Mittelwerk GmbH
Die Mittelwerk GmbH war ein Rüstungsunternehmen im nationalsozialistischen Deutschen Reich während des Zweiten Weltkriegs. Die Hauptaufgabe dieses Unternehmens bestand in der unterirdischen Serienfertigung der deutschen Vergeltungswaffe A4. Diese neuartige Großrakete stellte damals eine revolutionäre technische Entwicklung auf dem Gebiet der Raketenwaffen dar. Die offizielle Gründung der Mittelwerk GmbH als Gesellschaft mit beschränkter Haftung erfolgte am 24. September 1943 in Berlin. Strukturell war das Unternehmen als hundertprozentige Tochtergesellschaft der Rüstungskontor GmbH organisiert, einer staatlichen Finanzierungseinrichtung des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition unter der Führung von Rüstungsminister Albert Speer.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Obwohl die formale Unternehmensgründung nach zivilrechtlichen Kriterien ablief, stand die Mittelwerk GmbH von Beginn an unter erheblichem Einfluss der nationalsozialistischen Regierung und insbesondere der Schutzstaffel (SS). So setzte sich die Führungsriege der SS um Faktionen wie den einflussreichen SS-Obersturmbannführer Hans Kammler dafür ein, eines ihrer Mitglieder in den Vorstand des neuen Rüstungsunternehmens zu entsenden. Letztlich wurde der SS-Sturmbannführer Otto Förschner, Lagerkommandant des Außenlagers Mittelbau-Dora, formell als einer der Geschäftsführer der Mittelwerk GmbH eingesetzt. Allerdings hatte Förschner in dieser Position faktisch nur geringe operative Entscheidungsgewalt im laufenden Geschäftsbetrieb. Einen stärkeren Einfluss sollte die SS stattdessen über einen Beirat ausüben, in dem neben Kammler auch andere hochrangige SS-Funktionäre wie der Ingenieur Hans Pichler vertreten waren.
Insgesamt erwies sich die innerbetriebliche Organisation und Struktur des Mittelwerks als überaus komplex und kleingliedrig mit einer Vielzahl verschiedener Akteure, die jeweils unterschiedliche Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten innehatten. Die eigentliche operative Unternehmensführung oblag den zivilen Geschäftsführern Kurt Kettler und Otto Karl Bersch sowie ab April 1944 dem neu eingesetzten Generaldirektor Georg Rickhey. Letzterer brachte zahlreiche Vertrauensleute aus seiner vorherigen Tätigkeit bei den Demag-Fahrzeugwerken mit ins Mittelwerk und baute so seine eigene Hausmacht im Unternehmen aus.
Die zentrale Aufgabe des Mittelwerks war die Planung, Organisation und Durchführung der Serienfertigung der A4-Rakete in den gewaltigen unterirdischen Stollenanlagen bei Nordhausen in Thüringen. Zu diesem Zweck waren riesige, sogenannte Tonnenhallen unter der Erde errichtet worden, in denen die Endmontage der Raketen stattfinden sollte. Die gesamte Produktionsplanung und Fertigungssteuerung für dieses gewaltige Rüstungsprojekt lag in den Händen des Ingenieurs Albin Sawatzki, der bereits zuvor eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der A4 in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde innegehabt hatte. Sawatzki pflegte enge Verbindungen zur SS-Führung, insbesondere zu Kammler. Die eigentliche Endmontage der Raketen leitete der Betriebsdirektor Arthur Rudolph.
Um die enorme Produktionskapazität des Mittelwerks stemmen zu können, wurde in größtem Ausmaß Zwangsarbeit eingesetzt. Hierfür lieferte die SS tausende Häftlinge aus dem nahe gelegenen Konzentrationslager Mittelbau-Dora mit seinem Außenlager in Dora selbst. Die Anwerbung, Zuteilung und den konkreten Arbeitseinsatz dieser KZ-Häftlinge in den unterirdischen Fertigungsstätten organisierten spezialisierte Arbeitseinsatzabteilungen, die fest in die Betriebsstruktur des Mittelwerks integriert waren. Die Mittelwerk-Leitung um Sawatzki, Rudolph und Rickhey trug somit die unmittelbare und volle Verantwortung für die Ausbeutung dieser Zwangsarbeiter und deren Behandlung während der Arbeitszeit in der Raketenfabrik.
Wie die Häftlinge außerhalb ihrer Arbeitsschichten von der SS-Lagerleitung im KZ Mittelbau-Dora behandelt wurden, kümmerte die zivile Firmenführung des Mittelwerks hingegen eher wenig. Stattdessen profitierte man von der ständigen Nachlieferung "frischer" Arbeitskräfte durch das KZ-System, wenn die ausgemergelten und entkräfteten Häftlinge nach wenigen Monaten unter den menschenunwürdigen Bedingungen nicht mehr arbeitsfähig waren. Diese wurden dann einfach gegen neue Häftlingstransporte ausgetauscht und in andere Außenlager des KZ-Komplexes abgeschoben.
Obwohl die unterirdischen Rüstungsanlagen des Mittelwerks und das KZ Mittelbau-Dora räumlich dicht beieinander lagen, bildeten sie jedoch keineswegs eine "organische Einheit", wie vielfach behauptet wurde. Stattdessen herrschte eine strikte institutionelle, organisatorische und Verantwortungstrennung zwischen dem zivilen Rüstungsunternehmen und dem Konzentrationslagerkomplex. Die Rolle der SS beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die Häftlinge als Arbeitskräfte für das Mittelwerk zur Verfügung zu stellen. Über deren konkreten Arbeitseinsatz und die Behandlung während der Arbeitszeit in der Fabrik hatte die Lagerführung aber so gut wie keine Kontrolle und Mitspracherecht. Dies unterlag einzig und allein der Verantwortung der zivilen Betriebsleitungen, Ingenieure und Vorgesetzten des Unternehmens.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes. Göttingen: Wallstein Verlag, 2015. S. 179.