Heeresmunitionsanstalt Wolkramshausen

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Die Heeres-Munitionsanstalt Wolkramshausen (HMA) wurde 1936 als Teil des Vierjahresplanes zur Aufrüstung der Wehrmacht aufgebaut. Die Anlage, die sowohl unterirdische als auch oberirdische Einrichtungen umfasste, diente der Lagerung und Herstellung von Munition.

Am 29. Juli 1942 kam es zum Explosionsunglück im Schacht Ludwigshall der Heeresmunitionsanstalt Wolkramshausen.

Aufbau und Struktur

1936 begannen der Aufbau der unterirdischen Heeres-Munitionsanstalt in Wolkramshausen. Zur Vorbereitung wurden vorhandene Schächte, wie der Schacht Ludwigshall und der Schacht Immenrode, wieder geöffnet und abgedichtet. In den Strecken wurden Gleisanlagen erneuert, Licht- und Kraftanlagen neu verlegt, und Bremsberg-Häspel eingebaut. Die ersten Munitionseinlagerungen fanden 1937 statt.

Die Heeresbauämter waren sich der potenziellen Gefahren einer Großexplosion bewusst. Daher wurden Mitte der 1930er Jahre Sprengversuche im Kali-Werk der Gewerkschaft Riedel durchgeführt, um den Sicherheitsabstand von Munitionskammern zu bestimmen und das Risiko einer Kettenreaktion zu minimieren. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen gab es keine systematischen Überlegungen zum Schutz der Belegschaft im Falle einer Explosion, insbesondere in Bezug auf Giftgase. Gas-Schutzräume waren nicht vorgesehen.

Die Munitionslagerräume befanden sich auf der 660-Meter-Sohle und bestanden sowohl aus ehemaligen Kali-Abbaukammern als auch aus neu aufgefahrenen Räumen mit Sicherheitsabstand zueinander. Die Munitionsherstellung erfolgte in Arbeitsräumen unter Tage sowie im sogenannten F-Bereich über Tage. Der F-Bereich beschäftigte hauptsächlich Frauen, was zur Vermutung führte, dass das "F" für "Frauen" stand. Allerdings gibt es auch die Annahme, dass es "Feuerwerker" bedeutete.

Personal

Das Heeresbauamt Nordhausen (HBA) verfügte 1938, dass generell nur deutschstämmige Personen eingesetzt werden dürfen, die keine staatsfeindliche Einstellung gezeigt haben oder zeigen. Zu dieser Zeit bestand noch die zentrale Festlegung, dass Frauen nicht in Bergwerksanlagen eingesetzt werden dürfen, auch nicht über Tage. Am 8. Juli 1940 legte der Reichswirtschaftsminister jedoch fest, dass Frauen in dringenden Fällen abweichend von der Arbeitsordnung mit geeigneten Arbeiten im Bergbau über Tage beschäftigt werden dürfen. Dieser Erlass bezog sich zwar nicht explizit auf in Bergwerken befindliche Munitionsanstalten, war aber dennoch aufgrund der Geheimhaltungspflicht relevant. Im Verlauf des Krieges wurden Frauen in Munitionsanstalten vermehrt auch unter Tage eingesetzt.

Wehrtaugliche Männer wurden in der HMA befristet dienstverpflichtet. Nach Ablauf der Frist wurde entschieden, wer zur Wehrmacht eingezogen oder weiter dienstverpflichtet bleiben sollte. Viele erhofften sich durch die Arbeit in der HMA, nicht als Soldaten eingesetzt zu werden.

Die Geheimhaltung war ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitsbedingungen in der HMA Wolkramshausen. Jegliche Niederschriften über die Art der Tätigkeiten sowie das Fotografieren waren strengstens untersagt. Dies diente dazu, Informationen über Produktionskapazitäten, -methoden und -umfang vor feindlichen Mächten zu verbergen. Trotz des strengen Verbots existieren einige offizielle Fotos von Teilen der Belegschaft der geheimen Munitionsanstalt.

Mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht für junge Frauen am 4. September 1939 durch den §2 der Verordnung über die „Durchführung der Reichsarbeitsdienstpflicht für die weibliche Jugend“ wurden Mädchen ab 17 Jahren und ledige Frauen bis 25 Jahre, die nicht vollberufstätig oder in der Landwirtschaft tätig waren, zum Arbeitsdienst verpflichtet. Ab 1940 galt die Arbeitsdienstpflicht auch für bereits berufstätige Frauen. Dies erklärt den hohen Anteil junger Frauen in der Belegschaft der HMA Wolkramshausen. Ausgenommen waren Frauen mit Kindern, insbesondere wenn der Ehemann als Soldat diente.

Die ursprüngliche Verfügung, dass nur deutschstämmige Arbeitskräfte eingesetzt werden dürfen, wurde 1940 aufgehoben. Vor der Großexplosion am 29. Juli 1942 waren laut Augenzeugenberichten ausländische Zwangsarbeiter (Holländer) zumindest oberirdisch eingesetzt. Es gibt keine Belege dafür, dass ausländische Zwangsarbeiter vor dem 29. Juli 1942 auch unter Tage eingesetzt waren. Es ist wahrscheinlich, dass die Beschränkung, wonach ausländische Arbeitskräfte nicht für Arbeiten mit Sprengstoffen eingeteilt werden durften, noch galt.

Untertagearbeit

Die deutschen Arbeiter, die in der Munitionsfertigung eingesetzt waren, kamen vorwiegend aus Nordhausen und den umliegenden Ortschaften im Südharz. Sie nutzten hauptsächlich die Bahn bis Wolkramshausen und Fahrräder als Verkehrsmittel, während im Winter Busse zum Einsatz kamen.

Die Herstellung von Munition erfolgte sowohl an oberirdischen als auch an unterirdischen Standorten, beispielsweise im Schacht Ludwigshall. In insgesamt neun speziell eingerichteten Arbeitsbereichen, von denen sich zwei auf der 660-Meter-Sohle befanden, wurden großkalibrige Geschosse montiert, mit Sprengstoff und Zündern ausgestattet, beschriftet und anschließend in Lagerbereiche transportiert. Zeitzeugenberichten zufolge umfasste das hergestellte Munitionssortiment Spreng- und Nebelgranaten mit 10,5 Kaliber, Granaten mit 15 Kaliber sowie Panzerabwehrgeschosse mit 3,7 und 8,8 Kaliber.

Eine Arbeitsgruppe bestanden aus etwa 30 Männern unterschiedlichen Alters. Sie arbeiteten unter der Aufsicht eines Feuerwerker-Feldwebels in einem kargen Raum mit einem U-förmigen Arbeitstisch aus dicken Holzbohlen. Die Arbeitsbedingungen waren laut Zeitzeugenberichten anstrengend und gefährlich, mit lauten Geräuschen und schwerer körperlicher Arbeit. Die Arbeiter mussten präzise und schnell arbeiten, um den hohen Anforderungen gerecht zu werden und Unfälle zu vermeiden. Die Arbeitsabläufe waren wie folgt:

  1. Granatenrohlinge wurden auf den Tisch geladen und begutachtet.
  2. Die Granaten wurden in Schraubstöcken eingespannt und geöffnet.
  3. Eine in Kunstharz gepresste Sprengladung wurde neben die Granate gelegt.
  4. Eine heiße, zirka 180 Grad Celsius messende Masse wurde in den Granatenkörper gegossen.
  5. Die Sprengladung wurde schnell in den Granatenrohling eingeschraubt und musste tief genug sitzen, damit die Masse an den Innenseiten hochdrang.
  6. Der Granatenkopf wurde wieder auf die Granate geschraubt und musste den Kontrollstrich auf der Granate überschreiten. Falls die Sprengladung nicht tief genug eingesetzt war, mussten die Arbeiter wuchtige Schläge auf die Schraubgriffe ausüben, um die Markierungen in die richtige Position zu bringen.
  7. Ein Aufschlagzünder wurde aufgesetzt und ein anderer Arbeiter verstemmte den Zünder.
  8. Die Granate wurde markiert, um ihre Produktion identifizieren zu können
  9. Die fertigen Granaten wurden vom Tisch genommen und zur Seite gelegt. Dabei mussten die Arbeiter vorsichtig sein, um Unfälle zu vermeiden, wie zum Beispiel das Herunterfallen einer Granate.
  10. Wenn ein Munitionszug beladen werden musste, wurden Transportkommandos zusammengestellt. Die Arbeiter fuhren mit Grubenlampen in die unterirdischen Lagerräume, um die Granaten abzuholen.
  11. Jeder Arbeiter wurde einem Feldwagen (Lore) zugeteilt, der mit bis zu 20 Granaten beladen wurde. Die Arbeiter mussten die schweren, beladenen Loren durch das unterirdische Wegenetz mit vielen Granaten-Stapelplätzen und unbeleuchteten Stollen manövrieren.
  12. Nachdem die Loren an der Oberfläche angekommen waren, begann der Prozess des Beladens des Munitionszuges. Die Arbeiter transportierten die Granaten vom Förderkorb zum Zug.
  13. Dieser Prozess wurde die ganze Nacht hindurch wiederholt, bis der Munitionszug vollständig beladen war.

Erweiterung der Heeres-Munitionsanstalt auf Immenrode

Am 21. März 1940 legte das Heeresbauamt Nordhausen einen erweiterten Ausbauplan vor, der die Ausdehnung der Heeres-Munitionsanstalt auf den angrenzenden Bergbaukomplex Immenrode vorsah.

Die bergbaulichen Tätigkeiten starteten 1938 mit einem Budget von 146.000 Reichsmark (RM), stiegen 1939 auf 242.000 RM und erreichten 1940 einen Höhepunkt von 332.000 RM. Danach sanken die Leistungen bis 1943 kontinuierlich auf 50.000 RM und verharrten auf diesem niedrigen Niveau. Der Plan sah vor, insgesamt mehr als 80 Kammern auf sieben Sohlen in Tiefen von 770 bis 823 Metern auszubauen oder neu zu erschließen.

Ab März 1941 übernahm eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) die Arbeiten, bestehend aus der Gesellschaft für Bergwerksunternehmen Essen und Gebhardt & Koenig-Deutsche Schachtbau AG Nordhausen, zusammen mit 29 namentlich genannten Mitgliedern der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Die unterirdischen Strecken in Tiefen von bis zu 823 Metern waren jedoch überflutet, und in ihnen befand sich Salzlauge. Aufgrund des Mangels an geeigneten Fachkräften konnten die umfangreichen Entwässerungs- und Erschließungsarbeiten, insbesondere für die neuen Auffahrungen, nicht wie geplant durchgeführt werden.

m Rahmen der Operation "Sonderelbe-Jasmin" ordnete das Oberkommando der Wehrmacht am 31. Juli 1944 an, dass 2.500 Fachkräfte aus dem Bergbauwesen aus der Armee entlassen werden sollten. Daraufhin legte Gebhardt & Koenig eine Liste der eingezogenen Mitarbeiter aus ihrem Bergbauunternehmen vor, bekam allerdings keine Rückmeldung. Die im Jahr 1944 ins Leben gerufene "Zentralstelle für bergbauliche Sonderaufgaben in Berlin-Halensee" legte die tatsächlichen Einsatzgebiete für insgesamt 80 kriegsrelevante Projekte fest.

Die Fortführung der Arbeiten in Immenrode kam wiederholt ins Stocken. Die Projekte wurden etappenweise fortgesetzt, ohne das ursprüngliche Planziel zu erreichen. Für 1945 geht aus der Bilanz von Gebhardt & Koenig hervor, dass die letzten durchgeführten Arbeiten im Wert von knapp 57.000 RM unbezahlt blieben.

Grubenunglück und Ende

siehe Explosionsunglück im Schacht Ludwigshall der Heeresmunitionsanstalt Wolkramshausen

Der Betrieb der Heeresmunitionsanstalt Wolkramshausen wurde durch die Luftangriffe auf Nordhausen am 3. und 4. April 1945 abrupt beendet. Unter den Bombenopfern waren auch Dienstverpflichtete des Betriebs.

Am Abend des 10. April 1945 besetzten US-amerikansiche Einheiten das Gelände, zeigten aber nur geringes Interesse an der Anstalt selbst und konzentrierten sich stattdessen auf die unterirdischen Anlagen des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora mit ihrer V-Waffen-Produktion.

Am 12. Mai 1945 kündigte die Nordhäuser Schachtbaufirma Gebhardt & Koenig ihre eigenen Betriebsangehörigen in der Schachtanlage Immenrode öffentlich, da sie aufgrund der höheren Gewalt nicht in der Lage waren, ihre außerhalb von Nordhausen gelegenen Betriebstätten zu erreichen. Die Kündigung betraf namentlich die Steiger Sieger und Schirmer sowie sämtliche Lohnempfänger, die nicht zur Bewachung der Anlage eingesetzt wurden.

SBZ und DDR

Nach dem Abzug der US-Armee fiel die frühere HMA Wolkramshausen im Juli 1945 in den Verantwortungsbereich der Sowjets (Artillerie-Stab der 3. Stoßarmee). Eine der ersten Direktiven der SMAD bestand darin, sämtliche Pläne von Militäreinrichtungen auszuhändigen. Kurt Bührig, ein ehemaliger Bergassessor und Vorstandsmitglied der Nordhäuser Schachtbaufirma Gebhardt & Koenig, kam dieser Aufforderung nach. Allerdings sind im Archiv des Betriebs nahezu alle Unterlagen zur HMA Wolkramshausen verschwunden. Bührig wurde festgenommen, aber nicht ins berüchtigte NKWD-Gefängnis in der Karolinger Straße 18 in Nordhausen eingewiesen, sondern ins ehemalige Konzentrationslager Mittelbau-Dora am Kohnstein verlegt. Im August 1945 kam er wieder frei.

Zunächst war es untersagt, das Areal zu betreten und in die Grube vorzudringen. Allerdings wurde dem sowjetischen Militär bald klar, dass ein sicherer Zugang unter Tage ohne entsprechend geschultes Personal aufgrund mangelnder Kenntnis der Anlage und möglichen technischen Defekten schwierig sein würde. Die SMAD griff auf ihre übliche Praxis zur Rekrutierung von Arbeitskräften zurück. Die Bürgermeister der umgebenden Dörfer und das Arbeitsamt Nordhausen wurden beauftragt, bis zu einem festgelegten Datum eine bestimmte Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte bereitzustellen. Aus dem nahegelegenen Ort Wernrode sind einige dieser Dienstverpflichtungen dokumentiert.

Die betroffenen Personen waren Hermann Probst, ein 58-jähriger Fördermaschinist, Paul Koch, ein 53-jähriger Hauer, Oskar Karthäuser, ein 54-jähriger Hauer, und Horst Gust, ein 19-jähriger Arbeiter. Alle waren bei der Nordhäuser Schachtbaufirma Gebhardt & Koenig (G&K) beschäftigt. G&K legte am 16. Oktober 1945 erfolglos schriftlichen Widerspruch gegen diese Dienstverpflichtung ein.

Die Aufgabe einer Arbeitsgruppe bestand darin, auf der 660-Meter-Ebene verrostete, scharfe Granaten mit einem Kaliber von 8,8 Zentimetern zu reinigen. Die Granaten wurden mit Hilfe von Drahtbürsten und Schleifpapier von Rost befreit, danach in heißes Paraffin getaucht und schließlich sorgsam in Ölpapier verpackt. Es galt, höchste Vorsicht walten zu lassen, um Unfälle durch herunterfallende und explodierende Granaten zu vermeiden. An jedem Arbeitstisch befanden sich sechs bis acht Frauen, wobei eine Frau pro Schicht etwa zehn Granaten bearbeitete. Für den Transport der Granaten waren Männer verantwortlich.

Der Führungsstab der 3. Stoßarmee isolierte die ehemalige Anlage vor anderen Angehörigen der Roten Armee. Am 29. Dezember 1945 äußerte der Leiter des SMA-Militärsektors in Thüringen, Polkownik, seinen Unmut gegenüber dem Leiter der Artillerie der 3. Stoßarmee, da seine Militärmitglieder keinen Zutritt zu den Anlagen in Wolkramshausen hatten, um die Vernichtung der dort eingelagerten Munition zu kontrollieren. Er forderte, den Vertretern der Militärkommandantur Nordhausen endlich den Zutritt zu ermöglichen.

Am 18. Februar 1946 sandte der Leiter des SMA-Militärsektors in Thüringen (Polkownik) der Militärabteilung des SMAD-Hauptquartiers Generalpläne der Schachtanlagen in Wolkramshausen, Obergebra, Kleinbodungen und Berka/Wipper zu.

Im Oktober 1946 waren etwa 80 deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen dauerhaft im Zuständigkeitsbereich der sowjetischen Besatzungsmacht in Wolkramshausen beschäftigt. Am 11. Oktober 1946 appellierte der Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Bergbau in Halle an den Bundesvorstand des FDGB in Berlin, um Maßnahmen gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen in Wolkramshausen zu ergreifen. Arbeiter warteten monatelang auf ihren Lohn, bekamen lediglich die Kartengruppe II für Untertagearbeiter, hatten keinen Unfall- und Krankenversicherungsschutz und erfuhren bei Beschwerden über die Arbeitsverhältnisse strenge Sanktionen, einschließlich körperlicher Gewalt. Die Anzahl der Krankheitsfälle und Unfälle war überdurchschnittlich hoch, und Arbeiter, die der Arbeit durch Flucht entkommen wollten, wurden von der Besatzungsmacht zurückgebracht.

Literatur

  • Ullrich Mallis: Die Gesamtgeschichte des Schachtes "Ludwigshall" Wolkramshausen mit der Sprengstoffkatastrophe im Jahre 1942 mit 145 Todesopfern. Nordhausen am Harz: Verlag Steffen Iffland, 2020. ISBN 978-3-939357-40-7