Raketenentwicklung in Bleicherode

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Die Entwicklung der Sojus-Rakete hat ihre Wurzeln in der deutschen Raketentechnologie des Zweiten Weltkriegs und den Nachkriegsaktivitäten sowjetischer Ingenieure in Thüringen, insbesondere mit der Raketenentwicklung in Bleicherode.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als die US-amerikanischen Truppen am 11. April 1945 das Konzentrationslager Mittelbau-Dora befreiten, erbeuteten sie 110 komplette A4-Raketen und internierten wichtige deutsche Raketeningenieure. Die Sowjetunion, die das Gebiet ab Juli 1945 im Rahmen der Aufteilung Deutschlands besetzte, begann umgehend mit der Suche nach verbliebener deutscher Raketentechnologie.

Am 23. Juli 1945 gründeten die sowjetischen Ingenieure Boris Tschertok und Alexej Isajew das Institut RABE (Raketenbau und Entwicklung) in Bleicherode. In den folgenden Wochen trafen weitere bedeutende sowjetische Raketenpioniere ein, darunter Sergei Koroljow und Walentin Gluschko, die beide zuvor in Stalins Gulag inhaftiert gewesen waren und nun für das Raketenprogramm freigelassen wurden. Das Institut RABE begann gezielt deutsche Fachkräfte anzuwerben, darunter den Steuerungsspezialisten Helmut Gröttrup, dem eine Villa, ein Landgut und weitere Privilegien gewährt wurden, um seine Mitarbeit zu sichern.

Im Februar 1946 wurde RABE zum größeren "Institut Nordhausen" erweitert. Es umfasste nun sechs Betriebe an verschiedenen Standorten in Thüringen, die sich mit allen Aspekten der Raketenentwicklung und -produktion befassten. Diese Betriebe waren in Bleicherode (Konstruktion), Sömmerda (Zellenfertigung), Nordhausen (Triebwerksbau), Kleinbodungen (Gesamtmontage A4), Sondershausen (Steuerung) und Lehesten (Prüfstände) angesiedelt. Laut einem Bericht an Stalin waren im Oktober 1946 beeindruckende 6000 deutsche und 732 sowjetische Spezialisten in diesem "Raketenkonzern" beschäftigt.

Die Arbeit im Institut Nordhausen konzentrierte sich zunächst auf die Rekonstruktion der A4-Rakete. Darüber hinaus wurden ambitionierte Projekte zur Erhöhung der Reichweite auf 600 km, 1500 km und sogar 3000 km in Angriff genommen. Diese Arbeiten bildeten später die Grundlage für die erste eigenständige sowjetische Rakete R-2. Parallel dazu wurde im Waggonwerk Gotha ein spezieller Eisenbahnzug gebaut, der als mobile Raketentestanlage dienen sollte.

Am 22. Oktober 1946 begann eine großangelegte, von Moskau angeordnete Deportation deutscher Raketenfachleute in die Sowjetunion. Insgesamt wurden 2.552 deutsche Spezialisten und 4.008 Familienmitglieder zwangsweise in die UdSSR gebracht. Sie arbeiteten dort in verschiedenen Einrichtungen, wie dem Forschungsinstitut NII 88 bei Moskau und dessen Filiale auf der Insel Gorodomlja im Seligersee, an der weiteren Raketenentwicklung. Viele dieser Spezialisten kehrten erst nach sieben Jahren, 1953, nach Deutschland zurück. Ein Höhepunkt der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit waren die ersten Raketentests in Kapustin Jar im Oktober 1947. Nach anfänglichen Fehlschlägen gelang am 29. Oktober ein erfolgreicher Start einer in Thüringen produzierten A4-Rakete. Deutsche Spezialisten wie Kurt Magnus und Hans Hoch spielten eine entscheidende Rolle bei der Behebung technischer Probleme, die zu den anfänglichen Fehlstarts geführt hatten.

In der Sowjetunion arbeiteten die deutschen Ingenieure parallel zu ihren sowjetischen Kollegen an der Weiterentwicklung der A4. Sergei Koroljow, der zum Leiter des sowjetischen Raketenprogramms aufgestiegen war, entschied, welche Entwicklungsergebnisse in die russischen Raketen übernommen wurden. 1957 konstruierte er die R-7, die als Trägerrakete für den ersten Sputnik-Satelliten diente und den Beginn des Raumfahrtzeitalters markierte. Eine Weiterentwicklung der R-7, die Sojus-Rakete, ist bis heute im Einsatz für bemannte Raumflüge zur Internationalen Raumstation.

Die Raketenentwicklung in Bleicherode und Umgebung endete 1947 mit der Demontage und dem Abtransport der Produktionsanlagen in die Sowjetunion. Die Anlagen des ehemaligen Raketenwerks in Nordhausen wurden gesprengt, was später in der DDR fälschlicherweise als Folge alliierter Bombenangriffe dargestellt wurde. Trotz des abrupten Endes legte die in Thüringen geleistete Arbeit wichtige Grundlagen für die spätere sowjetische Raumfahrttechnologie, einschließlich der Sojus-Rakete.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Werner Steinmetz: Die Entwicklung der Sojus-Rakete begann in Bleicherode (Teil 1-3). In: Ingenieur-Nachrichten, Bd. 29 (2021), 4, S. 14-16.

Externe Verweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]