Geschichte des Nordhäuser Stadtarchivs
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Die Geschichte des Nordhäuser Stadtarchivs von R. H. Walther Müller erschien 1953 in der Reihe der heimatgeschichtlicher Forschungen des Stadtarchivs Nordhausen.
Editionsrichtlinien:
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Das Archiv der Freien Reichsstadt (bis 1802)Die Anfänge des Nordhäuser Stadtarchivs liegen im Dunkel einer urkundenarmen Zeit und können nur an Hand allgemeiner historischer Erkenntnisse begriffen und gedeutet werden. Wenn unter einem Archiv die Stätte verstanden wird, in der zunächst die schriftlichen Beweismittel von Rechtsansprüchen, weiterhin der gesamte schriftliche Niederschlag der organisierten Verwaltung einer weltlichen oder geistlichen Herrschaft sicher verwahrt werden, um eben dieser Verwaltung die Unterlagen für eine kontinuierliche Geschäftsführung bereit zu halten, so können wir den Beginn unseres Stadtarchivs mit Sicherheit im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts annehmen. Während die Verwaltung des kleinen, sich an die Burg und den königlichen Wirtschaftshof anschließenden Ortes „Nort-husen“ bis 1158 in den Händen von „Ministerialen“, d. h. königlichen Beamten (Rittern), von da an bis 1220 in denen der Äbtissin des Nonnenstifts zum heiligen Kreuz gelegen hatte, ging sie nun an die „Universitas civitatis“, an die Eidgenossenschaft der Bürger über, die durch einen gewählten Rat repräsentiert wurde. Den ältesten Beweis dieser städtischen, autoritären Verwaltung haben wir in dem Nordhäuser Stadtsiegel an einer in Braunschweig aufbewahrten Urkunde von 1229. Um die Mitte des Jahrhunderts entstand die erste „Stadteinung“, das Grundrecht der bürgerlichen Selbstverfassung, aus dem Pflichten und Rechte des einzelnen, wie auch Funktionen der Verwaltung zu erkennen sind. Mit dem Anwachsen des Markt- und Wirtschaftslebens, durch Fehden und Freundschaftsverträge, durch die Differenzierung der Organisation des Gemeinwesens verstärkte sich die Notwendigkeit schriftlicher Aufzeichnungen und damit der Umfang des auf die Dauer aufzubewahrenden Schriftgutes. Es entstanden Kopialbücher für Verträge, Privilegien und abgesandte Briefe; Grundstücks- und Zinsregister wurden angelegt. Die Nordhäuser Bürgerregister und Privilegienbücher, die mit dem Jahre 1312 beginnen, sind die ältesten der ehemaligen Provinz Sachsen (vor Naumburg 1342 und Erfurt 13861). Sie alle wurden, wenn sie ausgedient hatten, dem Archiv einverleibt, gleichwie die einkommenden Briefe und Urkunden. Daß der damalige Begriff des Archivs sich mit dem späteren oder gar dem gegenwärtigen nicht völlig deckt, liegt auf der Hand. Wohl gab es ein „gewelbe, da di privilegia ligen“, wie die Statuten von 1350 melden. Doch ist bis an das Ende der Reichsfreiheit die Grenze zwischen Archiv und Kanzlei, die in ihrer Registratur neben aktuellem Schriftwerk auch manches archivreife aufhob, schwer zu bestimmen. Das genannte Gewölbe, das sich wohl im Keller des Rathauses befand, enthielt neben anderen Wertgegenständen, wie beispielsweise den städtischen Einheitsgewichten, 1595 einen „eisern Kasten“ für die kostbaren Pergamente. Die Masse des in der Kanzlei allmählich überquellenden Schriftgutes wurde in Wandschränken, auf Böden und in Kellern gelagert, wurde zum Teil ein Opfer von Feuer, Feuchtigkeit und Mäusefraß und war im übrigen ein unübersichtlicher Haufen, in dem Wichtiges von Wertlosem nicht zu unterscheiden war. Wiederholt raffte sich der Rat der Stadt auf, Ordnung in sein Archiv bringen zu lassen oder selbst zu bringen, denn mancher Prozeß, der ohne Beiziehung alter Urkunden und Akten geführt werden mußte, ging zum Schaden des Stadtsäckels und des Ansehens des Rates verloren. Im November 1637 begab sich der Bürgermeister Heinz Weller mit dem Syndicus Johann Kahle, der ein Studierter war, daran, „ein Verzeichnus der brieffliehen Uhrkunden, so im Gewelb sich befinden“, aufzunehmen. Sie identifizierten am ersten Tage 45 der herumliegenden Pergamente, davon drei aus dem 13. Jahrhundert, 13 aus dem 14., 14 aus dem 15., 11 aus dem 16. u. vier aus dem 17. Jahrhundert. Bis Mitte Dezember wurden weitere 29 Urkunden registriert und „in Schachteln und Kästlein gelegt“, die mit „sonderbaren Zeichen“ signiert wurden. Aus der über diese Aktion aufgenommenen Niederschrift ist zu ersehen, daß man im August 1639 erneut ans Werk ging. 17 ordentlich eingeschachtelte Urkunden waren das Ergebnis. Das ursprünglich geplante Gesamtverzeichnis ist aber-offenbar nie fertig geworden. Im Juni 1643 wurde nachgetragen: „Die Schwarzburgischen Verschreibungen sindt in einer Schachtel ins Gewelbe gesetzt worden; desgleichen sind auch die Originalia der Stoibergischen Schulden ins Gewelbe gesetzt, item die Acta den Walckenreder hoff und Werther-mühle betreffende“. Wie wichtig dem Rat diese Bestandsaufnahme war, geht daraus hervor, daß drei Bürgermeister und der Syndicus das Protokoll unterschrieben. Neben dieser praktischen Beurteilung des Archivs als eines Ordnungsfaktors innerhalb der Verwaltung findet sich aber noch eine Einstellung, die ihm eine hohe Bedeutung in politicis beimißt. In einem Gutachten vom 7. Juli 1649, das der Rechtsgelehrte und Nordhäuser Stadtsyndicus Dr. Johann Titius dem Rate über die Rechte der Reichsstadt unterbreitet, führt er u. a. auf:
Diese Auffassung vom Archiv als der juristischen und politischen Rüstkammer einer Stadt (wie auch eines Klosters, eines Grafen, eines Landesherrn o. ä.) war die landläufige vom Mittelalter an bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Hier hämmert Titius seinen „Obern, den Bürgermeistern und dem Rate“ geradezu ein, sich vermöge des jus archivi selbst Fürsten gegenüber als gleichberechtigt zu betrachten. Indes bekam das Archiv selbst weder vom Standpunkt des Prestiges, noch von dem des praktischen Nutzens Hilfe und Unterstützung. Die leidige Unübersichtlichkeit und Unordnung blieb, einfach weil zur Verwaltung des Archivs niemand eingesetzt war. Zwar galt der Syndicus (Stadtschreiber), etwa seit 1300 der leitende, juristisch gebildete Angestellte des Rates, als Vorsteher der Kanzlei und damit auch des Archivs. Aber er sowohl, als auch der seit etwa 1400 im Amt befindliche Secretarius (zu dem sich schon vor 1500 ein zweiter gesellte), waren so von laufenden Geschäften gebunden, daß faktisch das Archiv sich selbst überlassen blieb. Irgend einen subalternen Ratsdiener konnte man mit den Ordnungsarbeiten nicht betrauen, denn ihm fehlten die Schrift-, Sprach- und Sachkenntnisse. Einen Außenstehenden aber zu beauftragen, etwa einen lateinkundigen Theologen, verbot sich nicht so sehr aus Sparsamkeitsgründen, als vielmehr aus der tiefen Besorgnis, ein Fremder möchte Einblick in die politischen Geheimnisse des Ratsregiments erlangen. Also blieb alles beim alten, d. h. im äußersten Notfälle bestimmte der Rat aus seiner Mitte ein Kommission, die die unbequeme Arbeit, so gut es eben ging, zu bewältigen suchte. So verfügte am 15. April 1659, als die Nachwehen des 30jährigen Krieges im Abklingen waren, der Rat folgende „Deputatio zur Revidierung des zerstreueten Archivs“:
Daß gereichet gesambter Stadt zum besten undt E. E. Rahtte zu danck-nehmenden gefallen“. Natürlich hat auch diese Ordnung, sofern sie überhaupt zu Ende gebracht worden ist, nicht lange angehalten. In der Bestallung des Secretarius Christian Moritz Heydenreich vom 10. 9. 1700, in der seine Dienstverrichtungen einzeln aufgeführt werden, heißt es unter Bezugnahme auf die bisherigen Mängel der Sekretariatsführung, daß häufig Klagen geführt worden seien, weil wichtige Verwaltungs- und Prozeßtermine nicht beachtet wurden, „wie denn der Augenschein bezeuget, daß selbige, wie auch das gantze Archiv confus, die Acta vigilantia (laufende Akten) von den abgeurtheilten nicht entschieden (d. h. gesondert) sind“ usw. Im August 1710 brannte die Hälfte der Oberstadt nieder. Auch das Rat-r haus verlor seinen Dachstuhl, und durch das Löschwasser wurden die Archivbestände im Gewölbe schwer mitgenommen. Darunter befanden sich auch die 14 Quartbände, die der Stadtphysicus und langjährige Bürgermeister Dr. Conrad Frommann, der 1706 im Alter von 90 Jahren gestorben war, „mit eigener Hand geschrieben und teils aus dem Ratsarchiv und Akten, teils aus anderen Nachrichten zusammengetragen hatte“. Wir haben hier eines der wenigen Beispiele vor uns, wonach schon in der Zeit der Reichsfreiheit das Archiv in historischer Absicht, also wissenschaftlich, benutzt wurde. Freilich war der Benutzer selbst Bürgermeister und hatte als solcher uneingeschränkt Einblick in die reichen Bestände. Diese 14 Bände wurden sofort nach Frommanns Tode seinen Erben mit. Gewalt, d. h. durch den Stadtleutnant und vier Stadtsoldaten im Beisein des Stadtaktuars, abgenommen und in das Haus des Hannoverschen Kommissars Offeney verbracht. Begründet war diese Maßnahme durch Nordhausens Besetzung mit preußischem Militär, die von 1703—1715 dauerte. Unter allen Umständen wollte man die inhaltsreichen Archivalienabschriften vor preußischer Einsichtnahme bewahren. Erst nach Beendigung der sogenannten „brandenburgisehen Troublen“ 1715 wurde der Schatz aus seinem neutralen Asyl wieder ins Rathaus überführt, wo er sogleich von mehreren Ratsherren studiert worden ist. Leider ist, wie der Senator Pauland 1747 notiert, das 10. Volumen, das lauter Nachrichten über das Hospital St. Martini enthielt, „bey Dr. Huxhagen verlorengangen und vermutlich durch den Herrn Hoffrath Lamberg aus Curiosität entwendet worden. Maßen mir Herr Secr. Filter gesaget: Es wäre nicht mehr vorhanden“. Im Jahre 1725 bot sich dem Rate der Stadt die Gelegenheit, die an der Nordwestecke des Rathauses im Erdgeschoß liegende „Gewandkammer“ des Schultheißen Becker aus Bleicherode zu erwerben8). Hier wurde nun das Stadtarchiv untergebracht. Der Zugang erfolgte mittels einer eigens eingebauten Treppe von dem darüber liegenden „Regimentssaal“ (Ratssitzungszimmer). Daß man dem Archiv diese Aufmerksamkeit schenkte, dürfte auf die Initiative des letzten bedeutenden Bürgermeisters der Reichsstadt, Chilian Volkmar Riemann, zurückzuführen sein, eines Mannes, dessen 38jährige Amtszeit (1725—1763) erfüllt war von politischem Kampf gegen die Korruption einer Clique alteingesessener Nordhäuser Familien. Ihm gelang es, durch Ratsbeschluß eine neue, fortschrittlichere Verfassung und eine geordnete Verwaltung einzuführen. Er war es auch, der erstmalig eine Besoldungsordnung aufstellte, die von den regierenden Bürgermeistern bis zu den Feldhütern alle städtischen Beamten umfaßte. Es ist charakteristisch für Riemanns Verständnis für die Bedeutung des Archivs, daß er 1727 und nochmals 1729 für drei Jahre den „Deputatis zur Einrichtung des Archivs“ jährlich 60 Taler auszahlen ließ10). Zwar mag von dieser Vergütung auch sein Schwiegersohn Filter als derzeitiger Secretarius (1724— 1780) Nutzen gehabt haben, der ja dienstlich dem Archiv nahestand, aber wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß Riemann wie Filter für die Ordnung und Nutzbarmachung der Archivalien mehr getan haben, als vor ihnen jemand. Man machte es Riemann geradezu zum Vorwurf, daß er „den meisten Teil des Archivs, wo nicht den ganzen, in seinem Hause habe“. Johann August Filter seinerseits hinterließ eine Chronik, die von seinem Sohne gleichen Namens, der von 1801—1802 Secretarius war, in vier starken Foliobänden abgeschrieben und bis 1807 fortgeführt wurde. Überblicken wir den Werdegang unseres Archivs von seinen Anfängen bis zum Ende der Reichsfreiheit (1802), so ist unverkennbar, daß der ur-eigentliche Zweck des Archivs, das juristisch-politische Arsenal des jeweils herrschenden Rates zu sein, an Bedeutung durch die Jahrhunderte nichts eingebüßt hat. Wer das Archiv besitzt, ist Herr der Verwaltung, vorausgesetzt, daß er es versteht, sich seiner zu bedienen. Deshalb ist auch die Geheimhaltung seiner Bestände von eminenter Wichtigkeit. Das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erwachende historische Interesse einiger akademisch gebildeter Bürger vermag nicht, an die Urkunden der Vergangenheit heranzukommen. So, wie der Rat die Frommann-sehen Abschriften ohne Verzug an sich zu bringen weiß, so verhindert er 1710 den Weiterdruck einer „Nordhäusischen Chronica“ des ebenfalls im Rate sitzenden „Quatuorvir“ Erich Christoph Bohne und nimmt dem Autor das Manuskript ab. Daß Friedrich Christian Lessers „Historische Nachrichten“ 1740 erscheinen konnten, ist wohl nur darauf zurückzuführen, daß Lesser mit dem aufgeklärten Chilian Volkmar Riemann verschwägert war und dieser Beziehung eine gewisse Einsicht in die Dokumente des Archivs verdankte. Die häufigen Flüchtigkeiten und Fehler in den Urkundenwiedergaben des sonst so gewissenhaften Polyhistors lassen aber deutlich erkennen, unter welch widrigen Umständen er sein Werk vollbringen mußte. Daß diese erste vollendete Chronik der Stadt, die ein Jahrhundert lang das Geschichtswerk Nordhausens blieb, ohne Namen des Verfassers erschienen ist, besagt genug. Bezeichnend für den bisher behandelten Zeitabschnitt ist aber auch die oft beklagte, nie beseitigte Unordnung des Archivs. Selbst unter Rie-manns straffer Regierung können zwei Gutachten der Stände des Reiches von 1672 und 1680, um die der Mühlhäuser Rat und der Senat zu Goslar gebeten hatten, im Archiv nicht gefunden werden, „so vermuhtlich daher kommt, weil dieses nicht allein durch die königlich-preußischen Troublen, sondern auch die in anno 1710 und 1712 erlittenen großen Brandschäden von Händen kommen seyn muß . . .“ Ein Wunder ist das freilich nicht, denn so häufig in den alten Papieren das Archiv erwähnt wird, nirgends ist die Rede von einem Archivar. Wenn J. L. von Heß, der Verfasser der „Durchflüge durch Deutschland, die Niederlande und Frankreich“ (erschienen 1793—97 beim Verlage Bachmann und Gundermann in Hamburg), aus Nordhausen zu melden weiß: „Die Kanzlei der Stadt besteht aus einem Syndicus, der zugleich Präses des Consistoriums (d. h. des Rates) ist; aus zwei Senatoren, welche dabei Ratskonsulenten sind, einem Archivarius und einem Cancellisten. Die vier ersten sind Rechtsgelehrte“, so ist mit dem rechtsgelehrten Archivarius eben der Secretarius gemeint. Gehörten aber auch zu dessen Amtsbereich die laufende Registratur mitsamt den ehrwürdigen Privilegien und sonstigen alten Sachen, so war er doch praktisch ebenso wenig verantwortlicher Archivar, wie ein Ratsherr oder ein Bürgermeister, der sich bei Bedarf mit den Archivalien zu schaffen machte. Das Archiv war ein Stiefkind der reichsstädtischen Verwaltung. Man rühmte sich seines Besitzes, a'ber kosten durfte es nichts. Zwar erwachte nach der Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich das Bewußtsein, daß in den Pergamenten und Papieren der Archive mehr enthalten sein möchte, als bloße Heimlichkeiten der ewig wechselnden Regierungen, doch fehlte hier, innerhalb der Mauern der von einstiger Macht entblößten Reichsstadt, jeder Impuls, sich der aufgezeichneten Erfahrungen vergangener Zeiten zu bedienen. Zu schwer lastete die Tradition der alten Ordnung auf den Dingen und den Gemütern. Da fällt plötzlich der Vorhang. Das 580jährige Schauspiel der Freien Reichsstadt Nordhausen ist zu Ende. Das Stadtarchiv in preußischer Zeit (1802-1945)Ein neues Stück beginnt. Die Bühne hat sich gewandelt. Sie ist größer geworden. Die namhaften Rollen werden von Preußen gespielt, die Nordhäuser wirken als lernbegierige Komparsen mit. Doch kaum hat sich das Ensemble eingespielt, wird die preußische Truppe von einer französischen abgelöst, und die Bürger Nordhausens erleben und erfassen, sei es als Statisten, sei es als Zuschauer, ungeheuer viel Neues in den Jahren zwischen 1802 und 1813. Als schließlich die Neuordnung der städtischen Verwaltung nach preußischem Muster vollzogen ist, finden wir an Stelle der reichsstädtischen drei Ratsregimenter mit ihrer bunten Vielzahl von Ratsbedienten einen Magistrat, der aus einem Bürgermeister, zwei Ratsherren (Senatoren) und einem Polizeikommissarius besteht, daneben einen Sekretär, einen Rendanten, Waage-, Markt-, Brunnen- und Wiesenmeister sowie etliche Wärter und Wächter als Organe der Stadtverwaltung vor. Auf engstem Raume, im mittleren Stockwerke des Rathauses, waltete die städtische Behörde ihres Amtes. Auch die Stadtverordneten und zahlreiche Kommissionen preußische Stadt- und Landgericht abgetreten worden und wurde erst 1869 zurückgegeben. Im Erdgeschoß des Rathauses befand sich, wie bisher, das Archiv. 1824 erfolgte erstmalig eine spezifizierte Dezernatsverteilung, wobei der Bürgermeister, Hofrat Seiffart, die Aufsicht über das Archiv und die Ratsbibliothek übernahm. Am 3. März 1832 erließ der preußische Minister des Innern und der Polizei in Berlin folgende Verfügung, die dem Magistrat über den Oberpräsidenten in Magdeburg und den Landrat in Nordhausen zuging:
Man kann sich vorstelien, mit welchem Gefühl der Magistrat (der neue Bürgermeister Kölling war eben erst ins ,Amt gekommen), dieses merkwürdige Ansinnen des Herrn Ministers ansah. Er ließ es vorderhand auf sich beruhen. Erst als der Landrat mehrfach gemahnt und um Bericht ersucht hatte, ob „vollständige Repertorien“ über die im Archiv befindlichen Urkunden vorhanden seien und schließlich seinen Kontrollbesuch anzeigte, nahm Bürgermeister Kölling Stellung. In seinem Schreiben vom 27. August 1832 hieß es:
Im weiteren Texte dieses Berichtes wurde gesagt, daß dieses erste, kurze Verzeichnis von dem Konrektor am Gymnasium, Prof. Dr. Förstemann, angefertigt worden sei, und es wurde darum gebeten, diesen auch zu der Revision des Landrats hinzuzuziehen, „da bey der alten, mit Abbreviaturen (Abkürzungen) aller Art überhäuften Schrift es nicht allein zeitraubend, ja oft wohl unmöglich seyn würde, sich von dem Inhalte und der Identität der im Verzeichnisse aufgeführten Urkunde zu überzeugen.“ Das Ergebnis der Archivbesichtigung war, daß Prof. Förstemann gebeten wurde, mit der Aufzeichnung der Urkunden fortzufahren. Dann setzten in kurzen Intervallen die Terminerinnerungen des Landrats ein. Zunächst warf sich der Magistrat selbst in die Bresche und bat um Geduld:
Am 4. Mai 1833 setzte Förstemann sich gegen die anhaltenden Mahnungen des Landrats selbst in folgendem „Promemoria“ zur Wehr. Er schrieb:
Während der Jahre 1833—35 stellte die preußische Regierung Ermittlungen an, welche Partikular-Rechte in den seit 1802 erworbenen Provinzen neben dem Allg. preuß. Landrecht, das 1815 auch in Nordhausen eingeführt worden war, weiterhin in Geltung bleiben sollten. Zunächst sollten diejenigen Städte, die vordem das „jus statuendi“ (das Recht, Strafurteile zu fällen) gehabt hatten, ihre Statuten zur Prüfung einreichen. Der Magistrat erklärte, daß „erst alle betreffenden Urkunden, Verordnungen, Privilegien pp., die teils in unserem Archiv befindlich, teils sich zerstreut unter den Akten befinden, nachgesehen werden müssen.“ Ehe man aber diese Dokumente „nachsehen“ konnte, mußten sie gefunden werden, und damit haperte es gewaltig. So blieb das, was schließlich als „Partikular-Rechte“ gemeldet wurde, ein verlegenes Sammelsurium, das durch weitläufige Korrespondenz und Verhandlungen, endlich durch ein Gutachten des Mühlhäuser Bürgermeisters Gier als zivilrechtliche Verträge erkannt und verworfen wurde. Vernünftigerweise schloß sich der Nordhäuser Magistrat dieser Erkenntnis an, ersuchte aber doch den Stadtrat Oßwald, sich künftig einer Sammlung unserer Lokalrechte, Statuten usw., soweit sie gültig gewesen und publiziert worden waren, zu unterziehen. Die Situation der damaligen Aktenverwaltung wird völlig erhellt durch folgenden Bericht, den Oßwald unterm 25. Juli 1834 dem Magistrat vorlegte:
Die offensichtliche Unordnung in Registratur und Archiv und die daraus resultierende Behinderung des Geschäftsganges beschäftigte nun auch die Stadtverordneten-Versammlung. In ihrer Vorlage an den Magistrat vom 21. Juli 1834 hieß es:
Es ist leider aus den Akten nicht zu ersehen, inwieweit dieser berechtigte Antrag der Stadtverordneten-Versammlung und die edle Bereitschaft zur Mitarbeit praktische Erfolge gezeitigt hat. Was die Registratur betrifft, so ist wohl anzunehmen, daß Fleiß und Strebsamkeit der Magistratsbeamten mit wachsender Erfahrung in der preußischen Verwaltungsroutine allmählich die gehörige Ordnung herbeiführte. Keine Zeile freilich gedenkt der Arbeit der Subalternen, während allerhand Tinte fließt, wenn es ihnen etwa am Martinsfeste, dem höchsten Feiertage der Nordhäuser, einfällt, allzu pünktlich das Amtszimmer zu verlassen! Etwas mehr Ehre wurde der stillen und unbezahlten Arbeit Dr. Förstemanns im Archiv zuteil, aber auch er mußte manche bittere, bürokratische Püle schlucken. Immer wieder wurde die systematische Arbeit an den Urkunden, die er nach Aufhebung des Domstifts durch die Westphälische Regierung im Jahre 1810 persönlich durch Sammeln und Ankauf von Urkunden des Stiftes S. Crucis und ehemaligen Nordhäuser Klöstern aus eigenen Mitteln bedeutend vermehrt hatte, gestört. Ernst Günther Förstemann war in Nordhausen am 13. April 1788 geboren und hatte nach Beendigung seiner Studien, die durch schwere Krankheiten gehemmt waren, 1816 am Gymnasium seiner Vaterstadt Anstellung als Kollaborator gefunden. 36 Jahre hindurch hat er hier den Lehrberuf ausgeübt. Seine Lebensaufgabe aber sah er in der Erforschung der Stadtgeschichte und auf diesem Gebiete hat er Grundlegendes hinterlassen. Angesichts dieser beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit kann die Bedeutung seiner freiwilligen Arbeit an der Ordnung der Urkunden für die Geschichte des Stadtarchivs nicht hoch genug gewertet werden. Als im März 1841 die Regierung in Erfurt vom Magistrat a) ein genaues Verzeichnis der älteren, im Hinblick auf Geschichte und. Verfassung wichtigen Archivalien und b) eine Nachweisung der die Stadt betreffenden Geschichtswerke, Chroniken, Monographien und dergleichen, gedruckt oder geschrieben, verlangte, legte Förstemann im September 1841 — die turnusmäßigen Erinnerungen der Regierung waren nicht ausgeblieben — ein Verzeichnis der königlichen und kaiserlichen Urkunden des Mittelalters, sowie eine von dem Gymnasiasten Lauenstein sehr sorgfältig abgeschriebene Übersicht von 13 Folioseiten über die gedruckte Literatur zur Geschichte und Verfassung der Stadt Nordhausen vor. Daneben fertigte er in dieser Zeit ein Verzeichnis der im Archiv befindlichen Amtsbücher, gebundenen Akten und Handschriften. Die Anerkennung der Regierung bestand, soweit die Akten aussagen, darin, daß sie dem Magistrate schrieb „ob der Konrektor Förstemann, welcher gegenwärtig das städtische Archiv respizieren soll, als Aufsichtsbeamter über dieses Archiv besonders verpflichtet worden ist. Evtl. würde, sofern er die Geschäfte eines Archivars unentgeltlich zu übernehmen geneigt sein sollte, seine Verpflichtung noch erfolgen müssen.“ Häufiges Kränkeln, vor allem aber der Wunsch, seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Ende zu führen, veranlaßten 1851 den 63jährigen, beim Magistrat um Entbindung von seinem Lehramte einzukommen. Der Dezernent, Stadtrat Grimm, schrieb dazu an den Gemeinderat am 25. Dezember 1851:
Förstemann wurde 1852 mit vollem Gehalte23) pensioniert. Trotz anhaltender Kränklichkeit, trotz angegriffener Augen (mouches volantes) nahm nicht nur die schriftstellerische Arbeit ihren Fortgang. Auch dem Stadtarchiv widmete er weiter seine Kraft. Ein umfangreiches Verzeichnis von Handschriften und Urkunden wurde 1855, eine besondere Liste von Klosterurkunden 1858 fertiggestellt. In einem Schreiben vom 28. Januar 1858 an den Magistrat faßte dieser erste Archivar unserer Stadt die Art seines Wirkens kurz und bescheiden zusammen:
Nachdem er noch auf einige zur Zeit nicht auffindbare Stücke hingewiesen hatte, nannte er diejenigen Handschriften, die er bei seinen historischen Arbeiten noch in seiner Wohnung benutzte und verwahrte:
Am 11. Juni 1859 ist Ernst Günther Förstemann gestorben. Sein Repertorium, das 104 engbeschriebene Seiten in Folio umfaßt, wurde der Regierung in Erfurt und von dieser dem Oberpräsidenten in Magdeburg übersandt. Nach Rückkunft wurde es bei der Kämmereikasse deponiert (1860), erst im Jahre 1904 gelangte es als historische Reminiszenz ins Stadtarchiv. |