Verfallserscheinungen
Abschnitt V.
Die letzten 150 Jahre Freie Reichsstadt.
Kapitel 13.
Verfallserscheinungen.
Der bedeutendste und weitschauendste Staatsrechtslehrer des 17. Jahrhunderts, Samuel Pufendorf, hatte im Jahre 1667 unter dem Pseudonym Severinus de Monzambano ein geistvolles Büchlein geschrieben, in welchem er zum Entsetzen seiner Heidelberger Kollegen das Gebilde des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation einem „Monstrum ähnlich“ erklärte. Tatsächlich lag dieses Römische Reich schon seit Jahrhunderten schwer krank, nach 1648 lag es auf dem Sterbebette. Unter diesem langsamen Absterben litten naturgemäß vor allem diejenigen Glieder des Reiches, die sich ihm noch am meisten deshalb verbunden fühlten, weil sie allein durch das Reich bestehen konnten und für die der Untergang des Reiches zugleich der eigene werden mußte. In dieser Lage war Nordhausen nach dem Jahre 1648. Die ärgsten Bedroher der städtischen Reichsfreiheit waren die Nutznießer beim Tode des Reiches, die souverän gewordenen deutschen Fürsten. Wir hatten ja schon gesehen, daß Kursachsen zwar von 15 zu 15 Jahren für 10000 Gulden sein Schultheißenamt über Nordhausen der Stadt überließ, daß es aber dennoch hoffte, endlich einmal die Freie Reichsstadt seinem Territorium einverleiben zu können. Wir hatten ferner gesehen, wie dem Kurfürstentum Sachsen in Braunschweig- Hannover dadurch ein Nebenbuhler entstand, daß Hannover im Niedersächsischen Kreise eine entscheidende Stellung besaß; und wir hatten endlich gesehen, wie durch die westfälische Beute vom Jahre 1648 Brandenburg-Preußen auf Nordhausen Einfluß gewann. Drei gefährliche Katzen lagerten um der Zufluchtsstätte eines kleinen, dürftigen Mäusleins, welches sein Leben nur noch dadurch eine Zeit lang fristete, daß keines der Katzentiere den anderen den Bissen gönnte. Jedenfalls stand die Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege ganz im Zeichen der nunmehr völlig befestigten Fürstenmacht. Hatten vom 12. bis 14. Jahrhundert Bauer und Adliger der Zeit ihr Gepräge gegeben, können wir die beiden Jahrhunderte von etwa 1350-1550 als die Zeit bürgerlicher Vorherrschaft be zeichnen, so hatten sich nun im 17. Jahrhundert die Fürsten allen anderen Ständen gegenüber durchgesetzt. Die Geldwirtschaft hatte ihnen die Stützen für ihren Thron geschaffen, treuergebene Soldaten und Beamte, und diese scharten sich um den Fürsten, nicht nur um ihn zu schützen, sondern auch, im wohlverstandenen eigenen Interesse, um seine Macht zu erweitern. Diesem wuchtigen Imperialismus der Fürsten gegenüber besaßen weder das Reich noch die Freien Reichsstädte die Organe, die das Vordringen hätten aufhalten können. Nichts beleuchtet diese Zustände besser als ein Vergleich zwischen der politischen Lage der drei Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen im 15. und im 17. Jahrhundert. Im 15. Jahrhundert konnte das Bündnis der drei Städte bestimmend in die Gestaltung sächsischer und thüringischer Verhältnisse eingreifen, Fürsten und Herren fürchteten ihre Macht und gingen mit den Städten Bündnisse auf gleicher Grundlage ein. Im 17. Jahrhundert waren die Städte zur Ohnmacht verdammt; am 28. Oktober 1664 mußte das einst so trotzige Erfurt dem Erzbischof Johann Philipp von Mainz huldigen, nachdem eine nur kurze Belagerung den Widerstand der Stadt gebrochen hatte. Diese Belagerung hatten Truppen der ganz im Banne Frankreichs stehenden Allianz gemeinsam mit Truppen Ludwigs XIV. selbst durchgeführt, Ludwigs XIV., dem die deutschen Fürsten nicht nur als unerreichbarem Vorbilde nachzuahmen suchten, sondern dessen Hilfe zur Befestigung ihres Absolutismus zu gebrauchen sie keine Scheu trugen. Wo aber waren bei dieser Not Erfurts Mühlhausen und Nordhausen geblieben, deren wehrhafte Bürger einstmals mit Gewaffneten und Geschütz ungesäumt zu Hilfe geeilt wären! Sie waren froh, daß sie vorerst vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt waren und klammerten sich um so fester an den einzigen schwacken Halt, der ihnen noch geblieben war, an Kaiser und Reich. In der Tat hielt sich Nordhausen, nachdem der Gesamtheit des deutschen Bürgertums die einstige Kraft entschwunden und die eigene reichsstädtische politische Macht dahin war, nur noch an diesem Anker. Deshalb ist auch zu verstehen, daß es trotz des Bekenntnisses zum Evangelium keine kaisertreueren Untertanen geben konnte als in der Reichsstadt Nordhausen. Voll Loyalität nahm man an den Geschicken der Habsburger teil, feierte ihre Feste und ihre Siege, trauerte bei Tod und Unglücksfall. Besonders feierlich wurde jedesmal der Regierungsantritt eines neuen Kaisers begangen. Gern leistete man dann auch dem neuen Reichsoberhaupte den Huldigungseid, in Sonderheit weil damit jedesmal die Bestätigung der reichsstädtischen Privilegien verbunden war. Zu einer solchen Huldigung entsandte dann der Kaiser irgendeinen Hofrat in die Stadt oder ernannte einen hohen Herrn der nordthüringischen Heimat, der als Stellvertreter des Kaisers die Huldigung in Empfang nehmen sollte. So sprach man noch Jahre lang von der großen Huldigung der Stadt im Jahre 1661, wo Graf Anton Günther von Schwarzburg im Auftrage des Kaisers Leopold in Nordhausen die Huldigung entgegennahm. Für diesen Festakt war auf offenem Markte eine mit rotem Tuche ausgeschlagene Bühne errichtet worden, und hier huldigte nach einer Rede des Stadtsyndikus die gesamte Bevölkerung beim Grafen, unter Mitwirkung des Gymnasiums, dessen Schüler in festlichem Aufzuge und mit Kränzen geschmückt zur Ausgestaltung des Festes beitragen mußten.[1] Damit hatten sich also die Nordhäuser wieder einmal ihrem Kaiser verbunden, den sie später Leopold den Großen nannten, weil er sie gegen Brandenburg zu schützen versuchte, und die städtischen Annalen vergessen nicht zu bedauern, daß die Stadt im Jahre 1706 dem folgenden Kaiser Joseph I. den Treueeid, den Albrecht Anton von Rudolstadt abnehmen sollte, nicht schwören konnte, weil damals die Stadt von den verhaßten Preußen besetzt war, „daß also dem Kaiser Joseph niemals gehuldigt worden“. Ebenso wie Nordhausen an dem Kaiser als seinem einzigen Beschützer festhielt, so auch an den völlig veralteten Einrichtungen des alten Reichs. Beim Reichshofrat im Wien und beim Reichkammergericht in Speyer, später in Wetzlar, unterhielt die Stadt Agenten, die für ein Jahrgehalt die Geschäfte der Stadt bei diesen Behörden führten und sowohl die Stadt gegen andere Reichsstände vertraten, als auch die Interessen des Rates gegen einzelne nicht selten mit dem städtischen Regimente hadernde Teile der Bürgerschaft wahmahmen. Die wichtigste Vertretung der Stadt aber bestand auf dem Reichstage zu Regensburg, der seit 1662 bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1806 dauernd tagte. Um sich gegen die beiden anderen Kurien, die der Kurfürsten und der Fürsten, wenigstens einigermaßen zur Geltung zu bringen, beschlossen die deutschen Reichsstädte im Jahre 1670 eine Umlage, zu der Nordhausen mit jährlich 13 Gulden 5 Groschen 4 Pfennigen, d. h. dem 6. Teile eines sogenannten Römermonats von 80 Gulden, herangezogen wurde. Wie veraltet im übrigen die Vertretung hier auf dem Reichstage war, sieht man daran, daß, obgleich im 16. und 17. Jahrhundert in wirtschaftlicher Beziehung eine völlige Umwälzung stattgefunden hatte, doch noch an den Verhältnissen des 15. Jahrhunderts festgehalten wurde und Städte, die längst von anderen überflügelt worden waren, bei den Abstimmungen des Reichstages noch immer größere Bedeutung hatten als die jugendlich aufstrebenden. So stimmte Nordhausen noch um 1700 nach Mühlhausen, aber vor Bremen und Hamburg. Sonst blieb der Stadt nichts weiter übrig als der Versuch, innerhalb ihrer engeren Interessensphäre den alten Einfluß zu behalten. Deshalb beschickte Nordhausen auch regelmäßig die Tagungen des Niedersächsischen Kreises, erschien also in Lüneburg, in Halberstadt oder wo sonst die Zusammenkünfte stattfanden und beriet hier mit über die Stellung des Kreises zu politischen Verwicklungen und zu wirtschaftlichen Maßnahmen, insbesondere zur Vereinheitlichung der Münze. Nicht selten mußte sich die Stadt auch mit den beiden benachbarten Freien Reichsstädten Mühlhausen und Goslar ins Benehmen setzen über das Kontingent, das sie der Reichsarmee in den vielen Kriegen jenes Zeitalters des Absolutismus zuführen wollte. So einigte sich Nordhausen in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts, als der dritte Raubkrieg Ludwigs XIV. bevorstand, mit Mühlhausen und Goslar dahin, daß die drei Städte zusammen eine Kompagnie unterhalten wollten, zu der Mühlhausen 71, Goslar 54 und Nordhausen 36 Mann stellten. Diese Truppen bestanden natürlich nicht aus Landeskindern und Bürgerssöhnen, sondern aus angeworbenen Söldnern. Denn die alte Freude am Waffenhandwerk war längst dahin, obwohl der Rat bestrebt war, sie gerade in diesen Zeiten der ewigen Raub- und Erbfolgekriege wieder anzufachen. Daher bedeutet es auch nichts mehr als eine schöne Geste, daß in Nordhausen von Zeit zu Zeit die waffenfähige Mannschaft gemustert wurde. 1661 traten bei einer solchen Musterung 926 Mann an. Die Bürger aber wurden deshalb doch nicht kriegslustiger, und das einzige Blut, das bei dergleichen kriegerischen Maßnahmen Nordhausens vergossen wurde, war das Blut eines armen Knaben, der im Jahre 1684 so vorwitzig war, einer solchen Musterung zuzuschauen, und von einem sich zufällig lösenden Schüsse aus dem Gewehr eines sicher sehr kriegsgeübten Bürgers zu Tode getroffen wurde. Doch immerhin, die unruhige Zeit und die Soldatenspielerei der Fürsten förderte selbst in Nordhausen die Neigung, von Zeit zu Zeit statt Ellenmaß, Pfriemen oder Gänsekiel ein Mordgewehr in die Hand zu nehmen. So lebte denn nach dem Dreißigjährigen Kriege auch in Nordhausen die uralte Büchsenbrüderschaft wieder auf. Seit 1694 hielt diese neue „Schützenkompagnie“ ihre Übungen auf dem Bielenrasen ab, und der Rat unterstützte diese zunächst nur der Pflege der Geselligkeit entsprungenen Bestrebungen deshalb, um in den Schützen wenigstens für örtliche Verhältnisse eine billige und brauchbare Schutzpolizei zur Verfügung zu haben. Am 2. August 1694 bestätigte er die noch heute bestehende und blühende Schützenkompagnie, und im folgenden Jahre erhielt sie ihre. Statuten. Aus ihnen ersehen wir auch, daß sich die Tätigkeit der Schützen nicht nur auf die montags stattfindenden Scheibenschießen zunächst auf dem Bielenrasen, doch bald im Frauenberggraben beschränkte, sondern daß sie der Stadt auch durchaus wertvolle Dienste durch den Schutz der Grenzen und die Verfolgung von diebischem Gesindel, besonders von Zigeunern, zu leisten hatten.[2] Natürlich war das Eingreifen der Kompagnie nur in ganz besonderen Fällen vorgesehen; sonst hatte man ja zur gewöhnlichen Überwachung der Flurgrenzen Polizisten und Zollbeamte. Aber die Stadt besaß in den Bielschen Bauern Nachbarn, die immer wieder versuchten, am Roßmannsbach die Grenzsteine gegen städtisches Gebiet vorzurücken, besaß im Kirchhofholze an der Petersdorfer Grenze ein vielumstrittenes Wäldchen, besaß auch in dem heimischen Geschlechte der Rüxleben dauernd ziemlich unruhige adlige Herren, an denen eine friedliche Bürgerschaft den größten Anstoß nehmen mußte. Noch 1675 soll ein Herr Wilhelm von Rüxleben wegen Stegreifreitens in Dresden hingerichtet worden sein, und am 1. Mai 1681 - wegen der Walpurgisnacht plädieren wir für mildernde Umstände - holte die Nordhäuser Polizei einen anderen Rüxleben aus einer verrufenen Gasse des Frauenberges heraus, und da der streitbare und lustige Herr den Stadtsoldaten offenbar nicht wenig zu schaffen machte, mußten 300 Bürger aufgeboten werden, ihn in Ketten zu legen und also schmachvoll gefesselt an Schwarzburg auszuliefern. Ein weiteres Kennzeichen der Zeit war es, daß das römische Recht allenthalben das alte bodenständige verdrängt hatte und Juristen nunmehr die Staaten regierten. Die Prozeßakten häuften sich, die neuen Verordnungen überstürzten sich, und eine hochmütige Bürokratie ließ sich von den hochbesteuerten Bürgern und schwer fronenden Bauern gut bezahlen. Wir nähern uns bedenklich dem tintenklecksenden Säkulum. Freilich war es nach dem großen Kriege dringend nötig, in die während der Kriegswirren durcheinander geratenen Akten einige Ordnung zu bringen. Daher machte sich auch in Nordhausen der Syndikus Titius in den fünfziger Jahren zunächst einmal daran, die aus Brand und Pest und Krieg in die neue Zeit hinübergeretteten Urkunden und Archivalien zu sammeln und zu ordnen. Schwieriger aber und zugleich wichtiger war es, die alten aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammenden Gesetze der Stadt der neuen Zeit anzupassen. Schon Georg Wilde und Apollo Wiegand hatten sich ja vergebens an ihnen versucht, und da die Stadt sich scheute, ihre alten Statuten einfach über Bord zu werfen und sich der Rechtsnorm anderer Länder anzuschließen, war vorläufig alles beim alten geblieben.[3] Doch konnte man allgemach wirklich nicht mehr mit den primitiven Gesetzen des Mittelalters auskommen, und so übernahm denn Titius auch die Aufgabe, die alten Statuten zu revidieren. 1666 konnte er dem Rate anzeigen, daß er die beiden ersten Bücher überarbeitet habe. Doch auch Titius kam dann nicht mehr weiter; es war eben einfach unmöglich, die Gesetze den völlig veränderten Verhältnissen anzupassen, und am allerwenigsten für einen modernen Juristen, der, am römischen Rechte geschult, sich hier einem Wüste von allmählich aus Volkscharakter und Bedürfnis emporgewachsenen Bestimmungen gegenübersah. So blieb nichts anderes übrig, als die alten Statuten in Geltung zu lassen und sie nur durch neue Verordnungen zu ergänzen. Titius selbst ging daran, eine besonders fühlbare Lücke auszufüllen, indem er in seinem 1659 erschienenen Werke „Erörterte Sukzessions- und Erbfälle“ das wichtige und schwierige Erbrecht ausbaute. 1733 gab der Rat diesem Werke eines Privatgelehrten Gesetzeskraft. Im übrigen half man sich von Fall zu Fall mit Erlassen, sah auch wohl der Nachbarstadt Mühlhausen, die sich nach langen inneren Wirren 1692 ein neues Stadtrecht gegeben hatte, mancherlei ab.[4] So kamen denn, um nur einige der wichtigsten Ordnungen zu nennen, 1654 eine Hochzeitsordnung, 1658 eine Schulordnung, 1660 eine Marktordnung, 1661 eine Bettlerordnung, 1678 eine Ehe- und Verlöbnisordnung, 1708 wieder eine Hochzeits- und Kindtaufordnung heraus. Für die Stadt besonders wichtige Verordnungen wurden von Zeit zu Zeit immer wieder einer Durchsicht unterzogen. So entstanden mehrere „Feuerordnungen“, die jedesmal die Erfahrungen bei den Bränden, denen die Stadt zum Opfer gefallen war, verwerteten. Nach dem Brande vom Jahre 1686 erschien im Jahre 1689 die erste bedeutende Feuerverordnung. Ebenso suchten die Erlasse des Rates immer wieder den Veränderungen in der wirtschaftlichen Lage der Bewohner gerecht zu werden. Dem allmählich völlig verzopften Zunftwesen gegenüber blieben allerdings alle Bemühungen vergebens; die Statuten, die die einzelnen Zünfte im 17. und 18. Jahrhundert erhielten, sahen sich untereinander und denen des 15. und 16. Jahrhunderts außerordentlich ähnlich. Dagegen mußte man immer wieder versuchen, das wichtigste Nordhäuser Gewerbe, das Braugewerbe, zu reglementieren, und so entstanden denn im ausgehenden 17. und beginnen den 18. Jahrhundert immer wieder neue Brauordnungen. Die wichtigste ist aber doch die Polizeiordnung vom Jahre 1668, weil sie in eine ganze Reihe städtischer Verhältnisse und bürgerlicher Gewohnheiten regelnd und vorschreibend einzugreifen suchte.[5] Diese obrigkeitliche Reglementierung selbst von Angelegenheiten, die dem Ermessen jedes einzelnen Bürgers vorbehalten sein sollten, ist ein weiteres Zeichen einer Zeit, in welcher sich der Beamte in alles mischte und der Bürger in allem zu gehorchen hatte. Allerdings scheint es wenigstens für Nordhausen so, daß die staatliche Beaufsichtigung selbst der privaten Lebenshaltung in jener Zeit nicht ganz unzweckmäßig erschien. Die Bevölkerung hatte die Drangsale des Dreißigjährigen Krieges außerordentlich schnell überwunden, war bald wieder einigermaßen begütert geworden und wollte nun, eine ähnliche Erscheinung, wie wir sie in unseren Tagen nach dem Weltkrieg erleben, an Vergnügen und Wohlleben das einholen, was sie im Kriege versäumt und entbehrt hatte. So kam es, daß nicht bloß die wohlvermögenden Brauherm über Gebühr schwelgten und Luxus trieben, sondern daß die Vergnügungssucht alle Kreise der Bevölkerung ergriff. Den Dienstboten z. B. mußte das Tragen von silbernen und goldenen Stickereien an den Kleidern verboten werden, den Handwerksburschen das Tragen von Raufdegen nach Studentenart, ferner das andere Degenträger herausfordernde Wetzen des Seitengewehrs an den Rinnsteinen und das nächtliche Zechen und Schwärmen. „Sie bravieren“, wie es heißt, „damit Nacht und Tag und laufen auf und nieder, auch damit ihre Kurage zu beweisen.“ Besonders war es natürlich beliebt, die Sonn- und Festtage zu verjubeln. Deshalb mußte die Polizeiordnung bestimmen, daß sich jeder an Festtagen zu enthalten habe „alles Fressens, Saufens, Schwelgereien, Tumultuierens, Schlägereien, Zankes, Gassengehens, des Krazens mit den Degen in die Steine, des ärgerlichen Nachtschreiens“. Und ganz allgemein muß die Polizeiordnung feststellen, daß in den letzten 20 Jahren „Übermut und teuflische Hoffart“ gestiegen seien, und sie fährt fort: „Manche Leute wissen nicht vor Üppigkeit und neugierige Lust, wie sie die Kleidung und Zierrat, töricht genug, fast wöchentlich ändern, auch allen neuen Alamoden aus der Fremde nachäffen,... sonderlich das Weibs volk.“ Wie in Kleidung und Sitte sich immer mehr französischer Einfluß geltend machte, so in anderer Beziehung englischer und holländischer. Das war besonders der Fall bei der Einbürgerung des Tabakgenusses, des Tabaktrinkens oder -schmauchens, wie man damals sagte. Schon der Syndikus Titius wetterte in einer seiner vielen Reden gegen den Tabak in recht drastischer Weise, indem er zunächst von den Unsitten der Spanier, Holländer und Engländer spricht und dann auf die deutschen Narren hinweist, die wie die Affen alle Untugenden nachahmen müßten. Dabei zitiert er die Verse: „Das teutsche Afrika, das sehr viel Affen heget, Und noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts fühlte sich der Rektor des Gymnasiums Meier, sonst ein weltmännischer, moderner Mann, bewogen, ein ganzes langes Gedicht, die Tabakomania, gegen den Tabakgenuß zu schreiben. Gerade diese Zeit des ausgehenden 17. Jahrhunderts aber, in der sich Nordhausen von den Wunden des großen Krieges erholte, das Leben meist ruhig dahinfloß und im ganzen wenig Bemerkenswertes vorfiel, war eine Blütezeit des Nordhäuser geistigen Lebens, war besonders eine Blütezeit des Nordhäuser Gymnasiums unter ausgezeichneten Rektoren. Von dem bedeutenden Syndikus der Stadt, Johannes Titius, ist schon mehrfach die Rede gewesen. Er war es, der wie einst Meyenburg eigentlich die Stadt regierte, er vertrat sie nach außen hin, er griff im Innern ordnend ein, er behielt noch Zeit und Muße genug, sich mit dem gesamten Gebiete menschlichen Forschens zu beschäftigen. Manche seiner Reden, besonders seine Schulreden zu Beginn des neuen Schuljahres, fließen geradezu über von angelesenem Wissen aus den verschiedensten Disziplinen. Er bildete daher auch den Mittelpunkt eines Kreises geistig hochstehender Männer des damaligen Nordhausen. Unter ihnen ragen vor allem die Nordhäuser Rektoren hervor. Da hatte ein Girbert schon mitten in den schlimmsten Zeiten des Dreißigjährigen Krieges in der Reorganisation der Schule und in der Erziehung Bedeutendes geleistet. Als er dann 1643 der gegen ihn eifernden Geistlichkeit hatte weichen müssen, führte Johann Günther Hoffmann die Schule 20 Jahre lang unter ewigen Streitigkeiten mit einem recht streit- und herrschsüchtigen Priester, dem Pastor Lesche, weiter, bis 1663 die Anstalt in Friedrich Hildebrand einen ihrer bedeutendsten Rektoren erhielt. Unter ihm erlebte das Gymnasium die höchste Blütezeit unter reichsfreiheitlichem Regimente überhaupt, und die folgenden Leiter, besonders Dunckelberg und Meier, waren wenigstens so tüchtig, daß sie die Schule auf ähnlicher Höhe erhielten. Hildebrand war wirklich ein ganz ausgezeichneter Mann, als Erzieher sowohl wie als Mensch. Er besaß ein angeborenes großes Lehrgeschick, so daß ihm nachgerühmt wurde, daß er selbst weniger Begabten vieles beigebracht habe. Größer aber noch als der Lehrer Hildebrand war der ganze prächtige Mensch und Erzieher. Er verstand es, sich ganz in die Ideenwelt der Jugend zu versetzen und sie dann, zunächst sich auf ihren eigenen kindlichen Standpunkt stellend, anzuregen und zu sich emporzuläutem. Voll Verehrung blickten seine Schüler deshalb zu ihm auf, verkündeten seinen Ruhm in aller Welt und zogen auf diese Weise selbst von fernher weitere Scholaren nach Nordhausen. Diesem Umstande war es zu danken, daß in der Prima zu Füßen Hildebrands zeitweilig 160 Schüler saßen. Doch stand Hildebrand auch mitten im Leben und suchte auch der Bürgerschaft von seinen reichen Gaben liebenswürdig und ohne sich aufzudrängen mitzuteilen, was ihr dienlich sein konnte. Mit praktischem Rat war er immer gern bei der Hand, wenn man ihn verlangte; auf die Herausführung seiner Mitbürger aus bloßem materiellem Genuß zu höherem geistigem war er ständig bedacht. Eine solche Wirksamkeit war natürlich nur einer in sich gefestigten Persönlichkeit möglich, und eine solche spricht auch aus dem von Hildebrand verfaßten Lutherliede am Schlüsse des 44. Diskurses in einer seiner zahlreichen Schriften. Für das berühmte Bildwerk von Christi Leiden unter den Bögen des Töpfertores aber schenkte er der Nordhäuser Bürgerschaft folgende Verse: „Der Ketten strenges Band, der Kriegesleute schlagen, Es konnte nicht ausbleiben, daß sich dieser Mann, der neben einem scharfen Verstände auch ein weiches Herz besaß, von den jüngsten Bestrebungen in der evangelischen Theologie, die Religion aus der Verknöcherung der Dogmatik herauszuführen und ihr einen neuen Inhalt durch die Betonung des Gefühlsmäßigen zu gewinnen, angezogen fühlte und den Kreisen der Pietisten nahe stand. Dadurch erregte aber Hildebrand den Groll der Nordhäuser konservativen Geistlichkeit, besonders des Pfarrers Dielfeld an St. Nikolai, und verließ schließlich, des theologischen Gezänkes überdrüssig, 1674 Nordhausen. Er wurde Rektor in Merseburg und starb dort in hohen Ehren im Jahre 1687. Hildebrand hatte es verstanden, noch einmal den alten tüchtigen Humanismus in Nordhausen zu neuem Leben zu erwecken. Sein vierter Nachfolger, der Rektor Joachim Meier, der von 1708-1722 an der Spitze des Gymnasiums stand, suchte dann die Gelehrtenschule in neue, moderne Bahnen überzuführen. Er war es, unter dem Deutsch und Geschichte, Geographie und Mathematik in der Schule allmählich Bürgerrecht gewannen und der seine Schüler zu „galanter, politischer und manierlicher Aufführung“ zu erziehen strebte. So hatte Meier das Verdienst, die Schule mehr, als es bisher der Fall war, in das Leben hineingestellt zu haben. X Die nach dem Dreißigjährigen Kriege für Nordhausen anbrechende ruhige Zeit, die Wohlstand und Wissenschaft förderte, ermöglichte es manchem Bürger auch wieder, seine hilfsbereite Gesinnung in wohltätigen Werken und Stiftungen zu beweisen. So treffen wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder auf eine ansehnliche Reihe edler Wohltäter. Da ist in erster Linie Johannes Hecklaur, eines Nordhäuser Ratsherrn Sohn, zu nennen, der zunächst in Nordhausen Orgelbauer war, dann aber in Holsteinschen Diensten als Baudirektor zu Ehren und Wohlstand kam und der seiner Vaterstadt in treuem Gedenken 1643 die stattliche Summe von 1000 Talern stiftete. Von drei Vorschlägen , die Hecklaur dem Rate für die Verwendung der Zinsen machte, schien dem Rate der beste derjenige zu sein, der die Zinsen des Stiftungskapitals zum Wohle der Lehrer der Schule und der Kurrende bereitstellte. 1645 kam die Stiftung an Lehrer und Schüler zum ersten Male zur Auszahlung. Die recht schlecht bezahlten Lehrer und die armen Schüler waren ihrem Wohltäter herzlich dankbar, und noch 1751 feierte ihn Rektor Goldhagen in einem Schulprogramme mit den Worten: „Du erkanntest, liebreicher Hecklaur, wie schlecht die mühsame Arbeit der getreuen Schullehrer insgemein belohnt wurde; du wußtest, daß Mangel nebst anderen Beschwerlichkeiten sie oftmals kleinmütig und niedergeschlagen macht. Du suchtest daher nach dem Vermögen ... unsere Last zu erleichtern und unsere Bitterkeit zu versüßen.“ Ein weiterer Wohltäter für Nordhausen fand sich 1662 in dem Nordhäuser Hans Theuerkauf, der in erster Linie die Blasiikirche und die Schule, dann aber auch die drei Nordhäuser Spitäler bedachte und eine Summe auswarf, deren Zinsen dazu verwendet wurden, 12 Stadtarmen durch wöchentliche kleine Beihilfen das Leben zu erleichtern. Ein schönes Stipendium war auch das des Stadtschultheißen Johann Heinrich Stender, der 1680 für Studierende 1000 Gulden stiftete. Und schließlich mag noch aus einer Reihe anderer Vermächtnisse das des Bürgermeisters Frommann hervorgehoben werden, der in dem Notjahre 1682, wahrscheinlich um den Himmel zu versöhnen und von ihm die Errettung aus der Pestgefahr zu erflehen, eine Reihe von ansehnlichen Legaten auswarf, durch welche die Kirchen und die Schule Nordhausens bedacht wurden.[7] So behäbig man aber auch zu Nordhausen in leidlichem Wohl stand lebte, während am Rhein und an der Weichsel, an der Donau und am Belt die Völker aufeinanderschlugen, so blieb man doch auch von schwersten Schicksalsschlägen verschont, und nur der unverwüstliche Optimismus und die einzigartige Spannkraft eines im Kerne urgesunden Volkes sowie ein fruchtbarer Boden, der die geringe Zahl der Einwohner mit Leichtigkeit nährte und in kurzer Zeit wieder wohlhabend machte, konnten die Bevölkerung in wenigen Jahren immer wieder emporbringen. Der erste und entsetzlichste Schlag traf die Stadt in den Jahren 1681 und 1682; die orientalische Pest suchte sie nochmals und nun zum letzten Male heim - in fürchterlichster Weise. Die Krankheit war 1679 aus dem Seuchenherd des Orients nach Ungarn eingeschleppt worden, fiel dann auf Österreich und Böhmen und gelangte von hier nach Sachsen und in die Länder der Norddeutschen Tiefebene. Als sich im Jahre 1681 die Anzeichen mehrten, daß sich die Krankheit auch in Nordthüringen ausbreite, traf man in Nordhausen unter der umsichtigen Leitung des Stadtmedikus und Bürgermeisters Frommann umfangreiche Vorbeugungsmaßnahmen. Eine scharfe Pestkontrolle wurde eingeführt; Nordhäuser Bürger, die von auswärts zurückkamen, mußten sich einer Quarantäne im Nordhäuser Stadtgefängnis unterwerfen, landfahrendes Volk und Juden wurden überhaupt nicht mehr eingelassen; „man zeiget ihnen den Stab“, wie es heißt. Frommann veranlaßte weiterhin den Rat, eine Pestordnung zu erlassen, die das Verhalten der Bürger regelte, wenn die Krankheit wirklich ausbrach; und er selbst schrieb eine inhaltreiche Schrift „Medizinalisches Bedenken, wie nächst göttlicher Hilfe ... ein jeder notdürftig könne präservieret und verwahret... werden“. Trotz aller Vorsorge brach Ende August 1681 die Pest in Nordhausen aus. Ein fremder Schlächter erkrankte plötzlich in Nordhausen, wurde ins Elisabeth-Hospital gebracht und starb alsbald daselbst. Kurz darauf ergriff die Krankheit den Hospitalsvater, seine Frau, seine fünf Kinder sowie andere Insassen des Stiftes. Weitere Infektionen beschränkten sich zunächst auf die nächste Umgebung des Hospitals, auf den Grimmel und das Altendorf, und der außerordentlich strengen Überwachung gelang es, den Seuchenherd zunächst noch zu beschränken. Von August 1681 bis zum Ende des Jahres erlagen nur 53 Personen der Krankheit, und auch bis zum Juni 1682 hielt sich das Sterben noch in mäßigen Grenzen. Dann aber kam der heiße Juli, und dieser Monat wurde der Stadt verderblich. Er forderte 638 Opfer, der August 919, der September 700, der Oktober noch immer 372.Diese 4 Monate waren die schlimmsten; tief herab senkte damals der grause Vogel die schwarzen Flügel, daß alles Leben erstarb. Die Ratsapotheke war mit einem Staket umgeben worden, damit die Befallenen nicht hineindrängten. Die Medizin bekam man durch zwei Fenster auf die offene Straße gereicht, aus dem einen die Gesunden, aus dem anderen nur die Pestkranken. Trotz dieser Maßnahme wurde der Apothekenbesitzer Johann Henning Behrens nebst 3 seiner Kinder von der Krankheit ergriffen, und alle gingen an ihr zu Grunde. Frommann selbst als eigentlicher Stadtmedikus lehnte die Behandlung der Pestkranken ab. Es wurde, wie es in vielen Städten geschah, ein „Pestmedikus“, der Medikus Merck aus Eisenach, angenommen, „damit der Physikus Ordinarius die übrigen gesunden Leute abwarte“. Der Pestmedikus starb bald, Frommann Überstand die Pestzeit glänzend und wurde 90 Jahre alt. Zu seiner Hilfe hatte der Pestarzt noch einen Stab von „Chirurgen“ zur Hand, meist für hohen Lohn angenommene Bader, die die Kranken betreuen mußten. Der Medikus, die Chirurgen und die Hebammen trugen einen schwarzen Stab mit einem kleinen Kreuz, die Leichenträger und Totengräber dagegen waren kenntlich an einem langen weißen Stabe. Diese Personen allein hatten sich mit den Kranken zu befassen; jedem anderen war das Betreten eines Pesthauses streng untersagt. Arznei, Speise und Trank, welche andere Leute brachten, mußten durch die Fenster in einem Korbe herauf- und heruntergezogen werden. Das im Umlauf befindliche Geld mußte, ehe es von einer Hand in die andere ging, mit Essig oder scharfer Seifenlauge abgewaschen werden. Auf das Trüben der Brunnen und des Mühlgrabens stand schwere Leibesstrafe. Zu Friedhöfen für die Verstorbenen durften nicht die gewöhnlichen, noch immer mitten in der Stadt um die Kirchen herumlie genden Friedhöfe benutzt werden, sondern es waren dazu „sonderbare (besondere) Plätze ausgesucht“. Die Nikolai-, Blasii- und Petrigemeinde begruben ihre Toten wie auch schon in früheren Pestzeiten auf dem Spendekirchhofe, die Neustadt und der Frauenberg im Garten des Klosterhofes und der Grimmel und das Altendorf zwischen Scherfteich und Bleiche. Und trotz aller Not und allen Elends gab es doch Schurken, deren Herzen so verhärtet waren, daß sie die hilflosen Kranken beraubten oder sich wohl gar, um sich ihrer so schnell wie möglich zu entledigen, an ihnen vergriffen. Der Rat sah sich daher zu der ganz außergewöhnlichen Maßnahme veranlaßt, verkünden zu lassen: „Wenn Totengräber einen Kranken oder Ohnmächtigen ergreifen oder einen Lebendigen ersticken oder lebendigen Leibes begraben, dann werden sie lebendig verbrannt.“ Im übrigen machte man, wie schon in früheren Zeiten, auch jetzt wieder die Erfahrung, daß zarte Personen, besonders Frauen und Kinder, viel schneller von der Krankheit ergriffen wurden als starke und kräftige. Auch aus den Verlusten unter den Schülern ist das zu ersehen; von 30 im blühenden Jünglingsalter stehenden Primanern starben nur 7, von 76 kindlichen Sextanern aber 54. Manche Menschen schienen überhaupt gegen die Seuche gefeit zu sein. Es gab Krankenwärter, die von Stadt zu Stadt zogen, überallhin, wo die Pest herrschte, für hohen Lohn in Dienst traten, sich äußerst wohl dabei fühlten und nie von der Krankheit befallen wurden. Dennoch erlag selbst von diesen gewiß nervenstarken Chirurgen, Krankenwärtern und Totengräbern, von denen 40 dem Medikus zur Seite gestanden hatten, mehr als die Hälfte der Krankheit. Im ganzen starben vom August 1681 bis März 1683 überhaupt 3323 Menschen.[8] Neben dieser Pest suchten drei furchtbare Brände die Stadt in dem kurzen Zeitraum von 26 Jahren heim. Es ist seltsam, wie unvorsichtig die Bevölkerung immer wieder mit dem Feuer umging trotz häufig vorkommender Brände und trotz der Not der von Brandschaden heimgesuchten Bewohner. Die Häuser waren ja damals, abgesehen von einigen Gebäuden, die einen steinernen Unterbau besaßen, sämtlich Fachwerkbauten und häufig nur mit Schindeln oder Stroh gedeckt. Auch die Polizeiordnung von 1668 hatte noch vergeblich die Strohdächer verboten. Die Enge der Straßen, der Mangel an Brandmauern, die Vorliebe, die oberen Etagen vor den unteren überstehen zu lassen, das Durcheinander von Wohnhäusern, Scheunen und Ställen, wenigstens in den Vorstädten, die Aufbewahrung von Flachs, Hanf, Holz, Öl und Schmer in den Häusern wurde ja in jenen Zeiten allen Städten gefährlich. Dazu kam die Unvollkommenheit der Beleuchtungsgeräte; Öllampen mit ungeschütztem Docht und offen flackernde Kerzen dienten fast ausschließlich als Beleuchtung. Die unvorsichtig angelegten Backöfen der Bäcker, die Holzstapel und die Holzabfälle der Tischler und Drechsler ließen leicht ein gefährliches Feuer aufkommen. Für Nordhausen im besonderen waren die vielen Brauhäuser und vor allem die Branntweinbrennereien gefährlich. Und trotz dieser Gefahr und trotz mancherlei Bauvorschriften handelte man doch immer wieder leichtsinnig und kehrte sich an keine obrigkeitliche Maßnahme. Noch die Feuerordnung von 1689, nachdem soeben erst ein verheerender Brand gewütet hatte, mußte feststellen, daß „nicht ohne Erstaunen vermerkt worden sei, daß nicht allein solch kleines Holzwerk und Späne nahe bei der Feuerstätte unten im Hause hin und wieder zerstreut gelegen, sondern auch oben auf dem Boden um den Rauchfang und Schornstein, welcher doch gar nicht bis ans Dach, viel weniger außerhalb demselben geführet worden ist, sondern nur denselbigen Boden erreicht und solchem gleich gewesen, angehäufet befunden seien.“ Bei solcher Unachtsamkeit kann es nicht wundernehmen, wenn immer wieder ganze Stadtteile in Schutt und Asche gelegt wurden. So brach am 4. Mai 1686 am „hellen Mittage zwischen 1 und 2 Uhr“ in der Neustadt in der Scheune des Bürgers Reinhard durch einen unvorsichtigen, Tabak rauchenden Drescher Feuer aus. Bald waren die Neustadt, der Lohmarkt, die Flickengasse, Unter den Weiden, Auf dem Sande, die Kuttelmühle und die Häuser an der Kutteltreppe sowie Teile des Neuen Weges ein einziges Flammenmeer. 175 Häuser fielen dem Brande zum Opfer; nur mit Mühe konnte St. Jakobi gerettet werden. Furchtbarer noch waren die Brände vom Jahre 1710 und 1712, welche die Oberstadt heimsuchten. - In der Nacht vom 23. auf 24. August 1710 brach das Feuer hinter einem Backhause zwischen dem Steinwege und der Kalten Gasse, also westlich des Rathauses, aus. Da 100 Zentner Öl, die in der Nähe des Brandherdes lagen, Feuer fingen, stand bald die ganze Ostseite der Kalten Gasse in Flammen, und von da breitete sich das Feuer über die Umgebung des Marktes, die Bäckerstraße, den Königshof, die Prediger-, Jüden-, Rautenstraße und Kikkersgasse aus. 16 Stunden dauerte der Brand, der 161 Gebäude, darunter 72 wohlhabende Brauhäuser, in Asche legte. Das Rathaus wurde teilweise vom Feuer ergriffen, von der Nikolaikirche blieb zwar das Gewölbe stehen, aber alles, was aus Holz war, brannte aus; das Dach wurde zerstört, die 5 Glocken schmolzen, die Uhr wurde vernichtet. Ganz herunter brannten der in der Reformationszeit neu aufgeführte Walkenrieder Hof und das alte, seit 1526 als Gymnasium dienende Dominikanerkloster in der Predigerstraße. Von dort aus hatte sich das Feuer auch an der Stadtmauer entlanggefressen, hatte die inneren Wehrgänge zerstört und den Aufbau der Kuttelpforte sowie den des Rautentores erfaßt. Es muß ein wildes Schauspiel für die Bewohner der Unterstadt und der in der Aue liegenden Dörfer gewesen sein, wie dort oben am Primariusgraben die halbe Stadt in Flammen stand. Verhältnismäßig schnell ging man damals an den Wiederaufbau. Auf dem Rathause konnte schon im November 1711 „der Busch aufgesteckt werden“, und die neue Schule, das „alte Gymnasium“, von dem Teile bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts gestanden, wurde gar schon am 30. Oktober 1711 „solenniter einge weiht“. Noch gewaltiger war der Brand vom 21. August 1712. Er brach abends 8 Uhr in der Scheune des Bürgers Wilhelm Schneider in der Gumpertgasse aus, wahrscheinlich wieder durch Fahrlässigkeit, doch suchte das Gerücht alsbald den verhaßten Preußen, die in der Stadt lagen, die Schuld in die Schuhe zu schieben. Dieser Brand ergriff den ganzen Nordteil der Stadt, vom Töpfertor im Osten bis an den Neuen Weg im Westen, vom Pferdemarkt im Norden bis an die Webergasse im Süden. 281 Wohnhäuser, unter ihnen 106 brauberechtigte, fielen diesmal dem Brande zum Opfer. Die Nikolaikirche, die noch von 1710 ausgebrannt stand, wurde abermals vom Feuer ergriffen, der Walkenrieder Hof sank nun gänzlich in Asche, das alte Wagehaus auf dem Kornmarkte, das Zeughaus bei St. Georgi an der Ecke Kornmarkt-Töpferstraße, die erst 1711 in der Pfaffengasse erbaute Mädchenschule brannten nieder. Ebenso schlugen die Flammen in die hölzernen Aufbauten des Töpfertores und Neuenwegstores und brannten die darin befindlichen Torwächterwohnungen aus. Erst ein starker Regen, der gegen 2 Uhr morgens einsetzte, gebot dem Feuer Einhalt. Nur dadurch wurden das Rathaus und die völlig vom Feuer umringte Blasiikirche gerettet. Besonders zwei wackere Männer, voll Gottesfurcht und deshalb ohne Furcht vor dem wilden Elemente, hatten die verstörten, hilflosen Einwohner um sich gesammelt und sprachen ihnen Trost und Mut zu: Der Pfarrer Kindervater von St. Blasii und der Rektor Meier vom Gymnasium. Auf den Platz vor der Kirche sowohl wie auf den Schulhof an der Predigerstraße war die Menge vor dem Flammenmeere geflüchtet, und hier nahmen sich ihrer diese tapferen Männer an. Ein besonderes Glück war es, daß bei der Feuersbrunst vom Jahre 1710 nur ein Mensch, bei der noch größeren vom Jahre 1712 gar keiner ums Leben gekommen war. Schlimm genug aber war es, daß es, wie in der Pestzeit, so auch jetzt Gesindel gab, welches die Not zu Diebereien aller Art benutzte. Es „scheuten sich nicht nur Fremde, sondern auch einheimische boshaftige Leute, zu nehmen, was sie nur konnten“. Unendliche Not war durch diese beiden Feuersbrünste über die Bevölkerung gekommen; denn Versicherungen kannte man damals noch nicht; erst 1803 trat Nordhausen in die Magdeburger Landfeuer-Sozietät. So blieb nichts anderes übrig, als „Brandbriefe“ zu schreiben und Hilfe für die Abgebrannten allerwärts zusammenzubetteln. Und es fanden sich auch nicht nur edeldenkende Privatleute, sondern auch ganze Gemeinden, die in aller Eile das Notwendigste an Lebensmitteln, Kleidung und Geld sandten; denn jedes Dorf, jede Stadt konnte damals ja im nächsten Augenblick von demselben Unglück heimgesucht werden und der Hilfe der Nachbarn bedürfen. So sandten Mühlhausen Viktualien und Geld, Frankenhausen, Kelbra und viele umliegende Dörfer Getreide, aber mit der Maßgabe, daß es „ordentlich“ ausgeteilt werde, ein Wunsch, der keineswegs unberechtigt war, mußten sich doch die führenden Geschlechter in Nordhausen bald den Vorwurf gefallen lassen, daß sie die Kollekten allein zum Aufbau ihrer Häuser verwendet hätten, so daß, während die Mehrzahl der Einwohner noch Jahre lang in Notwohnungen hausen mußte, sie bald wieder stattlichere Gebäude hatten als einst. Diese drei Brände veranlaßten den Rat zu eingehenden „Feuerordnungen“. Die wichtigsten sind die vom 21. Oktober 1689 und 28. Februar 1730. Daneben aber stehen zahlreiche Bestimmungen über die Feuerwehr (1716), über unvorsichtiges Tabakrauchen (1724, 1725, 1729) und über das Verbot des Branntweinbrennens in der Oberstadt (1717). In erster Linie traf man Vorsorge, daß das Feuer sobald wie möglich bemerkt wurde. Deshalb war den Nachtwächtern, und zwar den sechs in der Oberstadt und den vier in der Unterstadt, geboten, etwa aufkommendem Feuer ernsteste Beachtung zu schenken. Auf dem Nikolaiturm, seit 1710 auf den Türmen von St. Blasii und Petri wurden Turmwächter stationiert, die Tag und Nacht über die Stadt zu wachen hatten. Sie mußten, sobald sie ein Feuer bemerkten, bei Tage die Feuerfahne, bei Nacht ein brennendes Licht herausstecken. Ferner suchte man durch strenge Bauvorschriften und eingehende Verhaltungsregeln den Ausbruch des Feuers zu verhüten. Über die Anlagen von Backöfen, Branntweinblasen, offene Herdstellen ergingen Vorschriften; jeder Schornstein mußte jährlich zweimal gereinigt werden. Über das Umgehen mit ungeschützten Flammen und Tabakspfeifen kamen Bestimmungen heraus. Alles, was zur beschleunigten Unterdrückung des Feuers geschehen konnte, wurde angeordnet. Wo Wasser aus dem Mühlgraben entnommen werden sollte, welche Maßnahmen eigens ehrenamtlich ernannte Brunnenaufseher und „Kunstmeister“ treffen sollten, wurden bestimmt. An mehreren Stellen der Stadt wurden Spritzen aufgestellt, und aus jedem Stadtviertel wurde eine Anzahl Leute zu ihrer Bedienung beordert. „Nachdem aber zum füglichen und nützlichen Gebrauch solcher großen Instrumente eine ziemliche Kraft und Gewalt gehöret, so sind zu jeder (Spritze) ohngefähr 30 Personen von denen jüngeren und muntersten Bürgern, wobei diejenigen, so mit Schmiedesachen umzugehen wissen, am ersten herbeizusuchen, so nahe man dieselben mit ihrer Wohnung bei jeder Spritze haben kann, erwählt und auf gezeichnet.“ Da aber bei der Enge der Gassen diese Spritzen häufig nur langsam fort kamen, ließ der Rat bei einer Reihe von Brunnen Wasserschleifen oder sogenannte Leithen aufstellen, Bottiche aus Eichenholz, die umgelegt und dann von einem einzigen Pferde geschleift werden konnten, damit man auch „in gar schmalen Gassen fortkäme“. Um endlich dem Diebesgesindel zu steuern, das während eines Brandes seinem schamlosen Gewerbe nachging, wurden bei Ausbruch eines Feuers alle Tore sofort geschlossen und mit doppelten Posten besetzt. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen blieben Brände nicht aus, doch war der Brand vom Jahre 1712, der größte von allen, von denen wir genauere Nachricht besitzen, zugleich der letzte, der ganze Stadtteile niederlegte.[9] Diese Anfälle von Krankheiten und Feuersbrünsten waren aber nicht das einzige, was in den Tagen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts das scheinbar so behäbige Leben der Nordhäuser Bürgerschaft unterbrach und durchschütterte. Auch die Lage der Stadt nach außen wurde immer bedrohlicher, und im Innern gärte und brodelte es; außen- und innenpolitisch machte Nordhausen damals eine schwere Krisenzeit durch. Das Geschrei des offenen Krieges drang freilich nur unbestimmt und kaum vernehmbar von den Grenzen des Reiches herüber. Im Osten tobten die Türkenkriege, im Westen trieb Ludwig XIV. seine Eroberungspolitik. Dort an der Donau litten die Kärntner und Österreicher unsäglich, und Wien war 1683 in höchster Gefahr; im Westen am Rhein wiederum hauste die große Nation in den Niederlanden und in der Pfalz viehischer als je ein Barbarenvolk unter Attila oder Dschingis Khan. Nordhausen spürte von alledem nichts. Geruhig saßen die Bürger des Abends auf dem Weinkeller, ihre Tonpfeifen zwischen den Zähnen, das Glas Wein oder den Broihan vor sich, und ein angenehmes Gruseln überkam sie, wenn ein Krämer, von der Leipziger Messe zurückkommend, neue Botschaft aus Kärnten brachte, wie dort die Türken die Einwohner in den Kirchen eingepfercht und diese dann angezündet hatten. War man dann auseinander und nach Hause gegangen und hatte dort noch ein Kännlein wohltuenden Würzweins genossen, so legte man sich in die breiten, dick gestopften Betten, dachte noch einmal hinüber nach dem brennenden Heidelberg, glaubte das Gejammer der Ausgeplünderten und Geschändeten zu vernehmen und schlief mit einem erleichternden Seufzer friedlich ein. Alles, was man in Nordhausen gegen den bösen Türken unternehmen konnte, bestand darin, daß man den Segen des Himmels auf Österreich und seinen Fluch auf die Heiden herabflehte. 1663, als die Türken Neuhäusel belagerten, ordnete der Rat gewissenhaft drei Gebete wöchentlich für Errettung aus der Not an, und 1689, als die Türkengefahr noch einmal drohte, wandte man sich noch einmal um Hilfe an den Herrgott. Das übrige besorgten dann Max Emanuel von Baiern, Ludwig Wilhelm von Baden und der kleine tapfere Prinz Eugen. Etwas mehr verspürte man schon von den Kriegen am Rhein. Hier war zunächst nur Friedrich Wilhelm von Brandenburg auf dem Plane und kam den befreundeten und verschwägerten Niederländern zu Hilfe. Dann raffte sich aber auch der Kaiser auf, und Ende August 1672 zog Montecucculi, der Sieger von St. Gotthardt an der Raab, mit mehr als 12000 Mann - die Nordhäuser Annalen verzeichnen etwas übertreibend 15000 - durch die Goldene Aue, um den Brandenburger zu unterstützen, 1700 Zentner Brot, 500 Paar Strümpfe, 500 Paar Schuhe, Wein, Bier und Viktualien, nicht zu vergessen die Geschenke an die „Herrn Offiziers“, mußte des Kaisers Freie Reichsstadt Nordhausen der durchmarschierenden Armee liefern. Auch brandenburgische Truppen benutzten wohl während dieses zweiten Raubkrieges Frankreichs den Weg zwischen Harz und Hainleite hindurch, um nach Hessen und Franken zu gelangen. Im August 1674 mußte die Stadt den Truppen des Kurfürsten 1400 Taler zahlen. Wirklich aufgerüttelt aus seinem Winterschlafe wurde das Reich jedoch erst durch die Reunionen, die Ludwig Anfang der achtziger Jahre mitten im tiefsten Frieden vomahm. Damals flammte noch einmal so etwas wie Nationalgefühl auf, und der Reichstag beschloß am 23. Mai 1681, ein Reichsheer gegen Frankreich aufzustellen. Goslar, Mühlhausen und Nordhausen wollten zusammen eine Kompagnie von 161 Mann zu diesem Kriege aufbringen. Natürlich verpuffte die ganze Begeisterung alsbald, und der Bischof Eugen von Fürstenberg konnte ungestraft mit gotteslästerlichem Wort das deutsche Straßburg dem Sonnenkönig überliefern. Zu Wien stand kein Standbild von dieser Stadt im deutschen Elsaß, das mit schwarzem Flor umhangen ward. Jedoch machten sich in den achtziger Jahren die Truppen durchzüge nach Ost und West auch für Nordhausen mehr als bisher fühlbar. Schon am 2. Dezember 1685 mußte die Stadt zwei Kompagnien hannöverscher Truppen, die aus Ungarn kamen, aufnehmen, und als am 10. Dezember abermals 800 Mann Einlaß begehrten und ihn nicht sogleich erhielten, wurden die Tore mit Gewalt erbrochen. Bis zum 27. Dezember lagen diese Truppen in der Stadt und ließen sich’s wohlsein. Und da kurz danach der Große Kurfürst, um sich für seine Hilfe gegen die Franzosen bezahlt zu machen, Ansprüche auf Nordhausen erhob, blieb in den Folgejahren eine kleine hannöversche Garnison in der Stadt, um die Entwicklung der Dinge abzuwarten und gegebenenfalls Hannover mit Nordhausen schadlos zu halten. So spitzte sich die Krisis zu. Brandenburg war 1675, mitten im 2. Raubkriege, vom Kaiser um Schlesien betrogen worden. Dann hatte es, von Kaiser und Reich verlassen, trotz aller Erfolge 1679 den Frieden von St. Germain schließen müssen. Auch dabei war es leer ausgegangen. Jetzt benutzte es die Schwierigkeiten des Reiches im 3. Raubkriege, um wenigstens einige Entschädigungen für sich herauszuschlagen. So gelang es ihm, am 22. März 1686 im Vertrage von Berlin den Kreis Schwiebus und die Anwartschaft auf Ostfriesland zu erhalten. Doch forderte es für die vielen dem Reiche schon geleisteten Subsidien auch noch die Städte Dortmund, Mühlhausen und Nordhausen. Schon im März 1687 erschien ein brandenburgischer Agent, Ernst Christoph Gander, in Nordhausen und leitete vorsichtige Verhandlungen mit der Stadt ein. Da merkte die Stadt, daß es um ihre Freiheit ging. Sofort wandte sie sich hilfeflehend an den Kaiser, beklagte sich über das böse Hannover, das noch immer Truppen in der Stadt hielt, und über das noch bösere Brandenburg, das schwärzeste Pläne schmiedete. Die beiden Briefe vom 8. und 16. Juni 1687 erreichten natürlich nichts weiter, als daß die Anstalten, die Hannover und Brandenburg trafen, für die Stadt immer bedrohlicher wurden. Die hannöversche Garnison blieb in der Stadt, Brandenburg ordnete von seiner Grafschaft Honstein aus wirtschaftliche Repressalien an: Städtische Ländereien vor den Toren wurden besetzt und von den ein und aus verkehrenden Fuhrleuten neue Zölle erhoben. Verweigerte man sie, so wurden kurzerhand die Pferde ausgespannt. Klagend wandte sich Nordhausen am 25. Januar 1688 an den Reichstag in Regensburg, und hier wenigstens fanden seine Beschwerden Widerhall. Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, der Brandenburg die Beute aus den Klauen reißen wollte, wurde der geschickte Führer einer starken Opposition. Der Knoten schien sich zu Gunsten Nordhausens zu lösen, als der Große Kurfürst am 9. Mai 1688 starb. Doch da man nicht wußte, wessen man sich von seinem Nachfolger zu versehen hatte, blieb man wachsam. Nordhausen tat sich mit Mühlhausen und Goslar, das schließlich ebenso bedroht war wie die beiden anderen Städte, zusammen, und im Juli 1688 zu Duderstadt sowie im September zu Herzberg kamen die drei Städte überein, gemeinsam einen Agenten anzunehmen, der ihre Interessen in Wien beim Kaiser und Reichshofrat und in Regensburg beim Reichstag vertreten sollte. Und in der Tat hatte man allen Anlaß, auf der Hut zu sein. Friedrich III., der den Kreis Schwiebus an den Kaiser zurückgegeben hatte, war doch nicht gewillt, dauernd auf alle Ansprüche des Vaters zu verzichten. Doch leistete der städtische Agent in Regensburg zunächst gute Arbeit, so daß alle drei Stände des Reichstages die Bitte Nordhausens beim Kaiser unterstützten, der Stadt ausdrücklich ihre Freiheit und ihre Privilegien zu bestätigen. So gab denn Kaiser Leopold der Stadt am 12. Mai 1695 ein feierliches Diploma manutenentiae de non alienanda immedietate, in welchem es hieß: „Wir erteilen ... in Kraft dieses Briefes gnädiglich, setzen, meinen, gebieten, ordnen und wollen für uns und unsere Nachkommen am Reich, daß ... Nordhausen ... wie bisher, forthin zu ewigen Zeiten bei ihrem Reichsstand und städtischem Herkommen und Würden, Indemnität ... Freiheiten, Rechten und Gerechtigkeit... ungekränkt und ruhig verbleiben soll.“ Und am 6. Oktober 1695 erfolgte feierlich die Bestätigung der alten Privilegien. Wenn nun auch Brandenburg zunächst davon Abstand nahm, sich Nordhausens mit Gewalt zu bemächtigen, so schien dem Kurfürstentum die Stadt doch zu wichtig zu sein, als daß es die gute Beute leichten Kaufes gänzlich aus den Händen gelassen hätte. Neben anderen Stützpunkten nördlich des Harzes bedeutete die Stadt für das in zersplitterten Teilen sich weit von Osten nach Westen erstreckende Brandenburg-Preußen einen wichtigen Pfeiler, und zugleich war sie wirtschaftlich der gewiesene Mittelpunkt für die schon preußische Grafschaft Honstein-Klettenberg. Dieser letztere Gesichtspunkt bewog Friedrich III. zuzugreifen, als er 1697 vom Herzogtum Gotha den Walkenrieder Hof als wichtigen Stapelplatz für die Produkte der Grafschaft in Nordhausen erwerben konnte. Nordhausen protestierte zwar gegen den Ankauf, erreichte damit aber nichts, da der Vertrag rechtlich einwandfrei zustande gekommen war. Brandenburg aber hatte nunmehr endgültig den ersten Fuß in die Freie Reichsstadt gesetzt. Entscheidend für das Schicksal der Stadt wurde dann bald die polnische Politik ihres Schutzherrn und Besitzers der Reichsämter, der Vogtei und des Schulzenamtes, des sächsischen Kurfürsten August II. des Starken. Um die nötigen Gelder für die Erwerbung der Krone aufzubringen, befahl der Kurfürst seinen Räten am 20. Juli 1697, Länder und Gerechtsame für die hübsche Summe von 300000 Talern zu verkaufen. So wurden denn neben anderen auch die Erbvogtei Sachsens über Quedlinburg und seine Reichsvogtei und sein Schulzenamt über Nordhausen zur Veräußerung ausersehen. Sachsen fand in Brandenburg einen Liebhaber und Käufer für die angebotenen Gerechtsame. Der Verkauf wurde am 27. November 1697 in Krakau vollzogen, und in den Tagen vom 12.-15. März 1698 übernahm Brandenburg die Nordhäuser Vogtei und das Schultheißenamt, die seit Jahrhunderten Sachsen gehört hatten. Auch hierbei mußte sich Nordhausen einfach fügen, da der ganze Handel juristisch unanfechtbar war, und Bürgermeister und Rat der Freien Stadt konnten nur wehleidig erklären, „es würde ihnen und der ganzen Stadt lieb und angenehm sein, daß Seine Kurfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg solche Jura statt Ihrer Königlichen Majestät in Polen exerzierte und an sich nähme; sie wären auch nicht gewillet, sich wider deren hohes Interesse und Jura zu setzen, dazu sie auch viel zu ohnmächtig wären, vielmehr wären sie erbötig, mit aller Devotion zu begegnen.“[10] Schwierigkeiten entstanden nur dadurch, daß Nordhausen im Jahre 1687 zum letzten Male für 10000 Gulden die Reichsämter auf 15 Jahre, also bis Ostern 1703, von Sachsen erworben hatte und nun mit Recht darauf bestand, daß Preußen bei Übernahme der Ämter entweder das Geld für die noch ausstehenden 5 Jahre von 1698-1703 zurückzahlte oder sie der Stadt bis 1703 überließ. Nach langwierigen Unterhandlungen einigte man sich schließlich dahin, daß die Stadt die Gerichtsbarkeit noch behielt, die mit dem Schulzenamt verbundenen Zölle aber sogleich an Brandenburg abtrat. Einmal im Besitze wichtiger Hoheitsrechte in Nordhausen, ging Brandenburg nun ganz systematisch daran, sich die Stadt allmählich gänzlich einzuverleiben. Der erste Schritt dazu war der, daß Friedrich III. dem Geschlechte Sayn-Wittgenstein, dem der Große Kurfürst wegen seiner außerordentlichen Verdienste um Brandenburg im Jahre 1648 zunächst die Grafschaft Honstein überlassen hatte, diese am 16. Dezember 1699 nahm und den Verkehr zwischen Landschaft und Walkenrieder Hof ausbaute. Dann aber erfolgte alsbald der Gewaltstreich, als Brandenburg erfuhr, daß Nordhausen hinter seinem Rücken mit den Braunschweigern verhandelte. Braunschweig-Hannover hatte Nordhausen schon im Dezember 1699, als Brandenburg die Grafschaft Honstein endgültig übernahm, vor Überrumpelung gewarnt. Die Stadt, auf solchen Bundes genossen gestützt, hatte sich dann auch nochmals an Kaiser Leopold gewandt, und dieser hatte am 28. Februar 1701 und dann noch einmal am 10. Juli desselben Jahres Brandenburg auf gefordert, seinen Schultheißen aus Nordhausen abzuberufen. Der Rat selbst hatte am 1. Juli 1701 den Braunschweigern das Schulzenamt geradezu angeboten. Diesen Umtrieben gegenüber begnügte sich Brandenburg am 24. Januar 1702 zunächst mit einem einfachen Einspruch. Als dann aber die Verhandlungen in Dresden wegen der Ausfertigung der Urkunden ins Stocken gerieten und als infolge der Treibereien eine Besetzung der Stadt durch Hannover in Aussicht stand, wagte Friedrich III. am 7. Februar 1703 einen entscheidenden Schritt. Er ließ den Obersten von Tettau mit 1200 Mann zu Fuß und einem Fähnlein Reiter in Nordhausen einrücken. Der eingehende Bericht, der über die Besetzung der Stadt durch preußische Truppen noch heute vorliegt,[11] läßt keineswegs ein völlig klares Bild über alle Vorgänge gewinnen, doch können wir uns ihren Ablauf folgendermaßen vorstellen: Von Halberstadt her, durch den verschneiten Harz, war in den ersten Tagen des Februar eine starke Abteilung preußischer Truppen im Anmarsch. Kein Bote war in dieser Jahreszeit vorhanden, der etwa die Kunde in die Aue gebracht hätte, daß sich von Norden her Truppen ins Honsteinsche hinein bewegten. Unbemerkt und vorsichtig sichernd, langten deshalb zunächst die 40 Reiter des Obersten von Tettau in den südlichen Vorhöhen des Harzes an; unbemerkt und den Bauern Schweigen gebietend, rückten 1200 Mann zu Fuß langsam nach. Am Abend des 6. Februar stand alles in Hesserode und Weither bereit. Nordhausen hatte nichts bemerkt von den Dreispitzen und engen Gamaschen der preußischen Infanterie; es lag in tiefem Winterschlaf. Unterdes bestimmte Tettau eine Kompagnie als Vorhut, die nächtlicherweile die Überrumpelung der Außenbefestigung wagen sollte. Nachts um 2 Uhr trat sie den Marsch an. Jegliches Feuer war verboten, jeglicher Laut untersagt. Das ungewisse Licht der sternklaren Nacht genügte, und der preußische Zolleinnehmer Andreas Schmid in Nordhausen wies den Weg. Vorwärts ging’s ohne Benutzung der Landstraße, auf der man Fuhrwerk und Menschen begegnen konnte, vorwärts über die hartgefrorenen Schollen der Äcker, über die fast ganz ausgefrorenen Teiche beim Siechentore, den Schweineteich und den Pferdeteich; Nordhausen lag in tiefem Winterschlaf. Da plötzlich verworrene Stimmen am Siechentore, von der Stadtseite her, die man über die Teiche erreicht hatte! Barsche Befehle, dann schon im Innern des Tores dröhnende Kolbenstoße. Entsetzt eilt der Torwart Bierlich aus seiner Wohnung herab. Nichts ist in der Dunkelheit zu erkennen, nicht von ihm, nicht von den Soldaten. Doch schreit er um Hilfe und eilt gegen die Stadt hin davon. 8-10 Schüsse fallen im Innenraum des Tores, und der Pulverdampf, der sich nun in dicken Schwaden über den Torweg legt, hindert noch mehr den Überblick über den Schauplatz der raschen Tat. Doch da tönen Befehle: Fackeln an! Äxte und Seiten gewehre her! und polternd dröhnen die ersten Hiebe von innen gegen das äußere Tor, um es für die auf der Landstraße nachrückenden Truppen zu öffnen. Bald geben die Schlösser nach, die Flügel springen auf, herein strömen Tettaus Truppen und ziehen dem Lohmarkte zu. Die Vorstädte sind in der Hand der Preußen. Doch nun gilt es, die Oberstadt zu nehmen, nun gilt es gegen wohlverwahrte Mauern zu stürmen, wo handfeste Bürger die Freiheit mit ihrem Blut zu verteidigen bereit sind. Ein furchtbarer Kampf wird beginnen. – Nichts von alledem! Zwar haben die Bürgermeister, hat der Rat schon Kunde von dem gewaltigen Anmarsch, zwar ist schon in jedem Bürgerhause Licht aufgeflammt, verstörte Gesichter zeigen sich an den Fenstern, ängstlich fragende Menschen durchfluten die Straßen, aber an Gegenwehr denkt niemand. Sie hätte auch wenig genützt; denn schon stehen im Walkenrieder Hof an 30 preußische Soldaten, die man tagsvorher als Fuhrleute in die Stadt geschmuggelt hat, bereit, von innen das Neue-Wegstor zu öffnen. So geht’s denn ohne Hindernis den Fahrweg vom Lohmarkt hinauf vor das Neue-Wegstor. Es steht offen; keiner weiß, wer es geöffnet, doch findet eine rasche Verständigung zwischen den Truppen drinnen und den von außen erschienenen statt. Schon ist das Tor besetzt, der Torwart vertrieben, seiner Familie bei Gefahr des Leibes und Lebens Schweigen geboten. Auch der Zugang zur Oberstadt ist in der Hand des Feindes. Und nun treten die preußischen Truppen in Marschordnung an. Die Trommler voran, marschiert das Regiment in Nordhausen ein. Durch die Stille der Nacht, in der Enge der Gassen hallen die Trommelwirbel erschrecklich. Das junge Volk läuft zusammen und begleitet die Soldaten, die gesetzteren Leute seufzen in ihren Stuben und schicken ein ängstlich’ Gebet gen Himmel. Manch Hintersättier aber reibt sich vor Schadenfreude die Hände und wünscht dem Rat, gegen den er manche Beschwerde hat, eine recht derbe Zuchtrute von den Preußen. Bald ist der Marktplatz erreicht. Auf dem Kornmarkte werden zwei Geschütze aufgestellt, deren Mündung drohend die Rautengasse hinabgerichtet sind. Die Wachtstube im Rathause wird erbrochen; und dann tritt der Oberst von Tettau sporenklirrend in die Stube des Weinkellers, wo die Bürgermeister und Quatuorvim bedenklich und ratlos sitzen, ohne fröhlichen Schoppen wie sonst. Und hier vernehmen sie nun aus barschem Munde die Gründe, die zur Besetzung der Stadt geführt haben. – So gelangte Nordhausen, ohne daß Blut geflossen wäre, in die Hände der Preußen, und 12 Jahre lang sollte die Stadt die ungebetenen Gäste nicht wieder loswerden. Bald war der Gewaltakt Preußens im ganzen Reiche bemerkt worden. König Friedrich I. suchte sein Vorgehen in Wien zu rechtfertigen, die Nordhäuser wiederum beklagten sich bitter bei ihrem Kaiser. Doch dieser selbst, noch dazu in den Spanischen Erbfolgekrieg verwickelt und auf Preußens Hilfsvölker angewiesen, hatte keine Mittel in der Hand, die bösen Preußen aus seiner getreuen Reichsstadt zu vertreiben. So blieb denn nichts anderes übrig, als zu unterhandeln, hinterhältig und voller Respekt mit den Preußen, offen und voller Ingrimm mit den Hannoveranern. Überwindung kostete es, als seit dem 11. März 1703 der König von Preußen in das sonntägliche Gebet eingeschlossen werden mußte. Nur in der Hoffnung auf baldige Hilfe und Abänderung ging man am 13. März einen Vertrag mit den Preußen ein, in welchem Nordhausen in die Schutzherrlichkeit Preußens einwilligte und die Reichsämter an Preußen mit der Bestimmung abtrat, daß sie noch ein Jahr von der Stadt selbst verwaltet, dann aber Preußen übergeben wurden. Diese Übergabe der peinlichen und zivilen Gerichtsbarkeit, des Zolles, ?des Geleitrechts, des Scheffelpfennigs geschah dann am 5. und 6. September 1704; Preußen zahlte 13215 Taler 12 Groschen dafür. Nordhausen versprach fernerhin, sich aller Intriguen gegen Preußen, besonders aller „Engagements“ mit Hannover, zu enthalten und behielt 2 Kompagnien Infanterie in seinen Mauern. Doch das Versprechen, nichts gegen Preußen zu unternehmen, wurde von Nordhausen nicht gehalten. In der Stadt bildeten sich nämlich alsbald zwei Parteien heraus, von denen man die eine die preußische, bürgerliche Partei, die andere die hannöversche und Ratspartei nennen kann. Die Anführer dieser hannöverschen Partei waren die Bürgermeister Weber und Hoffmann, ihr stand die Familie Offney nahe, von der ein Mitglied als hannöverscher Hauptmann in Walkenried stand, und ihr gehörten fast alle privilegierten Ratsherrn an; das Haupt jener preußischen Gruppe war der Bürgermeister Eilhardt, und er hatte hinter sich die große Menge der ärmeren, gänzlich einflußlosen Bürger. Diese preußische Partei war stärker an Zahl; aber ohne eigentliche Vertretung und willensstarke Führung, erst gegen Ausgang der Besetzungszeit machte sich der Einfluß des Advokaten Chilian Volkmar Riemann und des Kaiserlichen Posthalters Filter geltend, die aber, da sie keine öffentlichen Ämter bekleideten, nur mittelbar wirken und wühlen konnten; die hannöversche Partei dagegen hatte die Macht in Händen und ging mit Entschiedenheit vor. So blicken wir hier zum ersten Male in die Bewegungen hinein, wie sie damals Nordhausen durchfluteten, erblicken zum ersten Male die Risse, die tief und weit die Bürgerschaft durchzogen, sehen zum ersten Mal, wie äußere und innere Politik ineinanderspielen und die Gemüter nicht selten leidenschaftlich in Erregung setzen. Die hannöversche Partei fand ihre Verbindung schon Ende Februar 1703 mit dem draußen in Walkenried, in Neustadt, ja im benachbarten Petersdorf die hannöversche Sache vertretenden Offney. Es wurde sogar der kühne Plan gefaßt, die preußische Garnison in Nordhausen des Nachts zu überrumpeln. Doch blieb es bei dem Vorhaben, und in späteren Jahren konnten die Hannoveraner nichts weiter tun, als sich in Wien und in Regensburg für Nordhausen einzusetzen. Unterdes begann aber die Tätigkeit eines Mannes für Nordhausens Reichsfreiheit, der unzweifelhaft damals der geschickteste Diplomat der Stadt war. Das war der Bürgermeister Johann Günther Hoffmann. Hoffmann war von niedriger Herkunft, was ihm seine Gegner in jener Zeit, die den lächerlichsten Standesdünkel ausgebrütet hatte, gern vorwarfen. Doch, wie es sich selten bei Leuten, die sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet haben, vorkommt, vertrat Hoffmann als Bürgermeister nun gerade den Standpunkt der bevorrechteten Ratsmitglieder, und weniger um der Reichsfreiheit selber willen, als um durch die Reichsfreiheit die bisher regierenden Geschlechter am Ruder zu halten, trat er für Nordhausen gegen Preußen ein. Obgleich er durchaus kein überragender Geist war, vermochte ein Mann wie er mit großem Tätigkeitsdrang und leidlichem Verstände, ähnlich wie auch der Bürgermeister Frommann, in dem damaligen Nordhausen, das jeglicher Köpfe entbehrte, doch einige Bedeutung zu erlangen. Hoffmann hatte nun bald begriffen, daß man wohl mit Hannover konspirieren könne, daß das aber ohne wesentlichen Einfluß auf den Gang der Dinge bleiben, ja dieses Spiel mit dem Feuer Preußen gar zu noch festerem Zugreifen veranlassen müsse, daß dagegen der Kaiser und das Reich als die rechtmäßigen Instanzen bei der ganzen gegen Preußen gerichteten Stimmung im Reich nicht ohne Nutzen für die Stadt gebraucht werden könnten. Er war es deshalb auch, der sich nach Wien wandte und nicht abließ, dort alle Hebel gegen Preußen in Bewegung zu setzen. Im Dezember 1704 und im Frühjahr 1705 hatte er den Kaiser endlich so weit gebracht, daß dieser für Nordhausen eintrat. Am 20. Dezember 1704 langte aus Wien ein Schreiben an, das dem Rate jegliches Verhandeln mit Preußen verbot, und den Tag vor der Ratswahl, den 4. Januar 1705, benutzte der Rat, dieses Schriftstück der Bürgerschaft öffentlich bekannt zu geben. Doch auf diesen offensichtlich unfreundlichen Akt antworteten die Preußen, klug die wegen der innenpolitischen Machenschaften des Rates erregte Stimmung der Bürger benutzend, mit einer staatlichen Zwangseinquartierung bei den Bürgermeistern, und recht schadenfroh mögen die Bürger den Herrn, die damals in schamloser Weise die öffentlichen Einkünfte für sich benutzten, diese ungebetenen Gäste gegönnt haben. Doch blieb es nicht bei dieser einzigen Verwendung des Kaisers für Nordhausen. Am 6. April 1705 befahl der Kaiser den Preußen die Räumung der Stadt, und am 19. Mai desselben Jahres erbot sich der Niedersächsische Kreis, für Nordhausen einzutreten. Nachdem auf diese Weise alles auf dem besten Wege für Nordhausen zu sein schien, ging Hoffmann noch einen Schritt weiter, für die Reichsfreiheit der Stadt und die vollen Beutel der Ratsherrn zu wirken. In Wien war nämlich Kaiser Leopold gestorben; ihm folgte sein Sohn Joseph I., und diesen Regierungswechsel nahm Hoffmann zum Anlaß, selbst in Wien zu erscheinen und dem neuen Herrscher den unbedingten Gehorsam der Reichsstadt zu Füßen zu legen. Der Wiener Hof aber ließ keinen Zweifel darüber, daß man alles auf bieten wolle, um Nordhausen zu befreien, und guter Hoffnung voll kehrte der Bürgermeister zurück. Diesem Spiel gegenüber konnte Preußen nur auf eine einzige starke Stütze rechnen, auf die Nordhäuser Bürgerschaft selbst. Denn so gerecht die Sache der preußenfeindlichen Bürgermeister Hoffmann und Weber an sich war, so ungerecht waren die Beweggründe, weshalb sie der Stadt die Reichsfreiheit bewahren wollten. Da setzte nun Preußen sehr geschickt ein, deckte die ungeheuerlichen Schiebungen bei den Ratswahlen auf, wies auf die parteiliche Rechtsprechung des Rates hin, machte auf die Unsummen aufmerksam, die unter einem Schein des Rechtes in die Taschen der regierenden Herren flössen. Demgegenüber suchte Hoffmann wieder die Bevölkerung zu veranlassen, ihre Rechtshändel nicht vor dem preußischen Schultheißen im Walkenrieder Hof, sondern vor dem Rate auf dem Rathause auszutragen. Das Intriguenspiel ging also hinüber und herüber, und Außen- und Innenpolitik verwob sich unlöslich ineinander. Schließlich machte sich die Gegenwirkung von Wien und von Hannover gegen Berlin aber doch so stark bemerkbar, daß der zaghafte Friedrich I. den auftauchenden Plan eines Schiedsgerichts nicht abzulehnen wagte. Am 17. August 1709 ernannte der Kaiser aus Bremen-Schweden, Braunschweig-Wolfenbüttel und Hessen-Kassel je einen Kommissar, die den Nordhäusisch-Preußischen Fall aus der Welt schaffen sollten. Am 25. Februar 1710 unterwarf sich Preußen diesem Schiedsgericht, legte aber Verwahrung gegen die Machenschaften Hoffmanns ein. Als Verhandlungsort war Hamburg ausersehen, was Preußen jedoch ablehnte. Deshalb verfiel man zunächst auf Goslar oder Mühlhausen. Dann trat man aber doch am 9. Mai 1710 in Hamburg zusammen; von Seiten Nordhausens erschien hier Hoffmann, Preußen blieb einfach aus. Daher gelangte man zu keinem Beschluß; doch befürchtete Preußen nun eine offene Überrumpelung der Stadt durch Hannover. So kam es, daß sich kurz vor den jedesmal unruhigen Tagen der Ratswahl im Jahre 1711 das Gerücht verbreitete, hannöversche Truppen seien im Anmarsch. Da wurden die beiden preußischen Kompagnien trotz der Januarkälte aus ihren Quartieren herausgezogen und mußten zwei Tage auf dem Kornmarkt unter Waffen in Bereitschaft stehen, bis Hilfe und besonders zahlreiche Artillerie in die Stadt rückte. 12 Geschütze wurden auf dem Kornmarkte aufgestellt. Dieser energischen Haltung Preußens gegenüber war es ein schwacher Trost für Nordhausen, daß der Niedersächsische Kreis am 10. April 1711 die Stadt ermahnte, standhaft auszuharren. Preußen ließ nicht ab, die gegen den Rat erregte Bürgerschaft aufzupeitschen und am 5. Januar 1712 und ebenso 1713 auch in die Ratswahl mit der Erklärung einzugreifen, daß es sich gegen den Verwandtenklüngel wende und für „qualifizierte Leute“ als Ratsherrn eintrete. Auch ein abermaliger Protest über Hoffmanns Verhalten ging am 24. April 1712 nach Wien. Alle diese Ereignisse spielten sich um Nordhausen ab, während draußen im Spanischen Erbfolgekriege und im Nordischen Kriege größte Entscheidungen fielen. Auswärtige Verwicklungen, in die Hannover und Preußen hineingezogen wurden, schlugen schließlich auch den fast unlösbaren Knoten durch, in den sich die Nordhäuser Sache eingeschürzt hatte. Georg I. von Hannover war 1714 König von England geworden; fortan bekam Hannovers Politik dadurch eine andere Richtung. Für Preußen aber wurde jetzt dieser Staat eine mit äußerster Vorsicht zu behandelnde Macht. In Berlin andererseits war schon 1713 Friedrich I. gestorben, und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm verfolgte im Nordischen Kriege andere, auf Vorpommern gerichtete Pläne. So kam es ziemlich schnell und reibungslos zwischen Preußen und Nordhausen zu dem Vertrage vom 16. Oktober 1714. Für 50000 Taler verzichtete Preußen auf seine sämtlichen Rechte an Nordhausen. Hannover streckte der Stadt, die soviel Geld allein nicht aufbringen konnte, die Summe vor. Am 1. Mai 1715 nahm Preußen das Geld in Empfang, am 23. August quittierte Friedrich Wilhelm im Feldlager vor Stralsund darüber. Preußen blieb nur im Besitze des Walkenrieder Hofes und war Lehnsherr über die Werthermühle, das letztere als Rechtsnachfolger der Bischöfe von Halberstadt. Im übrigen war Nordhausen jetzt vollkommen Freie Reichsstadt. Selbst die Vogtei und das Schulzenamt, die beide Jahrhunderte lang im Besitze Sachsens gewesen waren, gingen auf die Stadt über. Niemand als der Nordhäuser Rat gebot nun in Nordhausen. Am 6. August 1715 zogen die letzten preußischen Truppen aus Nordhausen ab, und am 19. August ließ der Rat sich von der Bürgerschaft in der Spendekirche erneut huldigen. Die Ratspartei hatte über die Bürgerpartei gesiegt und war gewillt, ihre Macht rücksichtslos auszunutzen. Schon am 27. Mai 1715, anscheinend das Nepotensystem verewigend, war Hoffmanns Sohn Andreas Jakob Hoffmann, mit ausdrücklichem Hinweis auf die Verdienste des Vaters um die Stadt, zum Stadtsekretär ernannt worden. Die glückliche Abwendung dieser ersten wirklichen Bedrohung der Reichsfreiheit konnte jedoch niemanden darüber hinwegtäuschen, daß über kurz oder lang die Stunde schlagen mußte, wo des Reiches und des Kaisers Stadt die Stadt eines Landes und seines Fürsten werden würde. Das alte Reich näherte sich seiner Auflösung, und damit mußten auch alle die Gebilde absterben, die nur innerhalb dieses Reiches möglich waren. Der Verfall des Reiches und der Reichsstädte, der durch die Besetzung Nordhausens zu Beginn des 18. Jahrhunderts so recht offenbar wurde, war schon lange vorbereitet; wir stehen nicht am Anfang, sondern am Ende einer Entwicklung.[12] Doch nicht nur Nordhausens Stellung zu seiner Umwelt ließ erkennen, daß es sich überlebt hatte, sondern auch die Verhältnisse, wie sie sich im Innern der kleinen Reichsstadt herausgebildet hatten, wiesen auf eine Auflösung hin. Hier gilt es nun Zustände darzustellen, die betrüblich genug sind, an die vielleicht gerade deshalb noch kein Historiker der Stadt gerührt hat, an denen man aber doch nicht vorbeigehen darf, wenn man ein wirkliches Bild von dem Leben einer kleinen, so gut wie völlig selbständigen Stadt gewinnen und dadurch lehrreichen Aufschluß über die Form und das Wesen von Staatsgebilden überhaupt erhalten will. Wegen der ausschließlichen Herrschaft einiger untereinander verschwägerter Geschlechter war es zur Revolution vom Jahre 1375 gekommen. Damals hatten die Handwerker die Macht an sich gerissen, und da sie den lebenskräftigen, soliden Kem der Bevölkerung ausmachten, schien ein gerechtes Stadtregiment gewährleistet. Doch mußte bei der neuen Verfassung schon darin ein Mangel erblickt werden, daß die Handwerker nicht nur, wie es ihrer Geltung für die Stadt entsprach, ein Übergewicht in der städtischen Politik erlangten, sondern sogar die Stadt so gut wie allein regierten. Dadurch mußten, wenn auch auf breiterer Grundlage, bald dieselben Zustände wieder eintreten, wie sie unter der Geschlechterherrschaft vorhanden gewesen waren. Nach wie vor hatte ein Stand allein allen Einfluß und vermochte gar bald diesen Einfluß für seine Sonderinteressen zu mißbrauchen. Schlimmer aber war die mangelhafte Wahlverfassung vom Jahre 1375. Indem man nämlich die Räte nicht von der Bürgerschaft wählen ließ, sondern dem jedesmal abgehenden Rat die Ernennung des neuen anvertraute, mußte die Mehrzahl der Bürger von der Teilnahme an den städtischen Geschäften ausgeschaltet werden. Denn natürlich wählten die drei Räte einander abwechselnd immer wieder, weil dadurch die beste Gewähr für den einzelnen Ratsherrn gegeben war, selbst wieder im Rat zu erscheinen. Der einmal gewählte Ratsherr behielt sein Amt auf Lebenszeit. Ganz langsam erneuerte sich deshalb der Rat nur durch Zuwahlen, die nach Todesfällen nötig wurden, und bei diesen Neuwahlen sorgte man auch dafür, daß nur Verwandte oder gute Freunde in den Rat gelangten. Die einflußreichen Vierherm aber, die zunächst als besondere Vertrauenspersonen der Gemeinde und als Verhüter von Übergriffen des Rates gedacht waren, mußten in dem Augenblick ihre Stellung als Anwälte der Gesamtbürgerschaft verlieren, wo auch sie nicht mehr von der Gesamtheit der Urwähler aufgestellt und gewählt, sondern durch die Wahl der Ratsherrn selbst aus der Mitte des Rates entnommen wurden. Dadurch konnte es nicht ausbleiben, daß sich in kurzer Zeit ein neuer Patriziat bildete, eine kleine Gruppe von Machthabern, die nicht aus dem Schoße des Volkes hervorgegangen war und vom Vertrauen ihrer Mitbürger getragen wurde, sondern die einen bevorrechteten Stand gegenüber der großen Menge der übrigen Bürgerschaft bildete. Gemildert wurde dieser Zustand seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nur dadurch, daß die Handwerker und der angestellte Syndikus allein die Verwaltung der Stadt nicht mehr meistern konnten, sondern daß die sogenannten homines litterati, meistens am römischen Recht geschulte Juristen, doch auch Theologen und Mediziner, Anteil am Stadtregiment bekamen, Männer, die auf der Akademie vorgebildet worden waren und die dadurch, daß sie in der Welt herumgekommen waren, einen größeren Weitblick bekommen hatten. Wiederum verstärkt aber wurde der Wunsch, die einmal errungene Stellung als Ratsherr zu behalten, dadurch, daß bei den immer komplizierter werdenden Verhältnissen die Arbeitskraft einiger im Gemeindedienste tätiger Bürger immer mehr in Anspruch genommen und damit im Laufe der Zeit auch eine immer höhere Entschädigung, sei es durch Gehalt, sei es durch den Zuschlag von Gerechtsamen, und zwar an sämtliche Ratsherrn, üblich wurde. Vetternwirtschaft, Beugung des Rechts und Korruption schlimmster Art waren die Folgen dieser Entwicklung. Dadurch aber wurde das Vertrauen der Bürgerschaft in die leitenden Kreise untergraben, und das ganze Staatswesen, das seit dem 17. Jahrhundert immer bedrohlicheren Angriffen von außen ausgesetzt war, konnte sich in der Gefahr nicht als ein festes, nur von einem Willen beherrschtes Gefüge betrachten, sondern war im Innern morsch und krank. Während des ganzen 16. und teilweise noch während des 17. Jahrhunderts konnte man das über diese Verhältnisse murrende Volk durch harte Strafbestimmungen niederhalten. Das „Schelten“ der Wahl am Tage der Heiligen Drei Könige war streng verboten. Artikel 1 der Wahlstatuten hieß deshalb: „Wer die Küre öffentlich strafet, soll der Stadt widersetzig sein.“ Gespräche über städtische Angelegenheiten in öffentlichen Gaststätten wurden unterdrückt. Dazu taten die Gewalthaber alles, um die Herrschaft der Räte als von Gott verordnet hinzustellen. Das ganze Zeitalter des Absolutismus kam ihnen da ja entgegen. So heißt es denn auch einmal in einer Rede des Syndikus Titius: „Ist nun die Obrigkeit Gottes Dienerin und wir sind Gottes Gebot zu folgen schuldig, so will uns auch in allen Wegen obliegen, der Obrigkeit ihren Respekt und Gehorsam zu leisten.“[13] Die große Menge des Volkes aber war noch politisch unerzogen und daher zu wehrlos, als daß sie Einrichtungen, die aus der Beschränktheit und dem Eigennutz kümmerlicher Menschlein geboren waren, nicht für naturgeboten und unantastbar gehalten hätte. Immerhin regten sich bei gebildeteren und rechtlich denkenden Leuten schon früh Zweifel. Schon 1585 waren die Rechtsbeugungen, die sich das durch Pfandschaft in städtischen Besitz gelangte Schulzengericht erlaubte, so offensichtlich, daß sich einige Bürger bei Kursachsen über die nicht im Sinne des Rechts, sondern im Sinne der bevorrechteten Klassen gehandhabte Rechtsprechung beschwerten. Und Cyliax Ernst, der in den Jahren 1599-1611 als Bürgermeister genügend Einblick in die Mißwirtschaft gewann, konnte sich äußern: „Wenn ein Amtsschösser oder Schreiber so hauste, als wie Senatus es hielte, würde er an den lichten Galgen oder an einen Baum gehenkt.“[14] Ausgang des 16. Jahrhunderts war die Vetternwirtschaft und das gegenseitige Zuschanzen von Vorteilen auf Kosten der Stadt so groß, daß der Rat dem Unwillen des Volkes wenigstens ein kleines Opfer bringen zu müssen glaubte. Er beschloß am 6. Januar 1599, daß fortan ein Vater nicht mehr seinen Sohn oder Tochtermann in die Wahl bringen dürfe, ein Beschluß, der im Jahre 1600 noch dadurch erweitert wurde, daß diejenigen, welche Bruder- und Schwesterkinder miteinander zur Ehe haben oder sonst in demselben Grade miteinander verschwägert sind, in einem Rate hinfort nicht mehr sitzen sollten. Also nur in einem und demselben Rate durften sie nicht erscheinen, in allen drei Räten konnten sie sich dagegen weiter betätigen, wahrscheinlich deshalb, damit, was der eine Vetter in dem einen Rate erreicht hatte, der andere zu seiner Zeit in dem zweiten Rate festhielt und der dritte im letzten Rate weiter ausbaute. So geringfügig also dieses erste Einschreiten gegen den Nepotismus war, so hatte man doch zum ersten Mal den Finger in die Wunde gelegt. Im Jahre 1622 kam auf Grund dieses Gesetzes Caspar Ernst wegen Verwandtschaft nicht in den Rat.D ie Pestzeit des Jahres 1626, die eine Unmenge Ratsherrn dahinraffte, schuf dann weiter Raum, um das Ratskollegium zu verbessern. Ein Mann aus dem eingesessenen Geschlechte der Wildes, der Gewandschnitter und Bürgermeister Johann Wilde, benutzte den durch die Pest hervorgerufenen Mangel an geeigneten Ratsmitgliedem, den ungefügen Apparat von 27x3=81 Stadträten in den drei Regimentern zu beschränken auf 14x3=42, nämlich den 3x9=27 aus den Gilden und 3x5=15 aus den vier Vierteln und der Neustadt. Am 2. Januar 1627 führte Wilde aus: Der Rat soll propter defectum personarum eingezogen werden, damit tüchtige Personen demselben hinkünftig vorstehen mögen, worauf resolvieret worden: daß 1. statt jährlich 4 Bürgermeister nur 2 sein sollen, daß 2. in den 9 Gilden statt je 2 Personen in einem Regimente nur 1 erkieset werden soll, daß 3. statt 4 Vierherrn nur 3, als 2 von den Gilden und 1 aus der Gemeinde sein sollen. Diese Bestimmungen vom Jahre 1627 bedeuten die einschneidendste Veränderung, welche den Rat von 1375-1802 betroffen hat. Es wurde wenigstens dadurch das erreicht, daß statt der 12 Magnifizenzen, wie sich die je 4 Bürgermeister aus den 3 Regimentern anreden ließen, sich nur 6 aus den Steuern der Bürger bereicherten, und daß statt 69 nur 36 Ratsherrn die verschiedenartigsten Abgaben und Lieferungen in ihre Taschen fließen lassen konnten. Die Durchstechereien aller Art und der Nepotismus nahmen aber dennoch bald wieder überhand. Nicht ganz so schlimm wie in der Nachbarstadt Mühlhausen, die dadurch in schwere innere Wirren gestürzt wurde, aber doch zur Genüge nutzten auch die Nordhäuser Ratsherrn ihre Stellung aus, um die Lasten, die der Dreißigjährige Krieg an Einquartierungen und Kontributionen erheischte, von sich nach Möglichkeit abzuwälzen und auf die Schultern der übrigen Bürgerschaft zu legen. Und das Gesetz wegen zu naher Verwandten im Rat wurde oft genug mit der recht billigen Ausrede umgangen, daß es hieß: „Sie haben in ihrem Mittel kein capabel Subject angetroffen.“ - So waren die Verhältnisse nach dem Kriege schlimmer denn je. Am meisten leistete die Art der Besoldung jener Zeit den Veruntreuungen und der Inanspruchnahme städtischer Mittel für persönliche Zwecke Vorschub. Die Geldwirtschaft war nämlich noch nicht so durchgebildet, daß die städtischen Beamten ein festes Jahresgehalt nur in Geld ausgezahlt bekamen, sondern es flössen ihnen Einnahmen aus allen möglichen Quellen, häufig in Naturalien geliefert, zu. Bei dieser Art der Besoldung war nicht ganz charakterfesten Personen Tor und Tür geöffnet, sich auf Staatskosten über Gebühr bezahlt zu machen. So setzte sich z. B. das Gehalt der beiden regierenden Bürgermeister zusammen aus 13 Titeln, die sie jährlich als „Ordinär-Lohn-Präsent“, und abermals 13 Titeln, die sie vierteljährlich als „Quartal-Präsent“ beanspruchen konnten. Unter dem Jahrgehalt befanden sich außer einem Fixum das Fischgeld, Kleidergeld, Handschuhgeld, Festbraten, Zwieback, Holzgeld u. a., bei den Quartalseinkünften treffen wir auf Neujahrsgeld, „Kollationen“, Hausmiete, Schuhgeld a.a. Doch waren diese Einkünfte noch einigermaßen zu übersehen. Im Laufe der Zeit hatten aber besonders die Bürgermeister und Kämmerer der Stadt, welche die Hauptgeschäfte führten, ihre Ämter dazu benutzt, immer weniger städtische Abgaben in das Aerarium publicum und immer mehr in ihre eigene Tasche fließen zu lassen. Am wenigsten konnten sie ihre Einkünfte noch dadurch verbessern, daß ihnen an bestimmten Tagen des Jahres Geldgeschenke oder Naturallieferungen dargebracht werden mußten. So erhielten alle Ratsherrn im Frühjahr und Herbst zur Zeit der beiden Jahrmärkte bis 1604 ein Festessen, von da an 1 Taler; Martini war es ebenso, wofür sie fortan 2 Taler, 1 Pfefferkuchen und V4 Malvasier ins Haus geliefert bekamen. Auch zu Fastnacht und am Tage der Ratswahl, am 6. Januar, waren dergleichen Geschenke üblich. Am wichtigsten aber waren die Einnahmen der Bürgermeister und Ratsherrn, welche ihnen die meisten Nordhäuser Mühlen in fetten Schweinen, Gänsen und in Getreide schuldeten. Auch diese Einnahmequelle wurde mißbraucht. Viel schlimmer jedoch war es schon, daß Bürgermeister und Kämmerer die Einkünfte aus städtischem Gelände allmählich für sich gebrauchten. So beschlossen die drei Räte mitten im Dreißigjährigen Kriege am 23. Juni 1641, daß in jedem Regimente die beiden Bürgermeister einen „Hauptgraben“ für sich als Weidennutzung gratis haben sollten. Städtisches Weideland in den Festungsgräben, das bisher verpachtet worden war, wurde dadurch an einzelne Personen verschenkt. Ebenso beanspruchten sie aus verschiedenen Fischteichen die Fische und legten sogar 1657 bei Salza, natürlich auf Stadtkosten, einen Ratsforellenteich an. Das Heu von den Wiesen vor der Windlücke, das zum Teil für den städtischen Marstall ausersehen war, benutzten sie für die eigenen Pferde und Kühe, und die Wellenhölzer, die Crimderode seit uralten Zeiten als Brennholz liefern mußte, wanderten gar bald allein in die Öfen der Herrn Bürgermeister. Andere Einnahmen, die nach und nach auch beträchtlich ausgebaut wurden, flössen den Bürgermeistern aus den Abgaben der beiden städtischen Güter Bielen und Uthleben zu. Nach Martini, wenn der Gutspächter von den Bauern den Erbzins eingenommen hatte, mußte er den Bürgermeistern und einigen Ratsherrn ein reichliches Mahl anrichten. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erhielten statt dieses Essens die regierenden Bürgermeister, der Syndikus und die beiden Sekretäre vom Gute Uthleben 12 Taler zusammen, die Bürgermeister außerdem wie seit alter Zeit 8 Gänse, 8 junge Hähne, 4 Scheffel Weizen, und die 3 Klosterherren, d. h. die Ratsherrn, die das Gut zu überwachen hatten, 9 Scheffel Weizen. Das Gut Bielen, das bedeutend kleiner war als das zu Uthleben, mußte trotzdem an die Bürgermeister dieselben Abgaben von 8 Gänsen, 8 Hähnen und 4 Scheffeln Weizen entrichten. Damals war es also für die Frau Bürgermeister noch eine Lust, der Küche vorzustehen! Besonders furchtbar aber waren die Mißstände, die dadurch entstanden, daß die regierenden Herrn ihre Amtsgewalt ausnutzten, um von den Bürgern, die irgend einen Vorteil haben, ein Gewerbe betreiben oder alter Gerechtsame nicht verlustig gehen wollten, Abgaben aller Art zu erlangen. So war es eine alte Einnahme der Bürgermeister, daß sie die Pachtgelder bekamen, die aus der Verpachtung der Buden auf dem Markte flössen. Allmählich aber ließen sie sich das Pachtgeld immer häufiger entrichten, und die Bürger mußten bezahlen, weil ihnen sonst mit der Entziehung ihres Verkaufsstandes oder mit der Zuweisung eines ungünstig gelegenen gedroht wurde. Den Knochenhauem ferner war nur erlaubt, bis zu 400 Schafe auf den städtischen Ländereien weiden zu lassen, damit auch das Vieh von St. Martini und das der anderen Bürger zu seinem Rechte kam. Da aber die Bürgermeister für jedes Stück weidenden Viehs von den Knochenhauem 6 Pfennig erhielten, gestatteten sie, daß viel mehr Vieh weiden durfte als vorgesehen war. 1666 führte diese Unsitte zu lebhaften Beschwerden. Hausierern und Juden war nach altem Herkommen das Feilbieten in der Stadt überhaupt verboten, oder sie durften ihre Waren nur unter strengster Kontrolle der Zünfte absetzen. Die Bürgermeister aber drückten gern ein Auge zu, wenn die Hausierer ihnen ein Scherflein zukommen ließen, eine Unsitte, die wenigstens hinsichtlich der Juden durch Kaiser Leopold im Jahre 1666 dadurch Rechtskraft erhielt, daß der Kaiser der Stadt die Erhebung der sogenannten Kronensteuer von den Juden gestattete. Das aufkommende Geld mehrte allein die Einnahmen der Bürgermeister. Endlich am trefflichsten bezahlt machten sich die Bürgermeister und Kämmerer durch die sogenannten Laudemiengelder. Die Pächter der Mühlen, des Weinkellers, der Ratsapotheke hatten nämlich, abgesehen von ihrer Pacht, die in den Stadtsäckel floß, an die regierenden Herrn eine zunächst ganz geringe Anerkennungsgebühr, eben das Laudemiengeld, zu zahlen, jedesmal wenn von 3 zu 3 Jahren die Pacht erneuert wurde. Diesen Brauch wußten nun die Bürgermeister dadurch herrlich zu nutzen, daß sie die Pacht immer niedriger ansetzten, die Anerkennungsgebühr immer höher, so daß immer weniger Geld der Allgemeinheit, immer mehr ihren eigenen Taschen zugute kam. Daß sie auch darauf bedacht waren, besonders den Weinkeller an Verwandte für billiges Geld zu verpachten, sei nur nebenbei erwähnt. Starb während einer Wahlperiode von 3 Jahren ein Bürgermeister, so kamen seine bisherigen Einkünfte nicht etwa der Stadtkasse zugute, sondern sein Kollege aus demselben Regimente konnte die gesamten Bezüge für sich einstreichen. Nicht selten verstanden es auf diese Weise Bürgermeister unter dem Vorwande, daß kein geeigneter Nachfolger vorhanden sei, Jahre lang sich doppelt bezahlt zu machen. Der Bürgermeister Frommann z. B. regierte 1691-1692 ganz allein und gelangte dadurch zu prächtigen Einnahmen. Ebenso schlimm war die Korruption bei den Ratswahlen. Jedes Gebot war dagegen machtlos. Es hieß zwar in dem sogenannten iuramentum purgatorium. „Ein teurer Eid muß geschworen werden von dem Bürgermeister, daß von einem zum Ratsherrn Erwählten vor seiner Wahl weder Geld noch Geldeswert etwas gewisses gegeben, versprochen oder bei einem anderen dafür niedergelegt, dergleichen auch nicht durch andere Personen oder auf andere Art und Weise geben noch verrichtet.“ Aber das half alles nichts. Während des ganzen 17. und 18. Jahrhunderts treffen wir in den Akten der Gilden immer wieder darauf, daß ein Handwerker einem seiner Kollegen, der schon im Rate war, Geld anbot, damit er ihn in den Rat hineinbrächte. Fortwährend gab es deshalb gegen einzelne Ernennungen von Ratsmitgliedem innerhalb der Gilde Proteste, weil die Bestechung alsbald ruchbar wurde. Und wenn die Handwerker dann durch solche unlauteren Mittel Ratsherrn geworden waren, gingen die Bestechungen weiter. Damit der neue Ratsherr nun auch zu Ämtern kam, mit denen hübsche Einnahmen verbunden waren, mußte er. den Bürgermeister, der die Dezernate vergab, bestechen. Ein derartiges Spicken des Bürgermeisters nannte man recht euphemistisch „eine freiwillige Diskretion“. Obwohl diese himmelschreienden Verhältnisse offenes Geheimnis waren, kam es doch ganz selten vor, daß einer dieser Schmarotzer gefaßt und bestraft wurde. Jedenfalls konnte er sich dann keiner zahlreichen Verwandtschaft rühmen, die ihn schützte, weil jeder andere ebenso belastet war und weil nur die Korruption ihnen Einfluß und Stellung sicherte. So mußte im Jahre 1655 der Kämmerer und Ratsherr Konrad Zellmann, der Veruntreuung begangen hatte, daran glauben. Doch behandelte man ihn recht glimpflich, stellte ihn nicht an den Pranger und verwies ihn nicht ewig der Stadt, wie man es mit kleinen Hehlern und Gaunern machte, sondern gab seine Verfehlungen lediglich der Öffentlichkeit bekannt, entsetzte ihn seines Amtes und ließ ihn 200 Taler Strafe bezahlen. Sonst besserten sich Anfang der sechziger Jahre die Verhältnisse unter dem Einflüsse des Syndikus Titius ein wenig. Dieser hatte die alten Statuten der Reichsstadt einer Nachprüfung unterzogen, und die Betrachtung der ehemaligen Zustände brachte ihn von selbst zu der augenblicklichen. So konnte er es sogar wagen, den Räten Vorschläge zu unterbreiten, die wieder einmal eine strengere Beobachtung der Vorschriften über zu nahe Verwandte im Rate vorsahen. Am 4. Januar 1666 stellte der Rat fest, daß häufig „nützliche Subjekte“ übergangen seien und deshalb eine neue Festsetzung der Verwandtschaftsbestimmungen erfolgen müsse. In den folgenden Jahren, im Jahre 1667, 1671, 1674 wurde immer wieder daran erinnert, bis im Jahre 1680 eine durchgreifende Regelung erfolgte. Allerdings wurde auch damals wie 1599 nahe Verwandtschaft nur für einen und denselben Rat verboten, doch durften in allen drei Räten nur noch zwei Verwandte sitzen, z. B. ein Vater und ein Sohn, ein Bruder und dessen Bruder u.s.f. Auch schärften die Bestimmungen ein, daß niemand einen Anspruch auf Ernennung habe, sondern die Wahl vollkommen frei vor sich gehen müsse.[15] Aber schon am 7. Januar 1686 wurde das ganze schöne Statut über den Haufen geworfen, indem der Ältestenrat doch zwei nahe Verwandte in einem Ratsregimente zuließ. „Seniores beschließen, daß Senator Eilhardt und Senator Lohr, so beide Schwesters- und Bruderkinder geheiratet, in einem Regimente bleiben sollen, jedoch citra consequentiam.“ Auch die Bestechlichkeit und die Ämterkäuflichkeit schien ein unausrottbares Übel. Ganz offen besprach man diese Schändlichkeiten, keiner nahm daran Anstoß, und nur wenn eine an sichtbarer Stelle stehende Persönlichkeit wie der Konrektor Calenius vom Gymnasium rückhaltlos den Bürgermeister einen öcopotpayog, einen Geschenkefresser, nannte, erregte ein derartiger Angriff einiges Aufsehen. Nichts kennzeichnet diesen Groll mit den bestehenden Verhältnissen mehr als das Vorhaben gewisser Bevölkerungsschichten, sich die Not der Pestzeit zunutze zu machen und einen Umsturz zu wagen. 1681 wurde dem Rate hinterbracht, daß „etliche gottlose und aufrührerische Leute sich verlauten lassen, wenn die Pest recht überhandnähme und Mangel einträte, wollten sie die vornehmsten Häuser plündern und alles gemeinmachen“. Eine Revolution mit kommunistischem Endziel stand also in Aussicht. Nicht einmal aller Handwerker war der Rat sicher und mußte deshalb anfragen, ob die Gilden im Falle eines Umsturzversuches hinter ihm ständen. Manche nicht ratsfähige Gilde mag damals abseits geblieben sein; doch die 9 Gilden, aus denen die Ratsherrn genommen wurden, zitterten für ihre Vorrechte, prüften ihren Vorrat an Gewehren und Munition nach und ernannten „Schützen- und Kriegsmeister“ aus ihrer Mitte. Die Not der Pestzeit ging vorüber, und der Rat behielt das Heft in der Hand. Von ganz bedenklichem Einfluß in diesen letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts scheint der Dr. med. und Bürgermeister Frommann gewesen zu sein. Das geht aus einer Denkschrift hervor, die ohne Namen und ohne Datum auf uns gekommen ist, aber in den Jahren zwischen 1698 und 1722 geschrieben sein muß.[16] Ganz gewiß ist es, daß diese Schrift von einem Gegner Frommanns herrührt, ganz gewiß muß man deshalb auch Abstriche bei dem, was Frommann unterstellt wird, vornehmen, aber im wesentlichen wird an der Richtigkeit ihres Inhaltes nicht zu zweifeln sein. Denn mit zu großer Sicherheit wird auf einzelne, ganz bestimmte Verfehlungen hingewiesen, als daß man die ganze Schrift nur als gemeinen Anwurf bezeichnen könnte. Die Vorwürfe, welche die Denkschrift gegen den Eigennutz Frommanns erhebt, müssen berechtigt gewesen sein. Bevorzugungen von Ratsherrn bei Verpachtungen und bei der Auslosung der Braugerechtsame häuften sich gerade unter Frommannschem Regiment. Im Haushalt der Stadt herrschte eine kaum entwirrbare Unordnung, aus der die regierenden Herren ihre Vorteile zogen. Ja, Frommann ging soweit, seine Amtsgewalt für seinen Arztberuf zu mißbrauchen, indem er das alleinige Recht, Rezepte auszustellen, für sich in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fand nach dem Tode des Neunzigjährigen im Jahre 1706 sein Nachfolger als Stadtpysikus Georg Henning Behrens, der bekannte Heimatschriftsteller, ganz allgemein schärfsten Widerstand, als er sich um einen Ratsposten bewarb. Auch die Unterdrückung ehrenwerter und begabter Persönlichkeiten wird wohl nicht ganz mit Unrecht dem Bürgermeister zur Last gelegt. Schon den tüchtigen Stadtsekretär Johann Georg Michaelis verfolgte er, und später ließ er dessen Nachfolger Johann Martin Titius, einen Sohn des berühmten Syndikus Titius, nicht emporkommen. Auch daß der vielleicht bedeutendste Mann Nordhausens in den sechziger und siebziger Jahren, der Rektor Hildebrand, in Unfrieden aus der Stadt schied, gab man Frommann schuld. Aufstrebenden und tüchtigen Familien wie den alteingesessenen Ernsts und den erst zugewanderten Filters legte er Hindernisse in den Weg, dagegen begünstigte er überall seine Kreaturen. Selbst den Syndikus Harprecht, der sich in schwerster Weise an der Bürgerschaft verging, scheint er unterstützt zu haben. Dieser Johann Wilhelm Harprecht, Sohn eines Pfarrers aus Wolkramshausen, wurde im April 1687 Syndikus in Nordhausen. Seine Amtsgewalt mißbrauchte er dadurch, daß er sich als Getreidemakler betätigte, in großem Stile Früchte aufkaufte, die Preise in die Höhe trieb und daraus seinen Vorteil zog. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist es, daß an dem ganzen schmutzigen Treiben der damals allerdings schon achtzigjährige Frommann beteiligt war; denn das Martinihospital mit seinen reichen Getreidevorräten wurde in den Skandal hineingezogen, und Frommann war lange Jahre gerade Vorsteher dieses Stifts. Jahrelang zog sich der Streit der Stadt mit ihrem Syndikus hin, und langwierige Prozesse mußten geführt werden. Die eingeholten Urteile von Schöppenstühlen und Juristenfakultäten der Universitäten sprachen sich gegen Harprecht aus; dagegen setzte sich das Reichskam mergericht, das das alte Cliquenwesen gegen die unter der preußischen Besetzung neu aufstrebenden Männer unterstützte, für den Syndikus ein. Erst 1708 konnte Harprecht entlassen werden, 1715 ist er gestorben. Manches freilich, was die Denkschrift an Frommanns Herrschaft auszusetzen hat, war ohne sein Verschulden geschehen. Für die Gefahren, in die übermächtige äußere Verhältnisse die Stadt stürzten, kann er nicht verantwortlich gemacht werden. Der Walkenrieder Hof wäre auch ohne Frommanns Zutun in die Gewalt der Preußen geraten, den Übergang der Vogtei und des Schultheißenamtes von Sachsen an Brandenburg hätte auch ein anderer nicht verhindern können, und von einer Schuld des Bürgermeisters bei der Besetzung der Stadt durch die Preußen kann keine Rede sein. Diese Besetzung der Stadt war es gerade, welche der Bürgerschaft die gesamten korrupten Verhältnisse klar vor Augen stellte. Denn die Preußen ließen es sich natürlich angelegen sein, den Unwillen der großen Masse der Bürger mit dem Ratsregiment zu benutzen, um selber Fuß in der Stadt zu fassen. Bald stand deshalb auf der einen Seite der Kaiser, Johann Günther Hoffmann und der Rat sowie die von den Offneys geführte hannöversche Partei, auf der anderen Seite, der Preußen, standen alle bisher nieder gehaltenen befähigten Bürger, besonders die Riemanns, die eben erst eingewanderten Filters, und die Mehrzahl der Kleinbürger. Der preußische Schultheiß, der im Walkenrieder Hof residierte, suchte immer wieder den Unwillen der Bürger über die Schiebungen und Bestechungen bei der Ratswahl zu entfachen, der Kaiser dagegen suchte immer wieder den Rat zu stützen, dem natürlich alles an der Reichsfreiheit gelegen war, unter der er allein seine sauberen Machenschaften ungestört fortsetzen konnte. Als daher schließlich unter Preußens Einfluß im Januar 1706 zu befürchten stand, daß in die Menge der verschwägerten Ratsherrn einige neue Männer eindrangen, griff der Kaiser höchstselbst in die Wahl ein und verbot am 22. Dezember 1705 überhaupt die Ratswahl für das kommende Jahr. Der Rat vom Jahre. 1705 sollte auch 1706 die Amtsgeschäfte führen. Die Lösung schien einfach. Doch hatte der Kaiser nicht mit dem Eigennutz der beiden anderen Ratsregimenter gerechnet, die nun ein Jahr länger von den fetten Pfründen ausgeschlossen waren und sich deshalb gegen diese Regelung auflehnten. Am 8. Januar 1706, also zwei Tage, nachdem sich der alte Rat laut kaiserlichen Befehls wieder konstituiert hatte, kamen sie auf dem Ratskeller zur Beratung zusammen, und hier verfaßten sie eine Eingabe an den Kaiser, die Verwahrung gegen die Aufhebung der Ratsneuwahl einlegte. Doch schon am 1. Februar 1706 lehnte der Kaiser den Einspruch in schroffer Form ab. Es sei höchst befremdlich, daß sie gegen kaiserliche Verordnung in puncto Ratswahl oppositiones erregt, auch Wege gewählt hätten, die nur verderblich ausfallen könnten. Bei Verlust von Ehre, Hab, Gut, ja Leib und Lebens hätten sie sich aller weiteren Opposition zu enthalten. Ihnen solle an Beförderung des gemeinen Bestandes mehr als an der einen oder anderen Privatkonvenienz gelegen sein. - Mit diesem Briefe schützte der Kaiser also die Freie Reichsstadt gegen Preußen, zugleich aber auch die Korruption gegen die Lauterkeit. Diesem Eingreifen des Kaisers war es zu danken, daß der preußenfeindliche Bürgermeister Andreas Weber zwei Jahre lang am Ruder blieb und am Ende seiner Amtszeit, am 13. Dezember 1706, mit hannöverscher Hilfe auch durchsetzen konnte, daß nun ein anderer Gegner Preußens, der schon oft genannte Johann Günther Hoffmann, wieder Bürgermeister wurde. Es würde zu weit führen, das ganze weitere Intriguenspiel zu verfolgen. Jedenfalls wiederholte sich bei jeder Ratswahl dasselbe Schauspiel, daß der preußische Schultheiß auf die Machenschaften der alten Geschlechter aufmerksam machte, diese selbst sich aber mit Hilfe des Kaisers und Hannovers immer wieder die einflußreichsten Posten in die Hände spielten. 1709 wollte Hoffmann sogar den hannöverschen Hauptmann Offney, der in Neustadt stationiert war, zum Bürgermeister machen. Der preußische Schultheiß aber verbot bei 1000 Talern Strafe die Wahl. So blieb denn der Bürgermeisterposten zwei Jahre lang überhaupt unbesetzt. Als dann am 5. Januar 1712 neben Hoffmann Christoph Wilhelm Offney zum Bürgermeister gewählt wurde, erreichte der Konflikt in der Bürgerschaft, der sich vor den Augen der Preußen abspielte, seinen Höhepunkt. Preußen setzte sich ganz offen dafür ein, daß „qualifizierte Personen gewählt werden sollten und nicht propter ambitus“, daß also nicht das Amt durch die Partei erschlichen werden solle; es gewann damit reichen Beifall und großen Anhang in der Bürgerschaft. Und als dann im folgenden Jahre, nach Verausgabung von mehr als 2000 Talern für Geschenke, nach Ansicht der Bürger gänzlich unfähige Bürgermeister und Quatuorvim, nämlich die Bürgermeister Pauland und Riedel, sowie die Vierherrn Koch, Müller, Dunckelberg und Kellermann gewählt wurden, „protestierte die Bürgerschaft und bat sich desfalls den Schutz beim Schulzenamt aus; worauf dieses ein Patent affigieren (anheften) lassen und die neoelectos (Neugewählten) nicht aufs Rathaus gelassen, welche sämtlich wieder umkehren müssen, da jenes mit preußischen Soldaten besetzt war“. Die Bürgerschaft beschritt wegen dieser Ratswahl auch den Rechtsweg und ging am 4. April an den Reichshofrat, dem die Klage natürlich außerordentlich fatal war, da er wohl wußte, daß die Bürger im Rechte waren, aber die Angeschuldigten doch des Kaisers Partei gegen Preußen vertraten. Selbst die Pfarrer griffen von den Kanzeln herab in den Kampf ein und wetterten gegen die bcopotpayta, gegen die Geschenkefresserei der Ratsmitglieder.[17] Da mischte sich denn im Februar 1714 auch einmal Georg Ludwig, Herzog von Braunschweig-Lüneburg, des Heiligen Römischen Reiches Erzschatzmeister und Kurfürst, ein, indem er seinem Kommissar Triseberg in Niedersachswerfen den Auftrag erteilte, der Bürgerschaft gut zuzureden. „Die querulierenden Bürger werden wohlmeinend vermahnt und erinnert, sie möchten ihr eigenes und ihrer Nachkommen Heil wohl bedenken und nichts präzipitieren, welches doch nicht anders als zu ihrem eigenen Verderben gereichen könnte.“ Bald darauf zog die preußische Garnison ab, der preußische Schultheiß verschwand, und die Vetternwirtschaft hatte wieder gute Tage. In den folgenden 10 Jahren erlebte Nordhausen das Schamloseste an Ausbeutung, was sich nur denken läßt. Dieses Nordhausen zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist wirklich ein Schulbeispiel, daß es kaum etwas Vieldeutigeres gibt, als die Begriffe, deren sich das Verfassungsrecht der Völker bedient. Die Formen, welche das menschliche Gemeinschaftsleben entwickelt hat, sind ungeheuer reich, und die Begriffsbildung dafür ist ungeheuer arm. Daher kommt es, daß es verantwortungslosen Demagogen immer wieder gelungen ist, den einzelnen Begriffen Inhalte zu geben, die in einer solchen Unbedingtheit, wie sie immer wieder vorgespiegelt wird, gar nicht vorhanden sind. Dadurch werden aber bei der großen Menge den einzelnen Verfassungsformen gegenüber Willensakte und Gefühlsäußerungen ausgelöst, die häufig jeder Berechtigung entbehren. Ein absolutes Königtum sowohl wie ein Volkskönigtum können vortreffliche Staatsformen darstellen, wenn der absolute Monarch sich nur als erster Diener seines Staates fühlt oder der Volkskönig sich nur als Beauftragter des gesamten Volkes ansieht. Beide können aber verderblich werden, wenn die Monarchen degenerieren und eine Kamarilla von Hofschranzen Macht und Einfluß gewinnt. Und ebenso können sowohl aristokratische wie demokratische Republiken das Größte für das Volkswohl leisten, wenn nach Blut und Befähigung die Besten an die Spitze des Staatswesens treten; aber auch eine Republik kann sich zu der denkbar schlechtesten Staatsform entwickeln, wenn in ihr immer wieder dieselben Geschlechter die Gewalt in Händen haben oder aber aus dem Schoße des Volkes nicht die Edelsten und Tüchtigsten, sondern die Eitelsten und Selbstsüchtigsten emporsteigen. Sind in der Verfassung nicht alle Sicherheiten gegen eine Degeneration vorgesehen, so wird mit der Zeit jede Staatsform, ob Monarchie oder Republik, mangelhaft und mangelhafter werden bis zum Untergang des Staatswesens. Bei einem Volkskönigtum erblicken wir die vornehmste Sicherheit in der Möglichkeit des Königs und des Parlaments, einen Peersschub vornehmen zu können, damit zu rechter Zeit neue Säfte und Kräfte in den Staat einströmen; das Gedeihen einer Republik aber ist in erster Linie abhängig von dem Bildungsstande ihrer Bevölkerung. In einem politisch tief stehenden Volke wird dieses seine Vertreter wählen nach seinen Tagesbedürfnissen, nach dem materiellen Interesse des einzelnen Staatsbürgers. Ein berufständisches Parlament aber und aus diesem hervorgegangene ausübende Organe sind das Schlimmste von allem; denn sie bedeuten den Kampf aller gegen alle im Innern, und nach außen hin Kraftlosigkeit und das Gespött aller übrigen Völker, es sei denn, daß überstaatliche Gebilde menschlicher Gemeinschaft, denen wir heute noch keine Form geben können, den machtpolitischen Kampf von Volk gegen Volk ausschlachten. Doch werden auch dann Kompromisse zwischen den einzelnen Interessengruppen bestenfalls immer nur Annäherungsversuche an das Endziel einer glücklichen Volksgesamtheit darstellen können. Ein politisch reifes Volk dagegen wird die Männer an seine Spitze berufen, die, soweit es menschenmöglich ist, trotz ihrer Fähigkeiten jenseits allen Eigennutzes, aller Partei, allen materiellen Interessen stehen. Hält man aber eine derartige politische Bildung des ganzen Volkes für unerreichbar oder gar außerhalb des dem Menschen von Natur Möglichen liegend, dann kann eine gute Verfassung paragraphenmäßig immer noch dadurch den Eigennutz weitgehend ausschalten, daß sie von Interessengruppen bezahlte Funktionäre als Vertreter des ganzen Volkes nicht zuläßt. Im übrigen wird jeder Einsichtsvolle von dieser und jener Staatsform nie alles Heil erwarten. Denn seit einigen tausend Jahren hat die Menschheit aus sich heraus alle nur denkbaren Verfassungen entwickelt, und keine hat jemals restlos befriedigt, weder die Gesamtheit der Bevölkerung noch auch nur ihre Mehrheit. Das scheint schicksalsmäßig an der Natur des Menschen zu liegen, der nur unter ganz bestimmten, die Gesamtheit niemals befriedigenden Formen ein Gemeinschaftsleben finden kann. Deshalb ist eine höhere Stufe des Zusammenlebens auch nicht aus dieser oder jener Konstruktion einer Verfassung zu gewinnen, sondern nur durch die ganz allmähliche Höherentwicklung des Menschengeschlechts überhaupt. Ob dabei das innerste Wesen, der Kem des Menschen im Laufe der Zeit einer Besserung fähig ist, bleibe dahingestellt, die äußeren Formen, in denen die Menschen miteinander verkehren, sind es ganz gewiß, und auf diese kommt es in der Praxis an, und damit könnten auch neue, mehr als die früheren befriedigende Staatsformen gefunden werden. Nordhausen war zu Beginn des 18. Jahrhunderts dem Namen nach noch immer eine demokratische Republik, es hatte sich faktisch zu einer aristokratischen Republik entwickelt; jedenfalls hatte es so ziemlich die schlechteste Verfassung, die sich überhaupt denken läßt. Eine Reihe von Geschlechtern, die nur aus krassestem Eigennutz den Staat verwalteten und deren Treiben zu unterdrücken verfassungsmäßig kaum eine Möglichkeit vorhanden war, beutete die Mittel des Staates rücksichtslos aus. Rücksichtslos, denn diese Gesellschaft hatte nicht gelernt von den Vorgängen der letzten Jahrzehnte. Kaum, daß mit dem letzten preußischen Grenadier die letzte Hemmung gefallen war, stellte das edle Konsortium der Christian Ernst Offney, Georg Christoph Huxhagen, Johann Pauland, Walter Riedel, Johann Günther Hoffmann trotz aller ergaunerten Einkünfte schon im Jahre 1717 fest, daß die Besoldung der Bürgermeister zu gering sei. Im Jahre 1719 kam es wieder an den Tag, daß für die Wahl zum Ratsherrn hohe Summen geboten worden waren, 1721 wandte sich das Volk gegen Machenschaften Offneys an das Reichskammergericht, 1724 wurde die Wahl des homo novus Franz Filter, der erst seit 1704 als Postmeister in Nordhausen weilte, vom Rate unterdrückt. Diese letzte Gewalttat schweißte nun aber die beiden tüchtigsten, aber noch immer machtlosen Verwaltungsmänner Nordhausens zusammen, Chilian Volkmar Riemann, seit 1720 Syndikus der Stadt, und Franz Filter, den Thum- und Taxisschen Postmeister Nordhausens. Beide stellten sich an die Spitze der erregten Bürgerschaft, und 1724 ging eine Anklageschrift gegen das bisherige Regiment nach Wetzlar, die wenigstens zu einer zeitweiligen Erneuerung der Verhältnisse führen sollte. Diese Anklageschrift enthält alle Beschwerden, welche die Bürgerschaft damals gegen die Herren Nordhausens vorzubringen hatte. Wenn wir die wesentlichen Einwände gegen das Stadtregiment, nach einzelnen Gruppen geordnet, herausheben, so ergibt sich folgendes: Zunächst lagen Beschwerden wegen Verstöße gegen die Verfassung vor. Man habe zu den alten Statuten neue Gesetze treten lassen, ohne Wissen und wider die Einwilligung des Volkes. In der Eidesformel für Ratsherrn seien ferner Klauseln aufgenommen worden, welche das verbrecherische Tun der Ratsherrn schützen sollten. Endlich habe man die tribunos plebis, d. h. die aus den vier Vierteln gewählten Volksvertreter, abkommen lassen, welche der Stadt „iura und Bestes beobachten und helfen müssen“. Prediger, „welche die stadtkundigen Ungerechtigkeiten hiesiger Regenten Amtes halber (!) gestraft“, habe man „obrigkeitswidersetzlich“ genannt. Ferner wählten nicht mehr, wie es verfassungsmäßig festgelegt sei, die Regimenter die Ratsherrn, sondern die Bürgermeister, indem sie Ratsmitglieder, welche das Recht Ratsherrn vorzuschlagen hätten, dahin beeinflußten, daß sie niemanden wählten, der wider das Interesse der Bürgermeister sein könnte. Hätte sich einmal ein Ratsherr den Befehlen der Bürgermeister nicht fügen wollen, so sei er durch Drohungen oder Versprechungen zum Schweigen gebracht worden. Auf diese Weise seien viele Personen in den Rat gekommen, die völlig untauglich seien und der Stadt niemals nützen könnten. Jedenfalls seien die Stellen nach Gunst besetzt oder an Meistbietende verschachert worden. Nur dem Namen nach wähle das von den Geschäften zurücktretende Regiment noch das folgende; alle aber steckten unter einer Decke der Korruption. Weitere Beschwerden betrafen die Handhabung der Justiz. Diese stände dem gesamten Rate zu, der sich nach den Statuten der Stadt richten müsse. Doch jetzt habe die Macht der Bürgermeister so überhandgenommen, daß sie ohne Vorwissen des Rates neue Gesetze schüfen und von den Kanzeln verlesen ließen. Die Rechtsprechung selbst geschehe „nach Gaben und Gunst zur Bekränkung des anderen Teils“. Protokolle würden bei den Verhandlungen selbst nicht aufgenommen, meistens entständen sie hinterher, wenn sie gefordert würden. Bürgermeister Offney sei hier besonders schuldig. Wer gegen seine Rechtsprechung Einwendungen mache, werde ein Rebell genannt. Doch nicht allein gegen Verfassung und Rechtsprechung lägen größte Verstöße vor, sondern größte Schäden machten sich auch in der Verwaltung bemerkbar. Durch die bisherige Verwaltung seien in erster Linie der Wirtschaft größte Nachteile erwachsen. Das Hauptgewerbe der Stadt, das Braugewerbe, bringe deshalb nicht genügend Steuern, weil die Bürgermeister und ihre Favoriten das Recht zu brauen nicht ausgelost, sondern je nach Größe der Bestechungssumme zuerteilt hätten. Trotz vielfachen Einspruchs hätten der Bürgermeister Offney und der Quatuorvir Kegel allein nach Gunst die Brautitel verliehen. Ja, der Bürgermeister Lerche habe sogar dadurch viel verdient, daß er zwei Braugerechtsame übernommen habe, die gar nicht vorhanden seien, da bei den großen Bränden 1710 und 1712 die beiden Brauhäuser abgebrannt seien. Auch hätten die Bürgermeister doppelt soviel Bier brauen dürfen wie andere Bürger. Vor allem aber sei bei ihnen nie visiert worden, so daß sie soviel Gerste hätten verbrauen können, wie sie wollten. Manche Bürger hätten auch die Bürgermeister bestochen, damit bei ihnen die Menge des gebrauten Bieres nicht nachgeprüft werde. Das hätte man dann scherzhaft „ein Bürgermeisterlos“ genannt. Eine neue Brauordnung, die 1722 die Bürger beantragt hätten, sei zunächst gar nicht gegeben worden, 1723 sei dann eine völlig unzulängliche herausgekommen. Ferner sei jede Marktordnung dahin. Die Marktfahne, deren Herausstecken die Eröffnung des Handels für Einheimische bedeutete und mit der durch Zeichen erst zu einer bestimmten Zeit auch fremde Händler zugelassen wurden, sei seit Jahren nicht mehr gesehen worden. Für die Marktbuden ließen sich die Bürgermeister zuweilen dreimal im Jahre bezahlen. Juden und Hausierern sei der Handel gegen Geschenke gestattet. Von den ehrlichen Handelsleuten aber nehme man ungebührlich hohen Zoll. Die Knochenhauer könnten soviel Vieh auf die Weide treiben, wie sie wollten, weil sie für das Stück eine Abgabe an die Bürgermeister entrichteten; die Weidegerechtsame anderer Bürger würden dadurch geschädigt. Was die eigentliche Verwaltung betreffe, so würden die Steuerbücher nicht ordnungsgemäß geführt. Die Veranlagungen seien ungenau, schon abgeführte Steuern würden nochmals erhoben, die Rechnungslegung geschehe gewissenlos. Die Kämmerer schlössen die Rechnung schon 3-4 Tage vor Weihnachten; was dann bis zum Tage der Rechnungslegung, dem 6. Januar, noch einkäme, behielten sie für sich. Die Pachten, die der Stadtkasse zuflössen, seien gering, die Anerkennungsgebühren, welche den Bürgermeistern zukämen, aber hoch. In Pächtereien mit guten Einkünften kämen Verwandte der regierenden Herrn für eine geringe Pachtsumme. So habe Offneys Bruder den Weinkeller ganz billig gepachtet, während die Brauerschaft 700 Gulden geboten habe. Die gut bezahlten Beamtenposten der Stadt, wie die der Zolleinnahme und des Wagemeisters, seien sämtlich in Händen von Bürgermeisterssöhnen. Die niederen Beamten dagegen wie Visierer, Marktmeister, Torwirte, Ober- und Unterdiener müßten von ihrem kläglichen Gehalt noch jährlich den Bürgermeistern etwas bezahlen, damit sie nur ihre Stellen behielten. Die für arme Schüler und Studenten ausgesetzten Stipendien erhielten die Kinder der Bürgermeister. Das Heu von Ratswiesen käme nur zur Hälfte dem städtischen Marstall zugute, das andere verbrauchten die Bürgermeister für ihre Pferde. Die Marstallpferde aber würden statt zu „gemeinem Nutzen“, wie etwa zu Steinfuhren für die Bürger, zu Spazierfahrten der Bürgermeister benutzt. Das Wasser des Mühlgrabens werde beinahe wöchentlich abgeschlagen wegen einer Hand voll Fische für die Ratsherrn. Den Schaden davon hätten die Schrot- und Mahlmühlen, ganz abgesehen davon, daß 1710 sowohl wie 1712 bei den großen Feuersbrünsten jedesmal aus diesem Grunde kein Wasser im Mühlgraben gewesen sei. Die öffentlichen Bauten lasse man verfallen, die Stadtmauern stürzten ein, das Pflaster sei schlecht, in der Ratsapotheke regne es durch, so daß Kräuter und Wurzeln verdürben. Noch mehr aber erkenne man die Selbstsucht der regierenden Herrn daran, daß sie die von milden Händen gespendeten Brandsteuem nicht ausgeteilt, sondern für sich gebraucht hätten. Während deshalb noch heute eine Unmenge Herdstellen wüst lägen, hätten sie ihre Häuser schöner und stattlicher als früher wiederaufbauen können. Beim Bau ihrer Häuser hätten die Bürgermeister die Materialien von der Stadt bezogen, den Arbeitslohn der Kämmereikasse entnommen. Als die Stadt für das Gut Himmelgarten 1721 durch Einlösung von Stolberg 18000 Gulden erhalten habe, wären je 50 Gulden in die Taschen der Bürgermeister gewandert. - Man sieht, daß in dieser „weitläufigen Aufsetzung der gravamina“ kaum etwas fehlt, woran sich die Regenten der Stadt nicht vergangen hätten. Das „arme Nordhausen“, das durch „Brandschäden, Prozesse, äußere Feinde“ ruiniert sei, werde nun auch noch durch seine Bürgermeister und Ratsherrn ausgesogen, die „alles dem Privatinteresse zinsbar machten und die Stadt keines wegs zum gemeinen Nutzen dirigierten“. Die Aufdeckung der ganzen Mißwirtschaft durch diese nach Wetzlar hin eingereichte Klage bewog endlich die Patriziergeschlechter, ihrem gefährlichsten Gegner, dem bisherigen Syndikus Chilian Volkmar Riemann, einen Bürgermeisterposten anzubieten. Man hoffte, den unbequemen Mund zum Schweigen zu bringen, wenn man ihn teilnehmen ließ an den bisherigen Raubzügen. Am 5. Januar 1725 wurde Riemann zum Bürgermeister gewählt. Daß dieser selbst nicht abgeneigt war, durch seine städtischen Ämter sich persönlich Vorteile zu verschaffen, und daß deshalb die Kalkulation der regierenden Herrn nicht ganz unberechtigt war, werden wir später sehen. Vorerst aber konnte Riemann von dem einmal beschrittenen Wege nicht zurück. Er mußte als Bürgermeister die Reformen, von denen er den Bürgern so oft gesprochen hatte, durchführen. So hatten sich die alten Geschlechter also zunächst in Riemann verrechnet, und trauernd schrieben sie: „Anno 1725 warf Bürgermeister Chilian Volkmar Riemann unsere Gewohnheiten um als ein gewesener Advokat und Liebhaber des Römischen Rechts.“[18] - Er warf unsere Gewohnheiten um. Treuherziger kann man wirklich die Beseitigung der zur Gewohnheit gewordenen Vetternwirtschaft, Bestechung und Veruntreuung nicht bezeichnen. - Aber schade war es doch um die gute alte Zeit! In einem einzigen Jahre beseitigte Riemann die städtische Mißwirtschaft. Am 5. Januar 1726 erhoben die drei Ratsregimenter folgendes zum Beschluß: Hinsichtlich der Ratswahlen sollten die Bestimmungen vom Jahre 1680 revidiert werden. Die abgehenden Ratsherrn sollten fortan unbeeinflußt ihre Nachfolger benennen. Zur Wahl untauglich mache das crimen ambitus, der Bestechungsversuch; ausgezahlte Gelder wurden fortan sogleich eingezogen, außerdem erfolgte Bestrafung. Bei Handhabung der Justiz hätten sich die Bürgermeister zuviel Autorität angemaßt. Nur Rechts Streitigkeiten, bei denen periculum in mora, Gefahr im Verzüge, sei, könnten die Bürgermeister fernerhin allein entscheiden, und auch dann nur im Namen des Gesamtrates. Erlasse von einiger Tragweite dürften nicht mehr ohne Vorwissen des sitzenden Rates veröffentlicht werden. Eine künftige Prozeßordnung werde demnächst erscheinen. Die Bürgermeister sollten regelmäßig alle 14 Tage auf dem Rathause eine Sitzung abhalten und zwischendurch an der Verbesserung der Statuten arbeiten. Waren die Bestimmungen für die Verfassung und das Gerichtswesen immer noch so dehnbar, daß neue Unregelmäßigkeiten vorkommen konnten, so boten eingehende Vorschriften für die Handhabung der Verwaltung eine ziemliche Sicherheit gegen Veruntreuungen und Ausbeutungen der Bürgerschaft. Beim Brauen wurde jedes Vorrecht aufgehoben. Für den Fruchthandel, das Hausieren und das Feilbieten durch fremde Krämer wurden Übergangsgesetze geschaffen, bis eine neue Marktordnung den ganzen Verkehr regelte. Die städtischen Güter und Grundstücke mußten öffentlich zur Pacht ausgeschrieben und durften nur noch dem Meistbietenden zugeschlagen werden. Kein Bürgermeister oder Ratsherr durfte als Pächter auftreten. Jedem war es verboten, in seinem Privathause auf Stadtkosten zu bauen oder überhaupt irgendwelche öffentlichen Einrichtungen und Vorräte für sich in Anspruch zu nehmen. Alle Rechnungen mußten peinlich genau geführt werden, eine ordnungsgemäße Revision sollte stattfinden. Strafgelder hatten allein in die städtische Kämmerei zu fließen. Schließlich wurde noch angekündigt: „In kurzem soll ein Salarium für die Bürgermeister ausgeworfen werden; auch sollen die Präsentien der Kämmerer und übrigen Ratspersonen wie auch deren Offizianten auf einen gewissen Fuß gestellt werden.“ Mit dieser Ankündigung einer festen, in Geld zu erstattenden Besoldung der Bürgermeister bezweckte Riemann zweierlei: Er wollte erstens der Aneignung von allerhand Vorteilen begegnen, die eigennützigen Ratspersonen durch die bisherige Mannigfaltigkeit und ungenaue Festsetzung der Bezüge möglich war, und er wollte zweitens den juristisch vorgebildeten Bürgermeistern, auf denen ja doch so gut wie die gesamte Arbeit lastete, ein höheres Gehalt verschaffen als den aus den Zünften gewählten, die der im 18. Jahrhundert immer komplizierter werdenden Verwaltungstätigkeit in keiner Weise gewachsen waren. Doch wenn die Ratsherrn schon widerstrebend in die Abstellung der früheren korrupten Verhältnisse gewilligt hatten, so leisteten sie hier, wo es sich um die Differenzierung der Gehälter handelte, hartnäckigsten Widerstand; denn jeder von ihnen konnte einmal Bürgermeister werden und, ohne große Arbeit zu leisten, ein ansehnliches Gehalt beziehen neben den Erträgen aus seinem eigentlichen Zunftberuf. Nachdem also die städtische Verfassung und Verwaltung umgestaltet worden war, ging der Kampf um die Gehälter der städtischen Beamten, vor allem die der Bürgermeister. Schon zwei Monate nach seinem Amtsantritte als Bürgermeister hatte Riemann im März 1725 im Rate vorgetragen, die Bürgermeister müßten auf die Laudemiengelder unbedingt verzichten. Wenn dann aber ihr Gehalt nicht so gering sein sollte, daß sie „der Republik zu Schimpf und Schande leben“ müßten, wäre eine Neuregelung der Gehälter überhaupt nötig. Doch stieß die Umgestaltung alter Bräuche zusammen mit dem Anspruch eines höheren Gehaltes für die Juristen auf so erbitterten Widerstand bei sämtlichen Ratsmitgliedern, daß sie ohne Hilfe des Reichskammergerichts nicht durchführbar war. Deshalb klagten schließlich am 15. Februar und am 7. Mai 1727 die beiden „consules litterati“ Riemann und Kegel sowie die gesamte Bürgerschaft gegen die beiden Bürgermeister aus den Gilden Kellermann und Böttcher sowie gegen die übrigen Ratsmitglieder. In der Klagesache wurde unter anderem ausgeführt, daß die Präsentien an die Ratsherrn unter vielen und ungereimten Titeln ausgeteilt würden. Dadurch sei die Führung der Rechnung außerordentlich erschwert, es seien auch Irrtümer entstanden, und immer wieder sei Gelegenheit gegeben, im Trüben zu fischen „zum großen Nachteil aerarii publici“. Auch sei eine „gar schlechte Proportion in der Arbeit und Belohnung zu finden gewesen“. Die Bürgermeister aus den Zünften aber beständen auf dem alten Modus und möchten, daß die ganze Neuordnung sich zerschlage und „es bei dem alten Schlendrian gelassen werde“. Die Bürgerschaft stellte ferner noch fest, daß die Bürgermeister Riemann und Kegel das „Staatswesen um ein Merkliches gebessert hätten“. Ein Hindernis zu weiterer Gesundung seien allein die Bürgermeister aus den Gilden, welche dieselbe Besoldung beanspruchten wie die homines litterati. Da ihre Verdienste um die Stadt viel geringer seien und sie ihren guten Beruf hätten, während die Juristen allein auf ihr Gehalt angewiesen seien, müßte wenigstens ein kleiner Unterschied in der Besoldung auftreten. Es sollte deshalb für sämtliche Bürgermeister ein Gehalt von" 1800 Gulden vorgesehen werden, und zwar für die beiden regierenden Bürgermeister, für den Juristen 600, für den Handwerker 500 Gulden, für die augenblicklich nicht am Regiment befindlichen vier anderen Bürgermeister, für die Juristen 225, für die Handwerker 125 Gulden. Dazu sollten nur noch einige Naturallieferungen in Getreide und Vieh kommen, alles andere sollte abgelöst werden. Doch blieben die Naturalabgaben der Mühlen an Schweinen, Gänsen und an Getreide sowie die der beiden Apotheken an Materialien aller Art bestehen. Wenigstens die beiden regierenden Bürgermeister werden davon so gut wie ihren ganzen Haushalt haben bestreiten können. Wie hoch selbst das Gehalt für die nicht amtierenden Bürgermeister, von denen die beiden Handwerker so gut wie nichts zu tun hatten und nur im Ältestenrat anwesend zu sein brauchten, noch immer war, ersieht man daraus, daß der erste eigentliche Beamte der Stadt, der Stadtsyndikus, nur 250 Gulden jährlich bezog, die übrigen Akademiker der Stadt aber, die Pastoren und die Lehrer des Gymnasiums, weit hinter diesen Sätzen zurückblieben.[19] Das Reichskammergericht zu Wetzlar hieß die wohlbegründeten Forderungen der Bürgerschaft gegen den Rat gut und genehmigte am 7. Dezember 1727 die vorgeschlagene Neuregelung der Gehälter. Am 22. Dezember wurde diese dann in Nordhausen öffentlich bekannt gegeben. Diesen Spruch von Wetzlar wagten nun endlich die Ratsmitglieder nicht mehr offen zu bekämpfen; doch leisteten sie noch immer versteckten Widerstand, indem sie ihre Ämter kaum noch verwalteten. Das konnte ja nun den Bürgermeistern betreffs der meisten Ratsherrn, die fast nichts zu tun hatten, gleichgültig sein; auf die Mitarbeit der 9 Vierherrn aber - aus jedem Regimente seit 1627 drei - konnten sie nicht verzichten, und so sahen sie sich gezwungen, die passive Resistenz dieser Ratsmitglieder durch Entgegenkommen zu beseitigen. Als die Vierherrn am Sylvestertage des Jahres 1728 um eine Erhöhung ihrer Bezüge einkamen, glaubten die Bürgermeister, diesem Verlangen entsprechen zu müssen. So kam es schließlich am 24. Mai 1729 zu einem Vergleich, der die Besoldung endgültig regelte. Den Bürgermeistern aus den Gilden wurde das Gehalt noch um 25 Gulden heraufgelegt, und die 8 Kämmerer bekamen 20 Gulden mehr, als bisher angenommen war.[20] Dieser Vergleich schloß die langjährigen inneren Kämpfe in Nordhausen ab. Die Neuordnung übte bald den segensreichsten Einfluß auf das Gemeinwesen aus; Nordhausen konnte wieder den Anspruch erheben, ein Rechtsstaat zu sein. Viele Jahre, von 1725-1763, blieb nun Riemann bestimmend und Richtung gebend in Nordhausen zum Heile der Stadt. Dennoch machten sich bei der Mangelhaftigkeit der städtischen Verfassung, welche die Mitwirkung der eigentlichen Bürgerschaft bei den Wahlen ausschloß, immer wieder Mißstände bemerkbar. Die Vetternwirtschaft und die Bereicherung auf Staatskosten waren nie ganz zu beseitigen, und der Versuchung, die Schwächen, welche die Verfassung bot, auszunutzen, konnte auf die Dauer selbst Riemann nicht widerstehen. Diesen Makel können alle die großen Verdienste, die er sich um die Stadt erwarb, dem befähigten und arbeitsfreudigen Manne doch nicht nehmen. Auch Chilian Volkmar Riemann brachte später seine Verwandten in Ämter der städtischen Verwaltung. Johann August Filter, der Sohn Franz Filters, der eine Tochter Riemanns geheiratet hatte, ward Sekretär der Stadt Nordhausen, dessen Nachfolger wieder im Stadtschreiberposten war Johann Günther Riemann, der eigene Sohn des Bürgermeisters. Neben Chilian Volkmar Riemann wurde dessen Bruder Johann Gottfried Riemann 1730 Bürgermeister, und dessen Sohn Heinrich August wieder regierte als Bürgermeister der Stadt von 1763 bis 1801. Selbst Bestechungsversuche, um in Ratsstellen zu gelangen, konnten auch die Riemanns nicht ganz unterbinden. So wagte 1741 Christoph Walter Frommann dem Ratsherrn Jödicke 200 Taler anzubieten. Jödicke nahm das Geld, und ein richtiger Vertrag mit gegenseitigen Verpflichtungen wurde aufgesetzt. Doch kamen einige Tuchmacher, deren Gilde die beiden angehörten, hinter den Ämterschacher, und so führte denn die Gilde gegen Frommann einen Prozeß. Dieser Prozeß scheint aber beiden Parteien zu weitläufig und kostspielig geworden zu sein; deshalb kam es zu einem merkwürdigen Vergleich, dessentwegen die Dinge hier nur berührt werden. Denn er läßt die sittliche Einstellung der Zunftmitglieder jener Zeit in recht eigenartigem Lichte erscheinen. Die Tuchmachergilde und Frommann machten aus, daß Frommann sämtliche Prozeßkosten bezahlen, den Herrentisch, d. h. den Meistem der Gilde eine „Kollation“ geben, das sogenannte Mützengeld doppelt erstatten und schließlich für die ganze Gilde ein Festessen veranstalten sollte. Für diese vortreffliche Abfindung der Zunft gab diese den Einspruch gegen die Ratswahl Frommanns auf. Jödicke durfte ihn 1744 präsentieren.[21] Bald darauf wurden auch gegen das Riemannsche Regiment selbst schwerste Vorwürfe erhoben. Johann August Filter, der Schwiegersohn Riemanns, war städtischer Sekretär und zugleich Kaiserlicher Posthalter für Nordhausen. Als solcher war er aber, mehr als sich mit der guten Bedienung des reisenden Publikums und der Frachten vereinbaren ließ, auf seinen Vorteil bedacht, so daß andere Staaten, wie z. B. Hannover, die Gelegenheit benutzten, Konkurrenzlinien aufzumachen. Dadurch mußte natürlich für den Kaiserlichen Posthalter Filter ein empfindlicher Ausfall entstehen, und deshalb suchten er und sein Schwiegervater Riemann mit allen Mitteln die Eröffnung einer hannöverschen Postlinie vom Ilfelder Hof aus zu verhindern. Das gelang ihnen allerdings nicht, denn Hannover kannte die Beweggründe für den Widerstand genau so gut wie Sachsen, der andere am Nordhäuser Verkehr interessierte Staat, dessen Oberpostmeister Everdt in Leipzig die Gründe der Abneigung auf die Verschwägerung zurückführte und schrieb: „Da muß das Privatinteresse dem öffentlichen vorgezogen werden, das der Stadt so schädliche Postinteresse der Fürsten Taxis protegiert werden, damit nur Filter als des regierenden Bürgermeisters Schwiegersohn seinen Beutel füllen könne auf Kosten zweier großen Könige (England-Hannover; Polen-Sachsen) und der Bürgerschaft.“[22] Ein Jahr später, im Jahre 1747, wurden dann schwerste Anklagen gegen die beiden Brüder Riemann, die „Fürsten von Nordhausen“, erhoben. Sie stammten aus dem Lager der alteingesessenen Wildeschen Familie, die mit den Riemanns im erbittertsten Kampfe lebten. Damals warf man den Riemanns vor, sie hätten den Ausschank im Ratsweinkeller, der hätte verpachtet werden müssen, seit 9 Jahren an sich gezogen und dafür nur 2000 Taler in die Kämmereikasse fließen lassen. Da der Weinkeller jährlich 1000-1200 Taler Gewinn bringe, hätten sie 9-10000 Taler am Ausschank des Weines verdient. Ferner hätten sie den sogenannten Marktpfennig, den fremde Verkäufer früher an das Schulzenamt zu entrichten hatten, abgeschafft, statt dessen aber einen Zoll an den Toren je nach der Menge der Waren eingeführt. Aus dieser Akzise würden viel höhere Einnahmen als früher aus dem Marktgelde erzielt, 800-1000 Taler jährlich, welche die Riemanns als Verwalter der Zivilgerichtsbarkeit für sich eingezogen hätten. Ohne diese ungeheuren Gewinne hätten die Riemanns, die arm nach Nordhausen gekommen seien, nicht in so kurzer Zeit reich werden können. Diese verschiedenen Angriffe des Wildeschen Anhangs veranlaßten schließlich 1748 den Rat, sich wieder mit dem Gehalt der Bürgermeister zu beschäftigen. Man glaubte ausrechnen zu können, daß die Bürgermeister aus dem Hausier- und Geleitgeld[23], das ihnen auch nach dem Jahre 1727 noch geblieben war, 800 Taler Gewinn zögen. Auf diese Angriffe erklärten aber sämtliche Bürgermeister Rennecke, Riemann junior, Pöppich, Riemann senior und Lerche, man möchte ihnen das Geleitgeld entziehen und von der errechneten Summe den beiden regierenden Bürgermeistern den dritten Teil geben, dann seien sie schon zufrieden. Auf diesen Vorschlag ging dann der Rat auch ein, und vom 1. Januar 1749 ab erhielten beide regierenden Bürgermeister zusammen statt des Hausier- und Geleitgeldes 270 Taler, immer noch eine recht hübsche Nebeneinnahme. Gänzlich waren also Nepotenwesen und Korruption in einem solchen kleinen, fast völlig unkontrollierten Gemeinwesen wie Nordhausen nicht zu unterbinden. Doch darf man die Unterschleife und die Ausnutzung öffentlicher Einrichtungen für persönliche Zwecke im 18. Jahrhundert nicht mit unseren Augen ansehen, sondern muß sie von den Verhältnissen jener Zeit aus betrachten. Und wenn man bedenkt, daß in jenen Zeiten des 18. Jahrhunderts deutsche Fürsten Land und Leute ganz nach Willkür für ihre privaten Interessen gebrauchten, daß Bauern und Bürger fronden mußten für die Maitressen und Vergnügungen ihrer Herrscherhäuser, daß einige Fürsten sogar ihre Untertanen als Soldaten verkauften und zur Schlachtbank führen ließen, um ihre Wasserkünste und Feuerwerke bezahlen zu können, dann wird man die größere Schuld für jene wenig ehrenwerten Vorkommnisse in Nordhausen mehr dem Gepräge der ganzen Zeit zuschreiben als einzelne Personen dafür verantwortlich machen müssen. Zugleich aber erstrahlt ein Fürst wie Friedrich II. von Preußen in um so hellerem Glanze, der sich nur als erster Diener seines Staates betrachtete, für sich selber nichts, alles aber von sich und seiner Arbeitskraft für das öffentliche Wohl verlangte und der durch sein Vorbild seine Untertanen zu einer solchen Pflichttreue, Selbstgenügsamkeit und Unbestechlichkeit erzog, daß im 19. Jahrhundert, von Preußen ausgehend, das deutsche Beamtentum das uneigennützigste der ganzen Welt wurde. - Immerhin, wie in Nordhausen, so waren auf dem ganzen europäischen Festlande die Verhältnisse reif geworden für eine Umwandlung von Grund aus. Diese gebracht zu haben ist das einzig dastehende Verdienst der Französischen Revolution.
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