Ein kleiner Ausschnitt vom Leben des Nordhäuser Realgymnasiums nach dem Kriege
Ein kleiner Ausschnitt vom Leben des Nord-
häuser Realgymnasiums nach dem Kriege. (In Bildern gezeigt.)
Das gesamte Dasein der höheren Schule hat sich in dem letzten Vierteljahrhundert grundlegend verändert. Ein Unvoreingenommener wird nicht behaupten, daß sich diese Umgestaltung in jeder Beziehung ersprießlich ausgewirkt hätte; und selbst wenn man es begrüßt, daß vieles von dem gar zu philologischen Geiste des 19. Jahrhunderts gefallen ist, so darf man doch nicht übersehen, daß diese Erziehung des verflossenen Jahrhunderts zu opferbereiter Vaterlandsliebe, zu außerordentlicher Pflichttreue, zu unbedingter Hingabe an eine Aufgabe, auch wenn sie nicht immer jedem Zögling gelegen kam, erzogen und dadurch Qualitätsarbeiter des Hirns und der Hand herangebildet hat, die in der ganzen Welt ihresgleichen suchen. Den bedeutsamsten und schönsten Wandel in der Gesamthaltung der höheren Schule seit dem Weltkriege erblicken wir nun darin, daß das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ein anderes geworden ist. Wenn auch manche alte, oft wohltuende Bindung gefallen ist, so glauben wir doch feststellen zu dürfen, daß aus einst häufig vorhandener unnahbarer Verehrung der Schüler für einen ihrer Lehrer ein tieferes und herzlicheres gegenseitiges Verständnis für alle Vorgänge und Maßnahmen geworden ist und daß die einstige zuweilen sich doch recht drastisch äußernde Polarität zwischen Erzieher und Zögling heute nicht selten recht glücklich vollständig überbrückt oder doch wenigstens abgeschwächt ist zu der nun einmal naturgegebenen Spannung zwischen schon Herangereiften und erst Heranreifenden. Die Nachkriegslehrergeneration hat selbst der Wandervogel- oder Pfadfinderbewegung angehört oder hat dieser doch nahegestanden, sie hat ferner das Schützengrabenerlebnis gehabt, das die beste Schule für die Wertung jeder Leistung, jedes Bedürfnisses, jedes Charakters gewesen ist. Dadurch ist die Stellung des Lehrers zu seinen Schülern grundsätzlich anders geworden: Nicht der — angeblich — vollendete, reife Mensch gibt den Maßstab für jede Beurteilung in körperlicher, geistiger, sittlicher Beziehung ab, sondern an jedes Alter wird der diesem Alter genehme Maßstab gelegt; nicht die Einzelleistung oder die Summe der Einzelleistungen in den verschiedenen Fächern bestimmt die Wertung des Schülers, sondern seine Gesamtpersönlichkeit, wie sie sich aus Erbe und Erziehung, aus Anlage und Umwelt ableiten läßt. Wenn dabei, wenigstens nach Ansicht des Schreibers dieser Zeilen, manchmal sogar ein wenig zu weit gegangen wird, indem man versucht, bei dem Zögling in Bezirke vorzudringen, die nun einmal jedes Menschen ureigenster und heiligster Besitz sein und bleiben sollen, so ist doch, im ganzen betrachtet, die neue Einstellung des Erziehers zum jungen Menschen höchst segensreich gewesen. Dadurch erst ist die höhere Schule befähigt, viel schneller als einstmals dem ganzen Tempo der Zeit, ihren Neuerscheinungen, ihren Erfindungen, ihren Auswüchsen, dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Geschehen zu folgen, und dadurch wieder wird der ganz selbstverständliche Abstand zwischen der naturgemäßen Aufgeschlossenheit der Jugend für ihre Zeit und der konservativeren Haltung der Lehrerschaft verringert. Vor allem aber ist der Geist der Kameradschaft, den die Lehrer während ihrer eigenen Lehrjahre daheim und im Felde gepflegt haben, richtunggebend für ihr Verhältnis zur Schule geworden. Viele alte, manchmal sogar nützliche Bindungen und Formungen sind dadurch zwar über Bord gegangen, es überwiegt aber doch bei weitem der Gewinn. Ohne daß wir uns hier auf weitere Erörterungen einlassen, soll im folgenden eine Reihe von Bildern aus dem Leben unseres Realgymnasiums nach dem Weltkriege die Gesamteinstellung der Anstalt aufzeigen. Aus allem aber klingen immer wieder als Grundthemata durch: die Aufgeschlossenheit gegenüber allen Gegenwartserfordernissen und der Geist der Kameradschaftlichkeit. Die Bilder 1—3 zeigen die Wohnstätten der Schule, die einst im Jahre 1835 mit zwei Klassen im damals Joachimischen, später Seyffarthschen Hause (Ritterstraße 3) eröffnet wurde, dann vor das Töpfertor übersiedelte (heute Töpfertorschule, aber ohne den westlichen Anbau) und schließlich gemeinsam mit dem Gymnasium das große in den 80er Jahren von der Stadt gebaute Schulgebäude am Taschenberge bezog. (Am 29. Juli 1891; Schulbeginn am 30. Juli.) Die Ausstattung der Klassenräume in diesem Gebäude ist längste Zeit die gleiche geblieben. Sie zeugt von spartanischer Einfachheit und Sparsamkeit (Bild 4); erst in den letzten Jahren wurden einige wenige Klassen mit modernen Tischen für die Schüler versehen (Bild 5), und dem Entgegenkommen der Behörde ist es endlich zu danken, daß nunmehr mit dem Eintritt der Schule in ihr zweites Saeculum weitere Räume eine neuzeitliche Inneneinrichtung erhalten können. Der Anstalt vornehmste Aufgabe nach dem Weltkriege bestand darin, den 225 gefallenen Lehrern und Schülern ein würdiges Ehrenmal zu errichten. Direktor Dr. Bochow und Zeichenlehrer Havemeister (4), der eine mit beispiellosem Pflichtbewußtsein, der andere, der seine drei Söhne dem Vaterlande opfern mußte, mit rührender Hingabe, haben sich jahrelang um dieses Zeugnis der Dankbarkeit bemüht. Die Inflationszeit machte alle Arbeit zunichte. Endlich gelang es dem neuen Leiter der Anstalt Oberstudiendirektor Grabs und seinen Mitarbeitern eine würdige Gedächtnistafel zu schaffen (Bild 6). Mehr noch als schon in den letzten Vorkriegsjahren war es Aufgabe der Schule, ihre Zöglinge nicht einseitig geistig zu fördern, sondern auch den Körper zu stählen. Ein schön gelegener Turnplatz kam diesen Bestrebungen entgegen (Bild 7), und ein blühender Turnverein, dessen Mitglieder voll Eifer und Kameradschaft Turnen und Sport pflegten, unterstützten die Bemühungen der Lehrerschaft. Bild 8 zeigt, wie sich der Realgymnasial-Turnverein allen Nordhäuser die Leibesübungen pflegenden Vereinen eingegliedert und im Jahre 1922 in einen von der damaligen Nordhäuser Turn- und Sportgemeinschaft veranstalteten Förderkursus mehrere Teilnehmer entsandt hat: „Alex“ Busse (heute Artillerieoffizier) versucht gerade die Kugel zu stoßen. Bild 9 zeigt eine siegreiche Faustballmannschaft des Vereins (von links nach rechts: Becher, Bruder, Hans Müller, Backhaus, Keilholz). Im Verlauf der weiteren Bestrebungen, für die körperliche Erziehung der Schüler zu sorgen, wurde der Sportplatz planiert, die Unterkunftshütte auf ihm erweitert und vor allem mit großem Kostenaufwand die Turnhalle neu ausgestattet und mit einem Anbau für Geräte versehen. Während hier nur alte Bahnen weiter ausgebaut und weiter beschritten wurden, erkannten Lehrer und Schüler sehr bald die ungeheure Bedeutung des ganz neuen Flugsportes. Mit Freuden ergriff schon im Herbst 1928 die Schule die Gelegenheit, einen mitteldeutschen Segelfluglehrgang an der Numburg zu besuchen (Bild 10). Die Begeisterung für die Fliegerei im allgemeinen und für den der Schule allein zugänglichen Segelflugsport im besonderen führte diesem Sportzweig eine ganze Reihe Schüler zu, von denen mancher auch schon die vorgeschriebenen Sportprüfungen bestanden hat. Oberstudiendirektor Grabs, in jenen Jahren Leiter des Gymnasiums und Realgymnasiums, nahm sich unter Mitwirkung des Zeichen- und Turnlehrers Jans vom Gymnasium der Segelfliegerei an, und bald konnte den Schülern ein Raum zur Herstellung eines eigenen Flugzeuges und Mittel für die Anfertigung desselben zur Verfügung gestellt werden. Die Bilder 11 und 12 zeigen unsere Flugzeuge; eins ist ein Segelflugzeug und ist getauft auf den Namen „Kampfgeist“. Daneben besitzen beide Schulen noch ein selbstgebautes Gleitflugzeug, die „Kameradschaft“. Ebenso wie der Turnverein arbeiteten auch Lese- und Gesangverein ständig im engsten Einvernehmen mit der Schule und suchten das Geistes- und Gefühlsleben ihrer Mitglieder zu vertiefen. Die Schule aber muß allen diesen Vereinen dankbar sein nicht nur für ihre dauernde Erziehungsarbeit, sondern auch für ihre ständige Einsatzbereitschaft, wenn es galt, durch Veranstaltungen aller Art, Fernstehenden einen Einblick in das Leben und Streben der Anstalt zu gewähren. In dieser Beziehung besonders erwähnenswert sind die schon unter Direktor Dr. Bochow alljährlich veranstalteten, für Eltern, Schüler und Lehrer gemeinsamen Schulfeste. Im letzten Jahrzehnt aber gelang deren Ausgestaltung besonders hervorragend dadurch, daß das Kollegium in Dr. Illing einen Mann aufzuweisen hatte, dessen dichterisches Talent der Schule eine ganze Reihe Theaterstücke geschenkt hat und dessen reicher Theatererfahrung es gelungen ist, sie durch die Schüler zu wirkungsvoller Aufführung bringen zu lassen. Bild 13 zeigt die ganze „Theaterbande“ und in der Mitte den von ihr hochverehrten Poeten nach der Aufführung eines Werkes, dessen Inhalt Karl den Franken mit unserer Heimatstadt Nordhausen verknüpft, und ein weiteres Bild beweist, daß der Dichter und die jungen Darsteller auch vor einem größeren Publikum bestehen konnten. „Das Friedensfest“, das früher schon zu einem Elternabend aufgeführt worden war, verschönte im Sommer 1934 ein Nordhäuser Volksfest und zeigte die Kunst unserer Realgymnasiasten unter unserer alten Merwigslinde im Gehege (Bild 14). Einige der Illingschen Heimatspiele werden jetzt zur Jahrhundertfeier veröffentlicht. An den Geschicken unserer Heimatstadt Nordhausen nahm die Schule überhaupt jederzeit regsten Anteil. Hier sei nur der Jahrtausendfeier im Jahre 1927 gedacht, bei der eine Gruppe Realgymnasiasten in der alten Turnertracht von Jahre 1848 mit der historischen Turnfahne dieses Jahres auftrat. Bild 15 bringt die Mannschaft angetreten auf dem Schulhofe, Bild 16 zeigt sie während des Festaufzuges, von der Wilhelm-Nebelung- in die Löbnitzstraße einbiegend. Wie mit der Stadt Nordhausen, so ist die Schule auch mit der ganzen Landschaft innigst verbunden. Mit größter Freude begrüßten es deshalb Lehrer wie Schüler, als der Vater eines Schülers das ehemalige Pfadfinderblockhaus im Helbetale bei Klein-Berndten in der Hainleite der Schule zur Verfügung stellte; konnte doch auch dieses Heim dazu beitragen, das kameradschaftliche Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern und die Verbundenheit mit der heimatlichen Scholle und ihren Bewohnern zu festigen. Im schönsten Waldwiesental ist das Blockhaus gelegen (Bild 17), ein luftiger Anbau an seiner rechten Seite war bald von den Schülern hergestellt, und ein weiteres Gelaß wurde im Sommer 1934 unter erheblichem Einsatz zimmermeisterlichen und handwerklichen Talents von den einzelnen nacheinander im Helbetale weilenden Klassen an der Rückwand des Gebäudes aufgeführt (Bild 18). Daß aber auch hier, fern von jedem Getriebe, morgens und abends der Verbundenheit mit unserem ganzen deutschen Volke und dem nationalsozialistischen Staate gedacht wurde, zeigt die allmorgendliche feierliche Flaggenhissung. Eifrig, zuchtvoll und stolz sind die Obersekundaner angetreten, und ihr guter Wille läßt darüber hinwegsehen, daß bei dem Kommando: „Die Augen links“ die Kopfhaltung noch nicht ganz vorschriftsmäßig ist und ein wackerer preußischer Feldwebel sicher den einen oder anderen angefaucht hätte mit dem allen Soldaten bei dieser Gelegenheit wohlbekannten: „Linke Schulter vor!“ (Bild 19.) Natürlich galt es für unsere Schule auch diese unsere engere Heimat und unser weiteres deutsches Vaterland im Lehrausflug wie im kameradschaftlichen Gemeinschaftsmarsch zu erwandern. Unzählig sind die Bilder, die der Anstalt von dergleichen Ausfahrten zur Verfügung stehen. Nur einige wenige und manchmal nicht einmal die besten, sondern nur die, welche in der Eile ausgewählt werden konnten, mögen das Leben der Anstalt in dieser Beziehung zeigen. Absichtlich sind möglichst solche Bilder ausgesucht, die nur Schüler und keine Lehrer zeigen, denn um der Schüler willen ist die Schule und sind alle ihre Maßnahmen und Einrichtungen da. Bild 20 führt in einen Steinbruch des Gipsbandes, das sich vor den Südharzrand legt. Nur dieses eine Bild ist einer ganzen Serie entnommen, die auf Exkursionen entstanden ist, welche im Verlauf geographischer Arbeitsgemeinschaften gemacht worden sind. Eine weitere Aufnahme hat den Schlund der Kelle, an der man die Entstehung unterirdischer Gänge im Kalkgestein und die Bildung von Einsturztrichtern studieren kann, festgehalten (Bild 21), und Bild 22 führt in das wundervolle, in den Südharzer Porphyrit tief eingeschnittene Erosionstal des Steinmühlenbaches. Dass auf dergleichen Ausfahrten die Rast und die Mahlzeit nicht unwesentlich sind, beweist ein Teil der Mitglieder des Turnvereins, welche einen Himmelfahrtsausflug nach dem Frankenteiche unter der Josephshöhe gemacht haben (Bild 23), oder die Rast der KII an einem heißen Julitage des Jahres 1927 in der herrlichen „Klus“, einem Steiltale im Muschelkalke des Eichsfeldes bei Wachstädt (Bild 24). Dicht nebenbei liegt ein kleines Wallfahrtskapellchen (Bild 25). Doch auch die weitere Heimat wurde erwandert. Vom Thüringer Walde im Süden bis zum Magdeburg-Braunschweiger Land im Norden, von der Werra-Weser im Westen bis an die Elbe im Osten gibt es kaum eine sehenswerte Stätte, an die die Schule ihr Zöglinge nicht geführt hätte. Kassel und Eisenach, Erfurt, Weimar und Jena, Magdeburg und Halle wurden ausgesucht. Hier mögen nur die Bilder vom Eisleber Marktplatze im Lutherjahre 1933, vom Innern der Moritzburg in Halle, von Karlshasen am Einfluß der Diemel in die Weser und von einem Weserdampfer Platz finden (Bild 26/29). Weite, zuweilen wochenlange Fahrten, die Lehrern und Schülern viel Schönes schenkten, die von den Erziehern aber auch manche Opfer forderten und ihre Verantwortungsfreudigkeit zuweilen einer harten Belastungsprobe ausfetzten, — weite Fahrten erstreckten sich schließlich bis an die deutschen Meere im Norden und bis in die deutschen und österreichischen Alpen im Süden. Auch von diesen reichsten Gewinn einbringenden vieltägigen Touren sei nur ein ganz dürftiger Ausschnitt im Bilde gezeigt. — Hoch oben auf der äußersten Kante des Staffelsteins sitzt ein wagehalsiger Realgymnasiast und bewundert die Lande „vom Bamberg bis zum Grabfeldgau“ (Bild 30). Vor der Saalburg hat sich im Jahre 1928 eine muntere Olla (Schar??) aufgebaut, und offenbar spendet ein römischer Feldherr diesen Nachfahren der alten Kämpen, welche im Teutoburger Walde die römischen Legionen zerstampften, seinen Segen (Bild 31). Auf einen Segler im Hamburger Hafen geleitet uns Bild 32, und die Wanderknaben von Bild 33 rasten samt dreien ihrer Lehrer auf einer blumigen Matte der deutschen Alpen. — Zwei Themen sollten in dieser kurzen Bildchronik unseres Realgymnasiums immer wieder durchklingen. Seit Jahren aber überbraust allgewaltig ein drittes jedes andere auch für unsere Schüler und schließt die beiden angeschlagenen ein: Die nationalsozialistische Bewegung, für die der Sextaner als kleiner Pimpf und der Primaner als SS.-Mann einsatzbereit steht und deren Gedankengut in allem Handeln und Denken und Fühlen unserer Schulgemeinschaft wieder- und wiederkehrt.
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