Die Liebe der Elisa Sommerin

Aus NordhausenWiki
Version vom 29. Januar 2019, 18:10 Uhr von Vincent Eisfeld (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „{{SEITENTITEL:''Die Liebe der Elisa Sommerin''}} {{Textdaten |VORIGER= |NÄCHSTER= |AUTOR=Wilhelm Vahlbruch |TITEL=Die Liebe der Elisa Sommerin |SUBTITEL=…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Textdaten
Autor: Wilhelm Vahlbruch
Titel: Die Liebe der Elisa Sommerin
Untertitel:
aus: Nordhäuser Familienblätter. Unterhaltungsbeilage der Nordhäuser Zeitung (20./23. Januar 1926)
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1926
Verlag:
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Im Mittelpunkt steht das Schicksal einer jungen Krimderöderin aus dem 18. Jahrhundert. Die Geschichte ist leicht gekürzt.
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bild
Die Liebe der Elisa Sommerin


Schon seit einer Stunde steht an diesem Sonntagnachmittage eine dunkle Wolke über den Harzbergen und wirft in donnerndem Zorne zackige Blitze auf die Erde. Das Gewitter kommt näher. Da eilen in Krimderode Männer und Frauen schutzsuchend ihren Häusern zu. Dort kommt auch Andreas Teichmüller aus der Schenke und läuft über den Schafsteg nach der väterlichen Ölmühle, der Kiesmühle.

Andreas findet seine Eltern bedrückt beieinander sitzen. In ihren jungen Tagen hatte ein kalter Schlag die Mühle getroffen, und seitdem können sie die Gewitterfurcht nicht bannen. „Das war ein starker Schlag!“ Gleich darauf öffnete der Himmel seine Schleusen. Gewaltig treibt der Sturm die Regenströme gegen die Fensterscheiben. Vater Teichmüller hat vor lauter Aufregung seit einer Viertelstunde das Tabakkauen vergessen, obwohl ihm das der höchste Genuß ist. „Es ist das halbe Essen“, pflegte er öfter zu sagen.

Das Wetter läßt nach. Andreas hat sich umgezogen, denn er muß die Schutzbretter des Wehres ziehen, da das Wasser des Mühlgrabens stark gestiegen ist.

Als er zurückkommt, erzählt er den Eltern von den Erlebnissen des Nachmittags. Er hat mit seinem Freunde Rudolf Linke und dem Schulzen Sommer in der Schenke Solo gespielt. Die Mutter sieht ihn mit ihren ernsten dunklen Augen an und fragt dann sinnend: „Du suchst wohl absichtlich die Gesellschaft des Schulzen? Errötend fragt er: „Weshalb sollte ich das?“

„Junge“, sagt der Vater, „du bist 1723 geboren, bist also jetzt 27 Jahre alt; wenn du uns die Elisa als Schwiegertochter ins Haus bringst, sie soll uns willkommen sein, denn sie ist das prächtigste Mädchen in Krimderode.“

Da geht Andreas verlegen hinaus und denkt: „Woher mögen die Eltern meinen innersten Herzenswunsch kennen? Leider hat die stolze, schöne Elisa ein so kaltes Wesen. Es scheint mir immer, als habe sie gar kein Herz in der Brust und sei gar nicht zur

Liebe geboren. Oft habe ich mit ihr getanzt, aber noch nie hatte ich den Mut, offen um sie zu werben. Auch weiß ich, daß sich der Martin Brasse vergeblich um sie bemüht. Aber nur Mut, Andreas, jetzt wird Ernst gemacht.“ -

Auch den Schulzen hat das Gewitter von der Schenke nach Hause getrieben. Als er auf seinen Hof kommt, ruft ihn das unruhige Brüllen der Kühe in den Stall. Ein Rind hat sich losgerissen, und die Elisa ist beschäftigt, das Tier wieder anzulegen. Aber das ist keine leichte Arbeit; denn das durch das Gewitter beunruhigte Tier rast wie toll stallauf - stallab. Endlich wird es von der Elisa erfaßt, und, an den Hörnern haltend, zerrt sie es mit kräftigen Armen an seinen Platz. Als sie es angelegt hat, gibt sie dem geängstigten Tier mit dem Stallbesen einen tüchtigen Schlag und schilt dabei auf den Fritz, den Dienstknecht: Michaelis könne er gehen. Dann schlägt sie die schwere Stalltür donnernd zu und eilt durch den strömenden Regen ins Haus. Der Vater folgt ihr bedächtig und denkt: Wäre doch das Mädchen ein Mann, es hat gar nichts von Mädchenart an sich, zuviel Mannesstärke und Manneswillen hat es.

Beim Abendessen sagt der Vater: „Ich habe heute mit dem Andreas aus der Mühle zusammengesessen. Das ist ein prächtiger Mensch, der würde auf unseren Hof passen. Mir wird die Arbeit mit meinen 67 Jahren schon zu viel.“ Da entgegnete ihm die Tochter: „Du weißt, daß ich nicht heiraten will.“ „Aber Mädchen“, meint der Alte, „du sagst immer, du mochtest die Männer nicht leiden. Das glaube ich dir nicht mehr, seit ich dich im Frühjahr mit dem Junker von Wurmb, der auf Urlaub war, da an der Gartenecke stehen sah. Da habe ich mich gewundert, wie du lachen und schöntun konntest.“ „Schweige nur,“ erwiderte Elisa, „der Leutnant von Wurmb ist auch ein ganzer Mann.“ „Aber Kind, den kannst du doch nicht heiraten,“ meint der Vater, „und heiraten mußt du bald; du bist 25 Jahre und ich muß Hilfe haben.“ Da fährt die Tochter auf: „Vater, sei nun aber still, du kennst ja meine Meinung von der Heiraterei.“

Die Ernte ist vor der Tür. Auf des Schulzen Hof sieht es traurig aus. Der Knecht hat den Dienst verlassen, und andere Kräfte sind jetzt nicht zu haben. Der Schulze muß das Bett hüten, denn er hat sich erkältet. Der Doktor meint, er habe es an der Lunge. Die Mutter ruht seit Jahren auf dem Kirchhofe. Obwohl Elisa allein steht, verzagt sie nicht.

Am Montag früh ist sie schon vor 4 Uhr im Steinfelde hinter der Ölmühle und mäht Roggen. Nach einigen Stunden eilt sie heim, um für den Vater und für das Vieh zu sorgen. Als sie am Nachmittag wieder aufs Feld kommt, ist der Roggen schon gebunden und in Mandel hochgestellt. „Auch gut,“ denkt sie, „das wird der Ölmüller gewesen sein. Aber heiraten kann ich den nicht mit dem Bilde eines andern im Herzen.“

Nach einigen Tagen kommt sie mit dem Erntewagen aufs Feld, um den ersten Roggen einzufahren. Als sie an der Mühle vorbeifährt, da tritt ihr der Andreas entgegen und bietet ihr seine Hilfe an. Sie sagt ihm: „Wäre die Hilfe nicht so bitter nötig, ich würde sie nicht annehmen.“

Er muß laden, sie gabelt. Er hilft nicht nur an diesem Tag, er hilft bis zum Herbst. Und wenn er anfangen will, von seiner Liebe zu sprechen, da sieht sie ihn mit ihren großen Augen kalt an, und er schweigt.

An einem rauhen, nassen Herbsttage kommt die Elisa mit ihrem Kuhgespann vom Felde, sie hat gepflügt. Andreas steht vor der Mühle und schaut ihr mit liebevollen Blicken entgegen. Da hält sie an und sagt kurz und barsch zu ihm: „Du möchtest mich zur Frau haben, ich fühle aber im Herzen nichts für dich. Ich könnte dir höchstens eine unfreundliche Lebensgefährtin sein. Wenn du damit zufrieden bist, kann übers Jahr Hochzeit sein. Heute abend kannst du mir Nachricht bringen.“ Damit läßt sie den Andreas stehen und fährt ruhig ihr Gespann weiter.

Am Sonntag macht die überraschende Kunde von dieser Verlobung die Runde durchs Dorf. Aber was für ein eigenartiges Paar ist das? Er ist voll Liebe und sorgender Zärtlichkeit, sie sitzt stumpf und dumpf daneben, wenn Andreas an den Abenden bei seiner Braut weilt. Der alte Schulze mit dem bartlosen, klugen Gesichte und dem grauen Haar, das ihm schlicht auf den Rockkragen hängt, sitzt im Lehnstuhl am Kachelofen und sorgt für Unterhaltung. Er erzählt mit bedächtiger Stimme aus seinem Leben. Die Elisa arbeitet ununterbrochen vom frühen Morgen an und ist dann am Abend müde. In ihrem Brautstande fühlt sie sich unglücklich, denn wo Liebe fehlt, da fehlt auch das Glück. Nur selten duldet sie des Bräutigams Zärtlichkeit. Doch der hofft mit dem Lebensmut verliebter Jugend, ihre Liebe noch zu erwecken.

Der Winter 1751 bringt gewaltige Schneemassen. Im Februar tritt plötzlich starkes Tauwetter ein. Die sonst so friedlich dahineilende Zorge wächst zum reißenden Strome. Seit drei Tagen gießt es förmlich vom Himmel herab. Die Wassermengen, die der Harz der Zorge zuschickt, wachsen von Stunde zu Stunde. Die Wogen haben eine gewaltige, drohende Sprache. Das rollt und grollt, das saust und braust. Und immer höher steigt die Flut. Und dort ergießt sich die erste Welle über den schützenden Damm. Was wird das für eine Nacht werden!

Nach einigen Stunden unruhigen Schlafes erwecken neue Töne in der gewaltigen Melodie des entfesselten Elementes den Andreas. Er eilt treppab. Doch auf der letzten Treppenstufe tritt er ins Wasser. „Allmächtiger Herrgott, so schlimm war’s ja noch nie!“ Er weckt die Eltern. „Wir müssen das Haus verlassen. Nach dem Dorfe können wir nicht, wir müssen uns nach dem Schurzfell retten.“

Zunächst trägt er Mutter und Vater durchs Wasser. Dieses reicht ihm in der Nähe des Hauses schon bis an die Knie. Er eilt zum dritten Male zurück, um noch zu retten, was zu retten ist. Aus dem Stubenfenster der Schurzfellschmiede sehen sie, wie der flackernde Lichtschein der Laterne sich immer mehr entfernt. Jetzt muß er in der Mühle angekommen sein, denn das Licht ist weg. Oder sollte der Sturm das Licht gelöscht haben? Das wäre schlimm! Der Schmied watet in dem kalten Wasser ihm nach. Er kommt auch in die Mühle, doch Andreas ist nicht da.

Am anderen Morgen wird seine Leiche bei Nordhausen aufgefischt. Herzzerreißend ist der Jammer - unsäglich das Leid der alten Eltern über den Verlust ihres einzigen Sohnes. Als die Elisa die Nachricht von dem Tode ihres Bräutigams bekommt, atmet sie zunächst tief auf, als sei sie von einer schweren Last befreit. Alsdann übermittelt sie trockenen Auges ihrem Vater die traurige Nachricht.

Die Jahre kommen und gehen. Eines Tages im Frühling 1758 kommt der Junker Ludwig Christoph von Wurmb nach Krimderode, um die letzten Tages seines Erholungsurlaubs bei seinem Bruder auf dem Rittergute zu verleben. Er steht als Leutnant bei dem Kürassierregiment in Salzwedel und hat in der Schlacht bei Leuthen von einem Kroaten einen Säbelhieb auf den linken Arm erhalten. Doch er ist wieder dienstfähig und will in den nächsten Tagen zum Regiment zurück. Schon seit Jahren schwärmt er für die unnahbare Schulzentochter, er nennt sie die stolze Lisa. Wohl hat er sie in diesen Tagen schon gesehen, doch noch nicht gesprochen.

Gegen Abend geht er allein durchs Feld. Noch liegt warmer Sonnenschein auf der Erde. Seine Gedanken kehren immer wieder zur schönen Schulzentochter zurück. In der Nähe des Mittelberges sieht er sie von der Wiese kommen. Ihr Gesicht überzieht sich mit einer tiefen Röte, als sie ihn erkennt. Ein eigenartiges Gefühlt durchströmt ihre Glieder. „Was für ein herrlicher Mann ist er, voller Sonnenschein in Herz und Augen.“ Ihm lacht beim Anblick dieses herrlichen Weibes das Herz. Wie gebannt bleiben beide stehen. Die Seele des Mädchens, das sonst die Männer verachtet, ist jetzt so weich, so voll Verlangen nach dem Manne. Das Liebesfünklein in Elisas Herzen entfacht sich zur hellen Flamme. Stumm ergreift er ihre Hand und willenlos überläßt sie ihm diese. Er schaut tief in ihre Augen und sie kann sie nicht niederschlagen. Vergebens versucht sie, gegen die große Leidenschaft, die sie erfaßt hat, zu kämpfen. Aber auch seine Liebe für dieses noch unberührte Weib ist tief. Doch dort nahen Menschen. Er läßt ihre Hand fahren und flüstert ihr zu: „Heute abend auf Wiedersehen in eurer Laube!“

Abendfrieden liegt über dem Dörflein. Der Mond steht in den Zweigen der hohen Tannen des Parkes. Über den Zaun schwingt sich ein Mann, der Junker. Ein Hund schlägt an. Mit angehaltenem Atem horcht er eine Weile nach Sommers Hause. Dann tritt er in die Laube. Die Minuten werden ihm zu Stunden. Endlich sieht er die Geliebte im Mondenschein zur Laube eilen. Mit zuckendem Munde steht sie vor ihm, willenlos fällt sie ihm in die Arme. Heiße Küsse brennen auf ihrem Munde. Beide überkommt ein toller Liebesrausch, und der Mond ist Zeuge, wie sie sich ihm zu eigen gibt.

Am andern Morgen tritt der Junker zum ersten Male in das Haus des Nachbarn. Er trifft den Schulzen und fragt nach Elisa. Doch der weiß nicht, wo seine Tochter ist. „Als ich aufstand“, erzählt er, „fand ich den Morgentrank bereitet, auch das Vieh war schon besorgt, aber meine Tochter habe ich bis jetzt vergeblich gesucht.“ Der Leutnant sagt ihm: „Wollt ihr eurer Tochter diesen Ring geben, der soll ihr das Zeichen meiner Treue sein. Ich sehe Elisa als meine Braut an und werde sie heiraten, sobald dieser Krieg beendet sein wird.“ Der alte Sommer glaubt nicht recht gehört zu haben und wiederholt in seiner Verlegenheit immer wieder die Worte: „Ist doch nicht möglich, nicht möglich.“ Voll tiefen Ernstes reicht der Junker dem Alten abschiednehmend die Hand und sagt: „Mein lieber Schulze, was ich gesagt habe, soll sich nicht drehen lassen, wie der Ring an meinem Finger. Ich halte als Edelmann mein Wort, auch, wenn alle meine Verwandten dagegen sind.“

Nach wenigen Wochen dringt auch in des alten Sommers stille Häuslichkeit die Nachricht, der Leutnant sei im Kampfe gefallen. Ehe der Schulze seiner Tochter diese traurige Mitteilung macht, eilt er aufs Gut, um sich Gewißheit zu verschaffen. Schweigend reicht ihm der Herr von Wurmb ein Schreiben, das lautet:

Daß der Leutnant Ludwig Christoph von Wurmb meines unterhabenden Regimentes am 15. Junio 1758 in der Gegend von Liegnitz seinen Wunden erlegen, solches wird hierdurch unter meiner eigenhändigen Unterschrift attestiert,
von Manstein. Gr. Königlichen Majestät in Preußen bestallter Obrist
von der Kavallerie und Chef eines Regiments Kürassiere.“

In einer Chronik schreib der Pastor Conrad Spengler: „Am 12. Mai 1759 wurde die Elisa Sommerin, des Schultheißen einzige Tochter, in Krimderode auf einem Schaffet vor den kurzen Ellern mit dem Schwerte gerichtet, weil sie ihr jetzt geborenes Knäblein gleich nach der Geburt den 12. Febr. tötete und hernach in ihres Vaters Kachelofen verbrannte. Es wurde aber bald offenbaret, der Körper im Ofen ganz schwarz versenget gefunden, vielen tausend Menschen gezeigt. Sie ward von dem Hochadeliegen Patrimonialgerichte allhier zum Tode verurteilt. Der alte Schultheiß starb 6 Tage später. Dieses jedermann zur Nachricht und zum Exempel aufgezeichnet von Conrad Spengler.“