Der Nordhäuser Roland (11/1955)

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Der Nordhäuser Roland (November 1955)
Reihe Der Nordhäuser Roland
Band-Nr. 11/1955
Autor Verschiedene
Herausgeber Kulturbund
Erscheinungsjahr 1955
Stand: 23. November 2017
Digitalisat: PDF (4 MB)
Editionsrichtlinien:
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Michael Meyenburg, Stadtschreiber und Bürgermeister der Reichsstadt Nordhausen (1491-1555)

Von Stadtarchivar R. H. Walther Müller

Am 13. November 1555 stairb der Bürgermeister der freien und des Reiches Stadt Michael Meyenburg im 64. Jahre seines Lebens. Im gleichen Jahre war der allgemeine Religionsfriede zu Augsburg geschlossen worden, der die friedliche Koexistenz von Katholiken find Protestanten zu garantieren versprach, war damit auch die Epoche der Reformation, an der Meyenburg als einer der führenden Köpfe nicht geringen Anteil gehabt hatte, zu Ende gegangen. Und dieses Ende eines inhaltsschweren Zeitabschnittes wurde gleichsam unterstrichen, als Kaiser Karl V. im selben Jahre die Bürde seines Amtes seinem Bruder Ferdinand abtrat und sich in ein spanisches Kloster zurückzog.

In der St. Blasiikirche wurde Meyenburg ehrenvoll beigesetzt, zu seinem Gedächtnis daselbst das Gemälde Cranachs von der „Auferstehung des Lazarus“ angebracht, das ihn im Kreise seiner Familie als Stifter des Bildes darstellt.[1]

Wenn heute, nach 400 Jahren, Meyenburgs Name in Nordhausen mit einem gewissen Stolze genannt wird, so, als ob die Bürger-der Stadt in ihm den Repräsentanten alles dessen sähen, was einem städtischen Gemeinwesen Achtung, Ansehen, Ruhm, Ehre und Erfolg verschafft, so ist das nicht immer so gewesen. Schon bald nach seinem Hinscheiden zerstob das, was ihm seine Gegner an persönlichem Besitz und Vermögen geneidet hatten, in alle Winde. Unvermittelt erloschen Glanz und Ansehen der hünterlassenen Familie. Noch in der ersten Generation kehrte sie der Stadt den Rücken.

Erst 300 Jahre später wurde Meyenburg als historische Persönlichkeit neu entdeckt. 1855, also vor 100 Jahren, veröffentlichte E. G. Förstemann in seinen „Kleinen Schriften“ das, was er bei Sichtung des Stadtarchivs über den bedeutenden Stadtschreiber und Bürgermeister gefunden und durch Studien an anderer Stelle, bspw. im Briefwechsel Melanchthons, ergänzt hatte. Im Wesentlichen handelte es sich noch um bloße Daten, die zögernd miteinander in Beziehung gesetzt wurden. Abermals 55 Jahre später gab Karl Meyer (1910) eine umfassende Lebensgeschichte heraus, die auf Grund vieliähriger Forschungen ein anschauliches Blid von dem Dasein und der Wirksamkeit Meyenburgs zeichnete. Auf dieser Grundlage hat dann Paul Schreckenbach 1917 seinen Roman „Michael Meyenburg“ aufgebaut und zweifellos damit erheblich zu einer Popularisierung dieses Mannes und einer wichtigen Epoche der Nordhäuser Geschichte beigetragen.

Daß auch Meyers Fleiß den weit verstreuten urkundlichen Stoff nicht hatte ausschöpfen können, erwies sich, als Hans Silberborth (1932) durch die Veröffentlichung von Meyenburgs Beziehungen zum Mansfelder Kupferhandel[2] ein ganz neues Moment in die Meyenburgforschung hineintrug. Daß aber privatkapitalistische Interessen schon vordem den Nordhäuser Stadtschreiber in die Sphäre der Fuggerschen Handelspolitik gebracht hatte, wies dann 1953 Walter Schmidt-Ewald nach.[3]

Mit all den bisherigen Kenntnissen sind wir aber immer noch weit davon entfernt, eine abschließende Würdigung der wirklichen Leistungen und des Charakters Meyenburgs geben zu können. Das beweisen die immer neu auftauchenden Funde in fremden Archiven. Erst eine systematische Forschung, u. a. in Mühlhausen und Goslar, in Erfurt und Braunschweig, in Augsburg und Wien, wird die Grundlage einer neuzeitlichen Biographie abgeben können. In Anbetracht dessen muß es heute genügen, einen kurzen Überblick über Meyenburgs Leben zu geben, um der lebenden Generation wenigstens das Wichtigste im Zusammenhänge nahezubringen.

Es dürfte sich empfehlen, von vornherein darauf hinzuweisen, daß unsere Darstellung gewissermaßen mit der Entdeckung Amerikas (1492) beginnt, um den Abstand zu kennzeichnen, der uns Heutigen von den Einrichtungen, Gewohnheiten, Anschauungen und Gesetzen jener Zeit trennt, einer Zeit, die beispielsweise auch die revolutionäre Bauernbewegung umfaßt, die uns gemeinhin so sehr naheliegend anmutet.

Michael Meyenburg stammt aus Steina an der Straße im Hessischen (dem heutigen Steinau, Kreis Schlüchtern) und muß dort 1491 geboren sein. Während über seinen Vater und dessen soziale Herkunft nicht das Geringste bekannt ist, wird seine Mutter, mit der er wohl in früher Kindheit nach Nordhausen kam, als „Badmagd“ bezeichnet, die „zu Schlüchtern und im Stift Fulda allermeist das Bettelbrot viele Jahre gehabt“. Nackt und bloß sei er hier angekommen, wo sich dann etliche Bürger seiner angenommen und Pfaffen ihn zur Schule angehalten hätten. Diese Angaben entstammen einem erbitterten Widersacher Meyenburgs, Christian Heune, der Angehöriger einer angesehenen Familie und Kanonikus des Domstiftes zu Nordhausen war. Heune wirft ihm noch besonders vor, er habe sich des Namens seines Vaters geschämt, der Leyser geheißen habe, und sich nach Art der Päpste einen eigenen Namen zugelegt. In der Tat lauten amtliche Eintragungen bis gegen Ende seiner Stadtschrejber-schaft ..Michael Meyenburg alias Leyser (Lyser)“. Ist die Vermutung einer unehelichen Geburt Michel Leysers auch nicht beweisbar, so bleibt immerhin verwunderlich, daß dieser „Sohn einer Bademagd“ in Erfurt von 1506 bis 1509 die Rechtswissenschaften studierte, um dann als achtzehnjähriger Bakkalaureus Stadtschreiber in Nordhausen zu werden.

War die erste Amtstätigkeit des jugendlichen Unterstadtschreibers vornehmlich juristisch-notarieller Art, so ergab sich alsbald seine Verwendung auch im außenpolitischen Dienste der Reichsstadt. Bei Vertragsabschlüssen mit den benachbarten Städten und Grafen bewies er eine außerordentliche Geschicklichkeit, so daß er 1523 zum Oberstadtschreiber (Syndicus) ernannt wurde.

Im gleichen Jahre erwarb er in der Hagengasse (spätere Baltzerstraße) ein Grundstück, auf dem er ein ansehnliches Haus errichten ließ. Daß er das aus eigenem Stadtschreiberlohn bewerkstelligt hat, ist kaum anzunehmen. Er muß also wohl schon damals durch Vermittlung des Gothaer Bürgers und Fuggerschen Faktors (Geschäftsführer) bei der Hütte zu Hohenkirchen, Matthias Lachenbeck, am Kupferhandel beteiligt gewesen und zu Gelde gekommen sein. Ende 1525 heiratete er jedenfalls Lachenbecks Tochter Ursula.

Diese Ehe, der zwei Söhne, Johannes und Caspar, entsprossen, endete durch den Tod der Frau bereits 1529. Der plötzliche Verlust mag Meyenburg bewogen haben, Nordhausen zu verlassen und den ihm angetragenen Stadtschreiberposten in Frankfurt am Main zu übernehmen. Indes gelang es dem Nordhäuser Rate, den bewährten Mann zu halten, indem man ih{m die Aufnahme in die Gilde der Kaufleute ermöglichte. Das aber bedeutete den Eintritt des bisher nur in Beamteneigenschaft dem Rate und der Stadt verpflichteten Stadtschreibers in eine Gemeinschaft von Männern, die zumeist patrizischen Familien angehörten, die zumindest zu den wohlhabendsten und angesehensten zählten, aus denen sich aber vor allem die Mitglieder des Rates und die Bürgermeister rekrutierten. Neuere Forschungen haben ergeben<ref<Copialbücher 1543—1548 im Mühlhäuser Stadtarchiv</ref>, daß die Zugehörigkeit zu der vornehmen Kaufleutegilde für Meyenburg keineswegs eine bloße Formsache war. Ihm kam es zupaß, als wahrer Kaufmann legal die Mittel zu erwerben, die einfach erforderlich waren, um die finanzielle Unabhängigkeit zu erringen, die die Voraussetzung für die ehrenamtliche Tätigkeit im Rate der Stadt bildeten. Von den drei „W“ (Waid, Wolle, Weizen), die nach zeitgenössischer Überlieferung die Grundlagen des Wohlstandes in Thüringen waren, wählte-er die Wolle. Ob die Erträgnisse ihn befriedigten, wissen wir nicht. Oft hat er säumige Schuldner jahrelang um sein Geld drängen müssen. Da erschien doch der Kupferhandel ergiebiger. Durch seine diplomatischen Missionen bei den Grafen von Mansfeld hatte er Einblick in dieses Geschäft gewonnen, zugleich die Bekanntschaft mit den Hüttenfaktoren gemacht. Unter ihnen war der Hüttenmeister Hans Reinecke in Eisleben, in sehr wohlhabender Mann, der beiläufig mit Martin Luther von Jugend auf eng befreundet war. Zwischen 1530 und 1535 heiratete Meyenburg in zweiter Ehe Reineckes Tochter Anna und legte damit eigentlich den Grund zu der gesellschaftlichen Unabhängigkeit, die ihm fortan die größte Handlungsfreiheit auf politischer Ebene ermöglichte. Die Lebenshaltung des Stadtschreibers war und blieb die eines Mannes von Welt, der bei aller Inanspruchnahme durch die Geschäfte der Stadt und seine eigenen nie eines starken Interesses an Kunst und Wissenschaft ermangelte. Sein Haus in der Hagengasse wurde der Treffpunkt der Männer, die auf dem Gebiete der Politik, des Wirtschaftslebens, der schönen Künste oder der Theologie etwas zu sagen hatten. Bereits während seiner Erfurter Studienjahre hatte Meyenburg die führenden Köpfe der Humanistenbewegung kennengelernt. Jetzt genossen seine Gastlichkeit, zugleich seinen klugen politischen Rat, zuweilen seine finanzielle Hilfe die geistigen Führer der Reformation, unter ihnen Luther selbst, der Nordhäuser Justus Jonas, Philipp Melanchthon und Lukas Cranach.

Aus diesem persönlichen Verkehr und einem ausgedehnten Briefwechsel mit den fortschrittlichen Geistern seiner Zeit schöpfte Meyenburg seine tiefe Einsicht in die Kräfte, die der neuen Bewegung innewohnten. Aber indem er sich auf ihre Seite stellte, überließ er sich ihr nicht, denn seine staatsmännische Klugheit übersah nicht die Macht, die auch weiterhin der Papstkirche und dem Kaiser zu Gebote stand. Zwischen allen wider-streitenden Gewalten aber die Stadt Nordhausen bei ihren Rechten zu erhalten, ja, ihre Sicherheit zu festigen, ihren Wohlstand zu vergrößern und ihr Ansehen im Reiche zu erhöhen, das war und blieb das unverrückbare Ziel bei allen seinen Handlungen.

(Schluß im nächsten Heft.)

<references>

  1. Vgl. Müller, Das Cranachgemälde ln der Blasiikirche und die Familie Meyenburg in: „Nordhäuser Roland“, August 1954
  2. Harz Zeitschrift 65. Jahrg., 1932, S. 111/129
  3. Zwei Fugger-Faktoren auf der Hütte zu Hohenkirchen, in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven, 1953