Käthe Kollwitz in Nordhausen
Käthe Kollwitz in Nordhausen
Käthe Kollwitz, gebürtig in Königsberg, wohnte den größten Teil ihres Lebens in Berlin. Ihr Mädchenname war Schmidt, sie hatte einen Arzt geheiratet, der im Nordosten Berlins eine Praxis hatte. In ihr war das menschliche Glück zuhause, aber in der Umgebung ihres Mannes konnte sie menschliches Elend erleben, das sie nicht unberührt ließ. Neben ihren Mutterpflichten arbeitete Käthe Kollwitz in ihrem Atelier und schuf mit ihren Meisterhänden immer treffender Menschen- und Mütterschicksale, die Aufsehen erregten. In der Zeit Kaiser Wilhelms II. fanden solche Bilder in den „maßgebenden Kreisen“ kein günstiges Echo. Man verschloß teilweise die Augen vor solchem Elend. Die genialen Schwarzweiß-Blätter vom Weberaufstand in Schlesien wurden noch übertroffen von den Bildern des Elends im ersten Weltkrieg. Hinzu kam, daß ein Sohn der Künstlerin mit 18 Jahren den Soldatentod erlitt. Waren die Zeichnungen schon durch ihre monumentale plastische Wirkung auffällig, so zwang das persönliche Leid auch zu bildhauerischer Gestaltung des Mutterleides. Ein Denkmal auf dem Soldatenfriedhofe, der auch den jungen Kollwitz barg, wurde von der Mutter gemeißelt. Es steht seit 1955 dem Vernehmen nach in Köln. Wenn Bilder, wie sie Frau Kollwitz schuf, so prägnant einfach und wie unabänderlich sicherlich ihre Wirkung ausstrahlen, könnte mancher, der von den Geheimnissen ehrlicher künstlerischer Arbeit nichts ahnt, meinen, die Bilder seien „so hingestrichen“. Weit gefehlt! Der Wissende spürt, welche Vorarbeit zu leisten ist, wieviele Studien zu der einzigsten Lösung nötig sind. So sammelten sich in der „Werkstatt“ der Künstlerin Studien um Studien, jede eine Leistung für sich. Als nun 1943 die Stadt Berlin immer mehr in die Arena der Bombenteppiche geriet, war es an der Zeit, die Kostbarkeiten in Sicherheit zu bringen.. Eine Tochter des Nordhäuser Arztes Dr. Schultes lud die damals 76jährige Frau ein, zu ihr nach Nordhausen zu kommen. Zuerst lehnte Frau Kollwitz ab, da sie in ihrem Alter neue Bekanntschaften scheute. Schließlich gelang es aber doch, Frau Kollwitz, die schon am Stocke ging, mit zwei Angehörigen zu Frau Margarete Böning, der Tochter von Dr. Schultes, zu bringen. Sie wohnte in dem allen Nordhäusern bekannten Hause, das der berühmte Architekt Schultze-Naumburg gegenüber dem Bismarck-Denkmal gebaut hatte. Im Laufe der Monate wurden mehrere Reisen nach Berlin gemacht, und Frau Böning holte soviel wie möglich von den Zeichnungen nach Nordhausen. Im November 1943 wurde, wie befürchet, das Kollwitzsche Haus in Berlin durch Bomben zerstört. Im August 1943 war Käthe Kollwitz nach Nordhausen gekommen. Sie blieb bis zum Juli 1944, als Prinz Ernst Heinrich von Sachsen, Verehrer Kollwitzscher Kunst, die Künstlerin in die Moritzburg bei Dresden holte. Hier starb Käthe Kollwitz am 22. 4. 1945. Sie wurde auf dem Friedhof Moritzburg beigesetzt, später aber nach Berlin-Lichtenberg auf den Zentralfriedhof (nach der Einäscherung in Meißen) überführt. Vom August 1943 bis Juli 1944 war also Käthe Kollwitz in Nordhausen. Immerhin kann sich diese Stadt als Ehre anrechnen, der gebeugten Frau, die soviel Elend erlebte, an die 12 Monate umsorgten Ausruhens geschenkt zu haben. „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist geweiht“. Zitieren wir dieses Wort. Es paßt hier. Käthe Kollwitz war mit ihrer Schwester und deren Tochter zusammen in Nordhausen. In den Augen der Meisterin spiegelten sich die. Mauern und Bäume der alten Stadt, deren feuerumlohten Untergang sie nicht miterleben mußte. Ein gütiges Geschick entführte sie nach Moritzburg. So kam es auch zu einer Geste aus der Mitte fürstlicher Geschlechter, die der Gestalterin sozialen Elends in früheren Jahren sonst nicht so recht wohlwollten, weil man damals nur „das Schöne“ darstellenswert fand. Echte Kunst entsteht aber nur im Zustande der Erschütterung. Walther Reinboth
|