gänzlich neue empor. Natürlich nahm der Schultheiß auch für diese das Recht der Aufsicht in Anspruch. Doch die Bürgerschaft war nicht gewillt, ihm andere Rechte als die von alters überkommenen zuzugestehen. Wo die neue Zeit eine neue Einrichtung im Marktwesen mit sich brachte, machte die Bürgerschaft dem Schultheißen die Zuständigkeit streitig und fragte ihn, worauf er seine Ansprüche gründe. Sie schuf sich im Rate neben dem Schulzen eine eigene Behörde, die schon dadurch eine gewisse Überlegenheit über den Vertreter des Königs geltend machen konnte, daß ihr alle städtischen Verhältnisse besonders vertraut waren. Zugleich mußte es naturgemäß, da die Aufgaben sich vielfach verquickten, gar bald zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Schultheißen und dem Rate kommen. Unbestritten blieben ihm eigentlich nur die uralten Reichsrechte an der Münze, am Zoll und an den Abgaben der Handwerker und Händler.

So erscheinen denn kurz nach 1220 die Bürger auch dem Schultheißenamte gegenüber im Angriff. Doch traf dieses zunächst nicht der stärkste Vorstoß der Bürgerschaft. Das Hauptverlangen der Bürger ging vor allem dahin, die Macht des Vogtes, der ihnen als der erste Vertreter des feudalen Landes gegen die bürgerliche Stadt galt, zu treffen. Das war leichter, weil er nicht so eng mit der Stadt verbunden war wie der Schultheiß, und das war wichtiger, weil er zu seinen Aufsichtsämtem viel weniger die Bürger nötig hatte als der Schultheiß und deshalb seine Ämter auch nicht unter dem Einfluß der Bürger allmählich städtische Organe werden konnten. Beim Vogt war eine völlige Beseitigung seines Einflusses möglich oder gar keine, beim Schultheißen konnte man langsam eine Position nach der anderen erobern. Das hatten die Bürger schnell begriffen und machten deshalb die Sache des Schultheißen zunächst zu ihrer eigenen, um mit Hilfe desselben den Vogt hinauszudrängen. Den Pflichtenkreis des Schultheißen, in welchem man selbst stand, galt es fürs erste zu erweitern, den des Vogt einzudämmen, allerdings mit dem Endziel, schließlich das Schulzenamt in städtische Abhängigkeit zu bringen und womöglich den Schulzen zu einem städtischen Beamten zu machen.

Die Angriffe auf die überragende Stellung der Reichsbeamten in der Stadt gingen nun nicht von der Masse der Bürger aus, – diese waren politisch noch zu unerzogen – sondern von einem kleinen Kreise angesehener Familien, die zum großen Teil selbst aus Reichsministerialengeschlechtern hervorgegangen waren. Sie hoben sich sichtbar von der Menge ab durch Bildung und Wohlhabenheit und wurden die Geschlechter oder Gefreundten genannt. Diese vornehmen Geschlechter begannen sich nun zu regen, begannen die Vormundschaft der Adligen abzuschütteln, begannen die Geschicke der Stadt herzhaft selber in die Hand zu nehmen. Hier tritt nun auch in der Nordhäuser Geschichte die wichtige Frage an uns heran, die für die Entwicklung des deutschen Städtewesens, die Entstehung der Bürgerschaft und ihrer Vertretung im Rate ganz allgemein von Bedeutung ist, die Frage, wie im Nordhausen des 13. Jahrhunderts sich der städtische Rat gebildet hat.

Über die Zusammensetzung der Bevölkerung in den alten Zeiten der ottonischen und salischen Kaiser fehlen uns alle Zeugnisse; doch lassen die späteren wenigstens Rückschlüsse auf jene früheren Jahrhunderte zu. Danach müssen wir annehmen, daß die meisten Einwohner aus der nächsten Umgebung Nordhausens stammen. Fast alle Dörfer zwischen Görsbach und Bleicherode und viele Dörfer zwischen Sangerhausen und Heiligenstadt sind in den Namen dieser ältesten Siedler Nordhausens, die sich meist nach ihrem Heimatorte nannten, vertreten. Da treffen wir auf adlige Geschlechter, die vielleicht schon im 10. Jahrhundert in die Burg Heinrichs I. gewandert sind und sich später im Marktflecken niedergelassen haben. Von anderen Adligen der Umgebung wiederum werden die zweiten oder dritten Söhne in den Marktort Nordhausen eingewandert sein, um in Beziehung zu treten mit den Ministerialen der Herrenhöfe, oder aber auch um die Produkte der väterlichen Güter, das Korn, den Hopfen, den Flachs, die Wolle, in dem aufstrebenden Flecken abzusetzen. Daneben finden wir Bauernsöhne oder dörfliche Handwerker, die in die Stadt gezogen sind, um dort ihr Glück zu versuchen.

Doch abgesehen von diesen Nordhausen bevölkernden Kreisen der ländlichen Umgebung Nordhausens müssen auch schon früh von weither Händler und Gewerbetreibende in die neue Marktgründung eingezogen sein. Besonders Krämer, die mit Waren handelten, welche die nächste Umgebung nicht hervorbrachte und nicht aufzuweisen hatte, scheinen bald eingewandert und zu Wohlhabenheit und Ansehen gelangt zu sein. Der älteste Zeuge, der als Nordhäuser mit bürgerlichem Gewerbe urkundet, ist ein Mann namens Wilhelm mit dem Beinamen „Der Krämer“ (1206). In demselben Jahre begegnen wir auch der Bezeichnung burgenses zum ersten Male. Damals, um 1200, muß aber schon die Bevölkerung Nordhausens so stark gewesen sein, muß schon so vielerlei Handel und Gewerbe getrieben haben, muß die Stadt mit ihren Märkten schon so viele Fremde zu Kauf und Verkauf angelockt haben, daß der vom Reiche oder seit 1158 vom Nonnenstift zur Aufsicht über den Markt und seinen Verkehr eingesetzte Beamte, der Schultheiß, das ganze städtische Getriebe nicht mehr übersah und mit seinen wenigen ihm zur Verfügung stehenden Knechten nicht mehr beherrschen konnte, so daß er sich genötigt sah, sich aus der Bevölkerung selbst für die Ausübung seines Amtes Beistand zu suchen. In eine autoritative Stellung konnte er sie ohne weiteres befördern. Denn alle Stadtinsassen waren freie Leute, nahmen der Landbevölkerung gegenüber eine Sonderstellung ein und konnten bei ihrer von den Bedürfnissen der Bauern verschiedenen Lebenshaltung eine andere Behandlung von ihrem Grundherrn erwarten. Als Beisitzer im Marktgericht empfahlen sie sich aber als Sachverständige auf allen Gebieten des Marktrechtes insbesondere dadurch, daß ihnen nicht bloß die Gepflogenheiten des eigenen Marktbetriebes, sondern auch die Handhabung des Marktrechts in fremden Städten bekannt war. Handelte es sich nun gar um die Bestimmung des Wertes von Waren, die nach fremdem Maß und Gewicht erhandelt waren, so war der Sachverständigen schon gar nicht zu entraten. Auf diese Weise entstand das Schultheißengericht, bei dem einheimische, einem bürgerlichen Gewerbe nachgehende Bürger als Schöppen ihr Amt verrichteten. Naturgemäß traten nur angesehene, wohlhabende und einen weiteren Erfahrungskreis überblickende Bürger in diese richterliche Stellung ein.

Doch die Entstehung dieses Schöppenkollegiums erklärt noch nicht die Entstehung einer eigenen städtischen Verwaltungsbehörde, die unabhängig neben dem Reichsbeamten, neben dem Schultheißen, steht, wie wir sie in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts in Nordhausen finden. Um deren Entstehung zu erklären, ist es nötig, daß man sich vergegenwärtigt, daß es sich ja bei der Meisterung des ganzen Marktbetriebes nicht bloß um die Ausübung richterlicher Funktionen handelte, sondern auch um die Organisation, Verwaltung und polizeiliche Beaufsichtigung des städtischen Verkehrs. Um diese Aufgaben zu bewältigen, fehlten den Immunitätsbeamten so gut wie alle Organe. Ihre paar Zollwächter an den Toren, die Münzer in den Werkstätten der Münze und der dem Schultheißen zur Seite stehende Marktbüttel genügten jedenfalls in keiner Weise. So wuchsen denn aus den Bedürfnissen des Marktverkehrs, aus den Bedürfnissen der städtischen Bevölkerung heraus und begünstigt vom Schultheißen städtische Organe, welche die Verwaltung übernahmen und für eine reibungslose Abwicklung des Geschäftslebens sorgten. Die, welchen in erster Linie die Verwaltung der Stadt vom Schultheißen anvertraut wurde, und die dann auch ohne Genehmigung der Reichsbehörde gewohnheitsrechtlich ihr Amt versahen, waren wieder die Kaufleute, mercatores und institores, die besonders mit einheimischen und fremden Tuchen handelten und diese verschnitten, sowie die Krämer, die mit meist landfremden Produkten handelten.

Wenn Forscher über das deutsche Städtewesen wie Keutgen betonen, daß der mercator nicht nur der Kaufmann, sondern auch der Handwerker sei, der deshalb mercator genannt werde, weil er die selbstgefertigten Waren zugleich vertreibt, so gilt dieser Sprachgebrauch für Nordhausen wenigstens nicht.[9] In Nordhausen ist der mercator jedesmal der wohlhabende Handelsmann, meistens der Gewandschnitter, der seinen Namen gerade dem Handel mit von ihm selbst nicht hergestellten Produkten verdankt. Ihr weiter Blick, ihre durch den Reichtum bedingte unabhängige und angesehene Stellung befähigte sie in erster Linie zu Ämtern in der städtischen Verwaltung. Doch müssen auch schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als noch der Einfluß des Schultheißen auf alle städtischen Einrichtungen ungebrochen war, Handwerksverbände bestanden haben, müssen schon, wenn auch nur lose Handwerker-Innungen in der Stadt vorhanden gewesen sein, deren Meister zwar nicht eine derart bevorzugte Stellung innehatten wie die Angehörigen der alten Kaufmannsfamilien, die aber doch wenigstens in Angelegenheiten ihres Gewerbes um Rat gefragt und gehört wurden. Nur so ist es erklärlich, daß die Zünfte in Nordhausen, die Kaufleute oder Gewandschnitter, die Fleischer, die Kürschner, die Bäcker, die Filzer, die Wollweber, die Leinweber, die Schuhmacher, die Schneider, die Krämer und die Becherer dem Schultheißen zu Abgaben verpflichtet waren. Wären diese Vereinigungen später, erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts, entstanden, hätten sie sicher nur ihre Abgaben der städtischen Behörde, dem Rate, zu zahlen gehabt.

So sehen wir, wie sich aus dem Marktrecht, über dem der Schultheiß allein wacht, das Handels- und Gewerberecht herausbildet, bei dessen Handhabung der Schultheiß schon Bürger als Schöppen hinzuziehen muß, und wie endlich, neben dem Schöppengerichte, selbständige städtische Verwaltungsbehörden entstehen für die Bewältigung der immer mannigfaltiger werdenden Aufgaben des Marktverkehrs.

Zunächst hat der Schultheiß sicher versucht, die Oberaufsicht über die städtische Verwaltung noch beizubehalten, hat noch sein Recht an der Mitregierung der Stadt betont, aber allmählich sah er bei dem Mangel an jeglichen eigenen Hilfskräften die Unmöglichkeit ein, weiterhin einen solchen Anspruch geltend zu machen. Es ist nicht richtig, wenn Below behauptet, daß der mittelalterliche Staat wirtschaftlichen Aufgaben seine Aufmerksamkeit überhaupt nicht zuwendet, – er tut das schon, solange er es vermag, und eine freie wirtschaftliche Entfaltung gesteht er nicht ohne weiteres zu, aber der auf dem Boden der Naturalwirtschaft und des Lehnwesens aufgebaute, nur über primitive Tauschmittel und Verkehrsverhältnisse verfügende mittelalterliche Staat konnte mit seinen Mitteln und Organen die Verhältnisse nicht mehr meistern, als eine neue Gestaltung des Wirtschaftslebens sich durchzusetzen begann.[10] Da muß er denn neuen Mächten und Kräften nicht ohne Widerstreben, sondern notgedrungen das Feld überlassen. Es ist nicht richtig, einen Gegensatz zwischen dem mittelalterlichen Staat und seinem Verhalten zur Wirtschaft einerseits und dem modernen Staat und seiner Einstellung zu wirtschaftlichen Fragen andererseits zu konstruieren. Die germanische Völkerwanderung hatte eben das römische Weltreich mit seiner hochentwickelten Organisation und Zentralisation, seinen vorbildlichen Landstraßen und Posthaltereien zertrümmert, und nun konnte das Mittelalter bei fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung, bei dem langsamen Emporsteigen aus der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft zunächst keine anderen Organe finden, die diesem wirtschaftlichen Aufschwung gewachsen waren, als die in den einzelnen Zellkörperchen des Gesamtstaats vorhandenen. So mußte der mittelalterliche Staat in wirtschaftspolitischer Beziehung die vielen kleinen Staaten im Staate dulden. Überall zeigt die Weltgeschichte, daß nicht der Staat die wirtschaftlichen Gebilde schafft und dafür seine Organe zur Verfügung hält, sondern die wirtschaftliche Entwicklung überstaatlich wächst, dann zunächst aus sich heraus selbständig die der augenblicklichen Wirtschaftsform angemessenen Einrichtungen findet und daß es erst zuletzt auch dem Staate gelingt, sich der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen und die Wirtschaft beherrschen zu lernen. Erst im 17. und 18. Jahrhundert gelang es, die Zustände wiederherzustellen, die wir im römischen Weltreich schon vorfinden, und heute sehen wir in den Trusts und Syndikaten wirtschaftliche Erscheinungen, die sich noch durchaus unabhängig vom Staate, ja ihn zuweilen recht unangenehm beeinflussend, nach eigenen Gesetzen ihre Einrichtungen schaffen, bis es vielleicht dermaleinst den politischen Gebilden gelingt, auch für diese Formen des Wirtschaftslebens geeignete Behörden zu finden.

Für die Zeit des germanischen Mittelalters um 1200 mußte jedenfalls der Staat wohl oder übel eine vollständige Dezentralisation in wirtschaftlicher Beziehung zulassen: Überall entstanden landschaftliche oder städtische Interessengemeinschaften, die in wirtschaftlicher Beziehung so gut wie selbständig waren oder es bald wurden, und zwar meist, indem sie dem Staate die Autonomie Stück für Stück abtrotzten. Aus dieser wirtschaftlichen Entwicklung heraus ist die Entstehung der Stadtstaaten Deutschlands mit ihren Ratsregimentem zu verstehen.

Diese städtischen Ratskollegien sind zunächst von den Aufsichtsbehörden gern gesehen oder zumindest geduldet, sie reißen dann aber eine staatliche Befugnis nach der anderen an sich, und der Staat muß diese meistens aus der Hand geben, weil es ihm selbst nicht möglich war, der wirtschaftlichen Entwicklung zu folgen. Erst muß er die städtische Behörde in rein kommerziellen Dingen mitreden lassen, dann muß er aber auch alle die vielen anderen, häufig nur lose mit wirtschaftlichen Fragen zusammenhängenden Kompetenzen wie Polizei- und Steuerwesen, schließlich sogar Gerichts- und Kriegswesen notgedrungen an die Behörden der Gemeinden abgeben.

Diese Entwicklung läßt sich selbst auf dem kleinen Nordhäuser Schauplatze gar nicht schlecht verfolgen.

In der Stadt kann man für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts drei Schichten der Bevölkerung erkennen. Die erste wurde gebildet von den Reichsbeamten und den kaiserlichen Ministerialen, die zweite von den Geschlechtern oder den Gefreundten, wie sie genannt wurden, d. h. alteingewanderten, nunmehr Handel treibenden Adligen der Nordhäuser Umgebung und zugewanderten, allmählich zu Wohlstand gelangten Kaufleuten, die dritte von den Handwerkern und niederen Gewerbetreibenden. Die gefreundten Geschlechter treten bald als Patrizier mit dem Anspruch auf, die Gesamtheit der Bürgerschaft zu vertreten, und die grundherrlichen Beamten mußten sie bald bei der Mitregierung der Stadt dulden; ja dieselben suchten sogar sehr bald die Rechte der Stadt gegen Vogt und Schultheiß zu verteidigen.

In den ältesten Urkunden, in denen die herrschenden Geschlechter als Vertreter der Stadt selbständig urkunden, nennen sie sich noch nicht mit Namen, sondern treten schlechthin als Universitas oder Universitas burgensium auf. Aus den Jahren 1229, 1230, 1247 haben wir so gezeichnete Aktenstücke, und am 6. Mai 1253 urkunden Konrad, der Schultheiß, und die Gesamtheit der Nordhäuser Bürger in Buttstädt, ein Merkmal dafür, daß sich gewisse städtische Geschlechter, die im Gefolge des Schulzen zu Buttstädt weilten, als Vertreter der Stadt Nordhausen ansahen. Erst aus den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts sind uns dann auch einige Namen der vornehmsten Nordhäuser Bürger überliefert: Conradus albus, Sifridus de Molehusen, Wernherus de Dorstedt treten 1261 in einer Walkenrieder Urkunde auf; Henricus de Talheym, Conradus Saxonis, Henricus et Fredericus dicti de Wizense, Conradus de Saxa unterzeichneten 1268 eine Urkunde des Altendorfer Klosters.

Unterdessen waren aber die Ratgeber der Reichsbeamten und die Vertreter der Bürgerschaft nach dem Vorgänge anderer deutscher Städte auch zu einer städtischen Behörde zusammengetreten und hatten sich den allgemein üblichen Titel „consules“ beigelegt. Am 2. Februar 1266 urkunden in einer Walkenrieder Urkunde Rudolfus advocatus, Conradus scultetus et consulum ac civium in Northusen Universitas. Das ist die erste Erwähnung des Nordhäuser Rates. Die Patrizier Nordhausens hatten sich in der Zeit von 1220-1266 langsam von den Reichsbeamten emanzipiert und nahmen nun in ihren ausgezeichneten Geschlechtern die Verwaltung der Stadt selber in die Hand.

Dabei ist der Rat, also die Gesamtheit der consules, als Magistrat aufzufassen. Denn diese Ratsherren werden jahrzehntelang allein als Vertreter der Stadt erwähnt, und erst als sich die Einrichtung des Rates als Verwaltungsbehörde schon völlig durchgesetzt hatte, wählte dieser Rat als primi inter pares 2 Magistri consulum, 2 Ratsmeister oder Bürgermeister, die zum ersten Male am 23. November 1290 bezeugt und die in erster Linie nichts weiter als die Vorsitzenden bei den Ratsversammlungen sind. Davon, daß sie die Exekutive, den Magistrat, darstellen gegenüber einer Legislative, dem Rate, wie Below will, kann keine Rede sein, sondern Ratsmeister und Ratsherren zusammen stellen die Exekutivgewalt dar, und eine durch den Rat des vorhergehenden und vorvorletzten Jahres erweiterte Ratsversammlung bildete die gesetzgebende Körperschaft.

In diesen 40 Jahren von etwa 1250-1290 waren nun aber auch sonst auf verfassungsrechtlichem Gebiete in Nordhausen die wichtigsten Veränderungen vor sich gegangen. In der Zeit, wo sich die Patrizier Nordhausens zum ersten Male als Universitas burgensium fühlten, also zwischen 1250 und 1260, werden sie wahrscheinlich auch versucht haben, ein erstes Stadtrecht aufzustellen. Dieses ist uns nicht erhalten, wird aber in den späteren Rechtsbüchem, den sogenannten Einungen der Stadt, öfter erwähnt, und dieses, nicht das uns erhaltene älteste Stadtrecht, wie K. Meyer meint, wird auch 1273 Otto von Anhalt den Konsuln der Stadt bestätigt haben.

Diese Entstehung des Rates als selbständiger städtischen Behörde erscheint als die bedeutendste und weittragendste Entwicklung, welche das junge Gemeinwesen nach 1220 durchmachte. Nicht mehr die Reichsministerialen, sondern eine kleine Oberschicht war fortan von maßgebendem Einfluß auf die Geschicke der Stadt. Das Schwergewicht hatte sich von den agrarwirtschaftlich eingestellten Rittern zu den geldwirtschaftlich eingestellten Bürgern verschoben. Die Gewalt war von den Inhabern der königlichen Burg auf die Inhaber des bürgerlichen Kauf- und Rathauses übergegangen. Doch wenn sich auch eine Verlagerung der ausschlaggebenden Kräfte vollzogen hatte, – die staatspolitische Einstellung war die gleiche geblieben. Man kann von Nordhausen unter reichsritterlichem Regiment als einer aristokratischen Republik sprechen, – eine aristokratische Republik war der Stadtstaat auch unter der Herrschaft der bürgerlichen Geschlechter. Nur eine Reihe vornehmer Familien lenkten das Gemeinwesen, nicht etwa die Gesamtheit der Bürgerschaft oder ihrer Vertretung.[11]

Auch äußerlich trug die Leitung der Bürgerschaft nicht etwa die Kennzeichen einer Volksherrschaft, sondern einer Geschlechterherrschaft. Auch bei den vornehmen Gefreundten blieb ein starker, rittermäßig feudaler Einschlag bestehen. Schon ihre Wohnungen in der Stadt zeichneten sich vor denen anderer Bürger aus. Es waren feste, geräumige Patrizierhäuser, wie andere Häuser aus Fachwerk und Lehm in den Obergestocken, aber mit starkem steinernem Unterbau. Die Trachten der Patrizier waren reicher als bei den übrigen Bewohnern, und sie konnten sich bei ihrem Auftreten wohl sehen lassen neben den stolzen und reichen Domherren. Auch führten sie das breite Schwert an der Seite, und locker trugen sie es im Gurt als wehrhafte Männer einer wehrhaften Zeit, die sich auch den selbstgesetzten Verordnungen des Marktfriedens nur schwer unterwarfen, wie es die Gesetze der ältesten Statuten erweisen. Und wenn sie gar ihre Felder in der Stadtflur besuchten oder in die Landschaft ritten, um ihre Vettern auf dem Lande zu besuchen oder in der Gesellschaft und im Gefolge der benachbarten Grafen zu erscheinen, dann traten sie stattlich gewappnet auf. Ihre Jugend schickten sie wohl in die Stiftsschule des Doms; denn einiges Lesen und Schreiben schien für das kaufmännische Gewerbe nicht ohne Vorteil. Aber sie sahen darauf, daß die Jünglinge nicht zu lang auf der Schulbank hockten, zu beschaulich und untauglich wurden für das harte Zupacken im Leben. Noch hatte unter der Ausübung der bürgerlichen Gewerbe ihr Blut die alte Rauflust nicht ausgestoßen. Und wenn sie sich auch als Bürger fühlten, so fühlten sie sich doch noch weit herausgehoben aus der großen Masse der städtischen Bevölkerung. Nicht weniger stolz, als die Adligen den Blick über ihre Hörigen schweifen ließen, schauten sie herab auf den einfachen Handwerker und Kleinbürger. Gewiß, in der Stadt hatten sie Wurzel gefaßt, die Eigenart städtischen Wesens bot ihnen Brot und Beruf, und so, organisch mit der Stadt verknüpft, wurde ihre Herrschaft als rechtmäßig angesehen, während die bisherige Gewalt der Reichsritter offensichtlich in den neuen Rahmen städtischer Kultur und Wirtschaft nicht länger hineinpaßte; aber die alte Herkunft konnten sie doch viele Jahrzehnte lang noch nicht verleugnen. Auch als Bürger fühlten sie sich deshalb mit der Landschaft noch naturhaft verbunden. Noch spannen sich Fäden hinaus in die alten Heimatdörfer, noch nahmen sie Anteil am Schicksal des offenen Landes, und ihr ganzes zu fröhlichem und starkem Handeln drängendes Wesen ließ sie nicht ihr Genüge finden im Weichbilde der Stadt, sondern trieb sie, die Stoßkraft der Stadt benutzend, draußen mitzuwandeln und mitzuhandeln.

Die Verbindung mit der heimatlichen Landschaft und den weiteren thüringischen Gauen beeinflußte die ganze Einstellung dieser vornehmen Geschlechter in ihrer auswärtigen Politik. Nordhausen, eine so kleine Stadt es war, nahm dennoch nicht nur leidend, sondern höchst aktiv Stellung zu allen Vorgängen im Lande. Dazu kam, daß es doch auch als Reichsstadt vor anderen Städten gleicher Größe von den Königen bevorzugt wurde, die eher auf ihnen gehörigem Reichsgut Aufenthalt nahmen und Hoftage abhielten als in anderen gleichgroßen Städten. Die deutschen Könige, heimatlos wie sie waren, rasteten im 12. und 13. Jahrhundert gern auch in kleineren Reichsstädten wie Goslar, Mühlhausen, Nordhausen, und auch diese Versammlungen der Großen des Reiches lenkten in den früheren Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der Bürger und Reichsministerialen mehr auf die auswärtigen Händel als später, wo kein König mehr unsere Gegenden besuchte.

So weilte im August und September des Jahres 1223 König Heinrich mehrere Wochen in Nordhausen, begleitet von dem Reichsverweser Erzbischof von Köln und vielen anderen Fürsten. Doch war die Versammlung nicht nur zusammengekommen, um Feste zu feiern, sondern um höchst wichtige politische Entscheidungen zu treffen. In der Umgebung des Königs befand sich der Deutschordensmeister Hermann von Salza–, hier auf dem Reichstag zu Nordhausen erschien auch Graf Heinrich von Schwerin. Die Anwesenheit dieser beiden Persönlichkeiten zeigt, um was für Dinge es damals in Nordhausen ging. Es wurden wichtige Beschlüsse über des Reiches Ostpolitik gefaßt, und mit dem Schweriner wurden bedeutsame Verhandlungen wegen der Nordmark gepflogen. Heinrich von Schwerin hatte nämlich im Mai 1223 den für die deutsche Nordmark immer gefährlicher werdenden Waldemar II. von Dänemark gefangen genommen, und König Heinrich versuchte den Grafen zur Auslieferung des Dänen zu bewegen, um dadurch ein Pfand in Händen zu haben bei den Verhandlungen über die Sicherung deutscher Lande nördlich von Elbe und Eide. Leider widerstrebte der eigene geistliche Berater des jungen Königs der Ausnutzung dieser so überaus günstigen Lage, da Waldemar versprochen hatte, einen Kreuzzug zu unternehmen. So konnten König Friedrich II. fern in Italien, sein Sohn Heinrich im Zwiespalt mit dem eigenen Reichsverweser leider diese für Deutschlands Größe und Macht so überaus wichtige Nord- und Ostpolitik nicht selber durchführen und mußten den deutschen Fürsten in jenen Grenzmarken die Vertretung der deutschen Interessen überlassen. Nicht immer konnten diese des Reiches Grenzen so glücklich verteidigen, wie in jenen Tagen, wo Graf Heinrich von Schwerin an der Spitze eines nordischen Fürstenbundes den Dänen 1227 bei Bornhöved schwer aufs Haupt schlug und für diesmal die Gefahr einer Abtrennung deutscher Lande beschwor.

Man sieht aber an diesen Dingen, welche schwerwiegenden Erwägungen damals die deutschen Fürsten in Nordhausen beschäftigten.

Leidlich ruhig waren dann für die Gegenden Nordthüringens die Jahre bis zum Ausgange Heinrich Raspes von Thüringen im Jahre 1247. Erst dann brachen schwere Unruhen herein, und an die 150 Jahre hörten Kriegsgeschrei und Waffenlärm für Nordhausen eigentlich nie gänzlich auf. Bald waren es Kriege, in denen wichtige Entscheidungen für den Bestand großer deutscher Landschaften fielen, bald waren es kleine und kleinste Fehden, in die unser Nordhausen verwickelt ward. Soweit Nordhausen selbst davon betroffen wurde, sind diese Kämpfe für die geschichtliche Entwicklung äußerst belanglos. Damals schienen sie freilich wichtig genug den Menschen, deren Leben und Glück ein Krieg nicht selten völlig zerstörte oder erst recht eigentlich begründete. Aber die Folgen solcher unruhigen Tage wirken nicht lange nach, schon nach wenigen Jahrzehnten sind sie vergessen und überholt durch andere einschneidende Ereignisse. Was jenen Zeiten deshalb am beachtlichsten schien, und was sie deshalb auch ausführlich und treu der Nachwelt überliefert haben, besitzt für uns nur noch geringes Interesse, und es lohnt kaum darauf einzugehen; genau so wie es heute wenig erquicklich und fast völlig sinnlos wäre, eine Geschichte von Prozessen einzelner oder ganzer Gruppen gegeneinander zu schreiben. Da es in seiner Wirkung kaum zeitlich Begrenzteres gibt, so ist es auch zwecklos, aller jener Wirren und Fehden früherer Tage zu gedenken.

Nur der Austrag der Steitigkeiten hat ja heute andere Formen angenommen:

Einst schlug man sich die Köpfe blutig, und heute läuft man vor den Richter und bezahlt den Rechtsanwalt. Der Gewinn aber aus der Erkenntnis, daß sich zu allen Zeiten die Menschen redlich geplackt und geschunden, herzhaft geschlagen und vertragen haben, ist zu dürftig, als daß man jeden kleinsten Zwist dem Leser unterbreiten müßte.

Kurzum, nach Heinrich Raspes Tode begann für Thüringen eine Zeit voll Blut- und Brandgeruch um das Erbe des Verstorbenen. Erst 1263 gingen die Markgrafen von Meißen aus dem Kampfe um die Beute siegreich hervor.

Da war Markgraf Heinrich der Erlauchte, kein großer Knegsfürst, aber ein geschickter Diplomat, der vor allem Anspruch auf das Land zwischen Thüringer Wald und Harzgebirge erhob. Ihm entgegen trat Sophie von Flandern, eine Tochter der heiligen Elisabeth von Hessen, die auf Grund des mütterlichen Erbes – Thüringen und Hessen waren lange Zeit eng verknüpft gewesen – Anrechte geltend machte und die in ihrem Schwiegersohn Albrecht von Braunschweig einen eifrigen Parteigänger fand. Nicht allein der Verwandtschaft wegen, sondern um recht eigensüchtiger Bestrebungen willen. Wollte doch Braunschweig vom Harz und vom Leinetale her im nördlichen Thüringen Fuß fassen.

Von diesen Erbstreitigkeiten wurde nun auch Nordhausen berührt, umso mehr berührt, als der Krieg, wie es so üblich war in jenen Zeiten, sich jahrelang hinzog, ohne entscheidende Schlachten, aber mit reichlichen Plünderungen und Brandschatzungen. Da hatte der arme Bauer in schindelgedeckter Köte und der ängstliche Händler auf unsicherer Straße am meisten Not zu leiden. Ein Glück für Nordhausen war es, daß die thüringischen Grafen und Herren es mit Heinrich dem Erlauchten hielten, dem auch Nordhausen zuneigte, so daß die Stadt meist ungeschoren davonkam. Ja, zeitweise war die Stellung der drei wichtigsten Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen sogar dadurch außerordentlich günstig, daß sie wegen ihrer reichen Hilfsquellen an Geld und Mannschaften von mehreren Seiten umworben waren. Für Nordhausen kam noch der Vorteil hinzu, daß seit 1247 die Anhaltiner Schutzherren Nordhausens waren, denen Heinrich der Erlauchte den Einfluß auf die Stadt zwar nicht dauernd gönnte, die er aber doch gewähren ließ, da er noch nicht festen Fuß in Nordthüringen gefaßt hatte und mit den Anhaltinern auch verschwägert war. So brauste denn das Kriegsunheil, das Thüringen besonders während der sieben Jahre von 1256-1263, gerade 500 Jahre vor dem großen preußischen Siebenjährigen Krieg, erschüttert hat, noch leidlich gnädig an der Stadt vorüber. Die Entscheidung fiel am 27. Oktober 1263 bei Wettin, wo der schlachtenberühmte Schenk von Vargula den Braunschweiger, der gerade von einem Beutezug aus Thüringen nach Norddeutschland zurückkehren wollte, erwischte, schwer aufs Haupt schlug und selbst gefangen nahm. Durch diesen Sieg ward Heinrich anerkannter Herr von Thüringen.

Nordhausen ist auch insofern an diesem endgültigen Siege der Meißener interessiert, als selbst ernsthafte Forscher[12] meinen, aus Anlaß dieses Erfolges habe Heinrich der Erlauchte 1263 ein viel besagtes und besungenes Turnier in Nordhausen abgehalten. Unser Wissen von diesem glänzenden Stechen stammt nur aus späteren Quellen, die es für das Jahr 1263 ansetzen. Auf Grund des Sieges vom 27. Oktober 1263 soll es abgehalten worden sein. Dann wäre es also statt auf grünem Anger zur Maienzeit auf weißem Schneegefild um den Advent herum ans muntere Lanzen- und Knochenbrechen gegangen. Das ist ganz ausgeschlossen, und wir entscheiden uns eher für das Jahr 1267 als 1263. Denn 1267 und zwar am 75. Juli, gab Heinrich der Erlauchte der Stadt Nordhausen das Privileg, sie brauche keinem Kläger außerhalb der Mauern Nordhausens zu antworten.

Im übrigen ist das Turnier ebenso wie diese Urkunde auch ein Zeugnis dafür, daß der Einfluß Anhalts über Nordhausen keineswegs so groß war, wie Karl Meyer ihn hinstellt. Schwerlich hätte der siegreiche Markgraf in einer anhaltinischen Landstadt sein großes Fest gefeiert. Es ist im Gegenteil wohl anzunehmen, daß er es gerade in die alte Reichsstadt verlegte, um seinen Anspruch auf sie als Erbnachfolger der Thüringer dadurch darzutun. Doch seien wir nicht kleinlich, und bekümmern wir uns nicht allzusehr darum, ob Tjost und Buhurt ein paar Jahre früher oder später stattgefunden. Genug, das Fest ward zu lustiger Lenzzeit hergerichtet, und vor den Toren Nordhausens spielte sich das weitberühmte Schaugepränge ab. Ergänzen wir den dürftigen Bericht davon, ohne der Kultur und Sitte jener Zeit Gewalt anzutun:

Kurz vor der Pfingstzeit war’s, und die Natur hatte sich mit ihrem hellsten Grün und Weiß geschmückt. Da zogen schmucke Burschen ein zu Nordhausens Toren. Abgesandte des edlen Landgrafen waren es, die der Stadt künden sollten, ihr Herr habe Nordhausen ausersehen für ein seltenes Fest. Die Ritter aller deutschen Lande seien zu einem Turnier geladen in des Reiches guter Stadt. Die Kaufleute sollten Läden und Bänke versehen mit guten Dingen, die Handwerker sollten ihre Kunst zeigen in der Herrichtung des Festplatzes. Aufhorchten Vogt und Schultheiß der Stadt und machten schleunigst sich daran, die schon rostig gewordenen Ringe zu putzen und Lanzenschäfte in Auftrag zu geben. Aufhorchten auch die stolzen Ratsherrn und brachten eilig die Botschaft nach Hause. Da reckten sich die Jungherren höher, und die Mägdlein eilten zu Truhen und Laden, die Festgewänder zu prüfen. Die Gewandtschnitter hatten schon jetzt goldene Zeit und konnten kaum allen Aufträgen gerecht werden. Die Gewerke aber zogen mit den Boten des Landgrafen hinaus vor die Stadt auf den Bielenrasen. Da hub ein gar rüstiges und emsiges Treiben an. Der große Festplatz wurde abgesteckt. Im Osten des Planes ward ein ganzer Lustwald eingepflanzt, gegenüber im Westen erhoben sich weite Bretterhallen als Vergnügungsstätte der zuschauenden Volksmenge. Im Süden aber wurden Zelte und Gerüste aufgeschlagen und mit grünem Reisig wohl geziert. Hier sollten die Herren und Damen Unterkunft nehmen. Vor dem größten Zelt in der Mitte dielte man den Rasen zu einem Platz für Tanz und Schmauserei, und unweit davon erhob sich ein besonders seltner Baum, an dessen Gezweig goldene und silberne Blätter prangten. So hatte der Landgraf es geboten.

Und dann kamen die Festtage heran. Da hatten die guten Nordhäuser zu schauen und zu bewundern den ganzen Tag. Die hohen Herren zogen ein zu Roß und in blanker Rüstung, von prächtig gekleidetem Gefolge begleitet. Viel hundert Fähnlein flatterten in der heiteren Luft, an Helm- und Schildeszier erkannte man gar bald manchen berühmten Herrn. Und als nun gar die edlen Frauen Einzug hielten, war des Staunens kein Ende. Hier bewunderte eine Patriziertochter das um die Büste eng geschnürte Kleid, das einen edlen Wuchs hervortreten ließ, dort neidete ein anderes Mägdelein dem Edelfräulein die weiten modischen Ärmel, deren Saum den Boden fast berührte. Die ehrsamen Bürgerinnen reckten die Hälse nach den Armbändern und Kleiderspangen aus edelem Gestein, und manch eine verglich die eigne heiratsfähige Tochter zufrieden und nicht ohne Wohlgefallen mit einer schöngeputzten Dame hoch zu Roß. – Kaum daß für alle Gäste stattliche Herberge beschafft werden konnte.

Endlich kam der Landgraf selbst, und da Königsburg wie Wirtschaftshof schon zu altersgrau und unwohnlich geworden waren, nahm er beim vornehmen Propst des Domstifts Quartier.

Nun begann draußen auf dem Rasen das Treiben. Erwartungsvoll umlagerte die Menge der Bürger den Kampfplatz. Hinter dem Wäldchen schienen sich geheimnisvolle und bedeutende Dinge vorzubereiten. Hier rüsteten die Recken sich mit Hilfe ihrer Pagen. Im Süden des Platzes am goldnen Ehrenbaum standen die Sessel für den Landgrafen und die vornehmsten Frauen und Herrn, umflattert von tausend Wimpeln. Dahinter gruppierten sich die Ritter und Damen, die zuschauen wollten. Über den Platz selbst aber schritt eine hohe Gestalt in einfachem Rittergewand, maß Kampfbahn und Anlauf und bestimmte die Schranken. Und durch die Menge ging ein Raunen: das ist der Schenk von Vargula. Ihn, der in zwanzig blutigen Schlachten obgesiegt, gelüstete es nicht mehr nach wohlfeilen Ehren im Spiel; er hatte seine Erfahrung im Waffenhandwerk nur zur Verfügung gestellt und waltete als Kampfrichter seines Amtes.

Jetzt gibt der Landgraf das Zeichen. Fanfaren ertönen, und aus dem Wäldchen brechen zwei Ritter hervor. Bald krachen die Lanzen auf Schild und Platte, auf Helm und Gurt. Da splittert eine Lanze nach kunstgerechtem Stoß, Beifall ertönt, der Ritter wird als Sieger verkündet und erhält vom Landgrafen ein Silberblatt vom Ehrenbaum. So geht es fort. Da, im fünften Rennen ist’s! Zum zweiten Male legen sie die Lanzen ein. Die Pferde brausen heran, und wohlgezielt trifft ein Lanzenstoß den Gegner an die behelmte Stirn. Der schwankt und fällt und vermag mit knapper Not beim Sturz die Füße aus den Bügeln noch zu reißen. Der Sieger wendet und springt ab, vom Beifallssturm umbraust. Ein goldenes Blatt empfängt er von dem Baum.

Der Eifer von Kämpfenden und Schauenden ist aufs höchste gestiegen. Da gibt der Landgraf das Zeichen zum Ende des Kampfes. Schweiß und Staub werden abgewischt, verrenkte Schultern und verstauchte Handgelenke sind vergessen. Fröhliches Festmahl und fröhlicher Tanz beginnen. Auch Sänger treten auf und lassen ihre Weisen von ritterlichem Kampf, hoher Minne und höfischer Sitte ertönen. Unendlicher Jubel aber erschallt, als der Sänger ein Minnelied anstimmt, vom Landgrafen Heinrich selber einst gesungen. Heiter schwingt der Fürst und Dichter den Pokal und findet manches gute Wort zum Lob der schönen Frauen und ihrer Zucht.

So klingt das Fest aus. Sein Ruhm aber lebte fort und wurde in den Zeiten noch erhöht, da ritterlicher Sinn und Anstand dahin geschwunden waren und die Sehnsucht nach jenen früheren Zeiten ihre Sitten und Gebräuche verklärte. –

Auch dieses vielbesungene Turnier beweist, daß die Zeiten nach der thüringischen Fehde, trotzdem kein König über Deutschland herrschte, nicht unglücklich für unsere Heimat waren. Ganz besonders zog Nordhausens Bürgerschaft vielfache Vorteile aus der damaligen Lage. Die rechtliche Stellung der Stadt war durchaus unklar. Die Anhaltiner besaßen die Schutzherrlichkeit über Nordhausen, Heinrich der Erlauchte von Meißen und Thüringen beanspruchte sie. Daher kam es, daß sie eigentlich ganz sich selbst überlassen war, und ihre Herren, die Reichsritter in der königlichen Burg, nirgends Rückhalt gegen den Ansturm der neuen, bürgerlichen Zeit fanden. Schicksalsnotwendige Entwicklung und zufällige Ungunst der Verhältnisse vereinigten sich in den siebziger Jahren gegen die Reichsritterschaft und führten ihren Sturz herbei.

Die Bürger hatten die Zeit des siebenjährigen thüringischen Krieges benutzt, die Befugnisse der Reichsritter einzuschränken. Damals haben sie die ersten, uns nicht erhaltenen Statuten ausgearbeitet, die Otto von Anhalt bei seinem Aufenthalt in Nordhausen am 13. Oktober 1273 bestätigte. Die Schritte, die bald darauf der neue deutsche König Rudolf von Habsburg zur Wahrung des Reichsgutes unternahm, kamen den Bürgern noch entgegen. Im Jahre 1274 berief der König den wichtigen Reichstag nach Nürnberg ein, der sich in erster Linie gegen Ottokar von Böhmen und seine unrechtmäßige Aneignung österreichisch-babenbergischen Landes richtete, der aber dann auch ganz allgemein verkündete, daß alle Reichsgüter, die in der Hand Friedrichs II. gewesen seien, wieder ans Reich zurückgegeben werden müßten. Dieser Reichsbeschluß klärte auch Nordhausens rechtliche Lage; Rudolf stellte auch hier den alten, zu Friedrichs Zeiten herrschenden Zustand wieder her und lehnte zunächst jeglichen Anspruch der Fürsten auf sie, seien es nun die Anhaltiner oder Thüringer, ab. Da in der Reichsstadt nur des Königs Geheiß zu gelten hatte, befahl er ohne Mittelspersonen am 24. August 1274 seinem Vogt und Schultheiß in der Stadt, das Kloster Walkenried in seinen Rechten zu schützen.

Heller Jubel brach unter den Nordhäuser Bürgern über diese königliche Auffassung aus. Denn Rudolf selbst war weit weg, und seine paar den Bürgern verhaßten Reichsministerialen in der Burg waren nun schutzlos der Bürgerschaft preisgegeben. Sie harrten in der Tat auf einem verlorenen Posten aus. So begannen denn die Bürger das Wagnis, die Zwingburg zu zerstören. Ende der siebziger Jahre zogen sie vor jene alte Reichsburg an der Wassertreppe, nahmen sie ein und zerstörten sie gründlich. Den Reichsbeamten taten sie kein Leid; sie mußten aber außer Landes gehen und ins Erzstift Magdeburg fliehen. Die Anregung zu der Gewalttat ging natürlich von den vornehmen Bürgern, den Geschlechtern, aus. Doch scheinen diese die Hilfe der geringeren Leute bei der Vertreibung der Ministerialen gern in Anspruch genommen zu haben. Eine geringe Veränderung in der Zusammensetzung des Rates am Ausgang des 13. Jahrhunderts scheint darauf hinzuweisen, daß die Gefreundten wegen dieser Hilfeleistung den Handwerkern kleine Zugeständnisse haben machen müssen. Während nämlich in den siebziger Jahren als Ratsmitglieder nur Angehörige alter Geschlechter vorkommen, die Herkunft und Stammbaum treu bewahrt haben, treten um 1290 schon Ratsmannen auf, die sich allein nach ihrem Gewerbe zu nennen imstande sind. Der Rat wurde also schon am Ausgang des 13. Jahrhunderts auf einer etwas breiteren Grundlage gebildet. In den sechziger Jahren urkunden nur Heinrich von Talheym, Konrad von Sachsa, Heinrich und Friedrich von Weißensee; in den Urkunden der 90er Jahre finden wir schon unter anderen Helmbertus institor, also ursprünglich ein Krämer, Haineko pellifex, also ursprünglich ein Kürschner, Ehrenfridus Faber, also ursprünglich ein Schmied, Conradus pistor de Solsted, also ursprünglich ein Bäcker aus Sollstedt,Heinricus colorator, also ursprünglich ein Färber.

Rudolf, der Gewalttaten gerade unterbinden wollte und nun sah, welche Früchte seine Politik der unbedingten Rückforderung alles Reichsgutes trug, beeilte sich, am 27. September 1277 die Schutzherrlichkeit über Lübeck, Goslar, Mühlhausen und Nordhausen an die Herzöge Albrecht von Sachsen und Braunschweig zu übertragen, damit diese für das Reich nach dem Rechten sehen und den gar zu heftigen Freiheitsdrang der Bürger zügelten. Besonders in Albrecht von Braunschweig hatte Rudolf dabei eine wackere Stütze für das Reich gefunden, denn dieser war ein Fürst, der nicht um eigenen Nutzens willen, sondern um wahren Frieden zu fördern, dem Kaiser diente. Als die erste Verfügung des Königs noch nichts frommte, wiederholte er am 9. September 1279 seine Forderung wegen Herstellung von Ordnung und Recht und ernannte die mächtigsten Fürsten Norddeutschlands zu Reichsvögten in jenen Gegenden.

Unterdessen erfreuten sich die Nordhäuser völliger Freiheit und bauten sie schleunigst aus. Bis in ihren Winkel zwischen Harz und Hainleite scheint die Macht jener Brandenburger und Sachsen, die Rudolf zu seinen Reichsverwesem gemacht hatte, kaum gereicht zu haben. Damals, und nicht wie Förstemann annimmt um 1300, gingen die Nordhäuser auch an die abermalige Abfassung von Statuten. Die ganze äußere Form dieser Stadtgesetze zeigt, daß sie sehr schnell und flüchtig zusammengestellt sind. Der Rat hat sich keine Zeit genommen, die einzelnen Gesetze scharf zu formulieren, hat die einzelnen Artikel ziemlich planlos zusammenschreiben lassen, hat manche wichtige Bestimmungen aufzunehmen vergessen. Alles deutet darauf hin, daß es dem Rate nur darauf ankam, ganz obenhin seine Befugnisse schnell festzulegen und vor fremden Eingriffen zu sichern. Die Bewahrung und der Schutz des Marktfriedens durch die städtischen Organe war ihm die Hauptsache. Daher kommt es auch, daß er kaum 20 Jahre später in ruhigeren Zeiten, im Jahre 1308, wo seine Machtbefugnisse schon unangetastet dastanden, daran gehen mußte, neue und nunmehr stark erweiterte Einungen auszuarbeiten.

Für die Abfassung der ältesten uns erhaltenen Statuten vor 1290 spricht aber auch König Rudolfs Privileg vom 1. November 1290, in welchem er die vom Rate Nordhausens aufgesetzten Statuten der Stadt bestätigt. Die hier vom Könige gebilligten Gesetze werden die ältesten auf uns gekommenen Statuten sein.

Zunächst aber traf die Nordhäuser wegen ihrer Eigenmächtigkeit der heftigste Unwille des Königs. Am 29. März 1287 tat er die Stadt in die Acht und erklärte sie aller Rechte und Freiheiten für verlustig. Wenn nun auch jedermann wußte, daß es bei einem solchen Spruche nicht blieb, so war die Ächtung dennoch schlimm genug. Denn der Geächtete war vogelfrei, und jeder konnte über ihn herfallen, wie ihm beliebte. Das ließen sich die beutelüsternen Grafen und Herren der Aue nicht zweimal sagen und zögerten nicht, mit einem Schein des Rechtes der Stadt zu schaden. Die Honsteiner konnten sich nun ungestraft die Nordhäuser Feldflur aneignen, konnten die Äcker verwüsten, die Herden wegtreiben, die Zufuhr unterbinden, die Warenzüge ausrauben. Einen solchen Druck hielt keine Stadt lange aus, und so mußte denn auch Nordhausen schleunigst versuchen, die Gnade des Königs wiederzuerlangen. Es erklärte sich bereit, die Reichsministerialen wiederaufzunehmen und sich jedem Gebot des Königs zu fügen.


Bild 6 b.
Kapitelsiegel St. Crucis, an einer Urkunde von 1441 hängend. (St. Eustachius.)
Conventsiegel des Augustinerklosters. 15. Jahrh.
Frauenberger Klostersiegel. (Novum opus) 14. Jahrh. Carl Schiewek, Phot.


Bild 7. Nordhäuser Münzen.
1. Äbtissin Bertha. Anfang d. 12. Jahrh.
2. 3. Zwei verschiedene Typen der Äbtissin Cäcilie (Mitte des 12. Jahrhunderts).
4. Brakteat auf Philipp von Schwaben zwischen 1204-1208. Carl Schiewek, Phot.


In den Jahren 1289 und 1290 hielt Rudolf von Habsburg ein ganzes Jahr lang in der Nachbarstadt Nordhausens, in Erfurt, Hof. Hier nahm er endlich Gelegenheit, alle Verhältnisse der nördlichen und östlichen Provinzen des Reiches zu regeln, denen er sich bisher noch nicht hatte widmen können.

Hier in Erfurt fand er deshalb auch Gelegenheit, über das Schicksal Nordhausens zu entscheiden. Nach der Unterwerfung der Stadt verfügte er am 28. Januar 1290 nicht nur die Aufhebung der über die Stadt verhängten Acht, sondern begnadete sie auch mit einer Urkunde vom 1. November 1290, deren Wichtigkeit hinter derjenigen Friedrichs II. vom Jahre 1220 nur wenig zurückbleibt.

Wenn wir aber von Nordhausen selbst absehen, so befriedete Rudolf in Erfurt dadurch die deutschen Lande, daß er 1289 einen allgemeinen Landfrieden verkündete, der erste von wirklicher Bedeutung, weil der König ihn trefflich organisierte. Wie man heute für ganz Europa, ja für die ganze Erde Schiedsgerichte einzusetzen versucht, so tat es Rudolf damals für Deutschland. Für jede Landschaft wurde ein Schiedsgericht bestimmt, das sich zu 2/3 aus Adligen und zu 1/3 aus Bürgern zusammensetzte. In den Thüringer Landen bildeten 4 Grafen, 4 adlige Herren und 4 Bürger das Schiedsgericht; von Bürgern stellte Erfurt 2, Mühlhausen und Nordhausen je einen zum Richter.

Friede und Recht waren wieder einmal eingekehrt; freilich, leider nur auf kurze Zeit. Nordhausens Reichsfreiheit aber war 1290 nach jahrelangen unsicheren Verhältnissen glücklich wiederhergestellt. Die Stadt mußte zwar die Reichsritter dulden, ihre Macht aber war für immer gebrochen. In den siebziger Jahren von 1220-1290 hatte die Stadt den Weg von der Herrschaft der feudalen Ritter zur Herrschaft der vornehmen bürgerlichen Geschlechter zurückgelegt.




  1. Wert- oder Wortzins. Wert, Werder bedeutet ein Stück festen Landes, auf dem man eine Wohnstatt gründen kann.
  2. Zu allen diesen Verhältnissen vergl. Förstemann, Urkundliche Geschichte der Stadt Nordhausen.
  3. 1 M reinen oder lötigen Silbers gleich 1 Gewichtspfund Silber. 1 M (Nordhäusischen) Silbers oder ein Talent gleich einem Zählpfund, das seinen Kurs änderte und allmählich stark verschlechterte. Eigentlich sollen aus einem Pfund Silber nur 20 Schillinge = 240 Pfennige geprägt werden. Diesen Satz behielt das Zählpfund bei, während aus einem wirklichen Pfund, d. h. einer lötigen M 1344 in Nordhausen schon 50 Schillinge = 600 Pfennige geschlagen wurden. 1 M lötiges Silber hatte also damals 2 1/2 Zählpfund Silber.
  4. Vergl. Hellwig, Zur Geschichte des Dom- und Kreuzstiftes zu Nordhausen; Zeitschrift des Harzvereins für Gesch. und Altert. 27. Jahrg. 122 ff.
    P. Oßwald, Liber feodalis et censuum perpetuorum ecclesiae S. Crucis, Zeitschrift des Harzvereins, 1889, 85 ff.
  5. Vgl. K. Meyer, Entwicklungsgeschichte der Reichsstadt Nordhausen, Halle, Hendel 1887, 10.
  6. Vergl. v. Mülverstedt, Zeitschr. des Harzvereins 1870, S. 41 ff. Förstemann, Urk. Geschj., 49. f. - H. Heine, Nordh. Familienblätter, 1902, Nr. 48 f.
  7. Vergl. Förstemann, Urkundl. Geschichte. Meyer, Nordhausens Beziehungen zum Hause Anhalt, Festschrift des Harzvereins, 1903. Meyer geht zu weit, wenn er eine völlige Abhängigkeit Nordhausens von den Anhaltinern behauptet. Die Verhältnisse mußten hier z. T. anders als bei Förstemann und Meyer dargestellt werden.
  8. Vergl. die Urkunden des Stiftes Walkenried. Historischer Verein für Niedersachsen; Heft II-III. Hannover, 1852. Die Walkenrieder Urkunden sind für die ältere Geschichte Nordhausens von unschätzbarem Werte.
  9. Keutgen, Ämter und Zünfte. Jena 1903.
  10. v. Below, Die Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, Düsseldorf, 1889.
  11. Die Entstehung der Stadtgemeinde Nordhausen ist bisher noch nicht dargestellt worden. Es ist ihrer Entwicklung deshalb hier ein größerer Raum gewährt worden.
  12. Tittmann, Gsch. Heinrichs des Erlauchten. Förstemann, Göttinger gel. Anzeigen 1846, S. 779. Besprechung Tittmanns; Wegele, Friedrich der Freidige, 48. Jakobs, Gesch. d. Prov. Sachsen, 214.