Stadtkernforschung Nordhausen

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Textdaten
Autor: Rudolf Feustel
Titel: Stadtkernforschung Nordhausen
Untertitel:
aus: Ausgrabungen und Funde. Nachrichtenblatt der Landesarchäologie
Herausgeber: Mittel- und Ostdeutscher Verband für Altertumsforschung e.V. ...
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1956-1995
Verlag: Akad.-Verlag
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Erscheinungsort: Berlin
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
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Eintrag in der GND: [1]
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Stadtkernforschung Nordhausen
Von Rudolf Feustel, Weimar
Mit Tafel 23-24 und 4 Textabbildungen

Kurz vor Kriegsende vernichteten Bomben große Teile vom Zentrum der ehemaligen freien Reichsstadt Nordhausen am Südharz. Als man nach Beseitigung riesiger Trümmerfelder mit dem Wiederaufbau begann und tiefe Baugruben aushob, wurden zahlreiche mittelalterliche und frühneuzeitliche Brunnen und Kloaken angeschnitten, die Keramik und Glasscherben in größerer Zahl, seltener Holz- und Ledergegenstände enthielten. Soweit es möglich war, wurden kleinere Suchschnitte angelegt und Profile aufgemessen. Häufig mußte sich aber wegen des schnellen Bautempos die Tätigkeit der Mitarbeiter des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens auf Überwachung der Erdarbeiten und Sicherstellung der Funde beschränken.

Das Fundmaterial gehört bisher überwiegend dem späten Mittelalter und der Neuzeit an. Im Jahre 1956 wurde an der Engelsburg (Straße), nordwestlich des Rathauses zwischen Bäcker- und Kranichstraße, ein größerer vielschichtiger Aufschluß erfaßt, dessen unterste Schichten spätestens im 11. Jahrhundert entstanden sind. Einen kleinen Ausschnitt aus der mehrfach gestörten und uneinheitlichen Profilwand stellt Abb. 1 dar: Das Selnchtpaket lagert direkt auf dem gewachsenen Untergrund (Schotter). Es setzt sich vorwiegend aus Siedlungshorizonten, die zum Teil durch Fäkalien graugrün gefärbt sind, dünnen Straten Holzkohle und mehr oder weniger mächtigem Brandschutt zusammen.

Abb. 1, Nordhausen. Profil an der Engelsburg, Zeichn.: Roscher. Schichten: 1. Schotter, gewachsener Boden, 2 Kiesiglehmig, braun, vereinzelt Holzkohlepartikelchen. 3 Erdig, graubraun, Partikelchen gebrannten Lehms und Holzkohle, anscheinend von Fäkalien durchsetzt. 4 Lehmig, braun, Holzkohle, gebrannter Lehm. 5 Erdig, graubraun, Holzkohle, wenig gebrannter Lehm. Sa Tonig, braun, weiter nördlich graubraun bis grünlich. 6 Kiesig, rötlich braun, y Holzkohle. 8 Lehm, gebrannter Lehm, Holzkohlepartikelchen. 9 Holzkohle, Lehm, verkohlte Bretter, darüber verkohltes Stroh (?). Unter Schicht 7 und 9 dünne graugrüne Strafen. 10 Erdig, graubraun, Partikelchen Holzkohle und gebrannten Lehms, weiter nach Norden bald in reinen Brandschutt übergehend. 11 Tonig, graugrün. 12 Holzkohle. 13 Mit viel gelbgebranntem Lehm durchsetzte Fazies der Fäkalienschicht 14, 14 Tonig, graugrün, Ziegelstückchen, gebrannter Lehm. Weiter nördlich vereinigen sich Schicht 11 und 14. iS Rötlicher Sand. 16Tonig, graugrün, ly Erdig, graubraun, etwas Holzkohle. 18 Erde, Gerolle, Ziegelsteine. 19 Beton.

Keramik[1]: Die Scherben der Schicht 3 stammen fast ausschließlich von rötlichen oder schwarzen Kugeltöpfen (Abb. 2). Ihre einfachen, manchmal schwach gekehlten Ränder führen gerade oder leicht gebogen schräg nach außen und sind teilweise gedreht.[2] Mehrere Scherben zeigen auf der Außen- und Innenwandung kleine oder große schwarzbraune Tupfen (Taf. 24b). Sehr wahrscheinlich liegt hierbei eine beabsichtigte Verzierung vor.[3] Zufällige Spritzer scheinen es nicht zu sein, denn 1. müßten solche, weil sie auf das Kugelgefäß vorwiegend mehr oder weniger schräg auftreffen, meist längliche Gestalt haben, 2. müßten um die großen „Spritzer“ mehrere kleine liegen und 3. lassen einige Tupfen ringförmige Struktur erkennen, wie sie beim Aufspritzen nie entstehen kann. — Eine Scherbe besteht aus weißem sogenannten Pfeifenton und stammt von einem kleinen, auf der Drehscheibe hergestellten Standbodengefäß. Nach der von Grimm 1933 vorgenommenen Gliederung gehören sie ans Ende der Stufe II, d. h. in die Zeit um 1100.

Die Randscherben der Schicht ja sind stärker profiliert und stammen aus dem 12. Jahrhundert (Stufe III).

Von Schicht 8 ist ein gekehlter Bandhenkel aus Pfeifenton zu erwähnen.

Die Schichten 10 und 11 lieferten graue bis schwärzliche, vereinzelt nahezu blaugraue Scherben mit Rippenverzierung. Die gekehlten Ränder sind gedreht. Ihre Merkmale datieren diese Scherben in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts bzw. in die Zeit um 1200 (StufeIV).

In Schicht 14 kommen wenige blaugraue Scherben mit Gurtfurchen (?) und vertikalen Dellen des 13.—15. Jahrhunderts (Stufe V/VI) vor.

Schicht 16 erbrachte schließlich glasierte Ware mit Standboden und Gurtfurchen, die dem 15. oder 16. Jahrhundert zuzuweisen ist.

Im Süden der Profilwand konnten vor allem aus grauen bis grünlichgrauen Siedlungshorizonten Scherben des 11. und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts (Stufe II—III) geborgen werden (Abb. 3).

Abb. 2 und 3

In den ältesten, bereits im Hochmittelalter bis auf einen kleinen Rest zerstörten Schichten fand sich eine bräunliche Scherbe mit Schrägrand des 11., vielleicht sogar 10. Jahrhunderts (Abb. 4, 2). Eine an der gleichen Stelle gefundene, aber nicht horizontierte rotbraune Randscherbe (Abb. 4, 1) gehört sicherlich dem 10. Jahrhundert an, während zwei leicht gekehlte Ränder, die ebenfalls noch nicht gedreht sind (Abb. 4, 3—-4), wieder etwas jünger sind.

Eine grautonige, an der Oberfläche schwarze, stark profilierte Scherbe unterscheidet sich erheblich von der übrigen Keramik; sie könnte mit westdeutscher Keramik in Verbindung stehen (Abb. 4, 5). Auch ein blaugraues Gefäßbruchstück mit breitem gekehltem Bandhenkel und Gurtfurchen ist trotz des „slawischen“ Wellenbandes deutscher Entstehung (Abb. 4,6).

AufTaf. 23—24 werden eine Anzahl guterhaltener Gefäße abgebildet, die von verschiedenen Nordhäuser Fundstellen stammen:

Wie sich schon bei der Besprechung der Scherben zeigte, dominieren die Kugelbodengefäße. Unsere Bombentöpfe (Taf. 23c) möchte man ins 12.—14. Jahrhundert stellen. Auf der Außenwandung einer Bombe finden sich aber zwei unbeabsichtigte Flecken grünlicher Glasur, und dies zeigt, daß solche Gefäße auch noch im späten Mittelalter vorkommen können. Dem älteren Material lassen sich die hellbraunen flachen Deckel zuordnen, die durch Ritzlinien und Stempelmuster verziert sind (Taf. 24a). Der blaugraue Bombenkrug mit gekehltem Bandhenkel und drei Knubben am Boden dürfte aus dem 14. Jahrhundert stammen (Taf. 24 d), während ein ähnliches innen gelblich glasiertes „Krüglein“ mit der zusammengekniffenen Ausgußtülle noch jünger ist. Etwa im 15. Jahrhundert werden die Bomben von einer verwandten Form, den auf drei hohen Füßen stehenden Grapen abgelüst (Taf. 24t). In der Regel besitzen diese Gefäße Henkel; wie der innen gelblich glasierte Grapentopf (Taf. 24c) aber zeigt, werden gelegentlich auch Grifftullen angebracht. Die blaugrauen Standbodengefäße (Taf. 23c,f) und der schwach geglimmerte Gußtiegel (Taf. 23c!) sind ebenfalls spätmittelalterlich. Von den zwei „Pings-dorfer“ Gefäßen aus weißem Pfeifenton mit rotbrauner Bemalung (Taf. 23 a, b) lag das kleinere in einer gemauerten Kloake des 15. oder 16. Jahrhunderts an der Kranichstraßc. Ob es sich hierbei um Importware oder um einheimische Erzeugnisse handelt, werden erst zukünftige Spezialuntersuchungen ergeben.

Abb. 4

Die bisherigen Untersuchungen in Nordhausen haben offenbar erst den Rand der frühmittelalterlichen Stadtanlage erfaßt.[4] Um die älteste Geschichte Nordhausens archäologisch zu fundieren, wären Plangrabungen in folgenden Stadtteilen erforderlich: Im Gebiet der karolingischen Siedlung auf dem Frauenberg, im Bereich der Burganlage und des Königshofes Heinrichs I. am heutigen Dom und in seiner Umgebung sowie in den Stadtteilen Altendorf und Grimme], wo von Lokalforschern die umstrittene älteste bäuerliche Ansiedlung vermutet wird.[5]

Anschrift: s. S. 125.

  1. Vgl. P. Grimm, Zur Entwicklung der mittelalterlichen Keramik in den Harzlandschaften, Zeitschr, d. Harzver. f. Gesch. u. Altertumsk. Jg. 1933, H. 1. E. Schirmer, Die deutsche Irdenware des 11.— 15. Jahrhunderts im engeren Mitteldeutschland (Irmin I), Jena 1939.
  2. Zum Problem der Herstellung der Kugelbodengefäße: P. Grimm, a. a. O., S. 8ff. — P.Faßhauer, Die mittelalterlichen Kugeltöpfe als Gebrauchsgeschirr, die Gründe der Formgestaltung und das Herstellungsverfahren (Jahresschr. f. Mitteldeutsche Vorgesch. 38), 1954, S. 22otf. — IV. Bauer, Zur Herstellung der mittelalterlichen Kugeltöpfe (Zeitschr. d. Ver. f. Hessische Gesch. u. Landesk. 65/66), 1954/55, S. 243fr. Ob man dasAufkommen gedrehter Ränder weiterhin für chronologische Zwecke verwenden darf, ist sehr fraglich. In einem ungestörten Haus in Mühlhausen, das nicht jünger als 10. Jahrhundert ist, fand sich nämlich ein derartig bearbeiteter Kugeltopf mit Linsenbodenkeramik zusammen. (Freundl. Mitt. von Herrn Prof. Dr. Behm-Blancke.') .
  3. leichartig getupfte Keramik fand sich bei den Grabungen auf der Burg Nürnberg. (Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Prof. Dr. Behm-Blancke.')
  4. Für eine im 10. Jahrhundert angelegte Stadtumwallung, die an der heutigen Kranichstraße entlanggeführt haben soll (H. Silberborth, Mintsterialitat und Bürgertum in der Reichsstadt Nordhausen; Harz-Zeitschr. 2, 1950, Taf. I), ergaben sich allerdings keine Anhaltspunkte.
  5. H. Silberborth, a. a. O., S. 1. — R. 11. IV. Müller, Die Merwigslindensage in Nordhausen, ein Denkmal Täiüringer Frühgeschichte (Schriftenreihe heimatgesch. Forsch, d. Stadtarchivs Nnrdhausen, Nr. 1), 1953.