Innerdeutsche Grenze (Kreis Nordhausen)
Der Kreis Nordhausen lag von 1949 bis 1990 an der innerdeutschen Grenze. Die Grenze verlief im Westen des Kreisgebiets auf einer Länge von etwa 40 Kilometern und trennte den Kreis von der Bundesrepublik Deutschland.
Verlauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Grenze begann im Norden bei der Stadt Ellrich und verlief dann in südwestlicher Richtung über die Ortschaften Rothesütte, Obersachswerfen, Branderode und Mackenrode bis nach Bockelnhagen. Sie durchschnitt dabei den Südharz, eine bewaldete Mittelgebirgslandschaft mit teils steilem und unübersichtlichem Gelände. Besonders im nördlichen Abschnitt war das Terrain stark kupiert und bewaldet, was die Grenzsicherung für die DDR-Behörden erschwerte, aber gleichzeitig auch Fluchtversuche begünstigte. Die Grenze folgte teilweise natürlichen Gegebenheiten wie Bachläufen, beispielsweise der Zorge, verlief aber oft auch quer durch vormals zusammenhängende Landschaften und Ortschaften, was zu einer Zerschneidung gewachsener Strukturen führte.
Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Der Landkreis Grafschaft Hohenstein (Landkreis Nordhausen) gehörte zur sowjetischen Besatzungszone, während der benachbarte Landkreis Osterode der britischen Zone zugeschlagen wurde. Die Demarkationslinie zwischen den Zonen bildete zunächst eine relativ durchlässige Grenze. Mit Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 wurde die Zonengrenze zur Staatsgrenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. In den ersten Jahren blieb die Grenze noch verhältnismäßig offen. Viele Bewohner pendelten zum Arbeiten über die Grenze oder besuchten Verwandte auf der anderen Seite. Bad Sachsa, bisher Stadt im Landkreis Grafschaft Hohenstein, wurde 1945 der britischen Zone zugeschlagen.
Ab 1952 begann die DDR-Führung mit dem systematischen Ausbau der Grenze. Im Mai 1952 erließ die DDR-Regierung die "Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie". Es wurde eine 5 km tiefe Sperrzone entlang der Grenze eingerichtet, aus der "politisch unzuverlässige" Personen zwangsweise ausgesiedelt wurden (sogenannte Aktion "Ungeziefer"). Man begann mit dem Bau von Grenzzäunen und Beobachtungstürmen. Die Überwachung durch die Grenzpolizei wurde deutlich verstärkt.
Nach dem Mauerbau in Berlin 1961 wurde auch die Grenze im Südharz weiter ausgebaut. In den 1960er Jahren wurden Minenfelder und Selbstschussanlagen installiert. In den 1970er Jahren erfolgte der Ausbau zu einem lückenlosen Grenzsicherungssystem mit Metallgitterzaun, Kfz-Sperrgraben und Kolonnenweg. In den 1980er Jahren wurde die Überwachungstechnik weiter modernisiert, etwa durch den Einsatz von Bewegungsmeldern und Nachtsichtgeräten.
Grenzöffnung 1989/90[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 wurde auch im Kreis Nordhausen die Grenze geöffnet. Am 11. November um 19:30 Uhr öffnete der Übergang Ellrich-Walkenried für Fußgänger, am folgenden Morgen um 6:00 Uhr wurde er für den Fahrzeugverkehr freigegeben. Am 18. November folgte die Öffnung des Übergangs Tettenborn-Mackenrode.
In den folgenden Wochen entstanden weitere provisorische Grenzübergänge: Am 10. Dezember zwischen Bartolfelde und Bockelnhagen, am 3. Februar 1990 zwischen Neuhof und Branderode, am 12. März 1990 zwischen Hohegeiß und Rothesütte.
Die Grenzsperranlagen wurden ab 1990 systematisch abgebaut.
Heutige Situation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Heute erinnern nur noch wenige Relikte an die ehemalige Grenze. In Tettenborn, einem Ortsteil von Bad Sachsa, befindet sich ein Grenzlandmuseum, das die Geschichte der Grenze im Südharz dokumentiert. An einigen Stellen, etwa bei Ellrich, sind noch Reste von Beobachtungstürmen und Sperranlagen zu sehen. An ehemaligen Grenzübergängen informieren Tafeln über die historischen Ereignisse.
Der ehemalige Grenzstreifen ist heute Teil des „Grünen Bandes“, eines Biotopverbunds entlang der früheren innerdeutschen Grenze. Auf einem Teil der Strecke verläuft der Harzer-Grenzweg als Wanderroute.
Aufbau der Grenzsperranlagen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Grenzsicherungsanlagen im Landkreis Nordhausen bestanden aus mehreren hintereinander gestaffelten Sperrelementen. Von Ost nach West waren dies:
Ein Hinterlandzaun aus Stacheldraht mit einer Höhe von etwa 2 Metern markierte den Beginn des Grenzgebiets. Dahinter folgte ein Signalzaun mit Alarmanlage, der unbefugtes Eindringen melden sollte. Ein breiter Kfz-Sperrgraben (3-4 m breit, 2 m tief) sollte das Durchbrechen mit Fahrzeugen verhindern. Es folgte ein ständig geräumter und gepflügter Kontrollstreifen zur Spurensicherung. Auf dem Kolonnenweg aus Betonplatten patrouillierten die Grenzposten. Den Abschluss bildete der eigentliche Grenzzaun, ein 3-4 Meter hoher Metallgitterzaun. In bestimmten Abschnitten waren zusätzlich Minenfelder angelegt. Bis 1984 waren auch Selbstschussanlagen vom Typ SM-70 installiert. Entlang der gesamten Grenze standen in regelmäßigen Abständen Beobachtungstürme, zunächst aus Holz, später aus Beton. Besonders stark gesichert waren die Übergänge von Straßen und Bahnlinien.
Grenzüberwachung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Für die Grenzsicherung war das 5. Grenzregiment der DDR-Grenztruppen mit Sitz in Nordhausen zuständig. Ihm unterstanden mehrere Grenzkompanien entlang der Grenze, unter anderem in Ellrich, Rothesütte, Obersachswerfen und Mackenrode. Die Grenzposten patrouillierten rund um die Uhr entlang des Kolonnenwegs und auf den Beobachtungstürmen. Sie waren angewiesen, Fluchtversuche notfalls mit Waffengewalt zu verhindern (sogenannter „Schießbefehl“).
Unterstützt wurden die Grenztruppen durch Kräfte der Volkspolizei und des Ministeriums für Staatssicherheit. Auch zivile „Freiwillige Helfer der Grenztruppen“ waren in die Überwachung eingebunden.
Grenzübergänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Der einzige offizielle Grenzübergang im Kreisgebiet befand sich zwischen Ellrich und Walkenried. Er wurde am 28. Juli 1973 im Rahmen des Grundlagenvertrags zwischen BRD und DDR eröffnet. Er diente dem sogenannten „Kleinen Grenzverkehr“ für Bewohner der grenznahen Gebiete.
Allerdings blieb die Nutzung für DDR-Bürger stark eingeschränkt. Sie benötigten neben dem Personalausweis eine gesonderte Genehmigung, die nur in Ausnahmefällen erteilt wurde. Westdeutsche konnten den Übergang mit einem „Berechtigungsschein zum Empfang eines Visums der DDR“ nutzen. Der Güterverkehr auf der Eisenbahnstrecke Nordhausen-Northeim wurde über den Grenzbahnhof Ellrich abgewickelt. Personenverkehr fand hier nicht statt.
Auswirkungen auf die Bevölkerung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Die Grenzziehung hatte massive Auswirkungen auf die Bevölkerung im Grenzgebiet. Viele Menschen wurden im Rahmen von Zwangsaussiedlungen aus dem Sperrgebiet vertrieben, etwa bei der Aktion Ungeziefer 1952. Der ehemalige Landkreis Grafschaft Hohnstein verlor Gebiete und den Ort Bad Sachsa. Familien und Freundschaften wurden durch die Grenze getrennt. Zahlreiche Bewohner verloren ihre Arbeitsplätze oder den Zugang zu ihren landwirtschaftlichen Flächen auf der anderen Seite. Die Bewegungsfreiheit im Grenzgebiet war stark eingeschränkt, die ständige Überwachung bedeutete eine psychische Belastung. Auch wirtschaftlich litt die Region unter dem Wegfall von Absatzmärkten und Rohstoffquellen.
Besonders betroffen waren Ortschaften wie Ellrich, dir direkt an der Grenze lagen. Auch Tettenborn wurde durch die Grenzbefestigungen zerschnitten.
Flucht über die Grenze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Trotz der massiven Sperranlagen kam es immer wieder zu Fluchtversuchen über die Grenze. Einige endeten tödlich, wie etwa am 31. Oktober 1949, als ein 20-jähriger Ellricher von Grenzpolizisten erschossen wurde. Am 11. August 1963 starb eine hochschwangere Frau bei einem Fluchtversuch im Minenfeld bei Obersachswerfen.
Am 28. November 1978 floh ein Ehepaar mit einem entwendeten Agrarflugzeug und landete bei Bad Lauterberg. Am 18. März 1985 versuchte eine vierköpfige Familie mit einem gepanzerten Lkw die Grenze bei Ellrich zu durchbrechen. Der Versuch scheiterte, die Eltern wurden zu Haftstrafen verurteilt. Genaue Zahlen über erfolgreiche und gescheiterte Fluchtversuche im Kreis Nordhausen liegen nicht vor.
Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
- Horst Gundlach: Die deutsch-deutsche Grenze 1945 - 1990. Eine Dokumentation der Ereignisse im Südharz. Bad Langensalza: Rockstuhl, 2014. ISBN 9783867777247