Alte Sitten und Gebräuche im Luftkurort Sülzhayn im Südharz

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Textdaten
Autor: Hermann Trenkner
Titel: Alte Sitten und Gebräuche im Luftkurort Sülzhayn im Südharz
Untertitel:
aus: Der Harz, Band 29, 1926
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1926
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Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Alte Sitten und Gebräuche im Luftkurort Sülzhayn im Südharz
Von Herm. Trenkner, Sülzhayn.


In unserem Vaterlande gibt es Gegenden, wo auch heute noch an den Sitten und Gebräuchen unserer Vorfahren mit großer Entschiedenheit festgehalten wird. Es gibt Gegenden, wo sich die Leute genau noch so kleiden wie es vor Jahrhunderten üblich war, wo sie genau dieselben Tänze tanzen, die bereits ihre Voreltern tanzten, und wo sie fast alle Sitten und Gebräuche ihrer Vorfahren beibehalten haben. Sogar den Aberglauben. In unserer Gegend hat sich dagegen allerlei verändert. Durch den jahrzehntelangen Verkehr mit den meistens aus den Städten stammenden Kurgästen haben die Bewohner andere Anschauungen bekommen, als wie sie vor Jahrzehnten die Regel waren. Sie haben sich zum Teil umgestellt und den Verhältnissen angepaßt. Nur einiges, was man als alte Sitten und Gebräuche ansprechen kann, ist geblieben.

In der Hauptsache sind es die Gebräuche, welche das Osterfest kennzeichnen, die hier in Frage kommen. Ostern wird hier besonders gefeiert. Am 1. Ostertage sammeln sich die jungen Mädchen und Burschen des Ortes und ziehen gemeinsam zu den jungen Ehepaaren, welche im letzten Jahre den Bund fürs Leben geschlossen haben, und holen von jedem einen großen Gummiball für die Burschen und ein Umschlagtuch für die jungen Mädchen. Diese Sachen werden von den jungen Ehepaaren gespendet. Mit Tüchern und Bällen ziehen sie dann gemeinsam auf eine Wiese im Oberdorf, wo lustige Spiele den Nachmittag verschönern. Nach Beendigung der Spiele werden um die Tücher Wettläufe veranstaltet. Die besten Läuferinnen erhalten die Tücher zu eigen. Die Bälle werden ausgeschlagen und gehören dann den Burschen, welche sie auffangen. Nun ziehen Mädchen und Burschen gemeinsam zum Gasthaus, wo sie bei Bier, Kaffee und Kuchen einige Zeit gemütlich zusammen sind.

Abends, nach Dunkelwerden, werden die Osterfeuer abgebrannt. Eins für den unteren Teil des Dorfes auf dem Galgenberge und eins für das Oberdorf beim Steinernen Kreuz. Die Jugend des Dorfes hat sich schon lange auf das Osterfeuer gefreut. Schon lange vorher hat sich jeder Junge eine Fackel hergerichtet (ein etwa 2 Meter langes Stück Fichtenholz, welches vorsichtig aufgespalten, unten etwas angespitzt ist, damit gut angefaßt werden kann), welche er zum Bäcker bringt, um sie im Backofen tüchtig zu trocknen, damit sie am Osterabend gut brennt. Am Osterabend zieht dann jung und alt zu den Feuern. Die Fackel werden am Feuer entzündet und dann herumgeschwenkt, damit sie schön hell brennen. Die vielen Fackeln, geschwenkt und sonst hin- und herbewegt, machen, von weitem gesehen, einen großen Eindruck.

Eine schöne Sitte wird auch von den jeweiligen Konfirmanden geübt. Bereits am Palmsonntag, dem Konfirmationstage sowie an beiden Ostertagen werden die Familien der Konfirmanden von allen Konfirmanden der Reihe nach besucht, wo sie mit Kaffee und Kuchen stets aufs freundlichste bewirtet werden. Besonders Pfingst- und Johannisgebräuche gibt es hier nicht. Ein besonderer Tag ist Martini, der 11. November, Doktor Luthers Geburtstag. An diesem Tage gab es früher in fast allen Familien ein besonderes Festessen, meistens Gänsebraten und Rotkohlsalat. Schon wochenlang vorher freute sich jung und alt auf Martini und seine Feiern. Auch heute noch wird der Tag gefeiert. Am Nachmittag, etwa von 5 bis 6 Uhr, läuten die Kirchenglocken, die Schulkinder finden sich mit Lampions bei der Kirche ein, umziehen die Kirche und singen dabei das Lutherlied: „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“. Nach Beendigung der Feier ziehen die Kinder mit ihren hübschen, vielfarbigen Lampions durch die Dorfstraßen, um das elterliche Heim wieder aufzusuchen, um hier das Festmahl einzunehmen und brennende Lichter in die Fenster zu stellen. Die große Zahl der herumtragenen bunten Laternen bietet ein fesselndes, reizvolles Bild.

Ganz besonders festlich wird Luthers Geburtstag in der Nachbarstadt Nordhausen begangen. Hier findet außer den Familienfeiern mit Karpfen, Gänse- und anderem Braten ein öffentlicher Umzug der Bürgerschaft statt. Der imposante Zug, an welchem sich die Einwohnerschaft meistens stark beteiligt, durchzieht bei feierlichem Geläut aller Kirchenglocken eine Reihe von Straßen und endet am Lutherplatz am Lutherdenkmal. Nachdem der Zug auf dem Lutherplatz angekommen ist und Aufstellung genommen hat, hält eines von den Geistlichen der Stadt eine die Bedeutung des Tages würdige Ansprache. Nach Beendigung derselben wird das Lutherlied „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ gesungen und der Zug löst sich wieder auf. Den ganzen Nachmittag herrscht in den Straßen der Stadt ein lebhaftes Gedränge, welches sich in der Nähe des Lutherplatzes meistens so verstärkt, daß überhaupt nicht durchzukommen ist.

Nach dieser kleinen Abschweifung zu unserem Kurort zurück. Als weiterer bemerkenswerter Tag ist der Nikolaustag, der 6. Dezember, zu nennen. An diesem Tage verkleiden sich viele junge Leute, gehen unerkannt in die Häuser und ängstigen die Kinder und treiben auch sonst allerlei Allotria. Der letzte Tag des Jahres, der Silvestertag, wird ebenfalls noch durch einige alte Gebräuche gekennzeichnet. An diesem Tage trifft man überall Trupps von kleinen und größeren Kindern, welche vor den Häusern singen und als Dank Aepfel, Nüsse oder auch kleine Münze einheimsen. Dieser Brauch scheint aber nach und nach abzukommen. Wie so manche alte Sitte, wird auch diese einst der Vergangenheit angehören.