Geschichte des Nordhäuser Stadtarchivs
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Geschichte
des Nordhäuser Stadtarchivs
von R. H. Walther Müller, Stadtarchivar
Nordhausen 1953
Herausgegeben vom Rat der Stadt Nordhausen
Das Archiv der Freien Reichsstadt (bis 1802)Die Anfänge des Nordhäuser Stadtarchivs liegen im Dunkel einer urkundenarmen Zeit und können nur an Hand allgemeiner historischer Erkenntnisse begriffen und gedeutet werden. Wenn unter einem Archiv die Stätte verstanden wird, in der zunächst die schriftlichen Beweismittel von Rechtsansprüchen, weiterhin der gesamte schriftliche Niederschlag der organisierten Verwaltung einer weltlichen oder geistlichen Herrschaft sicher verwahrt werden, um eben dieser Verwaltung die Unterlagen für eine kontinuierliche Geschäftsführung bereit zu halten, so können wir den Beginn unseres Stadtarchivs mit Sicherheit im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts annehmen. Während die Verwaltung des kleinen, sich an die Burg und den königlichen Wirtschaftshof anschließenden Ortes „Northusen“ bis 1158 in den Händen von „Ministerialen“, d. h. königlichen Beamten (Rittern), von da an bis 1220 in denen der Äbtissin des Nonnenstifts zum heiligen Kreuz gelegen hatte, ging sie nun an die „Universitas civitatis“, an die Eidgenossenschaft der Bürger über, die durch einen gewählten Rat repräsentiert wurde. Den ältesten Beweis dieser städtischen, autoritären Verwaltung haben wir in dem Nordhäuser Stadtsiegel an einer in Braunschweig aufbewahrten Urkunde von 1229. Um die Mitte des Jahrhunderts entstand die erste „Stadteinung“, das Grundrecht der bürgerlichen Selbstverfassung, aus dem Pflichten und Rechte des einzelnen, wie auch Funktionen der Verwaltung zu erkennen sind. Mit dem Anwachsen des Markt- und Wirtschaftslebens, durch Fehden und Freundschaftsverträge, durch die Differenzierung der Organisation des Gemeinwesens verstärkte sich die Notwendigkeit schriftlicher Aufzeichnungen und damit der Umfang des auf die Dauer aufzubewahrenden Schriftgutes. Es entstanden Kopialbücher für Verträge, Privilegien und abgesandte Briefe; Grundstücks- und Zinsregister wurden angelegt. Die Nordhäuser Bürgerregister und Privilegienbücher, die mit dem Jahre 1312 beginnen, sind die ältesten der ehemaligen Provinz Sachsen (vor Naumburg 1342 und Erfurt 13861). Sie alle wurden, wenn sie ausgedient hatten, dem Archiv einverleibt, gleichwie die einkommenden Briefe und Urkunden. Daß der damalige Begriff des Archivs sich mit dem späteren oder gar dem gegenwärtigen nicht völlig deckt, liegt auf der Hand. Wohl gab es ein „gewelbe, da di privilegia ligen“, wie die Statuten von 1350 melden. Doch ist bis an das Ende der Reichsfreiheit die Grenze zwischen Archiv und Kanzlei, die in ihrer Registratur neben aktuellem Schriftwerk auch manches archivreife aufhob, schwer zu bestimmen. Das genannte Gewölbe, das sich wohl im Keller des Rathauses befand, enthielt neben anderen Wertgegenständen, wie beispielsweise den städtischen Einheitsgewichten, 1595 einen „eisern Kasten“ für die kostbaren Pergamente. Die Masse des in der Kanzlei allmählich überquellenden Schriftgutes wurde in Wandschränken, auf Böden und in Kellern gelagert, wurde zum Teil ein Opfer von Feuer, Feuchtigkeit und Mäusefraß und war im übrigen ein unübersichtlicher Haufen, in dem Wichtiges von Wertlosem nicht zu unterscheiden war. Wiederholt raffte sich der Rat der Stadt auf, Ordnung in sein Archiv bringen zu lassen oder selbst zu bringen, denn mancher Prozeß, der ohne Beiziehung alter Urkunden und Akten geführt werden mußte, ging zum Schaden des Stadtsäckels und des Ansehens des Rates verloren. Im November 1637 begab sich der Bürgermeister Heinz Weller mit dem Syndicus Johann Kahle, der ein Studierter war, daran, „ein Verzeichnus der brieffliehen Uhrkunden, so im Gewelb sich befinden“, aufzunehmen. Sie identifizierten am ersten Tage 45 der herumliegenden Pergamente, davon drei aus dem 13. Jahrhundert, 13 aus dem 14., 14 aus dem 15., 11 aus dem 16. u. vier aus dem 17. Jahrhundert. Bis Mitte Dezember wurden weitere 29 Urkunden registriert und „in Schachteln und Kästlein gelegt“, die mit „sonderbaren Zeichen“ signiert wurden. Aus der über diese Aktion aufgenommenen Niederschrift ist zu ersehen, daß man im August 1639 erneut ans Werk ging. 17 ordentlich eingeschachtelte Urkunden waren das Ergebnis. Das ursprünglich geplante Gesamtverzeichnis ist aber offenbar nie fertig geworden. Im Juni 1643 wurde nachgetragen: „Die Schwarzburgischen Verschreibungen sindt in einer Schachtel ins Gewelbe gesetzt worden; desgleichen sind auch die Originalia der Stoibergischen Schulden ins Gewelbe gesetzt, item die Acta den Walckenreder hoff und Werthermühle betreffende“. Wie wichtig dem Rat diese Bestandsaufnahme war, geht daraus hervor, daß drei Bürgermeister und der Syndicus das Protokoll unterschrieben. Neben dieser praktischen Beurteilung des Archivs als eines Ordnungsfaktors innerhalb der Verwaltung findet sich aber noch eine Einstellung, die ihm eine hohe Bedeutung in politicis beimißt. In einem Gutachten vom 7. Juli 1649, das der Rechtsgelehrte und Nordhäuser Stadtsyndicus Dr. Johann Titius dem Rate über die Rechte der Reichsstadt unterbreitet, führt er u. a. auf:
Diese Auffassung vom Archiv als der juristischen und politischen Rüstkammer einer Stadt (wie auch eines Klosters, eines Grafen, eines Landesherrn o. ä.) war die landläufige vom Mittelalter an bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Hier hämmert Titius seinen „Obern, den Bürgermeistern und dem Rate“ geradezu ein, sich vermöge des jus archivi selbst Fürsten gegenüber als gleichberechtigt zu betrachten. Indes bekam das Archiv selbst weder vom Standpunkt des Prestiges, noch von dem des praktischen Nutzens Hilfe und Unterstützung. Die leidige Unübersichtlichkeit und Unordnung blieb, einfach weil zur Verwaltung des Archivs niemand eingesetzt war. Zwar galt der Syndicus (Stadtschreiber), etwa seit 1300 der leitende, juristisch gebildete Angestellte des Rates, als Vorsteher der Kanzlei und damit auch des Archivs. Aber er sowohl, als auch der seit etwa 1400 im Amt befindliche Secretarius (zu dem sich schon vor 1500 ein zweiter gesellte), waren so von laufenden Geschäften gebunden, daß faktisch das Archiv sich selbst überlassen blieb. Irgend einen subalternen Ratsdiener konnte man mit den Ordnungsarbeiten nicht betrauen, denn ihm fehlten die Schrift-, Sprach- und Sachkenntnisse. Einen Außenstehenden aber zu beauftragen, etwa einen lateinkundigen Theologen, verbot sich nicht so sehr aus Sparsamkeitsgründen, als vielmehr aus der tiefen Besorgnis, ein Fremder möchte Einblick in die politischen Geheimnisse des Ratsregiments erlangen. Also blieb alles beim alten, d. h. im äußersten Notfälle bestimmte der Rat aus seiner Mitte ein Kommission, die die unbequeme Arbeit, so gut es eben ging, zu bewältigen suchte. So verfügte am 15. April 1659, als die Nachwehen des 30jährigen Krieges im Abklingen waren, der Rat folgende „Deputatio zur Revidierung des zerstreueten Archivs“:
Daß gereichet gesambter Stadt zum besten undt E. E. Rahtte zu dancknehmenden gefallen“. Natürlich hat auch diese Ordnung, sofern sie überhaupt zu Ende gebracht worden ist, nicht lange angehalten. In der Bestallung des Secretarius Christian Moritz Heydenreich vom 10. 9. 1700, in der seine Dienstverrichtungen einzeln aufgeführt werden, heißt es unter Bezugnahme auf die bisherigen Mängel der Sekretariatsführung, daß häufig Klagen geführt worden seien, weil wichtige Verwaltungs- und Prozeßtermine nicht beachtet wurden, „wie denn der Augenschein bezeuget, daß selbige, wie auch das gantze Archiv confus, die Acta vigilantia (laufende Akten) von den abgeurtheilten nicht entschieden (d. h. gesondert) sind“ usw. Im August 1710 brannte die Hälfte der Oberstadt nieder. Auch das Rathaus verlor seinen Dachstuhl, und durch das Löschwasser wurden die Archivbestände im Gewölbe schwer mitgenommen. Darunter befanden sich auch die 14 Quartbände, die der Stadtphysicus und langjährige Bürgermeister Dr. Conrad Frommann, der 1706 im Alter von 90 Jahren gestorben war, „mit eigener Hand geschrieben und teils aus dem Ratsarchiv und Akten, teils aus anderen Nachrichten zusammengetragen hatte“. Wir haben hier eines der wenigen Beispiele vor uns, wonach schon in der Zeit der Reichsfreiheit das Archiv in historischer Absicht, also wissenschaftlich, benutzt wurde. Freilich war der Benutzer selbst Bürgermeister und hatte als solcher uneingeschränkt Einblick in die reichen Bestände. Diese 14 Bände wurden sofort nach Frommanns Tode seinen Erben mit. Gewalt, d. h. durch den Stadtleutnant und vier Stadtsoldaten im Beisein des Stadtaktuars, abgenommen und in das Haus des Hannoverschen Kommissars Offeney verbracht. Begründet war diese Maßnahme durch Nordhausens Besetzung mit preußischem Militär, die von 1703—1715 dauerte. Unter allen Umständen wollte man die inhaltsreichen Archivalienabschriften vor preußischer Einsichtnahme bewahren. Erst nach Beendigung der sogenannten „brandenburgisehen Troublen“ 1715 wurde der Schatz aus seinem neutralen Asyl wieder ins Rathaus überführt, wo er sogleich von mehreren Ratsherren studiert worden ist. Leider ist, wie der Senator Pauland 1747 notiert, das 10. Volumen, das lauter Nachrichten über das Hospital St. Martini enthielt, „bey Dr. Huxhagen verlorengangen und vermutlich durch den Herrn Hoffrath Lamberg aus Curiosität entwendet worden. Maßen mir Herr Secr. Filter gesaget: Es wäre nicht mehr vorhanden“. Im Jahre 1725 bot sich dem Rate der Stadt die Gelegenheit, die an der Nordwestecke des Rathauses im Erdgeschoß liegende „Gewandkammer“ des Schultheißen Becker aus Bleicherode zu erwerben8). Hier wurde nun das Stadtarchiv untergebracht. Der Zugang erfolgte mittels einer eigens eingebauten Treppe von dem darüber liegenden „Regimentssaal“ (Ratssitzungszimmer). Daß man dem Archiv diese Aufmerksamkeit schenkte, dürfte auf die Initiative des letzten bedeutenden Bürgermeisters der Reichsstadt, Chilian Volkmar Riemann, zurückzuführen sein, eines Mannes, dessen 38jährige Amtszeit (1725—1763) erfüllt war von politischem Kampf gegen die Korruption einer Clique alteingesessener Nordhäuser Familien. Ihm gelang es, durch Ratsbeschluß eine neue, fortschrittlichere Verfassung und eine geordnete Verwaltung einzuführen. Er war es auch, der erstmalig eine Besoldungsordnung aufstellte, die von den regierenden Bürgermeistern bis zu den Feldhütern alle städtischen Beamten umfaßte. Es ist charakteristisch für Riemanns Verständnis für die Bedeutung des Archivs, daß er 1727 und nochmals 1729 für drei Jahre den „Deputatis zur Einrichtung des Archivs“ jährlich 60 Taler auszahlen ließ10). Zwar mag von dieser Vergütung auch sein Schwiegersohn Filter als derzeitiger Secretarius (1724— 1780) Nutzen gehabt haben, der ja dienstlich dem Archiv nahestand, aber wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß Riemann wie Filter für die Ordnung und Nutzbarmachung der Archivalien mehr getan haben, als vor ihnen jemand. Man machte es Riemann geradezu zum Vorwurf, daß er „den meisten Teil des Archivs, wo nicht den ganzen, in seinem Hause habe“. Johann August Filter seinerseits hinterließ eine Chronik, die von seinem Sohne gleichen Namens, der von 1801—1802 Secretarius war, in vier starken Foliobänden abgeschrieben und bis 1807 fortgeführt wurde. Überblicken wir den Werdegang unseres Archivs von seinen Anfängen bis zum Ende der Reichsfreiheit (1802), so ist unverkennbar, daß der ur-eigentliche Zweck des Archivs, das juristisch-politische Arsenal des jeweils herrschenden Rates zu sein, an Bedeutung durch die Jahrhunderte nichts eingebüßt hat. Wer das Archiv besitzt, ist Herr der Verwaltung, vorausgesetzt, daß er es versteht, sich seiner zu bedienen. Deshalb ist auch die Geheimhaltung seiner Bestände von eminenter Wichtigkeit. Das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erwachende historische Interesse einiger akademisch gebildeter Bürger vermag nicht, an die Urkunden der Vergangenheit heranzukommen. So, wie der Rat die Frommann sehen Abschriften ohne Verzug an sich zu bringen weiß, so verhindert er 1710 den Weiterdruck einer „Nordhäusischen Chronica“ des ebenfalls im Rate sitzenden „Quatuorvir“ Erich Christoph Bohne und nimmt dem Autor das Manuskript ab. Daß Friedrich Christian Lessers „Historische Nachrichten“ 1740 erscheinen konnten, ist wohl nur darauf zurückzuführen, daß Lesser mit dem aufgeklärten Chilian Volkmar Riemann verschwägert war und dieser Beziehung eine gewisse Einsicht in die Dokumente des Archivs verdankte. Die häufigen Flüchtigkeiten und Fehler in den Urkundenwiedergaben des sonst so gewissenhaften Polyhistors lassen aber deutlich erkennen, unter welch widrigen Umständen er sein Werk vollbringen mußte. Daß diese erste vollendete Chronik der Stadt, die ein Jahrhundert lang das Geschichtswerk Nordhausens blieb, ohne Namen des Verfassers erschienen ist, besagt genug. Bezeichnend für den bisher behandelten Zeitabschnitt ist aber auch die oft beklagte, nie beseitigte Unordnung des Archivs. Selbst unter Riemanns straffer Regierung können zwei Gutachten der Stände des Reiches von 1672 und 1680, um die der Mühlhäuser Rat und der Senat zu Goslar gebeten hatten, im Archiv nicht gefunden werden, „so vermuhtlich daher kommt, weil dieses nicht allein durch die königlich-preußischen Troublen, sondern auch die in anno 1710 und 1712 erlittenen großen Brandschäden von Händen kommen seyn muß . . .“ Ein Wunder ist das freilich nicht, denn so häufig in den alten Papieren das Archiv erwähnt wird, nirgends ist die Rede von einem Archivar. Wenn J. L. von Heß, der Verfasser der „Durchflüge durch Deutschland, die Niederlande und Frankreich“ (erschienen 1793—97 beim Verlage Bachmann und Gundermann in Hamburg), aus Nordhausen zu melden weiß: „Die Kanzlei der Stadt besteht aus einem Syndicus, der zugleich Präses des Consistoriums (d. h. des Rates) ist; aus zwei Senatoren, welche dabei Ratskonsulenten sind, einem Archivarius und einem Cancellisten. Die vier ersten sind Rechtsgelehrte“, so ist mit dem rechtsgelehrten Archivarius eben der Secretarius gemeint. Gehörten aber auch zu dessen Amtsbereich die laufende Registratur mitsamt den ehrwürdigen Privilegien und sonstigen alten Sachen, so war er doch praktisch ebenso wenig verantwortlicher Archivar, wie ein Ratsherr oder ein Bürgermeister, der sich bei Bedarf mit den Archivalien zu schaffen machte. Das Archiv war ein Stiefkind der reichsstädtischen Verwaltung. Man rühmte sich seines Besitzes, a'ber kosten durfte es nichts. Zwar erwachte nach der Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich das Bewußtsein, daß in den Pergamenten und Papieren der Archive mehr enthalten sein möchte, als bloße Heimlichkeiten der ewig wechselnden Regierungen, doch fehlte hier, innerhalb der Mauern der von einstiger Macht entblößten Reichsstadt, jeder Impuls, sich der aufgezeichneten Erfahrungen vergangener Zeiten zu bedienen. Zu schwer lastete die Tradition der alten Ordnung auf den Dingen und den Gemütern. Da fällt plötzlich der Vorhang. Das 580jährige Schauspiel der Freien Reichsstadt Nordhausen ist zu Ende. Das Stadtarchiv in preußischer Zeit (1802-1945)Ein neues Stück beginnt. Die Bühne hat sich gewandelt. Sie ist größer geworden. Die namhaften Rollen werden von Preußen gespielt, die Nordhäuser wirken als lernbegierige Komparsen mit. Doch kaum hat sich das Ensemble eingespielt, wird die preußische Truppe von einer französischen abgelöst, und die Bürger Nordhausens erleben und erfassen, sei es als Statisten, sei es als Zuschauer, ungeheuer viel Neues in den Jahren zwischen 1802 und 1813. Als schließlich die Neuordnung der städtischen Verwaltung nach preußischem Muster vollzogen ist, finden wir an Stelle der reichsstädtischen drei Ratsregimenter mit ihrer bunten Vielzahl von Ratsbedienten einen Magistrat, der aus einem Bürgermeister, zwei Ratsherren (Senatoren) und einem Polizeikommissarius besteht, daneben einen Sekretär, einen Rendanten, Waage-, Markt-, Brunnen- und Wiesenmeister sowie etliche Wärter und Wächter als Organe der Stadtverwaltung vor. Auf engstem Raume, im mittleren Stockwerke des Rathauses, waltete die städtische Behörde ihres Amtes. Auch die Stadtverordneten und zahlreiche Kommissionen preußische Stadt- und Landgericht abgetreten worden und wurde erst 1869 zurückgegeben. Im Erdgeschoß des Rathauses befand sich, wie bisher, das Archiv. 1824 erfolgte erstmalig eine spezifizierte Dezernatsverteilung, wobei der Bürgermeister, Hofrat Seiffart, die Aufsicht über das Archiv und die Ratsbibliothek übernahm. Am 3. März 1832 erließ der preußische Minister des Innern und der Polizei in Berlin folgende Verfügung, die dem Magistrat über den Oberpräsidenten in Magdeburg und den Landrat in Nordhausen zuging:
Man kann sich vorstelien, mit welchem Gefühl der Magistrat (der neue Bürgermeister Kölling war eben erst ins ,Amt gekommen), dieses merkwürdige Ansinnen des Herrn Ministers ansah. Er ließ es vorderhand auf sich beruhen. Erst als der Landrat mehrfach gemahnt und um Bericht ersucht hatte, ob „vollständige Repertorien“ über die im Archiv befindlichen Urkunden vorhanden seien und schließlich seinen Kontrollbesuch anzeigte, nahm Bürgermeister Kölling Stellung. In seinem Schreiben vom 27. August 1832 hieß es:
Im weiteren Texte dieses Berichtes wurde gesagt, daß dieses erste, kurze Verzeichnis von dem Konrektor am Gymnasium, Prof. Dr. Förstemann, angefertigt worden sei, und es wurde darum gebeten, diesen auch zu der Revision des Landrats hinzuzuziehen, „da bey der alten, mit Abbreviaturen (Abkürzungen) aller Art überhäuften Schrift es nicht allein zeitraubend, ja oft wohl unmöglich seyn würde, sich von dem Inhalte und der Identität der im Verzeichnisse aufgeführten Urkunde zu überzeugen.“ Das Ergebnis der Archivbesichtigung war, daß Prof. Förstemann gebeten wurde, mit der Aufzeichnung der Urkunden fortzufahren. Dann setzten in kurzen Intervallen die Terminerinnerungen des Landrats ein. Zunächst warf sich der Magistrat selbst in die Bresche und bat um Geduld:
Am 4. Mai 1833 setzte Förstemann sich gegen die anhaltenden Mahnungen des Landrats selbst in folgendem „Promemoria“ zur Wehr. Er schrieb:
Während der Jahre 1833—35 stellte die preußische Regierung Ermittlungen an, welche Partikular-Rechte in den seit 1802 erworbenen Provinzen neben dem Allg. preuß. Landrecht, das 1815 auch in Nordhausen eingeführt worden war, weiterhin in Geltung bleiben sollten. Zunächst sollten diejenigen Städte, die vordem das „jus statuendi“ (das Recht, Strafurteile zu fällen) gehabt hatten, ihre Statuten zur Prüfung einreichen. Der Magistrat erklärte, daß „erst alle betreffenden Urkunden, Verordnungen, Privilegien pp., die teils in unserem Archiv befindlich, teils sich zerstreut unter den Akten befinden, nachgesehen werden müssen.“ Ehe man aber diese Dokumente „nachsehen“ konnte, mußten sie gefunden werden, und damit haperte es gewaltig. So blieb das, was schließlich als „Partikular-Rechte“ gemeldet wurde, ein verlegenes Sammelsurium, das durch weitläufige Korrespondenz und Verhandlungen, endlich durch ein Gutachten des Mühlhäuser Bürgermeisters Gier als zivilrechtliche Verträge erkannt und verworfen wurde. Vernünftigerweise schloß sich der Nordhäuser Magistrat dieser Erkenntnis an, ersuchte aber doch den Stadtrat Oßwald, sich künftig einer Sammlung unserer Lokalrechte, Statuten usw., soweit sie gültig gewesen und publiziert worden waren, zu unterziehen. Die Situation der damaligen Aktenverwaltung wird völlig erhellt durch folgenden Bericht, den Oßwald unterm 25. Juli 1834 dem Magistrat vorlegte:
Die offensichtliche Unordnung in Registratur und Archiv und die daraus resultierende Behinderung des Geschäftsganges beschäftigte nun auch die Stadtverordneten-Versammlung. In ihrer Vorlage an den Magistrat vom 21. Juli 1834 hieß es:
Es ist leider aus den Akten nicht zu ersehen, inwieweit dieser berechtigte Antrag der Stadtverordneten-Versammlung und die edle Bereitschaft zur Mitarbeit praktische Erfolge gezeitigt hat. Was die Registratur betrifft, so ist wohl anzunehmen, daß Fleiß und Strebsamkeit der Magistratsbeamten mit wachsender Erfahrung in der preußischen Verwaltungsroutine allmählich die gehörige Ordnung herbeiführte. Keine Zeile freilich gedenkt der Arbeit der Subalternen, während allerhand Tinte fließt, wenn es ihnen etwa am Martinsfeste, dem höchsten Feiertage der Nordhäuser, einfällt, allzu pünktlich das Amtszimmer zu verlassen! Etwas mehr Ehre wurde der stillen und unbezahlten Arbeit Dr. Förstemanns im Archiv zuteil, aber auch er mußte manche bittere, bürokratische Püle schlucken. Immer wieder wurde die systematische Arbeit an den Urkunden, die er nach Aufhebung des Domstifts durch die Westphälische Regierung im Jahre 1810 persönlich durch Sammeln und Ankauf von Urkunden des Stiftes S. Crucis und ehemaligen Nordhäuser Klöstern aus eigenen Mitteln bedeutend vermehrt hatte, gestört. Ernst Günther Förstemann war in Nordhausen am 13. April 1788 geboren und hatte nach Beendigung seiner Studien, die durch schwere Krankheiten gehemmt waren, 1816 am Gymnasium seiner Vaterstadt Anstellung als Kollaborator gefunden. 36 Jahre hindurch hat er hier den Lehrberuf ausgeübt. Seine Lebensaufgabe aber sah er in der Erforschung der Stadtgeschichte und auf diesem Gebiete hat er Grundlegendes hinterlassen. Angesichts dieser beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit kann die Bedeutung seiner freiwilligen Arbeit an der Ordnung der Urkunden für die Geschichte des Stadtarchivs nicht hoch genug gewertet werden. Als im März 1841 die Regierung in Erfurt vom Magistrat a) ein genaues Verzeichnis der älteren, im Hinblick auf Geschichte und. Verfassung wichtigen Archivalien und b) eine Nachweisung der die Stadt betreffenden Geschichtswerke, Chroniken, Monographien und dergleichen, gedruckt oder geschrieben, verlangte, legte Förstemann im September 1841 — die turnusmäßigen Erinnerungen der Regierung waren nicht ausgeblieben — ein Verzeichnis der königlichen und kaiserlichen Urkunden des Mittelalters, sowie eine von dem Gymnasiasten Lauenstein sehr sorgfältig abgeschriebene Übersicht von 13 Folioseiten über die gedruckte Literatur zur Geschichte und Verfassung der Stadt Nordhausen vor. Daneben fertigte er in dieser Zeit ein Verzeichnis der im Archiv befindlichen Amtsbücher, gebundenen Akten und Handschriften. Die Anerkennung der Regierung bestand, soweit die Akten aussagen, darin, daß sie dem Magistrate schrieb „ob der Konrektor Förstemann, welcher gegenwärtig das städtische Archiv respizieren soll, als Aufsichtsbeamter über dieses Archiv besonders verpflichtet worden ist. Evtl. würde, sofern er die Geschäfte eines Archivars unentgeltlich zu übernehmen geneigt sein sollte, seine Verpflichtung noch erfolgen müssen.“ Häufiges Kränkeln, vor allem aber der Wunsch, seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Ende zu führen, veranlaßten 1851 den 63jährigen, beim Magistrat um Entbindung von seinem Lehramte einzukommen. Der Dezernent, Stadtrat Grimm, schrieb dazu an den Gemeinderat am 25. Dezember 1851:
Förstemann wurde 1852 mit vollem Gehalte pensioniert. Trotz anhaltender Kränklichkeit, trotz angegriffener Augen (mouches volantes) nahm nicht nur die schriftstellerische Arbeit ihren Fortgang. Auch dem Stadtarchiv widmete er weiter seine Kraft. Ein umfangreiches Verzeichnis von Handschriften und Urkunden wurde 1855, eine besondere Liste von Klosterurkunden 1858 fertiggestellt. In einem Schreiben vom 28. Januar 1858 an den Magistrat faßte dieser erste Archivar unserer Stadt die Art seines Wirkens kurz und bescheiden zusammen:
Nachdem er noch auf einige zur Zeit nicht auffindbare Stücke hingewiesen hatte, nannte er diejenigen Handschriften, die er bei seinen historischen Arbeiten noch in seiner Wohnung benutzte und verwahrte:
Am 11. Juni 1859 ist Ernst Günther Förstemann gestorben. Sein Repertorium, das 104 engbeschriebene Seiten in Folio umfaßt, wurde der Regierung in Erfurt und von dieser dem Oberpräsidenten in Magdeburg übersandt. Nach Rückkunft wurde es bei der Kämmereikasse deponiert (1860), erst im Jahre 1904 gelangte es als historische Reminiszenz ins Stadtarchiv. Aus Förstemanns Nachlaß erwarb der Magistrat einen nicht unbedeutenden Posten an Handschriften und Urkunden, nachdem der Oberlehrer Dr. August Kramer, der bekannte Erfinder des Zeigertelegraphen, auf Grund nachbarlicher Wahrnehmung eindringlich berichtet hatte, daß bereits
d. h. Förstemannsche Manuskripte zum Einwickeln von Kolonialwaren Verwendung gefunden hatten! Es war nicht leicht, einen geeigneten Nachfolger für die Verwaltung des Archivs zu finden. Der Magistrat beauftragte damit den Gymnasialprofessor Dr. Theodor Perschmann, der sich durch vielseitige Interessen an den Altertumswissenschaften zu empfehlen schien. Perschmann (1826. in Könnern geboren) war Vorsitzender des Nordhäuser Geschichts- und Altertumsvereins und hatte hervorragenden Anteil an der Begründung des städtischen Altertumsmuseums, dessen Leitung er auch bis zu seinem Tode innehatte. Seine persönliche Neigung war vor allem auf die Vorgeschichte gerichtet, und er hatte schöne Erfolge bei seinen Ausgrabungen zu verzeichnen. Seine Vorträge im Geschichtsverein und seine Veröffentlichungen haben bewirkt, daß ein größerer Kreis der Bürgerschaft zu aktiver Beschäftigung mit der Stadtgeschichte angeregt wurde und daß einige aus diesem Kreise zum Zwecke eigener Forschungen sogar den Weg ins Archiv fanden. Von eigentlicher Archivtätigkeit Perschmanns lassen sich indes keine Spuren feststellen. Schon 1890 hat der Magdeburger Geh. Archivrat Dr. von Mülverstedt bemerkt, „daß durch das Verhältnis des Prof. Perschmann zum Stadtarchiv keine Fortschritte in der Ordnung und Verzeichnung desselben gemacht worden sind.“ In der Tat hat sich die hier erstmalig vollzogene Personalunion zwischen Museum und Archiv, die der Stadtverwaltung wegen der Kostenersparung natürlich willkommen war, zum Nachteil des Nordhäuser Stadtarchivs ausgewirkt. Zunächst zehrte das Archiv noch von dem Rufe, den ihm Förstemanns Arbeit eingebracht hatte. Im Dezember 1865 forderte das Provinzialarchiv in Magdeburg für den Archivrat von Mülverstedt das Repertorium des Nordhäuser Archivs an. Im Februar 1866 bat dann die gräflich Stolberg-Wernigeröder Regierung für Arbeiten ihres Archivars Dr. Jacobs um Urkunden, „welche in dem dortigen, durch seine musterhafte Ordnung und Einrichtung bekannten städtischen Archive aufbewahrt werden.“ Dem wohll. Magistrat wurde höchst schmeichelhaft versichert, daß er durch die musterhafte Verwaltung des Archivs bewiesen habe, daß er den Wert vollständiger Archive wohl zu würdigen wisse! Diese gute Meinung von der Bedeutung des Nordhäuser Archivs in der Welt der historischen Forschung bewirkte nun auch eine erhöhte Inanspruchnahme sowohl von außerhalb, als auch von seiten Nordhäuser Bürger. Namhafte deutsche Gelehrte und Institute ließen sich die Reichsgeschichte bezüglichen Originalurkunden schicken oder suchten selbst Nordhausen auf. Der hiesige Brennereibesitzer Paul Oßwald und der Dechant am Nordhäuser Dom, Hellwig, entliehen wiederholt Handschriften für ihre ortsgeschichtlichen Studien. Zur Bereicherung des Archivs schenkte Oßwald mehrmals Urkunden, die er am Orte oder bei auswärtigen Besitzern aufgestöbert und angekauft hatte. Auch der Stadtverordnetenvorsteher Eduard Baltzer, der Begründer und Prediger der Freien Religionsgemeinde in Nordhaüsen, hat einmal den Ankauf von Urkunden für unser Archiv vermittelt. Überhaupt war das Interesse durchaus auf die Urkunden gerichtet. Die Förstemannschen Veröffentlichungen der kaiserlichen und königlichen Urkunden ließen die Publikation der übrigen, mehr als 2000 Stück zählenden, als für die Kenntnis der mittelalterlichen Stadtgeschichte äußerst wichtig erscheinen. So gingen der Realgymnasiallehrer Dr. R. Rackwitz und der Volksschullehrer Karl Meyer gemeinsam an die Aufgabe, ein Urkundenbuch der Stadt Nordhausen zu bearbeiten. Sie erwirkten dazu einen Auftrag und die Bereitstellung von Mitteln durch die Historische Kommission der Provinz Sachsen, die in jenen Jahren auch gleichlaufende Bestrebungen in Goslar, Naumburg, Erfurt, Wernigerode und Merseburg unterstützte. Am 20. und 21. April 1886 fand im Nordhäuser Rathaus die 12. Sitzung der genannten Historischen Kommission statt, der als Gäste Prof. Perschmann, Dr. Rackwitz und K. Meyer beiwohnten. Bei dieser Gelegenheit brachten die beiden Bearbeiter des Nordhäuser Urkundenbuches zum Ausdruck, daß die Einrichtung des Stadtarchivs und die für dasselbe bestehenden Instruktionen (neben anderen, finanziellen Schwierigkeiten) einer baldigen Vollendung ihres Werkes hindernd im Wege ständen. Diese Kritik vor einem Gremium von Sachverständigen richtete sich offensichtlich gegen die Indolenz des Archivleiters Perschmann, mit dem Meyer und Rackwitz des öfteren in Disput geraten waren. So hatten die beiden im September 1885 den Magistrat in einer Eingabe auf eine seit vielen Jahrzehnten auf der Westseite des Rathausbodens aufgehäufte, große Anzahl von Akten hingewiesen, die für die Geschichte der Stadt äußerst wichtig seien. Sie hatten gleichzeitig darum gebeten, diese Akten in einen geeigneten Raum zu überführen, wo sie gesichtet und bearbeitet werden könnten, und für diese Arbeit einen „archivalisch gebildeten Privatgelehrten“, Ernst Gebauer in Nordhausen, empfohlen. Die Folge dieses privaten Vorstoßes war, daß nunmehr tatsächlich im Souterrain der neuen Mittelschule in der Predigerstraße Raum bereitgestellt wurde und daß man die besagten Akten im Dezember 188.5 dorthin verbrachte. Der verantwortliche Archivleiter scheint allerdings mit dem Umzug seine Aufgabe als erfüllt angesehen zu haben, denn für das Ordnen und Aufstellen des Materials wurde ein Kaufmann F. Trömel engagiert. Da dieser wegen dauernder Kränklichkeit mit der Arbeit nicht vorankam, gewann man als Mitarbeiter einen Herrn Viktor Topf, der dann mit großem Ordnungssinn und Verständnis die Aktenkammer, die Rechnungskammer und eine historische Bücherei eingerichtet hat. Besonderes Augenmerk richtete er auf Karten und Pläne, bemerkenswert ist auch, daß er seiner Ordnung aus eigenem Antriebe das Provenienzprinzip zugrunde legte. Topf, der sich übrigens weigerte, für seine Tätigkeit ein Honorar zu verlangen, erklärte im Mai 1887, nachdem Prof. Perschmann im April verstorben war, seine Arbeit für beendet. Es war eine eigenartige Fügung, daß die Anregung von Rackwitz und Meyer, die doch eigentlich eine Förderung ihres Urkundenbuches bezweckte, dieser erstmaligen Sichtung alter Aktenbestände zugute kam. Für die Folgezeit gehörte dann auch die Ordnung der Akten zur wichtigsten Aufgabe des Archivs neben den Arbeiten zur Veröffentlichung der Urkunden. Die Gemeinschaftsarbeit von Rackwitz und Meyer ist allerdings nicht zu Ende geführt worden. Rackwitz hat Nordhausen verlassen, nachdem er die Urkunden des Servitenklosters Himmelgarten und die des Nonnenklosters Bischoferode S. Nicolaus bis zu dessen Übersiedlung nach Nordhausen in verschiedenen Schulprogrammen hatte erscheinen lassen. Meyer hat, wiewohl von seiner fortlaufenden Beschäftigung mit dem Urkundenbuch noch die Rede sein wird, der Öffentlichkeit nichts davon übergeben. Um die durch Prof. Perschmanns Tod freigewordene Archivarstelle bewarb sich u. a. auch der mehrfach erwähnte Ortshistoriker K. Meyer. Der Magistrat übertrug die Funktion aber dem Gymnasiallehrer Dr. Max Heyse nebenamtlich und übersandte ihm am 9. August 1887 den Archivschlüssel. Obwohl Dr. Heyse weder vorher noch später durch Arbeiten auf dem Gebiete der Heimatforschung hervorgetreten ist, griff er die eigentliche Archivtätigkeit von Anfang an energisch und mit klarer Zielsetzung an. Es ist bezeichnend, daß er zunächst zu seiner und seiner Mitarbeiter Bequemlichkeit „einen größeren Arbeitstisch, einige Stühle, eine Waschtoilette mit Handtuch, sowie für einige Zeit einen Mann, der die Massen von Schmutz und Staub auf den Akten und im ganzen Raum beseitigen soll“, beantragen mußte! Dergleichen war offenbar noch nicht dagewesen. Auf Grund der bei seiner Arbeit gewonnenen Übersicht legte Heyse am 20. Januar 1890 dem Magistrat folgendes Memorandum vor:
Gründe: 1. Solange der größte Teil des Archivs ohne jede Ordnung ist, ist auch eine geordnete Verwaltung desselben unmöglich. 2. Bei dem in mancher Beziehung so reichen Material an Acten, die bisher völlig unbekannt geblieben sind, ist es eine Ehrenpflicht Nordhausens, diese Schätze durch Ordnung und Katalogisierung für die Forschung benutzbar zu machen. Alsdann wird auch Nordhausen hinter seinen Nachbarstädten, die eine historische Vergangenheit haben, wie Erfurt, Mühlhausen, Hajberstadt u. a., wo überall auf dem Gebiete der Localgeschichte rührig gearbeitet wird und gearbeitet werden kann, nicht zurückzustehen brauchen. Für die Art und Weise, in welcher eine solche Neuordnung hergestellt werden kann, bestehen zwei Möglichkeiten. Die eine ist die, daß die Stadt eine geeignete auswärtige Persönlichkeit engagiert, am besten einen geschulten Archivbeamten von einem größeren, staatlichen Archiv; dieser würde nach einer oberflächlichen Schätzung zu einer völligen Ordnung des Archivs etwa lVss bis 2 Jahre nötig haben. Für den Fall, daß dies nicht beliebt wird, ist der Unterzeichnete zu einer Neuordnung des Archivs bereit. Er würde in diesem Falle allwöchentlich eine bestimmte Zeit festsetzen, die auch öffentlich bekannt gegeben werden könnte, in welcher er im Archiv anwesend wäre und nach Erledigung der ja nur geringen laufenden Geschäfte an einer Neuordnung des Archivs arbeitete. Bei wöchentlich mindestens 2 Stunden würde das Honorar 300 Mk jährlich, bei wöchentlich mindestens 4 Stunden würde es jährlich 500 Mk betragen. Die Frage, wieviel Zeit in diesem Falle für eine äußere Ordnung und Katalogisierung nötig wäre, läßt sich nur soweit beantworten, daß sicher eine Reihe von Jahren darüber hingehen würden.
Diese klare, verantwortungsbewußte Darstellung der Sachlage, bei der persönliche Wünsche völlig zurücktraten, veranlaßte den Magistrat, bei den Archiv- und Bibliotheksverwaltungen in Magdeburg, Halle und Göttingen Erkundigungen einzuholen, ob und unter welchen Bedingungen eine geeignete Persönlichkeit von dort in Vorschlag gebracht werden könne. Das Ergebnis war negativ, teils, weil befähigte jüngere Akademiker sich als Stadtarchivar ihrer Zukunftshoffnungen beraubt sahen, teils, weil ihre Gehaltsansprüche weit über das hinausgingen, was der Stadt Nordhausen angemessen erschien. Auch ein Gesuch an den Landesdirektor der Provinz Sachsen in Merseburg um finanzielle Beihilfe, in welchem der Bürgermeister die Argumente Dr. Heyses zu den seinigen machte, wurde abschlägig beschieden. Hier schaltete der Landesdirektor den Geh. Archivrat von Mülverstedt als Sachverständigen ein, der sich gegenüber der Auffassung des Nordhäuser Magistrats
folgendermaßen ausließ:
Hilfe von außen war also weder in personeller, noch finanzieller Hinsicht zu erwarten. Im März faßte Oberbürgermeister Hahn die Verwendung von Sparkassenüberschüssen für das Stadtarchiv ins Auge, die Stadtverordnetenversammlung bewilligte aber von 7000 Mk Überschüssen des Vorjahres ganze 500 Mk für Archivzwecke, und diese gingen natürlich für sächliche Ausgaben drauf. Der Vorschlag von Mülverstedts, die wohlhabenden Nordhäuser Brennherren und Tabakfabrikanten für die im Allgemeininteresse liegende Angelegenheit zu gewinnen, scheint keinerlei Beachtung gefunden zu haben. Schließlich fand sich ein Ausweg. In einer Besprechung der Archivfrage am 8. Mai 1890 zwischen Obm. Hahn, dem Rentier Hermann Arnold und dem Brennereibesitzer Paul Oßwald erklärte sich der letztere bereit, die angestrebte Ordnung des Stadtarchivs innerhalb dreier Jahre unentgeltlich herzustellen. Er wurde daraufhin zum Stadtarchivar bestellt. Es ist hier notwendig, auf die Hintergründe dieser Abmachung etwas näher einzugehen. Hermann Arnold (geb. Nordhausen 17. 8. 1831) war, nachdem er sich von seinen Geschäften als Brennherr zurückgezogen hatte, seit 1878 ein reger Mitarbeiter Prof. Perschmanns am Museum geworden. Nach Perschmanns Tode wurde er selbst Konservator, d. h. Leiter desselben. Ihm gesellten sich als freiwillige Helfer u. a. Paul Oßwald und der Mittelschullehrer Hermann Heineck zu. Wie hiervor schon angedeutet, hatte sich durch Perschmanns Wirksamkeit in den Augen der Öffentlichkeit eine Annäherung zwischen Archiv und Museum vollzogen, die es nun dem allseits hochgeachteten Arnold ermöglichte, seine uneigennützige und wohlgemeinte Fürsorge auch dem Archiv zuzuwenden. Ohne Zweifel hat er auch durch die Wahl des jungen und unabhängigen Oßwald eine für das Archiv und die Stadtverwaltung äußerst glückliche Entscheidung herbeigeführt. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß mit dieser Entscheidung gerade dem Männe bitteres Unrecht getan wurde, der eigentlich den Anlaß zu einer sachgemäßen Neuordnung des Stadtarchivs gegeben hatte, dem Dr. Heyse. Heyses Stellungnahme zu der überraschenden Wendung der Dinge ist in folgendem Schreiben vom 19. Juni 1890 niedergelegt:
Der unter solchen Auspizien zum ehrenamtlichen Archivar bestellte Paul Oßwald war von Hause aus Kaufmann. Seine Neigungen richteten sich indes auf wissenschaftliche Arbeit, und als er 1882 von beruflicher Wanderschaft in die Heimat zurückkehrte, fand er Zeit, ihnen nachzugehen. Seit 1888 hatte er im städt. Museum zusammen mit Hermann Arnold, dem Stadtrat Grimm, dem Rendanten Osterloh und Hermann Heineck gearbeitet, hatte sich an Ausgrabungen bei Auleben beteiligt und im Geschichts- und Altertumsverein Vorträge gehalten, die eine bemerkenswerte und vielseitige Begabung auf historischem Gebiete erkennen ließen. Seinem Spürsinn gelang es, eine ganze Anzahl mittelalterlicher Handschriften und Urkunden, insbesondere solche des Domstifts, am Platze selbst und auswärts zu entdecken. Er hat sie aus eigenen Mitteln angekauft und dem Archiv geschenkt. Es war sein Ziel, eine Geschichte des Stifts zum hl. Kreuz zu schreiben. Als Vorarbeit hierzu veröffentlichte er in der Zeitschrift des Harzvereins 1889 den von ihm auf gefundenen „Liber feodalis et censuum perpetuorum ecclesie S. Crucis in Northusen“, eine Handschrift aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Nach Übernahme des Archivs begann er, den gesamten, bereits von Förstemann aufgezeichneten Urkundenbestand systematisch geordnet in Schutzhüllen zu legen und diese mit kurzen, aber treffsicheren Regesten und neuzeitlicher Datierung zu versehen. Mit dieser Arbeit allein, auf der die nachfolgenden Generationen fußen konnten, hat Paul Oßwald seine innere Berufung zum Archivar erwiesen. Die einzige Publikation während seiner Archivtätigkeit war ein Aufsatz „Nordhäuser Kriminalakten von 1498 bis 1657“, der 1891 in der Zeitschrift des Harzvereins erschien. Seine weitergehenden Absichten, nach Vollendung der Urkundenregestierung auch die längst fällige Repertorisierung der Aktenbestände in Angriff zu nehmen, blieben unausgeführt, denn nach nur dreijähriger Tätigkeit als Stadtarchivar starb Oßwald am 6. Mai 1893 im Beginn seines 30. Lebensjahres. Abermals stand der Magistrat vor der Frage, dieses immer noch als notwendiges Übel empfundene Stadtarchiv neu zu besetzen. Bewerbungen eines Hochschuldozenten in Stuttgart und des Nordhäuser Lokalforschers Karl Meyer wurden abgelehnt. Hatte doch die Erfahrung bewiesen, • daß sich immer wieder idealistische Menschen fanden, die aus Liebe zur Wissenschaft umsonst arbeiteten. Beiläufig bemerkt forderte auch K. Meyer nur eine geringe Entschädigung. In seinem Antrage verwies er auf sein „in jahrelanger, stiller Arbeit fertiggestelltes Urkundenbuch des Nordhäuser Frauenbergklosters“ und andere Ergebnisse seines Fleißes. Möglicherweise hat er zur Unterstützung seiner Bewerbung auch folgende Notiz in der Nordhäuser Zeitung vom 25. Mai 1893 veranlaßt:
Unbewußt hat der Magistrat mit Meyers Ablehnung doch eine dem Archiv nützliche Entscheidung getroffen. Es ist und bleibt das Dilemma des ganz auf sich gestellten Stadtarchivars, das rechte Verhältnis zwischen seiner vornehmsten Aufgabe, die Bestände und die nie aufhörenden Zugänge an Schriftgut der Verwaltung zu ordnen, zu verzeichnen und für die Allgemeinheit bereitzustellen, und der Neigung, sich selbst wissenschaftlich und schriftstellerisch zu betätigen, zu finden. Meyer war ein zu fruchtbarer Geschichtsschreiber, als daß er ein geduldiger Archivar hätte werden können. Es muß aber doch überraschen, wenn der Magistrat (Obm. Schustehrus) am 1. August 1893 den Beschluß faßte, „von der Ernennung eines besonderen Stadtarchivars abzusehen, den Lehrer Heineck aber mit den Arbeiten im Archiv nach Anordnung des Herrn Arnold und unter Leitung und Beaufsichtigung desselben zu betrauen“. Daß Hermann Arnold nun einen zweiten Museumsgehilfen zum Archiv delegierte, paßt durchaus zu der oben berührten Tendenz, die beiden Institute unter eine Leitung zu bringen. Aber wessen Leitung? Daß Heineck dazu nicht ausersehen war, ergibt sich aus dem dreifachen Joch, das mit den Worten „Anordnung, Leitung und Beaufsichtigung“ durch Arnold auf den als subaltern gedachten Archivhilfsarbeiter gelegt wurde. Strebte wirklich der steinreiche, 62jährige Rentier Arnold noch nach größerem Einfluß? Oder entsprach die neue Regelung einfach dem Sparsamkeitsprinzip der Stadtväter oder der strammen Amtsführung des neuen Stadtoberhauptes? Die Akten geben darüber keinen Aufschluß. Nur eines ist offensichtlich: Heineck hatte einen denkbar schlechten Start. Schon bald nach dessen Dienstantritt verfügte der 2. Bürgermeister Lemcke:
Heineck erwiderte darauf:
Worauf Obm. Schustehrus dekretierte:
(Diese Anordnung wurde erst im Januar 1901 durch Obm. Dr. Contag aufgehoben). Heinecks Arbeit im Archiv begann damit, daß er auf Anregung Hermann Arnolds die von Oßwald gefertigten Urkundenregesten von den Schutzumschlägen auf Quartzettel übertrug, die dann gebunden wurden. Behilflich war ihm dabei sein Schwager, ein Kandidat der Theologie. Im September 1893 lagen fünf solcher Quartbände fertig vor, wie der verantwortliche Archivprotektor Arnold dem Magistrat meldete. Bei der Gelegenheit wirkte er seinem Schützling Heineck für das Abschreiben der Regesten ein Honorar von 150 Mark aus, welcher Betrag aus Etatmitteln sich aus Paul Oßwalds Amtszeit noch in seiner Verwahrung befand. Diese Abhängigkeit Heinecks hat jahrelang gedauert. Zwar erhielt er die Genehmigung, die Thüringer Archivtage 1896 in Weimar, 1897 in Erfurt, 1898 in Gotha und 1899 in Rudolstadt zu besuchen, auch sind seine Vortragstätigkeit im Geschichtsverein und zahlreiche Publikationen in der Ortspresse und in Broschüren ein Beweis dafür, daß er als geachteter Mann im öffentlichen Leben stand; seine mürrischen, oft bissigen Aktennotizen lassen indes erkennen, daß ihm die seelische Harmonie, mindestens mit der Umwelt, fehlte. Erst um die Jahrhundertwende wurde er freier. 1899 wurde Dr. Contag Oberbürgermeister, 1900 schied. Arnold, 70-jährig, aus seiner Museumsfunktion. In einer Verfügung des Oberbürgermeisters vom 6. Dezember 1899 wird Heineck erstmalig „Archivar“ genannt. Auf sein Betreiben hin waren im November 1900 Akten, zum Teil noch aus reichsstädtischer Zeit, die man in den Bodenräumen des Museums entdeckt hatte, in das Archiv in der Predigerstraße 1 überführt worden. Mit der Sichtung wurde der Bürogehilfe Wiegleb beauftragt, der für diese anstrengende Arbeit 100 Mark erhielt. Heineck selbst war im Wesentlichen mit der Ergänzung der Urkundenregesten und mit Vorarbeiten zu einem Urkundenbuch beschäftigt. Die Ausleihe von Archivalien und die Korrespondenz mit namhaften auswärtigen Forschern war erfreulich lebhaft. Es darf an dieser Stelle nochmals hervorgehoben werden, daß auch Heinecks Tätigkeit eine nebenamtliche war, daß er also nur einige Wochenstunden im Archivlokal selbst anwesend war. Auswärtige Archivbenutzer arbeiteten gegebenenfalls in seiner Privatwohnung, die in der Predigerstraße 2, also neben dem Archiv, lag. Im Juli 1907 wurde das Archiv in das Erdgeschoß der ehemaligen Volksschule am Friedrich-Wilhelm-Platz (jetzt Platz der Republik) verlegt, die in ihren übrigen Stockwerken das städtische Museum aufnahm. Die Archivalien, einschließlich der Bücherei, ruhten in anderthalb saalähnlichen Räumen und waren auf zum Teil über dreieinhalb Meter Hohen Regalen kaum zu erreichen. Das Arbeitszimmer des Archivars befand sich in einem engen, dunklen Gelaß, in dem sich zwischen Wandregalen und Schreibpult ein Mensch kaum umdrehen konnte. Maßgebend, für diese neue Unterbringung des Archivs waren natürlich ni se^ne eigenen Belange. Ob und inwieweit Heineck selbst diese Belange dem Magistrat gegenüber zur Geltung gebracht hat, geht aus den Akten nicht hervor. Möglich wäre es, denn ohne vorherige Diskussion hätte der folgende Brief nicht geschrieben werden können. Am 19. Oktober 1910 wandte sich der Geh. Archivrat Dr. Winter in Magdeburg an den Nordhäuser Oberbürgermeister Dr. Contag. Sein Schreiben lautete:
Das in diesen Zeilen erwähnte Vermächtnis betraf die Hinterlassenschaft des am 30. Dezember 1909 verstorbenen Hermann Arnold in Höhe von 1 700 000 Mark, die der Stadt testamentarisch mit der Bestimmung vermacht war, daß die Hälfte der Zinsen dieses Kapitals „zur Linderung der Leiden der Menschheit“, die andere Hälfte „zum Bau, zur Ausstattung, Erhaltung und Erweiterung des städtischen Museums nebst Bibliothek und Archiv“ Verwendung finden sollten. Deutlicher konnte sich die wohlmeinende, aber grundfalsche Auffassung Arnolds von dem Archiv als einer „altertümlichen“ Dokumentenabteilung eines „Altertumsmuseums“ nicht manifestieren. Welchen Begriff mußte dann der Laie sich bilden, wenn der Fachmann so sprach? Obm. Dr. Contag legte die Winter’sche Anregung am 25. Januar 1911 dem Kuratorium der „Hermann-Arnold-Stiftung“ vor. Zufolge Punkt 17 des Sitzungsprotokolls wurde beschlossen:
Dabei ist es geblieben. Das Projekt ist nie wieder aufgenommen worden. Im darauffolgenden Jahre unterbreitete der Archivar Heineck seinerseits dem Kuratorium der Arnold-Stiftung Vorschläge, die auf eine Erhöhung seiner Arbeitsstunden (seit 1908 arbeitete er an vier Wochentagen nachmittags je drei Stunden im Archiv) unter Zuhilfenahme eines Teiles seiner Schulferien hinausliefen. Er forderte auch eine Hilfskraft zum Abschreiben von Urkunden aus gedruckten Urkundenbüchern. Aus der persönlichen Aussprache Heinecks mit dem Obm. Contag, der der Vorsitzende des Kuratoriums der Arnoldstiftung war, und aus Verhandlungen dieses Gremiums ging schließlich, gewissermaßen in Anlehnung an den Winter’schen Vorschlag, folgender Kompromiß hervor: neben Heineck sollte ein wissenschaftlicher Archivar für mindestens ein Jahr angestellt werden, der insbesondere die Aktenbestände seit 1600 aufarbeiten sollte; die weitere Bearbeitung des Nordhäuser Urkundenbuches sollte Heineck Vorbehalten bleiben. Die Arnold-Stiftung übernahm die Kosten für den Berufsarchivar auf ein Jahr und bewilligte Heineck eine jährliche Remuneration von 1000 Mark. Dieser eigenartige Versuch zur Reorganisation des Stadtarchivs scheiterte vollkommen. Zwar wurde für die für erforderlich gehaltene Überholung des Archivs, vor allem für die notwendige Repertorisierung älterer Akten, der Erfurter Stadtarchivar Dr. Overmann im November 1912 gewonnen. Allein schon am 12. Dezember 1912 wurde vereinbart, daß Overmann seine Tätigkeit „zunächst ausschließlich dem Museum“ widmen sollte. Dabei ist es denn auch geblieben, und Prof. Overmann hat in lOjähriger Arbeit (anfangs wöchentlich den Sonnabend ganz und Sonntag bis Mittag) das Nordhäuser Museum fachmännisch neu organisiert. Von irgendwelchem Einfluß auf das Stadtarchiv ist weder aus den Akten noch im Archivalienbestande etwas wahrzunehmen. Mit der immerhin gewonnenen Aufbesserung seiner Remuneration führte der Archivar Heineck sein Amt weiter, fortan sogar in einer gewissen Unabhängigkeit vom Museum. Die Abschriften für das geplante Urkundenbuch, das die Zeit bis 1300 umfassen sollte, füllten vier starke Soennekenordner. Während der Jahre 1913 bis 1915 widmete er sich der „Katalogisierung“ der sogenannten alten Registratur, die, nach Sachgebieten geordnet, unter der Signatur N. F. (Neue Folge) und laufender Nummer mehrere „Findbücher“ füllte. Diese Neue Folge erweiterte sich naturgemäß in den folgenden Jahren zusehends, da immer wieder Zugänge „vom Rathausboden“ eingingen, und aus den Findbüchern wurden — Such-bücher! Die dem Archiv dienende historische Bücherei war geordnet und umfaßte am Ende des ersten Weltkrieges rund 2 400 Bände. Während der politische Umschwung 1918 und die folgende Zeit der Weimarer Verfassung keinen Einfluß auf die Organisation und Tätigkeit des Stadtarchivs ausübte, machte sich doch seit 1925 immer unangenehmer seine beengte Lokalität bemerkbar. Als 1926 die Vorarbeiten für die Jahrtausendfeier der Stadt einsetzten, für die das Archiv sehr lebhaft beansprucht wurde, mußte schließlich die Frage einer würdigeren Unterkunft als brennend anerkannt werden. Magistrat und Stadtverordnete stellten 1927, in diesem Jahre einer örtlichen historischen Besinnung und Begeisterung, das Haus Mauerstraße 15, ein aus Quadern erbautes, zweistöckiges Gebäude, das einst Stadtgefängnis gewesen war, zur Verfügung, und im Sommer erfolgte die Aufstellung sämtlicher Archivakten einschließlich der alten Registratur. Lediglich die Urkunden verblieben im vergitterten Erdgeschoß des Museums, bis dieses selbst sein Quartier wechselte. In dem Archivgebäude an der Mauerstraße hat Hermann Heineck als nebenamtlicher Archivar bis zu seinem Tode (6. Dezember 1930) gewirkt. Er hinterließ nach 37jähriger Tätigkeit ein unter den obwaltenden Verhältnissen leidlich geordnetes Institut, zu dessen Auswertung er selbst ein gut Teil beigetragen hat. Zu seinem Nachfolger bestimmte der Magistrat, wohl auf Vorschlag des Geschichtsvereins, dessen Vorsitzenden, den Seminardirektor i. R. Dr. Heinrich Lewin. Dieser widmete sich, obwohl er erst nach seiner Pensionierung nach Nordhausen gekommen war, mit regem Geist und bemerkenswerter Hingabe der Ortsgeschichte, veröffentlichte auch mehrmals die Ergebnisse seiner Archivstudien. Im übrigen arbeitete er stetig an der von Heineck eingeführten Ordnung der Aktenaufnahme weiter. Als von seiten der Stadt der Wunsch geäußert wurde, einer jüngeren Kraft Platz zu machen, trat er Ende Juli 1934 endgültig in den Ruhestand. Der neue Archivar, Dr. ing. Friedrich Stolberg, Sohn des Museumsdirektors Dr. August Stolberg, wurzelte in der reichen Tradition einer alten Nordhäuser Familie, brachte aber aus seiner bisherigen Berufsarbeit (er hatte als Architekt u. a. 1927 den Wiederaufbau der historischen „Finkenburg“ geleitet) einen gewissen unphilologischen Zug in das altertümliche Gebäude an der Mauerstraße. Während ihm für die interne Archivarbeit Fräulein Hanna Müller, die bereits seit 1928 als Assistentin in Museum, Archiv und Volksbücherei fungierte, eine unentbehrliche Helferin war, nahm F. Stolberg rasch entschlossen die Herausgabe eines Nordhäuser Urkundenbuches in Angriff. In einem Artikel über die „Aufgaben der Heimatforschung“ in der „Nordhäuser Zeitung“ vom Oktober 1933 hatte Dr. Silberborth gerade wieder auf dieses seit fast hundert Jahren erwogene, nie zur Ausführung gekommene Projekt hingewiesen. Für die Bearbeitung des Urkundenbuches gewann F. Stolberg einige jüngere Philologen, die als Geschichtslehrer gerade am Nordh. Gymnasium tätig waren. Ihnen ist es im wesentlichen zu verdanken, wenn schon 1936 der 1. Teil des UB, der die kaiserlichen und königlichen Urkunden des Nordhäuser Stadtarchivs enthält (1158—1793), im Druck erscheinen konnte. Als Bearbeiter zeichnete Dr. Günter Linke. Als 2. Teü des Werkes sollten die „Päpstlichen Urkunden“ durch Dr. Gerhard Naumann publiziert werden, der sich auch intensiv mit den Vorarbeiten beschäftigte, wobei ihm die von Heineck hinterlassenen Abschriften zustatten kamen. Zur Ausführung dieser Absicht ist es indes nicht gekommen, weil es den Redaktoren des UB zweckmäßig erschien, die Gelegenheit wahrzunehmen, eine andere Reihe von Urkunden, die Dr. Gerhard Meißner gerade für seine Dissertation „Das Kriegswesen der Stadt Nordhausen“ exzerpiert hatte, an die Öffentlichkeit zu bringen. So wurde denn 1939 der 2. Teil mit den weltlichen Urkunden „von Fürsten, Grafen, Herren und Städten“ gedruckt. F. Stolberg, der inzwischen 1938 seine Archivtätigkeit mit einem Posten in seinem Berufe als Architekt vertauscht hatte, bearbeitete bei diesem Bande die Siegelbeschreibung ausführlich. Die Fortsetzung des Urkundenbuches ist nicht allein durch die folgende Kriegszeit vereitelt worden. Sein Abweichen von der bewährten Methode chronologischer Einheitlichkeit und andere Mängel sind in Fachkreisen kritisiert worden. Man wollte den erschienenen beiden Heften allenfalls die Bezeichnung „Inventarverzeichnis“ zugestehen. Aber nicht einmal das trifft zu, denn es sind beispielsweise Hunderte von Pergamenten, die auch von Fürsten, Grafen, Herren und Städten ausgestellt worden sind und sich gleichfalls im Nordhäuser Archiv befinden, ohne Angabe von Gründen nicht abgedruckt worden. In Friedrich Stolbergs Amtszeit fällt ein sehr beklagenswertes Ereignis, nämlich die Vernichtung einiger tausend Akten, die auf dem Rathausboden abgelegt worden waren und die etwa den Zeitraum von 1850 bis 1920 umfaßt haben müssen. Die 1936 von Staats wegen angeordnete Entrümpelung der Hausböden wurde von dem damaligen Verwaltungsdirektor ohne zwingenden Grund derart forciert, daß dem Archivar kaum die Möglichkeit gegeben war, das umfangreiche Material zu sichten. Der einstweiligen Übernahme der gesamten Masse ins Archiv mögen räumliche Schwierigkeiten entgegengestanden haben. Dennoch kann den Verantwortlichen der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie wichtige Quellen gerade aus der Zeit der Entwicklung des Sozialismus und der Arbeiterbewegung allzu leichtfertig der Papiermühle überantwortet haben. An Stelle des so plötzlich abgegangenen Dr. Stolberg wurde der seit vielen Jahren auf dem Gebiete der Heimatgeschichtsschreibung rühmlich bekannte Studienrat i. R. Dr. H. Silberborth mit der Leitung des Archivs beauftragt. Ihm war, wie kaum einem Außenstehenden, die Struktur des Stadtarchivs aus jahrelanger Forschungsarbeit bekannt, und er verstand es, aus der Fülle des vorhandenen Materials nicht nur für sich selbst zu schöpfen, sondern auch anderen fördernde Auskünfte zu geben. Seine eigene schriftstellerische Arbeit und auch die von ihm selbst zugegebene Unlust, sich mit der manuellen und büromäßigen Ordnungsarbeit zu befassen, bewogen ihn jedoch bald, die Verantwortung wieder abzugeben. In einer Denkschrift vom 2. März 1939 gab er dem Schulamt, das seit langem das Dezernat auch für Archiv und Museum hatte, einige Hinweise auf die Archivverhältnisse nebst Verbesserungsvorschlägen. Unter anderm heißt es darin:
Auf Dr. Silberborths Empfehlung hin wurde zum 1. April 1939 der em. Gymnasialprofessor Christian Oelmann als Stadtarchivar berufen. Um die gleiche Zeit gelang es den Bemühungen des damaligen Verwaltungsdirektors Bruno Ernst, der die Wichtigkeit eines exakt arbeitenden „Verwaltungsarchivs“ wohl erkannt hatte, einen Fachmann des Staatsarchivs in Halle für die Betreuung des Nordhäuser Archivs zu verpflichten. Unter dessen Anleitung und in engem Kontakt mit dem Archiv der von altersher befreundeten Stadt Mühlhausen, die bereits seit der Jahrhundertwende einen hauptamtlichen Berufsarchivar hatte, nahm Prof. Oelmann die Neuordnung und Gesamtrepertorisierung der Aktenbestände in Angriff. Diese umfangreiche und mühevolle Arbeit, bei der ihn nur eine junge weibliche Hilfskraft unterstützte, gedieh über den Zettelkatalog hinaus bis zur Anlage eines Bandrepertoriums. Als dann aber mit fortschreitendem Kriege die deutschen Städte mehr und mehr zu Angriffsobjekten wurden, mußte jegliche Archivarbeit zum Erliegen kommen. Die Sicherung der Archivalien wurde die wichtigste Aufgabe der Stunde. Schon 1943 begannen die Auslagerungen in die bombensicheren Tresore der Polizei und der Sparkasse, denen die Überführung weiterer Archivalien in das etwa 20 km von Nordhausen entfernte Dorf Werningerode folgte. Die beiden Großluftangriffe vom 3. und 4. April 1945 trafen und vernichteten dann das Archivgebäude und mit ihm leider noch wertvolle Bestände vor allem der Bücherei. Die Archivalien, die in den Tresoren die Zerstörung der Stadt ohne Schaden überstanden hatten, fielen anschließend zum großen Teil noch gehässigem Unverstand und blinder Zerstörungswut zum Opfer. Der Archivar, der sich mit aller Kraft um ihre Bergung bemühte, war in jenen Tagen der Auflösung aller Ordnung machtlos. Nicht vergessen werden soll die Initiative der städtischen Angestellten Hanna Müller und Olli Schmidt, die unersetzliche Werte aus den Trümmern für das Archiv retteten. Mit der Vernichtung der Stadt Nordhausen und mit dem durch den Krieg beschleunigten Untergang der alten Ordnung war abermals eine Epoche in der Geschichte unseres Archivs zu Ende gegangen. Versuchen wir, das Fazit dieser rund 140 Jahre zu ziehen. Charakteristisch für den Zeitabschnitt der Zugehörigkeit Nordhausens zu Preußen — ungeachtet aller politischen Nuancierung durch Franzosenherrschaft, Weimarer Republik oder Drittes Reich — dürfte die Bewertung des Archivs als eines historisch-wissenschaftlichen Instituts gewesen sein. Das schloß nicht aus, daß dieses Archiv gelegentlich auch einmal der Stadt einen höchst realen Nutzen aus einer dem allgemeinen Gedächtnis entschwundenen Waldgerechtsame einbrachte. Grundsätzlich betrachtete aber der Magistrat das Archiv nicht mehr, wie in der reichsfreien Zeit, als wesentlichen Bestandteil seines Verwaltungsorganismus, sondern befolgte nur schleppend die von der preußischen Regierung durch ihre Staatsarchive gegebenen Direktiven. Aber auch der Staat ließ es bei allgemeinen Anweisungen für das Stadtarchiv im Hinblick auf die in ihm vorhandenen Quellen zur vaterländischen Geschichte bewenden, ohne sich um ihre Ausführung, geschweige denn um die Mittel und die Menschen zu ihrer Ausführung zu kümmern. Infolgedessen glaubte die Stadt, ihrer Pflicht nachgekommen zu sein, wenn sie einen historisch interessierten Mitbürger mit der Verwaltung beauftragte. Ob dieser Mann sich um die Ordnung und Entwicklung des Archivs bemühte oder nur seinem wissenschaftlichen Ehrgeiz frönte, war für die Obrigkeit und die Öffentlichkeit ohne Belang. Trotz wiederholter Hinweise von Sachverständigen, denen man wohl ein maßgebliches Urteil über die Bedeutung der Nordhäuser Archivalien hätte Zutrauen können, trotz der guten Beispiele benachbarter und befreundeter Städte ist es hier nicht zur Anstellung eines hauptberuflichen Archivars gekommen. Die Folge war, daß das sozusagen nur stundenweise besetzte Archiv als Anhängsel des Museums und unter dem „Kulturdezernat“ des Schulamtes zu einer überhaupt nicht zählenden Dienststelle wurde. Die Abgabe der alten Registraturen an das Stadtarchiv blieb dem Zufall überlassen, denn niemand hatte die Vorstellung, daß die Akten von heute die Geschichtsquellen von morgen und mithin den schon im Archiv befindlichen „altertümlichen Sachen“ wesensgleich seien. Wenn unter den geschilderten Verhältnissen dennoch das Nordhäuser Archiv in leidlicher Ordnung erhalten, wissenschaftlich benutzt und literarisch ausgewertet worden ist, so ist das dem Idealismus seiner Archivare zu verdanken. Das Stadtarchiv als Organ der inneren Verwaltung und als historisches Forschungsinstitut (seit 1945)Es ist erstaunlich, daß sofort nach Beseitigung der allerärgsten Unordnung der verwüsteten Stadt und praktisch gleichzeitig mit dem Neuaufbau der städtischen Verwaltung auch das Archiv schon 1945 wieder zu funktionieren begann. Die Initiative ging von Dr. Silberborth aus, der zum Stadtrat gewählt worden war und dem neben einigen sehr realen kommunalpolitischen Dezernaten auch die Leitung des Archivs und des Museums übertragen worden waren. Zunächst wurden die ausgelagerten Archivalien aus der Stadt zusammengeholt und im Keller des Meyenburg-Museums gestapelt. Da die revolutionäre Erregung sich nicht nur gegen alle Reminiszenen des Nazismus, sondern allgemein gegen alle Dokumente „früherer Zelten“ wandte, bedurfte es besonderer Umsicht und Energie, um die Archivbestände vor dem Schicksal zu bewahren, das manchem kleinen Gemeinde- oder herrschaftlichen Gutsarchiv zuteil geworden ist. Zu eigener Sicherheit erwirkte der Archivar im Oktober 1945 einen Bescheid des Kreisschulamtes, daß selbstverständlich auch nazistisches Schriftgut zur Dokumentation der Ortsgeschichte im Stadtarchiv erhalten werden müsse. Im Juni 1946 war die Rückführung auch der Archivalien aus Werningerode beendet. In Ermangelung anderer Räumlichkeiten wurde das gesamte gerettete Archivgut in zwei Kammern im Dachgeschoß des Museums untergebracht, die inzwischen mit Regalen ausgestattet worden waren. Dieses provisorische Domizil war weder heizbar, noch als feuer- oder einbruchssicher anzusehen. Dennoch ist auch hier tüchtige Arbeit geleistet worden. Mit der Sichtung und Neuordnung wurde der ehemalige Studienrat Dr. Hermann Engelhardt beauftragt, der sich dieser mühsamen Aufgabe »mit größter Gewissenhaftigkeit und bedeutendem Verständnis für archivalische Zwecke unterzog. Die Nachprüfung der Urkunden anhand der Heineckschen Regestenbände ergab nur einen minimalen Abgang (etwa 1 Dtzd.), dagegen stellten sich bei Vergleichung der Aktenbestände mit Heinecks Findbüchern (Prof. Oelmanns Repertorium war verbrannt) sehr erhebliche Verluste heraus. Ganz ungeheuerlich aber hatte die Kriegsfurie unter den Amtsbüchern und den sonstigen gebundenen Handschriften, Innungsakten und Chroniken gewütet. Von den rund 580 Nummern dieser Abteilung waren ganze 77 erhalten geblieben, darunter allerdings die ältesten Nordhäuser Statuten (1300—1470), das Mühlhäuser Rechtsbuch (13. Jahrh.), die beiden „libri privilegiorum“ samt den „albis civium“ von 1312, das „Rauhe Buch“ von 1352, der „liber feodalis et censuum perpetuorum ecclesie S. Crucis“ (1330), die 12 Bände Frommannscher „Collectanea“ und einiges andere mehr. Auch den bescheidenen Resten der einst stattlichen Archivbücherei hat Dr. Engelhardt eine vorläufige Ordnung gegeben. Sein Hauptverdienst lag aber in der Anfertigung einer Kartei, die chronologisch das gesamte Material an Urkunden und Akten von 1158—1802 umfaßt und als hervorragendes Mittel zu Erhebungen und Forschungen über die reichsfreie Zeit angesehen werden muß. Mitte September 1947 gab Engelhardt seine Aushilfetätigkeit am Stadtarchiv auf, um eine Stelle als Studienrat in Württemberg zu übernehmen. Inzwischen hatte sich Stadtrat Dr. Siberborth trotz anhaltender körperlicher Leiden neben seinen mannigfachen kommunalen Ämtern und Aufgaben vor allem dem Aufbau des Museums gewidmet. Für das Archiv wirkte er vornehmlich nach außen hin. Die politische Eingliederung Nordhausens in das Land Thüringen und damit die Frage des Überganges der Archivaufsicht von Magdeburg nach Weimar bereiteten ihm, dem geborenen Magdeburger, neben historisch-sachlichen Bedenken rein gefühlsmäßige Kümmernisse. Die von ihm angestrebte Klärung der Zustähdigkeitsverhältnisse hat er nicht mehr erlebt. Gleichwohl war er bis zu seinem Ende unablässig darauf bedacht, die Ergebnisse seiner langjährigen Forschungen zur Stadtgeschichte zu publizieren. Hier handelte es sich zuletzt um eine Darstellung der Verschiebungen in der gesellschaftlichen Struktur der Nordhäuser Bevölkerung während, des Mittelalters, die unter dem Titel „Ministerialität und Bürgertum in der Reichsstadt Nordhausen“ in der Harzzeitschrift 1950 (zur Hälfte) erschienen ist. Eine Fortsetzung des Themas zu den beruflichen und, gesellschaftlichen Umschichtungen im 15. und 16. Jahrhundert, ja selbst des 17. und 18. Jahrhunderts, für die Ingenieur Paul Henze in Nordhausen in jahrelanger Arbeit die archivalischen Unterlagen zusammengetragen hatte, machte Silberborths Hinscheiden am 9. Oktober 1949 zunichte. Mit der Fortführung der seit Engelhardts Ausscheiden fast zum Stillstand gekommenen Archivarbeit wurde auf Vorschlag des Leiters der allgemeinen Abteilung (vordem Verwaltungsdirektor), Bruno Ernst, der Verfasser dieser Abhandlung betraut. Da die Neubesetzung des Archivs (15. November 1949) fast gleichzeitig mit der gesetzgeberischen Reorganisation des Archivwesens in der Deutschen Demokratischen Republik erfolgte, konnte weder für den neuen Archivar noch für die Stadtverwaltung ein Zweifel über die Bedeutung, die Zwecke und Methoden eines fortschrittlichen Stadtarchivs bestehen. Waren allerdings die Richtlinien in der „Anordnung über die Aufbewahrung im Geschäftsverkehr nicht mehr benötigter Schriftstücke und Akten“ vom 28. Dezember 1949, in der „Verordnung über das Archivwesen in der DDR“ vom 13. Juli 1950 und in den beiden Anordnungen vom 26. Februar 1951 „zur Errichtung von Verwaltungsarchiven“ und „zur Errichtung von Stadt- und Kreisarchiven“ gegeben, so konnte ihre Verwirklichung erst in Angriff genommen werden, nachdem die Stelle des städtischen Archivars im Februar 1952 in eine hauptamtliche umgewandelt worden war. Ausschlaggebend war schließlich die Übersiedlung des Archivs aus den beiden Bodenkammern des Museums in zunächst drei Zimmer des aus Ruinen neu erstandenen Alten Rathauses am 15. September 1952. Hier, inmitten einer lebendigen Verwaltung, entwickelte das Archiv in verständnisvoller Zusammenarbeit mit den übrigen Dienststellen seine eigene Aktivität. Es wäre verfehlt, im Rahmen dieser historischen Darstellung des Stadtarchivs etwa über seine gegenwärtigen Aufgaben und deren Bewältigung u berichten oder gar Pläne, Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft zu äußern. Einem zusammenfassenden Gedanken soll aber noch Raum gegeben werden, der auch den Zweck dieser Schrift bestimmte. Auf dem ersten Kongreß der Archivare der DDR in Weimar (28. bis 30. Mai 1952) sagte der Leiter der Hauptabteilung Archivwesen im Ministerium des Innern der Regierung der DDR, Dr. Otto Korfes:
Es bedarf keiner besonderen Betonung und geht zur Genüge aus dem Wortlaut der ergangenen Verordnungen und Anordnungen hervor, daß diese vielseitige Aufgabenstellung ein städtisches Archiv genau so verpflichtet wie ein staatliches. Es dürfte aber aus dem 2. Abschnitt dieser Abhandlung deutlich geworden sein, wie sehr in vergangener Zeit in unserem Archiv die wissenschaftliche Seite zum Nachteil der verwaltungsmäßigen Belange bevorzugt worden ist. Wenn also jetzt die Verwaltungsfunktion des Stadtarchivs heller beleuchtet wurde, so nicht nur um der Gerechtigkeit willen. Dadurch, daß das Stadtarchiv aus seiner Isolierung herausgenommen und als Dienststelle der inneren Verwaltung eingegliedert und dem Bürgermeister direkt unterstellt worden ist, hat es neue Bedeutung als Ordnungsfaktor gewonnen, neue Bedeutung als „Arsenal“ und als „Gedächtnis“ der Verwaltung, in dem Klugheit und Torheit, das Kommen und Gehen unserer Vorgänger und dereinst auch unsere eigenen Taten und. Unterlassungen sachlich nebeneinander zu finden sind. Wer aber kann ohne die Selbstkritik, die auf Erinnerung beruht, Produktives und Dauerhaftes zuwege bringen? QuellenhinweiseErklärung der Fremdwörter |