Idioticon der nord-thüringischen Mundart: Unterschied zwischen den Versionen

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* Dieser Text wurde teilweise Korrektur gelesen und spiegelt somit keinen endgültigen Bearbeitungsstand wider.
* Das gesamte Buch wurde in Kleinschreibung verfaßt. Dieser Text wurde teilweise Korrektur gelesen und spiegelt somit keinen endgültigen Bearbeitungsstand wider.
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==Vorwort ==
==Vorwort ==


Zu den lieblingsbestrebungen des allzufrüh verblichenen meisters deutscher Wissenschaft, A. Schleicher,
Zu den Lieblingsbestrebungen des allzu früh verblichenen Meisters deutscher  
gehörte die aufstellung einer vergleichenden grammatik
Wissenschaft, A. Schleicher, gehörte die Aufstellung einer vergleichenden Grammatik
aller lebenden deutschen dialecte, sowie die Sammlung des
aller lebenden deutschen Dialekte, sowie die Sammlung des unter die einzelnen Stämme
unter die einzelnen stamme vertheilten deutschen sprachgutes. Als nothwendige vorarbeiten für ein solches unternehmen bezeichnete er die grammatische behandlung der
verteilten deutschen Sprachgutes. Als notwendige Vorarbeiten für ein solches  
verschiedenen mundarten durch angehörige der betreftenden
Unternehmen bezeichnete er die grammatische Behandlung der verschiedenen
landschaften. Nun existieren auch bereits idiotica und
Mundarten durch Angehörige der betreffenden Landschaften. Nun existieren auch bereits  
lexica mehrerer ober- und niederdeutscher dialecte, es
Idiotica und Lexika mehrerer ober- und niederdeutscher Dialekte, es fehlt jedoch noch  
fehlt jedoch noch unendlich viel, um eine übersieht über
unendlich viel um eine Übersicht über das Gesamtgebiet zu ermöglichen. Am wenigsten  
das gesammt-gebiet zu ermöglichen. Am wenigsten
literarisch gebraucht und wissenschaftlich behandelt sind die Mundarten
literarisch gebraucht und wissenschaftlich behandelt sind
Mitteldeutschlands, wahrscheinlich weil sie bei den „gebildeten“ jener Gegenden einer  
die mundarten Mitteldeutschlands, wahrscheinlich weil sie
größeren Verachtung begegnen, als dies bei den Bewohnern Süddeutschlands einerseits  
bei den „gebildeten“ jener gegenden einer grösseren Verachtung begegnen, als dies bei den bewohnern Süddeutschlands einerseits und der norddeutschen tiefebene andererseits der fall ist. Das vorliegende büchlein soll der ausfüllung dieser lücke, wenn auch nur in sehr beschränktem
und der Norddeutschen Tiefebene andererseits der Fall ist. Das vorliegende Büchlein soll  
kreise, dienen helfen.
der Ausfüllung dieser Lücke, wenn auch nur in sehr beschränktem Kreise, dienen helfen.
 
Der nordthüringische Dialekt unterscheidet sich von allen anderen rein oberdeutschen  
Der nord-thüringische dialect unterscheidet sich von
Mundarten, denen er im übrigen ganz entschieden angehört, lautlich besonders durch die
allen anderen rein oberdeutschen mundarten, denen er im übrigen ganz entschieden angehört, lautlich besonders durch
eigentlich niederdeutsche Erweichung des s vor Vokalen.  
die eigentlich niederdeutsche erweichung des s vor vocaleu.
Speciell vom siidthüringischen und meissnisch-obersächsischen
dialecte, dem er sonst am nächsten verwandt ist, unter-
scheidet er sich dadurch, dass er die media vor vocalen
duldet, die dort regelmässig in die „trockene“ tenuis übergeht. Der Oberdeutsche im allgemeinen spricht „sein“
und „wessen", der Süd-Thüringer im besonderen „kinter“
und „wieter", während der Nord-Thüringer, wie der Nieder-
deutsche, „sein“ und „wesen“ (niederl. zijn, wezen), sowie „kinder“ und „wieder“ sagt. Der dialect hat seinen
hauptsitz am südrande des Unterharzes, besonders in der
ehemaligen grafschaft Hohenstein, Den mittelpunkt des
bezirks, in dem er gesprochen wird, bildet die Stadt Nord-
hausen. Rings um dieselbe hört man ihn in grösserer oder
geringerer eigenthümlichkeit in den kleineren Städten, flecken
und dörfern des kreises Nordhausen und des amts Hohenstein (Ilfeld). Sein gebiet grenzt im osten an das zum
meissnisch-obersächsischen gehörige mansfeldische, im
Süden an das eigentlich (süd-)thüringische und im Südwesten
au das eichsfeldische gebiet, welches letztere den Übergang
bildet zum fränkischen. Nach norden und nordwesten bezeichnet es, abgesehen von den fränkischen bergstädten
des Oberharzes, die äusserste grenze der oberdeutschen
gegen die niederdeutsche (niedersächsische) spräche.
Während man in EUrich noch den liohensteinischcn dialect
hört, reden die Bcnneckensteiner bereits eine rein nieder-deutsche mundart.
 
In früheren Zeiten war dieser dialect in Nordhausen
die allgemeine Umgangssprache, und zwar derart, dass er
nicht nur im gewöhnlichen verkehr von vornehmen und
geringen geredet wurde, sondern dass selbst bis in dies
Jahrhundert hinein die lehrer der unteren classen am
gymnasium sich oft desselben bedienten. Nur auf der
kanzel, in der gerichtsstube und in den höheren gymnasial-
classen gebrauchte man die Schriftsprache. Gegenwärtig
kommt er immer mehr in verfall, was seineu grund darin
hat, dass in den höheren ständen fremde demente zu über-
wiegen anfangen. Man hört ihn jetzt, ausser gelegentlich
im schoosse weniger alter familien, nur noch in den niederen
Volksschichten, Zum schriftlichen verkehr ist er wohl nie
benutzt worden, nur ihre poetischen (?) ergüsse haben bis-
weilen uordhäuser bürger in dieser mundart zu papier
gebracht.


Bei der vielfachen berührung, in welche die Nordhäuser, besonders nach der incorporation der stadt in
Speziell vom südthüringischen und meissnisch-obersächsischen Dialekte, dem er sonst
Preussen (1803 und zum zweiten male 1814), mit den
am nächsten verwandt ist, unterscheidet er sich dadurch, dass er die Media vor Vokalen
eingewanderten „fremden“ kamen, fiengeu sie an, sich ihrer
duldet, die dort regelmäßig in die „trockene“ Tenuis übergeht. Der Oberdeutsche im
spräche zu schämen und sich jenen, die alle mehr oder
allgemeinen spricht „sein“ und „Wesen“, der Südthüringer im besonderen „Kinter“ und
weniger richtig „hochdeutsch“<ref>Unter hochdeutsch (hd.) wird hier überall die jetzt gebräuchliche Schriftsprache verstanden, unter alt- und mittelhochdeutsch (ahd. und luhd.) die von der Wissenschaft so benannten älteren dialecte.</ref> sprachen, zu accommodieren.
„wieter“, während der Nordthüringer, wie der Niederdeutsche, „sein“ und „Wesen“
Statt nun aber den volksdialect ganz zu beseitigen, und
( Niederländisch zijn, wezen), sowie „Kinder“ und „wieder“ sagt. Der Dialekt hat seinen
80 zu sprechen, wie man schrieb, begnügte man sich, denselben durch aufnähme hochdeutscher laute und formen zu
Hauptsitz am Südrande des Unterharzes, besonders in der ehemaligen Grafschaft
verbessern. Man beeilte sich, das ae heller (mehr wie ä) auszusprechen und ii (i^) und uu (ü^) in die diphthonge
Hohenstein. Den Mittelpunkt des Bezirks, in dem er gesprochen wird, bildet die Stadt
ei und au zu verwandeln, sträubte sich jedoch entschieden z. b. gegen die aufnahme hochdeutscher dativformen mir, dir, ihm.
Nordhausen. Rings um dieselbe hört man ihn in größerer oder geringerer
Eigentümlichkeit in den kleineren Städten, Flecken und Dörfern des Kreises Nordhausen
und des Amts Hohenstein (Ilfeld). Sein Gebiet grenzt im Osten an das zum meissnisch-
obersächsischen gehörige mansfeldische, im Süden an das eigentlich (süd-) thüringische
und im Südwesten an das eichsfeldische Gebiet, welches letztere den Übergang bildet
zum fränkischen. Nach Norden und Nordwesten bezeichnet es, abgesehen von den
fränkischen Bergstädten des Oberharzes, die äußerste Grenze der oberdeutschen gegen  
die niederdeutsche (niedersächsische) Sprache.  


So ist es gekommen, dass man jetzt in Nordhausen
Während man in Ellrich noch den hohensteinischen Dialekt hört, reden die  
drei mundarten kennt, die reine hochdeutsche, die von
Benneckensteiner bereits eine rein niederdeutsche Mundart.
fremden und von solchen eingeborenen gesprochen wird,
In früheren Zeiten war dieser Dialekt in Nordhausen die allgemeine Umgangssprache
die durch langen Umgang mit fremden den Widerwillen
und zwar derart, dass er nicht nur im gewöhnlichen Verkehr von vornehmen und
gegen dieselbe überwunden haben; ferner die reine nordhiisische (sonst auch wohl geradezu diitsch genannt), die von
geringen geredet wurde, sondern dass selbst bis in dieses Jahrhundert hinein die Lehrer
bauern, arbeitern und in wenigen alten familien geredet
der unteren Klassen am Gymnasium sich oft desselben bedienten. Nur auf der Kanzel, in
wird; endlich das moderne namenlose gemisch mit dem
der Gerichtsstube und in den höheren Gymnasialklassen gebrauchte man die
hochdeutschen anstrich, das man von vielen leuten des
Schriftsprache. Gegenwärtig kommt er immer mehr in Verfall, was seinen Grund darin
mittelstandes und von den meisten dienstboten hören kann.
hat, dass in den höheren Ständen fremde Elemente zu überwiegen anfangen.  
Es ist dies eine erscheinung, die den benachbarten niederdeutschen gegenden, wo man nur platt und hochdeutsch
Man hört ihn jetzt, außer gelegentlich im Schoße weniger alter Familien, nur noch in den  
kennt, ganz fremd ist.
niederen Volksschichten. Zum schriftlichen Verkehr ist er wohl nie benutzt worden, nur  
ihre poetischen (?) Ergüsse haben bisweilen Nordhäuser Bürger in dieser Mundart zu
Papier gebracht.  


Was die hier angewandte Orthographie betrifft, so
Bei der vielfachen Berührung, in welche die Nordhäuser, besonders nach der
soll sie hauptsächlich die richtige ausspräche angeben,
Inkorporation der Stadt in Preussen (1803 und zum zweiten Male 1814), mit den
ohne jedoch die etymologie zu verdunkeln. Es sind daher
eingewanderten „Fremden“ kamen, fingen sie an, sich ihrer Sprache zu schämen und
die nüancen der vocale sorgfältig unterschieden, auch ist
sich jenen, die alle mehr oder weniger richtig „hochdeutsch“<ref>Unter Hochdeutsch (hd.) wird hier überall die jetzt gebräuchliche Schriftsprache
ihre Quantität bezeichnet, dagegen habe ich mich hin-
verstanden, unter Alt- und Mittelhochdeutsch (ahd. und mhd.) die von der Wissenschaft
sichtlich der consouanten der hochd. srhroibweise möglichst
so benannten älteren Dialekte.</ref>) sprachen, zu
angeschlossen, ihre ausspräche aber in den verschiedenen
accommodieren. Statt nun aber den Volksdialekt ganz zu beseitigen und so zu sprechen,
fällen durch regeln bestimmt. Nur statt des hochd. v ist
wie man schrieb, begnügte man sich, denselben durch Aufnahme hochdeutscher Laute
stets f geschrieben, weil ö als vocal dienen musste. Da
und Formen zu verbessern. Man beeilte sich, das ae heller (mehr wie ä) auszusprechen
die länge der vocale durch Verdoppelung oder Verbindung
und ii (î) und uu (û) in die Diphthonge ei und au zu verwandeln, sträubte sich jedoch
derselben ausgedrückt wird, so ist das dehnende h über-
entschieden z. B. gegen die Aufnahme der hochdeutschen Dativformen mir, dir, ihm.
flüssig geworden, und zwar sogar da, wo es wurzelhaft
So ist es gekommen, das man jetzt in Nordhausen drei Mundarten kennt, die reine
ist (zaen für zehn, zie für ziehen); nur wo zwei sylben
hochdeutsche, die von Fremden und von solchen Eingeborenen gesprochen wird, die
bildende vocale zusammentreffen, ist es, um undeutlichkeit
durch langen Umgang mit Fremden den Widerwillen gegen dieselbe überwunden haben;
zu vermeiden, stehen geblieben (ruohig), obwohl es auch da nicht gesprochen wird. Für das in jeder oberdeutschen
ferner die reine nordhiische (sonst auch wohl geradezu diitsch genannt), die von Bauern,  
mundart unberechtigte th ist einfaches t geschrieben. Auch
Arbeitern und in wenigen alten Familien geredet wird; endlich das moderne namenlose
die Verdoppelung der consonanten ist eigentlich überflüssig,
Gemisch mit dem hochdeutschen Anstrich, das man von vielen Leuten des Mittelstandes
da nach jedem betonten kurzen vocal der consonant geschärft lautet. Der deutlichkeit wegen ist sie jedoch,
und von den meisten Dienstboten hören kann. Es ist diese eine Erscheinung, die den
wenigstens im inlaute, in den meisten fällen beibehalten.
benachbarten niederdeutschen Gegenden, wo man nur Platt und Hochdeutsch kennt,
ganz fremd ist.


Da an sprichwörtlichen redensarten nur verhältnissmäßig wenig in diesem dialect existiert, und dies wenige,
Was die hier angewandte Orthografie betrifft, so soll sie hauptsächlich die richtige
mit ausnahme obscöner phrasen des gemeinen lebens, fast
Aussprache angeben, ohne jedoch die Etymologie zu verdunkeln. Es sind daher die
ganz der Schriftsprache entnommen ist, so würde eine
Nuancen der Vokale sorgfältig unterschieden, auch ist ihre Quantität bezeichnet,
Aufzählung derselben nicht viel interessantes bieten. Auch
dagegen habe ich mich hinsichtlich der Konsonanten der hochdeutschen Schreibweise
von kinderliedern und sprechspielen hört man gegenwärtig
möglichst angeschlossen, ihre Aussprache aber in den verschiedenen Fällen durch
nur hochdeutsche, die allerdings oft komisch genug verstümmelt sind. Um nun nicht schon gedrucktes noch einmal zu producieren, sah ich mich genöthigt, als sprachprobe einen eigenen kleinen versuch zu geben, an dessen literarischen werth ich einen nicht zu hohen masstab zu
Regeln bestimmt. Nur statt des hochdeutschen v ist stets ƒ geschrieben, weil v als Vokal
legen bitte. Die wähl der Nibelungenstrophe bedarf wohl
dienen musste. Da die Länge der Vokale durch Verdoppelung oder Verbindung
nicht der entschuldigung bei einem dialecte, der dem
derselben ausgedrückt wird, so ist das dehnende h überflüssig geworden und zwar sogar
mittelhochdeutschen so viel näher steht als die Schriftsprache.
da, wo es wurzelhaft ist (zaen  für zehn, zie für ziehen); nur wo zwei Silben bildende
Vokale zusammentreffen, ist es um Undeutlichkeit zu vermeiden, stehen geblieben
(ruohig), obwohl es auch da nicht gesprochen wird. Für das in jeder oberdeutschen
Mundart unberechtigte th ist einfaches t geschrieben. Auch die Verdoppelung der
Konsonanten ist eigentlich überflüssig, da nach jedem betonten kurzen Vokal der
Konsonant geschärft lautet. Der Deutlichkeit wegen ist sie jedoch, wenigstens im Inlaute,
in den meisten Fällen beibehalten. Da an sprichwörtlichen Redensarten nur  
verhältnismäßig wenig in diesem Dialekt existiert und dies wenige, mit Ausnahme
obszöner Phrasen des gemeinen Lebens, fast ganz der Schriftsprache entnommen ist,  
so würde eine Aufzählung derselben nicht viel Interessantes bieten. Auch von
Kinderliedern und Sprechspielen hört man gegenwärtig nur hochdeutsche, die allerdings  
oft komisch genug verstümmelt sind. Um nun nicht schon Gedrucktes noch einmal zu  
produzieren, sah ich mich genötigt, als Sprachprobe einen eigenen kleinen Versuch zu  
geben, an dessen literarischen Wert ich einen nicht zu hohen Maßstab zu legen bitte. Die  
Wahl der Nibelungenstrophe bedarf wohl nicht der Entschuldigung bei einem Dialekte,  
der dem mittelhochdeutschen so viel näher steht als die Schriftsprache.


: Cüstrin, im October 1873.
:Cüstrin , im Oktober 1873  
: Der Verfasser.
:Der Verfasser.


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
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[[Kategorie:Quellentexte]]
[[Kategorie:Quellentexte]]
[[Kategorie:Mundart]]

Aktuelle Version vom 21. Mai 2016, 10:02 Uhr

Idioticon der nord-thüringischen Mundart
Idioticon der nord-thüringischen Mundart (Cover)
Untertitel den Bürgern Nordhausens gewidmet
Autor Martin Schultze
Verlag Nordhausen : Förstemann
Erscheinungsjahr 1874
Umfang VII, 69 Seiten
 Im Bestand der Stadtbibliothek Nordhausen.
Stand: 20. Mai 2016
Digitalisat:
PDF (Text, 46 Seiten, 0,3 MB);
PDF (Scan, 86 Seiten, 3 MB)
Editionsrichtlinien:
  • Das gesamte Buch wurde in Kleinschreibung verfaßt. Dieser Text wurde teilweise Korrektur gelesen und spiegelt somit keinen endgültigen Bearbeitungsstand wider.

Vorwort[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu den Lieblingsbestrebungen des allzu früh verblichenen Meisters deutscher Wissenschaft, A. Schleicher, gehörte die Aufstellung einer vergleichenden Grammatik aller lebenden deutschen Dialekte, sowie die Sammlung des unter die einzelnen Stämme verteilten deutschen Sprachgutes. Als notwendige Vorarbeiten für ein solches Unternehmen bezeichnete er die grammatische Behandlung der verschiedenen Mundarten durch Angehörige der betreffenden Landschaften. Nun existieren auch bereits Idiotica und Lexika mehrerer ober- und niederdeutscher Dialekte, es fehlt jedoch noch unendlich viel um eine Übersicht über das Gesamtgebiet zu ermöglichen. Am wenigsten literarisch gebraucht und wissenschaftlich behandelt sind die Mundarten Mitteldeutschlands, wahrscheinlich weil sie bei den „gebildeten“ jener Gegenden einer größeren Verachtung begegnen, als dies bei den Bewohnern Süddeutschlands einerseits und der Norddeutschen Tiefebene andererseits der Fall ist. Das vorliegende Büchlein soll der Ausfüllung dieser Lücke, wenn auch nur in sehr beschränktem Kreise, dienen helfen. Der nordthüringische Dialekt unterscheidet sich von allen anderen rein oberdeutschen Mundarten, denen er im übrigen ganz entschieden angehört, lautlich besonders durch die eigentlich niederdeutsche Erweichung des s vor Vokalen.

Speziell vom südthüringischen und meissnisch-obersächsischen Dialekte, dem er sonst am nächsten verwandt ist, unterscheidet er sich dadurch, dass er die Media vor Vokalen duldet, die dort regelmäßig in die „trockene“ Tenuis übergeht. Der Oberdeutsche im allgemeinen spricht „sein“ und „Wesen“, der Südthüringer im besonderen „Kinter“ und „wieter“, während der Nordthüringer, wie der Niederdeutsche, „sein“ und „Wesen“ ( Niederländisch zijn, wezen), sowie „Kinder“ und „wieder“ sagt. Der Dialekt hat seinen Hauptsitz am Südrande des Unterharzes, besonders in der ehemaligen Grafschaft Hohenstein. Den Mittelpunkt des Bezirks, in dem er gesprochen wird, bildet die Stadt Nordhausen. Rings um dieselbe hört man ihn in größerer oder geringerer Eigentümlichkeit in den kleineren Städten, Flecken und Dörfern des Kreises Nordhausen und des Amts Hohenstein (Ilfeld). Sein Gebiet grenzt im Osten an das zum meissnisch- obersächsischen gehörige mansfeldische, im Süden an das eigentlich (süd-) thüringische und im Südwesten an das eichsfeldische Gebiet, welches letztere den Übergang bildet zum fränkischen. Nach Norden und Nordwesten bezeichnet es, abgesehen von den fränkischen Bergstädten des Oberharzes, die äußerste Grenze der oberdeutschen gegen die niederdeutsche (niedersächsische) Sprache.

Während man in Ellrich noch den hohensteinischen Dialekt hört, reden die Benneckensteiner bereits eine rein niederdeutsche Mundart. In früheren Zeiten war dieser Dialekt in Nordhausen die allgemeine Umgangssprache und zwar derart, dass er nicht nur im gewöhnlichen Verkehr von vornehmen und geringen geredet wurde, sondern dass selbst bis in dieses Jahrhundert hinein die Lehrer der unteren Klassen am Gymnasium sich oft desselben bedienten. Nur auf der Kanzel, in der Gerichtsstube und in den höheren Gymnasialklassen gebrauchte man die Schriftsprache. Gegenwärtig kommt er immer mehr in Verfall, was seinen Grund darin hat, dass in den höheren Ständen fremde Elemente zu überwiegen anfangen. Man hört ihn jetzt, außer gelegentlich im Schoße weniger alter Familien, nur noch in den niederen Volksschichten. Zum schriftlichen Verkehr ist er wohl nie benutzt worden, nur ihre poetischen (?) Ergüsse haben bisweilen Nordhäuser Bürger in dieser Mundart zu Papier gebracht.

Bei der vielfachen Berührung, in welche die Nordhäuser, besonders nach der Inkorporation der Stadt in Preussen (1803 und zum zweiten Male 1814), mit den eingewanderten „Fremden“ kamen, fingen sie an, sich ihrer Sprache zu schämen und sich jenen, die alle mehr oder weniger richtig „hochdeutsch“[1]) sprachen, zu accommodieren. Statt nun aber den Volksdialekt ganz zu beseitigen und so zu sprechen, wie man schrieb, begnügte man sich, denselben durch Aufnahme hochdeutscher Laute und Formen zu verbessern. Man beeilte sich, das ae heller (mehr wie ä) auszusprechen und ii (î) und uu (û) in die Diphthonge ei und au zu verwandeln, sträubte sich jedoch entschieden z. B. gegen die Aufnahme der hochdeutschen Dativformen mir, dir, ihm. So ist es gekommen, das man jetzt in Nordhausen drei Mundarten kennt, die reine hochdeutsche, die von Fremden und von solchen Eingeborenen gesprochen wird, die durch langen Umgang mit Fremden den Widerwillen gegen dieselbe überwunden haben; ferner die reine nordhiische (sonst auch wohl geradezu diitsch genannt), die von Bauern, Arbeitern und in wenigen alten Familien geredet wird; endlich das moderne namenlose Gemisch mit dem hochdeutschen Anstrich, das man von vielen Leuten des Mittelstandes und von den meisten Dienstboten hören kann. Es ist diese eine Erscheinung, die den benachbarten niederdeutschen Gegenden, wo man nur Platt und Hochdeutsch kennt, ganz fremd ist.

Was die hier angewandte Orthografie betrifft, so soll sie hauptsächlich die richtige Aussprache angeben, ohne jedoch die Etymologie zu verdunkeln. Es sind daher die Nuancen der Vokale sorgfältig unterschieden, auch ist ihre Quantität bezeichnet, dagegen habe ich mich hinsichtlich der Konsonanten der hochdeutschen Schreibweise möglichst angeschlossen, ihre Aussprache aber in den verschiedenen Fällen durch Regeln bestimmt. Nur statt des hochdeutschen v ist stets ƒ geschrieben, weil v als Vokal dienen musste. Da die Länge der Vokale durch Verdoppelung oder Verbindung derselben ausgedrückt wird, so ist das dehnende h überflüssig geworden und zwar sogar da, wo es wurzelhaft ist (zaen für zehn, zie für ziehen); nur wo zwei Silben bildende Vokale zusammentreffen, ist es um Undeutlichkeit zu vermeiden, stehen geblieben (ruohig), obwohl es auch da nicht gesprochen wird. Für das in jeder oberdeutschen Mundart unberechtigte th ist einfaches t geschrieben. Auch die Verdoppelung der Konsonanten ist eigentlich überflüssig, da nach jedem betonten kurzen Vokal der Konsonant geschärft lautet. Der Deutlichkeit wegen ist sie jedoch, wenigstens im Inlaute, in den meisten Fällen beibehalten. Da an sprichwörtlichen Redensarten nur verhältnismäßig wenig in diesem Dialekt existiert und dies wenige, mit Ausnahme obszöner Phrasen des gemeinen Lebens, fast ganz der Schriftsprache entnommen ist, so würde eine Aufzählung derselben nicht viel Interessantes bieten. Auch von Kinderliedern und Sprechspielen hört man gegenwärtig nur hochdeutsche, die allerdings oft komisch genug verstümmelt sind. Um nun nicht schon Gedrucktes noch einmal zu produzieren, sah ich mich genötigt, als Sprachprobe einen eigenen kleinen Versuch zu geben, an dessen literarischen Wert ich einen nicht zu hohen Maßstab zu legen bitte. Die Wahl der Nibelungenstrophe bedarf wohl nicht der Entschuldigung bei einem Dialekte, der dem mittelhochdeutschen so viel näher steht als die Schriftsprache.

Cüstrin , im Oktober 1873
Der Verfasser.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Unter Hochdeutsch (hd.) wird hier überall die jetzt gebräuchliche Schriftsprache verstanden, unter Alt- und Mittelhochdeutsch (ahd. und mhd.) die von der Wissenschaft so benannten älteren Dialekte.