Nordhausen, 18. Mai 1910 (Unwetter)
[1] * Nordhausen, 18. Mai. (Unwetter.) Ueber das schwere Unwetter, von dem, wie bereits kurz gemeldet, Nordhausen und Umgebung schwer heimgesucht worden sind, wird weiter berichtet: Gestern Vormittag zwischen 11 und 1 Uhr ging über den Ortschaften Crimderode und Niedersachswerfen des Kreises Ilfeld und über Nordhausen ein schweres Hagelwetter mit wolkenbruchartigen Regengüssen nieder, die kolossales Unheil anrichteten. Besonders aus den Fluren und im Dorfe Crimderode sind die Verwüstungen so stark, daß sie jeder Beschreibung spotten. Die Felder sind von einer bis meterhohen Hagelschicht bedeckt; die junge Saat ist fast völlig vernichtet, die in wunderbarer Blütenpracht prangenden Apfelbäume, die Kirschbäume mit dem zu den besten Hoffnungen berechtigenden Fruchtansatz zeigen nur noch die kahlen Zweige wie zur Winterzeit. Auf den Wegen liegt der Hagelschnee in großen Wehen und eine eisige Luft und kalter dicker Nebel liegt über der ganzen Landschaft. In Crimderode hat das Unwetter auch den Häusern arg mitgespielt. Der wolkenbruchartige Regen drang durch die Dächer, weichte die Decken auf und in vielen Häusern ist die Decke zum Teil herabgefallen und hat Möbel und Sachen ruiniert. Viele Fensterscheiben sind eingeschlagen, Keller unter Wasser gesetzt und die dort lagernden Vorräte total verdorben. Die kostbare Ackerkrume ist fortgeschwemmt, die Felder und Gärten verschlammt und versandet. Das Hochwasser stand heute Mittag um 26 Zentimeter höher, wie bei der schweren Hochwasserkatastrophe am 10. März 1881, die noch in aller Gedächtnis lebt, und von der ein Stein an der Chaussee Kunde gibt. Seit 50 Jahren ist ein solches Unwetter nicht vorgekommen. Zweimal schlug auch der Blitz in Crimderode ein, glücklicherweise, ohne zu zünden. Während im benachbarten Harz ein Blitzstrahl in das Gehöft des Bauernmeisters Pförtner schlug und das ganze Anwesen in Asche legte. In Niedersachswerfen drangen die Wassermassen in den in voller Glut befindlichen Ofen der Rauschen Ziegelei, und die entstehenden Dämpfe trieben den Ofen mit großer Detonation auseinander. Leider ist es auch nicht ohne größeres Unglück abgegangen. Im Probstschen Steinbruch in Niedersachswerfen verunglückte der Arbeiter Kühne infolge des Unwetters, und am sogenannten Gesundbrunnen wurde eine Spaziergängerin, die Tochter des Gesellschaftsdiener Franke aus Nordhausen, von dem Unwetter überrascht, von dem Hagelwetter betäubt und von den von den Bergen herabstürzenden Fluten mit fortgerissen. Als man die im Schlamm fast vergrabene Unglückliche fand, war sie bereits erstickt. Auch in Nordhausen hat das Unwetter große Verwüstungen angerichtet. Der von der Zorge abgeleitete Mühlgraben konnte die Wassermasse nicht fassen, er durchbrach an mehreren Stellen die Dämme und vernichtete nicht nur viele wertvolle Privatpflanzungen, sondern überflutete auch den erst kürzlich mit großen Kosten neu hergerichteten prächtigen Stadtpark, so daß auch hier der Schaden enorm ist. Auch in der Oberstadt richtete das Unwetter viel Schaden an. Im Vergnügungsetablissement 'Kaiserberg' zerstörte es die Anlagen und schlug die Fenster entzwei; die Wassermassen strömten durch die Straßen zur Unterstadt, die an vielen Stellen unter Wasser gesetzt wurde, sodaß die Passage gesperrt wurde. Die Zorge wuchs in kurzer Zeit um einen Meter und führte Eisschollen, von zusammengefrorenem Hagel gebildet, mit sich. Die Hagelkörner erreichten die Stärke eines Taubeneis. Auch in der Gegend zwischen Ellrich und Cleysingen soll das Hagelwetter alle Hoffnungen vernichtet haben. Der Schaden ist enorm und trifft meistens kleine Leute, die zudem nur in seltenen Fällen gegen Hagelschlag und Wassergefahr versichert sind. Der Landrat des Kreises Ilfeld, v. Doetinchem, war sofort an der Unglücksstätte erschienen. Gegen Abend lag der Hagel auf den Feldern und Wegen noch bis zu einem halben Meter hoch. Das Hochwasser hat auch an den Wegen großen Schaden angerichtet. |