Innungsbräuche bei den Bauhandwerkern und Dachdeckern in Nordhausen
Innungsbräuche bei den Bauhandwerkern und Dachdeckern in Nordhausen
Dem Lehrlinge wird ein Lehrbrief ausgestellt, daß er drei Jahre gelernt hat.[1] Darnach muß er sich beim Altgesellen melden, daß er in der neuesten Auflage (das heißt Versammlung alle vier Wochen in der Herberge) zum Gesellen geschrieben wird. Wenn der gewesene Lehrling sich nicht zum Gesellen hätte schreiben lassen, hätte er nicht weiter arbeiten dürfen. Ein Gesellenstück war es beispielsweise, eine Kehle mit Ziegeln zu decken. Der Junggeselle mußte sich zwei Schenkgesellen aussuchen. Diese Schenkgesellen führten den Junggesellen zur Herberge. Die Schenkgesellen gingen hinein und meldeten den Junggesellen an. Letzterer blieb inzwischen draußen. Die Schenkgesellen vermittelten nun die Erlaubnis, daß der Junggeselle hineinkommen dürfe. Zwischen den Schenkgesellen rechts und links trat der Jungeselle nun ein. Der Junggeselle spricht: „Mit Gruß, Gesellschaft. Ich erlaube mir einzutreten in die alte ehrbare Handwerkerstube, vor die Herren Alt- und Junggesellen, sowie vor sämtliche Dachdeckergesellen, die zünftig geworden sind.“ Der gewesene Lehrling wird vor die Lade geführt, die in Schiebern hochgezogen wurde. In der Lade lagen die Bücher und Akten. Der erste Allgeselle nahm ein schöngedrehtes Zepter in die Hand und klopft dreimal auf den Tisch. Dazu sprach der Altgeselle: „Mit Gunst, Gesellschaft, was ist Ihr Begehr?“ Der Junggesell: „Mit Gunst, Gesellschaft, mein Begehr ist, meinen Namen einschreiben zu lassen in das alte ehrbare Gesellenbuch, wo alle ehrbaren, zünftig gelernt habenden Dachdecker eingetragen worden sind.“ Der Altgesell sagt: „Lehrbrief“. Der Junggesell muß denselben abgeben mit den Worten: „Mit Gunst, Gesellschaft“. Nun liest der Altgesell den Lehrbrief der ganzen Gesellschaft vor und fragt: „Mit Gunst, Gesellschaft, hat einer etwas gegen den Lehrbrief zu erwidern?“ Der Schenkgeselle: „Mit Gunst, Gesellschaft, wir erkennen den Lehrbrief für richtig an“. Altgeselle: „Mit Gunst, Gesellschaft, Sie (der Junggeselle) haben vier Taler Einschreibegeld zu zahlen.“ Hiervon kamen zehn Groschen für die Fahne, zehn Groschen für den Willkommen (Zunftpokal). An den „Willkommen“ wurden die zehn Groschen als ein Achtgutegroschenstück den übrigen daran hängenden Münzen angereiht. Altgeselle: „Mit Gunst, Gesellschaft, der Junggeselle hat seinen Betrag voll und ganz bezahlt“. Dann klopfte er hinter der Lade dreimal auf den Tisch, währenddessen alle still sein mußten, und sagte, daß der Junggeselle seinen Betrag bezahlt habe und nunmehr ein stimmberechtigter Geselle wäre. Nunmehr klopft der Altgeselle wieder dreimal auf und sagt: „Mit Gunst, Gesellschaft, der Junggeselle kann jetzt aus unserem Willkommen Brüderschaft trinken.“ (Der Pokal faßte einen Liter. Man trank Bier.) Nun hatte der Wirt der Herberge den Willkommen zu füllen und setzte ihn dem Junggesellen, dort wo er stand, „vor die Nase“. Spruch zum Willkommen. Junggeselle: „Ich nehme den Willkommen in meine rechte Hand, nehme ihm das ehrbare Haupt (den Deckel) ab und trinke das Wohl der Herren Alt- und Junggesellen, sowie sämtlicher Gesellschaft. Prosit, Brüder, ihr sollt leben in Not und Tod. So lange wir uns kennen, wollen wir uns Brüder nennen.“ Der Junggeselle trinkt dem Altgesellen zu: „Prosit!“ und reicht den Pokal dem Altgesellen. Letzterer gibt ihn an seinen Stellvertreter und darauf dieser den beiden Schenkgesellen weiter und so fort den übrigen. (Wenn der Willkommen nicht reichte, wurde er inzwischen wiederum gefüllt.) Während des Trinkens des Willkommens empfängt der Junggeselle eine (bereits mit Tabak gestopfte) Tonpfeife mit einem Blumensträußchen. Die Schenkgesellen stecken die Pfeife an. Der Vorgang ist sinnbildlich. Der gewesene Lehrling, nunmehrige Junggeselle, darf nun hinfort rauchen. Ein Lehrling durfte das nämlich nicht. Nun versucht jemand von der Gesellschaft unversehens dem Junggesellen die Pfeife im Munde entzwei zu schlagen. (Zuweilen gelingt der Scherz; bei Wilhelm Kronenberg gelang's nicht.) Der jüngste Junggeselle, der „geschrieben“ worden war, mußte die Botengänge auf sich nehmen, so bei Begräbnissen oder einer Versammlung in der Herberge. Zum Feierabend bekamen die beiden Schenkgesellen von dem Junggesellen ein Abendbrot (beispielsweise warme Würstchen mit Kartoffelsalat oder was sonst in der Herberge gerade zu haben war). Alle drei aßen zusammen. Wenn der neue Junggeselle es bezahlen konnte, wurde wohl auch noch ein Füßchen Bier aufgelegt. Wie bei den Dachdeckern, so war es auch bei den Maurern und den Zimmerleuten, als den drei Bauhandwerken. — Die gemeinsame Herberge war um das Jahr 1870 herum in der jetzigen Baltzerstraße Nr. 9 bei Spohr. Bei der Ausübung dieser Gebräuche hatten die Meister „gar nichts zu suchen“. Vorstehendes nach den Angaben des ehemaligen Dachdeckergesellen Wilhelm Kronenberg hierselbst. Genannter war vom 1. 7. 1866 bis 1. 7. 1869 in der Lehre, ab 1880 Altgeselle.
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