Die Entstehung der sächsischen Burg Nordhausen; die Schicksale des Gemeinwesens bis zum Jahre 1220
Kapitel 2.
Die Entstehung der sächsischen Burg Nordhausen;
die Schicksale des Gemeinwesens bis zum Jahre 1220.
Die Verlagerung des Schwerpunktes der Reichspolitik unter den Nachfolgern Karls des Großen nach Westen hin, an den Rhein und an die Maaß, hatte zur Folge, daß abermals mehr als ein Jahrhundert vergehen sollte, ohne daß gesicherte Nachrichten von den Landschaften am Südrande des Harzes auf uns gekommen sind. Diese spätere Karolingerzeit war friedlos im Innern, und von außen her wurde das Reich verheert von Normannen und Ungarn. In diesen Nöten, bei denen die Zentralgewalt und deshalb auch die fränkische Beamtenschaft versagten, erinnerten sich die bedrängten deutschen Stämme an ihre alten bewährten und berühmten Geschlechter, die zum Teil schon vor der Zeit, wo Pippin und Karl der Große sie unter ihren gewaltigen Willen gebeugt hatten, die Führer ihrer Stämme gestellt und als Herzöge die Geschicke ihrer Völker bestimmt hatten. So gelangten die berühmtesten Geschlechter in ihren heimatlichen Gauen wieder zu fast uneingeschränkter Macht, und es bildeten sich die deutschen Herzogtümer, die freilich nun, da ein wenn auch lockeres Band die Deutschen zu einer Einheit zusammenhielt, von ganz anderer Bedeutung sein sollten als die einstigen voneinander gesonderten heidnischen Volksstämme. Am kräftigsten und bewußtesten hatten sich die Herzogtümer der Baiern und Sachsen herausgebildet. Bei den Sachsen war es das Geschlecht der Liudolfinger, das die Herzogswürde, so gut wie unabhängig vom fränkischen Könige, bekleidete. Schon Karl der Große hatte diesem edlen Geschlechte, das schon zu seiner Zeit am Mittellauf der Weser reich begütert war, karolingische Königsgüter nördlich und südlich des Harzes zur Bewirtschaftung übergeben. Zu diesen Besitzungen gehörten Tilleda, Wallhausen, Berga, Nordhausen, Duderstadt, Grona. Von hier aus hatte gegen Ausgang des 9. Jahrhunderts Otto der Erlauchte aus diesem Geschlechte der Liudolfinger auf eigene Faust seine Herrschaft auch über Thüringen ausgedehnt und hier durch sein Eingreifen das Erstarken eines einzigen Geschlechtes gehindert, so daß es zu der Bildung eines Herzogtums Thüringen nicht kommen konnte. Verschiedene mächtige Geschlechter befehdeten sich innerhalb Thüringens, dieser oder jener Häuptling legte sich auch wohl den Titel eines Herzogs bei, tatsächlich aber bestand ein völliges Chaos, das Otto schließlich benutzte, die Herrschaft der Sachsen bis weit nach Süden hin in die Thüringer Lande auszudehnen. Seitdem erforderte der Osten und Süden des Herzogtums Sachsen von seinem Beherrscher eine erhöhte Tätigkeit. Denn hier bot sich die beste Gelegenheit, das Herrschaftsgebiet gegen die Slaven auszudehnen. Merseburg und Magdeburg im äußersten Osten Sachsens wurden wichtigste Stützpunkte. Im Süden galt es aber vor allem die Anstürme der Ungarn von den Kemgauen der Sachsen femzuhalten. Zu diesem Zwecke entstanden an den Grenzen nach den neu gewonnenen thüringischen Gebieten hin eine ganze Reihe von festen Plätzen. Die Anlage dieser Sicherungen gegen feindliche Einbrüche nahm schon nicht mehr Otto der Erlauchte vor, sondern sein Sohn Heinrich, der spätestens seit 908, seitdem der mächtigste Stammeshäuptling der Thüringer Burchard bei einem Ungameinfall den Tod gefunden hatte, vom Vater mit der Verwaltung der südlich des Harzes liegenden Landstriche betraut war. Damit war er auch Herr der alten Reichsgüter in diesen Gegenden geworden, und Sitze wie Memleben und Pöhlde, dann auch Duderstadt, Grona und Nordhausen behielt er aus diesen ersten Jahren seiner Herrschertätigkeit besonders lieb. So entstand denn auf altem, fränkischem Reichsboden als Schutz gegen die Ungarn auch die Burg Nordhausen. Eine Burg, keine Stadt gründete Heinrich. Aber im Gegensatz zu dem alten, befestigten fränkischen Reichshofe, an dessen Nordseite sich nur ein paar elende Bauemköten befanden, sollte diese neue sächsische Burg der Stützpunkt für eine Marktansiedlung werden, die sich dann im Laufe der Jahrhunderte eine eigene Obrigkeit und ein eigenes Recht schuf und die damit allmählich eine Stadtgemeinde wurde. In diesem Sinne war mit der Gründung der Burg Nordhausen durch Heinrich I. auch die Stadt Nordhausen gegründet worden. Nicht nur der alte, schon seit Jahren seinem Geschlecht gehörige Reichsboden hatte Heinrich veranlaßt, neben dem Reichsdorfe eine Burg zu bauen, sondern in erster Linie bestimmte auch ihn, wie einst die fränkischen Königsmannen, die geographische Lage dazu. Denn hier, an dieser Stelle eine Burg deckte ebenso wie der alte Reichshof wichtige Heerstraßen, konnte aber zugleich, wohlgesichert auf einer Anhöhe gelegen, selbst mit großer Übermacht erfolgenden feindlichen Anstürmen trotzen. Damit die Wahl Nordhausens für eine Burganlage verständlich wird, müssen wir zunächst wieder die Gegend betrachten, wie sie sich damals um das Jahr 900 dem Auge Heinrichs darstellte. Die aus leicht zerstörbarem Schotter bestehenden Hänge waren unbewaldet. Dünne Grasnarbe und Heidekraut, hie und da ein Domstrauch oder eine Hecke bildeten die Vegetation. Oben auf der Hochfläche, wo die jäh vom Südhange herunterrauschenden Sturzbäche nach Gewitterregen oder bei der Schneeschmelze die Ackerkrume nicht mehr fortreißen konnten, fanden sich unberührte Waldungen oder Heidekrautflächen. Uralte Namen wie der Hain- oder Hagenberg für den ganzen Bergrücken von der heutigen Blasiikirche bis an die Schöne Aussicht oder das Dachloch für die niedrige Anhöhe zwischen den heutigen Ziegeleien im Osten der Stadt und der Kuckucksmühle weisen auf den Waldbestand der Gegend hin. Auf der Anhöhe des Hagenberges ging schon in ältesten Zeiten ein Triftweg entlang, die Wegelande auf dem Hain, der im Jahre 1868 den Namen Präsidentenweg erhalten hat. Kleinere Waldflecken dieses einst großen Bestandes erhielten sich bis ins 18. Jahrhundert hinein, so ein Wäldchen am Südabhange des Gumpetals an der Petersdorfer Landstraße und das Kirchhofholz unter dem Harz-Rigi. Andere Hänge und Hügel wiederum müssen nur mit Heidekraut bewachsen gewesen sein, wie der Heidelberg, die östliche Fortsetzung des Kuhberges.[1] Der vegetationsarme Südhang des letzten Höhenrückens nach der Aue zu war von Wasserrunsen tief durchfurcht. Eine von diesen, in der die heutige Rautenstraße emporführt, sollte für die neue Burganlage von besonderer Bedeutung werden. Unten im Zorgetale schützten Teiche und Altwässer, sozusagen als Außenbefestigungen, den ganzen Hügel. Wenn man auf diesem weit ins Flachland vorspringenden Schotterkegel eine Burg baute, mußte damit ein Luginsland gewonnen sein, der das Auge weithin über die ganze Aueniederung bis fernhin im Süden nach dem Steilrand der Hainleite schweifen ließ, und den in der Umgebung Wohnenden konnte die Burg bei nahender Gefahr eine sichere Zuflucht bieten. – Diese Lage bestimmte Heinrich zum Bau einer Burg etwa 800 Meter westlich vom alten fränkischen Reichsdörfchen Nordhausen. Durchaus einwandfrei hat K. Meyer die Zeit der Burganlage zwischen 908 und 915 bestimmt. Vor 908 entfaltete nämlich Heinrich kaum eine größere Tätigkeit in Thüringen, und 915 wurde seine Tochter Gerberga wahrscheinlich in der Burg Nordhausen geboren. Damals bestand sie also vermutlich schon einige Jahre. Nimmt man ferner als ziemlich sicher an, daß Heinrich noch während der Zeit, wo ihm als Kronprinz nur eine Teilaufgabe, die Sicherung der Südgrenze Sachsens, anvertraut war, die Gegend gegen die Ungameinfälle durch den Bau von Burgen geschützt hat, so kann man die Entstehung Nordhausens auf die Zeit zwischen 908 und 912 einschränken. Denn 912 starb Otto der Erlauchte, und Heinrich übernahm als Herzog die Regentschaft über ganz Sachsen. Also um 910 muß die Burg Nordhausen erbaut worden sein. Von einem Marktorte oder gar von einer Stadt war natürlich noch gar nicht die Rede. Mit sicherem Blick hat Meyer auch die Lage der Burg sowie der Kirche, Gehöfte und Wohnhäuser im Schutze ihrer Mauern bestimmt. Als Anlage für eine Burg empfahl sich in erster Linie der westliche Steilrand des Hügels. Von Westen her war die Burg unangreifbar. An dieser Westkante stieg von Süden her der Hügel am heutigen Primariusgraben zunächst etwa 30 Meter steil an, dann wölbte er sich weiterhin ganz flach empor bis zu dem Platze, auf dem heute der Dom steht, und senkte sich von dort nach Norden erst allmählich, dann ziemlich steil hinab zur heutigen Elisabethstraße. Auf dem höchsten Buckel der ganzen Erhebung, ein wenig südlich vom heutigen Dom, muß die Burg Heinrichs gestanden haben. Allerdings wird die Burg nicht, wie Meyer will, auf dem Raume zwischen der Wassertreppe und der Kranichstraße beschränkt gewesen sein. Wenn heute noch das südlichste der drei Häuser, die hier stehen, die Finkenburg heißt und Meyer diesen Namen in Zusammenhang mit Heinrich I., dem Finkler, bringt, so ist das mit aller Vorsicht aufzunehmen, da erst das spätere Mittelalter von der Sage des Finklers weiß. Doch das ist nebensächlich gegenüber der Frage, ob nicht die Burganlage über die Kranichstraße hinweg nach Norden gereicht hat bis auf das heutige Domgrundstück hinauf. Es sind ganz bestimmte Anzeichen vorhanden, die es sehr wahrscheinlich machen, daß das Gebäude der heutigen Loge und auch das des heutigen Doms bis an den nördlichen Steilabfall zur Elisabethstraße herab noch mit zum Burgraume gehörten. 1180 heißt es ausdrücklich castrum Northusen et monasterium in eo situm igne consumtum est, die Burg Nordhausen und das Münster in ihr wurden vom Feuer verzehrt. Erst auf dem Logengelände wird ferner der höchste Punkt der ganzen Erhebung erreicht, und Heinrich wird ihn in die Burganlage einbezogen haben; das Gelände nördlich davon, das leicht nach Norden abfällt, wird 962 suburbium genannt und auf ihm ein Nonnenstift errichtet. Suburbium kann aber nicht mit Meyer als Vorburg übersetzt werden, sondern suburbium ist der Raum unterhalb der Burg. Und endlich, dicht neben dem Dom stand früher als Turm der Stadtbefestigung der „Kaiserturm“, und Jahrhunderte lang hat sich im Volke die Kenntnis fortgepflanzt, daß diese Stelle zur alten Kaiserburg gehörte. Die Heinrichsburg stand also auf dem Raume zwischen der Wassertreppe und dem heutigen Dome. Wenn man vom Süden her kam, überschritt man vielleicht auf einer Zugbrücke einen Graben an der Wassertreppe. Dann gelangte man in die eigentliche Burg, deren stärkste Befestigung wahrscheinlich auf dem heutigen Logengelände gestanden hat. Von dieser Burg durch Befestigungsanlagen getrennt, aber durch einen weiteren, vielleicht nicht so starken Mauerbering geschützt, folgte dann „in suburbio“ das Münster, das auf dem Boden des heutigen Doms gelegen haben muß. Das Domgelände wiederum reichte über die heute noch vorhandenen Reste der nördlichen Dommauer hinaus, die den Dom heute von der Knabenmittelschule trennen. Auf diesem nördlichsten Raume der ganzen Anlage fanden nach dem Jahre 962 die Klosteranlagen des Frauenstifts ihren Platz.[2] Nach Osten hin war die Burg nur durch Mauern von der ziemlich ebenen Hochfläche getrennt. Doch gehörten zu der Gesamtanlage noch weitere Gehöfte außerhalb der Burgmauern. Südlich der Burg am westlichen Steilrande entlang bis an die Kutteltreppe und damit bis an den Südabfall zogen sich Wohnhäuser für Hörige, Stallungen und Höfe, und an der Südwestecke auf dem heutigen Königshofe selbst lag als stattlichstes Gebäude der Herrensitz, der eigentliche Wirtschaftshof, in welchem der Gutsverwalter wohnte und der auch wahrscheinlich den König und seine Familie aufnahm, wenn er in Nordhausen weilte. Hier auf bequemem Gutshofe und nicht in der Burg war die Residenz der Könige, wenn sie in Nordhausen einkehrten. Neben der Burg und den Wirtschaftshöfen siedelten sich bald einige freie Kaufleute an, die für die Bedürfnisse der ziemlich großen Anlage sorgten und im Schutze der Burg ihrem Gewerbe nachgingen. Diese Wirtschaftshöfe und diese kleine Kaufmannssiedlung wurde in den Jahren 910 bis 962 durch Gräben, Lehmwälle und Palisaden gegen Überfälle einigermaßen gesichert. West- und Südseite waren ja auf natürliche Weise durch die Steilabhänge geschützt, im übrigen benutzte man die durch Regenfälle in den Steilhängen geschaffenen Schluchten und schuf sie zu künstlichen Befestigungen um. Die Hauptrunse, die den Südharz tief einkerbte, kam die heutige Rautenstraße herab. Die Rautenstraße war also einst der Graben, der die Siedlung Heinrichs I. und Ottos I. gegen Osten schützte. Nach Norden ging eine kleine und kurze Schlucht die heutige Barfüßerstraße hinab, und auch diese wurde zu Befestigungen benutzt. So war nur die Strecke vom Südpunkte der Barfüßerstraße bis zum heutigen Kornmarkte ungeschützt. Hier hob man in der Straßenzeile der Kranichstraße einen künstlichen Graben aus, führte diesen auch über den heutigen Kornmarkt hinweg und vollendete den Ring der Befestigungen. An der gefährdetsten Stelle, an der Nordostecke, werden besonders starke Palisaden, vielleicht auch schon Steinmauern die Anlage geschützt haben. Die beiden hier parallellaufenden, 3 Meter starken Steinmauern aber, auf die man bei Erdarbeiten gestoßen ist, stammen wahrscheinlich nicht, wie Meyer annimmt, aus dieser frühen Zeit, sondern werden erst nach 1180 aufgeführt worden sein. Von Westen und Norden und wahrscheinlich auch schon von der Südwestecke her, wo heute die Kutteltreppe die Stadtmauer durchbricht, konnte man auf Fußgängersteigen in die Stadt gelangen. Die eigentliche Fahrstraße aber, die nach der Burgansiedlung emporführte, muß von der alten Heerstraße Nordhausen-Wallhausen abgezweigt sein, vor den Vogel und die Rautenstraße neben dem Wallgraben emporgeführt und über den Graben hinweg in der Richtung des heutigen Marktes nach dem Königshofe und der Burg ihren Weg genommen haben.[3] Nicht leicht ist die Frage zu lösen, wie König Heinrich seine Burg sowie den Königshof ausstattete, damit die Besatzung und die Insassen des Wirtschaftshofes ihren Lebensunterhalt gewinnen konnten. Trotz aller fehlenden Quellen und trotz Mangelhaftigkeit und Unzuverlässigkeit späterer Zeugnisse muß man sich doch mit diesen Verhältnissen beschäftigen, weil sie für die Entwicklung und die Größe der Stadt und ihrer Flur sowie für die Zuständigkeit der späteren städtischen Behörden von großer Bedeutung sind. Ohne Zweifel lagen schon bei der Gründung der Burg durch Heinrich eine Reihe von Weilern – Dörfer kann man diese Siedlungen, die aus vielleicht 3 oder 4 Gehöften bestanden haben, kaum nennen – eine Reihe von Weilern rings um die neue Schöpfung des Burgenerbauers herum. Im Tale lag damals das heutige Dorf Salza, zu jener Zeit Obersalza genannt; Salza abwärts, an der östlichen Seite lag der Weiler Niedersalza; noch weiter in der Ebene, zu beiden Seiten des Rodeweges, dicht nördlich der Helme war das Örtchen Niederode, später auch Girbuchsrode genannt, entstanden. Dicht unter der Burg, nordwestlich davon, durch Zorgealtwässer geschützt, lag die Widenburg, d. h. Weidenburg, an die noch heute der Name Wiedigsburg erinnert.[4] Nördlich der Burg Nordhausen in schon welligem Gelände befand sich das Dorf Hohenrode, und am Fuße des Bomtals standen 3 oder 4 Häuser von Gumprechtrode. Vor allem fand Heinrich am Südabhange des Frauenberges das fränkische Dörfchen Nordhausen vor, wahrscheinlich noch immer die stattlichste von allen Siedlungen. Man kann annehmen, daß alle diese Wohnstätten entweder ganz im Besitze des Reiches waren oder wenigstens ihre Fluren größtenteils dem Reiche gehörten. Von Altnordhausen, Obersalza, Niedersalza und Gumprechtrode kann dafür der Nachweis geführt werden.[5] Deshalb war König Heinrich auch in der Lage, seine neue Burg nach Belieben auszustatten und wirtschaftlich sicherzustellen. Er teilte seiner neuen Anlage den größten Teil der Flur Altnordhausen zu, die, soweit hier Vermutungen, nicht Behauptungen, aufgestellt werden können, den ganzen südlichsten Höhenrücken, also etwa von der Rautenstraße im Westen bis an den Roßmannsbach im Osten einnahm und ferner sich vor den Hügeln im Tale zu beiden Seiten der Zorge entlang bis an den heutigen Siechhof und die Wertherstraße erstreckte. Dieses letztere Gebiet im Süden verblieb wahrscheinlich noch dem alten fränkischen Reichshofe, das auf dem Höhenrücken gelegene bekam der neue sächsische Reichshof. Jedenfalls nicht zu Nordhausen gehörte das ganze Gebiet nördlich der Kranich- und Töpferstraße bis gegen die Petersdorfer Grenze hin und auch nicht das Gebiet westlich unter der Burg zu beiden Seiten der Zorge. Sehr groß und sehr wertvoll kann die ursprüngliche Flur Nordhausens also nicht gewesen sein. Das geht auch daraus hervor, daß Friedrich Barbarossa sie im Jahre 1158 dem Heiligen Kreuzstift für zwei Pfund Pfennige überließ, die das Stift aus den Dörfern Bielen und Windehausen bezog. Doch mußten zur Ausstattung und zum Unterhalt der Ritter auf der Burg und im Königshofe noch eine ganze Reihe anderer Dörfer beitragen. Komzinsen entrichteten unter anderem die Dörfer Bielen, Windehausen, Leimbach, Urbach, Görsbach, Holzlieferungen neben anderen Crimderode, Steinbrücken und Petersdorf, Steine hatten im 14. Jahrhundert anzufahren Sundhausen, Ritterode, Großwerther, Hesserode, Kleinwechsungen, Hochstedt, Herreden, Hömingen, Steinsee. Das kleine Gumprechtrode am Bomthal leistete später eine geringe Geldabgabe. Reich ausgestattet wurde das später dicht bei der Burg von der Gemahlin Heinrichs, der Königin Mathilde, gegründete Kreuzkloster.[6] Soweit ist es möglich, mit einiger Sicherheit die Lage der ältesten Burg, des zur Burg gehörenden Wirtschaftshofes, der kleinen Kaufmanns Siedlung und des ältesten Flurbesitzes zu bestimmen. Den Namen des alten fränkischen Reichshofes, mit dessen Flur sie von König Heinrich bedacht worden war, wird die Burg sogleich bei ihrer Gründung um das Jahr 910 angenommen haben, und immer sind seitdem diese beiden Siedlungen, so getrennt sie räumlich lagen und obwohl Altnordhausen nicht in die Befestigungen der neuen Burg einbezogen wurde, als Einheit aufgefaßt worden. Zum ersten Male, und zwar nicht ganz einwandfrei, nur durch sekundäre Quellen bezeugt ist der Name Nordhausen 927, wo am 13. Mai Heinrich I. sein Eigengut in Quedlinburg, Pöhlde, Nordhausen und Duderstadt, dazu die Einkünfte aus den Ortschaften Woffleben und Gudersleben im Zorgegau, seiner Gemahlin Mathilde vermachte.[7] Den eigentlichen Ausgangspunkt für die Geschichte Nordhausens aber bildet eine Urkunde König Heinrichs aus dem Jahre 929. Am 16. September 929 vermachte nämlich Heinrich I. seiner Gemahlin Mathilde zum einstmaligen Wittum mit allen Einkünften für ihre ganze Lebenszeit seine Erbgüter in Quedlinburg, Pöhlde, Nordhausen, Grona und Duderstadt mit den Burgen daselbst und allem Zubehör dieser Ortschaften, den Hintersassen, Sklaven und Leibeigenen beiderlei Geschlechts.[8] Was für eine Ansiedlung, mit was für einer Bevölkerung, mit welchen Rechten, mit welchen Aufgaben sehen wir hier vor uns? Da muß zunächst mit aller Schärfe betont werden, daß Heinrich in Nordhausen nicht etwa eine Stadt erbaut hatte, auch nicht im mittelalterlichen Sinne. Seine Gründung war ein castrum, eine Burg, und nichts weiter. Als Besatzung legte Heinrich einige seiner Dienstmannen und ihre Hörigen in die Burg. Wenn Widukind von Corvey berichtet, daß auf Heinrichs Befehl jedesmal der 9. Mann vom Lande in den festen Ort ziehen mußte, so sind damit allein die im Lande verstreut sitzenden Lehnsmannen gemeint, nicht etwa die heerbannpflichtigen Bauern. Schon die dürftige Bevölkerungszahl der Burgen und der Gehöfte am Fuße ihrer Mauern läßt gar nichts anderes zu als die Annahme, daß nur einige adlige Mannen mit ihren Reisigen in die Burgen einzogen. Aber auch der Ausdruck milites, den Widukind gebraucht und der immer den zum Kriegsdienst verpflichteten Ministerialen, nicht den einfachen Bauern bezeichnet, weist darauf hin. Als Burg allein erfüllte die Neugründung in dem Gürtel der übrigen Befestigungsanlagen, den Heinrich über die Südgrenze seines Herzogtums gegen die Raubzüge der Ungarn geschaffen hatte, ihren Zweck. Als die Ungarn im Jahre 933 sengend und mordend in Thüringen einfielen und ihr westlicher Flügel in dem offenen Tor der Hainleite bei Sondershausen, 20 km südlich von Nordhausen, erschien, da mögen die Feuersignale von den Bergen der Hainleite herab der Nordhäuser Besatzung das Nahen des Hunnengeheuls verkündet haben. Da sind die Bewohner der Umgebung mit Weib und Kind, auf dem Rücken die geringe Habe, in die schützenden Verhaue des Burgorts geströmt, da haben die Hirten ihre Herden durch die Rautenstraße empor in die Umwallung getrieben, da hat der Burgvogt an alle, die nur Waffen tragen konnten, die Waffenvorräte der Burg ausgegeben und die schwachen Palisaden besetzen lassen, da ist er selbst mit seinen Reisigen gen Süden gezogen, um die furchtbaren Feinde abwehren zu helfen. Und als dann die heidnischen Reiterscharen bei Sondershausen zurückgeschlagen waren, und als dann die Kunde kam von dem Siege des Königs am Unstrutried, da mögen Freudenfeste gefeiert sein, und auch die wendischen Knechte und Mägde mögen gute Tage gehabt haben. Neben der Burg lag allerdings der Wirtschaftshof, villa, auch curtis dominicalis genannt, dessen Insassen die Bewirtschaftung des Landes übernahmen und für den Unterhalt der Mannen zu sorgen hatten. Auch hier führten, wie in der Burg, Adlige das Regiment. Im übrigen wurde die kleine Ortschaft von Hörigen und Sklaven, vielleicht auch von einigen freien Bauern des alten fränkischen Reichshofes, die Heinrich zu seiner neuen Anlage emporgezogen hatte, bevölkert. Die Hörigen setzten sich aus den schon auf dem Reichsboden bisher wohnenden Bauern und dem von den Adligen mitgebrachten Gefolge zusammen; Sklaven waren die in Gefangenschaft geratenen und auf den meisten Reichshöfen der Sachsen als Knechte und Mägde dienenden Wenden. Die Bevölkerung war also mit Ausnahme weniger für den täglichen Bedarf arbeitenden Handwerker rein bäuerlich.
Die Befestigung der ganzen Siedlung muß sehr früh, muß schon in den Jahren zwischen 929 und 962 erfolgt sein. Das Wort civitas, das bald für unser Nordhausen auftritt, bedeutet im Gegensatz zu castrum, der Burg, und villa, dem offenen Gutshof und Dorfflecken, die befestigte Ortschaft. Wenn diese Befestigung mit flachem Graben, niedrigem Lehmwall und leicht zerstörbaren Palisaden auch schwach war, – es unterliegt keinem Zweifel, daß in dieser Beziehung sich Nordhausen spätestens bis 962 zu einem anderen Gebilde entwickelt hatte, als es Dörfer sind. Man kann es in politischer Beziehung seitdem als Stadt ansprechen. Dennoch zeichnete sich diese bäuerliche Siedlung schon im 10. Jahrhundert nicht bloß durch ihre Befestigung von der Umgebung aus. Die Befestigung, dann aber vor allem auch die günstige geographische Lage, ließen die Ortschaft bald zum Mittelpunkt der ganzen Umgebung werden. Nicht allein der Wille des Königs, der, wie Widukind berichtet, concilia et omnes conventus atque convivia in urbibus voluit celebrari, der wünschte, daß alle Versammlungen, Zusammenkünfte und Festgelage in seinen Neugründungen abgehalten würden, – nicht allein der Wille des Königs, sondern auch die natürlichen Verhältnisse bedingten es, daß Versammlungen, Besprechungen, Gerichtstagungen und Festlichkeiten hier abgehalten wurden. Schon früh muß das placitum generale, das Generallandthing des mittleren Helmegaues in Nordhausen stattgefunden haben. Dadurch bekam die Ansiedlung erhöhte Bedeutung vor anderen Dörfern. Es blieb nicht dabei, daß die Ortschaft Selbsterzeuger und Selbstverbraucher war, sondern das zeitweilige Zusammenströmen größerer Massen schon verursachte einen lebhafteren Verbrauch, erweckte neue Bedürfnisse und regte den Austausch auch mit außerhalb der Ortschaft erzeugten Produkten an. So entwickelte sich der älteste Tauschhandel mit den umliegenden Dörfern. Flachs bezog man aus Weither, Hopfen aus Rossungen, Wolle von Hohenrode und Kehmstedt. Auch die Gewerbe bekamen durch den erhöhten Betrieb einen Anreiz. Zunächst waren die Handwerker nur Hörige des Wirtschaftshofes und hatten für diesen alle Gebrauchsgegenstände und Gerätschaften herzustellen. Daß ein so berühmtes und altes Gewerbe wie das der Schmiede erst verhältnismäßig spät erscheint, deutet darauf hin, daß Schmiedearbeit von Hörigen besorgt wurde, die sich in keinem selbständigen Verband zusammenschließen durften. Dagegen konnten in den Zeiten, wo die conventus, concilia, convivia in Nordhausen stattfanden, die heimischen Bäcker, Fleischer, Gerber die Nachfrage nicht befriedigen, vielleicht daß man bei solchen Festlichkeiten sich auch mit besonders guten Dingen aufwarten lassen wollte und die heimische Backzunft und Lederbereitung nicht genügte. So wurden fremde Handwerker angelockt, die der Hörigkeit nicht unterworfen waren, und es entstanden als älteste selbständige Gewerbe die der Bäcker, Knochenhauer und Gerber. Was für die Bedürfnisse der Ortschaft und ihrer Gäste aber die nächste Umgebung nicht liefern konnte, schafften die Händler herbei. Besonders verlangte man feinere Tuche, Kolonialwaren und kleinere Gebrauchsgegenstände, wie Klingen und Messer. Die Tuche brachten die eigentlichen mercatores, Kaufleute, später Gewandschnitter genannt, herbei, die anderen Waren die Krämer. Der Jahrmarkt wurde dort abgehalten, wo auf dem an sich hügeligen Boden das Gelände möglichst eben war, also im Nordosten der Siedlung. Bald ließ sich der eine oder andere Kaufmann auch dauernd in der Ortschaft nieder und brachte dadurch ein neues freies Element im Gegensatz zu den bäuerlichen Hörigen des Wirtschaftshofes hinein. Später erbauten diese Händler in nächster Nähe des Marktes, wo sie ihre Waren feilhielten, auch ihre dauernden Verkaufsstände: die mercatores gründeten dort ihr Kaufhaus, und die Krämer siedelten sich dicht daneben in der Krämergasse an. Und wenn auch erst das 12. Jahrhundert von mercimonia spricht, und wenn auch erst aus dem Jahre 1206 ein Wilhelm der cremaere bezeugt ist, – daß die Anfänge dieser Kaufmannssiedlung viel weiter, wahrscheinlich ins 10. Jahrhundert, zurückgehen und daß diese freien Händler sich auch als neuer Stand im Gegensatz zu den Bauern der Wirtschaftshöfe fühlten, zeigt die Gründung einer Kirche auf ihrem Verkaufsplatze, dem Markte, im Gegensatz zu dem monasterium, dem Münster, in der Burg. Wahrscheinlich schon im 10. Jahrhundert wurde die Nikolai- oder Marktkirche gebaut. Um sie herum lag der Friedhof der Kaufleute, und dieser wiederum war mit einer starken Mauer umgeben. Der Kaufmann gebrauchte, sollte sein Wohlstand gedeihen, vor allem des Friedens, viel mehr als der Bauer, dessen Acker wohl verwüstet, aber nicht entwendet werden kann. Und hier bei dem Heiligtume, im Schutze Gottes, hier wo die rauf- und raublustigen Adligen sie unbehelligt ließen, legten die Händler ihre Waren aus, möglichst dicht am Gotteshause. Ja, die Mauern des Friedhofes wurden als Auslage für Linnenstoffe benutzt, und direkt am Fuße der Mauer waren in späteren Zeiten die Verkaufsstände für Heringe aufgeschlagen. Ging diese Entwicklung auch nicht plötzlich vor sich, so muß die Anregung dazu doch die Burganlage Heinrichs gegeben haben, und schon im 10. Jahrhundert muß Nordhausen durch Verleihung des Marktrechts eine Sonderstellung erlangt haben. Nach einer allerdings nicht ganz einwandfreien Überlieferung vermachte Otto II. zur Einweihungsfeier des von seiner Großmutter Mathilde gegründeten Nonnenstifts im Jahre 962 mercatum, theloneum et monetam, den Markt, den Zoll und die Münze, d. h. also die wichtigsten Einkünfte aus dem Marktflecken, dem neuen Kloster. Ist es auch nicht völlig verbürgt, daß diese Schenkung schon 962 dem Kloster vermacht wurde, so ist an der Tatsache selbst doch nicht zu zweifeln, und unter den Ottonen geschah das Vermächtnis sicher. Ob aber die Schenkung ein paar Jahrzehnte früher oder später erfolgte, ändert am Wesentlichen nichts, ändert nichts daran, daß Nordhausen noch im 10. Jahrhundert das Marktrecht erhielt. So war es also, abgesehen davon, daß es sich durch seine Befestigung vom flachen Lande unterschied, schon früh auch in wirtschaftlicher Beziehung zur Stadt geworden. Die dritte Eigenschaft, die einer mittelalterlichen Stadt zukommt, das eigene Recht und die Selbstverwaltung, fehlten Nordhausen aber noch und sollten ihm noch lange fehlen. Nordhausen gehörte zum mittleren Helmegau und war dessen Gerichtsbarkeit unterworfen. Das Generallandthing dieser Landschaft fand unter dem Vorsitz des Grafen von Bielstein in Nordhausen statt, und die Insassen des Ortes hatten an ihm teilzunehmen. Die eigentliche Verwaltung des Marktortes aber samt der Handhabung des Königsfriedens, der den Markt zu einer Stätte friedlichen Regens und Strebens machte, lag gänzlich bei den Königsleuten in der Burg und dem Wirtschaftshofe, von denen der Vogt und der Schultheiß die wichtigsten waren, und glitt erst allmählich in andere Hände hinüber, als sich unter veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen der Schwerpunkt vom bloßen Ackerbau zu Gewerbe und Handel verschob und als an die Stelle der feudalen Adligen und der Bauern die Bürger traten. So ist alles organisch und langsam entstanden und gewachsen: die geographische Lage schuf die Burg, die Burg ward zum Mittelpunkt der Landschaft, der vor der Umgebung ausgezeichnete Ort lockte den Kaufmann und Handwerker herbei, und so entstand der Markt. Nicht durch den Willensentschluß eines einzelnen, wie Rietschel will,[9] sondern aus den natürlichen Bedingungen der Landschaft und den allmählich sich steigernden Bedürfnissen der Bevölkerung ist alles geworden und alles abzuleiten. Die gesamte Ansiedlung zu Nordhausen, also Burg, Wirtschaftshof und Markt, stand auf dem Boden des Reiches und gehörte dem Könige. Sie konnte nach Belieben von ihrem Eigentümer ausgeliehen werden. So vermachte König Heinrich I. am 16. September 929 seiner Gemahlin Mathilde den Wirtschaftshof mit allem Zubehör, und dasselbe tat am 14. April 972, dem Tage seiner Vermählung, sein Enkel Otto II., indem er den Hof seiner Gemahlin Theophano schenkte. Rechtlich war damit nichts geändert; die Frauen bezogen aus Hof und Ländereien nur ihre Einkünfte. Im übrigen wurde das Besitztum von den Vasallen des Königs verwaltet, und nach dem Aussterben.des Geschlechts ging der Besitz an die Salier und dann an die Staufer über.[10] Auch der Markt stand auf königlichem Boden; doch sollten sich hier die rechtlichen Verhältnisse sehr früh anders gestalten. Im Jahre 962 konnte nämlich Mathilde, die in Nordhausen ihren Lieblingssohn Heinrich geboren hatte und die in Nordhausen besonders gern weilte, dicht nördlich der Burg, in suburbio, ein von ihr gegründetes Nonnenkloster einweihen. Und zum Unterhalt für dieses Kloster mußte nun der Markt Nordhausen dienen. Otto II. soll zur Einweihungsfeier im Jahre 962 dem Kloster die Einnahmen aus dem Handel, dem Zoll und der Münze des Marktfleckens vermacht haben. Schon aus diesen allgemeinen Darlegungen ist ersichtlich, wie eng Nordhausen im 10. Jahrhundert mit dem deutschen Königs- und Kaisergeschlecht verwachsen war. Doch lassen die alten Chroniken und Lebensbeschreibungen jene Zeit auch lebendig werden, indem sie von manchem schönen, rein menschlichen Zuge erzählen, der uns in Lebensgewohnheit und Lebenshaltung, in Sinnesart und Gefühlswelt jener Jahrhunderte deutscher Geschichte Einblick gewährt. Heinrich I. bewahrte dem durch ihn entstandenen Burgorte auch als deutscher König seine Zuneigung. Patriarchalisch, ein Landedelmann großen Stiles, verwaltete er seine Güter innerhalb seines Herzogtums Sachsen. Wohl verfolgte er weiten Blickes die Aufgaben, die eines deutschen Königs warteten, der sich besonders der großen kolonisatorischen Aufgaben des Deutschtums nach Osten hin bewußt war; bewußt war er sich aber auch dessen, daß die starken Wurzeln seiner Kraft in heimatlicher Scholle ruhten. Quedlinburg, Merseburg, Memleben, Nordhausen, Pöhlde, das waren für den Rastlosen die Stätten, wo er am heimatlichen Herde ausruhte und auf die er deshalb seiner Eigenart gemäß am meisten Sorgfalt verwandte. So müssen wir uns ihn auch stehen denken, oben an der heutigen Wassertreppe, wie er einem Baumeister Anweisung für die Anlage der Burg gibt, wie er den allmählich aus dem Boden wachsenden Bau von ungefügem Gebälk, das auf rohen Steinquadern ruht, umwandelt, hier einen wendischen Sklaven mit harten Worten zur Frohn treibt, dort für eine ermüdete Arbeiterschar Met herbeischaffen läßt; oder wie er in Begleitung seines Vogts und Schultheißen aus dem Königshofe hinausreitet, in scharfem Trab sich an der Waldkante des Hainholzes entlang gen Osten wendet, also etwa in der Straßenzeile der heutigen Töpferstraße reitend, am Ostende der heutigen Stadt einen großen Teich, den späteren Töpferteich, umgeht und dann die Felder besichtigt, die sich nach dem Roßmannsbache hinabziehen, hier bei einem säenden Bauern aus der alten Frauenberger Siedlung verweilend, dort vom Rosse Ausschau haltend und mit seinen Begleitern ratschlagend, wie jenes Brachland zu Acker gewonnen oder dieser Waldbestand gerodet werden könnte. – Hier in Sachsen, wir können sagen, hier in Nordhausen ruhte der König aus von großen Taten gegen Wenden und Ungarn, hier bereitete er große Pläne vor zur Einigung aller deutschen Stämme unter seinem Scepter, hier faßte er den recht eigentlich sächsischen Gedanken, das Ansehen des Reiches an der Nordmark dem Dänenhäuptling Gorm gegenüber herzustellen, oder jenen fremden, katholischen Gedanken, das Erbe des großen Karl in Italien anzutreten. Das war Politik, bedeutend und großzügig; aber schrittweise ging er vor, nur das Erreichbare jedesmal in Angriff nehmend, eingedenk jederzeit dessen, daß er sich allein auf die Kraft seiner Sachsen verlassen konnte. So wird er auch den Feldzug 934 gegen die Dänen hier in Nordhausen vorbereitet haben, weilte er doch im Juni 934 auf Nordhäuser Boden. 936 fiel ihm der Tod bei seinem größten Wurf in die Arme; er hinderte den Zug nach Italien. Vielleicht daß Heinrich nicht selten auch seiner Gemahlin Mathilde wegen in Nordhausen einkehrte. Diese hing neben Quedlinburg ganz besonders an Nordhausen. Schon als Heinrich um sie freite und die zur Gemahlin Erkorene aus ihrer westfälischen Heimat um Herford herum in sein Stammland führte, staunte sie über die Schönheit und Eigenart der Gegend zwischen Harz und Hainleite: „Wem gehört dies schöne Land, Herr Heinrich?“ so fragte sie oftmals, und jedesmal bekam sie die stolze Antwort: „Wohin Eures Rosses Huf hier tritt, Frau Herzogin, ist Euer Land.“ So gewann sie den Helmegau lieb. Zwei Kinder hatte sie in Nordhausen ihrem Gemahl geboren, Gerberga, die später an der Seite ihres zweiten Gemahls Ludwig IV. in Frankreich zu hohen Ehren kommen sollte, und ihren zweiten Sohn Heinrich, den ehrgeizigen Liebling der Mutter (920). Nordhausen hatte ihr Heinrich neben anderem Besitz 929 als Wittum geschenkt, in Nordhausen begann die alternde, nach dem Jenseits schauende Königin im Jahre 961 ein Nonnenstift neben der Burg zu bauen. Nach Nordhausen hin ritt auch nicht selten Otto, der Enkel Mathildens, zur Großmutter von seinem Lieblingsaufenthalte Wallhausen aus und willfahrte den Wünschen der ehrwürdigen Matrone, in Nordhausen fand auch jene von dem Lebensbeschreiber Mathildens mit rührenden Zügen ausgestattete Begegnung zwischen Mathilde und ihrem großen Sohne Otto im Sommer des Jahres 965 statt. Sieben Tage lang weilte damals Otto I. bei seiner Mutter in Nordhausen und widmete der frommen Frau zuliebe dem neugegründeten Jungfrauenkloster sorgfältigste Aufmerksamkeit. Rauh waren damals Männer und Zeiten, und glatte Höflichkeit verdeckte weniger als naive Schlauheit das selbstsüchtige Streben dieser Menschen eines erst langsam aus den ersten Kinderjahren zu klarem Bewußtsein erwachenden Zeitalters. So hatten roh und unbekümmert um kindliche Anhänglichkeit die königlichen Brüder Otto und Heinrich einst der Mutter die Hände gebunden, da sie allzu freigebig königliches Eigentum der Kirche zu vermachen schien. Dann waren sie, als sie Mißgeschicke trafen, bald von diesem Verhalten zurückgekommen und überhäuften nun die Mutter mit Ehren und Freiheiten, abergläubisch, dem Augenblick unterworfen, maßlos in Haß und in Liebe. Solche Szene unverhaltenen Gefühls spielte sich nun auch ab, als Otto endlich aus Nordhausen und von der Mutter scheiden mußte. Aus der Kirche kommend, wo sie am frühen Morgen noch einmal die Messe zusammen gefeiert hatten, schritten sie über den Burghof bis an das Tor der Burg. Hier umarmten sie sich unter Tränen und gaben sich den Abschiedskuß. Voll Trauer und voll Stolz sah die Mutter dann dem Davonschreitenden nach. Nachdem er aber sein Roß bestiegen hatte, eilte die Mutter in die Kirche zurück und küßte dort die Spuren seiner Füße. Als dem schon Davonsprengenden dies gemeldet ward, kehrte er noch einmal zurück, und es galt noch einmal bitteren Abschied. Schließlich sprach die Mutter: „So zieh’ nun hin in Christi Frieden; mein Antlitz wirst im sterblichen Leibe du nicht wiederschauen. Es ist vollbracht und deiner Treu’ ist alles anvertraut, was ich im Herzen trug. Nur diese eine Gunst erzeige deiner Mutter, daß dieses Klosters du mit Fleiß gedenkst.“ In der Tat sollte Otto I., der 966-972 in Italien weilte, seine alte Mutter nicht wiedersehen. Die Herbst- und Wintermonate des Jahres 967 verbrachte Mathilde wieder in Nordhausen als treue Beraterin und Beschützerin ihrer Freundin Richburg, der ersten Äbtissin des Klosters. Doch fühlte sie ihr Ende nahen, und begraben wollte sie sein in Quedlinburg neben Heinrich, ihrem Gemahl. So nahm sie denn am 21. Dezember Abschied von ihrem geliebten Nordhausen mit den Worten: „Wie sehr hätte ich gewünscht, daß ich hier zu Grabe getragen würde, damit meines Sohnes Otto und meiner Enkel Sorge desto größer für Euch wäre. Doch ruht mein Herr und Gemahl in Quedlinburg, und neben dem muß ich bestattet werden, um den jüngsten Tag und die Auferstehung zu erwarten.“ So schied sie denn gen Quedlinburg und legte dort sich auf das Krankenlager. Doch die Sorge um das noch immer nicht ganz vollendete Kloster verließ sie nicht. Sie berief Richburg zu sich, und dem an ihrem Lager weilenden Wilhelm, Erzbischof von Mainz, einem natürlichen Sohne Ottos des Großen, empfahl sie ihre Lieblingsschöpfung zu treuen Händen. Wilhelm versprach dem Kloster Schutz und Hilfe, verstarb aber plötzlich noch vor der Mutter in Rottleberode. Am 14. März 968 verschied zu Quedlinburg auch Mathilde und ward an der Seite ihres Gemahls begraben. Otto I., sein Sohn und sein Enkel aber vergaßen nicht, in dem Kloster zu Nordhausen die tote Mutter zu ehren. Mit reichen Gütern wurde es von ihnen ausgestattet. Sie vermachten den Hof Garnen an der Lippe, auf dessen Grunde heute die Stadt Lünen steht, den Königshof Bocholt, den Hof Bochorst und andere Güter im Bistum Münster dem Stifte. Dazu kam am 10. April 970 noch das Dorf Bliedungen bei Nordhausen und der Königshof Vogelsberg bei Kölleda mit reichstem Zubehör. Um Nordhausen herum besaß das Kloster bald durch fromme Schenkungen Besitz in Rossungen, beim jetzigen Gute Himmelgarten, in Leimbach, Vorrieth, Windehausen, Bielen, Großwerther, Obersachswerfen, Balrode, Kleinwerther, Bliedungen, Oberrode, Risla, Petersdorf, Sundhausen, Rüdigsdorf, Crimderode bei Urbach, Salza, Großwechsungen, Ritterode, Hunsdorf bei Steigerthal und Unterberga. Der Kaiserliche Hof Nordhausen aber ging nebst anderen Gütern am 14. April 972, dem Hochzeitstage Ottos II. mit der griechischen Prinzessin Theophano, durch einen Schenkungsakt Ottos an seine Gemahlin über und diente dieser ebenso als Ausstattung wie einst der Königin Mathilde.[11] In diesen letzten Jahrzehnten der Ottonenzeit kam die zunächst sprunghaft einsetzende Entwicklung des neuen Burgortes Nordhausen zum Stillstand; doch dienten die leidlich ruhigen Zeiten Ottos III. und Heinrichs II. der Festigung und dem Ausbau des Bestehenden. Die Burg und der Königshof waren weiterhin die Mittelpunkte einer im wesentlichen ländlichen Siedlung. Ihre Äcker, Wiesen und Weiden erstreckten sich am Südfuße des von der Burg gekrönten Hügels um die Zorge herum und zogen sich im Osten bis an den Roßmannsbach hinunter. Durchaus in engster Verbindung mit dem Königshofe stand der alte Karolinger Hof am Frauenberge. Zum Reichsvogt, dem der König seine Liegenschaften in Nordhausen anvertraute, ernannte der König sogar meist den Besitzer jenes alten Herrensitzes. Dieser Vogt handelte bei der Verwaltung des königlichen Besitzes völlig selbständig und war niemandem als seinem königlichen Herrn Rechenschaft schuldig. Zugleich war ihm der Schutz des gesamten Reichsgebietes anvertraut. Er war der Führer des Königsaufgebotes, das er zum Schutze gegen feindliche Überfälle zusammenberief und gegen den Feind führte. Als 1069 Markgraf Dietrich mit den gegen Heinrich IV. und das Erzstift Mainz aufsässigen Thüringern bis Mühlhausen und Nordhausen streifte, traten ihm die Reichsvögte dieser beiden Städte entgegen, „begegneten ihm oft und jagten ihm ab, so daß er in dieser Gegend nicht viel schaffen konnte“. Der Marktort neben der Burg hatte sich zum Mittelpunkt der Landschaft herausgebildet. Über ihn handhabte der Schultheiß den Königsfrieden. Seine Einkünfte an Standgeldern, Zöllen und Münzgerechtsamen flössen gemäß königlichen Vermächtnisses dem Nonnenkloster zu. Der Münzmeister, ein weiterer königlicher Lehnsmann, aber wahrscheinlich von Anfang an unter der Aufsicht des Schulzen stehend, beaufsichtigte die Münzstätte. Verwaltung und Recht lagen in den Händen dieser königlichen Beamten; von einer wirklichen Mitbestimmung der Bevölkerung konnte keine Rede sein. Nur dreimal im Jahre versammelte sich die gesamte männliche Bevölkerung, und zwar sowohl aus der Ortschaft wie die aus den Weilern in den ländlichen Fluren unter Leitung des Vogts zum Thing, zur Kontrollversammlung. An hervorragenden Bauten besaß Nordhausen, abgesehen von der Burg, nur einige Kapellen und das Stift zum Heiligen Kreuz. Dieses Nonnenstift mit seiner Kapelle nördlich neben der Burg muß ein weitläufiger Holzbau gewesen sein. Jahrelang wurde an ihm gebaut; 968, beim Tode Mathildes, war das Kloster noch nicht völlig fertiggestellt. Unter der Aufsicht dieses Stifts stand auch die Kapelle am Markte und ebenso die am Frauenberge bei Altnordhausen. Die kirchliche Oberaufsicht übte das Erzstift Mainz aus, das seit den karolingischen Zeiten Anspruch auf alle Gebiete südlich des Harzes und bis östlich Wallhausen erhob. Seitdem der berühmte Erzbischof Willigis von Mainz gegen Ende des 10. Jahrhunderts das Kloster Jechaburg gegründet hatte, war Mainz unbestritten im Besitz des Diözesanrechtes. Nach 1024, als das Geschlecht der Ottonen mit Heinrich II. ausgestorben war, hörte die friedliche und stete Entwicklung Nordhausens mehr als ein Jahrhundert lang auf. Wohl richteten die Salier auch auf Sachsen und Thüringen ihr Augenmerk, aber während die letzten Könige aus diesem Geschlechte, Heinrich IV. und Heinrich V., die aufblühenden Städte am Rhein förderten, taten sie in Sachsen nichts für die Werke des Friedens, sondern Kampf durchtobte die Gegenden, und Heinrich IV. ist für die Landschaften des südlichen Harzrandes eigentlich nur bekannt als der Erbauer von zahllosen Burgen und Warten, welche das freiheitsliebende und selbstbewußte Volk der Sachsen zwingen sollten. Die Spatenburg über Sondershausen wurde erbaut; auf einem steilen Muschelkalkplateau des östlichen Eichsfeldrandes, der Hasenburg, entstand ein mit Königsmannen stark besetzter Wartturm; am Harzrande westlich Walkenried ward die Sachsenburg angelegt, unter Heinrich V. aber war als gewaltiges Bollwerk die Burg Kyffhausen, die über der uralten Kaiserpfalz Tilleda auf steilem Horste thronte, ein von wilden Kämpfen umtobter Königssitz, der 1118 von den siegreichen Sachsen erobert wurde.[12] Nordhausen selbst war schon Ende der sechziger Jahre des 11. Jahrhunderts in den Krieg hineingezogen worden, wo sein königstreuer Reichsvogt dem aufsässigen Markgrafen Dietrich entgegentrat und den Reichsbesitz im nördlichen Thüringen schützte. Zeitweilig muß dann die Reichsburg, die in einem von den Sachsen rings umkämpften und besetzten Gebiete lag, dem König Heinrich IV. verloren gegangen sein. Ja, selbst nach der Niederlage von Homburg an der Unstrut am 9. Juni 1075 konnten die Sachsen das Gebiet bis an die Hainleite heran gegen den König behaupten. Aber neue Rüstungen des Königs und die Kriegsmüdigkeit der sächsischen Bauern ließen es geraten erscheinen, FriedensVerhandlungen mit dem Könige anzuknüpfen. Die vornehmsten sächsischen Fürsten, Herzog Magnus von Sachsen, Otto von Northeim, Erzbischof Wetzel von Magdeburg, Bischof Bukko von Halberstadt lagen damals mit ihren Kriegshaufen bei dem königlichen Hofe Nordhausen und entsandten von hier aus den Erzbischof von Bremen, den Bischof von Halberstadt und den Markgrafen Udo an den König. Dieser wiederum ließ süddeutsche Große mit den aufständischen Sachsen verhandeln, und so kam es im Herbst 1075 schließlich zu dem Frieden von Spier bei Sondershausen. Die Sachsen unterwarfen sich dem siegreichen Könige. Doch der Bürgerkrieg wurde damit nur auf kurze Zeit beigelegt und sollte besonders die letzten Jahre des unglücklichen Königs noch dadurch verbittern, daß sein eigener Sohn Heinrich die Fahne des Aufruhrs gegen den Vater erhob. Um die Kirche für sich zu gewinnen, spielte sich Heinrich V. als ihr Beschützer auf, und kirchliche Große waren es deshalb vor allem auch, die den Sohn in seinem unkindlichen Beginnen unterstützten. Für Ende Mai des Jahres 1105 hatte die päpstliche Partei in Deutschland eine Synode nach Nordhausen ausgeschrieben, zu der auch Heinrich V. erschien. Eine glänzende kirchliche Versammlung fand damals in Nordhausen statt; die bedeutendsten Kirchenfürsten Deutschlands waren anwesend. Naturgemäß beschäftigte sich die Synode in erster Linie mit den kirchlichen Fragen, welche die Zeit bewegten: der Gottesfriede wurde bestätigt, Simonie und Priesterehe wurden verdammt; die Frage der Investitur dagegen wurde nicht erörtert. Doch waren es auch hochpolitische Angelegenheiten, zu deren Behandlung sich die hohe Geistlichkeit in Nordhausen zusammengefunden hatte. Immer mehr war das Bestreben des alten Kaisers hervorgetreten, sich auf die aufblühenden Städte am Rhein gegenüber den Fürsten zu stützen, und mit Steuern für das Reich waren Bistümer nicht verschont geblieben. Dagegen galt es Abwehr, und um deswillen fielen auch die von Kaiser Heinrich IV. eingesetzten Bischöfe Udo von Hildesheim, Heinrich von Paderborn und Friedrich von Halberstadt ab und schwuren ihrem Oberhirten, dem Erzbischof Ruthard von Mainz, und dem jungen Könige Treue. Außerordentlich bezeichnend war das Verhalten Heinrichs V. auf dieser Synode zu Nordhausen. Alle die großen Eigenschaften seines Geschlechts, insonderheit Weltklugheit und diplomatisches Geschick, zeigten sich schon hier verzerrt und verbildet in diesem letzten der Salier. Um den kirchlichen Würdenträgern zu beweisen, wie hoch er sie einschätze, hielt er sich bei den Verhandlungen ganz im Hintergrund und erschien erst auf wiederholtes Drängen in schlichtem Gewände vor der Synode. Ein wie demütiger, ein wie leicht lenksamer Herr! Dennoch war die Tatsache seines schnöden Verbrechens an seinem Vater und kaiserlichen Herrn nicht gut zu umgehen. Doch, wie er mit Tränen im Auge erklärte, nur das Wohl der von seinem Vater mißhandelten Kirche hätte ihn zum Abfall getrieben. Ein wie frommer Christ und ergebener Diener der Kirche! So schickte man denn heiße Gebete zu Gott empor, daß er den harten Sinn des Kaisers erweiche und dem trefflichen Sohne gnädig sei. Die urteilslose, stets vom Augenblick überwältigte Menge aber, die dem würdelosen Schauspiel zusah, jubelte dem jungen Fürsten zu, und das Kyrie eleison erfüllte immer von neuem die Luft. Das war zu Nordhausen im Jahre 1105. Zehn Jahre später kannte man Heinrich V. besser; damals wurden seine Scharen von den Sachsen am Welfesholze bei Mansfeld besiegt; den Einfluß, den einst die Salier auf Sachsen gehabt hatten, konnte er nie wiedererlangen. Für unsere Heimat haben die Salier nichts getan. Erst die Ostpolitik Lothars von Süpplingenburg und seines großen Enkels hatten ein erneutes Aufblühen zur Folge. Die Kolonisation im Norden und Osten Deutschlands wurde nunmehr weitergefördert, insbesondere Zisterzienser Mönche rodeten den Wald und entwässerten den Sumpf. 1127 entstand damals das Zisterzienserkloster Walkenried und ward mit Mönchen aus Alten-Kampen am Niederrhein besetzt. Diese zogen weiterhin Bauern aus den Niederlanden herbei, und die „Fläminge“ schufen das Ried der Goldenen Aue durch Entwässerung zu fruchtbarem Acker- und Wiesenland um. Görsbach wurde von ihnen besiedelt, und die später wieder eingegangenen Ortschaften Langenrieth, Vorrieth, Horne und Eire entstanden. Dieses neue Regen und Streben kam auch Nordhausen zugute. Außerhalb der Stadtmauern wuchsen Gehöfte an der Nordseite, des Petersberges und auf diesem selbst empor. Mit den Bauern aus Flamland waren nämlich auch Wollweber und Leineweber herbeigezogen und übten nun ihr Gewerbe, das ihre Heimat so berühmt gemacht hat, auch im neuen Vaterlande aus. Die „Vlamingen“ oder Weber siedelten sich in der Weberstraße an. Am Nordabhange des Petersberges legten sie ihre Linnen zum Bleichen aus, und die Wollweber hatten hier ihre Tuchrähmen stehen. Auf dem Scheitelpunkte der Anhöhe aber, auf dem höchsten Punkte des ganzen alten Nordhausen, in monte civitatis, wie es 1220 heißt, erhob sich anstelle der heutigen Petrikirche eine neue Kapelle. Am Mühlgraben südlich der eigentlichen Stadt ferner dehnte sich nach und nach das Neue Dorf an der Straßenzeile der alten Heerstraße. Wahrscheinlich nicht im Gegensatz zum Altendorf im Norden der Stadt, wie Meyer will, sondern im Gegensatz zu seiner östlichen Fortsetzung „Altnordhausen“ erhielt dieses typische Straßendorf am Fuße der Stadtmauer den Namen das Neue Dorf, die spätere Neustadt. Auch das sogenannte Altendorf, das nördlich der Nordhäuser Burg bei einem alten Herrensitz, die Widenburg, schon vor Erbauung der Burg Nordhausen durch Heinrich I. lag, suchte nun Fühlung mit der Ansiedlung auf dem Berge und schob seine Häuser gegen die spätere Barfüßerstraße empor. Sehr unwahrscheinlich ist es, daß das Altendorf erst durch die von Hohenrode in das Tal ziehenden Bauern im 13. Jahrhundert entstanden ist. Dennoch hat es natürlich gar keine Berechtigung, wenn Rietschel, der nur die Schriften Förstemanns und nicht die Meyers kennt und von der Lage der einzelnen Stadtteile Nordhausens nicht unterrichtet ist, dieses Altendorf als ältesten Bestandteil Nordhausens ansieht und daran seine Theorien bestätigt findet, daß die sächsischen Königshöfe stets außerhalb der Altstadt lagen. Das Nordhäuser Altendorf hat mit der Altstadt zunächst nicht das geringste zu tun und wurde auch im 13. und 14. Jahrhundert wegen seiner Lage in der Talsohle in die eigentliche Befestigung Nordhausens nicht einbezogen. Richtig dagegen ist, daß sich Heinrich I. bei der Gründung von Burgen nicht um schon vorhandene Ansiedlungen kümmerte, sondern sie dahin baute, wo sie ihren Zweck, eben als Burgen, am besten erfüllten. In derselben Zeit aber, wo Nordhausen im 12. Jahrhundert Ansätze machte, einen neuen Aufschwung zu nehmen, ging der gesamte Besitz in und um Nordhausen an das von der Königin Mathilde gegründete Nonnenkloster über. Am 16. März 1158 stellte Kaiser Friedrich I. in Frankfurt eine Urkunde aus, in der die Burg, der Herrensitz mit Gebäuden und Hofstätten, angebautem und nichtangebautem Lande zu Nordhausen diesseits und jenseits des „Flusses“, also der Zorge, auch die an dem Flusse liegenden Wiesen und alles, was er eigentümlich besaß in dem Orte Nordhausen, dem Kloster überließ und sich dagegen nur zwei Pfund Pfennige aus den klösterlichen Einkünften in den Dörfern Windehausen und Bielen vorbehielt. Das Reichsgut Nordhausen war damit in den Besitz des Stiftes übergegangen, Nordhausen als Marktflecken war dem Kloster und seiner Äbtissin untertan geworden. Die rechtliche Lage war dadurch nur insofern verändert, als die einstigen königlichen Vasallen nun Lehnsmannen des Klosters waren und die Aufträge ihrer Domina, der Äbtissin, zu erfüllen hatten. Eine einzige Tatsache ist erwähnenswert: Mit der Aufgabe des Reichsgutes durch den Kaiser verlor das nunmehr klösterliche Gebiet jeden stärkeren Rückhalt und Schutz. Diesen gab ihm der Kaiser, indem er 1169 den Sachsenherzog Heinrich den Löwen zum Schutzherrn über das Besitztum des Nonnenklosters machte. Hierbei spielte nicht nur die Freundschaft mit, in der die beiden Vettern damals zueinander standen, auch erfolgte diese Ernennung zum Schutzherrn nicht nur wegen der überragenden Stellung Heinrichs in Norddeutschland, sondern es war auch die Erinnerung, daß Nordhausen immer zum Herzogtum Sachsen in enger Beziehung gestanden hatte, die diese Schutzherrschaft Sachsens über Nordhausen rechtfertigte. Daraus leitete 1180, als im Kampfe Friedrichs gegen Heinrich die Stadt Partei für den Kaiser ergriff, Heinrich der Löwe auch die Berechtigung her, Nordhausen zu erstürmen und zu züchtigen. Friedrich I. war nach seiner Niederlage durch den Papst Alexander III. und die lombardischen Städte im Jahre 1178 nach Deutschland zurückgekehrt und hatte dort Heinrich den Löwen nicht nur in überragender Stellung, sondern auch bei Übergriffen aller Art vorgefunden. Das führte zunächst zu einem Rechtsverfahren, dann, da der Löwe sich nicht beugte, zu offenem Kampfe. Wieder wie in der salischen Zeit, als die Sachsen im Norden mit den deutschen Königen kämpften, deren Hauptstützpunkte in Süddeutschland lagen, waren es die Städte Goslar, Nordhausen und Mühlhausen, bei denen der Angriff der aufsässigen Sachsen auf die Verteidigung durch kaisertreue Mannen traf. Ohne Hilfe von Süden her waren diese Ortschaften dem Ansturm des schlachtengewaltigen Welfen preisgegeben. Im April 1180 spürte die Reichsstadt Goslar seinen Zorn, Anfang Mai legte er sich vor Nordhausen und erstürmte es nach kurzer Belagerung. Kein eingehender Bericht ist von dieser Eroberung Nordhausens auf uns gekommen; aber wir können das Bild vor unserem Geiste erstehen lassen. Da lag auf der Anhöhe die kleine Feste Nordhausen mit den trotzigen Königsmannen und den zitternden Bürgern. Alles war zu den Waffen geeilt, Steinblöcke waren auf die Lehmmauem geschleppt, Töpfe mit siedendem Pech wurden bereitgehalten. Hier und da sprach wohl ein Zager von Ergebung, als die Heerhaufen Heinrichs mit den gewaltigen Belagerungsmaschinen herannahten; doch der Vogt des Stifts mahnte ihn mit rauhem Wort an seine Pflicht. Dann loderte Altnordhausen auf, auch seine Kapelle ging zu Grunde, dann fielen die Feuerbrände in die unbewaffnete Siedlung am Petersberge, die von den Bewohnern verlassen worden war. Jammernd sahen die Weber, die die Palisaden an der Ostseite der Stadt zu schützen hatten, ihre Habe in Flammen aufgehen. Doch auch Verzweiflung und Wut ergriff sie, und die starke Burg als Rückhalt mag ihren Widerstandsgeist belebt haben. So hielten die Bürger aus; doch nicht lange. Die Belagerer waren in tausend Fehden erprobte Männer; viele von ihnen hatten nicht umsonst bei den Kämpfen in der Lombardei die neuesten Belagerungsmaschinen kennen und bedienen gelernt, viele von ihnen standen auch nicht das erste Mal vor Gräben und Verhauen, sondern kannten den Festungskrieg aus den Wendenkriegen. Solchen Reisigen und solchen Waffen waren weder Besatzung noch Befestigung gewachsen. Sturmbock und Wurfmaschine hatten alsbald Bresche gelegt, und nun ging’s mit stürmender Hand bis vor die Burg. Da rollten auch schon die Mauerbrecher nach. Hinab mit den Steinen von der Burgmauer! – und zerschmettert lagen Geschütz und Bemannung. – Feuerbrände und Brandpfeile her! Doch das hölzerne Gebälk der Burg beginnt erst in den oberen Stockwerken und besteht aus tüchtigen eichenen Bohlen. Zielsichere Bogenschützen erlegen die kühnsten der Anstürmenden. Nun, dann von der schwächsten Seite, von Nordosten her an die Feste heran! Dort steht das Nonnenkloster. Was, Heiligtum! Herüber über die Mauern, Feuer in das Kloster! — Da flüchten noch einige in den inneren Burgraum! Ihnen nach durch das offene Tor! – Auch die Burg ist erobert.[13] Wie alle Städte und Landschaften, mit denen der Löwe Krieg führte, wurde auch Nordhausen furchtbar gestraft. Der Marktort wurde verwüstet, der Wirtschaftshof zerstört, die Burg und das bei ihr liegende Nonnenkloster wurden in Asche gelegt. Obgleich sich Nordhausen schnell wieder erholte und alsbald schöner, geräumiger und auch stärker befestigt wieder erstand, blieb der schreckliche Mai des Jahres 1180 doch der Bevölkerung noch lange im Gedächtnis. Als die Bürger, vielleicht gerade 100 Jahre später, darangingen, ein neues Rathaus zu bauen, ließen sie einen Stein mit einer auf die Zerstörung bezugnehmenden Inschrift verstehen:
Heinrichs Kriegsglück währte nicht lange, obwohl ihm bald nach der Eroberung noch ein großer Schlag gegen Bernhard, den neuen Herzog von Sachsen, und Landgrafen Ludwig von Thüringen bei Weißensee gelang. Schon Ende Juli stand Friedrich Barbarossa selbst dem mächtigen Manne in Sachsen gegenüber. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Kaiser damals in den ausgebrannten Trümmern Nordhausens geweilt und den sofortigen Wiederaufbau angeordnet hat. Das Schutzverhältnis aber, in dem Heinrich einst zu Nordhausen gestanden hatte, war vom Kaiser schon vorher, im April 1180 auf dem Reichstage zu Gelnhausen gelöst worden. Zum Schutzherrn wurde zunächst Ludwig der Milde von Thüringen, dann dessen jüngerer und ehrgeiziger Bruder Hermann ernannt. Damit schienen sich die Beziehungen Nordhausens zu dem sächsischen Norden zu lockern. In der Tat sollte Nordhausen fortan mehr von Thüringen und später vom Kurfürstentum Sachsen-Meißen beeinflußt werden; aber daß es eine alte sächsische Gründung war und daß es, wenn auch die Beziehungen zu Mühlhausen und Erfurt zeitweilig sehr viel enger waren, doch auch mit Goslar und Braunschweig in Zusammenhang blieb, lehrt die Geschichte späterer Jahrhunderte. Die Zerstörung der Stadt vermochte die im 12. Jahrhundert einsetzende Entwicklung nicht zu unterbrechen. Abgesehen von den oben geschilderten, für das Aufblühen Nordhausens günstigen Verhältnissen unter König Konrad III. nahm ganz allgemein in Deutschland seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts das Städtewesen einen Aufschwung. Hatten bisher nur wenige Städte, die mit Frankreich und vor allem mit dem hochentwickelten Oberitalien in Verbindung standen, einiges Ansehen erlangt, so teilte sich diese Bewegung nach und nach auch den tiefer im Innern gelegenen Ortschaften mit. Der ganze Charakter der Zeit, die aus der reinen Agrarwirtschaft hinauszustreben begann, brachte es mit sich, daß Nordhausen schnell den schweren Schlag verwand. Es wurde stattlicher, als es gewesen war, wieder aufgebaut; ansehnlichere Gebäude als bisher schmückten es, starke Befestigungen hüteten es mehr als früher. Unter den Bauten, mit denen damals begonnen wurde, waren auch der Dom und die Frauenbergkirche. Die ältesten noch heute stehenden Teile dieser beiden Baudenkmäler reichen in jene frühen Zeiten zurück. Bei der Erstürmung im Jahre 1180 war vom Dom nur die im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts erbaute Krypta sowie das steinerne Erdgeschoß der beiden Türme verschont geblieben. Jetzt zog man die Türme weiter aus Stein empor, baute in der Ausdehnung des heutigen Doms ein Langhaus aus Holz daran und schuf am westlichen Ende dieses Langhauses einen schönen romanischen Kreuzgang, von dem noch heute letzte Reste vorhanden sind. Nötig wäre es gewesen, den bei der Zerstörung stark mitgenommenen Chor ebenso wie die Türme gänzlich neu aufzubauen. Doch dazu langten offenbar die Mittel nicht; er wurde nur notdürftig geflickt, und sein Neubau wurde erst tatkräftig gefördert, nachdem 1234 das Langhaus durch eine große Feuersbrunst, die Nordhausen arg mitnahm, wiederum abgebrannt war. 1267 wurde der neue Chor, der als Bauwerk des 13. Jahrhunderts ganz den Übergangsstil von der romanischen zur gotischen Bauart zeigt, geweiht. Das heutige steinerne Langhaus erhob sich erst seit der Mitte des 14. Jahrhunderts und mußte sich dann im 15. Jahrhundert noch wesentliche Umbauten gefallen lassen. Damals erst entstand an Stelle des alten romanischen Kreuzganges auch der Kreuzgang, dessen spätgotische Formen trotz ihrer Verstümmelung uns noch heute entzücken. Ebenso wurde gleich nach 1180 mit dem Bau von St. Mariae novi operis, der Frauenbergskirche, als kreuzförmiger romanischer Basilika begonnen; ihr Westportal zeigt noch heute einen rein romanischen Stil. Diese Kirche wurde dann im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, wahrscheinlich schon 1203, die Kirche des am Ausgang des 12. Jahrhunderts gegründeten Nonnenklosters auf dem Frauenberge. Jedenfalls ersieht man aus diesen Gründungen und Bauten am Frauenberge, daß neben dem ottonischen Burgort Nordhausen noch immer auch das alte fränkische Nordhausen seine Bedeutung hatte und außerhalb der Stadtmauer auch um 1200 noch die bedeutendste Siedlung war.[15] Dann ließen es sich aber auch Ritter und Bürger angelegen sein, Burg und Befestigung neuer und stärker erstehen zu lassen. Man sah sich, durch die Erfahrung gewitzigt, vor und hütete sich nunmehr, sich zu vertrauensselig von der ruhigen Zeit täuschen zu lassen. Wie nötig und weise diese Vorsicht war, sollte man gar schnell erfahren. Schon bald nach der Thronbesteigung Heinrichs VI. setzten die Unruhen wieder ein. War Heinrich auch ganz offenbar ein ebenso starker und bedeutender Herrscher wie sein Vater Friedrich, so mußten doch seine hart zugreifende Politik sowohl wie sein eigenwilliger, unduldsamer Charakter Konflikte heraufführen. Barbarossas letztes friedliches Jahrzehnt wurde alsbald abgelöst von unfriedlichen Zeiten. Schon 1192 brauste überall und besonders im Nordosten Deutschlands der Unwille gegen den neuen Herrscher empor, und als gerade damals auch der getreue Wichmann, Erzbischof von Magdeburg, starb, einer der eifrigsten und bedeutendsten Parteigänger der Staufer, mußte Heinrich selbst nach Sachsen ziehen, das Unwetter zu beschwören. Deshalb finden wir ihn auch im Oktober und Dezember 1192 in Nordhausen. Doch nicht sein Eingreifen, sondern nur der Glückszufall der Gefangennahme Richards des Löwenherzigen bannte die Gefahr. Und erst danach war es ihm möglich, sich mit dem alten Braunschweiger Löwen, der mit den Engländern verschwägert war, auszusöhnen. In den viel umstrittenen Grenzgebieten des nördlichen Thüringen, in der alten Pfalz Tilleda trafen sich der Staufer und der Welfe im März 1194, und erst seitdem hielt sich Heinrich auf seiner Burg Dankwarderode in Braunschweig ruhig, die kurze Lebensfrist, die ihm noch beschieden war, dazu benutzend, seine alten Heldentaten zu bedenken oder in den Jagdrevieren des Harzwaldes dem Weidwerk obzuliegen. Der Tod dieser ganz Großen – Heinrich der Löwe starb 1195, Heinrich VI. 1197 – stürzte Deutschland in neues Unglück und neuen Bruderkrieg. Der Kampf Philipps von Schwaben und Ottos von Braunschweig um die Krone verheerte die deutschen Lande. Ganz besonders schwer berührte dieser Bruderzwist die Gebiete Nordthüringens, weil Landgraf Hermann von Thüringen an ihm in hervorragender Weise beteiligt war und in dem Wunsche, aus der jeweiligen politischen Lage möglichst große Vorteile für sich zu ziehen, fortwährend die Partei wechselte. Vor allem war es ihm darum zu tun, in den Städten Saalfeld, Ranis, Mühlhausen und Nordhausen Fuß zu fassen. Wer von den beiden Gegenkönigen ihm also diese Städte zusprach, hatte ihn als Freund. Ebenso wenig wie der charakterlose, prunkliebende Fürst wählerisch bei der Auslese seines Hofstaates war und neben edelsten Minnesängern die übelsten Raufbolde auf der Wartburg einzogen, ebenso wenig war er um die Wahl seiner Mittel verlegen, mit denen er seine meist nicht einwandfreien Ziele zu erreichen strebte. Er schloß sich deshalb zunächst Otto IV. an, der ihm Nordhausen als Lehen versprach. Doch die Stadt war nicht gewillt, sich zu einer thüringischen Landstadt machen zu lassen, und so mußte er versuchen, ihr mit Gewalt das Kränzlein abzuringen. Mehr als 6 Wochen lang lag er im November und Dezember 1198 vor Nordhausen und belagerte den festen Ort, ohne daß ihm seine Einnahme gelang. War 1180 die Stadt dem ersten Anlauf erlegen, so hielt sie jetzt einer langen Belagerung stand, die mit den modernsten Hilfsmitteln durchgeführt wurde, ein Zeichen dafür, wie trefflich man die Zeit seit 1180 zu ihrem Neubau und zum Ausbau ihrer Befestigungsanlagen benutzt hatte. Selbst die Bemühungen Hermanns, den Mühlgraben in die Zorge abzuleiten und die Einwohnerschaft durch Wassermangel mürbe zu machen, fruchteten nicht. Übrigens sieht man an dieser Maßnahme, daß Nordhausen noch immer auf die Gegend am westlichen Steilhang, wo die Burg lag, beschränkt war. Denn bei einer Belagerung war natürlich nur der Teil des Mühlgrabens, der sich an der Kaisermühle unterhalb der Burg durchzog, für die Verteidiger wichtig. Hier muß von der Burg aus auch eine Treppe oder ein Gang, der befestigt war, hinabgegangen sein, so daß sich die Burg mit Wasser versorgen konnte. Weniger wichtig war im Belagerungsfalle die Kaisermühle, denn mit Brotgetreide konnte man sich auf längere Zeit versehen. Erst als Mitte Dezember Otto IV. seine Heerhaufen mit denen Hermanns vor Nordhausen vereinigte und der Druck auf die Stadt unerträglich wurde, ergab sich diese nach Verhandlungen und unter günstigen Bedingungen. Sie mußte die Tore öffnen; Otto IV. und Hermann zogen in die Stadt ein, und die Bewohner mußten dem Braunschweiger Treue schwören. Sonst geschah der Stadt nichts.[16] Diese Belagerung sollte nicht die einzige Prüfung Nordhausens in den langen Streitigkeiten der Gegenkönige bleiben. Hermanns schwankende Haltung war daran schuld, daß noch mehr als einmal schwere Wolken heraufzogen, bis sich der Thüringer 1204 gezwungen sah, sich endgültig an Philipp anzuschließen. Damit fiel diesem auch Nordhausen, das wahrscheinlich schon lange auf den Staufer gehofft hatte, wieder zu. Am 15. August 1207 hielt Philipp curiam satis celebrem, einen ansehnlichen und feierlichen Hoftag, in Nordhausen ab und verhandelte von hier aus mit Otto IV., der bei Goslar stand. Obwohl dieser hartnäckig an der Königskrone festhielt, schien er doch endgültig erledigt zu sein. Da fiel Philipp 1208 durch Mörderhand; die Großen des Reiches schlossen 1209 zu Speyer auf Kosten des Königtums ihren Frieden mit Otto und erkannten ihn als alleinigen Herrscher an. Doch der Bannstrahl des Papstes, der ihn schon im November 1210 traf, entfachte von neuem den Widerstand gegen ihn. Furchtbar züchtigte der aus Italien zurückgekehrte Kaiser die Aufständischen, besonders den Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg und Landgrafen Hermann von Thüringen. Es war ein Glück für Nordhausen, daß es nicht in Hermanns Händen war, sondern neben Mühlhausen von einem Parteigänger Ottos namens Gunzelin gegen die thüringischen Angriffe gehalten wurde. Denn während nun Thüringen und das Erzstift Magdeburg von Otto grausam verwüstet wurden, geschah diesen Städten nichts. Ja, Nordhausen war von ihm sogar ausersehen zu einer großen Festlichkeit: Hier feierte der Kaiser am 22. Juli 1212 seine Hochzeit mit der staufischen Prinzessin Beatrix. Jubelndes Gefolge umgab damals das Brautpaar, jubelnd stimmten die Bewohner Nordhausens ein; hatte doch jeder die Hoffnung, daß nun endlich der Streit in Deutschland aufhören werde, nachdem durch diese Hochzeit Staufer und Welfen verbunden waren. Die Freude sollte kurze Zeit nur währen. Am 11. August starb die noch jugendliche Kaiserin, und die Anhänger der Staufer geben vielleicht nicht ganz mit Unrecht dem Kaiser, der von klein auf äußerst ungestüm und roh war, die Schuld an dem plötzlichen Tode. Von neuem entbrannte der Kampf, den der aus Sizilien herbeigeeilte Staufer Friedrich, der Enkel des Rotbart, mit Glück und Erfolg führte. 1218 starb einsam und bedeutungslos auf der Harzburg Otto IV., noch jung an Jahren. Der Schlag, der ihm seinen Einfluß endgültig genommen hatte, war an der Nordwestgrenze des Reiches, an der Brücke von Bouvines, gefallen. Otto, an der Spitze von deutschen und englischen Rittern, war hier einem französischen Bürger- und Bauemaufgebot erlegen. Eine neue Zeit brach an. Noch galten Roß und Rüstung vor allem in der Welt, noch entfaltete in der höfischen Dichtkunst das Rittertum seine edelsten und duftendsten Blüten, doch schon regte sich das Bürgertum, schon drängte die Zeit aus der Naturalwirtschaft heraus, schon trat neben den Bauern der Handwerker und Handelsmann, schon reckte sich neben dem feudalen Grundherrn freier Bürgerstolz. 1075 bei Homburg klopften die Ritter noch übermütig den sächsischen Bauern auf die Strohhüte und trieben das „Pack“ zu Paaren. 1214 bei Bouvines in Frankreich senkte sich zum ersten Male stolzer Ritterhelm und Wappenzier vor den Streitkolben der Bürger. Eine neue Zeit brach an; auch in Deutschland, auch für das kleine Nordhausen. Auch Deutschland wuchs in derselben Zeit, wo der feudale Ritter seine höchste Kultur erreichte, ganz langsam schon aus der Naturalwirtschaft heraus; und mit dem Aufkommen einer neuen Wirtschaftsform kam auch hier in Deutschland empor ein neuer Stand, der Bürgerstand. Daß es Nordhausen, welches eben erst 1180 offenbar ohne Mühe von Heinrich dem Löwen eingenommen worden war, 1198 gelang, Hermann von Thüringen, der sich vor die Stadt legte, Monate lang abzuwehren und erst dann durch freien Willensentschluß die Tore zu öffnen, wirkt wie ein Symbol: die Bevölkerung einer kleinen, dürftigen Stadt trotzte dem gefeiertsten Ritter jener Tage. Wahrlich, eine neue Zeit brach an.
Anhang zu Kapitel 2.
Am 16. September 929 vermachte Heinrich I. seiner Gemahlin Mathilde zum einstmaligen Wittum mit allen Einkünften auf ihre ganze Lebenszeit seine Erbgüter: in locis Quitilingaburg, Palithi, Northuse, Gronau, Tuterstete cum civitatibus ac omnibus ad praedicta loca pertinentibus, litis, servis, mancipiis utriusque sexus. – 962 heißt es nicht ganz verbürgt: Otto II., Romanorum Rex, donavit Monasterio S. Crucis civitatis Northusen mercatum, teloneum et monetam in dicta civitate, in victum Sanctimonialium in perpetuum. – Die Urkunden des 11. Jahrhunderts nennen immer nur den Namen Nordhausen, höchstens erscheint, wie z. B. 1075 curtis regia bei Lambert und villa regia Northusen bei Ekhart. Wichtig ist erst wieder eine Urkunde Friedrichs I. aus dem Jahre 1158, in der am 16. März dem Kloster zu Nordhausen und dessen Äbtissin Cäcilie tauschweise castrum, curtem dominicalem mit Zubehör und alles, was der Kaiser in villa Northusen besitzt, übergeben wird, wofür er die Einkünfte in villis Windehausen und Bielen erhält. Schließlich gewähren die erzählenden Quellen zum Jahre 1180, wo Heinrich der Löwe Nordhausen mit stürmender Hand nahm, Einsicht in Nordhäuser Verhältnisse. Das Kloster auf dem Petersberge bei Halle berichtet, castrum Nordhusen et monasterium Sanctimonialem in eo situm igne consumptum est, und Arnold von Lübeck schreibt: exussit civitatem, quae dicitur Königes Northusen, villam regiam Northusen … Danach ist folgendes mit Sicherheit auszumachen: Die in der Urkunde von 929 erwähnten loca sind der allgemeinste Ausdruck für die Ansiedlungen: Menschliche Siedlung und das bebaute Land um sie herum sind darunter zu verstehen. Andererseits bietet das Wort castrum den engsten Begriff und heißt jedesmal nur Burg ohne Wirtschaftshof, ohne bäuerliche oder bürgerliche Wohnstätten; castrum bedeutet bei Nordhausen den kleinen, mit Mauern umgebenen Raum am westlichen Steilhang. Das Münster ist in die Ummauerung eingeschlossen. Die älteste Urkunde unterscheidet castrum und civitas nicht genau: 929 ist civitas offenbar mit Burg zu übersetzen. Wo aber später, wie 962 und 1180, der Begriff civitas vorkommt, kann damit nicht nur die Burg gemeint sein, sondern eine Siedlung im Anschluß an die Burg. Denn 962 hat die civitas Handel, Zoll und Münze, und 1180 wird nicht die Burg allein, sondern die Ortschaft civitas genannt. Am wichtigsten ist die Unterscheidung von civitas und villa. 1158 wird castrum, curtis dominicalis und villa unterschieden. Dabei ist castrum die Burg und curtis dominicalis der herrschaftliche Wirtschaftshof. Danach kann villa, auch villicatio nur die Siedlung bei der Burg und dem Herrschaftshofe sein. Auch die Dörfer Bielen und Windehausen werden villae genannt. Villa regia ist der erste und vornehmste Wirtschaftshof, danach aber auch die gesamte Dorfanlage, die auf Reichsboden liegt, villa schlechthin ist die ganze bürgerliche Siedlung, untermischt mit Handwerkern und Kaufleuten, Unfreien und Freien. Daraus geht hervor, daß civitas die Ortschaft ist und villa auch. Civitas und villa ist dasselbe, streng unterschieden oder danach, ob man die politische oder wirtschaftliche Seite der Siedlung bezeichnen will. Civitas ist die befestigte villa im Gegensatz zu irgendeinem beliebigen Landsitze. Der Mittelpunkt der civitas ist das castrum, der Mittelpunkt der villa ist die curtis dominicalis. Der Name villa geht von der villa regia, dem königlichen Gutshofe, aus, und die villa ist eine zunächst rein bäuerliche Niederlassung, dann eine Ortschaft, in der sich auch Kaufleute angesiedelt haben. Der Aufsichtbeamte der villa, d. h. derjenige, der alle wirtschaftlichen Funktionen der Ansiedlung zu überwachen hat, ist der villicus oder scultetus, der Schultheiß. Will man dagegen betonen, daß die hier entstandene Niederlassung im Gegensatz zu anderen Dörfern ein durch ihre Burg und ihre Befestigung eigenartiges Gebilde ist, so spricht man von civitas, und der Aufsichtsbeamte der civitas, der militärische Leiter und oberste Richter an Stelle des Königs, ist der advocatus oder Vogt.
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