Das Gymnasium im 17. Jahrhundert
Das Gymnasium im 17. Jahrhundert
Im Jahre 1974 sind 450 Jahre vergangen, seitdem durch Ratsbeschluß vom 26. September 1524 die Reformation ihren offiziellen Einzug in die Stadt Nordhausen hielt. Damit fällt zusammen die Entstehung der „gemeinen und freien Schule“, die, an St. Blasii durch Johannes Spangenberg errichtet, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts „Rats“- oder „Stadtschule“, dann auch „lateinische Schule“ genannt, etwa ab 1700 die Bezeichnung „Gymnasium“ führte. Darum kann das Jahr 1524 als Gründungsjahr des Nordhäuser Gymnasiums angesehen werden. So wurde im Jahre 1924 des 400jährigen Bestehens des Gymnasiums in Nordhausen feierlich gedacht, wie es schon genau 100 Jahre zuvor eine Jubelfeier gegeben hatte. Zur Geschichte des Nordhäuser Gymnasiums sind in dem von unserem Heimatbund herausgegebenen Schrifttum bereits zwei Abschnitte von mir näher beschrieben. Im großen Nordhausen-Buch (1965) wird über das Geschehen im 19. und 20. Jahrhundert berichtet, während sich ein später erschienener Aufsatz in den „Nordhäuser Nachrichten“ mit dem Gründungsjahrhundert befaßt. Nachfolgend sei aus Anlaß des 450jährigen Bestehens auf die anschließende Zeit eingegangen. Dazu werden Teile einer Gesamtdarstellung aus meiner Feder über „Das Gymnasium zu Nordhausen“ übernommen, die in der „Geschichte bedeutender Schulen Mitteldeutschlands“, herausgegeben vom Mitteldeutschen Kulturrat Bonn, Aufnahme gefunden hat. Das erste Jahrhundert der Geschichte unserer Schule ging, wie dort näher beschrieben, nicht glücklich zu Ende. Als Johannes Spangenberg, aus seinem Pfarramt an der Kirche St. Blasii nach rund 22 Jahren schied, um auf Bitten Luthers als Generalsuperintendent nach Eisleben zu gehen, fand sich unter seinen Nachfolgern lange Zeit keine Persönlichkeit als Rektor, die ihm nahe gekommen wäre. Da auch weiterhin Geistliche dieses Amt innehatten, litt es mehr und mehr unter den aufkommenden dogmatischen Streitigkeiten der evangelischen Theologen. Dabei tat sich der Rektor Magister Andreas Fabrizius, später Pfarrer von St. Petri, besonders hervor. In seiner Streitsucht wurde er von dem bekannten Michael Neander bestärkt, der von Nordhausen an die Klosterschule Ilfeld ging. Das Ergebnis war, daß das Interesse der Obrigkeit am Schulwesen stark zurückging, was auch zur Folge hatte, daß die Lehrergehälter zum Nachteil der Qualität des Lehrpersonals weiter unzulänglich wlaren. Der Rat der Stadt Nordhausen suchte im Jahre 1583 dem Verfall durch die Einführung einer strafferen Schulordnung entgegenzuwirken. Sie brachte vor allem ein Kuratorium, das aus 2 Geistlichen und 3 Gelehrten, „sittenreinen und untereinander verträglichen“ Ratsherren, bestand und die Theologen in die Minderheit drängte. Außerdem wurden Schulinspektoren eingesetzt, die eine Schulkasse zu verwalten hatten, aus der die Lehrergehälter bezahlt wurden. Im Jahre 1608 konnte Laurentius Pockenstein, wenn vielleicht auch ein wenig zu wohlwollend, in seinem „Theatrum saxonicum“ schreiben: „Diese vornehme Reichsstadt Nordhausen hat jederzeit das Lob gehabt, daß darinnen Kirchen und! Schulen wohl und weislich bestellt gewesen.“ Streit der Pfarrer und RektorenDie Einrichtung der Schulinspektoren wirkte sich mit der Zeit auch negativ aus, weil sie zu heftigen Spannungen mit den auch aus dem Theologenstande stammenden Rektoren führte, deren Wirken es im weiteren Ablauf des 17. Jahrhunderts nun zu verdanken war, daß das Schulleben einigermaßen gesund blieb. Die nicht selten herrschsüchtige Geistlichkeit an den Kirchen suchte den Rektoren ihren Willen auf zwingen. Starke Persönlichkeiten litten ohnedies unter der Beengung durch die Inspektoren, so daß zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Rektoren häufig, der Schule zum Nachteil, wechselten, weil sie lieber eine Pfarre oder eine theologische Professur in Jena oder Halle übernahmen. Andererseits kam es nicht selten vor, daß die Inspektoren ihre Aufsichtspflichten nur gleichgültig wahrnahmen, weshalb schon 1604 der Rat eine ernste Mahnung aussprach. Unter tüchtigen Rektoren kamen die Gegensätze drastisch zum Ausbruch, zunächst unter dem fachlich hervorragenden, aber recht eigenwilligen Rektor Gibert (1633 bis 1643), der, gebürtiger Jenenser, von Saalfeld nach Nordhausen kam. Auf seine Veranlassung wurden die gemäß der Schulordnung zu veranstaltenden Komödienspiele neu aufgenommen, wie er auch den guten Ruf der Schule wiederherstellte. Im Jahre 1643 wurde unter seiner Regie eine „engeländische Komödie“ in deutscher Umdichtung aufgeführt, wie von Gibert mit allerhand Ausfällen gegen die Geistlichkeit gespickt war. Obwohl Gibert im Jahre 1640 eine Schulordnung - mit erster Festlegung bestimmter Klassenziele - geschaffen hatte, in der er die Schule als „Rüstkammer zum Kampf für den wahren und echten Glauben gegen die Häretiker und zur Verteidigung des Wohlergehens und der Sicherheit des Staates“ bezeichnete, konnten ihn seine Freunde im Rat gegen den Zorn der Geistlichkeit nicht schützen, die erklärte, öffentlich aufs gröbste beleidigt zu sein. Sie erzwang die Einberufung einer Untersuchungskommission durch den Rat, die schließlich Gibert aufforderte, sein Unrecht in einem Revers schriftlich einzugestehen. Da er dies ablehnte, erkannte der Rat auf Absetzung und Entfernung aus der Stadt. Auch sein Nachfolger, der körperlich schwächliche und sich ganz und gar in seine Gelehrtenstube zurückziehende Rektor Hoffmann (1644 bis 1663), unter dem eine 7. Klasse eingeführt wurde, hatte es mit der Geistlichkeit sehr schwer. Als an der Schule zwei Söhne eines streitbaren Pastors wegen Schwänzen des Unterrichts vermahnt und gar gezüchtigt wurden, kam es zu offenen Angriffen gegen ihn. Hoffmann gab sehr zum Nachteil seines Ansehens nach, und die Geistlichkeit konnte triumphieren, da der Rat nun den Rektor vermahnte und zu dem Versprechen veranlaßte, sich künftig gehorsamer zu verhalten. Hoffmann hielt es dennoch zwanzig Jahre, bis zu seinem Tode 1663, aus. Dem Zwist mit den Geistlichen der Stadt fiel auch sein Nachfolger, einer der tüchtigsten Rektoren seit Gründung der Schule, der Walkenrieder Friedrich Hildebrand (1663 bis 1674), zum Opfer. Sein Unterricht war geistreich und begeisternd. Zugleich war er ein tüchtiger Mensch, religiös eingestellt und ein ehrlicher Freund der Jugend. Er schätzte Spiel und Geselligkeit. So zog sein Ruf viele ältere Schüler nach Nordhausen. Bald waren die Klassen der Prima zu eng, da selbst aus Sachsen und Brandenburg Schüler kamen. Zeitweise besuchten 160 Schüler die Prima. Obwohl Hildebrand ein frommer und eifriger Protestant war, geriet er zu den Vertretern der Orthodoxie in starken Gegensatz. Sie griffen den Rektor äußerst scharf an, als er ein harmloses evangelisches Büchlein, des Prätorius-Statius „Geistliche Schatzkammer“, das den Orthodoxen nicht paßte, seinen Jugendlichen, empfahl. Besonders betätigte sich dabei der Diakonus der Nikolai-Kirche, der Hildebrand sogar von der Kanzel herab beschimpfte. Dem hervorragenden Schulmann wurde dadurch das Leben in der Stadt derart vergällt, daß er im Jahre 1674 an das Gymnasium zu Merseburg ging, wo er 1687 im 62. Lebensjahre verstarb. Nach diesen trotz allem für sie glanzvollen Jahrzehnten geriet die Schule 1682 durch die in Nordhausen herrschende Pest in ein böses Geschick. Sie mußte das ganze Jahr über geschlossen werden. Von 366 Schülern starben 170. Da 90 Schüler zudem nach dem Pestjahr nicht nach Nordhausen zurückkamen, konnte man die Wiedereröffnung im April 1683 nur mit 112 Knaben vornehmen, so daß die Schule zunächst ein bescheidenes Dasein führte. SchülerfesteNeben Arbeit, Streit und Leid gab es auch fröhliche Feste für Nordhausens Gymnasiasten. Das fröhlichste, geradezu ausgelassene war das Gregorsfest, das am 12. März gefeiert wurde. Es begann mit einem Umzug der gesamten Schülerschaft durch die Straßen der Stadt, der an der Hauptkirche endete. Dort hielt ein als Bischof verkleideter Schüler eine Predigt, die, launisch, satirisch und mehr oder weniger witzig, sich oft nicht scheute, gottesdienstliche Handlungen zu parodieren. Im Anschluß daran wurden die Kleinen mit Naschwerk beschenkt, während die älteren Schüler sich zu einem Festmahl zusammensetzten. Übertreibungen bei Satire und Parodie führten 1671 zur Abschaffung des Festes. Viel Fröhlichkeit brachte den Schülern das vor Pfingsten gefeierte Maienfest, auch Rutenfest genannt, das schon aus der Zeit der lateinischen Domschule stammte. Man wanderte an drei Tagen in der Woche vor Pfingsten in die wenige Kilometer westlich der Stadt gelegene Kohnsteinwälder und erfreute sich an Reigen, Theateraufführungen und fröhlichem Nichtstun. Zwischendurch wurden Birken-reiser geschnitten, die am Abend auf den Wagen geladen und bis an den Eingang der Stadt gefahren wurden. Dort erhielt jeder Schüler seinen Birkenzweig. Im langen Zuge ging es bis zum Rathaus, wo man vor der zusammengeströmten Menge Lieder sang und dann den größten Teil des Birkengrüns an die Bürger verteilte, damit sie ihre Häuser zum Pfingstfest schmücken konnten. Ein geringfügiger Rest der Reiser wurde für erzieherische Zwecke des Gymnasiums zurückbehalten, wobei nicht zu übersehen ist, daß nach der Meinung unserer Vorväter ein Streich mit einem Birkenzweig Glück und Vorankommen bringt. Von den LehrernAls Lehrer waren im 16. Jahrhundert Geistliche oder jüngere Theologen tätig, die sich als Erzieher versuchten, bis sie ein Pfarramt erhielten. Darunter befanden sich auch fahrende Scholaren ohne pädagogische Vorkenntnisse und mit nicht immer vorbildlichem Lebenswandel. In der Unterstufe unterrichteten öfter ältere Schüler unter Aufsicht eines erfahrenen Lehrers. Die Lehrerbesoldung wurde vom Rat getragen. Die Eltern hatten im allgemeinen Schulgeld zu zahlen, während für ärmere Schüler Mittel durch das Kurrendesingen vor den Häusern aufgebracht wurden. Besonders einträglich war das Neujahrs-Umsingen. Es dauerte 8-14 Tage und führte zu Einladungen der Lehrer und der Sänger in die Häuser. Bei den Leichenbegängnissen der wohlhabenden Familien wirkte die gesamte Schülerschaft mit, während bei Hochzeiten wenigstens die älteren Schüler deklamierten und sangen. Das Gehalt der Lehrer blieb vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fast dasselbe. Es war für den Rektor mit 100 Talern, ab Mitte des 18. Jahrhunderts mit 200 Talern ausreichend, für die Lehrer dagegen völlig unzureichend. Jeder Lehrer erhielt ein Bargehalt von 40 Talern, freie Wohnung oder Wohnungsgeld und eine Zuteilung von Getreide und Holz, bis ins 17. Jahrhundert auch von Bier. Die Lehrer waren darum auf außerordentliche Einnahmen dringend angewiesen, die ihnen als Neujahrsgeld vom Neujahrssingen und Zinsanteil von den Legaten sowie vor allem aus Privatunterricht zuflossen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgte eine Ablösung der Neujahrsgelder durch eine Zahlung des Rates in Höhe von 23 Talern. So dienten die Einnahmen der Kurrende und des sich aus ihr entwickelnden Schulchores nun der Unterstützung armer Schüler. Sein Ende fand das Neujahrssingen erst im Jahre 1849, als der Schulchor wegen der zunehmienden Interesselosigkeit der Bürgerschaft am Chorgesang infolge anderer Unterhaltungsmöglichkeiten in eine Krise geriet. Die weitere Geschichte unseres Gymnasiums, das übrigens in der vorstehend geschilderten Zeit in dem ehemaligen Dominikanerkloster in der Predigerstraße, auf dem Gelände der späteren Mathilden-Mädchen-Mittelschule, untergebracht war, sei für die Jahre zwischen 1700 und 1800 einem späteren Bande unserer „Historischen Nachrichten“ vorbehalten. Heinz Sting.
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