Denkschrift zur Feier des 2. August 1852 in Nordhausen
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DENKSCHRIFT
zur Feier des 2. August 1852
in
NORDHAUSEN.
Von
Dr. E. G. Förstemann,
Professor.
Nordhausen, 1852.
Verlag von Ferd. Förstemann.
Durch Bekanntmachung dieser Erinnerungen an unsre Vorzeit, deren Zweck ist, eine angemessene Stimmung für die Feier des Tages, an welchem vor fünfzig Jahren Nordhausen mit der preussischen Monarchie vereinigt wurde, bei meinen Mitbürgern zu befördern, erfülle ich einen ehrenden Auftrag unsrer städtischen Obern. Nordhausen ist des Königs. Königlich war diese Stadt vom Anbegin: lange war das Königische gleichsam ihr Charakter, es war ihr Stolz und ihr Glück. Königes-Nordhausen, des Königs Hof, die königliche Stadt und Feste Nordhausen nennen alte Chronisten diesen Ort in Thüringen vor dem Harze, damit er nicht mit andern Orten gleichen Namens verwechselt werde. Durch Könige und Königinnen wurde unsre Stadt, wenn nicht gegründet, doch erweitert, befestigt und mit grössern geistlichen und weltlichen Stiftungen und Bauwerken versehen, auch mit Rechten und Freiheiten ausgestaltet. Darum führte die Stadt ein thronendes Königspaar als Wappen in ihrem Siegel und auf ihren Münzen, welches Wappen erst seit 1336 allmählich durch den Adler verdrängt wurde. Fast alle ältern Könige Deutschlands und römischen Kaiser bewohnten kürzere oder längere Zeit die hiesige königliche Burg: wichtige Handlungen deutscher Herrscher geschahen hier: in der Geschichte dieser Herrscher und ihrer Familienglieder glänzt Nordhausen vor vielen grössern Städten Deutschlands. Dankbar für die königlichen Wohlthaten haben die Bürger dieser Stadt ihrem Regenten Treue bewiesen; mit Aufopferung und Ausdauer haben sie für denselben gekämpft. Uebergehen wir die Sage von der Erbauung der Stadl im fünften, ja im vierten christlichen Jahrhundert, geben wir auf die Sage vom Könige Merwig und vom Kaiser Theodosius: schon unter den Karolingern finden wir Nordhausen als einen bedeutenden Ort. Wahrscheinlich war bereits damals hier ein königlicher Hof und eine königliche Pfalz: wenigstens des letzten deutschen Königs karolingischen Stammes Anwesenheit in Nordhausen ist nachgewiesen. Mehr erhob sich unser Ort unter dem sächsischen Königshause und durch dasselbe. Dieses königliche Geschlecht halte hier am Harze seine Heimath. Schon der erste gefeierte König dieses Stammes Heinrich I. pflegte in unsrer Nähe oft des edlen Weidwerks, doch nicht der höhern königlichen Pflichten vergessend. Ihm ohne Zweifel verdankt unsre Stadt die erste bedeutendere Erweiterung und eine ansehnliche Befestigung. Mit besondrer Liebe war seine fromme Gemahlin aus Wittekinds Stamme, die von der Kirche als Heilige verehrte Königin Mathilde (Mechtild) diesem Orte zugethan. den ihr (927 u. 929) der theure Gemahl als Witthum angewiesen halte. Hier hatte sie ihm eine Tochter geboren, die edle Gerbirg, welche zuletzt Frankreichs Königin war, hier ihren Liebling Heinrich, dessen Enkel Kaiser Heinrich II. ebenfalls als Heiliger verehrt wird, hier weilte sie gern in den zweiunddreissig Jahren ihres Witlwenstandes, hier stiftete sie ihr letztes frommes Werk, ein Nonnenkloster, welches sie der Leitung ihrer vertrauten Dienerin Richburg übergab, hier sah sie endlich hochbetagt und lebensmüde zum letzten Male ihren grossen Sohn den Kaiser Otto I. (965 im August) und nahm von ihm den Abschied für das Leben, welchen ihr Biograph so rührend schildert, nachdem sie dem Kaiser Nord hausen und ihre fromme Stiftung daselbst auf das wärmste empfohlen halte. Die Empfehlung halle Erfolg: Mechlilds Enkel Otto II. wurde wiederholend (schon 962, darauf 974) dem hiesigen Nonnenstifte ein freigebiger Wohllhäter, und seiner Gemahlin der griechischen Theophanu überwiesen er und sein Vater im Keirathscontracte (972) unter andern den Königshof Nordhausen. Nach ihm erscheint Kaiser Heinrich (L der Heilige als besondrer Wohllhäter des hiesigen Stifts seiner frommen Ahnfrau und unsrer Stadt (1017). Spärlich sind leider die Nachrichten und Aufzeichnungen von dem, was Otto III., Konrad II., Heinrich III. und Heinrich IV., darauf Lothar und Konrad III. in und für Nordhausen gethan haben: viel Bedeutendes, was in unsrer königlichen Stadt und Festung und in unsrer Nähe geschehen ist, besonders manche Vorfälle in der Zeit des langen und blutigen Kampfes Heinrichs IV. mit den Sachsen und Thüringern, haben die Wogen des Zeilenstromes bedeckt: sind doch selbst die Namen nicht weniger der Burgen Heinrichs in unsrer Umgegend sammt dem Gemäuer verschwunden. Erwähnt finden wir, dass im Jahre 1075 die verbundenen Bischöfe und Fürsten unweit des königlichen Hofes Nordhausen lagerten und von hier aus mit dem Könige und den Seinen, die bei Gerstungen standen, Unterhandlungen pflogen. Von Wichtigkeit war einer der letzten Auftritte in diesem Trauerspiele, die grosse geistliche Versammlung (Synode) in unsrer Stadt unter Erzbischof Ruthard von Mainz am 29. Mai 1105, wo auch der junge König Heinrich V. öffentlich und mit weinenden Augen erklärte, dass er nicht als Empörer gegen seinen unglücklichen Vater handle, sondern dass er ihn nur in der Kirche aussöhnen wolle. Sehr einflussreich war für Nordhausen die Regierung des glänzenden Geschlechts der Hohenstaufen. Friedrich I. Barbarossa überliess (1158) dem Nonnenstifte Stadt und Burg, und sein Jugendfreund Herzog Heinrich der Löwe übte hier die Gewalt eines Schulzherrn und Obervogtes. Als die Freunde zerfallen waren und der geächtete Heinrich auch jene Gewalt verlieren sollte, überfiel und zerstörte er die dem Kaiser getreue Stadt 1181). Nordhausen wurde bald wiederhergestellt; dafür spricht der Aufenthalt des Kaisers daselbst (1188», sowie darauf der seines Sohnes Heinrichs VI. — Länger wurde ein ruhiges Heranwachsen der Stadt unterbrochen und gehemmt durch den Kampf der welfischen und hohenstaufischen Epigonen, der Könige Otto des Vierten und des edlen Philipp, wobei zunächst die Einmischung des durch den Minnegesang glänzenden Landgrafen Hermann von Thüringen wirksam war, indem derselbe bald mit hohenstaußscher, bald sogar mit wölfischer Hülfe seine Macht in unsrer Gegend auf den Trümmern der welfischen Macht aufbauen und befestigen wollte. Bald dem einen, bald dem andern der beiden Gegenkönige wandte er sich zu, je nachdem er es seinem Vorlheile gemäss fand. Für Otto griff er die ihrem Könige Philipp getreue Stadt Nordhausen an im Herbste 1198, aber erst, wie die Kronika fan Sassen erzählt, als auch Otto mit seinem königlichen Heere vor der Reichsfeste erschien, und als nach langer (sechswöchentlicher) harter Belagerung und wiederholten Stürmen bei Tag und bei Nacht endlich die Mauern von den Würfen und Stössen der feindlichen Maschinen, der Bliden und Mangen, erschüttert sanken, und die Bürger durch anhaltende Gegenwehr und langes Wachen auf das äusserste erschöpft waren, auch keine Aussicht war auf Hülfe und Entsatz, sahen die Belagerten sich genöthigt dem Könige Otto die Thore zu öffnen. Fröhlich zog dieser ein mit den Besten seines Heeres, erzwang die Huldigung und belehnte seinen Helfer den Landgrafen mit der Stadt. — Noch einmal musste Otto, nachdem das Kriegsglück sich gewendet hatte, Nordhausen durch die Waffen bezwingen; dennoch nahm die Stadt ihren König Philipp mit Freuden wieder auf. und dieser hielt hier 1207 einen feierlichen Reichstag. Erst nachdem dieser edle Hohenstaufe durch Meuchelmord (1208, 21. Juni) gefallen war, schien des Welfen Otto Macht auch hier sich zu befestigen. Zur Verstärkung derselben und zur Versöhnung mit Philipps Freunden übernahm er am 11. November 1208 auf einem Reichstage zu Frankfurt die Blutrache und verlobte sich mit des grossen Gegenkönigs nachgelassener Tochter Beatrix, die noch ein Kind war, und wol nicht ohne Absicht feierte er nach einigen Jahren zu Nordhausen, als in einer den Hohenstaufen ergebenen und werthen Stadt, die Vermählung (im August 1212). Die Hoffnung, welche er auf diese Verbindung gesetzt hatte, ging nicht in Erfüllung: die junge Königin starb nach einigen Tagen und ihre und ihres Hauses Freunde verliessen ihn wieder. Bald nach Otto’s Tod änderte der jugendliche hohenstaufische Herrscher Friedrich II. entschieden die Verfassung von Nordhausen, indem er das Nonnenstift in ein weltliches Mannsstift verwandelte, die treue Stadt aber dem Reiche unmittelbar vorbehielt (1220. 1223). Des Kaisers Sohn und Stellvertreter in Deutschland König Heinrich (VII.) weilte oft in unsern Mauern und wirkte kräftig für die neue Gestaltung des Gemeinwesens. Hier hielt er bereits im Herbste 1223, damals noch ein Knabe, unter Leitung des Erzbischofs Engelbert von Köln als Reichsverwesers und mit vielen geistlichen und weltlichen Fürsten einen Reichstag, auf welchem Wichtiges verhandelt wurde. Eifrig vertheidigle er zuletzt 1234 gegen seinen Vater die durch eine Verleihung oder Verpfandung bedrohte Reichsunmittelbarkeit der Stadt Nordhausen; im folgenden Jahre erlag er dem strengen Kaiser. Seltener erscheinen nun die deutschen Könige persönlich in Nordhausen; doch noch Adol 1295. Durch abzulösende Verpfandung verhängten mehrere, namentlich Ludwig der Baier und Karl IV., Drangsale über die Stadt. — Benachbarte Fürsten und Grafen, zumal die Anhaltiner, die Braunschweiger, mit mehr Erfolg die Landgrafen von Thüringen und Markgrafen von Meissen, die Grafen von Honstein und Schwarzburg, erstreckten, als zeitweilige Schutzherren oder mit dem Reichsschultheissen- und dem Reichsvogteiamte in Nordhausen von dem Kaiser belieben, ihre Gewalt über unsre Stadl, und die häufigen Versuche dieser Herren, solche Gewalt zu erweitern und nutzbarer, vielleicht erblich zu machen, übte die Bürger und ihren Rath Jahrhunderte hindurch in ernstem Widerstreite. Als eine hervorragende Gestalt eines solchen Fürsten erscheint Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meissen, welcher (1263) ein glänzendes und vielbesungenes Turnier hier auf dem Mägdeplatze veranstaltete, wo den Siegern silberne und goidue Blätter eines kunstreich angeferligten Baumes verliehen wurden. — Während des Interregnums halten die Bürger von Nordhausen die königliche Burg, damit dieselbe nicht eine Zwingburg für sie werde, eigenmächtig gebrochen; deshalb ächtete sie Kaiser Rudolf I., doch bald (1290) hob er diese Acht auf und begnadigte die Stadt mit vielen wichtigen Rechten und Freiheiten, so wie schon König Wilhelm (1253) ihre Privilegien bestätigt halte. Eine lange Reihe von Gnadenbriefen aller deutschen Könige und römischen Kaiser vom dreizehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert sind noch vorhanden; besonders haben Karl IV. und Karl V. deren viele erlassen. Mehr als die unmittelbare Einwirkung des Reichsoberhauptes treten vom dreizehnten Jahrhundert an die Gährungen in der Stadt selbst hervor: die Bildung und Umbildung des Gemeinwesens veranlasste schwere Kämpfe. Es waren zunächst die „Geschlechte“ — der Stadtadel, die Patricier, hier ohne Zweifel die Nachkommen derjenigen grössern freien Grundbesitzer, welche König Heinrich L in die Stadt gerufen hatte, und welche fortwährend mit den auf dem Lande zurückgebliebenen amiliengliedern, aus denen bei grösserem Grundbesitz ein bevorrechteter Landadel wurde, in Verbindung standen, die von Werlher, von Tettenborn, von Salza, von Harzungen, von Urbach, von Wechsungen, von Bila (Byla, Bielen), von Bula (Bulair, von Hagen, die Rolappe, Junge, Segcmund, Swellingrebil und viele Andre, — es waren diese „Geschlechte“, welche einen „gefreundeten Rath“ bildeten, und schon früh in drei Abtheilungen „Räthe“) getheilt, jeder Rath abwechselnd ein Jahr, unter den aus ihrer Mitte gewählten Ralhsmeistern die gewöhnlichen Stadtgeschäfte leiteten. Von diesem Stad tadel g aubten die „gemeinen Bürger“ sich zurückgesetzt und unterdrückt, und diese Meinung trieb sie bei dem Gefühle ihrer Stärke zur Gegenwehr, als auch sie unter selbstgewählten Obern enge und gegliederte Verbindungen geschlossen hatten, die Gemeinden der Stadtviertel, besonders aber die Gilden und Zünfte, die „Handwerke“. Blutig waren die Bürgerkämpfe vorzüglich dann, wenn äussere Feinde der Stadt, oder Herren, welche die Gelegenheit benutzten, sich in Nordhausen festzusetzen, mit einer der streitenden Parteien sich verbanden, oder wenn, wie im Jahre 1324 iyid in den zunächst olgenden Jahren, ein harter Streit mit der hohen (mainzischen) Geistlichkeit dazukam. Doch wir schweigen von den vielen und mannichfalligen Kämpfen und Fehden der Nordhäuser im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, worunter die Streitigkeiten mit den Landgrafen von Thüringen und den Grafen von Honstein grosse Gefahr brachten, und wozu Nordhausen häufig durch Bündnisse mit Erfurt, Mühlhausen und andern Städten, aber auch mit benachbarten Fürsten, Grafen und Herren sich stärkte: nur des Jahrhunderte hindurch auch kirchlich gefeierten Ereignisses vom 14. April 1329 gedenken wir. Als in dieser Nacht die Feinde, etwa sechzig verbannte Bürger, mit starker ülfe des Grafen von Honstein zu Sondershausen, des (Grafen von Stolberg und der Grafen von Beichlingen, ein Thor erbrochen hatten und schon in das I nnere der Stadt gedrungen waren, trieben die Mitkämpfer des tapfern Rathsmeisters, auch nachdem dieser im Kampfe gefallen war. dieselben zurück und fingen vierzehn der Verbannten, welche darauf gerädert wurden. — So wurde damals die Stadt von der darin herrschenden Partei behauptet, aber am 14. Februar 1375 erlagen die übermütigen „Geschlechte“ den erbitterten „Gemeinen“. Die Letztern versammelten sich vor dem Rathhause (am Kornmarkte) und belagerten die „gefreundeten“ Bürger in dem Hause zum Riesen (der Wohnung des von Tettenborn), nahmen dieselben gefangen und verbannten einundvierzig namentlich Bezeichnete mit Weib und Kind aus der Stadt. Von nun an wurde durch ein neues Wahlgesetz und Vertheilung der Aernter der athe geltend, ja anfangs überwiegend: wie das nicht ausbleibt, durch Einfluss der Handwerke in Nordhausen auch im Rathe das demokratische Element herrschte vor, obgleich, grösseren Besitz, durch Fähigkeit und Bildung, besonders durch Familienverbindung bald wieder eine Art plebejischer Aristokratie entstand, welche sich indessen keinesweges streng abschloss, sondern sich fortwährend, so wie auch einzelne Glieder wieder hinabsanken, durch Aufstrebende von unten ergänzte.-------Wir wenden uns nun ab von allem, was vom vierzehnten bis in das sechzehnte Jahrhundert in und für oder gegen Nordhausen geschah, obgleich noch manches Ereigniss Beachtung verdienen möchte: nur das dürfen wir nicht unerwähnt lassen, dass unsre Stadt vor vielen andern Städten Deutschlands in der Geschichte der Kirchenreformation Luthers eine ausgezeichnete Rolle spielte. Nordhäusische Stadtkinder finden wir als die frühesten, eifrigsten, und als glückliche Förderer des grossen Werkes, ja unmittelbar an Luthers Seite; so den Bürgermeisterssohn Jobst Koch, der sich Justus Jonas nannte. Bei Luthers Todten- feier 1846 konnte eine lange Reihe solcher Männer aufgeführt werden. In der Stadt selbst wirkte am nachhaltigsten, auch als Gönner der Kunst und Wissenschaft, der Syndicus. dann Bürgermeister, Michael Meienburg.[1] Zunächst durch seinen Eifer und seine Thätigkeit wurde Luthers Lehre hier so herrschend, dass die Katholiken auf das Domstift zum h. Kreuz, welches gleichsam einen Staat im Staate bildete, beschränkt wurden. Bald wurde sogar das Bürgerrecht den Katholischen versagt, so wie es auch dem Adel versagt war: Juden durften in Nordhausen seit dem sechzehnten Jahrhundert nicht wohnen[2]: Reformirte und Dissidenten, selbst Herrnhuter, wurden beschränkt, ja wol zur Auswanderung genöthigt. Nordhausen war im Jahrhundert eine lutherische Bürgerstadt. Ein sehr wichtiges Institut für unsre Stadt waren lange ausser und neben der Schutzherrschaft die oben erwähnten Aemter eines Reichsschultheissen Reichsvogts, d. h. die Aemter der Oberaufseher und Ordner des bürgerlichen und peinlichen Gerichts, womit auch die Verwaltung und Einnahme des Zolles, des Geleites und der Münze verbunden waren. Mit wechselndem Glücke war der Rath der Stadt Jahrhunderte hindurch bemüht, die grosse Bedeutung dieses kaiserlichen Instituts zu schwächen, um sein eigenes Ansehen zu erhöhen die besten Fortschritte, dass es ihm gelang, mit den Schutzherren der Stadt nach eigener Wahl und nach Bestimmung des Reichsoberhauptes zeitweilig zu wechseln, und jene beiden Aemter von den damit beliehenen Reichsstäuden für ansehnliche Darlehn wiederkäuflich und pfandweise in seinen Besitz zu bringen, darauf der Wirksamkeit des aus der Mitte seiner Bürger gewählten Schultheissen und Vogtes enge Schranken zu ziehen, und in seiner Rathsversammlung und durch seine Rathsglieder die bedeutenden Functionen selbst zu üben, welche ehedem jene Reichsbeamten geübt hatten. Nun steigerten aber im siebenzehnten Jahrhundert die damals mit jenen Aemtern beliehenen ilerzöge und Kurfürsten von Sachsen den Wiederkaufschilling mehr und mehr, bis sogar im Jahre 1697 der Kurfürst Friedrich August, um Geld zur Erwerbung und Behauptung der polnischen Königskrone zu bekommen, unter andern Rechten und Besitzungen jene Rechte in Nordhausen an den Kurfürsten von Brandenburg verkaufte. Solche Rechte in der alten Reichsstadt hatten für den letztem Regenten einen höhern Werth, da derselbe jetzt auch im Besitze der beiden, westlich das nordhäusische Stadtgebiet umschliessenden, wichtigsten Herrschaften der ausgestorbenen Grafen von Honstein (Lohra — sonst Lara — und Klettenberg, welche man nun mit dem Namen der Grafschaft Hohenstein zu bezeichnen anfing) sich befand, und besonders nachdem er 1699 die Regierung dieser durch den westphälischen Frieden als Pertinenz von Halberstadt gewonnenen Grafschaft, womit von dem grossen Kurfürsten 1650 die Grafen von Sayn-Wittgenstein belieben wordeu waren, wieder selbst übernommen hatte. Bald begannen nun die brandenburgischen Beamten ene Reichsrechte in Nord hausen kräftiger zu üben und deren frühere Bedeutung wiederherzustellen, ja am 7. Februar 1703 liess König Friedrich I. die Stadt durch den Obersten Tettau besetzen. Die preussische Besatzung blieb in Nordhausen bis in das dreizehnte Jahr (12. September 1715), wo König Friedrich Wilhelm I., bald nach seinem Regierungsantritte und im Einverständniss mit dem Kaiser, durch einen Recess (im Feldlager bei Stettin am 22, Mai und zu Wien am 20. September 1715) seinen wohl erworbenen Rechten an Nord hausen und einigen streitigen Ansprüchen an diese freie Reichsstadt gegen eine Zahlung von lün zigtausend Thalern entsagte, indem er die Stadt namentlich ganz frei gab von der Schutzherrschaft und dem Rathe daselbst das Reichsschultheissen- und Reichsvogteiamt überliess, mit welchen Aemlern und liechten darauf auch der Kaiser die Bürgermeister und den Rath förmlich belehnte. Nun hatte der Stadtralh endlich erreicht, wonach er Jahrhunderte hindurch gestrebt hatte; nun erst fühlten die Reichsbürger sich völlig frei: doch bald erkannten die Einsichtsvollem, dass die grössere Selbständigkeit, nach welcher sie gerungen und die sie endlich erlangt halten, nur ein Scheingliick gewähre. Nordhausen war so klein und so schwach, dass es nothwendig durch eine stärkere Macht gestützt und getragen werden musste, wenn es sich nicht bloss dürftig erhalten, sondern auch heben, wenn es Unbill zurückweiseu und etwas Grösseres leisten sollte. Die Verbindung mit Kaiser und Reich konnte wenig helfen, da das Reich selbst altersschwach war und von dem kaiserlichen Hofe für die minder bedeuten de, entfernte, von dem Gebiete mächtiger Reichsfürsten umschlossene, protestantische Reichsstadt wenig geschehen konnte. Das auf das äusserste beschränkte Stadtgebiet zu erweitern, war dem Rathe nur ein Mal im dreizehnten Jahrhundert und nur in dürftiger Weise gelungen. Andere Vesuchc im vierzehnten Jahrhundert und später durch Kauf und Pfandschaft Erwerbungen zu machen, schlugen fehl, während der Rath von Mühlhausen viel früher durch rasche und kluge Benutzung günstiger Orts- und Zeitverhältnisse eine grössere Selbständigkeit und auch ein nicht unansehnliches Stadtgebiet gewann. Die mühlhäusische Stadlaristokratie schaltete freier, während die Nordhäuser bedenklicher waren und zauderten, aber auch durch das Ent- gegentrelen mächtiger Nachbarn gehemmt wurden. Nordhausen stand höher und glänzte mehr in den frühem Jahrhunderten, im Abglanze des Königthums; es sajik später und verlor seinen Glanz. Zu diesem Sinken trugen grosse Unglücksfälle viel bei, im siebenzehnten Jahrhundert die schweren Drangsale des dreissigjährigen Krieges, verheerende Seuchen (die orientalische Pest 1626 und :682) und entsetzliche Feuersbrünste (1612, 1710, 1712). Solche Unglückslalle wirkten bei den geringen Mitteln der Stadt lange nach. Einige Hülfe gaben die zahlreichen, von frommen und patriotischen Bürgern und Bürgerfrauen verhähnissmässig reich ausgestatlclen Stiftungen, die grosse Spende (zur Erinnerung au den 14. April 1329), das Martini- und Georgenhospital, die Hospitäler St. Cyriaci und St. Elisabeth, das Waisenhaus und andre Anstalten, wozu wir auch die grosse oder lateinische Schule (das Gymnasium) mit Singchor und Gurrende rechnen. Ein tieferes Sinken verhütete die günstige Lage der Stadl zwischen dem Harze und der goldncn Aue und die Gewerblhätigkeit der Bürger. Die Nachbarn lieferten ihre rohen Producte. besonders viel Getreide und Holz. Seit Jahrhunderten war Nordhausen der Marktplatz für eine weitere Umgegend, welche bei der staatlichen Zerklüftung Thüringens und des Harzes verschiedenen Herrschaften angehörte. Früher hatten dieTuch- und Lederbereitung, die Kürschnerei und einige andre Gewerbe neben dem Landbau (selbst Wein- und Hopfenbau), der Viehzucht und der Bierbrauerei eine ziemliche Bliithe erreicht; seit dem siebenzehnten Jahrhundert wurden der Getreidehandel und die Verwendung des Getreides bald noch mehr als zu der Bierbrauerei zur Branntweinbrennerei und der damit verbundenen Viehmastung, die Oelschlägerei, dann auch die Wasserbrennerei (Bereitung chemischer Fabricate, besonders des Nordhäuser Vitriolöls, d. h. ranehender Schwefelsäure) die llauptgewerbe der Stadt, welche im achtzehnten Jahrhundert eine grössere Wohlhabenheit der Bürger herbei führten. Doch nur zu oft traten beschränkende Massregeln in den Nachbarländern dem nordhäusischen Gewerbfleissc auf die empfindlichste Weise hemmend entgegen. Von allen Seiten fühlte man hier sich eingeengt. Auch die Stadtverfassung hatte sich überlebt; aber eine zeitgemässe Umbildung derselben war schwierig, und sobald von einer Seite ein ernstlicher Versuch dazu gemacht wurde, bildeten sich Parteien und die heftigsten Streitigkeiten brachen aus, so namentlich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Da fiel endlich das morsche Gebäude am 2. August 1802. In Folge des Lüneviller Friedens und dem Entschädigungsplane gemäss, welcher von den paciscirenden Mächten entworfen war, und darauf auch durch den Reichsdeputationshauptschluss bestätigt wurde, liess an jenem Tage König Friedrich Wilhelm 111. von Preussen Nordhauseu durch den Generallieulenant Grafen von Wartensleben besetzen und in Besitz nehmen. Nicht unerwartet kam dieses Ereigniss: bereits am 6. Juni hatte der König zu Königsberg ein Patent vollzogen, worin den sämmtliehen Ständen und Einwohnern des Eichsfeldes und der Städte Mühlhausen und Nordhausen die bevorstehende Besitzergreifung mit huldreichen Worten verkündigt wurde: die erste Nachricht davon war am II. Juni in Nordhausen angekommen, und endlich durch ein Königliches Schreiben ( vom 27. Juli) am 29. Juli bestätigt worden. Am 30. Juli befahl der Rath den Bürgern durch eine öffentliche Bekanntmachung freundliche Aufnahme der preussischen Truppen, und eine Deputation des Rathes empfing diese am Morgen des 2. August schon an der Gränze des Stadtgebietes. Auf einmal waren nun die Bande, welche bis dahin unsern kleinen politischen Körper umstrickt und gefesselt hatten, zerschnitten. Freilich verletzte dieser Schnitt das Gefühl manches alten Reichsbürgers, der auch im engen Raume gemüthlich gesessen und die gewohnte Beschränkung wenig empfunden hatte; doch Aller Herzen tröstete und erhob der Hinblick auf den ed en König, die gefeierte Königin und das Königliche Haus der Hohenzolleru, dem sie nun angeboren sollten. Mancher dachte dabei wol au die Könige der Vorzeit, zunächst an Heinrich I. und Mathilde und an die Hohenstaufen, welche einst Nordhausens, Königes-Nordhausens Stolz waren. Berichte öffentlicher Blätter verkündigten es laut zu Nordhausens Ehre, welche Gefühle und wie dieselben sich hier aussprachen am 2. August 1802: es war zunächst das Gefühl der Wehmuth und stille Trauer, mehr und mehr gemildert durch frohe Hoffnung und ein festes Vertrauen. Hier sah man nicht, wie bei solchem Ereignisse an andern Orten sichtbar gewesen sein soll, bei Einigen Verzweiflung, bei Andern Jubel. Und als der erste Schmerz überwunden war, als durch die feierliche Huldigung zu Hildesheim am 10. Juli 1803 ein festes’ Band Nordhausen mit dem Herzen seines erhabenen Herrschers und mit einem neuen grossen Vaterlande vereinigte, als darauf am 1. Juni 1805 unsre Stadt zum ersten Male das Glück hatte, den edlen König und die huldreiche Königin zu sehen und zu beglückwünschen, da war grosse und allgemeine Freude. Man erkannte bald, wie gerecht das Vertrauen zu dem frommen Könige und Seiner väterlichen Regierung war, man erkannte es auch im Gegensätze während der sieben Jahre, als ein unglückliches Verhängniss Nordhausen wieder von Preussen getrennt und einem ausländischen Gewalthaber unterworfen hatte. Zunächst durch die Vereinigung mit Hessen, Braunschweig und Hannover zu Einem Ganzen wurde zwar die Gewerbthäligkeit unsrer Stadt merklich gefördert, und dennoch wie viel Unerfreuliches drückte uns nicht damals! Das deutsche, religiöse und sittliche Element trat ganz zurück; Franzosenthum und grosse Frivolität wurden herrschend; das Staatseigenthum, in Nordhausen auch die ansehnlichsten Besitzungen des säcularisirten Stifts zum h. Kreuz und das Vermögen der aufgehobenen Gilden und Zünfte, wurden verschleudert; altpatriotische Gesinnung und Liebe zu Preussen wurden verfolgt; Eines Gewaltigen Wille herrschte rücksichtslos, und ihm und seiner Herrschaft musste das Heiligste geopfert werden. — Das änderte sich in dem glorreichen Jahre 18 i 3. Mit unverstellter Freude empfing Nordhauseu die ersten am 12. April hieher streifenden preussischen Husaren: doch den Sommer hindurch wurde Nordhausen noch niedergehalten durch die Gewalt der Waffen und die französische Polizei, und nur wenigen Söhnen der Stadt war es vergönnt mitzukämpfen in dem preussischen Heere; aber als im Üclober der Major von Hellwig hier einzog, da brach die Begeisterung laut aus, und viele Nordhäuser rüsteten sich sogleich und zogen freiwillig zum Kampfe Gott für König und Vaterland. Nordhausen blieb nicht zurück hinter andern Städten der preussischen Monarchie, zu welcher es nun wieder gehörte; es brachte willig und freudig seine Opfer auf dem Altar des Vaterlandes: und dass mancher Nordhäuser damals tapfer gefochten, mancher auch sein Leben gelassen hat, dafür zeugen die Ehren- Zeichen, welche die Brust der Krieger schmückten und schmücken, und die Denktafeln der Gefallenen; ja wie einst vor Jahrhunderten bei einem plötzlichen Ueberfalle der Stadt die nordhäusischen Weiber von den Häusern herab die Feinde heißs begrüsslen und tapfer bekämpften, so stritt jetzt auch eine Nordhäuserin mit Ehren in den Reihen der preussischen Reiter, während ihre Schwestern daheim iür die kämpfenden, die verwundeten und kranken Verlheidiger des Vaterlandes und deren Angehörige mit Liebe und Aufopferung sorgten. Nachdem wir nun diejenigen wichtigern Ereignisse unsrer Vorzeit, deren Erinnerung an dem heutigen Tage die geeignetste schien, gleichsam aus der Höhe betrachtet haben, werfen wir zuletzt noch einen Blick auf die Gegenwart. Schauen wir um uns: sehen wir, wie seit der Rückkehr unter die Flügel des preussischen Adlers und während einer Reihe schöner Friedensjahre, welche vornehmlich der edle Kriegsheld und Friedensfürst König Friedrich Wilhelm III. uns bereitete und erhielt, Nordhausen sich gehoben hat. gehoben ungeachtet bei grösseren Anforderungen theilweise noch mehr beschränkten Besitzungen und verminderten Einkünften der Stadt. Die Zahl der Einwohner hat um Tausende, um mehr als den drillen Theil zugenommen, besonders durch die Vielen, welche theils als Beamte, theils als Leute des Gewerbes (so besonders die Mitglieder der schnell heranwachsenden wohl- habenden israelitischen Gemeinde), theils um hier in Ruhe zu leben, in den letzten Jahrzehnten von andern Orten hieher gekommen sind, und welche freilich auch aul eine Umwandlung im Charakter der Stadl einen unverkennbaren Einfluss üben. — Die Stadt gewinnt an Umfang: viele neue Häuser sind erbaut, andre sind erweitert und besser eingerichtet worden. Jährlich entstehen neue Anlagen der Gewerbthätigkeil, indem diese nach andern Seiten hin einen Aufschwung nimmt. Das ist zunächst die Wirkung der Fürsorge einer erleuchteten Regierung, welche nicht nur gute Landstrassen beschafft hat, wo deren keine waren, sondern auch durch eine gute Gesetzgebung und weise Anordnungen die fruchtbare Thätigkeit der Bürger unterstützt, befördert und gesichert hat, vor allen durch das einflussreiche und wohlthätige Institut des Zollvereins. — Doch nicht bloss für das materielle Wohl Seiner Unterlhanen, für Ackerbau, Handel und Gewerbe und für Sicherheit des Eigenthums hat der verewigte König Friedrich Wilhelm 1I L gesorgt und sorgt unser theure König Friedrich Wilhelm IV., auch auf das höhere geistige Leben, auf Kirche und Schule, auf Wissenschaft und Kunst erstreckt sich in der ausgezeichnetsten Weise diese Königliche Fürsorge. Unser fromme König, der mächtigste evangelische Herrscher in Deutschland, ist ein Hort der Kirche in schwerer Zeit, und hält, wie einst Sein glorreicher Vater, Sein Auge auf Golt gerichtet. Was durch diese Könige und Ihre würdigen Räthe und Diener in Preussen für den Unterricht, für Wissenschaft und Kunst geschehen ist, ist weltbekannt. — So freuen wir uns und danken Gott, dass wir Preussen sind, und wenden fort und fort dem Könige und Seine Hause unsre dankerfüllten Herzen in Liehe und Ehrfurcht zu, und so begehen wir festlich den Tag. an welchem vor einem halben Jahrhundert wir Preussen geworden sind. Gott schenke und erhalte uns des Königs Gnade. Lang lebe Friedrich Wilhelm der Vierte!
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