Chronik der Stadt Ellrich
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Chronik
der
Stadt Ellrich
von
K. Heine
Rektor in Ellrich.
Mit 5 Illustrationen.
Ellrich.
Verlag der G. Krause'schen Buchhandlung. 1899.
VorredeDie vorliegende Chronik macht keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung, trotzdem sie, soweit es möglich war, auf Quellenforschung beruht, und etwas Vollkommenes zu leisten, lag mir, dem Nichthistoriker, fern. Mir kam es nur darauf an, der Stadt Ellrich ein Zeichen meiner Anhänglichkeit zu geben, den jetzigen Bewohnern die bedeutende Vergangenheit unserer Stadt vor die Augen zu rücken, die Liebe zur Heimat in den Herzen der Bürgerschaft zu mehren und den Blick der Jugend für die heimatlichen Verhältnisse zu schärfen. Die Geschichte der Stadt Ellrich ist so interessant und wechselvoll, daß sie schon mehrfach dazu angereizt hat, sie im Zusammenhänge zu bearbeiten. Ich erwähne nur als die bedeutendsten solcher Schriften „Die Sammlung vermischter Nachrichten zur Hohensteinschen Geschichte von G. Ehr. Schmaling, 1791“ und aus neuerer Zeit die „Beiträge zur Geschichte der Stadt Ellrich“ von Amtsrichter Krieg, zwei Werke, die mir wertvolles Material geliefert haben. Indem ich bemerke, daß ich durch eine möglichst genaue Quellenangabe Gelegenheit zu etwaigen genaueren Studien gegeben habe, danke ich zugleich allen denen, die mir mit Rat und That geholfen haben; besonderer Dank aber gebührt Herrn Amtsrichter Krieg in Schlieben für seine liebenswürdige, schätzenswerte Mithülfe. Es wird in dem Buche noch manches fehlen, manche Mängel mögen noch der Chronik anhaften, darum bitte ich die Leser freundlichst, des Wortes zu gedenken: 17t äesint vires, tamsn est iLuckanäa voluntas! Ellrich, im Oktober 1899. Der Verfasser. Inhaltsverzeichnis Erster AbschnittUrgeschichteIn den ältesten Zeiten war die Gegend, in welcher Ellrich liegt, MM ganz mit Waldungen überzogen, die mit Wasser und Sümpfen durchsetzt waren und Kälte und Feuchtigkeit ausströmten. Die Bewohner des Landes lebten einzeln zerstreut, wenngleich sie sich für gewisse Anlässe zu Stämmen und Gemeinschaften zusammmen hielten. Ein Jeder baute sich sein eigen Haus oder seine Hütte; die Früchte wurden während des Winters in Höhlen vergraben. Um ihre Hütten rodeten sie den Wald höchstens so weit aus als nötig war, um etwas Gerste oder Hafer zu bauen. Aus der elfteren Frucht kochten sie sich ein dein Bier ähnliches Getränk; den Hafer aßen sie zerstampft als Brei. Ihre Wohnsitze wechselten sie nach Gelegenheit und Gefallen, oder wie die Großen es ihnen aufgaben. Ihre Kleidung bestand aus einer Tierhaut, meistens einer Bärenhaut, die mit einem Dorn auf der Brust zugesteckt wurde. Das Fleisch der erlegten Tiere wie auch das der Pferde wurde meistens roh gegessen. Die Frauen, die alten Männer und die schwächlichen Personen besorgten allein das Haus und das Vieh; letzteres wurde wegen der Milch und des Fleisches in verhältnismäßig gutem Zustande gehalten, obgleich es gegen das jetzige als mager und klein anzusehen ist; ihren Reichtum schätzten sie nach der Größe der Herden ab. Ihre Knaben leiteten sie zur Jagd und zu kriegerischer Thätigkeit an, die Töchter wurden zu häuslichen Geschäften erzogen. Gegen Kälte und Hunger waren die Bewohner abgehärtet, nicht so sehr gegen Durst und Hitze. Grobe Ausschreitungen wurden von ihnen nicht begangen, obgleich sie den Straßenraub für eine erlaubte Übung hielten; andererseits wurde aber auch an den Bewohnern unserer Gegend wie an allen Germanen die Redlichkeit, eheliche Treue, Gastfreundschaft und der Gehorsam gegen die Oberen gerühmt. Neben der Jagd war der Krieg ihre Lieblingsbeschäftigung; um Beute zu machen oder ihre Freiheit zu behaupten, gingen sie mutig in den Kampf, oft zogen selbst ihre Frauen und Kinder mit. Ihre Stärke bestand größtenteils in Fußvolk, und Tacitus rühmt in seinem Werke: „Germania“ von den Chatten, die unsere Gegend bewohnten, daß sie den Feind nicht wild angefallen hätten, wie die übrigen germanischen Stämme, sondern entschlossen, bedachtsam angerückt seien und auf Kommando gehört hätten. Ehe sie sich in ein Treffen einließen, fragten sie ihre weisen Frauen, die Alraunen, die weißgekleidet und barfuß gingen und aus dem Wirbeln des Wassers oder aus dem Blute eines Gefangenen weissagten, um Rat. Nur nach und nach änderten sich die rohen Sitten der Bewohner unserer Gegend. Man fing an, die Wälder zu lichten; Renntiere, Elentiere und Bären zogen sich in die tiefen Waldungen zurück oder verschwanden aus dem Lande, als ganze Wälderstrecken zu Ackerland umgearbeitet wurden; man öffnete den Sümpfen Abflüsse; man baute mehr Feldfrüchte und auch Obst an; die Wohnungen wurden menschlicher; die Rechte des Einzelnen wurden genauer bestimmt, und bürgerliche Ordnung und Milde der Sitten wurden bemerklich. Die politische GeschichteDie ChattenWer waren die ältesten Bewohner unserer Gegend zu der Zeit, als die geschichtlichen Berichte beginnen? Darüber giebt uns der römische Geschichtsschreiber Plinius in seinem Werke: Naturgeschichte, Buch 4, Kap. 14 Aufschluß. Er teilt die alten Germanen in 5 Gruppen ein, von denen eine, die Herminonen, wieder viele Stämme unter sich begriff. Um den Harz wohnten von diesen Stämmen im Norden die Cherusker und im Süden die Chatten, ein kriegerisches Volk, das Tacitus wegen der Vortrefflichkeit seines Fußvolks als auch wegen der Kriegstüchtigkeit überhaupt rühmte. Von ihnen berichtet derselbe Geschichtsschreiber in seinen Annalen, Buch 13, daß sie im Jahre 58 u. 59 nach Ehr. Geb. mit einem großen Heere auszogen, um den Hermunduren, die von ihnen nach Osten zu Wohnsitze hatten, die Salzquellen zu entreißen, die man bei Salzungen an der Werra suchen zu müssen glaubt. Beide Stämme machten vor der Schlacht den Vertrag, daß die überwundene Partei dem Schlachtengott mit Mann und Maus geopfert werden solle. Das Kriegsglück entschied gegen die Chatten. Trotzdem so ihr großes Heer aufgerieben wurde, war doch immer noch ein großes Volk im Lande übrig geblieben. Als die Römer, um die unbezwinglichen Deutschen niederwerfen zu können, sie in bürgerliche Kriege mit einander verwickelten, und dadurch auch die Chatten sich unter einander aufrieben, nahm Kaiser Antonin um das Jahr 163 nach Chr. Geb. die Gelegenheit wahr, überfiel sie und vertrieb sie aus ihrem Lande. Zu den wenigen Zurückgebliebenen schlugen sich Sachsen, und von der Zeit an verschwindet der Name der Chatten immermehr, indem er in dem umfassenden Namen der Hessen aufging. Etwa ein Jahrhundert später, um das Jahr 266 zogen Chatten oder Hessen mit anderen deutschen Stämmen nach Italien; in das leer gewordene Land rückten die Hermunduren von Osten ein und vermischten sich mit den zurückgebliebenen Einwohnern. Da die Hermunduren viel mit den Römern in Berührung gekommen waren und mancherlei von ihnen gelernt hatten, brachten sie die ersten Kulturanfänge in das Land. Die ThüringerBald darauf entstand in unserer Gegend ein neues, mächtiges Königreich. Die Thüringer, ein westgothisches Volk, hatten sich in der Mark Brandenburg um die Havel festgesetzt, und von dort aus bemächtigten sie sich allmählich des Landes der Hermunduren und errichteten das Reich Thüringen, dessen Könige Wartburgen und Grenzschlösser gegen die Feinde erbauten. Das von ihnen damals bewohnte Land erstreckte sich nach Osten zu bis an die Saale, »ach Süden fast bis zur Donau, nach Westen bis in das heutige Hessen und im Norden begriff es die Gegend bis Halberstadt, Magdeburg und einen Teil von Braunschweig. Das ganze Land wurde eingeteilt in Ost-, Süd-, West- und Nordthüringcn; der Harz wurde zu Nordthüringen gerechnet; die jetzige Grafschaft Hohenstein gehörte aber schon Südthüringen an. Die Könige von Thüringen regierten ihr Land durch Landvögte, und den Gauen setzten sie Gaugrafen vor, deren Würde aber noch nicht erblich war. Im Laufe der späten Jahrhunderte drängten die Sachsen die Thüringer immer mehr aus unserer Gegend fort; den Hauptschlag aber gegen die Thüringer zu führen, dazu bot ihnen folgender Anlaß willkommene Gelegenheit. Der Thüringerkönig Hermannfried hatte zu Mitregenten 2 Brüder, Berthar und Baderich, deren er sich entledigen wollte. Den elfteren ließ er auf Anstiften seiner Gemahlin Amalaberga, einer Nichte des Ostgothenkönigs Theodorich, ermorden; gegen seinen zweiten Bruder zog er zu Felde. Um ihn zwingen zu können, schloß er mit dem fränkischen König Theodorich von Australien (?) ein Bündnis und versprach ihm für seine Hilfe die Hälfte von Thüringen. Nachdem er mit Hilfe der Franken seinen Bruder besiegt hatte, hielt er sein Versprechen nicht, sondern fiel vielmehr in Franken ein, das Land bis zum Rhein verwüstend. In seiner Not verband sich der Sohn des inzwischen verstorbenen Frankenkönigs, Chlodwig, mit den damaligen 12 Regenten des sächsischen Königreichs, die ihm 9000 Mann zur Hülfe schickten unter dem Befehl von 9 sächsischen Edlen, die wiederum dem Hadugast, einem Edlen von Ballenstädt und Aschersleben, unterstellt waren. Nachdem der Thüringerkönig Hermannfried im Jahre 531 die Schlacht bei Scheidungen an der Unstrut verloren hatte, ward er in seiner Residenz Burgscheidungen eingeschlossen. Nach längerer Belagerung wurde die Feste bei Nacht erstürmt, und Hermannfried geriet in Gefangenschaft. Zur Strafe für seinen Treubruch wurde er in Zülpich von einer hohen Mauer herabgestürzt. Die Thüringer hatten ihr Land gut verwaltet; sie kannten den Acker- und Obstbau, hatten auf ihren Kriegszügen in die römischen Gebiete manches gesehen und gelernt und führten alle diese Neuerungen in ihrem Lande ein. Sie hatten bereits eine Schrift, und zu ihrer Zeit fing das Christentum an hier und da Fuß zu fassen. Die SachsenIn sein Land — es war ums Jahr 524 — teilten sich die Franken und Sachsen, und zwar wurde den 9 sächsischen Edeln zum Entgelt für ihre Unterstützung ein Strich am Südharz, 4 Meilen breit und 14 Meilen lang, die Gegend zwischen der Bode und der Unstrut, in welcher jetzt Querfurt, Sangerhausen, die goldene Aue und die Grafschaften Stolberg und Hohenstein sowie Schwarzburg liegen, angewiesen. Hier bauten sie sich Schlösser und wurden Stammväter manches edlen Geschlechts unserer Gegend. Von dieser Zeit an bekam auch die Gegend den Namen Sachsen, und unser Strich speciell wurde das Angrische Sachsen genannt. In zwei Gaue zerlegte man die hiesige Gegend: in den Zurregau, der, vom Zorgefluß benannt, die Gegend begriff, in der jetzt Nordhausen und Ellrich liegen, und in den Helmegau, der von der Helme durchströmt, das Gebiet in sich faßte, das hernach die Herrschaft Lohra, die goldene Aue und einen Teil des Mansfeldischen bildete. Doch ungestört konnten sich die Sachsen ihres Gebiets nicht erfreuen; sie mußten sich teils der Sorben erwehren, die oft von Osten tief in ihr Land einfielen; teils hatten sie es mit den Franken zu thun, deren Joch sie aber nach längeren Kämpfen um das Jahr 556 abwarfen. Nach einer Reihe von Jahren wurden sie indeß wieder von den Franken in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht; bei diesen Kämpfen wurde ganz Sachsen verheert und geplündert. Endlich gelang es dem Frankenkönig Karl dem Großen, am Ausgange des 8. Jahrhunderts, die Sachsen unter ihrem Anführer Wittekind endgültig zu überwinden. Das Land wurde in eine fränkische Provinz verwandelt und durch 12 Landvögte und Grafen verwaltet. Gewaltige Veränderungen traten nun im Leben der Bewohner unserer Gegend ein. Das Christentum wurde überall eingeführt, römischer Geist und römische Wissenschaft wurden gepflegt, und Ordnung und Handel machten sich geltend. Die Dynastie ClettenbergWie vorhin bereits gesagt, entstanden schon im 6. Jahrhundert durch sächsische Edle in unserer Gegend erbliche Dynastien und Herrschaften. Eine derselben wird im Jahre 664 als die eines Werner erwähnt, der zu Lauterberg residiert haben soll; seine Nachkommen vergrößerten den Besitz immermehr, und im 10. Jahrhundert gehörten zu der Herrschaft dieser Familie die Grafschaften Clettenberg, Lauterberg und Scharzfeld. Die Dynastie Clettenberg war schon vom Jahre 814 an ein Lehen des Hochstiftes Halberstadt, das von Karl dem Großen begründet war. Im Jahre 933 fing ein Nachkomme des Werner, Graf Balduin, eine eigene Linie der Grafen von Clettenberg an. Ein Abkomme von ihm, Graf Volkmar von Clettenberg, heiratete eine Adelheid von Lohra, die im Jahre 1127 das Cisterzicnserkloster Walkenried gründete. Bei ihrer Heirat brachte sie als Brautschatz unter anderm auch die Stadt Ellrich ihrem Manne mit. Mit Rücksicht hierauf ist es erklärlich, daß die Stadt Ellrich, obwohl sie weit von Lohra ablag, doch lange Zeit mit zur Herrschaft Lohra gerechnet wurde; daß ferner das Wappen der Stadt Ellrich zugleich das der gräflich Lohra'schen Linie war, und daß das Königliche Domänenamt zu Lohra lange Zeit die Zollgerechtigkeit über die Stadtschäferei in Ellrich ausübte. Der Sohn Volkmars, Ludwig, (nach v. Rohrs Denkwürdigkeiten war es der Bruder desselben) residierte mit seiner Gemahlin Kunigunde von Baldenrode in Ellrich und schenkte der Ellricher Kirche, die er reparieren und erweitern ließ, einen vergoldeten Kelch mit einer die Schenkung bekundenden Inschrift. Zur Zeit Eckstorms, des „Chronisten Ellrichs“, war er noch vorhanden. Der Sohn Ludwigs, Albert I., residierte gleichfalls in Ellrich. Dessen Nachkomme, Albert II. oder der Mittlere, war vermählt mit Adelheid, einer Tochter Friedrichs III., Grafen von Beichlingen und Lohra; er hatte 4 Söhne und 2 Töchter. Unter ihm wurde in Ellrich im Jahre 1230 ein zwischen Herewich, dem Probst des Klosters Pöhlde, und Hugo von Dörnfeld, Kastellan zu Herzberg, entstandener Streit in Ellrich (in der darauf bezüglichen Urkunde Elrecke genannt) gütlich beigelegt. Nach dem Tode seiner Gemahlin, die im Jahre 1230 zu Ellrich starb und in Walkenried begraben wurde, zog er von Ellrich, wo er Hof gehalten hatte, fort und ging in das Kloster Huisburg. - Ihm folgte sein Sohn Albert III. Dieser übergab seinem Sohne Konrad und dem Grafen Dietrich II. von Hohenstein den Besitz der Grafschaft Clettenberg zur gesamten Hand, und bei dieser Gelegenheit fiel Ellrich und das benachbarte Schloß Staufenburg im Jahre 1254 in den Besitz Dietrichs. Ellrich unter der Dynastie der HohensteinerMehr als 400 Jahre gehörte Ellrich den Grafen von Hohenstein an, die segensreich das Land regierten, und denen Ellrich viel verdankt. Eine Reihe von Urkunden sind noch vorhanden, in denen uns aus dieser Zeit Vorgänge, die mit der Stadt Ellrich verknüpft sind, berichtet werden. So wird im Jahre 1371 der Stadt Ellrich in einer Urkunde Herzog Otto's zll (?) Braunschweig und Lüneburg Erwähnung gethan. Dieser Herr verglich sich laut derselben mit den Nordhäusern, mit denen er im Kampf gelegen hatte, in der Weise, daß sie ihm zur Einlösung ihrer Gefangenen 800 Mark Loths Silber Nordhäuser Gewichts geben sollten. Es wurde festgesetzt, daß die Zahlung zu Ellrich oder Clettenberg und im Falle, daß des Herzogs Schwager, Graf Heinrich von Hohenstein, innerhalb der festgesetzten Zahlungsfrist stürbe oder außerhalb des Landes reise, zu Nordhausen geschehen solle. — Laut einer anderen Urkunde wurden im Jahre 1470 der Rat zu Ellrich nebst dem zu Bleicherode sowie viele benachbarte Adeligen Bürge, als Graf Ernst von Hohenstein dem Kloster Walkenried einige Teiche wiederkäuflich überließ. — Im Jahre 1505 verkaufte der Ellricher Bürger Jakob Ostermann mit Einwilligung des Stadtrates 10 Goldgulden Zinsen, die auf seinen bei der Stadt gelegenen Äckern und Wiesen hafteten, wiederkäuflich an den Prior des Klosters Walkenried, Georg Plessen. Zwei Jahre später verkaufte der Rat zu Ellrich 5 Goldgulden jährliche Zinsen für 100 Goldgulden an den Abt Eberhard zu Walkenried. Der Abt gab sie als Stipendium an Georg Wagner, der damals in Wittenberg studierte. Dieser behielt sie zeitlebens, und nach seinem Tode bekam sie der damalige Diakonus Heinrich Eckstorm; von dieser Zeit an sollen die 5 Goldgulden als ein Teil der jährlichen Einkünfte beim Ellricher Diakonat verblieben sein. Im Jahre 1547 kam Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig nach Ellrich, wo er im Namen des Walkenrieder Abtes Johann Holtegel von einem Ellricher Mönche bewillkommnet wurde, und ihm der Ehrenhafer, eine Wanne voll Fische und anstatt des Weines ein Faß Einbecker Bier überreicht wurde; wie es in der Chronik heißt, „nahm der Herzog es sehr gnädig auf“. Im Jahre 1549 verkaufte Berthold von Winzingerode mit Genehmigung des Grafen Ernst von Hohenstein seine in Ellrich gelegenen Güter an den Abt Johann von Walkenried. Zwei Jahre später verpachtete das Kloster Walkenried das Holz, der Weingarten genannt, an den Rat zu Ellrich für 1 Gulden jährlichen Zins. Dabei mußte sich aber der Rat zu Ellrich verpflichten, beim jedesmaligen Absterben eines Abtes 2 Gulden an das Kloster zu entrichten. — Als im Jahre 1553 Kurfürst Moritz von Sachsen nebst Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig gegen den Markgrafen Albrecht den Jüngeren von Brandenburg zu Felde zog, und der Marsch seiner Truppen durch das Hohenstein'sche ging, ward ein Teil der Soldaten in Ellrich eingelegt;ebenso nahm Herzog Heinrich selbst mit dem Prinzen Philipp Magnus sein Hauptquartier dort ein. — Im Jahre 1564 verkaufte der Abt Jacob zu Walkenried mit Genehmigung der Hohenstein'schen Grafen die im Jahre 1549 von Berthold von Winzingerode gekauften Güter an den Ellricher Rat. — 1611 borgte der Rat zu Ellrich 1000 Thaler vom Kloster Walkenried gegen 5½ Zinsen und verpfändete dafür die in der Stadt gelegene Johannismühle. — Auf die Teilnahme und Bedeutung der Hohenstein'schen Grafen bei der Einführung der Reformation werde ich noch später zurückkommen. Der letzte männliche Sproß dieses Grafengeschlechts war Ernst VII., der am 8. Juli 1593 zu Walkenried begraben wurde; mit ihm sein Wappen, Zügel und Degen. Die Leichenwache wurde durch den Bürgermeister von Ellrich und einige Ellricher Bürger versehen; die Leichenpredigt hielt der Oberprediger Eckstorm aus Ellrich. Als das gräflich Hohenstein'sche Haus mit Ernst VII. erloschen war, wurden die Länder desselben geteilt. Das Amt und Schloß Hohenstein, sowie die halben Ämter Heringen und Kelbra waren schon früher im Jahre 1417 von dem Hohenstein'schen Grafen Dietrich IV. an den Grafen Bodo von Stolberg, die andere Hälfte von Heringen und Kelbra dem Grafen Heinrich zu Schwarzburg für 20 000 rheinische Gulden verkauft und erblich abgegeben. Im Jahre 1551 erhielten die Häuser von Stolberg und Schwarzburg auch die Mitbelehnschaft über Clettenberg, und als nun Ernst VII. starb, nahmen beide Häuser dessen Länder in Besitz und ließen sich den 8. Juli 1593 zu Ellrich huldigen. Kämpfe um den Besitz der Grafschaft HohensteinObgleich solches geschehen und obgleich das Haus Schwarzburg auch vom Kaiser Rudolf das Privilegium erhielt, sich Grafen von Hohenstein, Herren zu Lohra und Clettenberg zu nennen, so machte auch Herzog von Braunschweig, Heinrich Julius, auf den Besitz der Grafschaft Hohenstein seine Ansprüche geltend, da ihm im Jahre 1583 vom Domkapitel zu Halberstadt die Anwartschaft darauf verliehen war. Von diesem Rechte Gebrauch machend, fiel sein Sohn im Jahre 1593 nach dem Tode des letzten Hohenstein'schen Grafen in das ihm zugesprochene Gebiet ein und nahm es in Besitz. Infolgedessen wurden die Grafen von Schwarzburg beim Kaiserlichen Kammergericht klagbar und erhielten auch in verschiedenen Jahren günstige Bescheide für sich, trotzdem aber behauptete der Herzog von Braunschweig sich bis zu seinem Tode in dem Lande. Am 25. Okt. 1613 nahm sein Sohn, Herzog Friedrich Ulrich von Braunschweig und Lüneburg, zu Ellrich die Huldigung der Unterthanen der Herrschaft Clettenberg in Person entgegen; er verglich sich aber im Jahre 1632 mit den Schwarzburgern und behielt nur Clettenberg für sich auf Lebenszeit, während er den Schwarzburgern die Herrschaft Lohra mit allem Zubehör, doch ohne Ellrich, übergab. Mit dem im Jahre 1634 erfolgten Tode Herzog Friedrichs erlosch die Braunschweig - Wolfenbütteler Linie; an Stelle des abgetretenen Kämpfers um die Grafschaft entstand aber sofort wieder ein neuer: der Herzog Georg von Lüneburg. Er nahm die Grafschaft Hohenstein in Besitz und ließ sich am 15. August 1634 in Ellrich huldigen, stellte aber bereits im folgenden Jahre die Grafschaft den Schwarzburgern wieder zu, die nun ihre Kanzlei über die ganze Grafschaft nach Bleicherode legten. Aber lange konnten sie sich des Glückes, endlich unangefochten den Besitz des Landes zu genießen, nicht erfreuen, denn bereits im folgenden Jahre wurden sie wieder vertrieben, da sich das Hochstift zu Halberstadt durch den schwedischen Statthalter, Fürst Ludwig von Anhalt und dessen Obersten Christoph von Kratsch, der Grafschaft Hohenstein bemächtigte. Letzterer schlug sein Standquartier in Ellrich auf und errichtete hier einen Werbeplatz, was der Stadt über 6000 Thaler kostete. Die Armut der Bürger — man bedenke, daß zu dieser Zeit der 30-jährige Krieg wütete, — hatte einen solchen Umfang angenommen, daß viele ihre Häuser verließen und sich anderswo ansiedelten. Während man sich so um den Besitz der Grafschaft herumstritt, war sie auch noch von ganz anderer Seite als ein wohl mitzunehmender Bissen ausersehen. Kaiserliche Truppen rückten im Jahre 1625 in die Grafschaft und spielten sich als die Herren des Landes auf. Kaiser Ferdinand verkaufte durch ein Patent vom 24. Febr. 1628 die Grafschaft als ein konsisciertes Land an seinen Rat und Kammerherrn, den Grafen Christoph Simon von Thun, für 60 000 Gulden wiederkäuflich. Dieser nahm, unterstützt vom kaiserlichen General Wallenstein, im Jahre 1629 sein Land in Besitz und ließ es durch einen Oberhauptmann regieren, der aber wiederum seinerseits im Jahre 1631 den Schweden weichen mußte. Am l6. Februar 1636 plünderten schwedische Reiter Ellrich. Selbst die St. Johanniskirche, wohin die Bürgerschaft fast ihren ganzen Hausrat geflüchtet hatte, blieb nicht verschont. Trotzdem wurde in demselben Jahre die Regierung über die ganze Grafschaft nach Ellrich verlegt, wo sie bis zum Jahre 1714 blieb. Im folgenden Jahre, 1637, als die Kaiserlichen die Obermacht hatten, plünderten am 22. Februar kaiserliche Truppen die Stadt, die Kirche und das Hospital. Am 14. Dezember 1647 verweilte der schwedische Oberst Präsentzkp (?) mit 12 Compagnien Fußvolk und einer Schwadron Reiter eine Nacht in Ellrich; 10 Tage später kam ein Oberst vom Englischen Regiment mit 4 Schwadronen Reiter an, um einen Tag da zu bleiben. 1648 mußte den Douglasischen Truppen, die in Benneckenstein lagen, 100 Thaler aus Ellrich gezahlt werden. Aus diesen kurzen Angaben geht schon hervor, wie sehr die Grafschaft Hohenstein und speciell Ellrich im 30-jährigen Kriege gelitten hat. Als Zankapfel der Grafen von Schwarzburg, der Herzöge von Braunschweig und der von Lüneburg, des Hochstifts von Halberstadt, der Kaiserlichen, des Grafen von Thun und der Schweden, fast alle Jahre seinen Herren wechselnd, war das blühende Land zu einer Einöde geworden. Und welches war der Erfolg für irgend eine Partei nach so vielen Kämpfen? Keiner von ihnen fiel die Grafschaft zu. Im Westfälischen Frieden 1648 wurde die Herrschaft Lohra und Clettenberg dem Kurhaus Brandenburg als Ersatz für die vorpommerschen Länder, die an Schweden fielen, zum ewigen Besitz zugesprochen; dem Hause Schwarzburg wurde wegen seiner berechtigten Ansprüche für die verloren gegangene Grafschaft das nächste zur Erledigung kommende Reichslehen zugesprochen; — es hat aber bis jetzt ein solches nicht erhalten. Die Grafschaft Hohenstein unter den WittgensteinDa der Kurfürst von Brandenburg, Friedrich Wilhelm der Große, seinem Geheimrat, dem Grafen Johann von Sayn-Wittgenstein, der sein Abgesandter auf dem Friedenskongreß in Osnabrück gewesen war, eine Gnade erweisen wollte und er den Wert der Grafschaft Hohenstein noch nicht erkannt hatte, so ließ er sich herbei, ihm im Jahre 1651 den wirklichen Besitz dieses Landes mit Vorbehalt der Landeshoheit als Manneslehen zu übergeben. Der Graf von Sayn ließ sich am 24. Okt. 1648 von der Ritterschaft, den Ständen und der Geistlichkeit zu Ellrich huldigen. Von dieser Zeit an wurden brandenburgische Truppen, und zwar eine Compagnie Fußvolk, als Garnison nach Ellrich verlegt. Zeugnis davon gaben die vielen alten Fahnen, die zum Gedächtnis gestorbener Offiziere in der Ellricher Hauptkirche aufgehangen, im Jahre 1755 bei der Reparatur der Kirche aber wieder herausgenommen und beigelegt wurden. Ebenso findet man im Ellricher Kirchenbuche vom Jahre 1658 an manche Namen von Kapitänleutnants und Leutnants, so z. B. 1678 den des Oberstleutnants v. Hund, die sämtlich in Ellrich in Garnison gelegen haben. 1681 marschierte die Ellricher Compagnie, die damals der Hauptmann Meuschen kommandierte, nach Halberstadt ab. Unter dem Grafen von Sayn-Wittgenstein wurden die Bürger aus Ellrich und Sachsa nach Clettcnberg, die aus Bleicherode nach Lohra in den Herrendienst gefordert. Die Bürger aus Sachsa und Bleicherode ließen sich diese Zumutung gefallen und zahlten daher das Sichelgeld, die Ellricher aber erschienen, von ihrem Vierermann Mehler angeführt, mit Flinten, Degen und Trommeln und sagten, daß sie zwar kriegen, aber keine Feldarbeit verrichten könnten, worauf sie der Graf entließ. Nach dem Tode des Grafen von Sayn erhielten seine drei Söhne die Neubelehnung, doch traten zwei von ihnen bald die Regierung an den dritten, Gustav, ab, der sich zu Ellrich am 15. November 1671 huldigen ließ; seine Hofhaltung verlegte er nach Clettcnberg. Eine Erinnerung an dieses Regentenhaus sind die Familiengemälde, die sich zuerst in Clettenberg befanden, im Jahre 1771 aber in die Königliche Kammer nach Ellrich gebracht und 16 Jahre später dem Ellricher Magistrat überlassen wurden, der sie eine ganze Reihe von Jahren besaß. Das erste dieser Bilder, ein Stück von 14 Fuß Länge und 10 Fuß Höhe, stellte den Grafen v. Sayn-Wittgenstein dar, umgeben von seiner Gemahlin Amalie Charlotte, 5 Töchtern und drei anderen Grafen von Wittgenstein. Außer diesem Gemälde waren noch 8 andere Portraits, 8 Fuß hoch und 4 Fuß breit, vorhanden, die andere Familienangehörige der Linie Wittgenstein darstellten. Die Grafschaft Hohenstein unter BrandenburgDie Wichtigkeit des Besitzes der Grafschaft Hohenstein wurde während der Negierung der Wittgensteiner immermehr eingesehen. Schon im Jahre 1650 bemühten sich die Halberstädter Landstände bei dem Kurfürsten, er möge die Grafschaft wieder an sich nehmen. Da dieser aber sein dem Wittgenstein gegebenes Wort nicht zurücknehmen wollte, konnten die Landstände nichts anderes erreichen, als daß die Steuer aus der Grafschaft von nun an in die Kasse zu Halberstadt abgeliefert wurde. Im Jahre 1665 erbot sich die Gemahlin des Kurfürsten von Brandenburg, Hohenstein dem Grafen von Wittgenstein wieder abzukaufen; da dieser aber, auf das ihm gegebene Wort sich stützend, nicht einwilligte, hielt der Kurfürst abermals sein Versprechen. Als er aber Kunde erhielt von dem trefflichen Zustande der Grafschaft, ermahnte er seine Söhne im Testament, das Land wieder einzuziehen. Sein Sohn Friedrich I. folgte diesem Rate umsomehr als die Grafschaft unter der Wittgensteiner Regierung in tiefe Schulden geraten war. Am 12. Dezember 1699 zog er vom Grafen August von Wittgenstein die Herrschaften Lohra und Clettcnberg wieder ein, wogegen er sämtliche auf der Grafschaft lastenden Schulden beglich und außerdem noch 100000 Thaler bar bezahlte. Von diesem Zeitpunkte an ist die Grafschaft Hohenstein sowie die Stadt Ellrich, abgesehen von der westfälischen Zwischenherrschaft von 1807—1813, stets unter preußischer Herrschaft geblieben. Im Jahre 1691 wurde die Regierung der Grafschaft Hohenstein von Bleicherode nach Ellrich verlegt und führte von 1699—1714 die Bezeichnung „Preußische Landesregierung für die Grafschaft Hohenstein.“ Im Jahre 1714 wurde Halberstadt als Regierungssitz ausersehen. Nach Aufhebung der Wittgenstein'schen Regierung ward die Grafschaft von der Garnison befreit, nach Einführung der Accise wurde sie aber im Jahre 1719 von neuem damit belegt. Zuerst kam nur eine Kompagnie Infanterie vom Dönhoff'schen Regiment in Halberstadt in die Grafschaft und ward auf die Städte Ellrich, Bleicherode und Sachsa verteilt; der Stab lag in Ellrich. Der erste Kommandant war Kapitän Samland, aus Bleicherode gebürtig; seine Nachfolger waren Schlichtung und Mondarges. Letzterer war ein reicher Holländer, der ein sehr großes Leben führte, die Musik liebte und unter den Soldaten gute Manneszucht hielt; der letzte Kommandeur war Mondieu, ein Franzose. Die Bürger mußten anfangs die Soldaten täglich beköstigen; als die Beschwerden der Stadt aber andauerten, erhielten die Soldaten Löhnung, und es ward ihnen nur Sonntags eine Mahlzeit gegeben. Später rückte Kavallerie als Garnison in die Grafschaft ein und zwar erst 2 Schwadronen Dragoner, wovon die eine nach Bleicherode, die andere mit dem Stabe nach Ellrich kam. Sie wurde von Major Blankenburg und nach diesem von Litwitz, einem humanen Manne, kommandiert. Später kamen Kürassiere vom Ascherslebener Regiments in die Grafschaft, die ein Herr von Schladen befehligte. Dieser machte hier großes Aufsehen, er fuhr mit sechs Pferden; und als er ein Fräulein von Spiegel aus Werna heiratete, hatten die Ellricher von ihm sehr zu leiden wegen der Streitigkeiten, die die Stadt seit langem mit Werna führte. Er zwang den Magistrat, eine Hauptwache auf dem Markte zu bauen und erlaubte seinen Soldaten, abgesehen von allerlei Übergriffen, die sie sich so wie so schon gestatteten, daß sie Früchte vom Felde, ja das Vieh aus den Ställen wegnehmen durften. Das Land mußte die Fourage in die Stadt liefern. Wegen der häufigen Desertionen ward endlich 1726 die Garnison ganz aus der Grafschaft weggenommen. Von der Zeit an bezahlte die Stadt für die Befreiung von der Einquartierung einen entsprechenden Betrag nach Halberstadt an die Kriegskasse. Fassen wir noch einmal in großen Zügen die Geschichte der Stadt Ellrich während des 16. und 17. Jahrhunderts zusammen, so sehen wir, daß fast ununterbrochen Kämpfe um den Besitz der Grafschaft stattfanden, so daß von einer gedeihlichen Entwicklung des Ländchens und der Stadt Ellrich keine Rede sein konnte. So war denn dem Lande und der Stadt die lang ersehnte Ruhe unter der Regierung der ersten preußischen Könige wohl zu gönnen, und während 50 Jahre genoß die Stadt auch die Segnungen des Friedens, bis in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Stadt wieder in den Kriegstumult hineingerissen wurde; der 7-jährige Krieg ging auch an Ellrich nicht ohne große Schädigungen vorüber. Ellrich während des siebenjährigen KriegesEs war im Sommer des Jahres 1757, als auch Ellrich das Ungemach des Siebenjährigen Krieges mit zu empfinden anfing. Kurz vorher hatte eine Kommission aus Halberstadt der Stadt geraten, alle Dokumente in Sicherheit zu bringen, im Übrigen aber guten Mutes zu sein und dem Feinde nichts als Luft und Wasser zu lassen. Es ward auch an der Grenze der Grafschaft von Stöckey bis Buhla u. s. w. eine Kette von Landleuten gebildet, um die von dieser Seite anrückenden Franzosen zu beobachten. Das Kommando über diese Landleute hatte der Bürgermeister Wagner und der Stadtsekretär Coeler von Ellrich übernommen. Allein auf die Nachricht von der Annäherung der Feinde löste sich diese Kette von selbst auf und eine allgemeine Furcht bemächtigte sich der Bevölkerung. Aus Ellrich flüchteten Viele, insbesondere Frauenspersonen, auf den Harz, wo sie sich Sicherheitsstellen aussuchten und ihr Geld sowie Kostbarkeiten vergruben. Am 30. August 1757 morgens um 7 Uhr trafen die ersten feindlichen Truppen (französische Husaren) in der Stärke von 36 Mann unter dem Kommando eines Rittmeisters, eines Leutnants und 4 Unteroffizieren, von Mackenrode kommend, in Ellrich ein, hielten indessen, abgesehen von einigen Marodeurs, ordentliche Manneszucht, bezahlten alles, was sie empfingen und thaten niemandem Gewalt an, marschierten auch bald weiter nach Elbingerode, von wo sie am folgenden Tage zwar wieder nach Ellrich zurückkehrten und sich verpflegen ließen, aber alsbald sich nach Walkenried begaben. Mit der französischen Armee kam auch das Fischer'sche Jäger-Korps in die Grafschaft und suchte Verbindung mit der Armee, welche auf Halberstadt anrückte. Schon am 1. September besetzte es Hornburg und Osterwieck, und am 3. desselben Monats erschien der Oberst von Fischer mit einem Korps Husaren in Halberstadt und besetzte die ganze Gegend. Währenddessen sandte Oberst v. Fischer nach Ellrich Befehl, 3000 Stück Brote, je 1 Pfund schwer, bereit zu halten, und am I. Oktober rückte das ganze Korps, 1717 Mann und 600 Pferde stark, hier ein, wo es von der Stadt einquartiert und im ganzen 13 Tage lang verpflegt werden mußte. Dies kostete der Stadt 9957 Thlr. 17 Sgr. 1 Pfg., darunter 631 Thlr. 21 Sgr. an Geschenken „zur Gewinnung der Gemüter und Haltung guter Ordnung.“ Überdies hatte die Stadt auch mancherlei Unkosten, indem die Fischer'schen Carabiniers Wagen rc. auf gemeine Kosten reparieren ließen. Ein gewisser Leutnant Schmidt ließ sich auch für ein Pferd, das er in Salza hatte stehen lassen, 82 Thlr. 6 Sgr. deponieren und als man es ihm wiederbrachte, zahlte er nur 50 Thaler wieder heraus. Sonst hielt das Korps ziemlich Ordnung und besuchte auch an einem Sonntag recht zahlreich den Gottesdienst, dem Prediger aufmerksam zuhörend. An demselben Sonntage wurde auch ein Soldat auf dem Frauenberge beerdigt, wobei es sich ergab, daß viele Flinten, die ins Grab schießen sollten, versagten. Kaum war das Fischersche Korps fort und die Stadt ihrer Lebensmittel beraubt, da kam schon wieder ein großes Detachement französischer Truppen in der Stärke von 15 000 Mann Infanterie und Kavallerie mit Geschütz und Gepäck über den Harz aus dem Halberstädtischen unter dem Herzog Broglio in Ellrich an und schlug das Lager vor dem Nordhäuser Thor auf, nachdem der Zug durch die Stadt den ganzen Tag gewährt hatte. Die vornehmsten Offiziere dagegen quartierten sich in der Stadt ein. Sie führten viel Lebensmittel und Gepäck, auch Maultiere, mit sich, ließen sich durch ihre Köche kochen und forderten Rechnung von den Hausbesitzern, die ihnen aber keine machten. Zur Verpflegung der Truppen indeß nahm man aus der Stadt, was man noch darin fand, und als die Viehherde abends unvorsichtig sich blicken ließ, fielen die Franzosen über sie her und raubten 84 Stück der besten Kühe, welche auf 1008 Thaler geschätzt wurden, und die man teils gleich schlachtete, teils mit forttrieb. Zugleich ward ein Major mit 86 Mann aufs Land geschickt, Zufuhr zusammenzutreiben, dem dafür 75 Thlr. 17 Sgr. bezahlt werden mußten. Manneszucht ward übrigens gehalten. Doch wurden hin und wieder in der Stadt, namentlich auch an der St. Johanniskirche, des Nachts große Feuer angezündet. Auf dem Felde geschah mehr Schaden, da die Bäume abgehauen und die Früchte zu Boden getreten wurden. Tags darauf kamen noch viel Truppen nach, darunter lästige Marodeurs und Kranke, von denen einige starben und gleich auf dem alten Judenkirchhofe beigescharrt wurden. Aller Mundvorrat war so aufgebraucht, daß man in der Stadt nichts mehr zu essen hatte und sich auswärts Nahrung suchen mußte. Dieser Durchzug kostete der Stadt 5008 Thlr. 5 Sgr. Zwar rückte dieses Broglio'sche Korps bald nach Sachsen ab, indessen blieben immer noch Franzosen zurück, die sich in der Gegend einige Zeit aufhielten. Sic hatten Scharzfeld besetzt und befestigten es. Am 27. November ließ sich der Oberst von Coursoll, unter dessen Kommando diese Truppen standen, 40 Paar Schuhe ohne Bezahlung in Ellrich machen und am 17. Dezember war er selbst da. Ausgangs des Jahres 1757 mußte ihm dann Geld, Wein, Branntwein, Brot, Speck usw. geliefert werden, und den 28. Januar 1757 schrieb er eine Lieferung von 4000 Pfund Fleisch aus, welche auf Stadt und Land verteilt wurden. Auch erhielt er ein Pferd, und später, am 24. Mai, 12 fette Kühe. Weitere Kosten entstanden der Stadt durch das mehrfache Eintreffen kleinerer Abteilungen, und im Februar 1758 ließ sich der Leutnant Moltgors, der mit einem Trupp hier lag, nicht blos 25 Thlr. 8 Sgr. Geschenk zur Haltung guter Ordnung auszahlen, sondern nahm auch den Bürgermeister Wagner als Geisel mit weg, der dann erst bei Mendorf wieder freigelassen wurde. Seitdem blieb die Stadt durch den Gang des Feldzuges einige Zeit von Feinden ziemlich verschont, denn auch die Truppen von Scharzfeld waren abgezogen. Erst 1759 bezogen wieder, und zwar diesmal die Ried'schen Reichstruppen, die Grafschaft. Am 18. Juli waren unter dem Kommando des Oberstleutnants von Redwig Kavallerie und Infanterie in Ellrich, welche den Stadtschultheiß Engelbrecht, den Bürgermeister Schräder, den Ratmann Panse und noch einige angesehene Bürger als Geisel mitnahmen. Der Stadtschultheiß wurde über Prag nach Nürnberg gebracht, während die übrigen mit andern Geiseln aus der Grafschaft nach Mühlhausen geführt wurden, wo sie anfangs ein elendes Logis hatten, insgeheim aber von dem dortigen Magistrate Erfrischungen erhielten. Von Mühlhausen kamen sie nach Erfurt, wo ihnen der Magistrat ebenfalls sehr höflich begegnete und ihnen guten Wein reichen ließ. Hier trafen sie auch den Kammerdirektor Dietrich aus Halberstadt, der aus einem Streifzuge, den der General Ried selbst unternommen hatte, als Geisel aufgehoben und mit fortgeführt worden war. Die Stadt Ellrich suchte ihre Geiseln wieder loszumachen und sandte zwei Bürger mit 200 Thlr. Kontribution nach Clettenberg; da sie aber den General nicht mehr antrafen, brachten sie das Geld wieder zurück. Die als Geisel mitgenommenen Bürger wurden am 31. Juli in Erfurt entlassen, der Bürgermeister Schräder aber erst von Naumburg aus, wohin man ihn mitgenommen hatte, während der Stadtschultheiß Engelbrecht in Nürnberg bis zum Ende des Krieges verbleiben mußte. Dieser Ried'sche Einfall kostete der Stadt 8320 Thaler. Im August 1761 zogen württembergische Truppen durch die Grafschaft, und eine Abteilung wagte sich nach Sachsa, wo Hannoveraner, die den Kirchhof besetzt hatten, sie angriffen und einen vornehmen Offizier töteten, worauf der ganze Haufen die Flucht ergriff. Bei dieser Gelegenheit war auch der Ellricher Stadtsekretär Coeler unterwegs von den Württembergern gefangen, entsprang aber nach einem Sturz vom Pferde und kam in Ellrich übel zugerichtet wieder an. Indessen hielten sich doch die Feinde diesmal von Ellrich fern, trieben dafür aber im Lohraischen sehr viel Vieh fort. Da sie unter fürchterlichen Drohungen Brandsteuern ausschrieben und der Kriegs-Kommissar Freudenfeld suk ckuw (?) Lohra, 26. August 62 044 Thlr. Kontributions-Rückstände von der Grafschaft forderte, wovon auf Ellrich 9288 Thlr. fielen, lieferte die Stadt an ihn am 3. September 2000 Thaler nach Salza durch die Viermänner Becker und Feister, die aber wider gegebenes Wort als Geiseln behalten und fortgeführt wurden. Das Jahr 1761 war für die Stadt das härteste. Herzog Ferdinand schlug zwar am 15. und 16. Juli die Franzosen bei Billingshausen, mußte aber doch bei ihrer überlegenen Macht gestatten, daß sie bis Wolfenbüttel, Cassel, Göttingen und Mühlhausen vordrangen. Bei Annäherung der Franzosen im September dieses Jahres flüchteten die in Ellrich noch übrigen Magistratspersonen. Es war ihnen befohlen, ihre Person und die 14 472 Thlr. betragenden Landes-Kontributionsgeldcr, die schon 1759 von Bleicherode nach hier in das Haus des Bürgermeisters Schräder gebracht worden waren, in Sicherheit zu bringen. Sie ließen die Ihrigen zurück und hielten sich jenseits des Harzes in Blankenburg und Wernigerode auf, und in der Stadt waren es die Viermänner (eine Art Bezirksvorsteher), die sich derselben annahmen. Anfangs September forderte der französische Staatsrat und kommandierende General von Latreck der Armeen am Oberrhein, Francois Marie Guyot, 360 000 Livres als Kriegsentschädigung von den Amtsleuten und Bürgermeistern der Grafschaft. Die Zahlung sollte binnen 24 Stunden erfolgen, widrigenfalls die genannten Beamten mit ihrer Person und ihren Gütern haften und nach der Schärfe des Kriegsrechts mit militärischer Exekution dazu gezwungen werden sollten. Darüber, ob es gelungen ist, das Geld zusammenzutreiben, sind Nachrichten nicht vorhanden, es ist aber anzunehmen, daß dasselbe aufgebracht worden. Am 10. September rückte dann ein Kommando Kavallerie und Infanterie vom Monett'schen Korps unter dem Oberstleutnant Augustin in Ellrich ein, und es mußten ihm R-arioucs (?) und portiones geliefert werden, auch ließ er sich von den Kaufleuten Mone und Panse für 262 Thlr. und 16 Sgr. grünes Tuch für sein Freikorps auf Abschlag der Kontribution, ferner noch von der Stadt 50 Thlr. und für einen Wachtmeister 5 Thlr. „Douceur“ für gehaltene Manneszucht geben und rückte dann am Nachmittag ab. Am folgenden Tage abends 11 Uhr sandte Herr de Vonbecourt, Brigadier und Kommandant in Nordhausen, eine Ordre, wonach die Stadt Ellrich den 12. morgens um 10 Uhr 1000 Rationen Heu und Hafer nach Nordhausen liefern sollte unter Strafe der Verbrennung der Stadt. Zunächst wurde Seitens der Stadt an ihn eine Deputation gesandt, die um Schonung bitten sollte, dann aber traten die Viermänner und eine Anzahl angesehener Bürger zusammen, ließen die Bürgerglocke anziehen und befahlen, Wagen, Heu und Hafer herbeizuschaffen. Die Pferde indessen hatte man mit den Wagen aus der Stadt geflüchtet, und man brachte nur einen solchen auf, den man belud und Nachmittags um 3 Uhr absandte. Niemand glaubte, daß die Gefahr so groß sei. Der Brigadier jedoch hatte, da die Wagen mit der Fourage zu der festgesetzten Zeit in Nordhausen nicht eingetroffen waren, das Executions-Comitee, bestehend aus 60 Mann Infanterie, bereits abgesandt, das in Cleysingen dem Ellricher Fouragewagen begegnete. Abends traf das Kommando in Ellrich ein. Der Kommandeur besah sich erst das Haus des Bürgermeisters Wagner, während die Soldaten die Fußgänger auf der Straße schlugen und mit den, Bajonett verwundeten. Dann fiel das Kommando in das Haus des Bürgermeisters Schräder ein, plünderte und zerschlug darin Fenster und Sachen und nahm, was sich tragen ließ, mit fort. Nur die besten Möbel, die aus Vorsicht in eine geheime Kammer geschafft waren, wurden gerettet; alles andere ging verloren; der Verlust belief sich ans 2220 Thlr. 18 Sgr. Nach dieser gräßlichen Plünderung, die alles mit Schrecken erfüllte, zog das Kommando ab, hinterließ aber einen Befehl von Monett, alle Wagen, mit Pferden und Ochsen bespannt, den 13. nach Nordhausen zu stellen, unter Androhung der Exekution mit Feuer und Plündern für den Nichtbefolgungsfall. Von neuem entstand unter der Bevölkerung große Bestürzung, und in dieser Angst holte man den Diaconus Schmaling spät Abends aus seinem Hause, um zu raten und zu helfen. Er errichtete, da kein Magistrat vorhanden war, sofort eine Deputation mit obrigkeitlichem Ansehen, die aus angesehenen Bürgern bestand und sich verpflichtete, alles zu thun, was die Stellung der Stadt erforderte. Sie that dieses auch unermüdlich bei Tag und bei Nacht und kam in solches Ansehen, daß man sie als das Haupt der Grafschaft ansah, und daß die Kammer in Halberstadt selbst ihr die nötige Autorität einräumte. Sie versammelte sich mit dem Diakonus Schmaling, so oft es nötig war, auf dem Rathause und in Privathäusern, und die Herren zogen stehenden Fußes das, was sie beschaffen sollten, selbst ein, verfügten Auspfändungen und ließen Prügel den Halsstarrigen austeilen. Zuerst besorgte die Deputation, um der erwähnten Lieferungs-Ordre Genüge zu leisten, 8 Wagen mit Heu und Hafer nach Nordhausen, die indessen aller Einwände ungeachtet sämtlich behalten und der Armee nach Göttingen, Geismar u. s. w. nachgesandt wurden. Dieser Verlust war überaus groß, denn 24 Pferde mit 8 Wagen, die unter teuren Versprechungen der Vergütung zusammengebracht waren, waren dahin. Indessen verhütete diese Absendung eine Plünderung, die Tags darauf stattfinden sollte, wie gute Ilfelder der Stadt warnend verraten hatten. Am 25. September kam Befehl von Scharzfeld, alle Manns- und Frauenspersonen aus Ellrich mit Schaufeln und Hacken nach Scharzfeld zu schicken, welches Voubecourt belagerte. Niemand aber wollte sich totschießen lassen, denn man hörte in Ellrich das Krachen der Kanonen so stark, daß die Fenster bebten. Endlich fanden sich doch 150 Mann zusammen, die dorthin abzogen, von denen aber unterwegs 55 wieder entsprangen und zurückkehrten. Am 27. mußten jedoch auf Befehl wieder Mannschaften abgeschickt werden, um an der Zerstörung des Schlosses mitzuarbeiten. Hühner, Enten und ein Fäßchen Wein mußten dabei für Voubecourt mitgenommen werden. Am Tage vorher, also am 26. September, stellte sich der Oberst v. Monett mit 100 Mann Kavallerie und 50 Mann Infanterie in der Stadt ein, und es sollten ihm, von der Verpflegung abgesehen, Schuhe, Hüte, Tuch, Sättel pp. und 30 000 Livres von der Stadt geschafft, außerdem 300 Thlr. und dem Unteroffizier 20 Thlr. zum „Douceur“ gegeben werden. Das war aber ganz unmöglich, und es gelang auf eine diesbezügliche Vorstellung des Diaconus Schmaling, daß die Geldforderung auf die Hälfte ermäßigt wurde. Aber auch diese Summe konnte nicht beschafft werden, und man lieferte ihm daher nur 1597 Thlr. 12 Sgr. und 700 Thlr. ab (für 615 Thlr. 10 Sgr. Tuch hatte er schon erhalten), worauf er unter Zurücklassung des Befehls, daß der Rest binnen 3 Tagen nachzusenden sei, nach Stöckey, abreiste. Wegen dieses Geldrestes wurde zwischen ihm und der Stadt eine lange Korrespondenz geführt, die schließlich mit der Leistung von Teilzahlungen im Gesamtbeträge von 2300 Thlr. und mit der Nachsendung der geforderten und vorhin erwähnten Schuhe, Hüte pp. endigte. Von Mühlhausen her, wo sich die Feinde unter Comte de Chabot gelagert hatten, wurde die Stadt indeß immer noch geängstigt und gepreßt. Nach einem Befehl von dort am 26. Oktbr. 1761 sollte die Grafschaft 1000 Malter Roggen und 3000 Malter Weizen dorthin liefern. Durch viele Bemühungen gelang es zu erwirken, daß Ellrich, dessen Felder in diesem Jahre sehr verhagelt waren, mit 80 Scheffel Weizen davonkam, der in Nordhausen gekauft und nach Mühlhausen geliefert wurde. Er wurde hier zwar bezahlt, aber nicht mit dem Preise, wie ihn die Stadt hatte bezahlen müssen. Der Verlust betrug 120 Thlr. 8 Sgr. Auf eine neue Ordre vom 7. November sollte die Grafschaft 100 000 rationes L 18 Pfd. Heu, 5 Psd. Stroh und Scheffel Hafer Pariser Gemäßes liefern, wovon ans Ellrich 2294 Rationen entfielen. Die Stadt konnte jedoch nur 2104*/z Rationen Heu und 2146 Rationen Hafer auftreiben und abliefern. Am 6. Dezember wurde ein weiterer Befehl erlassen, wonach 150 Betten und Spünden, elftere je aus einem Ober- und Unterbett, einem Kopfkissen und 2 Betttüchern bestehend, nach Mühlhausen geliefert werden sollten, wovon ans Ellrich 7 fielen; es wurden aber nur 4 geliefert. Die Kosten dafür betrugen 58 Thlr. 17 Sgr. Am 2. Januar 1762 jedoch mußte die Stadt noch ein einschläfriges Bett dem Monett- schen Kapitän Lambertz nach Königsthal liefern, welches 20 Thlr. 3 Sgr. kostete. Weitere Kosten entstanden der Gemeinde durch die Lieferung von Wild und Schuhwerk. Am 4. Dezember trug sich ein sonderbarer Vorfall in Ellrich zu. In Clettenberg lag ein Detachement Franzosen vom General Grandmaison, von denen 140 Mann nach Ellrich gesandt wurden, „die sich bis an den Abend ganz ruhig verhielten“. Mittlerweile waren 40 Luckner'sche Husaren oder Jäger nach Walkenried gekommen und von da, ohne das bestellte Abendessen zu genießen, nach Ellrich geritten. Hier angelangt, machten sie Lärm und schossen, als wenn ihrer noch so viele wären. Da gerieten die 140 Franzosen in Schrecken und ergriffen so eilig die Flucht, daß sie sich im Nordhäuser Thore fast erdrückt hätten. Die 40 Mann, die in der Stadt und auf dem Johannis-Kirchhofe ihnen nachgeschossen, zogen sich aber auch sofort zurück, weil sie vernommen hatten, daß sich der Feind beim Hospital niedergelassen haben sollte. Die Franzosen aber rannten immer fort bis nach Mühlhausen und gaben dort vor, die Ellricher Bürger hätten auf sie aus den Häusern und Kellern geschossen; es waren auch wirklich unter ihnen einige verwundet und mußten in Großwechsungen bleiben. Bei diesem Zusammenstoß verbarg sich Bürgermeister Wagner, der inzwischen zurückgekehrt war, unter der großen Brücke und flüchtete darauf nach Bleckendorf, wo er 10 Wochen bei seinem Bruder verblieb. Die Folge des geschilderten Vorfalles, an dem doch die Stadt keinerlei Schuld trug, war, daß der General Grandmaison mit einem großen Corps von Mühlhausen nach Bleicherode rückte und von dort am 6. Dezember ein Corps Kavallerie in der Stärke von 100 Mann und ein gleich starkes Corps Infanterie nach Ellrich schickte, um Rache zu nehmen. Das Kommando kam des Abends 7 Uhr hier an, überfiel den Kaufmann Molle mit blankem Degen, und die Offiziere gingen in sein Haus, um zu plündern, wurden aber daran gehindert. Dem Kommandanten mußten 790 Thlr. für die 4 Pferde und die zwei Kerls, welche ihm im Scharmützel in der Stadt verloren gegangen sein sollten, bezahlt werden. Außerdem mußten 1*/z (?) Ohm Wein zu 120 Thlr. nach Mühlhausen gesandt werden. Um das Geld zusammen zu treiben, mußte der Diaconus Schmaling in die Häuser gehen, und da es tiefe Nacht war, gab ihm der Kommandant auf seine Vorstellung eine Wache mit. Bei dieser Gelegenheit geriet er in große Gefahr, insofern nämlich, als er sein Wissen um den Aufenthaltsort des Landrats von Werthern leugnete, während eine Staffette aufgefangen ward, die von ihm aus Nordhausen zurückkam. Zum Glück war der Landrat so vorsichtig gewesen, sich in den Schriftstücken nicht zu nennen, er schrieb vielmehr „allotrla wie ein Privatmann“. Das half dem Diaconus Schmaling durch, den man auch sonst in diesem Falle nützlich fand, wofür er auch nicht, wie der Viermann Mehler, mit Maulschellen behandelt wurde. Gleichwohl aber wurde er mit dem Kaufmann Molle am Morgen über Hörningen und Großwechsungen zur Verantwortung mit nach Bleicherode geführt, wo sie dem General in der Gegenwart vieler Offiziere vorgestellt wurden, der ihre Entschuldigung auch annahm, sie speisen ließ und mit einem Paß nach Nordhausen schickte, wo sich der Landrat aufhalten sollte und auch wirklich aufhielt. Hier kamen die Herren nach Mitternacht an und blieben beim Landrat einen Tag, worauf sie die Ihrigen wiedersahen. Indessen währte das Ab- und Zureiten kleinerer Kommandos in der Stadt noch immer fort; so fand sich am 2. Mai 1762 ein Kommando Kavallerie und Infanterie in Ellrich ein und suchte nach Geiseln. Der Primarius Stelmann war ihnen zu alt, und dem Diaconus Schmaling gelang es zu entspringen. Darauf wurden die Viermänner Mehler und Panse, ebenso der Kaufmann Molle nach Mühlhausen fortgeführt. Am 7. August sprengten Marodeurs in die Stadt und raubten hier und da. Dieser Vorfall war der letzte. Für die ganze Invasion unter Voubecourt, Monett, Grandmaison und Chabot berechnete die Stadt in barem Gelde 7512 Thlr. und die ganze Kriegsrechnung belief sich auf 29 811 Thlr. Am 5. Febr. 1763 gelangte an den Magistrat zu Ellrich ein Schreiben der Kriegs- und Domänenkammer zu Halberstadt, wonach er in einer auszustellenden Tabelle nachweisen sollte: 1) was an Kapitalien ausgenommen, in welchem Jahre und von wem sie erborgt seien, 2) ob gerichtliche oder außergerichtliche Verschreiben darüber erteilt wären, 3) wie hoch die Zinsen festgesetzt seien, 4) was zur Sicherheit verschrieben oder statt der Zinsen etwa hingegeben, erblich oder wieder käuflich alieniert sei und 5) wozu die Kapitalien verwendet seien. Nach Anfertigung dieser Tabelle fand dann am 9. April 1764 in Gegenwart des Kriegsrates Eichholz aus Halberstadt eine Magistrats-Sitzung statt, in welcher über die Schuldentilgung beraten wurde. Soviel die alten Akten ergeben, kam man dahin überein, daß ein Teil der Schulden von der Landschaft übernommen werden, das andere die Bürgerschaft selbst nach und nach tilgen sollte. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß sich die Feinde um die königlichen Kasten nicht kümmerten. Die Post hatte nach wie vor ihren Fortgang, und die Accise konnte ebenso erhoben werden, wie in ruhigen Tagen. Grobe Gewaltthätigkeiten waren überhaupt nicht verübt worden und der Feind sah es gewissermaßen als eine Beleidigung an, wenn die Häuser vor ihm verschlossen wurden. Dagegen hatte der sittliche Zustand der Stadt sehr gelitten, ein Einwohner fing sogar an, Straßenräuberei zu treiben und mußte gefangen gesetzt werden. Nach dem Friedensschlüsse fand auf dem Rathause ein Ball statt, der zwei Tage währte. Da die Stadt die ihr auferlegte Summe nicht besaß, mußte sie das Geld borgen; nach mehr als 30 Jahren hatte sie die geliehenen Gelder noch nicht wieder zurückerstattet. Aus einer Schrift eines Zeitgenossen, die in dem Knopf des Rathausturmes gefunden wurde, entnehmen wir hierüber Folgendes: „Ellrich hat wie alle preußischen Provinzen die ungeheuren Lasten des blutigen siebenjährigen Krieges mittragen helfen, welcher, ob er gleich von Österreich, Frankreich und Sachsen zum gänzlichen Untergange der preußischen Monarchie angezettelt und beschlossen war, dennoch durch Friedrich den Einzigen trotz seiner vielen Feinde so glücklich beendet wurde, daß wir auf den höchsten Gipfel des Ansehens dadurch gebracht und Preußen unter die ersten Mächte von Europa dadurch gehoben ist. Aber ein Friedrich der Große hat nur in der Welt gelebt und seines Gleichen noch nie auf Thronen gesessen, sein Andenken erfüllt uns, wie jeglichen seiner Zeitgenossen mit dem lebhaftesten Gefühle: Er ist und wird ewig der Stolz der Preußen bleiben! — Dieser Krieg hat Ellrich 37 246 Thlr. gekostet, als 21 540 Thlr. barer Brandschatzung an die Feinde und 15 706 an gelieferter Fourage und Lebensmittel an dieselben. Nach Endigung dieses merkwürdigen Krieges 1763, und nachdem die ganze Kriegsschuldenlast der Provinz Hohenstein reguliert und einige Jahre nachher durch Gnadengeschenke vom König Friedrich II. gemindert war, behielt Ellrich dennoch an Kriegsschulden die Summe von 7186 Thlr. 12 Gr. 9 Pf. abzuführen, welche in gemäßigten und ausgedehnten Terminen gegenwärtig (1791) bis auf 1654 Thaler — Gr. 4-/g Pf. aufgebracht und getilgt sind, und mit welchem Überreste wir unter Gottes Hülfe nun bald zu Ende kommen wollen.“ Die Zeit nach dem siebenjährigen KriegeNach diesem Kriege fogten 50 Jahre des Friedens; rastlos wurde von den Bürgern gearbeitet, die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte, zu heilen; dafür kamen aber andere Heimsuchungen über die Stadt, sodaß es nicht zu verwundern ist, wenn sie sich bis zum Anfang des jetzigen Jahrhunderts noch nicht wieder völlig erholt hat. Am besten lernen wir die Zeit von 1763—1791 aus der soeben im Bruchstück herangezogenen Urkunde aus dem Knopf des Rathausturmes kennen, wo es folgendermaßen heißt: In den Jahren 1770 und 1771 war Mißwachs, große Theurung und Hungersnoth; noch zu Ende 1769 kostete ein Scheffel Rocken 15 bis 18 gr,, Anfangs 1770 1 rthl. 8 gr. und Ende 1771, und Anfangs 1772 3 rthl. bis 3 rthl. 16 gr., die übrigen Früchte waren verhältnißmäßig eben so theuer. Beym Steigen der Preise und der Hungersnoth wurden unter den ohnehin schon schlechten, zum theil bey der Nassen Erndte ausgewachsenen Rocken, alle Arten von Früchte selbst Hafer und Drespe, untergemahlen, Kartoffeln gekocht und hinzugethan, und von der Armuth mit samt der Kleye verbacken, ja die Noth stieg endlich so hoch, daß Hieselbst arme Leute, von Hunger und Aberglauben getrieben, eine Art Kalck im Jtel geholet haben, welcher vom Frost zermalmet gewesen, welchen sie dafür angesehen, daß derselbe Mehl sey, welches Gott zu ihrer Rettung aus der Erde hervorgehen lasse, und diesen Kalck haben sie würklich unters Mehl gemenget und mit verbacken. Dieses verbreitete sich dazumal in hiesiger ganzen Gegend, und Schreiber dieses erinnert sich noch sehr gut, daß auch ins Hannoversche nach Scharzfels, wo derselbe dazumal war, dieses Gerücht erscholl, worauf die Armuth in den umliegenden Dorsschaften, ein ähnliches Wunderwerk bey Nüxey entdeckt zuhaben glaubte, wo sie eine Art weißen ganz feinen Mergel, Dux genannt, holeten, mit unters Brodt backten, davon krank wurden und häufig davon starben; so daß Obrigkeitswegen dergleichen verbothen, von den Kanzeln der Jrrthum erkläret, von der Hannoverischen Regierung aber Früchte hergegeben, verbacken, und das Brodt unter die Armuth vertheilet wurde. Des Frühjahres 1772 holeten die Menschen die ersten grünen Kräuter, um solche zu kochen, sie trafen mitunter viele schädliche, weil ihnen jegliches grüne Keimchen angenehm war, und auch dadurch und durch den lange erlittenen Hunger wurden noch viele Menschen krank und starben sehr häufig. Dies waren traurige, traurige Jahre, selbst für den Wohlhabenderen, dies Leiden, ohne Allen helfen zu können, mit ansehen zu müssen, viele Familien gingen ganz zu Grunde, andere haben es lange Jahre nach her, und manche noch nicht verwinden können, der Mittelstand unter Bürger und Bauer, versetzte, verkaufte, borgte, nahm ausstehende Capitalien aus und setzte sein ganzes kleines Vermögen zu, und dieser giebt es am mehrsten, der Wohlhabenden nicht so viel. Das Jahr 1772 und die gute Erndte desselben machte dieser höchst erbärmlichen Scene ein Ende. Alle diese harten Schicksaale hat Ellrich indeß verschmerzet, und dasselbe ist gegenwärtig blühender als jemals, welches es mit allen den Provinzen, die Friedrich der II weißlich regieret, gemein hat und darf hoffen noch immer blühender zu werden, da auch König Friedrich Wilhelm der II mit Vater Augen auf uns gesehen, indem derselbe 1788 unserer Provinz, in Rücksicht daß dieselbe mit lauter fremden Herrschaften umgeben ist, mit der Handlungs-Freyheit und einer gemäßigten accise Abgabe huldreichst beschenket hat. Die hiesige Wollfabrique, welche sehr gesunken, scheinet sich jetzt wiederum zu heben, da durch unsere Bemühung sich hier 2 Kaufleute Rahmens Triepmacher und Hartlaub in diesem Jahre Etablirt haben, welche die Tuchmachermeisters für ihre Rechnung oovupiren. Der hiesige Cümmerey-Forst, welcher im 7-Jährigen Kriege sehr devastirt, und nachmalen in der Aussicht vernachlässigt war, wird jetzt durch eine gute Bewirthschaftung wieder in guten Stand gesetzet, welches bloß unsern Nachkommen zum Nutzen gereichet, uns bey den geringen Einkünften unserer verschuldeten Cämmerey aber sehr geniret. Diese unsere Cämmerey, welche das jetzige Magistrats Collegium in tiefen Schulden antrat, ist durch gute Einrichtung, und Beywürkung des Herrn Cammer-Director Müller, als gewesener Commissarius Coci, und dessen Nachfolger Herrn Krieges- und Domainen-Rath von Goekingk, wieder aufgeholfen, so daß sie anfängt jährlich einigen Uberschuß zu sammeln wovon sie nach und nach ihre Schulden bezahlen wird. Unser Brauwesen, die vorzüglichste Nahrungsbranche hiesiger Stadt, hebet sich von Jahr zu Jahre. Man sieht auch daraus den Wohlstand der Stadt, daß viele verfallene Häuser ausgebauet und repariret werden; und man spüret es in absicht der Nahrung nicht, daß die seit 1770 hier gewesene Cammer Deputation, beym Regierungs-Antritt Sr. Königl. Maj. Friedrich Wilhelm des II hier wieder weg genommen und mit der Halberstädter Combiniret ist. Die dadurch verminderte Consumtion wird aber dadurch ersetzet, daß Herr Commissions Rath und Justitz Amtmann Brauer von Holbach anhero gezogen ist und bey uns wohnet, wodurch die Unterthanen des Amtes Clettenberge vielfältig zur Stadt gezogen werden, wodurch dieselbe Nahrung und Verkehr bekömmt, daher sie diesen überdem würdigen Manne viel zu verdanken hat, der Zufluß der Nahrung, welchen die Stadt hierdurch hat, wird dadurch noch vermehret werden, da auch nun der Herr Actuarius des Amtes Clettenberg Herr Justitz Commissarius Berge nach Ellrich herein gezogen ist. Der hiesige Ackerbau hat sich seit den letzten 10 Jahren hier vor Ellrich sehr ausgenommen und wird sich wahrscheinlich noch immer mehr aufnehmen, da wir bey unserer Ackerbau treibendenden Bürgerschaft öllonomisebo (?) Kenntnisse und Fleiß täglich wachsen sehen. Freylich verfehlet es unserer guten Bürgerschaft noch an würklicher und eigentlicher städtischer Industrie, besonders der Handlung treibenden Classe und manchen Handwerkern, wie wohl sich unter letztem einiges Steigen bemerken läßt, und also hofnung vorhanden ist, daß sich diese nach und nach vervollkommn werden. So schwer hält es, wenn ein Ort erst einmal in seiner Nahrung gesunken und gestöhret ist, ehe derselbe wieder empor kömmt, zumal wenn eine nahe gelegene größere Stadt Nebenbuhlerin ist, wie hier Nordhausen, welches im Besitz eines ausgebreiteten Handels und Verkehres befindlich, Ellrichs Aufkommen immer zurück gehalten und ferner noch zurück halten wird. Dies Alles soll uns aber nicht abhalten, mit allen Kräften an Ellrichs Glücke zu bauen, und hinfolglich das Unsrige zu Ellrichs Nutzen beyzutragen, damit dasselbe, wenn auch kein Nordhäuser, mit der Zeit nach seiner Art ein blühendes Städtchen werde. Unsere Wünsche für das Wohl dieser guten Stadt sind wenigstens unbeschränket und wohlgemeinet; mögte Sie doch mit allen ihren Einwohnern, Gegenwärtigen und Zukünftigen, nie solche Epochen wieder sehen, als unsere Vorfahren und ein Theil der noch jetzt lebenden Bürgerschaft in den verflossenen Zeiten sie sah I mögte doch Fleiß und Betriebsamkeit, Redlichkeit, Kunstfleiß und Geschicklichkeit jeglichem Stande und jedem Einwohner derselben bis in den spätesten Zeiten beywohnen! Ihr rechtschaffene Vorgesetzte, aufgeklärte, treue Prediger und Schullehrer von der Vorsehung geschenket werden, und solchergestalt ihre Einwohner unter einer milden und vernünftigen Landes Regierung alles das Glück genießen, dessen Sterbliche in dieser unvollkommenen Welt nur fähig sind, worüber wir noch jenseits des Grabes, wofern es Hingeschiedenen erlaubt und möglich ist, dort an hinterlassenen irdischen Dingen Antheil zu nehmen, mit Freuden erfüllet werden würden. Ellrich, den 14. Februar 1791. Stadtschultheiß, Bürgermeister und Rath hieselbst. Hohnsteinensis, Christfried Adam Hoefer, Stadtschultheiß, mpxria. Hohnsteinensis, Johann Gottfried Christoph Weber, Bürgermeister, wppri». Hohnsteinensis, August Gottlieb Coler, Cämmerer, mxxria. Carl Georg Gottlieb Moldenhauer, Cämmcrey Controlleur, sx puAv Horsten in Oomitatu LotmumburAiensi üassiensi. Hohnsteinensis, Johann Bernhardt Jacob Wedler, Stadtsecretarius, mxpria. Hohnsteinensis, Just Gottlieb Ernst Schmaling, Referendarius, mxpria Man kann sich eines wehmütigen Gefühls nicht erwehren, wenn man diesen Bericht liest und die Gedanken über all das Elend schweifen läßt, das die Jahrhunderte über Ellrich gebracht, Elend so groß und verschiedenartig, wie es wohl wenige Städte durchgemacht haben; denn zu dem bereits vermerkten Kriegs- und Teurungselend kommen noch die häufigen Feuersbrünste, Überschwemmungen und Epidemien hinzu, über die wir noch später berichten werden. Anderseits muß man staunen über die Energie der Bürger, die eben all ihr Hab und Gut verloren hatten, sofort wieder sich emporrafften und auf den Trümmern ihres Glückes sich neu anbauten. Ehre dem Andenken solcher Bürger! Wie aus der Urkunde hervorgeht, hob sich der Wohlstand des Städtchens allmählich immer mehr, am Anfänge dieses Jahrhunderts waren sämtliche Spuren des Krieges verwischt. In diese Zeit fällt ein Ereignis, das den Ellricher Bürgern lange Zeit ein Wallfahrtsort freudiger Erinnerung gewesen ist: Der Besuch König Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise. Der Besuch König Friedrich Wilhelms III. und der Königin Luise in Ellrich im Jahre 1805Schon im Juni 1803 hatte König Friedrich Wilhelm III-, von der Truppenbesichtigung in den Bayreuthschen Landen zurückkehrend, die Absicht gehabt, von Duderstadt nach Ellrich und von da nach dem Brocken zu fahren, weil es aber stark regnete, wurde der Plan noch in der letzten Stunde aufgegeben. Als aber der König 1805 wieder nach Bayreuth reiste, sollte jener Plan nun auf der Hinreise doch zur Ausführung kommen, natürlich in umgekehrter Folge, erst nach dem Brocken und dann nach Ellrich, dem Hauptorte der Grafschaft Hohnstein, dem dieser Besuch schon 1803 gewissermaßen officiell zugesagt war. Es eröffnete deshalb unterm 21. April 1805 die Kriegs- und Domänenkammer in Halberstadt dem Magistrat in Ellrich, daß am 31. Mai des Königs und der Königin Majestäten nebst Gefolge daselbst übernachten würden, und daß dem Landrat v. Arnstedt der Auftrag erteilt worden sei, wegen Einrichtung dieses Nachtquartiers das Nötige zu besorgen und sich dieserhalb mit dem Magistrat in Verbindung zu setzen. Da gab es nun alle Hände voll zu thun. Die Ratmänner M. und C. stellten sich dem Landrat zur Verfügung, und schon am 30. April war der erste Entwurf fertig. Da der König und die Königin in demselben Hause logieren mußten und zu ihrem eigenen Bedarf drei Zimmer brauchten, da notwendiger Weise in dem nämlichen Hause die Oberhofmeisterin Gräfin von Voß, der Geheime Kämmerer Wolter und „der alte“ Kammerdiener Heinrich jeder ein „ruhiges Plätzchen für sich“ haben, auch die Kammerfrauen der Königin „in einem gemeinschaftlichen Zimmer“ und endlich die Lakaien und Jäger „zur Not auf dem Boden“ untergebracht werden sollten, es aber gegen die Etikette war, daß irgend jemand vom Gefolge in einem Wirtshause umlogiert wurde, noch viel weniger aber ein solches für die Allerhöchsten Herrschaften gewählt werden durfte, so fand es sich, daß in ganz Ellrich kein anständiges und geräumiges Privathaus für den vorliegenden Zweck auszumitteln war und deshalb das dortige Rathaus zum Nachtquartier für die Majestäten eingerichtet werden mußte. Das Rathaus war ein aus zwei hohen Stockwerken bestehender Holzbau, der nach dem Brande von 1627, der fast die ganze Stadt zerstört hatte, ans dem noch stehengebliebenen Mauerwerke des unteren Stockes errichtet war. Er hatte bisher den Magistrat, zeitweise auch die Regierung und die Kriegs- und Domänenkammer der Grafschaft beherbergt, war im Innern an manchen Stellen schadhaft, auf jeden Fall recht unwohnlich, am wenigsten königlich. Die für die Majestäten bestimmten Zimmer lagen im mittleren Stockwerk, und zwar sollte das Rats-Sessionszimmer ihnen zum gemeinschaftlichen Aufenthalt, die sogenannte Commissionsstube zum Schlafgemach der Königin, die daran stoßende große Ratsstube zu dem des Königs dienen. Einer ganz besonderen Verbesserung bedürftig erschien die Commissionsstube, das Schlafzimmer der Königin. Von den vorhandenen fünf Fenstern wurden drei zugemauert, die noch übrigen zwei erhielten neue Fensterbekleidungen und Flügelfenster aus „Böhmischem Glase“. Neue Dielen und Thüren verstanden sich für eine Königin von selbst. Die Wände und die Decke wurden neu getüncht und geweißt und zum Bemalen oder, wie es im Entwurf heißt, „zum Vermalen“ vorbereitet. Ähnlich wurden auch die übrigen Säle und Zimmer des Rathauses, im ganzen 12 — die Küche nicht zu vergessen —, für den Empfang der Majestäten und ihres Gefolges hergerichtet. Nur die Registratur blieb als Heiligtum für den Magistrat reserviert. Da hatten nun Maurer, Zimmerleute, Schlosser. Glaser, Tapezierer und Dachdecker genügend zu thun, und der Maler mußte sogar die Nacht zu Hülfe nehmen. Ihn hatte man sich, da es in Ellrich daran mangelte, in der Person des Maurermeisters W. in Walkenried von der Hütten-Verwaltung in Zorge auf einige Zeit besonders erbeten und freundnachbarlich auch bewilligt erhalten. Er sollte das Schlafzimmer der Königin und den großen Saal in der dritten Etage, der zum Speisesaal bestimmt war, durch seine Kunst verschönern, auch in den übrigen geweißten Sälen und Zimmern 18 Zoll hohe schwarze „Lambris“ malen. Der Hausflur bekam neuen Estrich, die große Ratsstube sogar einen neuen eisernen Ofen; an der Treppe, die in die oberen Stockwerke führte, wurde eine neue Thür angebracht, und endlich mußte auch die alte Rathausthür einer neuen, massiven weichen, behielt aber ihr altes Schloß und die alten, eisernen Beschläge. Auch äußerlich putzte sich das alte Gebäude heraus, indem es bis in die Spitze vom Dachdecker geweißt wurde. Man hatte auch deliberiert, ob nicht vor dem Eingänge zum Rathause zwei neue Laternen auf Pfählen oder eisernen Trägern ausznstellen wären, doch scheinen schließlich die Mächte der Finsternis den Sieg davongetragen zu haben. Nachdem dann im Innern die Scheuerfrauen ihre Arbeit gethan, füllten sich die altehrwürdigen Amtsräume allmählich mit allerlei Hausrat, wie sie ihn noch nie gesehen. Es waren ja freilich Sachen, wie sie in jeder bürgerlichen Wirtschaft zu finden sind, aber doch nicht in jeder überflüssig und auch nicht in so würdiger Ausstattung, wie es sich für so hohe Gäste ziemt. Die Betten führten die Allerhöchsten Herrschaften' zwar selbst mit sich, alles andere aber, was zur Ausstattung von Wohn-, Eß- und Schlafzimmern gehört, wurde aus verschiedenen vornehmen Häusern Ellrichs und der Umgegend herbeigeschafft. Es kam da eine recht bunte Gesellschaft zusammen, und auf Einheit in Geschmack durfte man nicht so genau sehen. So gab für das Schlasgemach der Königin den Spiegel, das Kaffee- und Theegeschirr der Baron von Werther auf Klein-Werther, den Tisch für das Waschbecken, Servietten und Handtücher, 4 Leuchter mit Wachslichtern und Lichtscheren der Landrat v. Arnstedt auf Groß- Werther, das Waschbecken selbst aber, 2 kleine Tische, Sopha, 6 Stühle und den Fußteppich die Frau Kammerrätin Dietrich in Clettenberg, die „Bettsponde“ der Aktuarius W., die Gardinen der Kämmerer C., während die Rouleaux neu angefertigt waren. Ebenso war Hausgerät und Geschirr für das Schlafzimmer des Königs, für den Speisesaal und die übrigen Säle und Kammern, die dem auf dem Rathause logierenden Gefolge zur Unterkunft dienen sollten, von allen Seiten herbeigetragen und gefahren worden, für den Geheimen Kämmerer Wolter auf besonderen Befehl ein verschließbarer Schreibschrank. Aber auch auf ganz besonderen Zimmerschmuck war man bedacht gewesen. Die Familiengemälde Hohensteinscher und Wittgensteinscher Grafen, der früheren Besitzer der Grafschaft, waren 1771 von Clettenberg nach Ellrich gebracht und in der Ratsstube aufgehängt worden. Diese vom Alter geschwärzten Portraits wurden nun mit Eiweiß gereinigt und zum Teil mit neuen Rahmen versehen. Außerdem hatte man sich vom Magistrat in Duderstadt, wo der König und die Königin zwei Jahre früher auf der Durchreise übernachtet hatten, deren Portraits geliehen, sie sorgfältig cinpacken und holen lassen, um damit ebenfalls die von den Majestäten bewohnten Zimmer zu schmücken. Was aber der Königin am besten gefallen haben mag, das waren die Blumentöpfe mit Geranium, Reseda und Rosen, mit denen man ihr Schlafzimmer geziert hatte; sie halfen ihr wenigstens etwas über den Eindruck hinweg, den ihr die frisch gestrichene und gemalte Stube erregen mochte. Für den Prinzen Wilhelm, den Bruder des Königs, für den General v. Köckeritz und das übrige Gefolge war das Nachtquartier bei den Magistratsmitgliedern und anderen angesehenen Einwohnern belegt; so für die Cabinetsräte Beynen und Lombard nebst Secretären beim Stadtschultheißen H., für den Adjutanten des Königs Major v. Kleist, den späteren Grafen Kleist von Nollendorf und den Kriegsrat Richter beim Kämmerer C. Das mar im ganzen nicht so schwierig, und nur der Umstand mochte in jener Zeit mancher Hausfrau doch etwas mehr Sorge machen, daß es in den allgemeinen Regeln für das Nachtquartier hieß: „Es muß aber vom ersten Flügeladjutanten bis zum geringsten Küchenjungen alles mit Betten und Bettstellen versehen werden, und ist besonders darauf zu sehen, daß das ganze Königliche Gefolge reinliche und gute Betten, die darunter befindlichen Herrschaften aber womöglich Matratzen erhalten.“ Wenn nun die Einrichtungen zum Nachtquartier des Königs und der Königin schon am Anfang des Mai getroffen waren und mindestens acht Tage vor Ankunft derselben vollendet sein mußten, um die Majestäten nicht zu sehr durch den Reiz der verschiedenen Neuheiten zu überraschen, so nahmen die Geschäfte eines andern Auftrags, der dem Kämmerer C. specicll gegeben war, die Dauer eines Monats in Anspruch. Für die leiblichen Bedürfnisse des Hofes während der Durchreise zu sorgen, war eine Niederlage zur Anschaffung der nötigen Vorräte eingerichtet und „ex coIleZ-io des Magistrats“ der gedachte Kämmerer zum Rendanten derselben bestimmt worden. Aus der Hohnsteinschen Kriegskasse waren ihm dazu 100 Thaler vorschußweise überwiesen worden, und über das mehr Auszugebende sollte er Rechnung legen. Es war dabei bemerkt, daß die Köche angewiesen wären, alles bar zu bezahlen. Das Wildpret betreffend hatte der König befohlen, daß die Rehe aus den königlichen Forsten geliefert werden sollten; die Hasen und Rebhühner könne man aus der Umgegend beschaffen. So trafen denn ein Spießer und 2 Rehböcke aus dem Hackelrevicre bei Häteborn, 2 Rehböcke und 2 Hasen aus der Oberförsterei Stetterlingenburg durch die Post ein, und außerdem wurden noch 4 Hasen aus der Nachbarschaft zur Küche geliefert, Rebhühner aber nicht. Wenn überhaupt alles hätte herbeigeschafft werden sollen, was die Kammer in Halberstadt zuerst angegeben hatte, so hätte es entweder eine andere Jahreszeit oder eine andere Stadt sein müssen. Wie sollten wohl Ende Mai Melonen oder auch nur Erdbeeren in Ellrich zu haben sein; mußte doch schon das Gemüse durch einen Boten aus dem Tagemärsche entfernten Halberstadt geholt werden. Aber auch so umfaßt das Verzeichnis der für die königliche Küche bestimmten „vivrss“ über 50 Nummern, und es belief sich die dafür ausgegebene Summe auf 220 Thaler. Dazu kamen als Nachtrag zur Baukosten- und Lebensmittel-Rechnung mindestens 40 Nummern, die größtenteils Botenlöhne repräsentieren und den Beweis liefern, wie beschwerlich die Herbeischaffung aller dieser Dinge gewesen ist. Wie viel Schreibereien die Durchreise des Königs veranlagte, das geht daraus hervor, daß allein der Secretär W. 53 Bogen Copialien in diesen Angelegenheiten geschrieben hatte. Am 21. Mai war aber alles fertig und die Niederlage mit allem Nötigen und Gewünschten gefüllt. Unter andern waren 25 Pfd. Forellen und, 25 Pfd. Karpfen zur Stelle, und im Keller lagerten 20 Flaschen Rotwein, 36 Flaschen Franzwein und ftz Faß Broyhan auf Flaschen gezogen, denn „die Majestäten trinken Broyhan“; die Küche hatte einen doppelt so großen Herd erhalten, und schon 4 Stunden vor der Ankunft brodelte auf demselben das Wasser in den Töpfen und das Rindfleisch war angesetzt. Etwas später versammelte sich auf Anordnung des Magistrats die Bürgerschaft Ellrichs nebst „der jungen Mannschaft“ in Waffen auf dem Marktplatz, sowohl um beim Empfange der Majestäten gegenwärtig zu sein, als auch um dem Gedränge des Volkes zu wehren und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Über die bewaffnete Bürgerschaft war für diesen Tag der Viermann R. als Stadtwachtmeister gesetzt, dessen Wohnung deshalb auch zur Hauptwache bestimmt war. Mit folgendem in echt Blüchcrscher Orthographie abgefaßten Circular hatte er seine Mitbürger für den 31. Mai eingeladen: „Meine Herr mit Bürger Werden Ersucht, Key der An Kunst Sr. König!. Majestät Einen auf Zug mit zu machen, und finden sich um 1 Uhr mittags als den 31sten May ein bei dem Viermann R. und H. Vicrmann Z. und die Flinten Rein geputzet, aber ja nicht geladen und nicht ge Schossen, Weillen Dieses bei großer Strafe Ver Bothen, und sind so gut und kommen so Viehl als Möglich mit 3 Eckigen Hüthen und guther Kleidung.“ Folgen die Namen. Anordnungen über diese Mannschaft, sowie über alle polizeilichen Maßnahmen für diesen Tag waren aber im Aufträge des Magistrats von dem Ratmann M. erlassen und standen auch unter seiner Oberleitung. Da waren zunächst 12 Bürger in „anständiger Kleidung, aber ohne Gewehr“ auserlesen, die hohen Herrschaften und die Bedienung im königlichen Gefolge nach ihrer Ankunft in die für sie bestimmten Logis zu führen und auch „sonstige vorfallende Ausrichtungen“ nach Anweisung des Ratmanns M. zu besorgen. Von den bewaffneten Bürgern war ein Teil zur Wache vor dem Rathause, dem Quartier des Königs, andere zur Bewachung der königlichen Wagen während der Nacht, wieder andere zum Patrouillendienst auf den Straßen und durch die Wirtshäuser und Schenken bestimmt. Einige ganz solide Leute blieben zur Verfügung des Stadtwachtmeisters, um im Falle der Not bei etwa ausbrechenden Zänkereien oder Schlägereien einzuschreiten, das Ärgernis durch gutes Zureden oder durch ihre Autorität zu unterdrücken, wohl auch die Widerspenstigen dem Arme der Gerechtigkeit in Gestalt des Gerichtsdieners W. zu überliefern, der sie dann bis zum anderen Tage auf das „Thor“ bringen sollte. Diesem selbst war anbefohlen, sich immer in der Nähe der Hauptwache aufzuhalten und zwar „durchaus nüchtern“, und es war ihm mit Dienstentlassung gedroht, wenn er sich betrinken würde. Gewiß waren alle diese Anordnungen nötig und gut, denn es war zu vermuten, daß, um das Königspaar zu sehen, viele Herrschaften und viel Volk aus der Umgegend in Ellrich sich versammeln und, da sie bis zum Nachmittage warten mußten, allmählich auch in eine starke Festlaune geraten würden, so daß leicht ein Mißton die fröhliche Stimmung hätte stören und zu des Königs Ohren hätte dringen können. Auf einen starken Zufluß von Leuten rechnend, hatte der Rat Verordnungen an die Fleischer- und Bäckergilde erlassen, es an keiner Art ihrer Waren fehlen zu lassen, auch auf gute Qualität und Quantität zu halten und die Leute nicht zu überteuern; ebenso an die Gastwirte, es an nichts gebrechen zu lassen, ihre Gäste höflich und billig zu bedienen, „nicht zu gedenken von der Gelegenheit prositiren zu wollen“, auch von vor- sallenden Streitigkeiten und von der Anwesenheit verdächtiger Personen sofort den namentlich bezeichneten Viermännern Anzeige zu machen. Im Rathausc selbst walteten in dem Depot zwei würdige Bürger ihres Amtes, die angeschafften „vivres“ zu verteilen, drei derbe Mägde gingen den königlichen Köchen, die mittlerweile vorweg eingetroffen waren, zur Hand, und „ein gut aussehendes Bauernmädchen“ — so war befohlen, ich vermute aber, daß man dafür eine „Mamsell“, die in der Rechnung aufgcführt ist, untergeschoben hat, — versah den Dienst in der großen Ballstube des dritten Stockwerks, in der die Majestäten mit dem Prinzen und der Adjutantur zu Abend essen sollten. Der König hatte Tags zuvor mit seinem Bruder von Wernigerode aus bei sehr zweifelhaftem Wetter den Brocken bestiegen; das Wetter war aber immer schlechter und auch in der Nacht nicht besser geworden, so daß am 31. Morgens die Rückfahrt unter Nebel und Regen angetreten werden mußte. Deshalb wurde auch in Wernigerode kein längerer Aufenthalt genommen, sondern die Weiterreise mit der Königin sogleich über Elbingerode, Benneckenstein und Zorge nach Ellrich angetreten, wo sie nach 3 Uhr wohlbehalten eintrafen, an der Grenze der Grafschaft empfangen und ehrerbietigst begrüßt von dem Landrat und Ständedirector v. Arnstedt und dem Rittmeister v. Weither, als Vertretern des Adels der Grafschaft, an der Rathaustreppe aber von dem Magistrat und der Geistlichkeit. Der König äußerte sich den Magistratsmitgliedern gegenüber dahin, daß es ihm lieb sei, auch einmal nach Ellrich zu kommen; er habe schon vor zwei Jahren den Vorsatz gehabt, solches zu thun, es sei ihm aber nicht gelungen. Am andern Morgen beauftragte er den General v. Köckeritz, dem Magistrat seine allerhöchste Zufriedenheit über den Empfang und das Logis auszudrücken, gewährte huldreichst für die Armen der Stadt ein Geschenk von 10V Thlrn., dem die Königin noch 20 Thlr. hinzufügte, geruhte vor dem Einsteigen in den Wagen den zum Abschied erschienenen Vertretern der Ritterschaft und der Stadt jedem etwas Verbindliches zu sagen, ließ sich auch von dem anwesenden Oberforstmeister v. Hünerbein in einem Glase das Insekt zeigen, welches die Tannenwälder am Harze verheert hatte, unterhielt sich mit demselben darüber und sprach endlich, gleichsam zum Abschiede: „Nun, ich wünsche der Provinz (Grafschaft Hohnstein) ein gesegnetes Jahr. Nach so vielen schlechten Ernten, die Kummer und Armut herbeigeführt haben, wäre es nötig.“ Kurz und ehrlich, wie es seine Weise war. Der Kämmerer C. aber schließt das umfangreiche Aktenheft, das von der Durchreise der Majestäten und den tausenderlei Vorbereitungen handelt, deren es bedurfte, um es ihnen in dem alten Rathause ein wenig gemütlich zu machen, mit den Worten: „Den 31. Mai, nachmittags 3 Uhr, hatte die hiesige Stadt das große Glück, beide Königl. Preußischen Majestäten in ihren Mauern zu empfangen. Die höchsten Herrschaften nahmen nach Ihrer glücklichen Ankunft vorbemerkte Zimmer auf dem Rathausc ein und setzten Ihre Reise erst den andern Tag vormittags 10 Uhr nach Erfurt fort, nachdem Sie dem hiesigen Magistrat und der hiesigen Bürgerschaft die angenehmsten Beweise Ihrer Zufriedenheit-allergnädigst gegeben hatten.“ Ellrich während der BefreiungskriegeKurze Zeit darauf begannen die langjährigen Kämpfe gegen Kaiser Napoleon I. Bereits das Jahr 1806 zog unsere Stadt in die Kriegswirren hinein. A. Die Franzosen in EllrichDie verhängnisvollen Schlachten bei Jena und Auerstädt am 14. Oktober 1806 waren geschlagen. Dunkle Gerüchte von schweren Niederlagen des preußischen Heeres durchschwirrten die Luft und hatten ihren Weg über Nordhausen auch nach Ellrich gefunden. Man erzählte sich, daß der heldenmütige Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen, an den: glücklichen Ausgang des mangelhaft vorbereiteten Feldzuges gegen Napoleon verzweifelnd, bei Auerstädt den Tod gesucht und gefunden habe; der Oberbefehlshaber Herzog Ernst von Vraunschweig sei schwer verwundet, der König Friedrich Wilhelm III., der erst im vorangegangeneu Jahre mit der Königin Louise Ellrich mit seinem Besuche beehrt hatte, sei mit den Trümmern der geschlagenen Armee auf der Flucht. Patriotisch gesinnte Männer wollten das Unerhörte nicht glauben, daß Napoleon das für unüberwindlich gehaltene preußische Heer im ersten Anlauf niedergeworfen und die unverwelklichen, der Krone der Hohenzollern vererbten Lorbeeren Friedrichs des Großen mit einem Schlage entblättert habe. Nur zu bald ward jedoch die Schreckenskunde durch einzelne, der versprengten Armee vorauseilende Flüchtlinge bestätigt und bald tönten auch Kanonenschüsse aus der Gegend von Nordhausen herüber. Sie rührten von einem Gefecht her, durch das der die Nachhut führende General Blücher die schnell nachdringende französische Vorhut bei Nordhausen aufzuhalten suchte. An der Spitze seiner tapferen, aber der feindlichen Übermacht nicht gewachsenen Truppen ritt Blücher nicht lange darnach durch die Straßen Ellrichs und machte auf dem Markte Halt, um den ermüdeten Leuten und Pferden eine kurze Ruhe zu gönnen. Ein Steuerbeamter, der den Feldherrn erkannt hatte, eilte herbei und reichte ihm eine Flasche Wein. Der General setzte, ohne abzusteigen und ohne von dem mitgcreichten Glase Gebrauch zu machen, die Flasche an die durstigen Lippen, leerte sic mit einigen kräftigen Zügen, drückte dem Steuereinnehmer dankbar die Hand, ließ sich über die weitere Marschrichtung belehren und eilte sodann mit seiner Truppe, die engen Thüler und steilen Höhen des damals noch sehr unwegsamen Harzes zur Rechten lassend, eilends auf der freien Straße nach Walkenried und Scharzfeld weiter. Der Tag verging in banger Erwartung. Aus Nordhausen kamen Hiobsposten; man erzählte, daß die Franzosen dort schlimm gehaust, die Stadt geplündert, die Bewohner in den Häusern und auf den Straßen mißhandelt und dazu völlig unerschwingliche Leistungen an Geld und Lebensmitteln auferlrgt hätten. Solche in Ellrich von Haus zu Haus weiter getragenen Gerüchte waren allerdings nicht geeignet, die Bewohner der Stadt in Schlummer einzuwiegen. Am folgenden Tage rückten denn auch die von Marschall Soult befehligten Truppen in Ellrich ein. Bald waren alle Straßen angefüllt von massenhaft durchmarschierenden Truppen, und das Plündern und Erbrechen der Häuser begann; Lagerfeuer wurden mit zerschlagenen Hausthüren und Hausgerät unterhalten, und die Franzosen kochten und brieten, was ihnen in Stallung und Gehöften an Hühnern, Gänsen, Enten, Schweinen, Schafen und Ziegen in die Hände gefallen war; es gab in der ganzen Stadt wohl keine Hausthür, die nicht durch Kolbenschläge aufgesprengt, kaum ein Haus, das nicht in allen Ecken und Winkeln durchsucht und ausgeraubt worden war. Am schlimmsten hatten die völlig zuchtlosen Soldaten in vereinzelten an der Landstraße oder im Felde gelegenen Häusern und Gehöften gehaust; so hatte die sehr achtbare Familie Keferstein, welche die >/§ Stunde von Ellrich entfernte, am Wege nach Nordhausen dicht an dem schroffen Felsabhange des hohen Kammerforstes gelegene Papiermühle bewohnte, nur durch die schleunigste Flucht den höchst brutalen Mißhandlungen der Plünderer entrinnen können und mußte mehrere Tage und Nächte allen Entbehrungen preisgegeben in der Bergspalte sich verborgen halten. In ähnlicher Weise wüteten und plünderten die Soldaten in den umliegenden Ortschaften, bis sie endlich ihren Marsch fortsetzten und die Einwohner wieder aufatmen konnten. Die folgenden Jahre blieb Ellrich wieder von feindlichen Truppen verschont; da kam das Jahr, in dem Napoleons Macht auf den Eisfeldern Rußlands vernichtet wurde und die spärlichen Reste der stolzen Armee nach Frankreich heimeilten, verfolgt von den Kosacken des russischen Heeres, die auch unsere Stadt berührten. B. Die Kosacken in Ellrich im Frühjahr 1813Als das große Heer Napoleons auf den Eisfeldern Rußlands fast ganz vernichtet war und die kläglichen Überreste sich durch Deutschland nach Frankreich retteten, ertönte in Deutschland Heller Jubel, und jedermann sah die Stunde der Befreiung vom französischen Joche herangekommen. Russische Heere überschritten die preußische Grenze und, den geschlossenen Truppenmassen voraneilend, durchstreiften zahlreiche Kosacken- scharen auf ihren flüchtigen Rossen weithin das deutsche Laud. „Die Kosacken kommen,“ riefen eines Tages in der Woche vor Ostern auch in den Straßen Ellrichs die Leute voll freudiger Erregung einander zu. Jeder jauchzte laut auf und Jung und Alt wanderte rasch hinaus in die Wälder, um Immergrün, Schlangenblumen, Anemonen, Himmelsschlüssel und andere Kinder des Frühlings zu sammeln und damit die Häuser und Straßen für den Einzug der Kosacken zu schmücken. Noch höher schwoll der Jubel, als die Kunde eintraf, daß die Kosacken auf dem einige Stunden von Ellrich durch die Grafschaft Hohenstein sich hinziehenden breiten Bergrücken des „Schern“ eine ansehnliche Schar der „West- sälinger“, wie man König Jerome's Truppen nannte, und die sich dort verschanzt hatten, angegriffen und auseinandergesprengt hätten. An einem milden Frühjahrsmorgen, — es war Karfreitag und die Kirchenglocken batten soeben zur Passionsfeier gerufen, — ritten die rauhen Söhne des Urals und des Dons auf ihren struppigen Rossen durch das damals noch vorhandene hohe Nordhäuser Thor unter dem jubelnden Hurra der in Ai enge herzuströmenden Einwohner in Ellrich ein. Von einer Häuserreihe zur andern waren Guirlanden von Immergrün quer über die Straßen gezogen, und an den Thüren und Thoren der Häuser prangten dunkelgrüne Fichtenbäume und Zweige. Es war an diesem Tage ganz anders als 6^ Jahre früher, da beutegierige Franzosen die Hausthüren mit Kolbenschlägen zerschmetterten und die Bewohner ausplünderten und mißhandelten. Markt und Straßen waren bald von langbärtigen mit Säbel, Kantschu, Neiterpistolen und wuchtigen Lanzen bewehrten Männern angefüllt. Die Bürger des Städtchens beeilten sich, die willkommenen Fremdlinge in die Häuser zu führen und nach besten Kräften zu bewirten, wobei natürlich der stärkende Wutki nicht fehlte. Hierbei ergab sich freilich zu großem beiderseitigen Leidwesen eine zuvor nicht geahnte Schwierigkeit. Die Kosacken als Bekenner der griechisch-katholischen Kirche hatten gerade ihre Fastenzeit und durften kein Fleisch essen. Doch half man sich, so gut es gehen wollte, mit dem von Russen und Kosacken so sehr beliebten Sauerkohl mit Erbsen, Linsen, Bohnen, Kartoffeln u. s. w. besonders auch mit recht scharf gesalzenen Heringen, deren Lake, je schärfer sie auf Zunge und Gaumen brannte, desto lieber von den Gästen geschlürft wurde. — Sie hielten übrigens verhältnismäßig gute Manneszucht und gegen die Kinder ihrer Wirte erwiesen sie sich voll wahrhaft kindlicher Gutmütigkeit und Freundlichkeit und küßten und liebkosten sie zärtlich. In dieser Zeit kam in Deutschland auch das alte schöne Kosackenlied auf: „Schöne Minka ich muß scheiden! Ach, du suhlest nicht das Leiden, Fern aus freudeloser Heide, Fern zu sein von dir!“ Nach 4 Tagen der Ruhe im gastlichen Ellrich setzten die Kosacken ihren kühnen Streifzug weiter fort, von einer großen Menge der Einwohnerschaft eine Strecke freundlichst begleitet; sie schieden auf Nimmerwiedersehen. Mancher Bürger mochte auch im Stillen zufrieden sein, die einen sehr gesunden Appetit entwickelnden Gäste und ihre stets hungrigen Pferde nicht länger abfüttern zu brauchen. Aber die eigentlichen schlimmen Folgen des viertägigen Kosackenbe- suches ließen nicht lange auf sich warten. Auf der Königl. westfälischen Unterpräfektur Nordhausen sowie bei den höchsten staatlichen Behörden in Kassel war es sehr übel vermerkt worden, wie die guten Leute in Ellrich es so ganz und gar hatten vergessen können, daß sie immer noch die Unterthanen des „lustigen Königs“ Jerome waren. Der westfälische General Wolfs erhielt den Befehl, an der Spitze eines ansehnlichen Heeresteiles, im Volksmunde die „Löffelgarde“ genannt, Ellrich unnachsichtlich zu züchtigen, auszuplündern und die Stadtbehörde, sowie alle diejenigen Einwohner, welche bei dem warmen Empfange der Kosacken sich besonders hervorgethan hatten, zu verhaften und zur strenge,n Verantwortung zu ziehen. Die Heeresabteilung rückte auch in sehr drohender Haltung in das erschreckte Ellrich ein. Nun war guter Rat teuer. Der General, auf Grund des ihm gewordenen Auftrages unumschränkter Herr über die seiner Gewalt bedingungslos unterworfene Stadt, leitete die strengste Untersuchung ein. Mehrere Bürger wurden in Göttingen, dem Sitze des Generalkommissariats der Polizei für das Leine- und Harzdepartement, vernommen; zwei sogar in dem Kastell zu Kassel mehrere Wochen lang gefangen gehalten. Die Stadt selbst hatte sodann seitens des Generals das Schlimmste zu befürchten. Eine neue Auflage der schreckensvollen, nach der unglücklichen Schlacht bei Jena und Auerstädt im Oktober 1806 durch die Franzosen erlittenen, von Gewaltthaten aller Art begleiteten Plünderung stand in Aussicht, doch gelang es zur rechten Zeit, das schwere Ungewitter von der durch viele Mißgeschicke bereits heimgesuchteu Stadt abzuwenden. Die dringenden Vorstellungen des Magistrats, unterstützt von zwei um Ellrichs Wohlfahrt hochverdienten Männern, dem Oberpfarrer Reidemeister und dem Postdirektor Demontant, besänftigten endlich den Zorn des Generals Wolff, in dessen Seele wohl auch eine immer deutlichere Vorahnung von dem Zusammenbruch der französischen Gewaltherrschaft aufdämmern mochte, und nach langen peinlichen Verhandlungen sagte er die Begnadigung der Stadt zu unter der Bedingung, daß seine Truppen seitens der Einwohnerschaft bestens gespeist und auch für ihren weiteren Vormarsch mit Lebensmitteln versorgt würden. Hoch aufatmend und erfreut ob dieser „gnädigen Strafe“ brachten denn auch die Ellricher Bürger alles, was die eß- und trinklustigen Kosacken an Vorräten übrig gelassen hatten, auf den Marktplatz und die Straßen, wo die französischen Truppen sich gelagert hatten, und dankten Gott, als diese endlich auf Nimmerwiedersehen zu dem Thore hinausmarschiert waren. Was General Wolfs, als er sich zur Milderung des Strafverfahrens gegen Ellrich herbeiließ, geahnt und in kluge Berechnung gezogen haben mochte, und was alle Patrioten ersehnt, erstrebt hatten: Der Zusammenbruch der westfälischen Mißwirtschaft erfolgte dann auch bereits nach einigen Monaten, indem ein kühner Streifzug des russischen Generals Czernitchef und seiner Kosacken der verschwenderischen Kasseler Hofhaltung ein jähes Ende machte. Am Nachmittag des 18. Oktobers 1813 wanderte ganz Ellrich durch das damals noch stehende Nordhäuser- und Wernaische Thor hinaus auf die große Hospitalwiese. Dort legten die Leute das Ohr auf das Gras und gruben Löcher, um den gewaltigen Geschützdonner der dreitägigen Völkerschlacht bei Leipzig, von deren Beginn man trotz der damals höchst mangelhaften Verkehrsanstalten bereits Nachricht hatte, zu hören. Die nächsten Tage brachten der laut aufjubelnden Einwohnerschaft die gewisse Kunde, daß in dem mehrtägigen, verzweifelten Kampfe der entscheidende Sieg der verbündeten Heere doch endlich errungen war. ' Als Napoleon im Jahre 1813 niedergeworfen war, ergriff überall Begeisterung die Bewohner Deutschlands, Alt und Jung griff zur Wehr, um sich für kommende Kriege zu rüsten, Landwehr und Landsturm wurden allerorten gebildet, und auch Ellrich ließ es nicht an seinem Teile fehlen. Über das interessante Leben und Treiben in dieser Zeit handelt der folgende Abschnitt. C. Der Ellricher Landsturm vom Jahre 1814Nach Auflösung des Jeromeschen Regiments im Herbst 1813 waren die verbündeten Mächte einen Augenblick unschlüssig, ob sie das Königreich Westfalen in seinen bisherigen Grenzen vor der Hand als ein Ganzes fortbestehen oder die einzelnen Teile, aus denen es gebildet war, sogleich zu ihrer früheren Selbständigkeit oder Zugehörigkeit zurückkehren lassen sollten. Man entschied sich bald für das letztere, und zwar vorzüglich aus dem Grunde, weil man zum Behufe der neuen militärischen Einrichtungen, die nicht aufgeschoben werden konnten, den alten Provinzialgeist wieder erwecken und zu benutzen suchen mußte. Auch entsprach diese Maßregel ganz den Wünschen der großen Masse des Volkes. Man hatte in den vergangenen sieben Jahren so viel Neues und darunter so wenig Erfreuliches erlebt, daß man sich sehnte, zum alten Curs zurückzukehren und, so ungemütlich es auch nachmals z. B. in Hessen wurde, unter den angestammten Fürsten ein geruhiges und stilles Leben zu führen nach der Väter Brauch. Man hatte, wie Jmmermann (Memorabilien) sagt, eine Zeit lang „in einem teuren und dabei schlechten Gasthofe zusammengewohnt, auch wohl Gasthofsbekanntschaften gemacht“, niemals aber sich wohl und heimisch darin gefühlt oder gar aus diesem Zusammenwohnen den Geschmack für eine größere Zusammengehörigkeit, für ein zu einigendes Deutschland gewonnen, sondern verfolgte nur den einen Gedanken, mit dieser ganzen Wirtschaft so bald als möglich aufzuräumen. So trennten sich Preußen, Hannoveraner, Braunschweiger, Hessen und allerhand Niedersachsen, wie sie bisher im Königreich Westfalen zusammengewohnt hatten, um ein jeder an seinem Teile in der besonderen Heimat für diesen Zweck thätig zu sein. Nach einer Bekanntmachung des Generals von Krusemark, Königlich Preußischen Militär-Gouverneurs der „Unterelbischen“ Provinzen, vom 30. Oktober 1813, sollten bis auf weitere Anordnung alle Civil- und Ortsobrigkeiten in ihren Funktionen verbleiben, der Lauf der Justiz nicht unterbrochen und die Zivil-Administrationen fortgesetzt werden wie unter Westfälischer Verfassung. Wer dem Könige von Preußen den vorgeschriebenen Eid leistete, worin er besonders gelobte, jeder Hinneigung und Parteinahme für das französische Wesen sich zu enthalten, der blieb zunächst in seinem Amte. So geschah es nun auch im bisherigen Canton Ellrich. Die Erlasse wegen Abschaffung der Westfälischen Dienstsiegel und Amtskleidungen vom 18. resp. 22. November 1813 z. B. sind noch von der Unter- präsektur in Nordhausen an die Cantonmaires gerichtet, doch unterläßt der Ellricher Cantonmaire Coler in seiner Antwort schon, sich noch als solcher zu unterschreiben. Am 28. November aber unterzeichnet er als „Kreisamtmann“, und somit hatte für ihn wenigstens das Provisorium aufgehört. Dagegen fungierte noch am 1. December der bisherige Unter- präfect von Nordhausen als „provisorischer Landrath“, machte aber bald darauf dem Herrn v. Arnstedt als wirklichem Landrat Platz. Der Kreisamtmann Coler wurde zugleich Bürgermeister von Ellrich, seine Mairie- Adjunkten wieder Ratmänner der Stadt, die Ortsmaires aber Schulzen. Das Cantonverhältnis löste sich in ein Kreisverhältnis auf. Walkenried und Zorge schieden, weil sie an Braunschweig zurückfielen, aus dem bisherigen Verbände aus. Es dauerte jedoch noch eine geraume Zeit, bis der nach der langen Unterbrechung von neuem aufgenommene Geschäftsbetrieb nach preußischem Muster wieder in gehörigen Gang kam, und es bedurfte dazu manchen Donnerwetters des Herrn v. Arnstedt, welches pflichtschuldigst der Kreisamtmann auf die Schulzen des Kreises ablud. Vor allem aber mußte, um diese Provinzen ihrer Wiedergeburt entgegenzusühren, der freiere Hauch, der in Preußen, „dem Vaterlande der Tugend“, wie es wohl genannt wurde, schon bald nach dem Sturze seine Schwingen entfaltet und Wunder gewirkt hatte, auch hier den „glimmenden Funken in dampfender Asche“ zur Hellen Flamme entfachen. Unter dem westfälischen Regiment war eigentlich jedes Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten erloschen; jedes Haus war nur für sich da. In Preußen hingegen war „Alles darauf angelegt, jedem Bürger die Sache des Vaterlandes als die eigene Sache erscheinen zu lassen und ihn dadurch mit bereiter Opferwilligkeit für den bevorstehenden heiligen Krieg zu erfüllen“. (v. Sybel.) Und diese Anregung und Aufgabe hatte der König den Bewohnern der ehemaligen, durch den Tilsiter Frieden abgetretenen preußischen Provinzen schon in seinem Aufrufe vom 6. April 1813 gestellt, in welchem er sie aufforderte, sich mit seinem „geliebten Volke“ zu vereinigen zu gleicher Arbeit, zu gleichen Gefahren, aber auch zu gleichem Lohn und gleichem Ruhm. „Schließt“, so lauten die Worte des Aufrufs weiter, „Eure Jünglinge an meine Krieger, die jüngst den Ruhm der preußischen Waffen aufs neue bewährt haben. Ergreift das Schwert, bildet Eure Landwehr und Euren Landsturm nach dem Beispiel Eurer hochherzigen Brüder, die ich mit gerechtem Stolz meine Unterthanen nenne.“ Als dieser Aufruf am 27. November 1813 erneuert wurde, da fiel er eigentlich schon in di? Zeit der Ernte, die er im Frühjahr selbst vorbereitet hatte. Eine Provinz suchte es der andern zuvorzuthnn, und auch eine so arme, wie die Grafschaft Hohnstein, ließ es an Opferwilligkeit nicht fehlen. Für die Verhältnisse der Stadt Ellrich kommen hierbei hauptsächlich in Betracht: Die Bildung des Landsturmes, die Gestellung von Freiwilligen und deren Ausrüstung auf Kosten der Einzelnen oder der Genieinden, die Gründung von Fraucnvereinen zur Lieferung von Kleidung und Wäsche für die Krieger, endlich die Sammlung von Geld, Pretiosen und dergl. zur Pflege der Verwundeten und zur Unterstützung der Witwen und Waisen der Gefallenen. Die Errichtung des Landsturmes, rcsp. der Bürgerkompagnien gehörte zum Ressort der Landesdirection, deren Sitz für das Harzdepartement damals in Heiligenstadt war. Unter ihr standen in den Kreis- Hauptstädten die „Kommissionen zur Organisation des Bürgermilitärs“, deren Förderung sich der Landesdirektor Gebel ganz besonders angelegen sein ließ. Uns, die wir in der Landwehr von heute eine rein militärische Mannschaft und zwar im engsten Anschluß an die Linie zu sehen gewöhnt sind, und die wir uns auch den Landsturm der Zukunft nach dem von der neuesten Gesetzgebung ausgestellten Entwurf als eine Institution denken müssen, die ihre Ausrüstung allein vom Staate erhalten soll, fällt vor allein der ganz verschiedene Charakter beider auf, wie sie ihn 1813 hatten und für die nächstfolgende Zeit bewahrten. Das einzige verbindende Glied zwischen der Linie und Landwehr bildeten (nach Treitschke) die dem kommandierenden General der Linie untergeordneten Landwehr-Inspekteure, je einer in jedem Regierungsbezirk, und der Landsturin stand nur unter Civilbeamtc», den obengenannten Landesdirectoren. Die Regierung erließ wohl betreffs seiner allgemeine Verordnungen, mischte sich aber weder 3 in seine Organisation, noch in seine Verwaltung. Während die Landwehr sich mit Unterstützung der Kreisstünde bewaffnete, rüsteten sich die Landsturmmänner nur aus eigenen Mitteln oder höchstens unter Beihilfe der Gemeinde aus. Ein reiches Material an Mannschaften stand der Organisation des Landsturmes zu Gebote. Die Liste der Landsturmmänner in der „Untercommandantur“ Ellrich weist im März 1814 ungefähr vierhundert Personen auf. Es sind darin alle Einwohner von fünfzehn bis sechzig Jahren enthalten, soweit sie nicht zur Zeit im Heere dienten oder wegen körperlicher Gebrechen dienstuntauglich waren. Männer über sechzig Jahre, die sich in der Liste finden, z. B. der Polizeikommissarius Moldenhauer, werden als „Freiwillige“ bezeichnet. Aus diesen Mannschaften bilden sich nun die sogen. Bürgerkompagnien. Da der Dienst in denselben Ehrensache ist, so finden keine Befreiungen statt, und als der Districts - Kontrolleur El. in Nordhausen, übrigens als großer Franzosenfreund männiglich bekannt, den ihm untergebenen Ellricher Steuerbeamten verbietet, an den Erercitien der Bürgerkompagnien fernerhin teilzunehmen, indem er sich' fälschlich ans eine Verordnung des Landesdirectors beruft, worin nur gesagt war, daß die Steuerbeamten nicht gezwungen werden könnten, in die Bürgerkompagnien einzutreten, wird er auf seitens der Hauptleute derselben erhobene Beschwerde gebührend abgefertigt. Weil darin auch hervorgehoben war, daß jene Männer aus reinem Patriotismus sich freiwillig zum Dienst in den Kompagnien gemeldet hätten, und daß es eine bloße Anmaßung des El. wäre, die dahin ziele, „diese Officianten zu einer besonderen Kaste im Staate zu stempeln“ und hinzugefügt war, daß dies „seinem wenig patriotischen Sinne kitzle“, so wird ihm bedeutet, daß, wenn er sich künftig unterfangen sollte, in Verwaltungssachen getroffenen Verfügungen entgegenzutreten, der Landes- director ihn als einen Aufwiegler vor Gericht stellen werde. Seine dem vorigen Gouvernement bewiesene große Anhänglichkeit sei dem Landesdirektor wohl bekannt; sollte er fähig sein, sie im Herzen weiter zu hegen, so möge das zu seinem eigenen Wohlgefallen geschehen, er dürfe sie aber nicht in Thaten übergehen lassen, welche der preußischen Verfassung und dem Geiste der ächten preußischen Verwaltung entgegen seien. Dieser Fall zeigt, wie im allgemeinen das Verhältnis der Beamten zu dem geleisteten Eide und insonderheit zum Landsturin aufgefaßt wurde. Eine andere Frage scheint sich wegen Heranziehung der Landleute zum Landsturm erhoben zu haben. Weil ihre „hergebrachte Lebensweise sich so wenig dafür eignet und besonders in der Gewohnheit der älteren Leute sich so manches Hindernis findet“, so wurden, um die Ausbildung der jüngeren Mannschaften nicht auszuhalten, beim Landvolke alle über vierzig Jahre alten Männer beurlaubt. Da jener Grund bei den Einwohnern der Städte, die sich schon früher zu Schützengesellschaften vereinigt hatten, wegfällt, so findet bei ihnen natürlich diese Beurlaubung keine Anwendung, noch weniger bei den Offizieren und Unteroffizieren des Landsturms, weil sie ja besonders gewählt wurden. So hatte der Gedanke der allgemeinen Verpflichtung, im Landsturm zu dienen, an der minderen Intelligenz der älteren Landleute eine Schranke gefunden. Auch hinsichtlich der aus dem Feldzuge zurückgekehrten jungen Leute wurde unter Berücksichtigung der Kosten, die sie schon durch ihre Equipierung gehabt, und weil sie doch nur für kurze Zeit sich in der Heimat aushielten, um sich dann ihrem eigentlichen Berufe, z. B. dem Studium, wieder zuzuwenden, eine Ausnahme zu machen, vorgeschlagen. Nach der Entscheidung des Militär-Gouvernements sollen sie als dem stehenden Heere zugehörig angesehen und deshalb nicht zum Dienst im Bürgermilitär herangezogen werden. Betrachten wir nun die Kompagnien, die aus der nach den Listen vorhandenen Mannschaft der Stadt gebildet sind, so tritt uns sogleich ein recht bürgerliches, um nicht zu sagen spießbürgerliches, Moment entgegen. Es mag ja von Hause aus nicht gewollt und gewünscht worden sein, aber es ist doch so; sie thun sich nach Vermögensklassen zusammen, oder genauer, nach dem Grade ihrer Fähigkeit und Willigkeit sich auszurüsten. Die Landesdirektoren strebten danach, etwas zustande zu bringen, je eher und fester, um so besser. Da der Landsturmmann sich aus eigenen Mitteln ausrüsten sollte, so sprach auch bald der Ehrgeiz ein Wort mit, und die liebe Eitelkeit that wirklich Wunder. Schon am 12. März 1814 wurde in Ellrich eine Elite- oder Schützenkomgagnie errichtet. Sie bestand ziemlich genau aus denselben Männern, die in der Liste als „mit Feuergewehr bewaffnet“ aufgeführt sind Ihr sollte nach einer Verfügung vorn 24. März „wegen der von der Stadt stets bewiesenen patriotischen Gesinnung“ «erstattet sein, die früher geführte Fahne auch als Schützenkompagnie des Landsturins weiter zu führen. Zu ihrem Hauptmann wurde der Kreisamtmann Coler ernannt; unter ihm befehligten als Lieutenants der Ökonom Gottfried Buse und der Kreiseinnehmer Karl Höfer, ein paar stattliche Offiziere, jeder 11 Zoll messend, der elftere deshalb auch wohl zum Unterschiede von anderen seines Namens „der lange Buse“ genannt. Es gehörten zu ihr außerdem ein Feldwebel, neun Unteroffiziere, achtundsechzig Gemeine, elf Hoboisten und ein Tambour. Die Mehrzahl der übrigen Bürger war mit Piken bewaffnet, nach der ersten Aufzeichnung fünf sogar nur mit Heugabeln; frühere Kavalleristen führten auch wohl noch ihren Säbel. Aus diesen Leuten wurde nun eine zweite Bürgerkompagnie gebildet und später noch eine dritte, von der es in einer Verfügung des Kommandanten, des Oberamtmann Wallmann in Woffleben, heißt, sie brauche nicht uniformiert zu sein. Sobald dann das Unvermögen eines Mannes der ersten und zweiten Kompagnie sich herausstellte, die vorgeschriebenc Uniform zu beschaffen, so mußte derselbe in die dritte versetzt werden. Die Uniformfrage verursachte überhaupt anfangs die meisten Schwierigkeiten. Nicht bloß, daß man die Nichtuniforinirten in eine be- 3* sondere Kompagnie steckte, man hatte auch den Fall vorgesehen, daß Hindernisse eintreten könnten, die Uniform gerade so, wie verlangt wurde, anzuschaffen. Es sollten dann Vorstellungen bei den Behörden erhoben und Änderungen beantragt werden können. Als im Mai 1814 die Kompagnie des Hauptmanns Moldenhauer, die zweite, wohl in regem Wetteifer mit der Schützenkompagnie, um die Erlaubnis eingekommen war, schwarze Federbüsche, dieses Abzeichen der „Bürgergarde“, tragen zu dürfen, wurde ihr dies nur unter der ausdrücklichen Bedingung gestattet, daß jeder, der einen solchen tragen wolle, auch im übrigen völlig uniformiert und bewaffnet sein müsse. Ja sogar mit den Offizieren muß es in dieser Hinsicht gehapert haben, da sie unterm 21. März ermahnt werden, sich selbst recht bald mit der vorgeschriebenen Uniform zu versehen. Die preußische Verwaltung hatte sich entschieden ihren Landsturm sehr schmuck gedacht. Der Uniformrock der Gemeinen in den Bürgerkompagnien sollte eine dunkelblaue, in den Schützenkompagnien eine dunkelgrüne Litevka sein, derjenige der Offiziere von derselben Grundfarbe, außerdem aber mit einer Reihe vergoldeter Knöpfe besetzt, mit grünem resp. hellgrünem Kragen und eben solchen sogen, englischen Aufschlägen, mit drei Knöpfen versehen und so gemacht sein, daß die Weste darunter nicht zu sehen wäre. Weite graue Beinkleider gingen bis über die Stiefel, waren an den äußeren Seiten mit schmalen grünen Streifen besetzt, und im Sommer war es erlaubt, statt ihrer Nanking-Beinkleider zu tragen. Die Achselklappen waren bei den Schützen und der Kavallerie, z. B. der in Nordhausen grün, bei den andern blau, außerdem nach der Verschiedenheit des Grades mit goldenen Tressen besetzt. Am Czako trugen sämtliche Mannschaften eine schwarze Kokarde mit weißer Einfassung, „jedoch nicht von Silber“, ganz so wie beim Militär, die Schützen außerdem grüne Federbüsche. Der Säbel wurde an einem schwarzen Bandelier, das über die Schulter ging, getragen, und daran war vom Hauptmann abwärts zu besserer Unterscheidung oben die Nummer der Kompagnie angebracht. Bei Offizieren höherer Grade kamen dann am Kragen noch goldgestickte Litzen hinzu. Das wäre, wenn überall und gleichmäßig durchgesührt, ganz herrlich gewesen, und man sieht's auch oft ans Bildern so. Tuch- und Militär- effekten-Händler, auch die Schneider wären dabei jedenfalls reiche Leute geworden! Mehr im Geiste Scharnhorsts war das Exerzier-Reglement, knapp und kurz, auf das Notwendigste sich beschränkend. Den „Herren Unteroffizieren, die den Dienst schon verstehen“, wurde anbefohlen, die Leute vorerst nach erlernter Stellung und Haltung des Körpers die Wendungen „rechts- und linksum“, dann „links um kehrt euch“, alles „ohne zu treten“, machen zu lassen. „Dann wird einzeln marschiert, damit sie Tritt halten lernen, darauf in Gliedern, und wenn sie dies können, wird rechts und links geschwenkt; sodann kommt der Sturmschritt. Sobald unsere Landsturmmänner dieses Exercitium begriffen haben, so wollen wir sogleich zur Führung der Waffen greifen“. So lautet die Instruktion des Kommandanten vom 31. März 1814. Alle acht, auch wohl alle vierzehn Tage sollten am Sonntag, gewöhnlich von 2 Uhr ab, die Kompagnien ein paar Stunden nach diesem Reglement einexerziert, ihnen auch jedesmal die Kriegsartikel deutlich vorgelesen werden, die im „Katechismus für den Deutschen Kriegs- und Landwehrmann“ abgedruckt waren. Es wurde den Unteroffizieren empfohlen, aus den übersandten beiden Exemplaren Abschrift davon zu nehmen, um ihre Korporalschaften auf Einzelheiten aufmerksam machen zu können, also eine Art Jnstruktionsstunde abzuhalten. „Wer sich weiter dafür interessiere und das Geld dazu habe, der möge sich an die Kunst- und Industrie- Handlung des Dr. Vogler in Halberstadt wenden.“ Doch ist man damit anfangs wohl sehr zurückhaltend gewesen; denn als im Juni der ersten Kompagnie, der Elite, vom Buchhändler Dölle in Heiligenstadt ein Exemplar des Katechismus zum Geschenk überreicht wird, da bekommt der Feldwebel vom Hauptmann den Befehl, dasselbe in der Kompagnie zirkulieren und der Reihe nach lesen zu lassen. Von der Regelmäßigkeit, Pünktlichkeit und Genauigkeit des Dienstes, wie er beim Militär gehandhabt wurde, war natürlich bei den Übungen des Landsturmes nicht die Rede. Bei sehr schlechtem Wetter ließen die Hauptleute selbstverständlich das Exerzieren ganz ausfallen; doch versäumte man wenigstens nicht, dem Kommandanten davon Anzeige zu machen, wenn diese auch selten an demselben. Tage erfolgte. Im Herbst 1814 wurden, wohl wegen der Ernte, die Übungen eine Zeitlang ganz ausgesetzt und erst durch hohe Verfügung vom 23. Oktober wieder ausgenommen, mit dem Bedeuten von seiten des Kommandanten, daß, wenn nicht unabänderliche Hindernisse einträten, der Ausfall derselben ihm wenigstens am Tage vorher angezeigt werden müßte. Es ist zu Anfang auch vorgekommen, daß die loyalen Bürger, wenn sie in Reih und Glied standen, von solchen belästigt wurden, die sich bis dahin noch vom Dienst ferngehalten harten. Durch den Feldwebel beschwerten sie sich deshalb schriftlich beim Hauptmann: es müsse einem jeden dienstthuenden Bürger unangenehm sein, zu sehen, wie jene Menschen bei Dienstverrichtungen beiher gingen und vielleicht gar noch spotteten. „Jene Menschen“ werden darauf bei Namen genannt und ihre Vorladung beantragt. Unter ihnen befindet sich auch der Referendar Schm., eine in damaliger Zeit sehr bekannte, schon durch ihr Äußeres auffallende Persönlichkeit. Die auf diese Weise Angerufenen scheinen, wenn sie nicht gerade invalide waren, vielleicht zur Strafe bei der dritten Kompagnie untergebracht worden zu sein. Um solchen Entziehungen und dadurch entstehenden Mißhelligkeiten ein für allemal vorzubeugen, und um überhaupt den Bestand jeder Kompagnie genau festzustellen, wurde im Juni 1814 durch Zirkular anbefohlen, für jedes Quartal eine genaue Liste ihrer Mannschaften einzureichen und darin auch alle diejenigen jungen Leute aufzunehmen, die in dem vorhergehenden Jahr das fünfzehnte Lebensjahr vollendet haben würden. Zu diesem Zwecke sollten sich die Feldwebel der Ellricher Compagnien von dem Cantor Fischer einen Auszug aus dem Kirchenbuche geben lassen und mit Hilfe desselben die Stammrollen berichtigen. Eine am 14. März 1814 vom Militär-Gouvernement zu Halberstadt ergangene Verordnung betrifft weiter, achtzehn Artikel umfassend, die Vergehungen und Strafen bei den Bürgerkompagnien. Kleinere Exerzier- und Dienstfehler, Unregelmäßigkeiten im Anzuge usw. können durch Nachexerzieren und Strafwachen sofort durch den Kompagnie-Chef geahndet werden. Das Dienstvergehen des Ungehorsams wird mit Geldbuße oder Hausarrest, beim drittenmale erst mit Gefängnis bestraft, das der Insubordination hingegen kann nie mit Geld gebüßt werden; es tritt beim erstenmale Hausarrest, bei Wiederholung eine steigende Gefängnisstrafe ein. Fälle von Widersetzlichkeit gegen den Vorgesetzten oder gar Drohen mit den Waffen werden mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis vier Wochen, wenn sie aber in Verbrechen ausarten, nach den Grundsätzen des Kriminalrechts bestraft und vor dem kompetenten Gericht entschieden, doch so, daß beim Erkenntnis das Dienstvergehen mit berücksichtigt werden muß. Bei beharrlichem Ungehorsam oder Widerstand gegen die Dienstbefehle des Vorgesetzten und bei versuchter Aufwiegelung vor versammelter Truppe ist der Kommandierende berechtigt, den Betreffenden auf der Stelle arretieren und zum Polizei-Arrest abführen zu lassen. Wer zum Dienst beordert, im Falle eigener Behinderung die Stellung eines Vertreters — die also zulässig war — versäumt, hat außer der Strafe für das Vergehen auch die Kosten für den angenommenen Stellvertreter zu tragen, und wer den über ihn verhängten Hausarrest nicht antritt oder sich daraus entfernt, kommt auf ebensolange ins Gefängnis und erleidet außerdem eine besondere Strafe wegen des neuen Vergehens. Zu den Offizieren hat man das Vertrauen, daß bei etwaigen Vergehen ihrerseits ein erteilter Verweis in den meisten Fällen seinen Zweck nicht verfehlen werde; bei ihnen gilt also der Hausarrest schon als eine strengere Strafe. Wer von ihnen den Arrest-Ort verläßt, macht sich einer Wortbrüchigkeit schuldig und verliert damit die Fähigkeit, Offizier zu bleiben. Dasselbe gilt auch für die Feldwebel. Bei öfterer Wiederholung des gleichen Dienstvergehens tritt für beide Rangstufen mehrtägiger Haus- Arrest oder Gefängnis bis zu vier Wochen und Verlust der Stellung ein. Doch hört damit ihre Verpflichtung nicht auf, in Person oder durch Stellvertretung in Reih und Glied des Bügermilitärs weiter Dienste zu thun. Im übrigen sollte mit dieser Verordnung keine für sich bestehende Gerichtsbarkeit des Landsturmes geschaffen werden. Wenn daher das Vergehen von solcher Beschaffenheit ist, daß die darauf stehende Strafe die gewöhnliche Grenze der Polizeistrafe, also vier Wochen Gefängnis oder 40 Thaler Geldbuße übersteigt, so ist Untersuchung und Erkenntnis Sache der Kriminalgerichte; nur im entgegengesetzten Falle geschieht Untersuchung und Urteilssprechung von dem jedesmaligen Standgericht oder, wie es gewöhnlich genannt wird, „Polizei-Direktorium der Kommandantur“, z. B. der Ellricher. Die Anklage wird in diesem letzteren Falle von einem Offizier oder auch vom Feldwebel der Kompagnie erhoben, das Urteil aber vom Polizei- Direktorium gefällt. Dieses besteht aus dem Kommandanten und zwei Hauptleuteu. Bei der Abmessung der Strafe laßt man gern Milderungsgründe gelten, begnügt sich in leichteren Fällen auch mit einer Abbitte. Wenn ans vierundzwaiizigstündigcn Arrest erkannt ist, läßt man denselben wohl am Sonntag absitzen, was für die Ellricher um so bequemer war, als sich das Arrestlokal für die ganze Kommandantur in der Stadt selbst befand. Im ersten Jahre ist wenig von Bestrafungen die Rede; man war nachsichtig, um den Bürgern die Lust am Exerzieren nicht zu verleiden und zunächst etwas zustande zu bringen. Im allgemeinen herrschte ein großer Wetteifer zwischen den Städten, welche von ihnen am ehesten die neue Institution bei sich eingeführt und fertig gestellt habe» würde. Schon am 9. April 1814, als die Nachricht eingetroffen war, daß die verbündeten Heere nach einem glänzenden Siege in die Hauptstadt Frankreichs eingezogen wären, konnte der Landsturm Ellrichs zum ersten Male in seiner Gesamtheit vor die Öffentlichkeit treten. Der Kreisamtmaun Coler hatte die Siegesnachricht den Schulzen seines Kreises schon durch expresse Boten und der Stadt durch öffentlichen Ausruf und das Läuten der Glocken bekannt machen lassen. Zu gleicher Zeit war dem Lieutenant Niemann der Auftrag erteilt worden, die Kanonen auf dem Frauenberg lösen zu lassen. Erhaltener Ordre gemäß traten dann die Kompagnien auf ihren Sammelplätzen zusammen und zogen von da nach dem Marktplatz, um „im Kreise unter freiem Himmel ein Iscksum“ zu singen. Der ganz besonderen Gunst des Landesdnektors erfreute sich, wie wir gesehen, die Schützenkompagnie des Landsturmes, und so wurde es ihr möglich, schon im Mai 1814 einen Beweis ihrer wiedergewvnnenen Bravour zu geben. Da sie im Grunde nur die frühere Schützengesellschaft repräsentierte, gedachte sie das während der Franzosenherrschast unterbliebene Freischießen nun wieder aufzunehmen und damit zugleich das Andenken an den 31. Mai zu feiern, an dem vor neun Jahren die Ellricher das Glück gehabt hatten, das Königspaar in ihren Mauern zu begrüßen. Darin lag für die Schützen Anlaß genug, sich in der voran- gchendenden Zeit tüchtig im Exerzieren und Schießen zu üben, um mit Ehren als „wieder freie Menschen und glückliche Preußen“ auf dem Plane zu erscheinen. Um der patriotischen Bedeutung des Tages noch einen solennen Ausdruck zu geben, beschloß man, für Se. Majestät den König ein Los mitschießcn zu lassen. Den Schuß für Allerhöchstdenselben übertrug man dem Premierlieutenant Buse. Dieser that auch den besten Schuß in die Scheibe, und somit war der König von Preußen zugleich Schützenkönig von Ellrich. Der Sitte gemäß wurde nach beendetem Freischießen der Schützenkönig von der Bürgerschaft nach der Stadt geleitet: diemal in höchstehrenvoller Vertretung des Königs der Hauptmann der Schützenkompagnie, Kreisamtmann Coler, „ein — wie es in der gleich zu erwähnenden Eingäbe heißt — in der verflossenen unglücklichen Periode treu gebliebener alter Diener des Königs“. Der mit dem Königsschussc verbundene Gewinn, ein silberner Becher, wurde mit einer ehrfurchtsvollen Eingabe, worin die Repräsentanten der Stadt an den Besuch des Königs und der Königin, an die traurige westfälische Zeit und an das Glück der Wiedervereinigung mit Preußen erinnern und wegen der Freiheit, die sie sich genommen, um Entschuldigung bitten, am 3. Juli nach Berlin gesandt. Unter dem 16. August erfolgte darauf ein sehr gnädiges Antwortschreiben des Königs mit dessen eigenhändiger Unterschrift, in dem er seine Wertschätzung der Gesinnung treuer Anhänglichkeit ausspricht und für den übersandten Preis dankt. „Ich will aber“, so fährt er fort, „denselben dem p. Buse nicht entziehen und sende ihn mit der anliegenden Medaille zurück, welche derselbe zum Andenken tragen soll“. Der 31. Mai ist dann auch lange Zeit als Tag des Freischießens festgehalten und so alljährlich das Andenken an die Anwesenheit der Majestäten erneuert worden. Zwei Monate später wurde das Bürgermilitär Ellrichs vom Landesdirektor zur Beiwohnung einer Besitzergreifung herangezogen. Derselbe hatte seinen Besuch zu Sonntag, den 31. Juli, durch das folgende an den Kreisamtmann gerichtete, für die Ellricher höchst schmeichelhafte Schreiben angemeldet. „Schon längst war es mein Wunsch, der Stadt Ellrich, die sich von jeher durch guten Willen, Aufopferung und treue Anhänglichkeit an das Haus Preußen ausgezeichnet hat, zu besuchen und ihr meine lebhafte Anerkennung zu teil werden zu lassen; indeß bin ich fortdauernd durch andere Geschäfte daran verhindert worden. Endlich kann ich diesem sehnlichen Wunsche meines Herzens Genüge leisten, und so hoffe ich, mich künftigen Sonntag gegen Mittag in der Mitte der von mir so geachteten Ellricher Einwohner zu befinden. Ich werde am Morgen die beiden Ortschaften Neuhosf und Wiedigshofs (für Preußen) in Besitz nehmen und ersuche Sie deshalb, von den Schützen einen Unteroffizier und zehn Mann Bewaffnete an die Grenze zu stellen — ich werde von Stöckey herüberkommen und zuerst nach Nenhoff gehen —, um mit mir einzuziehen und der Besitznahme beiznwohnen. Nachmittags 2 Uhr will ich dann die Bürgerkompagnien Ellrichs besichtigen und abends bis Gerade zurückkehren.“ Auch noch höhere Vorgesetzte blieben der Stadt nicht ganz fern. Schon am 16. Mai hatte der Gouverneur, General von Ebra, über sämtliche Schützen- und Bürgerkompagnien seines Bezirks Revue halten wollen und versprochen, „Se. Majestät den König von diesem Beweis echter Vaterlandsliebe“ in Kenntnis zu setzen. Ob er nun gerade damals auch Ellrich besucht hat, ist nicht recht ersichtlich; wohl aber wurden zum 3. August, dem Geburtstage des Königs früh 5^ Uhr die drei Kompagnien nach Woffleben bestellt, wo sich damals die Gouverneure von Ebra und von Klewitz beim Kommandanten Wallmann znm Besuch und wahrscheinlich auch zur Inspizierung des Bürgermilitärs eingefunden hatten. Mit der Revue seines Bataillons gedachte der Kommandant zur Feier des Tages einen Feldgotiesdienst zu verbinden und ersuchte deshalb die Hauptleute zu veranstalten, daß die Mannschaft mit Gesangbüchern versehen sei. Über den Verlauf beider kann der Verfasser leider nichts berichten, da der, durch den er Kunde davon haben könnte, an jenem Tage durch häusliches Leid verhindert war, daran teilzunchmen. In der zweiten Hälfte des Jahres kehrten doppelte Trauer und mannigfache Sorgen in der Familie des Kreisamtmanns Coler ein, und am 3. Dezember erlag er selbst nach kurzer Krankheit dem Typhus, der damals in der Stadt schon manches Opfer gefordert hatte. In freundlicher und zugleich dankbarer Erinnerung an die treue Mitarbeit des Verstorbenen an der Organisation des Landsturms und besonders der Ellricher Bügerkompagnie» und in der Voraussetzung, daß diese letzteren von denselben Gefühlen beseelt seien, ordnete ihm der Kommandant ein feierliches Leichenbegängnis an. Er selbst begleitete die Leiche zum Grabe, und die Kompagnien, die sich vor der Wohnung des Hauptmanns Moldenhauer versammelt hatten und von da nach dem Sterbehause gezogen waren, schlossen sich, die Offiziere und ein großer Teil der Mannschaften in Trauerschmuck, dem Kommandanten an. Im Frühjahr 1815 erscheint Zucht und Ordnung stark gelockert und der Eifer im Exerzieren sehr abgekühlt. Nach der trägen Ruhe des Winters mag den Landsturmmännern das Exerzitium nicht recht bchagt haben, sie meinten wohl gar die Wendungen, Schwenkungen und Griffe schon sx kunckainento zu verstehen. Doch brachte hierin das Wiedererscheinen Napoleons auf der Bildfläche neues Leben und neuen Eifer. In mehreren schnell aufeinander folgenden, an den provisorischen Kreisamtmann Moldenhauer, den nunmehrigen Hauptmann der ersten Kompagnie gerichteten Schreiben geht der Kommandant Wallmann gegen die ciugerissenen Unordnungen vor. Es ist ihm sicherlich rechter Ernst, aber er bleibt dabei höchst maßvoll im Ausdruck. Es will ihm bedünken, „daß von seiten der Herren Kapitäns doch nicht mehr der Eifer gezeigt werde“, wie er ihn „im vergangenen Jahre zu beinerkcn das Vergnügen gehabt habe“. Als er an einem sehr schönen Frühlingstage nach Ellrich hinüber geritten sei, um dem Exerzieren beizuwohnen, habe er nur einen der Herren Lieutenants mit seinen Mannschaften bei der Arbeit, die Herren Bürger der übrigen Kompagnien indessen spazieren gehend gefunden. Und so wären noch mehrere Sonntage in dem neuen Jahre geeignet gewesen, „die Übungen ohne Beschwerde und Umvetter fortzusetzcn“. Sic waren aber nicht benutzt worden und im Frühjahr 1815 war der Ellricher Landsturm so wenig vorbereitet, daß eine zum „dritte» Ostertage“ beabsichtigte Zusammenziehung und Parade der ganzen Kommandantur unterbleiben mußte. Der Kommandant klagt weiter, daß er seine bisherige Bitte nicht erfüllt gesehen habe, ihm, wenn aus irgend einem Grunde die Übungen ausfallen oder nicht zur gewöhnlichen Zeit abgehalten werden sollten, davon entweder Tags vorher schriftlich oder wenigstens am Sonntag früh „per Ordonnanz“ Nachricht zn geben. Er findet es ferner nicht allein sehr auffallend, sondern es berührt ihn unangenehm, als ihn bei der betreffenden Kompagnie sehr kompromittirend, daß ein zu vierundzwanzig- stündiger Gefängnisstrafe verurteilter Landwehrmann aus Hochstedt von dem Kapitän Moldenhauer eigenmächtig vor Abbüßung der Strafe aus dem Arrestlokal in Ellrich entlassen worden sei. Dem ersten dieser Vorwürfe, dem der Unthätigkeit, war das Offizierkorps des Ellricher Landsturmes schon zuvorgekommeu. In einer Gesamt- Vorstellung an den Kommandanten hatte es den Vorschlag gemacht, die erwähnte Parade auf den „dritten Pfingstfeicrtag“ zu verlegen. Der Grund für den Ausfall der Übungen an einigen Frühlings - Sonntagen sei nicht der vorgeworfcue „geringere Eifer“ für die Sache des Landsturms, sondern die Rücksichtnahme auf das Interesse der Bürger gewesen. Noch wären sie entschlossen, den einmal erworbenen Ruhm festzuhalten und auch fernerhin zu bewahren. Weil jedoch die Ellricher Kompagnien zum größten Teil aus Handwerkern beständen — Schneider, Schuster und Leineweber werden besonders genannt —, die vor dem Osterfeste gern etwas verdienen mochten und deshalb auch Sonntags „an der Arbeit klebten“, so dürfe man durch zu scharfes Herannehmen zum Landsturmdieust diese Leute nicht mißmütig machen, zumal sie für Patronentaschen und Seitengewehre starke Ausgaben gehabt Hütten, zu deren Wiedergewinnung man ihnen die Gelegenheit nicht nehmen dürfe. Um den Vorstclleuden einen Beweis zu geben, wie gern er „ihren Wünschen nachzukommen sich bestrebe“, verschob der Kommandant das große Exerzieren bis Pfingsten, erwartete von ihnen nun aber einen „um so größeren Trieb“, auch seine Wünsche zu erfüllen. Dem Vorwurfe, die vorgeschriebeueu Meldungen unterlassen zu haben, begegnen sie mit dem Einwande, daß nach dein Absterben des Kapitäns Coler keiner von ihnen gewußt Hütte, wer die Anzeige zu erstatten habe. Wer trug da die Schuld? In Bezug auf die Freigabe des Hochstedtcr Landsturmmanncs ist der Bürgermeister Moldeuhauer der allein Beschuldigte. Er wehrt sich seiner Haut, so gut er kann. Nicht gegen den Kommandanten, so führt er aus, sondern gegen den früheren Friedensrichter Wchmuth sei die Spitze der Freigabe gerichtet gewesen. Dieser habe sich angemaßt, über das Ellricher Gefängnis zu verfügen, indem er dem Gefaugenwärter A. die Anweisung zur Aufnahme des Landsturmmannes gegeben, während doch alle Welt wisse, daß die Friedensgerichte nach Aufhören der westfälischen Regierung aufgehoben seien und das Gefängnis jetzt dem Land- und Stadtgericht unterstehe, das dem Kommandanten die Mitbenutzung für seine Gefangenen eingcräumt habe. Der Gerichtsdirektor Höfer, den er deshalb um Rat gefragt, sei derselben Meinung gewesen. Der gute Moldenhauer übersah dabei, daß der betreffende Landsturmmann dem Friedensrichter vom Stellvertreter des Kommandanten zugeschickt war; dieser aber hatte seinerseits die Veränderung der politischen Verhältnisse nicht gehörig berücksichtigt. Lllriasos mrrros psssatrrr extra st Intra. Um aber diesem Schriftwechsel alle Bitterkeit zu nehmen und einen befriedigenden Abschluß zu geben, ladet schließlich der Kommandant den Bürgermeister ein, ihn doch bei dem herrlichen Frühlingswettcr einmal zu besuchen; es lasse sich dann noch manches mit mehr Gemütsruhe besprechen. Wir wissen nicht, ob das geschehen ist, wohl aber ist der Kommandant mehr als sonst in Ellrich zu den Übungen erschienen und hat denn auch wohl, „um sich zu üben“, das Kommando selbst übernommen. Er fand bei dieser Gelegenheit noch manches auszusetzen. So waren bei der einen Kompagnie am Übungstage 40, sage vierzig Mann beurlaubt, und ein andermal trifft er die Herren Ünteroffiziere auf dem Exerzierplätze noch mit Stöcken anstatt mit Gewehren. Er tadelt im ersten Falle die Nachgiebigkeit der Hauptleute, die dahin führen müsse, die Trägheit und Schlaffheit der schlechten Elemente zu fördern und den Eifer der besseren abzukühlen und bestimmt, daß'bei jeder Kompagnie höchstens zehn Mann beurlaubt werden dürfen; im zweiten Falle weist er darauf hin, daß das Tragen von Stöcken dem bestehenden preußischen Reglement zuwider sei und macht die Hauptleute dafür verantwortlich, daß auch in dieser Beziehung der Wille des Königs befolgt werde. Jedoch mit Höflichkeit und Nachsicht kam er allein nicht aus. Er glaubte es auch einmal wieder mit der Strenge des Standgerichts versuchen zu sollen und bestimmte zur Abhaltung desselben den ersten eines jeden Monats. Als cs am 1. Mai zum erstenmalc im Jahre 1815 wieder zusammentrat, lag ihm eine ganze Reihe von Vergehen vor, die bei Gelegenheit einer kurz vorher nach Wernigerode bei Stöckey unternommenen Expedition vorgefallen waren. Wenn schon auf dem Exerzierplätze allerlei Ordnungswidrigkeiten stattgefunden hatten, so konnte man bei der größeren Freiheit eines Übungsmarsches erst recht darauf gefaßt sein. Im Gasthause zu Mackenrode, wo man Rast gemacht hatte, war dem Getränk tüchtig zugesprochen worden, und die Gemüter hatten sich erhitzt. Die Tambours der ersten Kompagnie, Gebrüder Sander, waren von dem Gefreiten Siebert „Tambvurjungen“ geschimpft worden, sie gingen diesem darauf zu Leibe, und es wäre zu einer regulären Prügelei gekommen, wenn der Feldwebel Köhler nicht energisch dazwischen getreten wäre. Allerdings trug ihm dies auch wieder grobe Redensarten von den beiden Brüdern ein, derentwegen er sie nun beim Standgericht verklagte, doch ließ er sich im Termin durch ihre Abbitte zufriedenstellen. Auf dem Hinmärsche schon war in der Nähe von Walkenried der Landsturmmann Panse, der eben eine schwere Krankheit überftanden hatte, wegen Übermüdung, aber ohne sich gemeldet zu haben, aus Reih und Glied getreten und zurückgeblieben; er wurde mit Rücksicht auf seinen noch leidenden Zustand nur zu 8 Ggr. Strafe verurteilt. Nach Schluß der Expedition hatten sich die Tambours S. noch nicht beruhigt, sondern um 11 Uhr nachts und zwar in „Montur und Seitengewehr“ auf der sog. Kolonie argen Unfug verübt. Sie erhielten ebenso wie ihr Komplize Jäger drei Tage Gefängnis. Der Gast- und Schützenwirt Linsel hatte die ganze Übung versäumt, ohne Urlaub genommen zu haben; er gab vor, die Trommel nicht gehört zu haben und erwartete, da der betreffende Tambour nicht zur Hand war, um als Sachverständiger vernommen werden zu können, seine Aburteilung im nächsten Termine. Übertretungen wie die eben erwähnten und ähnliche sind gewiß in allen Bürgerkompagnien des Landes vorgekvmmen, und der Bürgersinn der Beisitzer des Standgerichts sorgte in den meisten Fällen dafür, daß die Schuldigen nicht zu streng bestraft wurden. Schärfer scheint die Disziplin in den ländlichen Kompagnien ge- handhabt worden zu sein. Sv läßt der Brigadier von Hagen in Mackenrode den zu drei Tagen Haft verurteilten Landsturmmann Lewin nach dem Ellricher Gefängnis bringen und giebt dem Gefängniswärter die Weisung: wenn er einen Raum „mit Latten“ habe, den Lewin darauf erst zwei Tage und den Rest im gewöhnlichen Arrest absitzen zu lassen. Gegen gröbere außerdienstlich Vergehungen der Landsturmmänner richteten sich einzelne Verfügungen des Militärgouvernements. Weil irgendwo Mannschaften des Landsturms „sich so weit vergessen hatten, die ehrenvoll zur Verteidigung des Vaterlandes verliehenen Waffen zur Beschützung eines bedeutenden Holzdicbstahls“ zu mißbrauchen, so wird hinfort allen das Tragen der Waffen außer dem Dienste untersagt. Das Königliche Landes - Direktorium macht cs den Hauptleuten zur Pflicht, über die Beachtung dieser Verfügungen zu wachen und will sich in Übcrtrctungsfällen nur an sie halten, indem es ihre Sache sei, sich so an ihre Untergebenen zu halten, daß eine Übertretung durchaus unmöglich werde. Die armen Hanptleute! Man batte im Winter 1814/15 vielfach Landsturmmänner zum Transportieren von gefangenen Verbrechern, z. B. Deserteuren, nach den betr. Strafanstalten resp. Festungen gebraucht. Es war dabei vorgekommen, daß die Transportierten unterwegs bei sich bietender Gelegenheit die irgend entbehrlichen Kleidungsstücke veräußert, für den Erlös Branntwein gekauft und den sic begleitenden „unbefangenen“ Landsturmmännern so tapfer zugetrunken hatten, daß diese zur Bewachung geradezu untauglich geworden waren und sie hatten entspringen lassen. Diesem „fast überall“ eingeschlichenen Übelstande energisch entgcgcnzulreten, wurde den Kommandanten die schärfste Kontrolle solcher Transportierungen zur Pflicht gemacht, und soweit Landsturmmänner dabei beteiligt waren, nahm der Landcsdirektor die Oberleitung der Sache selbst in die Hände. Doch waren nicht bloß diese unbefangenen Leute, sondern auch altgediente Gendarmen der Arglist jener „verschmitzten“ Menschen zum Opfer gefallen. Als im April 1815 die politischen Zustände wieder unsicherer wurden und man besonders die Beunruhigung und Verfügung der Bevölkerung durch Emissäre fürchten mußte, wurden zur Überwachung des Frenidenverkehrs auch die Thorwachen wieder eingeführt. Jedes Thor wurde täglich mit drei Mann Wache besetzt, die sich alle zwei Stunden auf Posten ablösten. Sowohl die Wachtmannschaften als auch der Offizier äu jour mußten in Uniform erscheinen. Die durchpassierenden Fremden wurden nach einer dazu erteilten Instruktion am Eingangs- und Ausgangsthor examiniert und, wenn nötig, auch der Polizei zu weiteren Maßnahmen zur Anzeige gebracht. Eine Liste derselben wurde täglich au den diensthabenden Offizier, von diesem wöchentlich summarisch an den Kommandanten und endlich von diesem monatlich an den Landesdirektor eingereicht. Diese Maßregeln erinnerten lebhaft an die westfälische Regierung und besonders an das Jahr 1809; echt Preußisch aber waren die Honneurs, die den durchreisenden Offizieren vom General bis zum Lieutenant durch die Wachtmannschaften erwiesen werden mußten. Innerhalb eines Jahres war so der Dienst des Landsturms durch allerlei Entlehnungen vom Militär und von der Polizei erweitert und durch verschiedene Verordnungen bedeutend verschärft worden. Von den sonntäglichen Übungen auf dem Exerzierplätze war man zu einem mehrstündigen, über das Weichbild der Stadt weit hinaus sich erstreckenden Übungsmarsch gelangt: außer dem Wachtdicnst an den Thoren hatte man Gefangene zu transportieren; nach der Feier des Einzuges in Paris und des Königs Geburtstag, bei welchen Gelegenheiten die Ellricher Kompagnien vereint anftraten, waren sie am „dritten“ Pfingstfeiertage 1815 auch zu einer größeren Parade im Bataillon zusammengezvgcn worden und hatten endlich, freilich nur durch eine kleine Zahl -vertreten, einer Besitznahme beigcwohnt. Es war eine wunderbare Schöpfung, dieser Landsturm des Jahres 1814, gewissermaßen ein Nachhall der allgemeinen Erregung von 1813; nach den „blutig großen“ Opfern dieses Jahres ein unblutiges, aber doch immerhin ein Opfer. Keine Kleinigkeit war es, die große Masse der Bürger und Landleute zu dieser Leistung heranzubringen. Der westfälischen Regierung, die so manches möglich gemacht hatte, war es 1809 nicht gelungen, auf deutschem Boden eine Nationalgarde (Bürgermiliz) nach französischem Muster zustande zu bringe», jetzt vollbrachte der Patriotismus das Werk. Immer aber klebten diesem die demokratischen Spuren seines Ursprungs an. Als im Anfang der Bewegung gegen Frankreich dem Könige von Preußen die Bildung einer Bürgeriniliz vorgeschlagen worden war, hatte er sie als französische Einrichtung verworfen; im Jahre 1813 forderte er selbst zur Bildung des Landsturms auf. Im Jahre 1848 enthielt eine ähnliche Institution, die sogen. Bürgerwehr, teilweise dem Staate sehr gefährliche Elemente, die Landsturmmünncr von 1814 waren lauter Patrioten. In dieser Gesinnung reihte sich der fünfzehnjährige Mutwille an den „Freiwilligen“ in grauem Haar, der Arme, der nur eine Pike oder eine Heugabel sein nennen konnte, an den besser Situierten mit „Büchse, Schwert und Roß“, der Lehrling und Geselle standen in demselben Gliede mit ihrem Meister, der Pascher und Wilddieb, natürlich nur inkognito, neben dem Steueroffizianten und Förster. Sie brachten alle dem Vatcr- laude gerade das Opfer, das sie bringen konnten, und thaten auch wohl noch ein übriges. Die Ruhe des Sonntagnachmittags entbehrten sie alle gleichmäßig. Manche Arbeit, mancher Gang und damit vielleicht verbundener Verdienst mußten versäumt, manche liebgewvrdene Gewohnheit aufgegeben und dafür eine den meisten ungewohnte Übung und Dienstverrichtung übernommen werden. Besonders schwere Pflichten und Verantwortungen ruhten auf einzelnen der Offiziere. Es war natürlich, daß bei Besetzung der Offizierstellen die Wahl sich meist solchen Männern zuwandte, die schon längere Zeit in Ansehen bei der Bevölkerung gestanden nnd deren Vertrauen genossen hatten, und für sie war es nun wieder Ehrenpflicht, die Wahl nicht nur anzunehmen, sondern auch die damit verbundenen Arbeiten gewissenhaft auszuführen. Nur mit Hülfe seines jüngeren Sohnes, der eben die Klosterschule Ilfeld verlassen hatte und am liebsten gleich seinem älteren Bruder ins Feld gezogen wäre, war es dem neunundfünfzig- jährigen Kreisamtmann Coler möglich gewesen, neben seinen Amtsgeschäften auch noch die Arbeiten für die Organisation des Ellricher Landsturms zu übernehmen, und sein Nachfolger, der noch ältere Moldenhauer, antwortet auf die Einladung des Kommandanten, ihn zu besuchen, mit dem Seufzer: „Ich geplagter Mensch darf mich ja nur selten aus Ellrich wagen, da ich ganz allein für alle Geschäfte verantwortlich bin.“ Dem Oberamtmann Wallmann erlaubten seine Verhältnisse freilich, ein würdiger und auch liebenswürdiger Befehlshaber zu sein und, wenn der Schreibarbeit ja einmal zu viel wurde, sich an seinen Sekretär und Stellvertreter zu halten. Allen diesen Bemühungen für die gemeinsame Sache, mochten sie dem Einzelnen mehr oder weniger Mühe machen, leuchtete das Beispiel des Landesdirektors Gebet voran. Sein mit wahrer Humanität gepaarter Eifer hatte das Beste zum Zustandekommen und zur weiteren gedeihlichen Entwickelung des Bürgermilitärs im Harzdepartement gethan, aber er erkannte auch gern und offen den guten Willen der Bevölkerung an. Als im Frühjahr 1816 die Landesdirektion in Heiligenstadt aufgelöst wurde und deren Geschäfte an die Negierung in Erfurt übergingen, richtete er an die Organisations-Kommissionen seines Bezirks ein Schreiben voll Dankes für ihre opferwillige Unterstützung und erhält von ihnen hinwiederum die Versicherung „unbegrenzter Anhänglichkeit und Ergebenheit“ an seine Person und die Sache, die er vertreten. Gleichzeitig bezeugt er „den ehrenvollen Standpunkt“, auf dem sich das Bürgermilitär zur Zeit befinde und verweist die Kommissionen für die Zukunft in allen auf die Organisation und die polizeilichen Verhältnisse desselben bezüglichen Angelegenheiten an die Regierung in Erfurt, in allen rein militärischen aber an den kommandierenden General des Herzogtums Sachsen, de» General Grafen v. Kleist-Nollendorf. So weit die dem Verfasser über die Geschichte des Landsturms in Ellrich zu Gebote stehende» Akten. Wer noch Genaueres über einzelne Verhältnisse und Persönlichkeiten desselben, z. B. die Jnstruktionsstunden, die der spätere Bürgermeister B. von seinem Feldwebel erhält, sowie über die Plaudereien auf den verschiedenen Wachtstuben erfahren möchte, den verweist der Verfasser auf die betreffenden Schilderungen in dem Peter- schen Roman „Der Nachtwächter von Ellrich.“ — Unter den patriotischen Leistungen jener Jahre steht die Bildung des Landsturms in der vordersten Reihe, und es thut ihrem Werte keinen Abbruch, daß sie nicht ganz freiwillig war. Sie figuriert gerade deshalb auch nicht auf der Liste der „Anerbietungen, Entsagungen, Beiträge und sonstigen Aufopferungen“, die auf Befehl der Negierung zuerst für die Zeit bis zum Friedensschluß am 30. Mai 1814, dann aber für das Jahr 1815 und endlich, noch einmal alles zusammenfassend, im Februar 1817 zusammengestellt wurde, um durch den Druck veröffentlicht und zu einem Ehrendenkmal der Nation benutzt zu werden. Drei Kategorien von Leistungen — wenn bei Thaten der Vaterlandsund Menschenliebe überhaupt von Kategorien gesprochen werden kann — wurden damals aufgestellt. Alan unterschied solche, die 1. zur Verstärkung der Kgl. Armee, 2. zur Verpflegung der Truppen und 3. zur Bestreitung der Geldbedürfnisse des Staates geschehen waren. Es war inmitten und nach der Not und Sorge des Krieges keine geringe Arbeit, welche die General - Ordens - Kommission den städtischen resp. den Kreis- Behörden auferlegte: das einschlägige Material zu sammeln und unter die vorgeschriebenen Rubriken zn bringen, außerdem zu einzelnen Leistungen die nötigen und gewünschten Erläuterungen zu geben und hervorragend edle, der Regierung bisher unbekannt gebliebene Thaten dem Könige zur Auszeichnung zu empfehlen. Für die linkselbischen Provinzen Preußens war das Militürgonvernement zu Halberstadt mit der Durchführung der ersten Enguste betraut, Ende September 1814 war dieselbe im großen und ganzen beendet. In einer Kabinets - Ordre vom 19. März 1815 aus Wien, wo er sich dgmals des Kongresses wegen aufhielt, lobt der König die Zweckmäßigkeit der vom Gouvernement entworfenen Übersicht; er hat daraus ersehen, daß die Provinzen zwischen Elbe und Weser besonders viel für die allgemeine Sache geleistet haben und freut sich, daß sie seinem Staate wieder angehören; er dankt ihnen für ihre Opferfreudigkeit und gleichzeitig dein Gouvernement für dessen mühevolle Arbeit. Indem dieses nun die Ordre zur öffentlichen Kenntnis bringt, knüpft es daran den Ausdruck der Hoffnung, daß nach so großen Opfern und Anstrengungen ein langer und dauerhafter Friede folgen werde. Doch schon pochte der Krieg wieder an die Pforten Deutschlands, und wieder mußten diese unglücklichen Provinzen, die seit zehn Jahren aus der Kriegsnot nicht herausgekommen waren, womöglich noch größere Opfer bringen als vorher. Fassen wir nach dem vorliegenden summarischen Verzeichnis vom Frühjahr 1817 in kurzen Umrissen zusammen, was von einer der kleinsten Städte Preußens in den Jahren 1813—15 an freiwilligen Gaben gespendet wurde, so brauchen wir uns nicht nach obigen Kategorien zu richten. Schon im November 1813 hatte sich in Ellrich ein Mädchenverein gebildet, dem 1815 ein Frauenverein folgte. Beide hatten die Unterstützung und Pflege der Berrvundeten zum Zweck und lieferten selbstgearbeitete Wäschestücke, wie Hemden und Strümpfe, auch den Erlös für verkaufte Gegenstände an die Lazarette, z. B. das in Halberstadt. Der erstgenannte Verein war durch die Fräulein Wilhelmine Eichholtz und Rosette Schulze gestiftet, der letztere durch Frau Gerichtsdirektor Höfer. Denselben Zweck verfolgten Sammlungen einzelner Personen, darunter vor allen die einer Frau Dr. Nedders, Vorsteherin einer weiblichen Bildungsanstalt von elf Personen, die innerhalb ihres Instituts sammelte und einen Teil des Ertrages an das Lazarett in Halle ablieferte, den größeren aber für den Landwehrbildungs - Fonds bestimmte. Durch Bewilligung aus der Kämmerei-Kasse, durch Geschenke einzelner Bürger und Korporationen, z. B. der Brauergilde der Stadt, durch Haussammlungen unter der Bürgerschaft und Kirchenkollekten kamen im Laufe des Krieges über 2000 Thlr. zusammen. Sie fanden teils unmittelbare Verwendung, teils gelangten sie durch Vermittelung von Vertrauenspersonen an auswärtige Sammelstellen zu den verschiedensten Zwecken. So gab man inkl. 40 Lth. Silber und 1 Decher Kalbsfelle 364 Thlr. zur Errichtung des Elb - Landwehr - Bataillons. Für die Verwundeten in der Schlacht bei Leipzig wurden 126 Thlr. an den Landesdirektor Gebel, für die in der Schlacht am Montmartre 46 Thlr., welche am Gedenktage dieses Sieges durch die Offiziere des Landsturms gesammelt waren, an den Superintendenten Kämpsfer in Groß-Wechsungen geschickt. Zur Bekleidung von in Ellrich ausgehobenen Soldaten bewilligte die Kämmerei-Kasse 127 Thlr., zur Unterstützung der Frauen und Kinder der ins Feld Gerückten brachte die Bürgerschaft bis zuni 30. Mai 1814 über 303 Thlr. zusammen. Beigesteuert wurde aber auch noch zu anderen Zwecken, zur Musik des vierten Elb-Landwehr-Infanterieregiments, zur Aufhttlfe von durch den Krieg verheerten Gegenden, wie Danzig, Küstrin und Glogau, für das Luisenstift zum Besten erblindeter Krieger, eine unter dein Protektorate der Prinzeß Wilhelm stehende Stiftung, endlich auch noch für die Verwundeten bei Belle-Alliance. Unstreitig das größte Opfer brachten jedoch die Eltern der Freiwilligen oder diese selbst, wenn sie mündig und im Besitz eigenen Vermögens waren. Gleich nach der Schlacht bei Leipzig und im weiteren Verlaufe des Krieges bis 1815 stellten sich aus Ellrich im ganzen siebenundvierzig Freiwillige unter die Fahnen. Sie cquipicrten sich ganz aus eigenen Mitteln und traten, der ersten sich bietenden Gelegenheit folgend, teils bei den reitenden v. Hellwig'schcn Jägern, als diese durch Nordhausen zogen, oder als Husaren beim Elb-National- und zweiten Schlesischen Regiment ein, teils als Jäger zu Fuß bei dem Gaskow'schen Freikorps oder bei Pommerschen und Schlesischen Regimentern. Ein zur Nachahmung reizendes Beispiel hatten gleich zu Anfang der aus Ellrich stammende Postsekretär Ernst Schulze in Nordhauseil und der Rektor Karl Friedrich Jacobi in Benneckenstein, damals zum Kreise Ellrich gehörig, gegeben. Sie gaben ihre Stellung auf, rüsteten trotz geringen Vermögens sich selbst aus und schlossen sich den Hellwig'schen Jägern an. In dem Verzeichnis der freiwillig gemachten Aufopferungen vom 12. September 1814 wird unter der Rubrik der „ausgezeichnetsten Handlungen“ noch dieser beiden Jünglinge Erwähnung gethan, in der Liste vom 27. Januar 1817 sind sie vergessen. Nach einem im Amtsblatt der Erfurter Regierung aufgestellten Kostenanschläge von 1816 wurde die Ausrüstung eines freiwilligen Kavalleristen zu 179'/g, die eines Jägers zu Fuß zu 43'/^ Thlr. berechnet, sodaß Ellrich in dieser Beziehung allein eine Aufwendung von 4058 Thlr. gemacht hatte. Die Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben aber balancierte in der abschließenden Rechnung vom 27. Januar 1817 mit 6196^/,- Thlr. Und das leistete eine kleine Stadt von 2500 Einwohnern, nachdem sie sieben Jahre unter dem politischen Druck und dem Aussauge-Srfftem der westfälischen Regierung geseufzt hatte. Gleichsam um die Erinnerung daran los zu werden, legten ein paar Bürger derselben zwei Obligationen der westfälischen Anleihe ä 150 Frks., die damals zusammen einen ungefähren Wert von 391/2 Thlr. repräsentierten, aus dem Altäre des Vaterlandes nieder. Nicht aber, um die Stadt wegen ihrer freiwilligen Gaben etwa besonders zu rühmen, sind obige Mitteilungen gemacht worden, denn jene Zeit war reich an edlen Thaten, sondern um diese an einem einzelnen Beispiel zu illustrieren und dem etwaigen Vergessenwerden zu entreißen. Wie eine befreiende und reinigende That wirkte überhaupt in den linkselbischen Provinzen diese allgemeine Opferfreudigkeit gegenüber dem selbstischen, nur auf das eigene Wohl und den eigenen Vorteil bedachten Wesen, wie es unter dem französischen Regiment gepflegt worden war. Es war wirklich so, wie E. M. Arndt in seinem Katechismus sagte: „Wir leben in merkwürdigen und gewaltigen Zeiten, wo Gott mit seinem Weltgericht sichtbar über die Erde hinwandelt, und wo ein jeglicher berufen ist, durch edle Arbeiten und herrliche Gefahren darzuthun, ob er zu den Verworfenen oder zu den Redlichen gehört.“ Nicht nur diese Scheidung der Spreu vom Weizen vollzog sich; es wurde auch auf das allergünstigste der Boden vorbereitet, auf dem die Stein'sche Gesetzgebung gedeihen konnte, die ohne „Selbstthätigkeit, Eifer und Liebe für die Gemeinde und ohne Aufopferungsfähigkeit“ nicht zu denken ist. Jahrzehnte des Friedens und der Ruhe folgten den vielen Kriegsjahren, nur unterbrochen durch die Revolutions-Jahre 1830 und 1848, in denen der von Frankreich herübergekommene Freiheitstaumel auch in Deutschland um sich griff. Das Jahr 1830 ließ Ellrich ruhig, aber die Ereignisse in dem Herzogtum Braunschweig spielten auch nach unserm Städtchen herüber. Der aus seinem Lande vertriebene Herzog von Braunschweig kam auf seiner Flucht durch Ellricher Gebiet, und da ereignete sich folgende Episode, über die Augenzeugen berichten: Herzog Carl von Braunschweig in Ellrich (29. und 30. November 1830)Am 6. und 7. September 1830 brach in Braunschweig ein Aufstand aus, der die Vertreibung des Herzogs Karl zur Folge hatte, der durch seine Habgier, durch willkürliche Gewaltthaten und ungerechte Verfolgung pflichttreuer Beamten, sowie durch zügellose Ausschweifungen sich seinem Volke verhaßt gemacht hatte. Auf seiner Flucht berührte er die Stadt Ellrich und quartierte sich in dem Schützenhause ein. Bald war ganz Ellrich auf den Beinen und eilte hinaus, den Gast zu sehen. Der Plan des Herzogs war, von hier die sehr nahe braunschweigische Grenze wieder zu überschreiten und mit Hülfe der ihm getreu Gebliebenen sein verloren gegangenes Land wieder zu gewinnen. Er hatte Proklamationen drucken lassen mit der Überschrift: „An meine getreuen Braunschweiger“, die er aus dem Fenster seines Zimmers im Schützenhause auf die unten versammelte Menge hinabwarf. In der Proklamation ermahnte er seine Unterthanen, die Anstifter des gegen ihn angezettelten Aufruhrs fortzujagen und zum Gehorsam gegen ihn, den einzigen rechtmäßigen Herrn, zurückzukehren. Sehr weitgehende Verheißungen bildeten den Schluß des Aufrufs. Am Abend desselben Tages waren alle Fenster des Schützenhauses hell erleuchtet; auf dem vorliegenden, freien Platze hatte sich eine stets wachsende Menge Einheimischer und aus den Nachbarorten herbeigeströmter Fremder angesammelt, auch der Saal des oberen Stockwerks war mit Schaulustigen gefüllt. Nicht lange, so rückte auch die Ellricher Stadtkapelle, von dem alten Stadtmusikus Meinecke geführt, in den Saal und begann, dem erlauchten Gaste zu Ehren, flott auszuspielen: Rossini's Othello - Ouvertüre, dann den Einzugsmarsch der Verbündeten in Paris vom Jahre 1814, worauf andere rauschende Märsche und lustige Tänze folgten. Der Herzog erschien in langem, dunklem Gehrock in dem Saale und sprach seinen Dank aus. Da entwickelte sich eine tragikomische Scene. Vier behäbige Ellricher Bürger, unter ihnen Meister Hillenhagen, umstanden, in einer Hand ein brennendes Talglicht, in der andern die unvermeidliche Tabakspfeife haltend, als freiwillige Leib- und Ehrengarde den Herzog, an welchen mit zunehmender Dreistigkeit Braunschweigische „Landeskinder“ aus den Nachbarorten unter vielen tiefen Bücklingen, meistens mit allerlei persönlichen Anliegen und Wünschen, sich herandrängten. Einer derselben überreichte ein Schriftstück, wahrscheinlich ein von der zuständigen Behörde abgewiesenes Gesuch. Der Herzog entgegnete nach einem flüchtigen Einblick: „Aber ich sehe ja hier gar nicht, was Sie eigentlich wollen, eigentlich wollen. Die erste Seite ist ja nicht da, ist ja nicht da!“ (Der Herzog hatte die eigenartige Gewohnheit, die letzten Worte eines von ihm gesprochenen Satzes zu wiederholen). In der That war der erste halbe, den eigentlichen Gegenstand des Gesuchs bezeichnende Bogen abgerissen, und nur der zweite Halbbogen mit wenigen unerheblichen Schlußworten, Datum und Unterschrift befand sich in des Herzogs Händen. Nach einigen fruchtlosen Versuchen, sich mit dem anscheinend angetrunkenen Bittsteller zu verständigen, unterschrieb der Herzog das Papier mit den Worten: „Nun, ich will's genehmigen, wenn sie (die Braunschweigischen Behörden) es respektiren, respektiren!“ Alle diese stetig sich mehrenden, immer dreisteren Begrüßungen, Ansprachen und Zumutungen seitens „getreuer“ Unterthanen, sowie die „landesherrlichen“ Audienzen und Bescheidungen wurden wie eine unterhaltende Operette neueren Zuschnitts dem schaulustigen Publikum des Schützenhaussaals vorgeführt und von den buntscheckigen Weisen des auf der Saaltribüne nunmehr sitzenden Stadtmusikchors bald zutreffend, bald wie die Faust auf's Auge passend, unermüdlich begleitet. Der dunkle Novemberabend war schon ziemlich weit vorgerückt, als die herzoglichen Audienzen durch ein von dem Vorplatze des Schützenhauses heraufschallendes lautes „Hurrah!“ und „Hoch!“ plötzlich unterbrochen wurden. Eine große Schar mit weißen Kitteln bekleideter Männer war gekommen, deren Sprecher abermals rief: „Unser allerdurchlauchtigster Herr Herzog Karl lebe hoch! hoch! hoch!“ und das Musikchor, den Moment schnell erfassend, ließ einen rauschenden Tusch dazu ertönen. Der Herzog und alle im Saale Anwesenden horchten überrascht auf. Es waren Männer aus Hohegeiß, welche ihrem Fürsten diese Kundgebung ihrer Unterthanentreue darbrachten. Da ihnen der gewöhnliche Weg über Zorge durch eine von der zeitweiligen Landesregierung dorthin entsendete militärische Truppe, sowie durch die dortige dem jüngeren Bruder des Herzogs Karl, dem Herzoge Wilhelm zugeneigte Einwohnerschaft versperrt war, so hatten diese wetterharten Hohengeißer „Karlisten“ die rauhen Waldpfade bei dem hohen „Roten Schuß“ (gemeinhin „Roter Schoß“ genannt) eingeschlagen, um in Ellrich ihren Herzog zu begrüßen und ihm zu bezeugen, daß sie treu und fest zu ihm stehen wollten. Die überwiegende Mehrheit der Braunschweiger, besonders in den Städten, waren „Wilhelmisten“ und hatten sich der neu aufgehenden Sonne, dem Herzoge Wilhelm, entschieden zugewendet. Herzog Karl erblickte selbstverständlich in diesem unerwarteten Zuzuge der ihm so anhänglichen Hohegeißer und ihren begeisterten Hochrufen ein seiner Sache günstiges Zeichen und fühlte sich hierdurch zu weiterem Vorgehen ermutigt. Gefolgt von den: langen Schweife der Vielen, die sich im Saale um ihn gesammelt hatten, stieg er herab auf den freien Vorplatz, wo seine Hohegeißer ihn jubelnd umringten. Offenbar hatte er den Entschluß gefaßt, unter dein Schutze dieser handfesten Leute und unter dein schirmenden Dunkel der Nacht die Landesgrenze zu überschreiten und sich nach Walkenried, dem Sitze des herzoglichen Amtsgerichts, des Forstmeisters, des Domänenpächters, des Superintendenten und anderer Beamten zu begeben. In dem dortigen vom Forstmeister Dommes bewohnten herzoglichen Jagdschlösse konnte er auch ein bequemes, seinem fürstlichen Range angemessenes Unterkommen finden, und die ihn begleitenden schlagfertigen Hohegeißer hätten gewiß kräftigst dafür gesorgt, daß den Befehlen des Fürsten allerseits der pflichtschuldige Gehorsam geleistet würde. Begleitet von dieser ergebenen Schaar schritt der Herzog auch wirklich in der Richtung gen Walkenried vorwärts, kam jedoch nicht weiter als bis zu einer der an der nordöstlichen Ecke des Schützenhauses stehenden Linde. An dem mächtigen Stamme derselben lehnte ein Mann in waidmännischer Tracht mit übergehängter Büchse und Jagdtasche, das bunte Treiben vor dem Hause mit aufmerksamen Blicken beobachtend. Es war der Förster Knabe aus dem benachbarten hannoverschen, zwischen den reichbewaldeten Vorbergen des Harzes romantisch gelegenen Gebirgsdorfe Sülzhayn, Privatförster des Domherrn Freiherrn von Spiegel-Desenberg. Die forstmännische Gestalt fiel dem Herzoge auf. Er näherte sich dem jungen Förster und richtete an ihn einige Fragen über die in Walkenried herrschende Stimmung und die Gesinnung der dortigen Beamten. Die Nächststehenden wollen gehört haben, daß Knabe dem Herzoge nicht undeutlich zu verstehen gegeben, die Gewehre jenseit der Grenze seien scharf geladen, und daß es nicht ratsam sei, dieselbe zu überschreiten. Jedenfalls war eine Folge der mit dem Sülzhayner Forstmanne gepflogenen Unterredung, daß der Herzog sein Vorhaben, unter dem Deckmantel der Nacht in Walkenried Einzug zu halten, aufgab und sich langsamen Schrittes und mit nachdenklicher Miene nach dem Eingänge des Schützenhauses zurückwendete. Vor der Thür des Hauses machte er Halt und richtete einige Worte an die ihm Nächststehenden. Der Zudrang der ihn umringenden Volksmenge, unter welcher wiederum auch dreiste Bittsteller nicht fehlten, wurde indessen so ungestüm und lästig, daß endlich der in Ellrich angesessene Dr. mscl. Kleemann an den Herzog herantrat mit der wohlgemeinten Erinnerung: „Durchlaucht, es dürfte nun wohl an der Zeit sein, der Audienz ein Ende zu machen.“ Dieser gute Rat wurde auch befolgt; der Herzog verabschiedete sich von seinen getreuen Hohegeißern, welche, in ihren Erwartungen vielleicht etwas getäuscht, auf den rauhen und steilen Waldpfaden oberhalb der „Bellevue“ und der Limbach in ihr hoch gelegenes Gebirgsdorf zurückkehrten, erstieg, auch hier noch von einem ansehnlichen Schweif Neugieriger verfolgt, die beleuchtete Treppe des Hauses und suchte in seinem Schlafgemach den nach so mannigfachen Aufregungen wahrscheinlich nicht sehr erquicklichen Schlummer. Das Nachsinnen über das, was ihm am nächsten Tage zu thun übrig bliebe, mochte in der langen Novembernacht seinen unruhigen Geist wohl vollauf beschäftigen. AmfolgendenTage,dem30. November, etwa um 10Uhr vormittags,stieg der Herzog zu Pferde und ritt, wiederum von einem großen Schwarme schaulustiger Männer, Frauen und Kinder begleitet, über den „Schützenrasen“ und die „Aue“ nach der vor dem Walkenrieder „Klosterholze“ sich hinziehenden Braunschweigischen Landesgrenze hin. In der Nähe des Grenzgrabens, der von einer kleinen Abteilung bewaffneter „Schwarzer Jäger“, hinter welchen in einiger Entfernung eine größere Truppe derselben, sowie zahlreiche Bergleute, Hüttenleute und Steinbrecher, mit ihren verschiedenen Arbeitswerkzeugen bewehrt, aufgestellt waren, machte der Herzog Halt und begann mit dem jungen, die Grenzwache befehligenden Lieutenant Friedrich Wilhelm Jäger folgende denkwürdige Unterredung: Herzog: Was machen Sie hier? Offizier: Meine Regierung hat mir befohlen, Ew. Durchlaucht daran zu verhindern, die Grenze zu überschreiten. Herzog: Wer ist Ihre Regierung? Offizier: Der Graf v. Veltheim, der Baron von Schleinitz, Herr Schulz und der Prinz Wilhelm. Herzog: Haben diese Sie zum Offizier gemacht und Ihnen Ihren Degen gegeben? Offizier: Nein, gnädiger Herr. Herzog: Und die Scham über Ihre Undankbarkeit vernichtet Sie nicht aufAder Stelle, auf der Sie stehen! Offizier: Ich verdanke meine Charge nur meinen Fähigkeiten, und Ew.'-Durchlaucht mußten mich wohl zum Offizier machen. Herzog: Sie irren sich sehr, mein Herr, denn ich hätte Sie Zeit Ihres Lebens lassen können, was Sie waren, und ganz gewiß besser daran gethan. Übrigens bewundere ich Ihre Unverschämtheit, hierher zu kommen und mir den Weg zu verlegen, während Sie meinen Namenszug auf Ihrem Czako wie auf Ihrer Degenklinge tragen. Und was meinen Sie zu dem Eide der Treue, welchen Sie mir vor noch nicht einem Jahre geleistet haben, und von dem ich Sie niemals entbinden werde? Offizier: Ich weiß sehr wohl, daß ich den Namen Ew. Durchlaucht auf meinen Montirungsstücken trage, aber Sie haben uns verlassen und uns dadurch Ivon allen Verbindlichkeiten befreit. Herzog: Wollte man einen solchen Grund gelten lassen, so würde jede Reise des Fürsten genügen, um seine Unterthanen von allem Gehorsam zu entbinden! Indessen habe ich alle Jahre Reisen gemacht, ohne daß man mehr wie bei jedem anderen Fürsten daran gedacht hätte, sich dieser Abwesenheiten gegen mich zu bedienen, um daraus einen Grund zur Revolution zu machen. Als der Lieutenant Jäger den Herzog darauf aufmerksam machte, daß die Truppen riefen: Es lebe der Prinz Wilhelm! gab der Herzog die Hoffnung auf, hier die Grenze zu überschreiten. Nach der Verhandlung lenkte der Herzog sein Pferd um und ritt gedankenvoll nach dem Schützenhaus zurück. Die Mehrzahl der aus Zorge herbeigekommenen, verschiedentlich bewaffneten Berg- und Hüttenleute zog nun in entgegengesetzter Richtung dorthin ab. Durch die Ereignisse des Tages, vielleicht auch durch manchen kräftigen Schluck aus der Schnapsflasche stark erregt, feuerten diejenigen, welche Handfeuerwaffen führten, die scharfe Ladung, wie im Siegesjubel über einen errungenen, kriegerischen Erfolg, so sehr ziellos und unbedachtsam ab, daß es bedenklich wurde in ihrer Nähe zu weilen. Unfern der „Drahthütte“ schoß ein junger Mann aus Eifersucht, wie man erzählte, seine dem Zuge zuschauende Braut nieder. Inzwischen hatten sich im Schützenhause außer den einheimischen auch mehrere auswärtige Verwaltungsbeamte, namentlich der greise Landrat von Arnstedt, sowie auch Offiziere der nächsten preußischen Garnisonstädte, unter ihnen der in Nordhausen stationirte Gendarmerie-Rittmeister von Westernhagen, zusammengefunden, in der Absicht und mit dem höheren Ortes ihnen erteilten Aufträge, das Verhalten des Herzogs und der aus den Nachbarorten herzugeströmten Volksmenge zu überwachen und jeder Ausschreitung fest entgegenzutreten. In der That verstärkten sich die bei dem Schützenhause und der Colonie angesammelten Massen besonders während der Nachmittagsstunden durch fortwährenden Zuzug in so bedenklichem Grade, daß die Befürchtung nahe lag, es möchte zwischen den in großer Zahl herbeigeeilten, gegen einander höchst erbitterten Braunschweiger „Karlisten“ und „Wilhelmisten“ zum Handgemenge kommen, und das friedliche Ellrich zum Schauplatz ernstlicher Unruhen werden. Der Abend begann hereinzudunkeln, und der Herzog, ungeachtet der ihm von berufener Seite bereits gewordenen Andeutungen, je eher je lieber den Ort zu verlassen, machte noch immer keine Anstalten zur Abreise. Endlich riß dem energischen Rittmeister von Westernhagen die Geduld; er wandte sich an die höheren Offiziere und Beamten mit der Frage: „Genehmigen Sie, daß ich hinaufgehe, dem Herzoge seine Verantwortlichkeit für die Folgen feines Zögerns klar mache und ihn bestimme, schleunigst abzureisen?“ — Die Befragten erklärten sich einverstanden; der Rittmeister stieg die Treppe hinauf und betrat, wie wir deutlich über uns hörten, festen, klirrenden Schrittes das Zimmer des Herzogs. Nach kurzer Frist kam Herr von Westernhagen zurück und berichtete, daß der Herzog den ihm gemachten dringenden Vorstellungen Folge leisten und baldigst abreisen wollte. In der That stand auch nicht lange darnach der herzogliche Reisewagen angespannt vor der Thür des Gasthauses. Der Herzog stieg endlich die Treppe herab und als er den Leuten die Hand zum Abschiede gereicht hatte und eingestiegen war, reichte der Bäckermeister Krieghoff eine große Biskuittorte, welche der hohe Reisende als Wegzehrung bei ihm hatte bestellen lassen, in den Wagen hinein, der sich alsbald nach dem Nicolaikirchhofe und der Schäfergafse hin in Bewegung setzte. „Glückliche Reise!“ riefen die Umstehenden dem scheidenden Fürsten nach. Aber so durchaus glücklich und ohne unliebsame Zwischenfälle sollte die Reise doch nicht verlaufen. Als der Herzog, das Nächstliegende Braunschweigische Gebiet in Folge der Übeln bei Ellrich gemachten Erfahrungen klüglich vermeidend, auf Umwegen die am westlichen Harze gelegene Hannoversche Stadt Osterode erreicht hatte, sammelte sich vor dem Gasthause, in welchem er abgestiegen war, alsbald eine stetig anschwellende Volksmenge. Ein dortiger Bürger Namens Dickhoff erregte durch eine zündende, mit heftigen Ausfällen gegen den fürstlichen Gast gespickte Ansprache die Leidenschaften des großen, in jenem Jahre, wo die Revolution und Revolutiönchen in der Luft lagen, ohnehin leicht fortzureißenden Haufen, und die Haltung der vor dem Hause Kopf an Kopf sich drängenden Massen wurde bald so drohend, daß der Herzog, um höchst wahrscheinlichen Gewaltthätigkeiten zu entgehen, sich genötigt fand, durch den hinterwärts gelegenen, glücklicherweise noch menschenleeren Garten zu flüchten und, da sein eigener Reisewagen bereits von handfesten Männern beschlagnahmt war, einen an der Gartenthür bereit gehaltenen Leiterwagen zu besteigen, auf welchem er, nach langer und banger Fahrt in tiefer Nacht die mehr Sicherheit gewährende große hannoversche Domäne Catlenburg erreichte. An der Stelle, wo die Unterhandlung mit dem braunschweigischen Jäger stattfand, hat man später zur Erinnerung einen Gedenkstein errichtet, der den Namenszug des Herzogs und das Datum 30. Nov. 1830 trägt und noch jetzt erhalten ist. Das Jahr 1848 in EllrichStärker wurde unsere Stadt in das Getriebe des Jahres 1848 hineingerissen. Während in anderen Städten nur die Politik die Gemüter erhitzte, und maßlose Parteikämpfe stattfanden, kamen in Ellrich noch religiöse Ereignisse hinzu. Ellrich gilt mit Recht von Alters her als eine königstreue, der Dynastie Hohenzollern mit warmer Anhänglichkeit ergebene Stadt. Dieser angestammte Patriotismus regte sich auch frühzeitig wieder unter den politischen Erschütterungen des Jahres 1848. Ellrich war in hiesiger Gegend die erste Stadt, deren Bürger das tief erniedrigte Königsbanner wieder aufrichteten und mit festen Händen hoch hielten. Diese eine That- sache genügte indessen, Ellrich samt seinen Behörden und Bürgern, insbesondere aber auch seiner Bürgerwehr zur Zielscheibe des bittersten Spottes, der maßlosesten Verhöhnungen seitens der Gegenpartei zu machen, die mit Wort und Schrift über die Ellricher „Reaktionäre“ herfielen. Auch in der Stadt selbst und in der nächsten Umgebung fehlte es nicht an tief erregenden Herausforderungen. Am Schlüsse einer großen „Volksversammlung“, die am Burgberg unter freiem Himmel abgehalten wurde, riefen von auswärts herbeigeströmte Redakteure ihren Ellricher Verbündeten beim Abschiede zu: „Schlagt die Mucker über den Kopf, wenn sie sich nicht bekehren wollen.“ — Zu dem durch solche und ähnliche Ausfälle in der Mehrzahl der Ellricher Bürger erregten Grolle kam noch ein besonderer Vorgang in der nahen Stadt Nordhausen. Der Generalsuperintendent Dr. Möller visitierte dort die Geistlichkeit. In der folgenden Nacht wurde ihm vor den Fenstern seiner Wohnung im „Römischen Kaiser“ eine entsetzliche sKatzenmusik durch einen Pöbelhaufen gebracht. Dieser Vorfall erregte nah und fern gewaltiges Aufsehen, besonders auch in Ellrich, und es liegt nicht fern zu glauben, daß diese dem geistlichen Oberhirten angethane Unbill mit dazu beigetragen hat, in den nächsten Tagen ein Attentat gegen, den Prediger der freien Gemeinde Baltzer, aus Nordhausen,'cherbeizuführen. Am 6. August kam nämlich Baltzer, nachdem sein Gehülfe Schüne- mann schon einige Male Ellrich besucht und Volksversammlungen abgehalten hatte, ebenfalls dorthin. Es war ein Sonntag, und Baltzer hielt seinen Vortrag zur Zeit des Gottesdienstes im Hotel zum „Kronprinzen“ ab, worauf er nach Zorge fuhr, wo er ebenfalls vor einer zahlreichen Versammlung redete. Abends kehrte er mit seinen Begleitern in zwei offenen Wagen nach Ellrich zurück. Als die Wagen ins Thor einfuhren, stimmten die Insassen das Schillersche Räuberlied an: „Ein freies Leben führen wir“. Dieser Aufsehen erregende Einzug lockte aus den Häusern eine schnell anwachsende Menschenmenge, welche hinter und neben dem Wagen einher wogte. Baltzer stieg mit seinen Begleitern im „Kronprinzen“ ab, wo er im Saale vor zahlreicher Versammlung seinen zweiten Vortrag begann. Zwei junge Männer aus der auf der Straße verbliebenen immermehr anschwellenden Menge sprachen: „Wir wollen doch auch einmal hören, was da oben gepredigt wird; es soll ja eine Volksversammlung sein und wir gehören auch zum Volke“. Bei dem Versuche, in den Saal zu gelangen, wurden sie von Anhängern des Redners die Treppe hinabgestoßen, bis auf die Straße verfolgt, niedergeworfen und geohrfeigt. Dieses Vorgehen war Signal und Anfang eines erbitterten Straßenkampfes, der sich auch bald in das Gasthaus hineinzog. Viele der dort Versammelten entflohen durch die Hinterthür des Hauses, und Baltzer, fast von allen verlassen, war dem Anstürme und den Mißhandlungen der durch all die Vorgänge in den letzten Wochen aufs äußerste erbitterten Gegenpartei preisgegeben. Die Polizei, welche unterdeß von dem Kampfe benachrichtigt war, ließ durch Trommelschlag die Bürgerwehr aufbieten, die sich des Pfarrers Baltzer annahm und ihn aufs Rathaus in Sicherheit brachte. An dem Kampfe hatten sich auch sonst ruhige Bürger, kirchliche Gemeindeglieder, Hausbesitzer u. s. w. beteiligt. Sie waren der Meinung gewesen, daß Baltzer und seine Anhänger auf den Sturz des Königstums, auf Herstellung der Republik, auf Unterwühlung des Glaubens und der Kirche hin arbeiteten, somit Feinde des Königs und der Religion wären, und daß es Bürgerpflicht sei, ihm das Wiederauftreten in Ellrich gründlich und auf immer zu verbieten. Die verhängnisvollen Folgen des Aufruhrs und Straßenkampfes ließen nicht lange auf sich warten. Einige 50 Ellricher Bürger wurden nach Nordhausen abgeführt und in strenger Haft gehalten. Es begannen zahlreiche Verhöre, zu denen eine Menge Zeugen beider Parteien vorgeladen wurden. Auf Bitten der Ehefrauen vieler Festgenommenen richtete der damalige Oberprediger A. Nebelung an den Prediger Baltzer ein Schreiben, worin er ihn mit beweglichem Eindringen bat, in seiner vielvermögenden Stellung als Abgeordneter der Nationalversammlung und als hoch angesehener Führer der freien Gemeinde seinen Feinden zu vergeben. Eine Antwort lief auf dieses Schreiben nicht ein. Da dieser Versuch nichts genutzt hatte, wandte sich der Oberprediger Nebelung mit einem Gnadengesuch an den König Friedrich Wilhelm IV., das ebenfalls unbeantwortet blieb. Die während des folgenden Winters nach Ellrich verlegte Untersuchung führte schließlich zu einem Urteilsspruch, der gegen eine große Anzahl der Angeklagten, meistens Familienväter mit zahlreichen Kindern, auf Zuchthausstrafe, gegen andere auf Gefängnisstrafe lautete. Dazu wurden alle in die hoch aufgelaufenen Kosten des mindestens 7 Monate lang geführten Riesenprozesses verurteilt. Wie ein Donnerschlag fiel dieser Richterspruch niederschmetternd auf die Häupter der Verurteilten, die sich noch immer mit der Hoffnung eines freisprechenden oder mindestens äußerst milden Urteils getröstet hatten. Durch die Bitten der Verurteilten und vieler anderer Einwohner Ellrichs gedrängt, entwarf der Oberprediger Nebelung noch einmal ein an den König gerichtetes Gnadengesuch. Mit dem Bürgermeister Baumgarten zusammen reiste er gegen Ende April 1849 nach Potsdam ab zu seinem Schwager, dem Superintendenten Ebert, der dem Könige und dem Prinzen des Königlichen Hauses wohl bekannt war und auch in der nächsten Umgebung des Königs sehr einflußreiche Freunde und Verbindungen hatte und ließ sich von ihm ein Empfehlungsschreiben an den Oberhofmarschall Graf Keller geben. Von hier fuhr er nach Berlin weiter, um bei dem Geheimen Kabinetsrat Jllaire um Fürsprache zu bitten, der jedoch wenig geneigt schien, sich eingehend mit der Sache der Ellricher zu befassen. Nachmittags fuhren sie deshalb nach Charlottenburg weiter, wo der König residierte. Der Generaladjutant von Rauch nahm ihr Bittschreiben an mit dem Versprechen, es seiner Majestät bald zu überreichen. Sehr ermutigt durch solches Entgegenkommen fuhren sie am Abend nach Berlin zurück in der Absicht, sich noch in derselben Stunde Audienz beim Justizminister Simons zu erbitten. In Berlin war unterdessen wieder große Aufregung unter den Bewohnern infolge der Kammerauflösung, das Schloß war stark von Soldaten besetzt, das Militär hatte auf die Menge geschossen, und Barrikaden waren errichtet. Da unter solchen Umständen an eine Audienz beim Justizminister nicht zu denken war, kehrten sie wieder nach Potsdam zu dem Schwager Nebelungs, dem Superintendenten Ebert zurück. Hier erhielten sie zwei Tage später ein sehr verbindliches Schreiben vom General von Rauch mit der Nachricht, daß Seine Majestät das Gnadengesuch Wort für Wort gelesen, und daß der König, obwohl den Gewaltakt mißbilligend, doch erfreut gewesen, daß noch treue Herzen im Süden des Harzes für ihn schlügen. In den nächsten Tagen erhielten sie Audienz beim Staatsminister Freiherrn von Manteuffel und beim Justizminister Simons, die beide ihre Fürsprache beim Könige zusicherten. Um keinen Schritt, der gethan werden konnte, zu unterlassen, fuhren sie mit der Gemahlin des Superintendenten Ebert nach Glienecke zum Schlosse des Prinzen Karl von Preußen, um eine Audienz bei diesem zu erlangen. Nach allerlei Schwierigkeiten gelang es ihnen auch, vorgelassen zu werden. Sie mußten ausführlich den Vorgang in Ellrich erzählen, am Schluffe sagte der Prinz: „Ich bin gern bereit, bei Seiner Majestät ein gutes Wort einzulcgen; aber Ihre Leute müssen zuvor den Rechtsweg zweiter Instanz betreten. Bevor nicht das zweite Erkenntnis verkündigt ist, kann der König von seinem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen. Mit Gottes Hülfe wird alles noch gut gehen.“ — Damit war die Audienz beendigt. Da weiter in Berlin für die Sache nichts gethan werden konnte, kehrten sie nach Ellrich zurück und gaben den Verurteilten die Mitteilung, daß sie nach Maßgabe der vom Prinzen erteilten Weisung den Rechtsweg zweiter Instanz zu beschreiten hätten. Der Rechtsanwalt Justizrat Krüger in Halberstadt wurde mit der Vertretung der Verurteilten betraut. Das im Herbst 1850 verkündete Urteil zweiter Instanz enthielt nur eine geringe Milderung der im ersten Erkenntnis verhängten Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Es galt nun, die Gnade des Königs aufs neue anzurufen. Nachdem am 5. Oktober 1850 wiederum ein Gnadengesuch an Seine Majestät gerichtet war, gleichzeitig auch der Prinz Karl, sowie der Staatsminister von Manteuffel um Befürwortung gebeten waren, reiste der Oberprediger Nebelung und der Bürgermeister Baumgarten Mitte November zum zweiten- male nach Potsdam und Berlin. Hier erhielten sie nach mehreren Tagen folgendes Schreiben des Generaladjutanten von Gerlach: Seine Majestät der König hat befohlen, daß Euer Hvchwürden, sowie der Herr Bürgermeister Baumgarten sich zu einer Audienz hier um 5^/z Uhr nachmittags einfinden möchten. Potsdam, den 19. November 1850. gez. von Gerlach, Generaladjutant. Als die festgesetzte Stunde erschien, betraten sie das Schloß und wurden dort vom Generaladjutanten empfangen, der sie zum Könige führte. Dieser ließ sich den Vorfall in Ellrich noch einmal ausführlich erzählen, unterhielt sich nach dem Bericht noch eine geraume Zeit mit ihnen über die in Ellrich und der Umgegend herrschende Stimmung und die Zustände und erklärte schließlich: „Ich bin geneigt zu begnadigen, aber es ist mir Pflicht und Gewohnheit, die Stimmen meiner Minister zu hören und ihr Gutachten zu berücksichtigen. Sagen Sie dieses den Leuten in Ellrich, grüßen Sie Ihre Leute von mir, und wenn ich einmal in Ihre Gegend komme, werde ich Sie besuchen“. — Mit diesen verheißungsvollen Worten waren sie verabschiedet. Die in Ellrich rasch verbreitete Kunde von solchem Erfolge der Mission rief große Freude und rechten Trost bei den Verurteilten hervor. Etwa 4 Monate später wurden sämtliche Verurteilte nach dem Rathause entboten, wo ihnen durch den Gerichtsrat Weymar im hohen Aufträge die Königliche Begnadigung, verbunden mit völligem Erlaß der schweren Gerichtskosten, feierlich verkündigt wurde. Damit hatte das verhängnisvolle Jahr 1848 mit seinen Aufregungen für Ellrich schließlich noch einen guten Ausgang genommen. Die neuesten politischen Ereignisse 1866 und 1870/71Als der Krieg gegen Österreich ausbrach, zogen auch Söhne der Stadt Ellrich mit in den Kampf. Am 3. Juli kam es zur entscheidenden Schlacht bei Königgrätz, und die Siegesbotschaft durcheilte im Fluge ganz Preußen. Doch viele brave Söhne hatten den Sieg mit ihrem Blute erkämpft, unter ihnen Wilhelm John und Friedrich Pallessen von hier. Im weiteren Laufe des Krieges fiel noch August Wilhelm Henning, der im Lazarett zu Brünn verstarb. Vier Jahre später brach der Krieg gegen Frankreich aus. Auch aus Ellrich folgten viele alte und junge Soldaten dem Schlachtenrufe, doch nicht allen war es vergönnt, die Heimat wieder zu sehen. In der blutigen Schlacht bei Gravelotte am 18. August fiel August Lücke, am 4. Februar 1871 starb den Heldentod bei Arbais Wilhelm Starke, desgleichen besiegelten die Treue gegen König und Vaterland mit ihrem Blute: Hermann Gustav Stephani, gestorben am 28. September 1870 in Sedan, Louis Christoph, gestorben den 12. März 1871 zu La Röchelte, Louis Baumgarten, gefallen den 4. Februar 1871 bei Morivillars. Die Übrigen aber kehrten siegreich Heini und traten bald nach Beendigung des Krieges 1872 in Erinnerung an die schweren Stunden zu einem Kriegerverein zusammen, der heute noch blüht. Wenn es eins der Hauptziele des Vereins war, denkwürdige Tage festlich zu begehen, so vergaßen sie dabei doch nicht ihrer gefallenen Kameraden, und der Gedanke gewann immermehr Raum, jenen Braven aus den letzten Kriegen, die auf dem Felde der Ehre ihr Leben gelassen, ein würdiges Denkmal zu setzen, das auch im Jahre 1872 enthüllt wurde. Darauf werden wir noch später zurückkommen. Der alte Kaiser Wilhelm war nach der langen, segensreichen Regierung, nachdem er noch seinen 90. Geburtstag im Jahre 1887 hatte feiern können, zu seinen Vätern heimgegangen, und ein junger Hohen- zollernsproß hatte nach der kurzen Regierung des Kaisers Friedrich das Reich übernommen: Möge unter dessen Regierung das deutsche, einige Reich, das der alte Heldenkaiser Wilhelm im Verein mit Bismarck und Moltke dem deutschen Reich gegeben, noch lange Jahrhunderte hindurch blühen und gedeihen, damit auch unsere Stadt sich immer weiter unter dem Schutze des Reiches fortentwickele! —
Religionsgeschichte der Stadt EllrichDie heidnischen Götter unserer GegendEhe das Christentum sein Licht und seine milden Sitten über Deutschland und damit auch über unsere Gegend verbreitete, bedeckte die Finsternis des Heidentums unser Land. Die Druiden, die Priester der germanischen Götter, unterhielten in den großen Urwäldern, die unser Land bedeckten, den Glauben an die Götter, von denen nach Schmaling in dessen „Hohcnsteinischem Magazin“ für unsere Gegend folgende in Betracht kommen sollen: 1) Crodo, Krodan oder Sater, ein sächsischer Götze. Er soll auf einer Säule in Gestalt eines alten hagern Mannes verehrt sein. Sein Hauptaltar war im Norden des Harzes bei Harzburg, doch soll auch einer zu Clettenberg, wo jetzt die Kirche steht, aufgestellt gewesen sein. Als Erinnerung daran führte dort ein Bach den Namen Crodenbach, und der Wald in der Nähe hieß Crodenhagen. Auch zu Ellrich soll ein Hain und Altar dieses Gottes gewesen sein, au der Stelle, wo jetzt die Frauenbergskirche steht. 2) Stuffo, der besonders auf dem Eichsfelde verehrt wurde und dessen Säule von Bonifacius zerstört sein soll. Man leitete auch den Namen des in der Nähe von Ellrich liegenden Stauffenberges, früher Stuffenberg geheißen, von diesem Gotte ab. Soweit erzählt Schmaling über die heidnischen Götter unserer Gegend. Diesen Auslassungen muß man sehr skeptisch gegenüber stehen; die Quelle, ans der Schmaling seinen Bericht schöpfte, war die viia Bonitacii von Qstrnsr, die im Jahre 1603 erschien, eine Quelle, die trübe fließt. Besser hätte Schmaling gcthan, seinen Bericht der Lebensbeschreibung des heiligen Bonifacius von Willibald aus dem 8. Jahrhundert zu entnehmen; diese Quelle hat aber weder Schmaling noch Letzner beachtet. R. Reichhardt unterzieht diese Angaben Schmalings im Heft 7 des Jahrganges 1893 der Harzer Monatshefte einer Kritik, der wir folgendes entnehmen: „Über die Existenz des Gottes Crodo giebt es nicht die geringste, sichere Quelle. Fragen wir nach dem ersten Vorkommen des Namens, so wird 1284 ein 'VValtbsrus ckictw8 Crocks erwähnt. Das wird eine Abkürzung aus Krotolf oder Crotold sein, wie denn auch die Wormser Chronik von Friedrich Zorn zum Jahre 1503 den Namen Crotoldus hat. Demnach ist Crodenhagen als der Hag eines Herrn Crodo zu erklären, wie Crottorf als Crodo's Dorf. Was den zweiten Gott Stuffo anlangt, so läßt sich Letzner in seiner triswria Loirikacii darüber also aus: „Stuffenberg, darauf ein teuflischer Götze gestanden, Stuffo genannt, welchen das benachbarte Volk als einen Gott geehrt und angebetet, denselben hat Bonifacius verflucht und verdammt und soll daselbst in ein Loch gefahren sein, daher dasselbe noch heutzutage Stuffenloch, wie auch der ganze Berg „Sluffenberg“ genannt wird.“ — Es ist klar, daß der Stuffenberg von Stufe seinen Name» hat. Der Bergname wie das Loch im Berge hat erst den Gott Stuffo geschaffen. Willibald und alle andern alten Schriftsteller der deutschen Vorzeit wissen nichts von einem heidnischen Gotte Stuffo. Es muß also angenommen werden, daß die Götter Crodo nnd Stuffo nur Phantasiegebilde von Letzner sind. Die Christianisierung unserer GegendNach und nach drang das Christentum auch in unsere Gegend ein. Unter den Gothen war es bereits in der Mitte des 4. Jahrhunderts verbreitet, ebenso hatten die Franken es angenommen, nachdem ihr König Clodoväus oder Ludwig sich im Jahre 499 mit vielen Tausenden seiner Unterthanen öffentlich dazu bekannt hatte. In den ersten Zeiten war allerdings das Christentum stark mit heidnischen Gebräuchen vermischt. Als herrschende Religion wurde das Christentum in unserer Gegend erst zur Zeit des Bonifacius eingeführt. Trotz des großen Ansehens dieses Mannes würde es ihm wohl nicht gelungen sein, in solch kurzer Zeit so reiche Früchte in der Christianisierung zu zeitigen, wenn ihn nicht fränkische Truppen begleitet hätten, die ihn vor dem Groll der Bewohner schützten, wenn er deren heidnische Heiligtümer zerstörte und an deren Stelle Oratorien, Kapellen und Klöster errichtete. Nach der Sage soll auf dem Frauenberge bei Ellrich von ihm auch ein Oratorium erbaut worden sein. Durch seine Veranlassung wurde auch in unserer Gegend der Genuß des Pferdefleisches — als heidnischer Gebrauch — abgeschafft. Nachdem der Sachsenkönig Wittekind von Kaiser Karl überwunden war, ward es dem sächsischen Volke zur Bedingung gemacht, insgesamt zum christlichen Glauben überzutreten. Von dieser Zeit an nahm der römisch- katholische Gottesdienst in unserer Gegend immermchr an Pracht und Ceremonie zu, man baute Kirchen und Klöster, unter denen sich in unserer Gegend besonders die zu Walkenried und Ilfeld hervorthaten.
Die Reformation in EllrichAls Dr. Martin Luther gegen die katholische Kirche eiferte und seine Lehre immer mehr Anhänger gewann, breitete sich auch in unserer Gegend der neue Glaube aus, wobei allerdings auch die infolge Mißverstehens seiner Lehre hervorgerufenen Irrlehren nicht ausblieben, und gerade in der Grafschaft Hohenstein nahmen die Bauernkriege einen sehr bedrohlichen Charakter an. Clettenbergische und Scharzfcldsche Bauern zogen mit andern Gesinnungsgenossen im April 1525 gegen das Kloster Walkenried und zerstörten es. Die Lage der Bauern mag allerdings damals nicht beneidenswert gewesen sein ; ohne durch Landesgesetze geschützt zu sein, lebten sie in völliger Abhängigkeit und waren den geistlichen und weltlichen Großen zu Natural- und Geldabgaben, zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet. Diese Dienste mochten namentlich in der Erntezeit lästig nnd störend sein, wenn der Bauer zuerst die Vorräte der Herrschaft in Sicherheit zu bringen hatte, bevor er an seine eigene Ernte gehen durfte. Die Folge solcher Kränkungen der Menschenrechte waren die überall ausbrechenden Bauernaufstände; das Evangelium der christlicken Freiheit wurde von ihnen auf die Befreiung von den weltlichen Lasten bezogen und in wilder Schwärmerei zerstörten sie alles, was ihnen in den Weg kam, bis ihrem Treiben endlich bei Frankenhausen ein Ziel gesetzt wurde. Die Grafen von Hohnstein wußten sich gegen die Bauern der Grafschaft nicht anders zu schützen, als daß sie sich in die Brüderschaft der Empörer aufnehmen ließen und anscheinend das tolle Leben billigten, ja selbst nach Walkenried kamen und an den Exerzierübungen der Bauern teilnahmen. Nachdem die Kunde von der Niederlage bei Frankenhausen den Clettenbergischen Bauern, die in der Nähe der Flarichsmühle bei Nordhausen lagerten, zu Ohren gekommen, zerstreuten sie sich schnell und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Der Graf Ernst ließ die Rädelsführer hinrichten, bis auf einen Töpfer aus Ellrich, der sofort nach seiner Rückkehr schlauerweise den Grafen zum Gevatter eines eben geborenen Kindes bitten ließ. Der Töpfer rettete auf diese Weise sein Leben, mußte aber sein Lebenlang die Ösen auf den Schlössern Lohra und Clettenberg in Ordnung halten. Bei der hervorragenden Bedeutung des Klosters Walkenried konnte eine Entscheidung über die zukünftige Religionsrichtung nicht ausbleiben, und lange vor der öffentlichen Annahme der Reformation im Kloster studierten die Walkenrieder Mönche heimlich und offen Luthers Schriften und bekannten sich entweder zu Luther oder blieben dem Papsttum treu. Einer derselben, Johannes Krusius oder Krause kam nach Ellrich, „machte daselbst,“ wie es bei Schmaling heißt, „einen merklichen Anfang der Reformation,“ erhielt die Stadtpfarre und predigte mitunter evangelisch, 1527 verheiratete er sich. Er erblindete übrigens später und mußte betteln gehen, während der damalige Abt von Walkenried im Wohlleben schwelgte. Krusius wandte sich an Luther, und dieser war über die Schwelgerei des Abtes im höchsten Grade erbittert. Der neue Glaube wurde indessen in der Grafschaft einstweilen nur geduldet. Ernst V., Graf von Hohenstein, blieb dem Papsttum ergeben und dachte nicht an eine allgemeine Einführung der lutherischen Lehre, besonders da ihm der Kaiser Ferdinand 1543 schrieb, die neue Religion nicht einzuführen, sondern die alte zu erhalten. Dessenungeachtet berief er am 31. März 1546 den Pfarrer zu St. Blasii in Nordhausen, Spangenberg, den Hohnsteiuschen Kanzler und Probst zu Münchenlohra, Heinrich Rosenberg, den Marschall Heinrich von Bülzingsleben und andere Räte nach Walkenried und ließ die katholischen Kirchenzeremonien verbessern, insbesondere die päpstliche Messe, die Prozessionen und sonstige katholische Gebräuche abschaffen: Verbesserungen, die auch in Ellrich sofort eingeführt wurden. Der Graf selbst starb 1552 als Katholik. Seine Söhne waren dagegen der Reformation mehr zugethan, sie beriefen, nachdem durch den Augsburger Religionsfrieden 1555 wenigstens den Regierenden die Freiheit des religiösen Bekenntnisses zugesichert war, am 27. März 1556 — am Montage vor Palmarum — eine förmliche Synode nach Walkenried, und in Gegenwart der Ritterschaft, der Stände und Pfarrherren der Grafschaft wurde einstimmig die Einführung der evangelischen Religion nach der Augsburgi- schen Konfession beschlossen. Der Magister Simon Kleinschmidt, Pfarr- herr in Ellrich, that sich bei dieser Synode sehr hervor, er hielt der versammelten Geistlichkeit über Math. 5,31 eine Ermahnungsrede und dankte hiernach als Bevollmächtigter dem Grafen von Hohenstein wie auch dem Abte von Walkenried für die Aufnahme. Am Sonntage Palmarum wurde zum erstenmale das Abendmahl unter beiderlei Gestalt gereicht, und zum Andenken daran wurde an diesem Sonntage in Ellrich während der Kommunion stets mit der großen Glocke geläutet und das De Oeuin gesungen. Der erste ständige Pfarrer in Ellrich war Simon Kleinschmidt, derselbe, der auf der Synode zu Walkenried durch großen Eifer für die Einführung der Reformation sich ausgezeichnet und die Festpredigt gehalten hatte. Selbstverständlich blieben eine Reihe der bisherigen Gebräuche bestehen, da sich die Gemeinde nicht so leicht von den hergebrachten Formen zu trennen vermochte: nach wie vor feierte nian viele Fest- und Aposteltage, hielt Vespern, Vigilien und Messen, sang noch vieles, namentlich auch die Epistel und das Evangelium, lateinisch, und noch immer erschienen die Prediger in Meßgewand und Chorröcken, die ihnen auf Kosten der Kirche gehalten wurden. Beim Abendmahl waren auch jetzt noch weißgekleidete Meßknaben behilflich. Kämpfe im Innern der KircheUm die Reinheit der Lehre zu fördern, wurden am 11., Dez. 1583 vom Grafen Ernst VII. alle Prediger nach Walkenried beschieden und sie daran erinnert, „in ihrem Amte treu, in ihrer Lehre rein, in den Kirchenbräuchen übereinstimmend und im Wandel unsträflich zu sein.“ Im Jahre 1593 wurden wieder alle Prediger nach Walkenried berufen und es ward ihnen durch Heinrich, den Abt zu Ringelheim, und durch Dr. Basilius Sattler, Hofprediger und Generalsuperintendent in Braunschweig, befohlen, sich genau nach den beschlossenen Satzungen zu richten. Im folgenden Jahre bekam der Ellricher Rat mit den Geistlichen der Stadt Streit, weil er ihnen die bürgerlichen Lasten (onera) aufbürden wollte, wogegen die Geistlichen sich wehrten. Es erging deshalb nachfolgendes Schreiben vom Fürstlichen Konsistorium zu Wolfenbüttel an den Rat zu Ellrich: Schreiben an den Rath zu Elrich von den B, F. vonmstormln der Schnei und Kirchen-Diener halber. Unsere freundliche Dienste zuvor. Ersame und vorsichtig besondere gute Freunde. Wir werden berichtet, das vorschiner Zeyt zwischen euch un den Schul und Kirchen-Dienern des Ortes, daher das ihr sie zur Musterung und andern dergleichen ouvribus mit zu rechnen, und gleich andern Bürgern und Einwohnern bey euch, aldiweil sie bürgerliche Güter so vorhin der Stadt verpflicht und oners, tragen helssen, an sich bracht, damit belegen wollen, Irrungen eingefallen sind. Nachdem nun unsers F. G und Hrn. xudlieirts Kirchen-Ordnung denen sachen ihre maß und richtigkeyt gibet, und ihr nun mehr gleich andern S- F- G> unterthanen, derselben zu geleben und sie bey euch gelten zu lassen Pflichtig seid, unß auch ob derselben zu halten Amts und Pflicht halben oblieget. So wollen wir für unser Person euch hiemit freundlich ermanet, auch im Namen und an Stadt Hochermeltes Unsers G. F. und H. gütlich begert haben, das ihr von solcher jetzt berürter Fürstlicher Kirchen Ordnung zu widerlauffenden Vornemmen abstehet, die Schul und Kirchen Diener mit der Musterung auch rüstung und wehrschaffen und Tragen verschonet, und sie dessen so die Recht und hohe Obrigkeyt Ihnen gegeben geniesscn lassen, in erwegung das solches innen nicht gemeß, noch geziemend sehn molte, sie auch wenn sie der Musterung nachgehen Zug und wach thun, oder andere dergleichen Beschwerungen leisten sollen, ihre Kirchen und Schul Dienste so wol auch eure Kinder darüber verseumen müsten. Dessen wollen an Stadt hochermeldes unsers G. F. und H. wir unß zu euch versehen, und sindt euch zu dienen erbötig. llatum Wolffenbüttel den 4. lanuarii 4uno 1595. F. B. Oonsistorialss und Kirchen Rath. Das Schreiben ward an den Ellricher Pastor M. Joh. Plattner oder klabacrum mit folgender Zuschrift übersandt: An Ll. loüannem DIataorum Unsere Freundliche Dienst zuvor. Würdiger wohlgelarter besonder guter Freunde. Was auf eur am 1. Oütvdr. nechst verschienen, der Schul und Kirchen Diener des Orts Immunitoet halben ad onsribus xsrsooalibua, so der Rath zu Elrich euch nicht gestehen wollen, an unß gelangtes schreiben erteilet, wer ihr hiebey oopeMod neben dem original zu finden haben, und es dem Rath zu behendigen wissen, welches wir euch freundlich vermelden wollen, und sind euch zu dienen erbötig. Datum Wolffenbüttel den 4. lanuar. ^nno 95. F. B Oonaistorialos und verordnete Kirchen Räthe. Weil aber der Rat trotzdem auf seinen Forderungen bcharrte, erging den 4. Juli 1595 von dem Landesfürsten selbst an ihn folgendes Schreiben: Von Gottes Gnaden Heinrich lulius, xostulirtor Bischofs zu Halberstadt und Hertzog zu B. und Lüneburg. Unfern Gruß zuvor. Ersame lieben getreuen. Wir werden von unsern Kirchen Rathen unterthänig berichtet, daß zwischen euch und gemeiner Bllrgerschafft des Orts eines, und den Schul und Kirchen Dienern daselbst anders teils etlicher bürgerlicher verpflicht halben so ein jeder in der Person thun und leisten muß, und xersonalia onvra genandt werden, alß da sind fron, Zöge, Wach Mustering und dergleichen unlengster Zeyt irrung eingefallen, und ob sie woll darauff an euch geschrieben und Erindert, was unsere ausgegangene Christliche Kirchen Ordnung deshalben äisxouirs und mit bring, mit begern das ihr davon abstehen, und solcher ordnung zu folge, auch unserm Herrn Gott und dem Amt zu Ehren und euren Kindern zu gut sie mit solcher Auflagen verschonen wolltet, so hette doch solches bey euch kein Stadt haben mögen, sondern hettet wie sie berichtet würden bey euer vorigen Meynung nochmals beharrett. Wenn nun jetzt berürte unsere Kirchen Ordnung kol. 218. L ssgu., den Dingen ihre rechte Maß gibt, nemblich das die Kirchen Diener, wenn sie eigene Güter, steürbar sind, an sich bringen, Es geschehe durch Erbfall, Heyrat, Kauf oder sonst, dieselbe gleich andern versteüren und alle ousra davon willig leisten, darneben aber ihrer Person halben so lang sie in Dienst sind, aller fron, wach, und dergleichen persönlicher onorum srey seyn sollen, und daß ir alß gehuldigte Unterthanen bey euch gelten lassen müsset, und derselben zu gehorsamen schuldig seidt, So wollen und befehlen wir euch hiemit gnädig und Ernstlich, das ihr die Kirchen und Schuldiener mit der Musterung, Wach und andern ousribus psrsonalibus unbeschwerdt und euch an dem das sie ihre des Orts habende eigene Güter gleich andern verschossen und verschätzen, genügen lasset. Das ist an ihm selbst Christlich und recht, und berürter unser Kirchen Ordnung gemeß, und unser zuverleßiger Will und Meinung. Und seindt eüch sonsten mit Gnaden gewogen. Datum Wolffenbüttel den 4. lulii H.uuo 95. Lsiurioü llulius llokauu. Deüsusr. D. König Friedrich Wilhelm I. räumte im Jahre 1737 im ganzen Lande mit den aus der katholischen Kirche noch übriggebliebenen Ceremonien so gründlich auf, daß beim Abendmahl nicht einmal mehr Lichter brennen durften und alles gesprochen, nicht vom Geistlichen gesungen werden sollte. Unter ihm geschah am 12. Aug. 1738 eine große Visitation in der Grafschaft; sämtliche Prediger und Lehrer wurden vom Consistorialpräsidenten von Neichenbach aus Berlin in der St. Johanniskirche in Ellrich bei verschlossenen Thüren nach den Conduitenlisten vernommen und an ihre Pflicht erinnert. Der Nachfolger König Friedrich Wilhelms I. stellte einige der Ceremonien wieder her, gestattete das Anzunden von Lichtern am Altäre, und die Gemeinde durfte wieder das Gloria, Credo, die Einsetzungsworte und den Segen singen. Zweiter AbschnittWährend im Vorhergehenden, um die politische und Kirchengeschichte der Stadt Ellrich zu kennzeichnen, stets Rücksicht auf die Geschichte der Grafschaft Hohenstein genommen werden mußte, ohne welche die Geschichte der Stadt Ellrich nicht verständlich sein würde, gehen wir im Folgenden auf die Stadt selbst ein. 1. Uame dev Stadt. In Dronke's Eoäsx äipl. Uulckensis findet sich aus dem Jahre 874 unter-Nr. 610 eine Urkunde, in welcher unter anderen thüringischen Namen folgende genannt werden: Hackekrantssroä, ^.larici, Ulcriira, ^VirLnkrrurno, UnZ-o und Unrari. In den trackitioiikZ ^nlcksnsss desselben Verfassers stehen im Kapitel 46 in derselben Reihenfolge die Namen: Hackadralilksrock, ^.Iriclissrat, Ulerliia, 'Wlrenkrulino, HaZ-611, ^urari. Unter diesen Ortschaften sind wohl zunächst unzweifelhaft das jetzige Branderode, Weißenborn, Hain und Furra zu verstehen, während die Namen ^lariei, ^.IricllsZtLr und UlsriliL zweifelhaft erscheinen können. Sie bedeuten jedenfalls nicht einen und denselben Ort, da sie zweimal neben einander stehen. Früher war man geneigt, die Bildung Ulerinn für das heutige Ellrich zu halten und glaubte, daß Uterina für Ulericn verschrieben sein könnte, während man die beiden anderen Bildungen mit Erfurt in Zusammenhang brachte. Beide Vermutungen sind indessen unwahrscheinlich, und glücklicher erscheint die in neuerer Zeit aufgestellte Behauptung, daß Ulerinn infolge undeutlicher Schrift aus Gerinn entstanden und unter demselben das unfern von Ellrich belegene jetzige Dorf Werna gemeint sei, daß dagegen ^.lnriei und ^.Iricllesrnt Namen für Ellrich seien. Aus dieser Annahme rechtfertigt sich einmal die unmittelbare Zusammenstellung von ^Inriei und ^.lriclrsstnt mit Ulerinn, zwei in allernächster Nähe gelegenen Ortschaften, und in der Bildung ^.IricUeZtnt hätte man es mit einer ähnlichen Namensbildung zu thun, wie in dem oben genannten Uncknbrnnresroch was Rodung des Hadabrant bedeutet. ^Iricllsstnt wäre demnach die Stätte, der Wohnsitz des Alarich. Da nun das Land vom Harze bis zur Unstrut Bestandteil des alten thüringischen Königsreichs war, so haben wir es jedenfalls mit einer Ansiedlung
des thüringischen Stammes zu thun, insbesondere da die Endung „stedt“ gleichbedeutend mit Wohnstätte ist, den Wohnsitz einer einzelnen Famlie bezeichnet und sich in den thüringischen Gauen sehr häufig findet. Die Grafen von Clettenberg schenkten der Kirche in Ellrich im Jahre 1229 4*/z Hufe von dem Besitz, den sie in Ellrich hatten „sx aZ^is nostris, czuos in preckieto Ulreke possiäsmus“. Am Schlüsse der Urkunde heißt es dann noch: „Return in oppiclo nostro Ulreke“. Die Stadt gehörte somit zweifellos zur Grafschaft Clettenberg, und die engen Beziehungen zwischen beiden sind hieraus sehr erklärlich. Ihnen hat es Ellrich vielleicht auch zu verdanken, daß es bereits 1229 einen eigenen Pfarrer hatte, wie aus einer Walkenrieder Urkunde ersichtlich, in der unter den Zeugen ein Hermanriu8 plekanus äs Ulricke genannt wird. Überhaupt nennen die Walkenrieder Urkunden von dieser Zeit ab den Namen Ellrich sehr oft, und zwar meistens in den Formen Ulricke, Ulrike oder Ulrick. Der alte Name ^.lrick68tat kommt nirgends mehr vor und es ist wohl anzunehmen, daß die Bildung ^.larici die gebräuchlichere gewesen und im Laufe der Jahrhunderte in Ulricks oder Ulrike umgewandelt worden ist. In spätern Jahrhunderten war diese Ableitung unbekannt, und als man versuchte, eine Erklärung für den Namen zu finden, glaubte man, wie auch Schmaling in seinem „Hohensteinschen Magazin“ schreibt, ihn von dem häufigen Vorkommen der Ellern in der Umgegend unserer Stadt ableiten zu müssen, wonach Ellrich soviel bedeuten würde wie „rlk au Ullsrn“, reich an Ellern. Diese Ansicht vertritt auch Leukfeld in seinen ^.liticguitate8 ^Valksliriscksi^sZ S. 9. Allein die in vielen alten Urkunden, so z. B. in einer vom Jahre 1230, in welcher die Stadt „villa (Dorf) Ulrike“ genannt wird, stets übliche Schreibweise des Wortes mit einem „l“ weist die Nichtigkeit der Ableitung von dem Worte Ullsrn zurück. Die jetzige Schreibweise des Wortes Ellrich mit zwei „l“ ist also der Abstammung nach falsch und es wäre wünschenswert, wenn die allein richtige Schreibung Ulrick wieder eingeführt werden könnte. 3. Kau und Entwicklung der Stadt CUrich. Die älteste Ansiedlung wird man im Norden der jetzigen Stadt zwischen der Zorge und dem Frauenberge zu suchen haben, auf dem damals auch die Hauptkirche sich befand. Im 10. Jahrhundert soll die Stadt ummauert, zum Schutze gegen die Einfälle der Ungarn mit Gräben, Mauern, Türmen und doppelten Thoren befestigt und vom Kaiser mit den Brau-, Markt- und andern Stadtgerechtsamen versehen ivorden sein. Urkundlich hören wir von einer Befestigung der Stadt erst im Jahre 1315. In einer Walk. Urkunde von diesem Jahre bezeugt Graf Heinrich von Hohnstein, daß der Abt von Walkenried und Willekin von Burgdorf übereingekommen seien, den zwischen ihnen obwaltenden Streit wegen einiger Güter zu Urbach durch Schiedsrichter entscheiden zu lassen, und zwar sollte das Schiedsgericht in inonts Keulas klarias virZlnis extra muros oppicki Ulrick, also auf dem Frauenberge außerhalb der Mauern der Stadt Ellrich, abgehalten werden. Die noch vorhandenen Mauerüberreste lassen die Befestigungsanlagen ziemlich deutlich erkennen. Die Stadt war mit einer Mauer umgeben, die sich von dem noch vorhandenen Ravensturm aus, im Norden der Stadt, an dem Mühlengraben die Zorge entlang zum Mühlenthore erstreckte, von da bis zum Ende der Kirchgasse ging, dort links umbog, an der jetzigen katholischen Kirche dann das Nordhäuser Thor erreichte und wieder links umbiegend längs der Hintergasse auf das Wernaer Thor stieß. Sie ging von da in gerader Richtung weiter bis zum neuen Thore, wandte sich sodann nach links und traf, am jetzigen „Bürgergarten“ vorübergehend, in dem Eckert'schen Garten wieder auf den Ravensturm. Hier sind auch die Gräben noch vorhanden, die außerhalb der Mauer hinliefen, und jedenfalls mit den oberhalb der Stadt liegenden Teichen in Verbindung standen. Die Mauer wurde von einer Anzahl in ungleichen Abständen errichteter Halbtürme überragt, die nach außen abgerundet waren und zum Teil ebenfalls noch vorhanden sind. Die Thore hatten naturgemäß stärkere Befestigungen und trugen viereckige Türme, die in späteren Zeiten als Gefängnisse dienten. Die Verteidiger dieser Befestigungen waren im Falle der Not die Bürger selbst, deren sonstige Beschäftigung vorzugsweise der Ackerbau war. Später baute Heinrich IV. im Harze eine ganze Reihe von Burgen unter dem Vorwände, sich der Feinde zu erwehren, in Wirklichkeit aber, um seine Gegner, die Sachsen, mehr im Zaume zu halten. So soll unter seiner Regierung auch auf dem Burgberge, im Süden der Stadt, von ihm eine solche Schanze oder Burg angelegt sein, wovon noch am Ende des vorigen Jahrhunderts Spuren vorhanden waren, und die darunter liegende Nitterhagengasse, deren Name sich bis heute erhalten hat, soll ihre Bezeichnung daher haben, daß in der Zeit, als der Burgberg von Mannschaften besetzt war, hier Ritter oder Reiter gewohnt haben. Über die eigentliche Größe der Stadt haben sich aus dem 15. Jahrhundert Urkunden noch nicht erbringen lassen; die erste Beschreibung der Stadt findet sich in einem Verzeichnis der Kurfürstlich-Sächsischen Lehnsstücke der Grafen von Hohenstein aus dein Jahre 1573. Dem Kurfürsten von Sachsen stand nämlich seit der Zeit des thüringischen Erbfolgestreites, durch welchen Thüringen an den Markgrafen von Meißen gefallen war, die Oberlehnsherrschaft über die Grafschaft Lohra und die Städte Ellrich und Bleicherode zu. Gleichzeitig hatten die Kurfürsten Anteil an der Lehnsherrschaft über die Grafschaft Mansfeld, und zwar in Gemeinschaft mit dem Bistum Halberstadt. Um nun bei der damals eingelciteten Sequestration der Grafschaft Mansfeld freiere Hand zu haben, tauschte der Kurfürst August von Sachsen diejenigen Teile derselben, welche bischöflich Halberstädtisches Lehen waren: die Städte und Dörfer Eisleben, Hettstedt, Polleben, Wimmelburg usw. gegen die Grafschaft Lohra, die Städte Ellrich und Bleicherode ein, so daß nunmehr die Grafschaft Hohenstein zum größten Teile halberstädtisches Lehen wurde. Diese Veränderung der Oberlehnsherrschaft geschah durch den „Halberstädtischen Permutationsreceß“ vom 26. Oktober 1573. In dem hierauf bezüglichen Verzeichnis finden sich über Ellrich folgende Nachrichten: (vergl. Zeitschrift des Harzvereins III. Bd., S. 592 ff.) „Elrich, eine ziemliche stadt, die Einwohner darinnen nehmen sich des Hartzes und geholtz im Hartz und wird dafür gehalten, daß 500 besessener man darinnen.“ An einer späteren Stelle heißt es weiter: „Umb die Statt Elrich ist es also gelegen, das dieselbige mitt einer schlechten mauren umbfangen. Was darin begriffen, halten die Grafen von Honstein vor Sächsisch Lehen. Die Vorstette sambt denn Gerichten außerhalb der Statt, so wol auch im Burgerholtze gehören in die Herrscbaft Cletten- bergk, werden auch daselbst hin mitt Pfannden und dergleichen Dingen, das gerichtliche ^.etus seindt, gebraucht. Wann aber die Vorstette abgetzogen, so will an der Mannschafft ein Großes abgehen. Darumb können wir eigentlich nicht wissen, wie vil der Burger sein, tragen aber Vorsorge, Las die Zal sich schwerlich aufs fnnffhnndert erstrecke und ist mehres theils ein arm Volk, das sich seiner sauren Hanndarbeit inn dem Hartze (der gleichwol sehr verwüstet) muß ernehren. Der Brauhandel ist gar geringe, kumpt an einen Burger deß Jahrs mitt genauer nott zweymal. Die Bier seindt nichts besonders, das der Bauerßmann uffm Lande, die zu trinken mitt gebetten muß genottrennget werden, thutt eß doch unngerne, und steht dasselbige bey dem Jnnhaber der Herrschafft Clettenbergk, waß er dessen thun oder verhenngen will. Der Ackerbau ist geringe, wie eß pfleget am Hartze zu sein, dahero folget, daß die Burger denn Gersten, so sie vormeltzen, alle muffen in Düringen oder Sachsen, so wol auch den Hopfen hohlen, haben mitt noth von den Hanndt in den Mundt. Wann Johann Gaßmans sehligern und deß Muntz- meisters erben außgezogen, darffen wir wol sagen, das wenige Leute inn Elrich wohnen, die über thausenndt Thaler reiche seindt. Dann wir bey- leusfig berichtet, waß die Reichsanlagen unnd andere Contributionen pflegen zu tragen. Die Hütte, so den Burgern, die Meste genannt, zuekompt, ist deß Closters Walkenriden Lehen, gibt inn die Statt nicht einen Heller oder Pfenning, sondern das huttenrecht folget dem Stifft Walkenriden, Gerichte, Recht über Halß unndt Hanndt gehortt dem Grafen inn die Herrschaft Clettenbergk, ist Halberstatisch Lehen.“ Wenn es wahr ist, daß in Ellrich 25 Jahre später — 1598 — 1100 Menschen an der Pest gestorben sein sollen und nicht vielmehr die Angabe Eckstorms, daß nur 400 Personen gestorben seien, richtig ist, so kann die Größe und Bedeutung der Stadt in dieser Zeit nicht erheblich gewesen sein, zumal sie oft von größeren Bränden empfindlich heimgesucht wurde. Der Anbau der Vorstädte vor den 3 Thoren, wie auch der Bau der Mühlen an der Zorge, erfolgte später in ruhigen Zeiten Die Thoroder L>t. Johannismühle entstand zuerst, sie wurde zugleich mit der Stadt zum Besten der Brauerei angelegt. Auf diese Mühle erborgte der Magistrat im Jahre 1611 vom Kloster Walkenried 1000 Jochenthaler. Über den Umfang der Feldmark fehlen zwar alle Angaben, aber es ist anzunehmen, daß sie nicht eben groß gewesen ist. Wie in anderen Gegenden wird auch hier in den ältesten Zeiten die Feldgemeinschaft mit wechselnder Hufenordnung bestanden und Sondcreigentum sich erst nach und nach ausgebildet haben, nachdem die Hufenordnung eine feste geworden war und dem Einzelnen seine Quote ein für allemal belassen wurde. Aus einem solchen Nutzungsrechte erwuchs schließlich das Eigentum, und es blieben nur noch der Wald, sowie Wiesen und Weiden in der Gemeinschaft. Eine gewünschte Erweiterung erhielt die städtische Feldmark durch die Erwerbung der Aue als Erbzinsgut im Jahre 1376. Die Ellricher Bürgerschaft führte wegen des Verkaufes der Aue an das Kloster Walkenried seitens der Hohnsteiner Klage und wurde mit dem Kammerforst entschädigt. Möglicherweise hat somit die Aue in den frühesten Zeiten zu Ellrich gehört und ist ihnen auf irgend eine Weise genommen. In der Walk. Urkunde nun vom 6. April 1376 bekennen „Graf Heinrich von Hohnstcin, jetzt Herr zu Lare und Clettcnberg, und die Ratmeister, der Schultheiß, die Natleute und die ganze Gemeinde, reich und arm der Stadt Ellrich, daß die Bürger dieser Stadt von dem Abte und Konvente des Gotteshauses zu Walkenried die demselben als freies Eigentum gehörende Aue, gelegen zwischen der Stadt und dem Auegraben, die jetzt ausgerodet ist, zum Erbenzinsgute gegen einen jährlichen Zins von zwei Marktscheffeln von der Hufe eingegeben erhalten haben, um sie nach ihrem Gefallen als arthaftes Land, als Hopfengarten oder als Wiesenwachs zu benutzen, jedoch mit der Bedingung, die Länderei nicht in kleinere Teile, als in Viertelhufen zu vereinzelnen, auch ohne den Willen der Vormünder des Klosters nicht in fremde Hände zu bringen und bei Veräußerungs- oder Erwerbungsfällen die Hälfte des gebührenden Zinses zum Lehnrechte zu geben.“ Im Jahre 1256 verkauft Graf Heinrich von Hohnstein an das Kloster Walkenried seine Fischteiche bei Ellrich, das Himmelreich genannt: piscünas saus, acljueeiitks villus lUrilrL, vulZD vocmirtur H^msl- riclle, nebst dem Auewald und dem Breitenberge, ebenfalls bei Ellrich gelegen. In einer Urkunde vom Jahre 1267 werden diese Besitzungen nochmals genannt, und erst aus einer Urkunde vom 30. März 1292 ist ersichtlich, daß die Grafen von Hohnstein Ellrich selbst besitzen. Die Urkunde lautet wörtlich: Idsoäorieus st Uenriens, eomitss äs Ilonstsn — euin eivss sui äs Dlrieb äs ijuaäain silva äieta Minor Owa, «luaiii pater ipsorum com es Neinrieus et seelssia IValbenriäsnsis 4V annos Juists posseäsrunt, yuasriinoniam iiioveriiit, cjuasi aliiMä ^juris liaberent in saäeiu et enin ipsi st patris 8ui et 8no xromisso, c^nia seelesiain IVallcenreäsnsem äs äieta silva varsnäare äsbsbent, sivibus illis, liest minus äedite, c>uanäsn> aliam silvam äiotam Oamsrtorst äeäsrint, testantur, Mvä äioti eivss, tum ipsi coosvlcs yuLm commune vul^us civitatis Mricü omni ^uaerimonias kaditas reuuutiuverunt. Die Grafen Dietrich und Heinrich bezeugen also, daß ihre Bürger ill Ellrich ihren vermeintlichen Anspruch auf den kleinen Auewald, den die Hohnsteiner und das Kloster 40 Jahre besessen, aufgegeben und in dem Kammerforst eine Entschädigung dafür erhalten haben. Letzterer gehört noch hente der Stadtgemeinde Ellrich; derselbe liegt zwischen dem Kolonistendorfe Cleysingen und Woffleben, gehörte ursprünglich zu dem daselbst befindlichen königlichen Gute als Reichsforst und ging mit den anderen Reichsbesitzungen im 12. Jahrhundert an die Grafen von Hohnstein über. Die Häuser der Stadt wurden nach der Harzer Bauart aus Holz aufgeführt, weshalb auch die vielfachen Brände, von denen Ellrich im Laufe der Jahrhunderte heimgesucht wurde, erklärlich sind. Die Straßen waren ursprünglich eng und winklig, und an Plätzen wies die Stadt, wie auch jetzt noch, nur den Marktplatz neben der Johanniskirche auf. Die Türme auf den Mauern, sowie die befestigten Thore wurden nach und nach, da durch die Erfindung des Schießpulvers ihr Wert vollständig hinfällig geworden war, abgebrochen. Das Nordhäuser Thor wurde im Jahre 1766 niedergelegt, das dabei gewonnene Material wurde zum Bau der Brücke über die Zorge verwendet. In dem Ravensturme, der noch jetzt zum Teil erhalten ist, befand sich ein Gefängnis. Nach dem Bauernkriege wurden eine Reihe Bauern in Türmen auf der nordöstlichen Seite der Stadt gefangen gehalten. Einer von diesen Türmen war hoch unterwölbt, und oben im Turme befand sich ein Loch, durch welches die Gefangenen hinabgelassen wurden, sodaß sie weder Sonne noch Mond sahen, und ihnen jedes Mittel zu einer Errettung ab- gcschnitten war. Am Ende des 30 jährigen Krieges befanden sich in Ellrich 38 gebaute Brau-Häuser, 13 Hinter- oder Kellerbrauhäuser, 95 Hintersättler- Häuser, Summa 146 bewohnte Häuser, 33 unbewohnte wüste Häuser und 237 Brau- und Hintersättler-Brandstütten. An Mannschaften zählte man 8 Ratspersonen, incl. Stadtschreiber, 119 bürgerliche Mannspersonen und 27 Witwen, jo eigene Häuser haben, dazu 21 Mann an Hausgenossen, die keine eigenen Häuser haben, sondern zur Miete wohnen. An Handelsund Handwerksleuten gab es einen Bänder-Krämer, 15 Schuhmacher, von denen aber nur zwei ihr Handwerk treiben, 3 Schneider, 2 Lohgerber, 3 Hufschmiede, 4 Weißbäcker, 3 Schwarzbücker, 6 Leinweber, 4 Fleischhacker, 2 Weißgerber, 2 Schwarzfärber, 2 Wagner, 1 Sattler, 2 Zimmerleute, 1 Maurer, 1 Schlosser, 1 Nagelschmied, 1 Töpfer, 1 Tischler, 1 Drechsler und 2 Bader. Die gesamte Stadtflur betrug 1537^ Acker oder 68 Hufen und 10 Acker, und zwar bestand sie teils aus freier Länderei, teils aus Cleysingischem und Walkenrieder Klosterzinsland, sowie aus Wiesen und wüstem Lande. In der Entwicklung der Stadt spielte von alters her die Kolonisation eine große Rolle. Im 15. und 16. Jahrhundert waren es zwar nur einzelne Personen, die aus der näheren Umgegend nach Ellrich zogen und — wie oben bemerkt — sich nach ihrer Heimat benannten. In den folgenden Jahrhunderten sind es in erster Reihe die Juden, die sich in größerer Anzahl in Ellrich niederließen; sie werden bereits 1620 in der Kämmerei-Rechnung aufgezählt und müssen dem Rat Tribut zahlen. Im allgemeinen nämlich wurden die Juden in Deutschland als Fremde betrachtet und von der Rechtsfähigkeit ausgeschlossen; sie bedurften deshalb eines Schutzes, den zu gewähren Reservatrecht des Kaisers war. Später gelangte dieses Regal, das man als ein nutzbares behandelte, durch Verleihung in die Hände der Fürsten und Städte, und diese forderten den Tribut von den des Schutzes bedürftigen Juden. Die Zahl der letzteren in Ellrich wuchs ständig, und ihr Wohlstand hob sich besonders zur Zeit des 7 jährigen Krieges, wo sie mit Geldwechseln und sonstigem Handel große Geschäfte machten. Man hat die Niederlassung der Juden in größerer Anzahl in Ellrich und den benachbarten kleinen Dörfern Sülzhain und Werna mit dem Zusammentreffen der preußischen, braunschweigischen und hannoverschen Grenzen in Verbindung zu bringen gesucht und darauf hingewiesen, daß in der Nähe derselben ein lebhafter Handel, wohl auch Schmuggel getrieben worden ist, aus dem die Juden Vorteil zu ziehen verstanden haben. Die Anwesenheit verhältnismäßig vieler Juden in den beiden genannten Dörfern, wo besondere Synagogengemeinden bestanden, ließe sich zum wenigsten daraus erklären, da es sonst nicht Sache der Juden ist, einsame Dörfer zu ihrem Aufenthalte zu nehmen. Von größerer Bedeutung für das Wachstum der Stadt waren die verschiedenen Versuche der preußischen Regierung, Kolonisten in Ellrich anzusiedeln. Bald nach der endgiltigen Übernahme der Grafschaft begannen die Kolonisationsarbeiten, denen sich die Hohenzollern zu jeder Zeit unter den größten Geldopfern gewidmet haben, um ihr Land zu bevölkern. Die erste Gelegenheit für Ellrich bot sich 1709, als eine Pfälzer Kolonie sich in der Vorstadt anzusiedeln beabsichtigte und die Nikolaikirche für sich beanspruchte. Da jedoch der Magistrat und die Geistlichkeit wegen der Überlassung der Kirche Schwierigkeiten machte, zerschlug sich die Sache und die Niederlassung unterblieb, wenigstens lassen sich keine urkundlichen Nachweise einer Ansiedlung von Pfälzern erbringen. Eine gute Gelegenheit dazu bot sich sodann im Jahre 1732. Infolge der argen Bedrückungen durch die Bischöfe verließen über 20 000 Salzburger ihre Heimat uud fanden in Preußen Unterkunft. Es wurde ein allgemeines Reskript an den Adel, die Beamten und die Magistrate erlassen, nach welchem schleunigst Nachrichten eingezogen werden sollten, ob jemand in den Städten und auf dem Lande bereit sei, von den an- kommenden Salzburgern einen oder mehrere als Ackcrsmann, Handwerker, Knecht oder Magd zum anständigen Aufenthalt aufzunehmen. Der Magistrat in Ellrich konnte nur berichten, daß es infolge eines kürzlich stattgehabten Brandes unmöglich sei, solche armen Leute auf eigene Kosten in der Stadt ansässig zu machen. Ein ferneres Rescript, daß der König es sehr gern sähe, wenn einige Familien untergebracht würden, und daß sich keiner an die Armut der Emigranten kehren dürfe, da der König die Herausgabe des Vermögens der Auswanderer vom Bischöfe erzwingen werde, hatte in Ellrich ebensowenig Erfolg. Desto freundlicher allerdings war die Aufnahme von 900 Emigranten, die über Mühlhausen, Nordhausen nach Halberstadt geführt und zum Teil in Ellrich einguartiert wurden. Am 29. August 1732 langten sic an, wurden vor dem Wernaer Thore von der Geistlichkeit, der Schule, dem Magistrat und der Bürgerschaft unter Glockengeläute feierlichst eingeholt und nach Abhaltung eines Gottesdienstes auf das beste bewirtet. Die Opferfreudigst der Bürgerschaft war wahrhaft groß, jeder, dessen Mittel es gestatteten, nahm einen oder mehrere Emigranten mit nach Hause, und man wetteiferte im Bezeigen von Wohlthaten. Allgemein lobte man dagegen auch die natürliche Aufrichtigkeit und Redlichkeit, sowie die christliche Einfalt der lieben Gäste. Am folgenden Tage brachen die Salzburger von Ellrich auf, nachdem sie das Frühstück eingenommen; sie wurden bis vor das Thor geleitet, wo ihnen der Diakonus noch eine „gar bewegliche und erbauliche Valet- und Trostesrede“ hielt und sie dann unter Glück- und Segenswünschen zu ihrer ferneren schweren Reise entließ. Zu einer Niederlassung in größerem Maßstabe hatte sich indessen auch diesmal der Magistrat nicht entschließen können, wohl erwägend, daß es arme Leute seien, die keine Steuern bezahlen, aber Unterstützung gebrauchen könnten. Zu Niederlassungen in größerem Umfange kam es vielmehr erst etwa vier Jahrzehnte später unter der thatkrästigen Regierung Friedrichs des Großen. An der alten Kaiserstraße zwischen Ellrich und Woffleben lag das kleine Dorf Cleysingen, welches seinen Namen wahrscheinlich von einer an jener Straße belegenen Klause oder Clus hat, wie sie an den Heerstraßen statt der jetzigen Gasthäuser zu stehen pflegten. Neben einer solchen Klause wird das Dörfchen entstanden sein; es wird 1209 Clusingin, 1229 Glusinge, 1287 Clusinge und 1364 Clusingen genannt. Es liegt unmittelbar an der Zorge, soll daher von jeher viel von dem Hochwasser derselben zu leiden gehabt haben und in den Jahren 1398 und 1409 weggeschwemmt sein. Urkundliche Nachrichten fehlen darüber. Das Dorf lag jedenfalls lange wüst, und die Feldmark gehörte zu Ellrich. Der Wiederaufbau von Cleysingen war nun das Bestreben des großen Königs. Bereits im Jahre 1753 wurde von der Regierung ein Anschlag gemacht und dem Magistrate von Ellrich befohlen, das nötige Holz aus dem Forste zu verabreichen. Geplant war ein Gasthof und 5 Höfe mit Gärten und Ackerland. Es fanden sich im Laufe der Jahre auch 6 Kolonisten ein, welche die Stellen zu übernehmen bereit waren, einige von ihnen bekamen in einzelnen Raten 100 Thaler zum Aufbau ausgezahlt, doch machte der Magistrat mit dem Anbau keinen rechten Ernst, bis er von der Kammer heftige Vorwürfe über seine Lässigkeit erhielt. Im Jahre 1761 waren erst 2 Unterthancn in Cleysingen, die 4 Häuser inne hatten; die übrigen kamen mit dem Aufbau nicht zustande und liefen schließlich wieder davon, so daß erst 1770 die letzte Kolonistcnstelle vergeben werden konnte. Mit mehr Energie wurde die Kolonisation in Ellrich selbst betrieben. Das Kammer-Präsidium hatte die Anlegung einer neuen Straße von 24 Häusern vor dem Zorger Thore für gut befunden und beim Könige beantragt, der Magistrat solle einen Bebauungsplan anlegen lassen und über die Leistungen der zu etablierenden Kolonisten berichten. Es lag in der Absicht der Kammer und dahin lautet auch der Bericht an den König, daß der Magistrat den Plan entwerfen, der Landbaumeister den Häuseranschlag machen, und die Häuser selbst durch Unternehmer gebaut werden sollten. Jedes derselben sollte 100 Thaler kosten, es sollten nur gute Leute, insbesondere Tuchmacher und Wollspinner angenommen werden, wobei der Magistrat die freie Wahl der Annahme hatte. Jeder der Kolonisten bekam 15 Freijahre bezüglich der Steuern und die Fabrikanten waren angewiesen, den sich Niederlassendcn Arbeit zu gewähren. Infolge Bekanntmachungen durch die Zeitungen meldeten sich eine Anzahl Kolonisten und in den Jahren 1776—1777 konnte die Kolonie als fertiggestellt bezeichnet werden. 3. Kage -er Stadt Gltrich. Ellrich, das seit dem Jahre 1815 dem Kreise Grafschaft Hohenstein und dem Regierungsbezirk Erfurt angehört, liegt im nördlichen Teile des genannten Kreises unter dem 29° ö. L. und dem 52“ n. B. Der Flächeninhalt des Stadtgebietes beträgt 1662 lla, davon entfallen auf die Stadtlage 59 lla incl. 25 lia Gärten, auf die Feldmark kommen 1239 lla und auf die Forsten 333,139 lla. Das Weichbild wird nach Westen und Nordwestcn vom Herzogtum Braunschweig, im Norden und Osten von der Provinz Hannover, im Süden, Südwesten und Südosten von den Fluren Gudersleben und Woffleben begrenzt. Innerhalb dieses Terrains beträgt die durchschnittliche Ausdehnung von Norden nach Süden und von Osten nach Westen etwa 3°Z km. Die Flurgrenzen und die Hoheitsgrenzen gegen Braunschweig sind vermessen, kartonniert und versteint, und neben einer speciellen Flurkarte ist eine Forstkarte und ein Grundriß der Stadt vorhanden. Die Flur bildet ein welliges Hügelland vom Thal der Zorge durchschnitten. Im Norden sind in i/z stündiger Entfernung die Südberge des Harzes vorgelagert, während im Süden Gypsberge, die den Namen Himmelreich und Bonthelberge tragen, den Blick nach Süden einengen. Nach Westen schließt ein Höhenzug, der Rain, auf welcher die Grenze zwischen Walkenried und Ellrich hingeht, den Blick auf Walkenried ab. Mehrere kleine Erhebungen befinden sich unmittelbar neben der Stadt, und zwar im Süden der Burgberg, auf dem noch am Ausgange des vorigen Jahrhunderts Schanzgräben zu sehen waren, im Norden der Fraueuberg und im Osten der Galgenberg und der Riesenberg, unter denen sich der Rhodebach hinschlängelt. Vom Riesenberge wurde in der Nacht zum 5. Juni 1782 ein Stück durch Erdbeben abgesprengt. Der Galgenberg führt seinen Namen von der Richtstätte, die sich früher hier befand; im Jahre 1755 sollen noch einige Stücke des alten Galgens auf dem Berge gelegen haben. Die Zorge, welche den westlichen Teil der Stadt durchfließt, entspringt bei dem braunschweigischem Dorfe Hohegeiß und hat in der Stadtflur Ellrichs eine normale Sommerbreite von 20 Fuß und 1—2 Fuß Tiefe. Das Flußbett ist um vieles breiter, als der gewöhnliche Wasserstand und ist mit dem aus dem Harze herniedergeschwemmten Geschiebe von Schiefer, Grauwacke, Hornstein u. s. w. angefüllt. Bei eintretender rascher Schneeschmelze wird das breite Bett oft überflutet und die Stadt sowie die angrenzenden Äcker werden stark gefährdet. Sie macht damit ihrem Namen Ehre. Der Name ist abzuleiten von tur, rur ^ böse, zornig, in übertragener Bedeutung würde also Zorge als die wildgehende zu erklären sein, was wie bereits gesagt, ihrem Charakter durchaus entspricht. Der Boden, auf dem Ellrich steht, ist kiesig und wasserreich, wie die ganze Gegend um die Stadt, in der zahlreiche Teiche angelegt sind, die jetzt zur Fischzucht verwandt werden. Der bedeutendste Teich ist der Frauenbergsteich im Norden der Stadt, der zu gleicher Zeit dem Zwecke dient, im Falle einer Feuersbrunst das nötige Wasser für die Löscharbeit zu liefern. 4. Die klimatische« Verhältnisse Ellrichs. Die klimatischen Verhältnisse sind wegen der Nähe des Harzes für die Vegetation nicht so günstig wie für die Gesundheit. Es kann z. B. mit der Beackerung der Felder gewöhnlich erst Ende April begonnen werden. Die Roggenernte findet Ende Juli oder Anfang August statt, die Weizen- oder Gerstenernte 14 Tage später, die Haferernte im September, der erste Schnitt der Wiesen Ende Juni oder Anfang Juli, der 2. im September. Die durchschnittliche Jahreswärme beträgt 6,89“ R.. Die Luftströmungen kommen meistens von Westen, mit öfteren Schwenkungen nach Südwesten, Ostwind ist selten. Hagelwetter kommen bei verhältnismäßig häufigen Gewittern selten vor. 5. Die Münze i« Ellrich. Was die Ellricher Münze anbelangt, so ist es nach den Forschungen von v. Posern-Klett, dem wir lediglich folgen, zwar ungewiß, ob dieselbe bereits unter den Grafen von Clettenberg bestanden hat, indessen haben die Grafen von Hohnstein, wie durch Münzen und Urkunden bewiesen ist, in Ellrich prägen lassen. Man hat im Jahre 1831 unfern der Klosterkirche bei Ilfeld Brakteaten gefunden, welche dem Ende des 13. Jahrhunderts angehören und mit einem Hirsche bezeichnet sind. Da nun die Grafen von Hohnstein als Besitzer der Herrschaft Clettenberg einen Hirsch im Wappen führten, und Ellrich jener Fundstätte sehr nahe liegt, so ist anzunehmen, daß diese Münzen in Ellrich geprägt worden sind. Z Sicher bekundet dagegen ist das Vorhandensein einer Münzstätte in Ellrich einige Zeit später. Im Jahre 1332 und 1334 nämlich schlossen die Städte Nordhausen und Ellrich Münzverträge behufs Herbeiführung einer 0 Nach mündlicher Mitteilung eines hervorragenden Münzkenners ist diese Vermutung nicht richtig, da die Hohnsteiner einen Hirsch im Wappen nicht geführt haben. übereinstimmenden Münze. Während nach dem elfteren Vertrage 34 Schillinge oder 408 Pfennige eine Mark wiegen sollten, war die Zahl derselben in dem zweiten schon bis auf 50 Schilling oder 600 Pfennig gestiegen. Diejenige Stadt, welche erweislich von dem Feingehalte abgewichen war, mußte der anderen 10 Mark Strafe zahlen. Im Jahre 1382 traten die Städte Stollberg, Heringen, Bleicherode und Kelbra den Vertrügen bei. Aus der Zeit derselben stammen auch die bisher bekannt gewordenen Ellricher Pfennige, welche mit dem Namen des Münzortes bezeichnet sind. Sie zeigen entweder einen Helm, daneben auf beiden Seiten des Randes ein halbes Hirschgeweih und sind unten mit drei Punkten verziert, oder einen Helm, an den sich das Hirschgeweih direkt anschließt. Als Umschrift findet sich entweder kl. oder kH Die Ellricher Münze aus der Kipperzeit führt nach Leitzmann nicht den Hohnsteinschen Schach, sondern das Stadtwappen, welches das landesherrliche Wappen ist. Über die sonstigen Münzverhältnisse in Ellrich ist wenig bekannt. Der Ellricher Chronist des vorigen Jahrhunderts, der Oberprediger und Inspektor Schmaling, berichtet nur, daß die Stadt vor Zeiten eine Münze gehabt, die auf dem Mühlhose gestanden; ein gräflich Wittgensteinscher Münzmeister habe in dem Hause Nr. 222 der Kirchgasse gewohnt. Schmaling selbst hat noch Ellricher Scheidemünzen, auf denen der Name und das Wappen der Stadt, ein zwölffeldiges rot- und weißgeflecktes Schachspiel geprägt waren, gesehen und teilt ferner mit, daß ein alter Bürger angeblich noch einen Reichsthaler gesehen, auf welchem Name und Wappen der Stadt mit der Zahl 48 gestanden. Aus dem Akten-Material lernen wir nur einen Münzmeister kennen, der zugleich Bürgermeister war: es ist Valentin Sickel; er machte sich dadurch einen Namen, daß er um das Jahr 1570 der Kirchenbibliothek mehrere Bücher verehrte. Im übrigen läßt sich nicht ermitteln, wie lange in Ellrich gemünzt ist; in der Ratsrechnung von 1622 findet sich noch ein Ausgabeposten für die Münze, doch ist jedenfalls dieselbe nach dem großen Brande 1627 nicht wieder aufgebaut. 6. Das Stadtrvappr« GUrichs. Aus einer Urkunde vom 30. März 1292 erfahren wir zuerst, daß Ellrich ein Siegel führte. Dieses noch wohlerhaltene Siegel befindet sich im Landeshauptarchiv zu Wolfenbüttel, läßt im Schilde das Hohnsteinsche Schach deutlich erkennen, und die männliche Figur scheint in der linken Hand ein Schwert zu halten. Der Geheime Archivrat von Mülverstedt, eine unbestrittene Autorität auf dem Gebiete der Siegelkunde, hat bereits vor 20 Jahren in der Zeitschrift des Harzvereins (Jahrg. 1870, S. 256 f.) auf die Bedeutung eines anderen Ellricher Stadtsiegels hingewiesen, welches in einem Abdruck an einer Urkunde des Nordhäuser Rats-Archivs entdeckt worden ist und als ältestes sphragistisches, bis dahin ganz unbekannt gewesenes Denkmal der Stadt sowohl durch das Größenverhältnis des Siegels im Vergleich mit der Kleinheit der Stadt, als auch durch die Darstellung des Siegelbildes selbst höchst wichtig erscheint. Nach der Beschreibung erhebt sich auf dem Siegel unter einem eckigen, trapezartigen Portal ein Ellernbaum, an dessen Stamm unten vorwärts gekehrt ein Wappenschild gelehnt ist, dem 2 Figuren, von denen die linke eine Frau, die rechte ein Mann zu sein scheint, als Schildhalter zur Seite stehen, jede eine Hand auf den Schild legend. Von den Figuren trägt die weibliche in der erhobenen Rechten einen Kübelhelm mit zwei Hirschstangen, dem Helmkleinod des Gräflich Hohnsteinschen Geschlechts, während leider das, was die männliche Figur in der erhobenen Linken gehabt zu haben scheint, infolge der mangelhaften Erhaltung des Siegelabdruckes nicht mehr erkennbar ist. Die Umschrift auf dem Siegel, die fast noch durchweg lesbar ist, lautet 4- 8!6II.l.VIVI 6Ill>I/M8 in altdeutscher Majuskel. Die Entstehung des Siegelstempels dürfte in die letzten Zeiten des 13. öden Anfang des 14. Jahrhunderts fallen. Das Wappen ist ein sog. redendes: man leitete nämlich den Namen Ellrich von den in dessen Umgebung zahlreich vorkommenden Erlen oder Ellern ab und wollte in dem Siegel auf diese Ableitung Hinweisen, ähnlich wie man z. B. auf dem Stadtsiegel von Calbe ein Kalb hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Schild das hohnsteinsche Schachfeld enthalten, da alle späteren Siegel und die Münzen der Stadt Ellrich das behelmte und volle Wappen der Grafen von Hohnstein zeigen, in dessen Schilde ein Schachfeld steht. In dem beschriebenen Siegelabdruck ist dasselbe abgerieben und nicht mehr erkennbar. V. Heimsuchungen Ellrichs. Wohl selten ist eine Stadt so oft und so schwer heimgesucht worden von allerlei Schicksalsschlügen wie Ellrich. Wir haben schon früher von den schweren Zeiten erzählt, die Ellrich im 30jährigen Kriege und noch schlimmer im 7 jährigen Kriege durchmachen mußte, die die Stadt an den Rand des Bankerotts trieben und die Zahl der Einwohner auf die Hälfte zurückbrachten. Im Folgenden wenden wir uns zu den Heimsuchungen, die Ellrich durch Naturkräfte erlitten. Das schwerste Unglück, das über Ellrich in dieser Beziehung hereinbrach, war die große Feuersbrunst am 2. Pftngsttag des Jahres l627. /l. Die Feuersbrunst im Jahre 1627. Am 2. Pfingsttage des Jahres 1627 entstand, während die Gemeinde in der St. Johanniskirche zum Festgottesdienst versammelt war und gerade das Psingstevangelium vom Pfarrer auf der Kanzel verlesen wurde, in der nordwestlichen Vorstadt, nahe am Auethore (in der alten Chronik Avethor geheißen), eine gewaltige Feuersbrunst, die vom Westwind weitergetragen, sich mit reißender Schnelligkeit über die ganze Stadt verbreitete. Die damals nur mit dünnen Holzschindeln gedeckten Bürgerhäuser boten den Flammen eine leichtentzündliche Nahrung, sodaß binnen wenigen Stunden ganz Ellrich bis auf einige wenige Häuser in der Ritterhagengasse in Schutt und Asche lagen. Auch die St. Johanniskirche wurde sehr bald ein Raub der aller menschlichen Gegenwehr spottenden Flammen; die beiden Türme, sowie die von sechs runden säulenförmigen Pfeilern getragene Decke über dem Kirchenschiff stürzten zusammen. Diese völlige Zerstörung erging über Ellrich mitten unter den Stürmen des 30 jährigen Krieges. Zwar läßt sich annehmen, daß die so schwer betroffene Stadt einige Zeit nach der Feuersbrunst als wüst liegende Brandstätte von beutegierigen Kriegsscharen, die dort nichts mehr zu plündern fanden, weniger heimgesucht wurde; aber in einem Jahrhundert, wo von Versicherung der Gebäude und Habseligkeiten gegen Brandschaden nicht die entfernteste Ahnung vorhanden war, gehörte gewiß ein entschlossener, alle Schwierigkeiten unermüdlich überwindender Mut und eine herzinnige Anhänglichkeit an die völlig verwüstete Heimstätte dazu, den allmählichen Wiederaufbau der Stadt zu beginnen. Erschwert wurde das Aufblühen der Stadt außerdem noch durch die in damaliger Zeit im Harz auftauchenden Räuberbanden. Sie trieben in dem damals viel dichter bewaldeten und stellenweise unzugänglichen Harze und an dessen Abhängen ihr Raub- und Mordgewerbe, störten allen Verkehr und Handel und verhinderten dadurch auch das Aufblühen des Städtchens, dessen zuvor sehr schwunghaft betriebenen, gewinnreichen Bierbrauereien durch die inzwischen emporgekommene Konkurrenz benachbarter Ortschaften nunmehr in ihren Erträgen empfindlich geschmälert waren; überhaupt zog sich seit dem vernichtenden Brande der vormals blühende Handel des Städtchens mehr nach dem großen Nordhausen hin. Trotz der Unsicherheit und trotz der Ungunst der Kriegszeit, in welcher mehrere von Verwüstungen betroffene Ortschaften in der Nähe von Ellrich, z. B. die Nachbardörfer Wolferode ldessen einziges Ueberbleibsel das jetzige „Neue Haus“ bei Werna ist) und Bischoferode nicht wieder aufgebaut werden konnten und bis auf wenige Überreste völlig verschwanden, nahmen die verarmten Ellricher Bürger den Wiederaufbau ihrer Häuser baldigst in Angriff. Auch an der Wiederherstellung der zerstörten St. Johanniskirche wurde sobald als möglich gearbeitet, und nach etlichen Jahren konnte der Gottesdienst in ihr wieder ausgenommen werden. Wie langsam der Wiederaufbau der Stadt vor sich ging, erhellt daraus, daß nach 20 Jahren erst wieder 146 Häuser errichtet waren, und die Einwohnerschaft bestand aus 119 Bürgern und 27 Witwen, die die Häuser ihr Eigentum nannten. ö. Der Brand im Jahre 1648. Eben hatte sich die Stadt wieder etwas von dem harten Schlage erholt, als ein neues Unglück und zwar wieder eine gewaltige Feuersbrunst über die Stadt hereinbrach. Am 18. April 1648 entstand in der Badestube eines Hauses an der Zorge ein Feuer, das sich bis zum neuen Thore hinzog und 32 Wohnhäuser mit ihren Nebengebäuden in Asche legte, wobei ein Ehepaar und ein Kind ums Leben kamen. c. Der Brand im Jahre 1666. Kaum 20 Jahre später, am 23. Juni 1666 brach ein neues Feuer hinter der Nicolaikirche aus und vernichtete 25 Häuser und Nebengebäude bis zur Brücke. 0. Die Brände in den Jahren 1722 und 1729. Im Jahre 1722 brannte vor Beginn der Ernte fast die ganze Nordhäuser Vorstadt ab. — 7 Jahre später, am 22. Juni 1729, schlug nachmittags der Blitz in die Meder'sche Apotheke, und der dadurch entstandene Brand zerstörte in der Salzstraße, Marktstraße und den Hintergassen 30 Wohnhäuser mit ihren Nebengebäuden. Zum Glück jagte der Wind die Flammen über die Stadtmauer hinweg, sonst wäre ein weit größerer Teil der Stadt dem verheerenden Elemente zum Opfer gefallen. Wie unsäglich schwer mußte den von so häufigen und so weit um sich greifenden Feuersbrünsten hart betroffenen Bürgern der Wiederaufbau ihrer Wohnungen und die Wiederbeschaffung ihrer Haus- und Ackergeräte fallen, zu einer Zeit, wo noch keine Versicherungsanstalt den Abgebrannten die helfende Hand bot. Seit dem Brande im Jahre 1729 hatte die Stadt lange Jahrzehnte Ruhe vor diesem gefürchteten Feinde, bis im Jahre 1841 von neuem die Feuerglocken ertönten. k. Die Brände im Jahre 1841. Nach langen, naßkalten Regenwochen brachte der Hochsommer des Jahres 1841 endlich eine Reihe sonniger Tage und mit ihnen das von den Einwohnern Ellrichs schmerzlich ersehnte, günstige Erntewetter. Viele fleißige Hände regten sich, um den reichen Gottessegen aus den Feldern heimzuschaffen, und Scheunen und Hausböden füllten sich bis unter das Dach. Auch der 13. September war mit Hellem, warmen Sonnenschein über der Stadt aufgegangen, und schon in den Vormittagsstunden war die Ernte in vollem Gange, als gegen ^1 Uhr mittags der in Ellrich so sehr gefürchtete Ruf: Feuer! Feuer! erscholl. Das Feuer war im nordöstlichen Teile der Stadt entstanden. Sämtliche Häuser waren auch damals noch in Fachwcrk aufgebaut, alle Dächer ruhten auf den so leicht entzündbaren Strohdocken, die ausgetrocknet und mürbe wie Zunder, im Nu Feuer fingen, sobald sich einige Funken, die der starke Wind durch die Luken jagte, hineinnisteten. An diesen Strohdocken huschte das Feuer „wie eine Katze“ unter den Ziegeln geräuschlos und unbemerkt hin und brach dann plötzlich an einer vom Herde seiner Entstehung ziemlich entfernten Stelle als helllodernde Flamme hervor, oftmals, ohne daß die in den unteren Räumen des Hauses mit Austragen und Bergen ihrer Habe sich abmühenden Bewohner eine Ahnung davon hatten, daß über ihren Häuptern das Dach bereits in vollen Flammen stand. Es brannten an diesem Tage sämtliche Häuser der unteren Kirchstraße, die Engelsburg und zum Teil die Marktstraße ab. Einen furchtbaren Feuerherd bildete das Rektorat mit den im Schulhofe hoch aufgestapelten Vorräten von Deputatholz. Das Flugfeuer setzte auch in der westlichen Vorstadt mehrere Scheunen und Häuser in Brand. Erst gegen Abend, als die brennenden Häuser größtenteils zusammengestürzt waren, war es möglich, die Brandstätte zu betreten. Die große Menge der Abgebrannten brachte die glücklicherweise verhältnismäßige warme Septembcrnacht in den an die Nordhäuser Vorstadt angrenzenden Gärten zu, wohin sie auch den Rest ihrer Habe geflüchtet hatten. So war der erste der unheilvollen Septemberbrandtage zu Ende, bald sollte ihm ein zweiter, noch entsetzlicherer folgen. Der nächste Tag nach dem großen Brande verlief im Vergleich zu den Schrecknissen seines Vorgängers in leidlicher Ruhe; aber noch dampften und glühten die Trümmer und Schutthaufen, noch waren die Spritzen an der Brandstätte in Arbeit, noch mahnten vom Turm der Johanniskirche von Zeit zu Zeit herabtönende Schläge der Sturmglocke zu fortwährender, sorglicher Überwachung der Brandstätte. Auf den Gemütern lag eine drückende Schwüle, eine bange Ahnung noch kommenden Unheils. Allerlei Gerüchte, man wußte nicht aus welcher Quelle, durchschwirrten die Luft, daß „schlechte Subjekte“, die in deni Tumult und dem Schrecken einer zweiten großen Feuersbrunst nichts verlieren, aber vielerlei erbeuten können, mit dem schändlichen Vorhaben umgingen, in dem noch unversehrten Stadtteile Feuer anzulegen. Eine dumpfe Erwartung lag auf aller Herzen, und wo irgend ein nicht gewöhnlicher Rauch aufging, liefen die Leute zusammen, um zu sehen, ob es etwa wieder brenne. Unter dem Drucke solcher Beängstigungen verging der 14. Sept. und der größere Teil des folgenden Tages. Da am Nachmittage schlugen die Sturmglocken der St. Johanniskirche mit verdoppelter Heftigkeit an. „Feuer an der Zorge!“ Der Schreckensruf durchtönte die Straßen, es stand die Scheune des Ackerbürgers Rohkohl an der großen Brücke in Flammen, auch das angrenzende Leihhaus der Iran Rüben Herzfeld war schon vom Feuer mit ergriffen. Derselbe lebhaft wehende Ostwind, der 2 Tage zuvor für die Kirchstraße und die Engelsburg verhängnisvoll geworden war, trieb auch hier die hochlodernden Flammen von Dach zu Dach, von Straße zu Straße mit reißender, aller menschlichen Abwehr spottenden Schnelligkeit. Nicht nur die Scheunen, sondern auch die Dachböden der Wohnhäuser waren mit den trocknen Garben der soeben eingebrachten Ernte gefüllt. Da außerdeni keine geübte Feuerwehr vorhanden war, die planmäßig das Feuer hätte bekämpfen können, so verbreitete sich die schnellwachsende Glut mit Windeseile und Sturmesgewalt über die Häuser am rechten Zorgeufer abwärts von der Wohnung des Tischlermeisters Knoblauch (an dessen Haus das jetzt noch befindliche Miniaturstandbild des Konrad Bonifacius angebracht ist) nach Westen und Nordwesten über die lange Häuserreihe der Jüdenstraße, des Nikolaikirchhofes und der Auestraße, übersprang hier den freien Raum zwischen der Auestraße und der Schackenschäferei und entzündete die umfangreichen Gebäude der letzteren. Ehe noch der Abend dämmerte, lag eine weit größere Menge von Wohnhäusern und Nebengebäuden als am 13. September in Trümmerhaufen. Das aus rätselhafter Quelle entsprungene Gerücht, ganz Ellrich solle niedergebrannt werden, trat mit verstärktem Gewicht immer wieder auf und fand durch diesen letzten Brand anscheinend Bestätigung auch bei den besonneneren Bürgern. Gleich einer ansteckenden Epidemie ergriff eine stündlich zunehmende Panik immer weitere Kreise der Einwohnerschaft. Zahlreiche Familien verließen mit allerlei Habe, soviel jeder nur tragen konnte, ihre Behausungen, zogen hinaus in fernliegende Gärten oder ins offene Feld und schlugen dort ihr Lager auf, um die Nacht unter freiein Himmel zuzubringen; ein weiter Kreis solcher Lagerstätten umringte bald fast die ganze Stadt. Von nah und fern hatte sich im Laufe des Tages allerlei Gesindel angesammelt, Leute, die nicht kamen, um zu löschen, zu retten, sondern die in der allgemeinen Verwirrung manche Beute zu erhaschen gedachten. Die Stadtobrigkeit und die Polizei, sowie einige aus der Umgegend herbeigeeilte Gendarmen, standen dem wachsenden Andrange dieser Menschen völlig machtlos gegenüber, und gegen Abend entspann sich an der großen Brücke ein immer wüsteres Treiben, das in eine allgemeine Schlägerei ausartete. Am folgenden Tage kehrte allmählich die gesetzliche Ordnung wieder. Eine Abteilung des in Nordhausen garnisonierenden Jägerbataillons rückte ein, vertrieb alles Gesindel, trat aller Gewaltthätigkeit mit gcwaffneter Hand entgegen und beruhigte die geängstigten Einwohner. Wachtposten wurden aufgestellt, und eine von dem Führer der Schutztruppe verlesene Proklamation forderte die Geflüchteten auf, ihre Wohnungen wieder zu beziehen. Die nächste, schwierige Aufgabe war, die zahlreichen Abgebrannten thuulichst unterzubringen, was auch nach einigen Tagen, wenn auch nur notdürftig, gelungen war. Ordnung und Ruhe kehrten wieder in die schwer heimgesuchte Stadt zurück. Am nächstfolgenden Sonntage, dem 19. September, riefen die Kirchenglocken, nachdem sie 4 angstvolle Tage hindurch nur Sturmgeläute hatten ertönen lassen, wieder mit mildem Friedensklange die tiefgebeugte Gemeinde in die dieses Mal noch ver- fchont gebliebene Johanniskirche. Keiner hatte eine Ahnung, daß 19 Jahre fpäter am 25. September 1860 ein drittes, noch schwereres Brandunglück über Ellrich hereinbrcchcn sollte, und daß dann auch die schöne Johanniskirche, sowie die meisten von den beiden Feuersbrünsten im Jahre 1841 noch unversehrt gebliebenen Stadtteile, in den verheerenden Flammen Zusammenstürzen würden. 5. Die Feuersbrunst im Jahre 1860. Wiederum, wie an den großen Brandtagen vom 13. und 15. Septeniber 1841, war auch am 25. September ein sonnenheller, warmer Morgen über Ellrich aufgegangen, als in den Nachmittagsstunden das verheerendste Feuer ausbrach, das je die Stadt heimgesucht hat. Dieses Mal brach das Feuer im Centrum aus, und das ganze Innere der Stadt, von der Kirchstraße bis zur Marktstraße, war bald ein Trümmerhaufen; nur mit großer Mühe konnten die Magistratsakten aus dem Rathaus gerettet werden. Das hohe Dach der Johanniskirche war völlig niedergebrannt, die prächtige Orgel war vernichtet; die alte, sehr große, mit vielen Holzschnitten verzierte, laut Titelblatt der Königin „Fräulein Christians von Schweden“, der Tochter des Königs Gustav Adolf, gewidmete Altarbibel war verschwunden. Dem Brande waren zum Opfer gefallen: die Johanniskirche, die Mädchenschule, die Schlichtewegsche Apotheke, das große Gebäude an der Salzstraße, in welchen: die Gerichtsbehörde, der Magistrat und die Stadtverordneten ihre Sitzungen hielten, die Posthalterei, die drei Gasthöfe: Zum schwarzen Adler, Zur Weintraube. Zum Kronprinzen, und eine Menge Privathäuser. Eine große Zahl von Gerichtssachen, besonders die Vormundschaftssachen, waren ein Raub der Flammen geworden. Stehen geblieben waren wunderbarerweise die schon altersschwache Oberpfarre und das Diakonat. Infolge des Brandes war eine große Armut unter den Bewohnern der Stadt ausgebrochen, so daß ihnen jahrelang das Recht zugestanden wurde, in den benachbarten Ortschaften zu betteln, wodurch Ellrich in der ganzen Umgegend den Namen „Bettelfahnien“ erhielt. Der große Umschwung, der hauptsächlich durch Las Aufblühen der Gypsindustrie während der letzten Jahrzehnte in den Vermögensverhältnissen der Einwohner hervorgebracht wurde, hat diese» für die Bewohner Ellrichs durchaus nicht ehrenvollen Beinamen ihrer Stadt verschwinden lassen. Das war der letzte größere Brand, der Ellrich heimsuchte. Der allmächtige Lenker aller Dinge wolle die von solchen und anderen Mißgeschicken zu verschiedenen Zeiten hart heimgesuchte, jetzt aber wieder aufblühende Stadt vor ähnlichen Zerstörungen gnädig bewahren! 6. Heimsuchungen der Stadt durch Wasser und Sturm. Nicht nur durch Feuer, sondern auch durch Wasser wurde Ellrich mehrfach großer Schaden zugefügt. 1398 sowie 1409 ergoß sich in der Frühlingszeit ein solch hohes Harzwasscr die Zorge herab, daß das Dorf Cleysingen, das damals bereits mit zur Ellricher Parochie gehörte, völlig weggeschwemmt wurde. Nach dieser Wasserflut kaufte der Magistrat das Land dem Abte Johann III. von Walkenried ab. Die durch das Wasser um ihre Habe gebrachten Einwohner zogen zum Teil nach Werna, zum Teil in die Nordhäuser Vorstadt von Ellrich. 350 Jahre blieb das Dorf wüst liegen, erst im Jahre 1769 siedelten sich unter der Regierung König Friedrich II. von Preußen die ersten 5 Kolonisten in Cleysingen wieder an. Im Jahre 1622 wurden bei einem Hochwasser viele Häuser an der Zorge weggerissen; im Jahre 1740 war sogar zweimal Hochwasser, im Frühlinge infolge rascher Schneeschmelze und dann wieder 8 Tage vor Weihnachten, wodurch sämtliche Ländereien und Wiesen verwüstet wurden. Die ärgste Flut kam im Jahre 1775 am 4. Februar; sie setzte die gesamte Vorstadt unter Wasser und unterwusch die erst kurz vorher gebaute große Steinbrücke zwischen der Stadt und der Vorstadt so sehr, daß sie zusammensank und abgebrochen werden mußte. Am 7. April 1808 hat ein großes Wasser die große Brücke und das Wehr wieder mit fortgerissen und sonst außerordentlich großen Schaden in Ellrich angerichtet. In den letzten Jahrzehnten hat der Kreis und die Stadtverwaltung viele Blühe auf Regulierung des Flußbettes verwandt, sodaß die Gefahr einer Wiederkehr von Überschwemmungen bedeutend verringert ist. Um völlig vor etwaigem Hochwasser gesichert zu sein, wird augenblicklich auf Kreis- und Kommunalkosten ein großer Flutkanal erbaut, sodaß Wassergefahr in Zukunft Ellrich nicht wieder bedrohen wird. Auch von schweren Stürmen blieb Ellrich nicht verschont. Hier müssen wir des 2. Dezembers 1720 gedenken, an welchem Tage der Sturm die mit Schindeln gedeckte Haube des Turmes der St. Johanniskirche abriß, Dächer abhob und, wie ein Zeitgenosse erzählt, „auf dem Junkerhofe einen Stall umschmiß, daß ein Bulle und 8 Kühe erschlagen wurden.“ Im Jahre 1769, gerade als die Christmette aus war, tobte ein solches Schneegestöber, daß die Fahne, der Knopf und die Stange auf dem St. Johannisturme sich in der dichten Finsternis schneeweiß und glänzend zeigten. Ähnlich starke Stürme tobten am 13. Januar 1821 und in der Nacht vom 2.—3. Dez. 1833, desgl. in der Nacht vom 7.—8. Dez. desselben Jahres. Letzterer Sturm hat, wie der Chronist berichtet, „zu Lande und zu Wasser sehr großen Schaden in ganz Europa verursacht.“ Heimsuchungen durch Seuchen. Auch das schreckliche Gespenst der Pest kam nach Ellrich; besonders schlimm wütete sie 1398 und 1598; in letzterem Jahre wurden nach Angabe eines alten Kirchenbuches 1100 Menschen von derselben hinweggerafft. Eckstorm giebt in seiner Chron. Walkenried xaZ-. 291 im Gegensätze zu dem Kirchenbuche, wo deutlich „millc et centum“ (1100) steht, die Zahl der in diesem Jahre an der Pest Verstorbenen auf nur 400 an; immerhin ist auch dann die Zahl zur Menge der damaligen Einwohner eine ungeheuer große zu nennen. Die Leichname konnten nicht alle auf dem Kirchhofe begraben werden und wurden darum zum großen Teile in den Stadtgräben verscharrt. Im Jahre 1682 tauchte sie wieder auf, dieses Mal aber befiel sie nur das Haus des Diakonus Zitzler; dieser, seine Frau und sämtliche Hausgenossen wurden hingcrafft. Man beging die Unvorsichtigkeit, sie im Turm der St. Johanniskirche einzuseuken. In dem Teurungsjahre 1772 erlagen 165 Menschen in Ellrich einem pestartigen Faulfieber. t. Hungersnot in Ellrich. In der großen Teuerung des Jahres 1597, während welcher Zeit der Nordhäuser Scheffel Korn mit einem Jochens- und hernach mit dem ungeheuren Preise non einem Philippsthaler in hartem Gelde bezahlt werden mußte, entstand das Gerücht, daß Gott, wie zu Frankenhausen und Eisleben, so auch auf dem Jthel und Bonthel bei Ellrich zur Linderung der Not Mehl aus der Erde quellen lasse. Es war solches Kalk, der durch den Zutritt von Luft zu einem zarten, lockeren, weißen Staub verwandelt war. Das Volk lief aus der Stadt und der ganzen Umgegend herbei, holte den Kalkstaub und vermischte ihn mit gutem Niehl. Allein die Menschen zogen sich dadurch heftige Darmerkrankungen zu, mehrere starben sogar daran, sodaß man bald von dem Genuß dieses „Nahrungsmittels“ wieder absah. X. Viehseuchen. Von einer eigentlichen Viehseuche weiß die Chronik nichts zu erzählen. Daß aber 1682 große Gefahr für den Viehbestand der Grafschaft infolge Ausbrechens des Zungenkrebses vorhanden war, davon zeugte eine kleine silberne Kratze, die von dem Jahre her auf dem Ellricher Rathause bis um 1800 aufbewahrt wurde, und mit der dem Vieh die Giftblase unter der Zunge abgekratzt wurde. Lassen wir noch einmal die zahlreichen Schicksalsschläge, die Ellrich betroffen, die schweren Kriegsjahre, die verheerenden Brande, die Überschwemmungen und andere Heimsuchungen an unserm Geiste vorübergehen, und sehen wir dann, mit welcher unermüdlichen Ausdauer die Bewohner immer wieder daran gingen, die Stadt aufzubauen oder die Schäden auszubessern, oder wie sie Jahrzehnte lang mit der bittersten Armut zu kämpfen hatten und doch den Blut nicht verloren, so wird man mit Bewunderung über die Ausdauer und Beharrlichkeit, mit der sie stets wieder den Kampf gegen die Elemente aufnahmen, erfüllt; andererseits gebühret Lob der Stadtverwaltung, die stets bemüht war, mit Rat und Gewährung von Geld und Lebensmitteln das Elend der Bewohner zu stillen. Ehre solchen Vorfahren! 8. Die Kirchen nnd die Geistlichkeit Ellrichs. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts besaß Ellrich 4 evangelische Kirchen und Kapellen, die sämtlich zu einer Parochie gehörten, in welche Cleysingen sowie die Kolonie mit eingepfarrt waren. Die vier Kirchen waren: die Marienkirche auf dem Fraucnberge, die St. Johanniskirche, die Nikolai kirche und die Hospitalkirche zum heiligen Geist.
». Die Marien- oder Licbfrauenkirche. Die St. Mariaekirche liegt nördlich von der Stadt, auf der vordersten Höhe des Frauenberges/ und wird daher auch gewöhnlich die Frauenbergskirche genannt. Sie soll der Sage nach von Bonifacius erbaut sein. Daß dieser erste Apostel der Deutschen in der That das ehemalige Thüringen durch seinen beharrlichen Eifer zum Christentum bekehrt und bereits im Jahre 741 die thüringische Hauptstadt Erfurt als Mittelpunkt eines neuerrichteten Bistums ausersehen hat, ist freilich noch kein Beweis für die Gründung der hiesigen Frauenbergskirche durch ihn; es giebt gerade in Thüringen eine ganze Reihe von derartigen Kirchen, die auf Bonifacius zurückgeführt werden, ohne daß direkte Nachweise zu erbringen sind. Die Frauenbergskirche ist gewiß sehr alten Ursprungs, doch hat sich die Zeit der Erbauung bis jetzt genau nicht feststellen lassen, jedenfalls ist sie frühestens im 13. Jahrhundert erbaut. Um die Kirche war ein Begräbnisplatz angelegt, der bis in die jüngste Zeit für Familienerbbegräbnisse benutzt wurde; zur Zeit sind die der Familien Schlichteweg, Schmaling und Höfer noch vorhanden; in dem Schmaling'schen Begräbnishause sind eine Reihe gut erhaltener, mumienartiger Leichen zu sehen. Nach dem Bau der übrigen Kirchen wurde die Frauenbergskirche nur noch zu Leichenpredigten und Nachmittagsgottesdieüsten an Sonn- und Festtagen in milder Jahreszeit benutzt. Der hohe mit Schiefer gedeckte Turm, welcher früher die Kirche krönte, wurde, weil er den Einsturz drohte, im Jahre 1777 abgenommen und statt seiner eine Haube über die zwei darin befindlichen Glocken gemacht. Nach den Schlachten bei Friedland und Eylau im Jahre 1807 war die Kirche von den siegestrunkenen Franzosen dazu gebraucht worden, neben den mehrmals eingestellten Pferden auch gefangene und verwundete Preußen und Russen in ihr festzuhalten. Seit diesem Jahre konnte in der arg verwüsteten Kirche kein Gottesdienst mehr gehalten werden. Auf Veranlassung des Oberpredigers Nebelung wurden durch Aufruf in den öffentlichen Blättern, sowie durch eine vom Oberpräsidenten genehmigte Kollekte, einige 100 Thaler zusammengebracht, mit denen die Kirche soweit ausgebessert wurde, daß es allenfalls möglich war, darin einen Gottesdienst zu veranstalten. Nach dem Brande der St. Johanniskirche 1860 wurden hier dann auch eine Zeitlang Gottesdienste abgehalten. Jetzt steht die Kirche aber wieder unbenutzt da, und öde und leer sieht es im Innern aus. 8. Die St. Johanniskirche. Während die Entstehenszeit der Frauenbergskirche in Dunkel gehüllt ist, wissen wir genaueres von der Hauptkirche der Stadt Ellrich, der Pfarrkirche St. Johannis des Täufers. Im sog. „roten Buche“ des Pfarrarchivs in Ellrich befindet sich nämlich die Abschrift eines Schenkungs-Dokumentes an die Kirche St. Johannis aus der Dokumenten- Sainmlung des Professors Joh. Friedrich Joachim zu Halle vom Jahre 1229, welche hier mitgeteilt werden möge. Schenkungsurkunde der Kirche St. Johannis in Ellrich 25. Mai 1229. Ill nomine damioi Linen, Nos Albertus dei Areois coines äs Ltetteuberx et s.d pieseutium st wturoium üdelium notioism eupimus psrvenire, (inocl inLtnro eonsilio et eonsensu kratris Lertkoläi et üeredum nostrorum in lionorem oinnixotentis I)si et snnetissiinns ejus Asnetrieis L. Llsrine euin in remissionem nostrorum psoeatorum tnin in remsdium »nimaium nostrarnm st ownium proZenitorum nostrorum, utut in memoriew diteotissimus nostrns i^nondum eontkornlis Vdeikeidis od sxein eterns retributionis in eosto eeelesis, nostrn pnroedinli in Nlre^e, Mnm I,udovioll8 guondam nvus noster pme rseoräntionis restnurandam et umplinndnm eurnvit, ijuam^ue in konorsm 8, donnnis Luptistns nlioruni^ue snnctorum n püssimu olini slXI'IIII,I)V impsrntrioe de novo extructnm et dotntnm diAnoseiinur, ex n^ris nostris, i^uos in predieto LlreLs possidemus, IV mnnsos et dimidium in etssmos^num eontulimns pulste et xnoides possidendos in Perpetuum pro eo, c^uod per yuemlibet puroodum diotue eeelesius g, nuno et perpstuis temporibus «inotunnis in memorium pruslibutus eonjuAis nostrns Vdeldeidis unuiversuriu sueiu eum vigilüs et missis in ipsu die ejusdem oditus rite eelsdrundis peruzuntur. Inde, ns tiuius tuet! memoria unMnm deeidnt, kaue odurtum soribi et siZilli nostri munimins eorrodorandam jussimus. Xvtum in oppido nostro Lliske, anno ioearnntionis dominieae N.6.6.XXIX, in die 8. dueodi Xpostoli, prsssntidus pluridus et Lds dignis testidus. (L. 8.) Nach dieser Urkunde hat also die Königin Mathilde die Pfarrkirche zu Ellrich neu aufgebaut und dotiert, und Graf Ludwig von Clettenberg hat dieselbe restauriert und erweitert. Diese Mathilde kann nun, wie schon die älteren Schriftsteller annehmen, keine andere gewesen sein, als die Gemahlin des Königs Heinrich I. Letzterer hatte nämlich in der hiesigen Gegend Allodialbesitz und stattete seine Gemahlin mit seinen Erbgütern in Nordhausen, Gudersleben, Woffleben, Pöhlde usw. als Leibgedinge aus. Leuckfcld berichtet hierüber in seiner Beschreibung des Klosters Walkenried folgendes: Der Zorgegau werde zuerst vom König Heinrich, genannt der Vogler, bei einer seiner Gemahlin Mcchtildis gethanen Schenkung vom Mai 927 erwähnt, da er mit Konsens seines Sohnes, Königs Otto, selbiger alle sein Erbliches, was er in Quedlinburg, Pöhlde, Nordhausen und Duderstadt besessen, nebst denen Zinsen in dem Dorfe Wafleiben und Gudisleiben, die in dem Zurrigau belegen wären, vermacht hat, welche Donation nachmals am 16. September 929 in Quedlinburg aufs neue, jedoch mit dem Unterschiede wiederholet ist, daß in dieser letzteren der Ort Gronau mit eingerücket und hingegen der Zins in Woffleben und Gudersleben ausgelassen worden.“ (Vrgl. Sickel äipl.) Unter diesen Umständen erscheint es sehr glaubwürdig, daß die Königin Mathilde, die sich oft und gern besonders in Nordhausen aufhielt, auch die Umgegend, wo sie ihr Leibgedinge hatte, besucht und die kirchlichen Verhältnisse gehoben haben wird, daß sie demnach die Pfarrkirche zu Ellrich sehr wohl neu aufgebaut und dotiert haben kann. Da sie im Jahre 968 gestorben, so würde der Neubau der Johanniskirche noch vor diese Zeit fallen und dieser setzt wiederum das Bestehen einer noch älteren Kirche voraus. Doch das sind Vermutungen. Die Schenkungsurkunde von 1229 enthält die weitere Nachricht, daß Graf Ludwig von Clettenberg die Pfarrkirche zu Ellrich erweitert und restauriert habe: auch diese Angabe verdient Glauben und wird durch eine Nachricht Eckstorms (Ltiron. PLZ-. 14) gestützt, wonach Graf Ludwig von Clettenberg und seine Gemahlin Kunigunde von Baldenrode der Kirche in Ellrich einen Kelch geschenkt haben. Höchst wahrscheinlich sind diese beiden Grafen Ludwig eine und dieselbe Person, und wir haben es mit einem der ältesten Grafen von Clettenberg zu thun. Nach Eckstorm ist er der Sohn des Grafen Volkmar von Clettenberg und dessen Gemahlin Adelheid, die das Kloster Walkenried stiftete. Urkundlich sind indessen diese Angaben noch nicht begründet, und sichere Nachrichen über die Grafen von Clettenberg reichen über das 12. Jahrhundert nicht zurück. Als sicher wird man annehmen können, daß dieselben zu Ellrich in naher Beziehung gestanden und daselbst zeitweise residiert haben; letzteres wird von Eckstorm und Leuckfeld verschiedentlich hervorgehoben, und in einer Walkenrieder Urkunde von 1240 wird ausdrücklich bekundet, daß jene Adelheid, zu deren Gedächtnis Graf Albert 4^ Hufe der Kirche zu Ellrich schenkte, daselbst verstorben und in Walkenried begraben sei. Wie schon früher erwähnt, wurde die Kirche bei der furchtbaren Feuersbrunst am 2. Pfingsttage 1627 völlig zerstört, aber bald wieder auferbaut. Im Schiff wurde das starke steinerne Gewölbe von 6 Pfeilern getragen, welche vor dem Brande am 14. Mai 1627 rund waren, beim Wiederaufbau aber so umgelegt wurden, daß sie viereckig dastanden. 1655 sing man den Wiederaufbau der Orgel an, was bis 1659 dauerte und 746 Thaler 7 Gr. 8 Pf. kostete. Der Ellricher Bürger Conrad Bonisacius, dessen Bildnis noch jetzt in Holz geschnitzt an einem Hause an der Zorge zu sehen ist, hatte bereits vorher in den Jahren 1631—35 den Altar und 1641 die Kanzel geschnitzt und geschenkt, außerdem waren biblische Bilder, auf hölzerne Tafeln in Oel gemalt, auf ihnen angebracht. Man erzählt, daß Bonisacius das Modell zum Altar und zur Kanzel aus einer Kirche zu Augsburg in seinem Kopfe nach Ellrich getragen und dann ausgeführt habe. Den im Schiff der Kirche befindlichen feingearbeiteten, messingenen Kronleuchter schenkte 1641 ein hiesiger Gespan Kil an Steinecker, und den anderen Kronleuchter im Chor 1755 ein hiesiger Bürger Johann Georg Feist. An einem der Pfeiler hing ein großes Crucifix, das 1666 auf Kosten der Kirche angeschafft war, und im folgenden Jahre malte ein Herr Stolberg zum Teil die Emporkirche aus. An der Südseite des Chors befand sich die ausgewölbte Sakristei, worin die Kirchenbibliothek aufbewahrt wurde. In den Jahren 1754 und 55 wurde die Kirche und die Sakristei repariert. Zu den Kosten dieser Reparatur hat der damalige Consistorialrat Schüßler sehr geholfen und eine allgemeine Kollekte ausgewirkt. Es wurde das Dach der Kirche ganz und die Sakristei halb neu aufgeführt, das ganze Gebäude inwendig neu ausgebessert und auswärts mit einigen neuen Strebepfeilern versehen. Auch wurden bei dieser Gelegenheit die alten Begräbnisfahnen aus der Kirche genommen. An der Nordseite des Chors befand sich eine kleine Kapelle, die zum Archiv diente. Die Kirche trug einen ansehnlichen Turm an der Westseite. Vor dem Brande im Jahre 1627 war derselbe zweispitzig gewesen, während außerdem nach Osten noch ein einfacher Turm über dem Chor und Altar war. In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts war die Kirche wieder in hohem Grade reparaturbedürftig geworden. Da die unver mögende Kirchenkasse die nötigen Kosten nicht aufbringen konnte, richtete der Oberprediger Winkler an den König Friedrich Wilhelm III. ein Bittgesuch um Unterstützung, das aber abgelehnt wurde aus dem Grunde, so erzählt man, weil der ini Gesuch gebrauchte Vergleich des Gotteshauses mit einein Stalle dem Könige mißfallen hatte. Als später in einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung der zunehmende Verfall der Kirche und ihre Mittellosigkeit beklagt wurde, ward der Gedanke angeregt, es mit einer nochmaligen Bittschrift an den König zu wagen. Dieses Mal bewilligte der König ein Geschenk von 900 Thalern und mit dieser durch Beiträge Ellricher Bürger vermehrteu Gabe des Königs wurde die Kirche, wie auch die seit Jahren fast unbrauchbar gewordene Orgel, gründlich wieder hergestellt. Nach einem Verzeichnis im roten Buche der Pfarre war der Kleinodieuschatz der St. Johanniskirche im 15. Jahrhundert nicht unbedeutend und man trug kein Bedenken, eine Reihe entbehrlich gewordener Gegenstände zu veräußern. So wurden im Jahre 1575 Meßgewänder teils verkauft, teils zu Altardecken und ähnlichen Zwecken verwendet; ganz besonders sollen sich die grünen Sammetgewänder zu Decken geeignet haben. Von dem Erlöse wurden Bücher, und zwar in erster Linie Luthers Schriften angeschafft, so u. a. eine Bibelübersetzung vom Jahre 1555. Dieselben sind größtenteils noch jetzt im Pfarrarchiv vorhanden. Die Kirche hatte bis 1860 4 Glocken: 1) die große Glocke, welche 1737 aus der alten zerborstenen gegossen wurde; 2) die Bürgerglocke, die 1680; 3) die Vesperglocke, die am 10. Nov. 1651 gegossen wurde und schließlich 4) die sogenannte „Bimmelglocke“, welche die erste gewesen zu sein scheint, die man gleich nach dem Brande im Jahre 1628 wieder angeschafft hat. Die große Glocke, welche 6 Fuß weit und 9 Fuß hoch war, hatte als Inschrift: ^.uZ-usts KsZ-s UrLnclenkurZIco lbriscksrioo ^Vilkslino pro kslice muZ-nanimo sooptios tenente, I^o^rii kerscks principe Zwatio80; lCaustu posteris proin ittente, ?roekicke Ke- Zlininis et Oonsistorü Halkerstnckiensis ^lexanckro lkrickerieo von äer Osten lVlinistro 8tatns et Kolli Intimo provineiain Z'nkernunts kusL snin. 8aeru Ittsrre Dons R.oZ'e lVl. 8ervLto. 8snatn8 üoreat et populns …. perennis lronos. Auf der anderen Seite der Glocke stand mit lateinischen Buchstaben ohne Orthographie: Gott zu Ehren und der christlichen Gemeinde allhier zum Gebrauch ist diese Glocke auf Veranstaltung des hiesigen Magistrats, als Kirchen- und Schulpatron, (folgen die Namen) gegossen worden. Die Vesperglocke hatte im Durchmesser 2 Fuß 6 Zoll und war 2'/2 Fuß hoch. Die 4. Glocke war 2 Fuß 1'/2 Zoll weit und 2 Fuß hoch. Bei dem großen Brande im Jahre 1860 wurde das Gotteshaus, sowie diese 4 Glocken, wie bereits früher erwähnt, fast vollständig durch das Feuer zerstört, zum Glück war die Kirche mit 24000 Thalern versichert. Der Wiederaufbau der Kirche konnte erst nach einer Reihe von Jahren, trotz der Versicherungssumme von 24 000 Thalern, nur mittels noch sehr beträchtlicher Zulagen, sowie mittels eines vom König Friedrich Wilhelm IV. bewilligten Gnadengeschenkes und mehrfacher Unterstützung seitens der Königlichen Bezirksregierung vollendet werden. Für den mit seinen mächtigen Quadern stehen gebliebenen Turm und die gleichfalls erhaltenen Umfassungsmauern der Kirche brachte die Versicherungsgesellschaft die Summe von 3000 Thalern in Abzug. Die feierliche Einweihung des wiederhergestellten Gotteshauses, zu welcher die Herren Generalsuperintendent D. Möller aus Magdeburg, der Präsident der König!. Regierung aus Erfurt und der König!. Landrat und Kammerherr von Davier aus Nordhausen herbeigekommen waren, konnte erst am 2. Oktober 1883 vollzogen werden. Wie vor dem Brande 1627, krönen jetzt wieder zwei hochragende Türme die Kirche. Die Glocken in dem Turme wurden bereits am 29. Okt. 1873 auf dem Marktplatze eingeweiht. Die größere trägt die Inschrift: „Ich rufe an mit meiner Stimme den Herrn“, mährend die zweite Glocke zur Inschrift hat: „Wachet, seid männlich und seid stark“. Die Inschrift der 3. Glocke lautet: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“. Zum ersten Male wurde mit allen drei Glocken am 30. Okt. 1873 geläutet. Gegossen waren sie am 13. Aug. desselben Jahres und zwar aus dem vom Brande am 25. Sept. 1860 geretteten Material und aus 4 Stück vom Kaiser geschenkten, französischen Kanonen. Der freie Platz um die Johanniskirche wurde früher als Begräbnisplatz benutzt; an Gebühr wurde für einen Erwachsenen 1 Thaler, für ein Kind 12 gute Gr. Stellengeld erhoben. Neben der Kirche steht das Pfarrhaus, das in seiner ursprünglichen, allerdings schon sehr baufälligen Bauart erhalten ist; es stammt aus dem Jahre 1655. In diesem Gebäude wurde zur Zeit des Landeshauptmannes Nammers auch Gottesdienst der Reformierten abgehalten. Unter dem Prediger Simon Kleinschmidt vermachte eine Ellricher Hebamme ihr kleines Vermögen der Kirche, wofür diese Luthers Schriften kaufte und so zum Anfänge der Kirchenbibliothek beitrug, welche hernach durch Geschenke auch von Michael Neander aus Ilfeld vermehrt wurde. Die Bibliothek ist noch jetzt, wie bereits vorhin erwähnt, vorhanden und sehr wertvoll, trotzdem die besten Werke daraus nach und nach abhanden gekommen sind, nachdem sie von ihrer Kette, womit sie festgebunden waren, losgelöst sind. Neben dem Pfarrhaus in einem Winkel bei dem jetzigen Hause des Küsters stand vor dem Brande auch eine Art von Hospital, das blinde Mägde-Haus. , 6. Die Nicolaikirche. Sie befand sich im westlichen Teile der Stadt auf etwas erhöhtem freien Plateau zwischen der Jüden- und Töpferstraße, in der Walkenrieder Vorstadt. Im Jahre 1506 wird sie bereits als Capelle St. Nicolai auf dem Rodenanger erwähnt. Ueber ihren Ursprung ist sonst nichts Näheres bekannt. Sie soll einst von Walkenrieder Mönchen zum Gottesdienst benutzt sein, wurde nach der Reformation nur zu ähnlichen Zwecken, wie die Frauenbergskirche, vorübergehend in Gebrauch genommen, in den Jahren 1788-00 aber, als sie zu baufällig wurde, abgebrochen. Die beiden alten Glocken brachte man in dem zu diesem Zwecke eigens erbauten Glockenstuhl unter, wo sie sich heute noch befinden. Die Inschrift in der größeren Glocke lautet: vc>x insa, vox vitas, voao vc>8 ack sacra, äelunctos planZD, vivos voeo, fuIZ-rrra trs.nZ'o; zu deutsch: Meine Stimme ist die Stimme des Lebens, ich rufe Euch zum Heiligtume, die Toten beklage ich, die Lebenden rufe ich, die Blitze breche ich. Die kleinere Glocke ist ohne Inschrift. Als um das Jahr 1709 sich eine zahlreiche Pfälzer Kolonie in Ellrich ansiedeln wollte, verlangte sie diese Kirche für ihren Gottesdienst, man machte ihnen aber Schwierigkeiten, sodaß sie darauf verzichteten. Später hielten eine Zeitlang die Lehrer Nachmittagsgottesdienst darin ab; während der Reparatur der Johanniskirche im Jahre 1755 wurde sie, sowie die Frauenbergskirche, für den vollen Gottesdienst benutzt. Von der Nicolaikirche erzählt man folgende Sage: Aus dem Sachsenlande hatten sich einst alle großen Säufer in Ellrich versammelt, um einen Säuferkönig zu wählen. Der Junker von Clettenberg trank das meiste; denn nachdem er den 30. Humpen voll hinunter gestürzt hatte, saß er noch allein, wie ein blutiges Nordlicht, in dem weiten Saale. Mit vollem Rechte setzte cr sich die Säuferkrone auf, hing die goldene Kette als Ehrenpreis um und ließ sich aufs Roß heben, um nach Hause zu reiten. Als er vor der St. Nicolaus-Kapelle angekommen war, erklangen eben die Glocken zur Vesper, und der Junker meinte, er wäre auch gerufen und müsse dem Heiligen für die Hülfe danken, durch welche er zum Säuferkönig geworden war. Da das Roß aber nicht freiwillig in den Tempel hinein wollte, so spornte er es, als gings zur tollsten Hatz, und mit einem Sprunge setzte das Tier durch die Kirche bis vor den Altar. Da springen ihm die Eisen von allen vier Hufen wie Glas, der Säuferkönig stürzt und liegt leblos am Altar. Die Hufeisen wurden noch lange Zeit gezeigt. — Diese Sage ist verschiedentlich dichterisch behandelt; so von dem österreichischen Dichter Johann Nepomuk Vogl und in allerneuster Zeit von dem Herrn Geheiinrat Wilhelm Hosäus zu Dessau in seinen „Balladen und Elegien“. Wir lassen sie am Schlüsse des Buches folgen. 0. Die Hospitalkirche. Außer diesen Kirchen hat Ellrich noch das Hospital St. Spiritus mit einer Kirche aufzuweisen. Es hat nach einer Nachricht Leuckfelds schon kurze Zeit nach dem Tode der Stifterin des Klosters Walkenried, der Gräfin Adelheid, bestanden. Es wurde nämlich am 1. Mai jedes Jahres ein Leichen-Gedächtnis für diese Gräfin vom Abte von Altenkampen angeordnet, an welchem die Walkenrieder Mönche nicht nur in der großen Klosterkirche, sondern auch in allen dazu gehörigen Kapellen Seelenmessen halten, ferner auch an die in der Herrschaft Clettenberg und sonderlich in dem Hospital St. Spiritus zu Ellrich befindlichen Armen eine gewisse Summe Geldes austeilen mußten. Die kleine Kirche wird 1806 als Eapslla Iiillrmorum 8t. 8piritn8 erwähnt und ist kunsthistorisch nicht uninteressant, insbesondere verdient ein an der Nordseite angebrachter Votivstein mit der Jahreszahl 1461, beschrieben in den Kunst- und Baudenkmälern der Grafschaft Hohnstein von Schmidt, Beachtung. ll. Patronat der Kirchen. Das Patronat über die Kirchen der Stadt steht seit der Reformation dem Magistrat zu. Bei der Annahme des ersten evangelischen Pfarrers, Simon Kleinschmidt heißt es dieserhalb im Berichte von 1651: „Damit nun eine gemeine Stadt mit einem rechtschaffenen evangelischen Pfarrherrn wieder versorget werde, hat ein Ehrbar, Ehrsamer und Wohlweiser Rath durch viel und manichfaches demüthiges Ersuchen bei Unserem gnädigen Herrn von Hohnstein so viel Gnade und Gunst erlanget, daß wir Uns wieder können mit einem Pfarrherrn versorgen, denn Seine Gnaden wüßten keinen zu bekommen; hat ein Ehrbar Rath darauf soviel Mittel und Wege gesucht und etliches Geld mit Mühe und Arbeit aufgebracht, damit ein evangelischer Pfarrherr erhalten werden mochte.“ In späterer Zeit scheint das Patronatsrecht den: Magistrate wieder streitig gemacht und ein langer Prozeß geführt worden zu sein, von dem wir wissen, daß er 1725 niedergeschlagen und dem Magistrat das Patronat gegen Erlegung von 150 Thalern zuerkannt wurde. Die Geistlichkeit Ellrichs. In den ältesten Zeiten wurden die Prediger in Ellrich nur auf bestimmte Jahre gewählt und im Bedarfsfälle wurden sie auch wohl anderen Städten auf kürzere oder längere Zeit zur Besetzung von kirchlichen Ämtern überlassen. Die Pfarrkirche und die drei Kapellen waren vor der Reformation sehr reichlich mit Geistlichen versehen; außer einem Pfarrer waren 13 Vikare angestellt. Die Vikarien waren folgenden Heiligen geweiht: dem St. Theobaldus, Synion und Judas, Martinus, Catharina, Livinus, der Jungfrau Maria, Andreas, Nikolaus St. Spiritus, den heiligen 3 Königen, Nikolaus, Jakobus dem Kleinen, Bartholomäus und Anna. Die Einkünfte der Kirchenbediensteten bestanden im wesentlichen aus Zuschüssen vom Rat, vom Kirchenvermögen und aus Umgängen in der Stadt an gewissen Tagen. Daneben gehörten zu de» einzelnen Kirchenämtern Acker- und Wicsenländereien. Nach der Reformation waren an der Haupikirche ein Pfarrherr, ein Kaplan, ein Schulmeister, ein Baccalaureus, ein Kirchner und ein Organist ^nit den Scholaren thätig. 1. Die Oberprediger. Der erste Prediger hatte von jeher den Vormittagsgottesdienst abzuhalten, beim heiligen Abendmahl den Wein auszuteilen, die Einsegnung der Eheleute und Neophyten allein zu verrichten und die Aufsicht über die Schulen auszuüben. Die Namen folgender Oberprediger, sowie Bedeutsames aus ihrem Leben ist uns bekannt geblieben: 1) Joachim Spangenberg; er amtierte in Ellrich von 1472 bis 1486. Seiner wird in der Michaelis'schen Sammlung als Vater des berühmten M. Joh. Spangenberg gedacht, (vicl. iblaccii catall. ässUnm Oeiritsl. r6o8 ibol.) 2) Ed. Kühnhorn aus Stolberg, 1493—1501. 3) Martin Bußmann aus Braunschweig, 1501—1510. 4) Nicolaus Kellner aus Eisenach, 1511—1514. 5) Johann Gödecke Schmid aus Dnderstadt, 1516- 1519. 6) M. Fr. Schmalkalden oder Weismann. 1520—1523. Er wurde im Jahre 1528 wegen Ketzerei in Würzburg verbrannt. 7) M. Joh. Crusius oder Krause. Um 1525. Er war der erste Geistliche, welcher Luthers Lehre anhing. Später zog er zum großen Unwillen Luthers ohne Lebensunterhalt umher, bis er endlich wieder Stellung im Mansfeldischen erhielt. Er hat auch einen Bericht über die Schlacht am Welphesholze 1558 geschrieben. Er war der erste Prediger in Ellrich, der verheiratet war. 8) Nikolaus Rotsack. 9) Johann Döring. 10) Johann Schieferstein. Diese drei Prediger werden im roten Kirchenbuche als Vics pLstores aufgezählt. 11) Michael Küchenthal. Er starb 1550. Die folgenden Oberprediger lehrten völlig nach Luthers Lehre: 12) M. Simon Kleinschmidt. Er amtierte von 1551 ab und war aus Ellrich gebürtig; vorher war er Rektor in Stolberg. Er that sich, wie früher bereits erwähnt, im Jahre 1556 auf der Synode in Walkenried am Montag vor Palmarum rühmlich hervor. Er hat auch eine Erklärung des Luther'schen Katechismus geschrieben, die lange Zeit in den Fasten gebraucht wurde. Ein späterer Ellricher Pastor Thom. Damius hat einen kurzen Lebensbericht dieses Mannes geschrieben, der hier abgedruckt werden möge, zumal er über die Ellricher Kirchenverbesserung erläuternde Angaben enthält: Kund und zuwissen sey hiermit, daß der weiland Wohl-Erwürdige, Großachtbahre und Hochwohlgelahrte Hr. Ll. Simon Kleinschmidt iw 1551. allhier zu Ellrich nach der Rskorwution des seel. Gottes Mannes Imtllori erster LvnnAotisolmr ?U8tor worden, die Päpstlichen Jrrthümer abgeschaffet, und das Hochwürdige Abendmahl unter beyderlcy Gestalt nach des Hrn. Befehl und Einsetzung zu uclministriren angefangen, ohnerachtet, daß der damahlige regierende Landes Hr. Grass Bolckmarten zu Hohenstein der Päbstlichen RollAion bis in den Tod beygethan verbleiben. Dannenhero als ao. 1556 den Freytag nach luäiea war der 27ts Llurtis die sämbtlichen ka8toie8 hiesiger Grassschafft uebeus ihren 6u8toäibu8 von gnädiger Herrschaft naher Walckenrieth beschrieben, und Ihnen sämbtlich durch die Hrn. Räthe angedeutet worden, daß sie nun hinführo zu der Augspurgischen Oonko88ion mit Hertz und Mund sich bekennen, und ihre Pfarrkinder in dem tunäaiasnt der reinen Lvs.nAeIi8Lllon Lehre mit allen Fleiß unterrichten, und hingegen für allerhand Lorruptelsn Jrrthürmern und Menschentandt treulich warnen sollen, hat wohlgemelter Hr. LI. Kleinschmidt von gnädiger Herrschafft Befehl bekommen, die andern ?a8toie8 zu unterrichten auch in ihren Nahmen das Wort zu führen, dessen Er sich auch nicht entbrechen können, daß Er vielmehr in der Abteystuben gegangen, und sind ihm die andern ?n.8torv8 auf der Räthe und des Hrn. Cantzlers Befehl gehorsamlich nachgefolget, an welche Er nicht allein einen ernsten und nützlichen Lormon und Unterricht gehalten, besondern auch folgendes in Nahmen der Priesterschafft die Ant- wordt und Dancksagung an die gnädige Herrschafft gethan, und schließlich befohlen, daß auf dem Palm-Sonntag in allen Kirchen dieser Graffschafft ein frölich Ls venm Iuuäamu8 gesungen, und solches zum Gedächtniß alljährlich wiederholet werden solte. Seinen Ambte hat Er allhier 24 Jahr treulich vorgestanden, und das Werck eines lllvanAelmellen Predigers redlich ausgerichtet auch zu desto bessern Erbauunge dieser Christlichen gemeinde einen schönen Oommontarium über des Hrn. Imtberi kleinen Outeellmmum geschrieben, daraus seine ihm anvertrauete Gemeinde heilsamlich unterrichtet, welcher noch jährlich in der fasten euferig bey uns getrieben wird; uo 1575 ist Er im Hrn. seel. entschlossen, und in unser Hauptkirchen zu 8t. .lolmuuis begraben worden. Worauf seine Frau als nachgelassene Wittbe Anna Maria gebohrne Gottschilling von Göttingen aus einem vornehmen Gejchlechte daselbst gebohren, 2 Jahr nach ihres seel. Hrn. Tode auch gestorben, und in dieselbe Kirche begraben worden, ^.o 1625 funffzig Jahr nach des seel. Ll. Kleinschmidtes Tode hat der Todten Gräber Hanß Cramer in unser 8t. öolmnnm Kirchen ein Grab machen sollen, und kömt auf des Hrn. LI. Kleinschmidts Sarg, öffnet denselben, und findet den seel. Mann noch gantz käntlich und ohne Verstelt, nicht anders als wenn Er sanfft schlieffe, gehet hin und sagets dem damahligen Psarrherr Hrn. LI. ^närom Reiman», der kömt eilends gegangen und freyet sich hertzl. über dem Leichnam des betrübten seel. Mannes zu sehen, bestehlet den Sarg und das Grab wieder zu zu machen, und spricht, wie dort der König Jaffas von den Gebeinnen des Propheten und Mannes Gottes sagte, lasset Ihn liegen Niemand bewege seine Gebeine. 2 XXIII. 18. Unser lieber GOtt lasse Ihn daselbst ferner bis an den lieben Jüngsten Tag sanfft ruhen und schlaffen und Erwecke Ihn dermahleins sampt uns und allen die seine Erscheinung liebhaben zum ewigen Freuden Leben. Ellricht de» 2ten Lias. ao. 1673. U. Nbomas Oamius NI. Leelas. ?. 13) Johann Wagner, 1575—88. Er studierte in Wittenberg, wozu ihm der Abt zu Walkenried ein kleines Stipendium von 5 Gvld- gulden jährlich gab, das er hernach lebenslänglich behielt. Er war zuerst Pastor in Steckerthal und Petersdorf, hernach in Schwend dann zu Neustadt, darauf Diakonus in Ellrich. Von hier ging er fort, um Pastor in Stolberg zu werden, kehrte aber bald zurück und wurde Pastor prim, und Superintendent in Ellrich. Der Kirchenliederdichter Neander rühmt ihn als einen Mann von großem Verstand und großer Gelehrsamkeit, er war Luthers besonderer Freund. 14) Johann Plattner aus Nordhausen, 1588—98. Er war bereits vorher als Diakonus in Ellrich augestellt; er starb an der Pest. 15) Johann Logerus; ein geborener Ellricher. Er folgte 1599 seinem Vorgänger, nachdem er vorher Hofprediger zu Lohra war. 16) Paul Maltzkasten. Er war aus der Pfalz gebürtig, stand auch zuerst als Diakonus in Ellrich und folgte 1612 dem Oberprediger Logerus; er dankte aber 1622 ab, und da folgte ihm 17) M. Andreas Reimann aus Bleicherode. Als dieser 1627 in die Pfarrstelle seiner Vaterstadt berufen wurde, wählte man als Nachfolger 18) Basilius Damius. Mit ihm kam in die Oberpredigerstelle eine Familie, die über 100 Jahre dieses Amt verwaltet hat. Der erste Damius, in Wernrode geboren, war kaiserlich gekrönter Poet. Er wurde 1627 nach Ellrich berufen und starb 1650. 19) M. Thom. Damius, sein Sohn, war bereits vorher in Ellrich Diakonus; er wurde 1651 Oberprediger und Consistorial-Assessor. Ihm folgte 1677 sein Sohn 20) Otto Christian Damius. Er wurde am 1. September 1654 geboren, besuchte die Schulen zu Ellrich und Nordhausen, die Universität zu Leipzig, wurde 1676 Magister daselbst und im folgenden Jahre Pfarrer in seiner Vaterstadt. Infolge von Überanstrengung erkrankte er und trat zur Wiederherstellung seiner Gesundheit eine Studienreise nach Frankreich, den Niederlanden und England an. Nach seiner Rückkehr ließ er sich auf der Kanzel über einige Lehren der Kirche anders als gewöhnlich aus, so daß darüber unter den Predigern der Grafschaft ein Streit entstand, in welchen man die Landstände mit hineinzog. Da der Superintendent Günther zu Bleicherode denselben nicht zu schlichten vermochte, mußte sich Damius 1698 vor dem General- Superintendenten Lüder zu Halberstadt verantworten, und cs wurde schließlich befohlen, die Sache nicht weiter anzuregen. Als Damius dann 1707 ein verändertes Gesangbnch herausgab, wurde neuer Lärm geschlagen; man holte Gutachten von den Universitäten Helmstedt, Marburg, Halle und Gießen ein und folgte dem darin erteilten Rate, sich an die Landstände, das Konsistorium und an den König zu wenden. Im Jahre 1709 mußte sich infolgedessen Damius in Berlin verantworten, blieb daselbst drei Jahre, während welcher sein Amt in Ellrich von seinen Anhängern in der Grafschaft versehen wurde, und kehrte endlich mit allen Ehren zurück. Er wurde sogar Superintendent und starb 1728, nachdem die Pfarrstelle zu Ellrich mehr als 100 Jahre in seiner Familie gewesen. 21) Ehr. Georg Schußler. Er war schon seit 1721 Adjunkt des letzten Damius gewesen und wurde nach dem Tode seines Vaters auch Inspektor über die ganze Grafschaft und Consistorialrat. 22) Johann Engelhardt Helmann, aus Sülzhayn gebürtig, war von dem Konrektorat in Ellrich alle kirchlichen Rangstufen hinauf- gestiegcn und gelangte noch im hohen Alter im Jahre 1754 zum Primariat, worin ihm nach seinem Tode im Jahre 1766 23) Gottlieb Christoph Schmaling folgte. Dieser, auch zuerst Diakonus in Ellrich, hat sich uni die Grafschaft Hohenstein und speciell um unsere Stadt das hohe Verdienst erworben, daß er alle ihm bekannt gewordenen Ereignisse und Denkwürdigkeiten der Grafschaft sammelte und sie in seiner Zeitschrift „Hohensteiner Magazin“ veröffentlichte. Ihm verdanken wir es, daß manche Begebenheiten aus der Grafschaft und unserer Stadt nicht für immer verloren gegangen sind, und daher gebührt ihm mit vollem Recht der Name eines „Chronisten der Grafschaft“. Er starb am 30. April 1800, morgens 9 Uhr im 71. Jahre. Ihm folgte am 12. Oktober 1806 24) Hermann Reidemeister aus Stolberg, vorher Diakonus Hierselbst. Er starb am 6. März 1814. Ihm folgte 1815 25) Winkler aus Liebenrode, der bis 1841 im Amte war. Am 18. Juli 1841 wurde nach Emeritierung des Winkler der Diakonus 26) Ludwig Schmidt aus Halberstadt als Oberprediger durch den Superintendenten Förstemann eingeführt. Während des im großen Vorsaal des damaligen Rektorats gehaltenen Festessens nahte ein Gewitter mit furchtbar aufgetürmten Wolkenmassen, und der vorangehende dem Sirokko ähnliche Gluthauch der Luft, von welchem die Spitzen der Feldfrüchte versengt wurden, ging in einem heftigen Orkan über, welcher eine Menge Bäume zerbrach. Im Jahre 1843 wurde Schmidt nach dem Tode des Superintendenten Förstemann zu Nordhausen Superintendentur-Vikar; 1847 wurde er an die Nikolaikirche zu Nordhausen berufen, wo unterdessen unter Führung des Predigers Baltzer die freie Gemeinde entstanden war. 27) Gottfried August Nebelung, bis zum Jahre 1843 Diakonus in Ellrich, wurde am 30. Mai 1847 durch den Superintendentur-Vikar Schmidt als Oberpredigcr eingeführt. Seinen eifrigen Bemühungen ist es zu verdanken, daß, wie bereits oben erwähnt, die im Jahre 1848 infolge des Aufruhrs in Ellrich zu mehreren Jahren Zuchthausstrafen verurteilten Bürger vom König begnadigt wurden. Er wirkte auch sonst zu großem Segen in seiner Gemeinde. Im Jahre 1859 schied er aus seinem Amte. Sein Nachfolger wurde 28) Hugo Geißler. Er wurde am 5. Juni 1859 als Oberprediger eingeführt und versah sein Amt 30 Jahre lang. Eben ein Jahr an der St. Johanniskirche thätig, mußte er bei dem großen Brande am 20. Sept. 1860 auch die schöne Kirche in Flammen aufgehen sehen. Seitdem hatte er eine lange Reihe von Jahren mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, da die St. Johanniskirche erst im Jahre 1883 wieder eingcweiht werden konnte. Im Herbst 1889 mußte er wegen dauernder Kränklichkeit sein Amt niederlegen. Er starb am 1. Juni 1893. Sein Nachfolger wurde am 27. Sept. 1889 29) Robert Herbst, der bereits 15 Jahre als Diakonus in Ellrich angestellt war. Er blieb im Amte bis 1892, um dann die Pfarrstelle in Alberstedt zu übernehmen. Sein Nachfolger wurde 1892 30) Otto Harraß, der vorher Archidiakonus zu Eilenburg gewesen war. Er gab die Stelle Ostern 1899 auf, um das Pfarramt in Bühne zu übernehmen. Nach jähriger Vakanz wählte der Magistrat als Nachfolger 31) Heinrich Wo liefen aus Werben a. d. Elbe, der am 1. Okt. 1899 sein Amt antrat. 2. Die Diakoili in Ellrich. Die 2. Prediger in Ellrich führten von jeher den Namen Diakonus oder in frühester Zeit den eines Kaplan. Es sind uns nur die Namen derjenigen überliefert, welche nach der Reformation beamtet gewesen sind. Es sind solches folgende: 1) Johann Rausch. Er wurde 1553 gewählt. Ihm folgte in demselben Jahre bereits 2) Johann Wagner. Dessen Nachfolger war 3) Martin Nether, welcher 1575—83 das Amt bekleidete 4) Johann Plattner. 1583—88. 5) Heinrich Eckstorm. Als dieser 1591 als Pastor und Rektor nach Walkenried berufen wurde, erhielt seine Stelle 6) Paul Maltzkasten. Nach ihm trat in die Stelle 7) Alexander Lange, ein Ellricher von Geburt, vorher Konrektor in Walkenried. 8) Johann Höfer. 9) Andreas Plattner, vorher Rektor in Ellrich. Er starb 1629. 10) Ernst Göttling aus Andreasberg. Er war vorher Pfarrer in Urbach und hernach Pastor in Ilfeld. Als er von hier durch den abtrünnigen Abt Nihusius vertrieben wurde, nahm er 1633 das Diakonat in Ellrich an und ging von hier 1636 als Pastor nach Nordhausen. 11) Johann Küchenthal, ein Nordhäuser.
noch Modell-, Putz- und Lenzin-Gyps. Die Preise der verschiedenen Sorten sind im Durchschnitt folgende: Für Estrichgyps 75 pro 10000 lrx. Putzgpps 80 „ pro 10000 „ Stuckgpps 90—100 „ pro 10000 „ je nach der Mahlung. Modellgyps 150—200 pro 10000 KZ-. Gegenwärtig werden 400—500 Arbeiter in den Gypsfabriken beschäftigt. Ellrich verdankt sein Aufblühen in den letzten Jahrzehnten nicht wenig diesem Industriezweige. Während in den früheren Zeiten Mangel an Beschäftigung für die Einwohner Ellrichs vorhanden war, und deshalb wenig oder gar kein Geld in Ellrich hineinkam, wurden durch die Gyps- industrie, wie durch die Webereien und Schuhleistenfabriken jährlich 2 Millionen Mark Geldeswert in Ellrich hineingebracht. Der zweite wichtigste Industriezweig Ellrichs sind die Webereien, zu denen wir uns jetzt wenden. 6. Die Webereien in Ellrich. Schon seit Jahrhunderten ist die Wollweberei in Ellrich ein blühender Industriezweig. Nach dem Brande im Jahre 1627 lag aber auch sie, wie alle anderen Gewerbe, völlig darnieder. König Friedrich II. von Preußen, dem Ellrich, wie bereits früher erwähnt, wegen dessen Kolonisationsversuche viel verdankt, nahm sich auch der Webereien an und lieh der Stadt zur Errichtung eines Wollmagazins im Jahre 1776 1000 Rthlr. Der Erfolg blieb aber aus. Man fertigte in damaliger Zeit meistens Flanelle und gröbere Tücher, weniger Zeugwaren an. Im Jahre 1791 gründeten Tuchmacher u. Hartlaub eine große Wollfabrik; über die Entwicklung derselben lassen uns die Nachrichten in Stich. Ganz hörte dieser Industriezweig bis zur Gegenwart hinab aber nicht auf, Handwebereien wurden fortwährend gefertigt, wie auch jetzt noch einige Firmen, z. B. Schütze L Siese, ebenso M. S. Ballin mit der Hand weben lassen. Erst mit der Eröffnung der Bahn Northeim—Nordhausen ward ein Wechsel hervorgerufen, wie überhaupt diese Bahnstrecke für die Entwicklung der Stadt von großer Bedeutung geworden ist. Im Jahre 1875 gründete nämlich der Fabrikant Ferdinand Teichmüller eine mechanische Weberei, die bald ein großes Absatzgebiet fand; ihm folgte im Jahre 1888 dessen Bruder Alwin mit der Gründung einer gleichen Fabrik. Hauptsächlich werden in beiden Fabriken Baumwollen-Artikel hergestellt. Es werden in ihnen ca. 250 Personen beschäftigt. 0. Die Ellricher Schnhleistenfadriken. Die Nähe großer Buchenwälder wie die bequeme Holzabfuhr nach Ellrich gaben 1874 Veranlassung zur Gründung einer Schuhleistenfabrik unter der Firma „Alfelder Schuhleistenfabrik M. Spenlö L Comp.“ Die Firma löste sich aber 1875 wieder auf, und der Fabrikant Spenlä baute sich selbst eine Fabrik, die noch jetzt, verbunden mit einem Sägewerk, existiert und ca. 15 Personen Beschäftigung giebt. Die zuerst gegründete Leistenfabrik ging nach mancherlei Veränderungen in den Besitz des Fabrikanten E. Brockmann über und ist zur Zeit die bedeutendste ihrer Art in Ellrich; es arbeiten ca. 50 Personen in ihr. Die Fabrik liefert hauptsächlich Schuhleisten für die Bekleidungsämter der Armee, dann aber auch Leisten mit Eisen für größere Schuhfabriken. — Im Jahre 1898 ist noch eine dritte Leistenfabrik gegründet, die bis jetzt aber nur in kleinem Maßstabe arbeitet. 13. Gelehrte und Dichter aus Ellrich. L. Gelehrte aus Ellrich. An Gelehrten hat Ellrich in früheren Jahrhunderten drei hervorgebracht. Der erste ist Johann Gaß mann. Er hat sich durch eine „weitläufige und wohlgeratene griechische Elegie“ an den oben erwähnten Rektor Johann Mylius bekannt gemacht, die Michael Neanders „klrraseoIoZ-iak Zi-aseo latinas Isocralis“, welche bei Johann Oporin zu Basel 1558 gedruckt worden, beigefügt ist. Der 2. Gelehrte war Mathäus Gothus, welcher auch als ein trefflicher, griechischer Dichter bekannt war. Seine Schriften sind 1) Hktoria virac; et ckoctrinas ^sksrr Llrristi, apostolorum et äiscüpu- lorunl. Es ist diese eine Art Heldengedicht und erschien 1573 zu Basel. 2) OoctriiiL calsclcksricm uua cunr airlirlissi aujrisarrircxris tickei arciauli; ebenfalls in Versen geschrieben und 1574 in Frankfurt erschienen. Der 3. Gelehrte ist Johann Heinrich Hofmann, Kammermeister und Archivarius zu Hannover. Er wurde in Ellrich 1628 geboren. Er hat sich um die Braunschwcig-Lüneburgische Geschichte durch viele Schriften überaus verdient gemacht, wie wohl keine derselben in Druck erhalten geblieben ist. Er starb 1680. Von seinen Schriften findet man ein Verzeichnis in Leuckfelds ^.nticzuir. Jlefeld. S. 212. Während dieses Buch sich im Druck befindet, hat in Ellrich ein Gelehrter die Augen für immer geschlossen, der zwar von Geburt ein Nordhäuscr, die letzten fünf Jahre aber in unserer Stadt gelebt hat, und dem darum auch an dieser Stelle einige Reihen gewidmet sein mögen, einmal wegen seiner hervorragenden Bedeutung, sodann aber auch mit Rücksicht auf seine eigenartige, herzgewinnende Persönlichkeit. Dr. Martin Schnitze. Er wurde am 11. Januar 1835 in Nordhausen als Sohn des König!. Musikdirektors Heinrich August Schultze geboren. Er studierte auf der Universität Halle und trat dort in Verkehr mit jungen griechischen Studenten. Dieser Verkehr ließ in ihm den Wunsch rege werden, die schöne Heimat der Griechen kennen zu lernen, und so übernahm er 1857 eine Stellung als Hauslehrer und Interpret in dem Hause des österreichischen Konsuls F. Haas in Janina (Epirus). Mit eben diesem Konsul reiste er im nächsten Jahre nach Rustschuk in Bulgarien. Die Reise ging über Athen, Syra, Konstantinopel und Varna. Am 6. März langten sie endlich in Rustschuk an. 2 Jahre blieb er in dieser Stellung, dann zwang ihn ein Gelenkrheumatismus, ein anderes Klima aufzusuchen und er trat als Musiklehrer ein in die Privatschule des Direktors Hallo in Hilversum bei Amsterdam. Das Jahr 1861 führte ihn nach Elbing, 1864 an die höhere Töchterschule in Thvrn, seit >869 war er Rektor an der höheren Töchterschule in Küstrin, von 1877—1885 Rektor des Realprogymnasiums in Oldesloe. Infolge Augenleidens war Schultze gezwungen, seinen Abschied zu nehmen, lebte darauf einige Jahre in Darmstadt, um dann nach Ellrich <1894) überzusiedeln, wo er am 10. September laufenden Jahres gestorben ist. Dr. Martin Schultze, von mittelgroßer Gestalt, freundlichen Aussehens, liebenswürdig, zuvorkommenden Charakters, war einerseits ein tüchtiger Komponist, andererseits eine unermüdlich thätige Gelehrtennatur. So komponierte er für Orchester eine „Frühlingssymphonie“, für Chor und Orchester den „Spaziergang“ von Schiller; ein Phantasiebild aus Kanaans Heldenzeit hat den Titel Ba-Silo (Gekommen ist der Ersehnte), ferner „Der Edelknecht“, „König Trojan“ (1899), „Der Kinderkreuzzug“, „Das Jahresmärchen.“ Von den „Kyffhäuserklängen“ ist eine Nummer erschienen. So interessant diese Kompositionen besonders für kleinere musikalische Vereinigungen sind, so liegt das höhere, streng wissenschaftliche Verdienst Dr. M. Schultzes doch vor allem auf dem Gebiete der orientalischen Sprachen und dem der vergleichenden Sprachwissenschaft. Eine einfache chronologische Aufzeichnung wird Zeugnis davon ablegen, welch' umfassendes Sprachgenie für immer die Augen geschlossen, welch' rüstiger Arbeiter das Werkzeug geistiger Thätigkeit für immer beiseite gestellt hat! Es erschien: 1863. 1. Handbuch der persischen Sprache. 1864. 2. Ueber das Beowulsslied. 1865. 3. Oliver Goldsmith and dis iitvrarx merits. 1868. 4. äs lauoisnue eoineäis trun^uistz. 1869. 5. Zur Regelung der deutschen Orthographie. 6. Kl. Grammatik der engl. Sprache. 7. bluKlisd rkuäivAs tor Osrwau Zvdools. 1870. 8. Geschichte der alt-ebräischen Litteratur. 1872. 9. Ueber den Lautwert der griechischen Schristzeichen. 1873. 10. Indogermanisch, Semitisch und Hamitisch 1874. 11. Jdioticon der Nord-Thüringischen Mundart, gerade vor 25 Jahren im September erschienen! Dieses Büchlein ist „den Bürgern Nordhausens“ gewidmet und leider schon recht in Vergessenheit geraten, obgleich seine komische Behandlung der Nibelungenstrophe in den Versen: Wii de Brunschwiiger de stat äbberrumpelten (1329) Uns äs fon oolen ziiten jesnngen un jesaat, Wuo mannicher tappere daegen in'n striite wunder tad. Was abber unse börger sär gruoßes Haan follbroocht, Doo dran ward hiit ze taage fon feelen nich mie recht jedoocht u. s. w. dies durchaus nicht verdient. 1876. 12. Moses und die „Zehnwort“-Gesetze des Pentateuchs. 1876. 13. Handbuch der ebräischen Mythologie. 14. Die german. Elemente der französischen Sprache. 1877. 15. Altheidnisches in der angelsächsischen Poesie. 1878—81. 16. bis 13. Plattdeutsche Urkunden in Oldesloe. 1879. 20. Kinnorlieder. (Alt-Hebräische Dichtungen.) 1883. 21. Chaldäische Bilderwerke im Museum des Louvre. 1884. 22. Dalmanutha. Gcogr.-linguist. Untersuchungen. 1886. 23. Zur Formenlehre des sem. Verbs. 1891. 24. Die sittlichen Grundsätze des Ur-Christentums. 1892. 25. Von der Falkenstrut zur Pilgerruhe. Familiengeschichten für die Nach- kommen, ausgezeichnet von den Geschwistern Therese Sch. und Dr. M. Schultze. 1894. 26. Grammatik der hindustanischen Sprache, Hindi und Urdü. 1897. 27. Grammatik der altpreußischen Sprache. 1899. 28. Grammatik der aramäischen Muttersprache Jesu. (Vorrede vom 11. Januar.) Schon wer diese lange Titelreihe überblickt, wird Achtung haben vor der rastlosen Thätigkeit, die diese Werke schuf; diese Achtung wird sich steigern, wenn man ermißt, daß Dr. Schultze bereits 1885 Augenleidens wegen sich pensionieren lassen mußte, und daß nur die treue Hilfe seiner ihn überlebenden in Ellrich wohnenden Schwester Therese ihm die Aufzeichnung seiner Manuskripte und die Durchführung seiner umfassenden litterarischen Korrespondenz ermöglichte. Darum auch Ehre dieser wackeren Helferin! ö. Dichter Ellrichs. Zwei Dichter haben ihren Wohnsitz in Ellrich gehabt; es sind dieses Göckingk und Tiedge. 1. Leopold Friedrich Günther von Göckingk. In Ellrich wurde, wohl auf Anregung des aus Stöcker, gebürtigen und von Friedrich dem Großen hochverehrten Ministers Ludwig Philipp von Hagen im Jahre 1770 eine „Kriegs- und Domänenkammer“ neu errichtet, die aus einem Direktor mit dem Range eines Geheimrats, drei Räten, einigen Assessoren rc. und den nötigen Subalternpersonen bestand. Als „Sekretarius und Kanzleidirektor“ fand bei ihr auch ein erst 22jähriger Jüngling seine erste Staatsanstellung, der berufen war, hier am Südharz seine Stellung in der deutschen Litteratur zu begründen, unser harzischer Heimatsdichter Leopold Friedrich Günther von Göckingk. Geboren am 13. Juli 1748 als Sohn eines Halberstädter Kriegs- und Domänenrats zu Gröningen bei Halberstadt, hatte Göckingk auf dem Pädagogium in Halle mit Bürger den innigsten Freundschaftsbund geschloffen, und dann als Referendar in Halberstadt im Vereine mit den ihm geistesverwandten Männern der dortigen Dichterschule, denen Halberstadt seine Bedeutung in der Litteratur verdankt, mit Gleim, Heinse, Michaelis, Klamer-Schmidt, Jakobi und Fischer, zwei fröhliche und sorgenlose Jahre verlebt. Nun in Ellrich fast ganz auf sich selbst angewiesen, fand er Muße in Hülle und Fülle, den Keim, den der Verkehr mit jenen Männern in seiner Brust erweckt hatte, kräftig sich entwickeln und Früchte treiben zu lassen. Viel Arbeit erforderte sein Beruf ja nicht, wenigstens singt er selbst: „Mein Aemtchen fordert wenig Zeit, Mehr Schlendrian als tiefen Geist; Was Wunder, wenn die Thätigkeit Die engen Schranken niederreißt, Mich ans die Harzgebirge führet, Wo meine Freundin, die Natur, So ganz mit mir fympathisiret, Und dann, doch freilich selten nur, Die Lippen zum Gesänge rühret.“ Freilich kam er sich zunächst und die ersten Jahre hindurch in Ellrich nur als ein Verlassener vor, den der Sturm an eine unwirtliche Küste geworfen hat. Doch suchte und fand er bald in der Nachbarschaft geistigen Zusammenhang, der ihn die Ellricher Einsamkeit je länger je weniger empfinden ließ. So in dem gastlichen Pfarrhause zu Kleinwerther bei Nordhausen, bei seinem Freunde, dem geistreichen Pastor Goldhagen, und in der Reichsstadt Nordhausen selbst, wo letzterer zahlreiche angenehme Familienverbindungen hatte. In Nordhausen strahlten denn auch in den Lebenspfad des jungen Dichters, der inzwischen, und zwar im Jahre 1772, die erste Sammlung seiner „Sinngedichte“ hatte erscheinen lassen, zwei Helle Sterne hinein: Sophie Ferdinande und Amalie, die Töchter einer dort privatisierenden Oberamtmannsfamilie Vogel. „Die jüngere“, erzählt Tiedge von dem anmutigen Schwesternpaare, „Amalie, von edlem Wüchse, eine sanfte, holde Gestalt, mit lieblich bescheidenem, zurückhaltendem Wesen und natürlicher offener Freundlichkeit, die unwiderstehlich das Herz trifft, in ihrem klaren Auge der Widerschein einer feinen Seele, voll Unschuld, Liebreiz und Güte. Dagegen die ältere, Sophie Ferdinande, eine blendendere Schönheit, deren hoher, schlanker Wuchs sogleich die Aufmerksamkeit von der jüngern hinwegnahm. Die Blicke glänzend, die Wangen voll Jugendblüte. Der Mund, ja durch die Rosen dieser Lippen — meinte das betroffene Herz — können nur zephprliche Worte voller Geist wehen.“ Die Wahl zwischen beiden ward dem jungen Dichter schwer genug. Endlich trug Sophie Ferdinande den Sieg davon. Sie, die dem geliebten Manne „bei Übersendung eines Paars Filet-Manschetten“ ihr Herz selbst in den lieblichen Versen entdeckte: „Diese Netze strickt' ich dann, Und bei jedem Knoten flogen Hundert Seufzer zu dem Mann, Der mich selbst ins Netz gezogen, Was? gezogen? nein doch, nein I Lief ich denn nicht selbst hinein?“ Sie ward seine Verlobte. Das Jahr 1775 brachte ihm dann auch wieder nähere Beziehungen zu seinem Freunde Bürger, der damals als Justizamtmann in der Nähe von Göttingen lebte. Hocherfreut über das Wiederfinden ruft er aus: „Ich habe meinen Bürger wieder Ich habe Dicki, ich halte Dich, Und nie geb' ich Dich wieder!^ Ein Besuch, den Göckingk dem wiedergefundenen Freunde abstattete, knüpfte de» Freundschaftsbuud noch fester, und am 5. Juni 1775 schreibt Bürger an Göckingk: „Wie sehr Ihr treuherziger Besuch mich vom Haupt bis zum Zeh mit Vergnügen durchkitzelt habe, davon will ich weiter nicht ein Wörtchen sagen, weil mir die Erinnerung die schnelle Flucht der schönen Stunde nur unangenehmer macht.“ Und vom 7. Juli 1775, dem Tage, an dem Göckingk mit seiner Sophie von Nordhausen aus nach dem damals in vollem Glanze stehenden Bade Lauchstedt abreiste, um dort Hochzeit zu machen, schreibt er an Bürger überquellenden Herzens: „Der Wagen steht angespannt vor der Thür, welcher mich und meine dreyjährige Geliebte und nunmehrige Braut nach Lauchstedt bringen soll, wo wir uns miteinander auf ewig verbinden wollen. Ich will Ihnen meine Sophie weder nach dem Geiste, noch Herzen und Körper beschreiben. Blos das will ich sagen: sie ist von allen Dreyen mehr als mittelmäßig, liebt die Blusen, kann Bürgers Gedichte auswendig und freut sich, daß er mein Freund ist.“ In Lauchstedt verbrachte das junge Paar seine Flitterwochen, um dann nach Ellrich zurückzukehren. Am 18. Juni 1776 „arbeitete sich aus Frau Sophey'chens Schoße ein Junge hervor, so schön als Junge, wie Homer als Dichter.“ Bürger ließ sich als Taufzeuge durch den Ellricher Arzt Dr. Meder vertreten und war damit einverstanden, daß man den jungen Fritz im Scherze schon damals zum zukünftigen Gatten seiner ungefähr gleichaltrigen Tochter bestimmte. Göckingks Haus in Ellrich ward nun mehr und mehr der Sitz froher Gastlichkeit. Aber auch er packte hin und wieder Frau und Kind auf, um den Freunden in Halberstadt und Göttingen Besuche abzustatten. Seine Muße schoß nun zusehends immer mehr in Blüte. Im Göttinger Musenalmanach, den er mehrere Jahre leitete, und einer langen Reihe anderer schöngeistiger Litteraturerscheinungen jener Zeit finden sich in Poesie und Prosa die Früchte seines Geistes. Vielfach wurzeln sie in dem Harzgebirge, seinen Naturschönheiten, seinen Sagen aus grauer Vorzeit und der Eigenartigkeit seiner Bewohner. „Ich lasse Wälschland seine Haine, Voll Myrth'-- und Pomeranzen-Duft, Sizilien den Preis der Weine, Und seine laue Winterluft, Peru sein Gold und edle Steine: Denn wenn ich gleich dein Sohn nicht bin, O Harz, so gab' ich doch für deine Natur den Rest der Erde hin “ Und dann: „Wo sind in unserm Teil der Welt Die Menschen noch so gut, so bieder, So hülfreich und so unverstellt, So fröhlich beim Gesang der Lieder, So arm und doch so frei von Geiz, Als auf dem Harz und in der Schweiz.“ Den Beifall von ganz Deutschland aber brachten ihm seine 1777 erschienenen „Lieder zweier Liebenden“, in denen alle dichterischen Erzeugnisse zusammengefaßt waren, die er und seine Sophie in der Zeit ihres Brautstandes einander gewidmet hatten. Noch glücklicher fast, als mit diesem Werke, war er in seinen „Episteln“, einer Gattung von Gedichten, die er auf eine Höhe zu bringen wußte, wie man sie in Deutschland noch nicht gekannt, und in der er auch bis heute unübertroffen dasteht. Im August 1778 ging Göckingk auf einige Zeit nach Berlin, um sich zur Beförderung in ein höheres Amt an maßgebender Stelle persönlich zu empfehlen. Das Ergebnis der Reise war „ein gnädiges Versprechen, bep einer der ersten Gelegenheiten als Rath placirt zu werden.“ Gesundheitsrücksichten bewogen den Dichter, sein trautes Heim aus dem engen Häusergewirre des Städtchens in ein halbstündig von Ellrich gelegenes, von ihm ermietetes Landhaus zu verlegen, nach einem vormals dort gelegenen Dorfe „Wülferode“, im Volksmunde aber „das neue Haus“ genannt. Über die guten Folgen dieses Landaufenthalts auf seine und seiner Familie Gesundheit ist er in seinen Briefen an Bürger des Ruhmes voll. Denn in Ellrich wollten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse noch immer nicht besser gestalten. Tiedge, seit l781 Hauslehrer beim Kammerdirektor von Arnstedt daselbst, giebt in seinen Briefen an seinen Freund Johannes Mohr in Magdeburg hierüber manchen schätzenswerten Aufschluß. „Das Haus des Kammerdirektors ist das erste der ganzen kleinen Provinz; es bildet in verjüngtem Maßstabe einen Hof und läßt eine gewisse Hoffähigkeit, oder besser gesagt, ein Hofrecht stattfinden. Hofrechtlich sind hier außer den königlichen Räten die ersten Magistratspersonen der kleinen Provinz. Die Kammersecretäre sind ausgeschlossen. Nur Göckingk wird zuweilen eingeladen, was er seiner auswärtigen Bedeutsamkeit zu danken hat. Auch die Frauen, selbst die der Räte, weil sie ohne Geburt sind, scheinen nicht hofrechtlich zu sein, denn ich habe noch keine gesehen.“ Diese etwas unerquicklichen Verhältnisse hatten unter anderm auch zur Folge, daß Tiedge und Göckingk erst nach jahrelangem Nebeneinanderleben in Ellrich sich einander näherten. Göckingks Sophie wird von Tiedge voll Anerkennung ihrer dichterischen Vorzüge „die deutsche Sappho“ genannt. „Sie schwebt wie eine Anadpomene daher; ein edler, ungezwungener Anstand schmückt die reizende Gestalt und ein feuriger, mit lieblicher Milde besänftigender Blick strahlt aus dem vollblühenden Gesichte, über welches sich ein Himmel von Freundlichkeit ergießt.“ — Im folgenden Jahre (1780) erschien bei Breitkopf in Leipzig der erste Band von Göckingks gesammelten Gedichten, und in den beiden nächsten Jahren folgten zwei weitere Bände. Der letzte Teil enthält unter anderm die damals hochberühmte Ballade „Die Kelle“, in welcher ein Naturwunder den Ort der Handlung bildet, dessen zusammengestürzte Trümmer heute das Ziel nur noch weniger Harzwanderer sind, die unweit Wülferode gelegene mächtige Alabasterhöhle „Kelle“. In ihren geheimnisvollen Räumen feierten Göckingks Familie und ihre Gäste manch frohes Fest. Damals sang ein Fräulein von Hagen: „Bei Ellrich liegt die Höhle, rings Umschirmt vom dunkeln Haine; Gebüsch bekränzt sie; rechts und links Ruh'n grün bemooste Steine; In tiefe, weite Felsenkluft Geht's viele Klaftern nieder. Ihr Hände der Natur erschuft Ein solches Werk nicht wieder. Hinab zur Höhle schimmert bleich Nur so viel Sonnenhelle, Um uns, in einem klaren Teich, Aus unterirdischer Quelle Zu spiegeln, wie wir trüb und blaß Am Fclsenuser stehen. Allein, nichts mehr davon! So was Muß man mit Augen sehen.“ Auch Tiedge beschreibt das Naturwunder: „Göckingk hat hinab in die tiefe und weite Grotte einen ziemlich bequemen Stufengang aushauen lassen, der zu der stillen Wasserfläche führt, die die Höhle ausfüllt. Man fühlt sich wie von der Unterwelt Nähe so schauerlich und kalt umweht, daß man umher suchen möchte nach der stygischen Uferstelle, wo der Kahn anlegt, in welchem der alte Fährmann die Seelen nach der Schattenmelt fährt.“ Aber auch herbe Prüfungen unterbrachen das idyllische Stillleben von Wülferode. Zunächst ward des Dichters Liebling, sein 1778 geborenes zweites Söhnchen Günther, vom frühen Tode ereilt. Und in der Nacht vom 21. zum 22. Dezember 1781 hauchte nach längerem Kränkeln auch Göckingks Sophie in den Armen des untröstlichen Gatten ihr junges Leben aus. Unter der Wucht des zweifachen Schlags schrieb Göckingk an Bürger: „So habe ich denn nun in einem halben Jahre beinahe alles verloren, was mir mein Leben lieb machte, und mir ist fast nichts mehr über geblieben, als ein heißer Wunsch für meine Freunde, daß sie die Größe meiner zwiefachen Schmerzen nie aus eigener Erfahrung mögen können lernen, weil die Hälfte davon genügen würde, ihnen alles übrige gleichgültig und bitter zu machen. Und Tiedge rief der abgeschiedenen „deutschen Sappho“ in ihr frühes Grab nach: „Weggewendet hat sich Philomele Von der stürmevollen Erdenflur, Aufgeschwungen Sapphos Liederseele Zu der höhern Lenznatur. Himmelsharfen feiern ihr Erscheinen Unter Amaranthenlauben dort; Aber hier in unfern Sängerhainen Tönen ihre Lieder fort!“ Bittern Jammer im Herzen suchte der trauernde Vater, der trostlose Gatte, ein mitfühlendes Herz, und seine Schwägerin Amalie, die als unermüdliche Pflegerin der beiden Verstorbenen längst Göckingks Hauswesen geziert hatte, stand vor ihm. So reichte er ihr die Hand zum Bunde für das Leben. Frische Schaffenskraft regte sich nun in dem thatenrührigen Manne und fand ihren Ausdruck in der Ausführung eines mit Bürger und den Halberstädter Freunden lange erörterten Planes, der Herausgabe der noch heute geschätzten Zeitschrift „Journal von und für Deutschland“ (1784). Im nämlichen Jahre noch bestand Göckingk in Berlin das sogenannte „große Staatsexamen“, was ihm Anrecht auf eine Kriegs- und Domänenratsstelle gab. Mehr und mehr gewann der Dichter nun seinen früheren heitern Sinn, seine ehemalige umgängliche Geselligkeit wieder, besonders im persönlichen Verkehre mit so manchem Geistesheros, so mancher hervorragenden Frau seiner Zeit, mit Göthe, Herder, Kästner, Alringer, Elisa von der Recke, Sophie Becker und andern, die er zum Teil in seinein trauten Wülferode beherbergen durfte. Am bemerkenswertesten ist in dieser Hinsicht der mehrfache Aufenthalt Elisa's von der Recke und ihrer Freundin und Reisebegleiterin Sophie Schwarz. Die berühmte Knrländerin weilte dort zunächst im Spätherbste 1784. Tiedge schreibt damals von ihr: „Die hohe Frau, die ich nie gesehen, lächelte himmlisch freundlich auf mich herab. Eine erhabene junonische Gestalt, vereint mit der Lieblichkeit und Anmut einer Psyche oder Hebe. Diese zarte Anmut mildert jene majestätische Hoheit, die dann wieder die Anmut verherrlicht. Ein glänzendes,.kastanienbraunes Haar, von einem blauen Bande zusammengehalten, ist ihr Diadem. Ein durchaus zierratloses, um den Hals geschlossenes Gewand, das ich deutsch nicht nennen darf, von den Leuten jenseits des Rheins ciremiZs genannt, fließt an der feinen Gestalt herab. Und welch ein Auge! Groß, dunkelblau, sprechend, eine sichtbare Seele. Alan fühlt sich wunderbar von ihrem Anblick betroffen. Solchen Menschen etwas zu sein — non ininiina lang 88t.“ Mit Elsas Ankunft schoß in Wülferode ein reiches, üppiges Dichterleben in Blüte. Auch die Halberstädter, voran der ewig junge Gleim, kamen öfter herüber. Sophie Becker, Elisa's Freundin, erwähnt in ihren: Tagebuche, das unter dem Titel „Vor hundert Jahren“ vor mehreren Jahren wieder im Neudrucke erschien (Spemann'sche Sammlung) und das überraschende Schlaglichter auf eine ganze Reihe litterarisch bedeutender Persönlichkeiten der damaligen Zeit wirft, mit ganz besondrer Freude der reizenden Tage des Aufenthalts in dem einfachen Landhäuschen Göckingks. Viel verkehrte dort damals auch der Hauptmann von Wurmb auf Wolkramshausen, Bruder von Schillers Schwiegermutter, der Frau von Lengcfcld. „Die Morgenstunde“, schreibt Sophie Becker unter andern:, „gehört mehrentcils Göckingk. Da schleichen denn bald Elisa, bald ich zu ihm auf seine kleine Stube, die aber eine große Aussicht nach dem Harze hin hat. In Ellrich bin ich nun auch schon einigemale gewesen und habe mit Wehmut die Stube und den Tisch gesehen, wo er so manches Lied aus der Fülle seines Herzens gesungen. Die goldene Zeit seines Lebens ist auch dahin!“ Einladungen des benachbarten Adels zu kleineren Festlichkeiten, Ausflüge nach Göttingen zu Bürger und nach Halberstadt zu Gleim geben immer wieder neue Anregung. Aber auch Bitterkeiten flössen ein, namentlich als die Vorgesetzte Behörde Göckingk durch allerlei Maßregelungen zu zwingen suchte, den Verfasser eines die ii Kurmainzischen Zustände beleuchtenden Artikels seines „Journal von und für Deutschland“ zu nennen. Die Stimmung aller bei der Abreise der Kurländischen Reisegesellschaft war infolge dessen eine ziemlich gedrückte. „Gott stärke“, schreibt Sophie Becker im Vogel'schen Hause in Nordhausen in ihr Reisetagebuch, „den guten Göckingk. Noch sehe ich ihn mit seiner Amalia an unserm Wagen stehen, sie mit rotgeweinten Augen, ihn mit dem tiefliegenden Blicke des Leidenden, dem keine Thräne, kein Seufzer die Brust erleichtert.“ Um den vielen amtlichen Anfechtungen zu entgehen, die in persönlicher Einwirkung von Seiten des Ministers von Herzberg gipfelten, gab Göckingk im Dezember 1784 die Leitung des „Journal von und für Deutschland“ aus der Hand, und zwar an den Domkapitular und Hofkammerpräsidenten Freiherrn Sigismund von Bibra zu Fulda. „Meine Gesundheit nimmt zu sehr ab, meine Geisteskräfte mit ihr, und die Lust, an unserm Journale zu arbeiten, ist fast gänzlich erloschen. Es ist seit den letzten unangenehmen Vorfällen am besten, daß ich alle Teilnahme an ihm aufgebe.“ Noch im Januar 1785 kehrte die Kurländische Reisegesellschaft nach Wülferode zurück, um bei der Taufe von Göckingks Sohne Karl Zeuge zu sein. Dann unternahm man einen gemeinsamen Ausflug nach Weimar,, wo man natürlich auch Göthe aufsuchte. „Er hat“, schreibt Sophie Becker in ihr Tagebuch, „elwas entsetzlich steifes in seinem ganzen Betragen und spricht gar wenig. Es war mir immer, als ob ihn seine Größe verlegen mache. Indessen behaupten alle, die ihn näher kennen, daß er i» seinem Amte gewissenhaft und redlich ist, auch Arme heimlich unterstützt.“ Gleim von Halberstadt brachte nach Wülferode öfter einen Vetter Göckingks, den Halberstädter Referendar Schwarz, mit. Zwischen ihm und Sophie Becker entwickelte sich ein reger Seelenaustausch, so daß Sophie schließlich ihm vor Tiedge den Vorzug gab, der ihr gleichfalls ernstlich den Hof machte. Entsagend schreibt Letzterer an seinen Magdeburger Freund Mohr: „Ich höre, daß Sophie eine Versprochene ist, und das verdrießt mich, ich weiß nicht warum. Kann mir Deine Divinationsgabe dieses Warum vielleicht erklären, so laß es mich wissen, damit ich dahinter komme, was es mit meinem Verdrusse für eine Bewandtnis hat.“ Schwarz aber, gleichfalls Dichter, schwelgt in seinem Glücke: „Wirst du wohl mich jemals wieder drücken, Kleine, küssenswerthe Hand, Und zuin Kranz mir Wiesenblumen pflücken, Den ich für Sophiens Locken wand?“ Und Sophie antwortet, namens ihrer Hand: „Wenn im Lenz die Nachtigallen singen Lös' ich meine Hülle wieder ein, Wird Sophia selbst mich zu dir bringen, Und dann bin ich mit dem Mädchen dein! Kommt die langerharrte schöne Stunde, Schließt mich deine Rechte wieder ein, Fühlt mein Puls an deinem heißen Munde Ewig, ewig ist Sophia mein!“ In ähnlicher Weise kennzeichnen, neben Schwarz und Sophie Becker, auch Göckingk selbst, Bürger, Gleim, Elisa von der Recke und Tiedge in dichterischen Ergüssen jene herrlichen Wülferöder Tage. So flössen unter den mannigfachsten Genüssen des Geistes und des Herzens den Bewohnern Wülferodes auf Geniusflügeln die Tage dahin: Tage voll vom Sonnenscheine des herrlichsten Daseins. Dann begleiteten Göckingk und seine Familie die Kurländische Reisegesellschaft schließlich noch nach Karlsbad, um in Elisa's Gesellschaft dort den Sprudel zu trinken. Der Abschied Elisa's und der ihrer Reisebegleitcrin von den zahlreichen südharzischen Freunden und von der ganzen Gegend war ein recht wehmutsvoller. Dabei besuchte Sophie Becker auch den Ellricher Frauenbergskirchhof, dessen grüner Rasen die Gebeine der „deutschen Sappho“ deckt. „Man konnte mir nicht genau ihren Hügel zeigen. Mein Gefühl war wunderbar, auch nur in feiner Nähe.“ In Karlsbad fand Göckingk die großen Geister der deutschen Litteratur: Göthe, Herder, Knebel und andre. Sie begrüßten ihn mit der Anerkennung, die seinen vielfachen Verdiensten auf litterarischem Gebiete zukam und veranstalteten unter anderm eine wohlgelungene Feier seines Geburtstags. Um so niederdrückender war ihm alsdann naturgemäß wieder das ewige Einerlei des mechanischen Dienstes und die Einsamkeit des Lebens in dem stillen Ellrich und dem noch stilleren Wülferode. Einigen Trost suchte und fand er in dem Bemühen, in dem alten Schlosse seines Geburtsorts Gröningcn eine Erziehungsanstalt zu errichten. Doch erstickten verschiedenartige Widerwärtigkeiten dies Unternehmen schon im Keime. So ward es ihni, je länger je mehr, zum immer dringlicheren Wunsche: Fort von hier! Allein damals war ein schriftstellender Beamter den Vorgesetzten ein Greuel. Erklärte doch ein Minister jener Zeit ganz unverfroren, ein Mann, der Heringe einzusalzen verstehe, habe weit mehr Verdienst und sei nach seinen Begriffen ein weit größerer Mensch, als Voltaire und seinesgleichen. Sv ist es leicht erklärlich, daß Göckiagks Wünsche kein Gehör fanden. Endlich, er war eben dabei, eine ihm zugedachte Lehrstelle für Aesthetik und Geschichte an der Universität Wien anzunehmen, erhielt er seine Ernennung zum Rate bei der Kriegs- und Domänenkammer in Magdeburg. Doch noch immer blieb er an Ellrich und Wülferode gefesselt, denn die kargen Einkünfte der Magdeburger Stelle nötigten ihn, seine Familie vorerst noch dort zurück zu lassen. Erst seine zwei Jahre später erfolgte Ernennung zum Land- und Steuerrate zu Wernigerode führte die Familie wieder zusammen. Auf immer sagte man nun Ellrich und Wülferode Lebewohl. Auch Tiedge schied von hier im nämlichen Jahre; wie bekannt war er später mehr denn zwei Jahrzehnte hindurch und bis zu seinem Tode der Gesellschafter und unzertrennliche Freund Elisa's von der Recke. Sophie Becker aber heiratete im folgenden Jahre ihren Schwarz. Leider starb sie, und zwar an den Folgen ihrer ersten Entbindung, schon am 26. Oktober 1789 zu Halberstadt in den Armen ihrer Freundin Elisa, kurz zuvor ehe „Elisens und Sophiens Gedichte“ im Druck erschienen (Berlin 1790): den Schluß des Bändchens bilden „poetische Blumen, die der so früh Dahingeschiedenen von ihren Freunden Gleim, Klamer-Schmidt, der Karschin und andern auf's Grab gelegt wurden.“ Göckingk aber, einmal in einen seinen Geistesgaben entsprechenderen Wirkungskreis eingetreten, stieg bald von Stufe zu Stufe, ward für Wiederherstellung der Ordnung in den verwickelten Verhältnissen der Abtei Quedlinburg in den erblichen Adelsstand erhoben und hatte die glänzendste Beamtenlaufbahn hinter sich, als er sich 1806 nach Hcidau in Niederschlesien in das Privatleben zurückzog. Doch bald griff das Schicksal mit kalter Hand in des alternden Dichters Brust. Sein Sohn Karl blieb als westfälischer Offizier 1812 in Rußlands Eisgefilden; und 1814 schied auch seine Amalie aus diesem Leben. Nachdem er noch den Schmerz gehabt, seinen ältesten Sohn, den preußischen Major Friedrich von Göckingk im Sommer 1826 sterben zu sehen, entschlummerte endlich auch er als nahezu achtzigjähriger Greis im Hause seines Schwiegersohns zu Wartenberg in Schlesien am 18. Februar 1828: Dort kennzeichnet seine Ruhestätte ein einfaches Kreuz mit seinem unsterblichen Namen. „Bringe Rosen, froher Knabe, Und der Rebe frisches Grün! Denn es soll an Göckingks Grabe Keine Totcnblume bliihn. Keine düstre Wermuthsfichte Soll um seine Urne wehn, Und in keinem Klaggedichte Soll sein heitrer Name stehn I“ Das „neue Haus“ aber steht einsam, verfallen und von Arbeitern bewohnt: Der Wind streicht durch gebrochene Scheiben, und im Garten trauern die alten Bäume, die dereinst von Göckingk und Elisa von der Recke, von Gleim, Bürger und Tiedge gepflanzt worden sind. 2. C. A. Tiedge in Ellrich. 1781-1788. Christoph August Tiedge wurde als der älteste Sohn des Rektors Tiedge am 14. Dezember 1752 zu Gardelegen in der Altmark geboren und verlebte dort seine ersten Jugendjahre, bis sein Vater als Konrektor an das Gymnasium der Altstadt Magdeburg berufen wurde und mit seiner Familie dorthin übersiedelte. Leider hatte schon im Herbste 1769 diese das Unglück, ihren Ernährer zu verlieren, und die Witwe stand mit sechs unerzogenen Kindern allein; für den jungen Tiedge insbesondere brach eine schwere Zeit herein, da er genötigt war, seine Mutter und Geschwister in ihrem Lebensunterhalt zu unterstützen. Ein Jahr lang blieb er noch in Magdeburg, wo er das Gymnasium besucht hatte, und bezog 1770 die Universität Halle, um Rechtswissenschaft zu studieren, mit keiner andern Aussicht, als dem Anspruch auf ein Familienstipendium von jährlich 50 Thalern. Neben der Rechtswissenschaft betrieb Tiedge mit seinen Freunden eifrig Philosophie und beteiligte sich mit kleineren poetischen Arbeiten an dem damals von Göckingk, spater von Bürger redigierten Göttinger Musenalmanach. Die Studienjahre gingen indessen schnell vorüber und den jungen Rechtsgelehrten erwartete eine trübe Zeit. Er ging nach Magdeburg zurück und hatte nicht nur für seinen Unterhalt, sondern auch für den seiner Lieben zu sorgen. Sein Vormittag gehörte den unbelohnten Uebungsarbeite» in juristischen Geschäften bei einem Advokaten, seinen Nachmittag nahm der Unterricht in Anspruch, welchen er zur Deckung seiner Bedürfnisse in der lateinischen und französischen Sprache erteilte, und ein großer Teil der Nacht wurde bestellten Uebersetzungen, hauptsächlich aber der Ausarbeitung und dem Abschreiben prozessualischer Schriftsätze gewidmet. Unter solchen Anstrengungen hatte Tiedge drei Jahre verlebt, als sich ihm endlich eine ziemlich nahe Aussicht auf eine kleine Anstellung bei einem Justizamte eröffnete. Seine diesbezügliche Meldung blieb unberücksichtigt, und er gab cs auf, die juristische Laufbahn weiter zu verfolgen. Im Jahre 1781 übernahm er deshalb in der Familie des Kammerdirektors von Arnstedt zu Ellrich die Stelle eines Hauslehrers. In dieser Stadt war, wie schon erwähnt, im Jahre 1770 eine Kriegsund Domänenkammer-Depntation eingerichtet worden, die aus einem Direktor, mehreren Räten, Assessoren, Referendarien und einem Kanzleidirektor, sowie aus den nötigen Unterbeamten bestand. Ein Herr von Arnstedt war der Kammerdirektor der Deputation, und die Stellung des Kanzleidirektors hatte der bekannte Dichter Göckingk inne, welcher in dem „neuen Hause“, dem Überreste des zerstörten Dorfes Wülferode in der Nähe von Cleysingen wohnte. Das Haus des Kammerdirektors war in der kleinen Stadt naturgemäß das erste, nnd das gesamte gesellige Leben drehte sich um die Familie von Arnstedt: der Hausherr war ein ernster, gerechter, diensteifriger Beamter und seine Gattin nach Tiedge's Schilderung eine wahrhaft mütterliche Frau, eine edle, ehrenwerte, fromme Matrone von dem allerwürdigsten Anstande. Zu Zeiten gab der Kammerdirektor Gesellschaften, zu denen aber nur die Königlichen Räte und deren Frauen, soweit letztere von adliger Herkunft waren, die ersten Magistratspersvnen und ausnahmsweise Göckingk wegen seiner Bedeutung als Dichter zugezogen wurden. In diesen Kreis trat Tiedge — wie er selbst sagt — als „Beiwerk“ ein, und seine Aufgabe bestand darin, die beiden jüngsten Söhne des Kammerdirektors bis zu ihrer Konfirmation zu unterrichten. Die Umgebung der Stadt machte auf den für Naturschönheiten äußerst empfänglichen jungen Dichter einen tiefen Eindruck. „Der Ort ist“, so schreibt er an seinen Freund Johannes Mohr in Magdeburg, *) „mit reizenden, zum Teil wirklich erhabenen Naturbildungen von Bergen und Thälern umgeben. Es ist Mai! Der Frühling — wie ganz anders als bei Euch Flachländern dort, ist er hier. Wie ein junger Bräutigam mit feurigen Blicken trat er, von einem tausendstimmigen Sängerchore
des Waldes begrüßt, auf die geschmückte Festbühne der Welt “ Mit seinen Zöglingen, die als wackere, gutartige, freundliche Knaben bezeichnet werden, durchstreifte Tiedge diese Umgebung und fand überall Schönheiten, die er nicht vermutet hatte. An einen Besuch der Walkenrieder Klosterruinen im Juli 1782 knüpft er — ganz im Sinne seiner Zeit — philosophische Betrachtungen über den Unterschied der Empfindungen beim Beschauen moderner, vollendeter Bauten und der Überreste zerstörter Schöpfungen. In umständlicher Ausführung sucht er seinen Freund zu überzeugen, daß uns der Anblick von Ruinen mit den Schauern der Erhabenheit erfülle, während fertige Bauten einen Genuß der Schönheit gewähren. Ebenfalls den Anschauungen der damaligen Dichter, besonders des später näher zu erwähnenden Gleim'schen Kreises, entsprach es, die Schönheiten der Natur mit der griechischen und römischen Sage und Geschichte in Verbindung zn bringen und einzelne Örtlichkeiten mit Namen aus diesen Gebieten zu belegen. So nannte Tiedge seine Lieblingsstelle in der Nähe von Ellrich seinen kleinen „Avernussee“ nach einer Beschreibung dieses Sees bei Virgil. Es ist ein enges, tiefes Thal oder vielmehr eine Bergschlucht, in deren Mitte sich ein kleiner See des klarsten Wassers ausbreitet. Die Felsenwände umher sind mit schöner, kräftiger Eichen- und Buchenwaldung, auch einzelnen Tannen gekrönt; von oben nicken die schwebenden Kränze der Zweige herein und spiegeln sich in dem schwarzdunkel schimmernden See. Doch dem begeisterten Dichter genügt diese prosaische Schilderung seiner Lieblingsstelle nicht: sie verdient besungen zu werden, und das folgende Gedicht mag zugleich als Probe seiner dichterischen Begabung Platz finden: An öie Hlnlur. Hier an Hercyniens gesunden Zufriednen Höhen lebt Dein Freund mit der Natur, Hier irr' ich nun zu ganzen Stunden Durch Flur und Wald und Wald und Flur. Vor allem weil' ich gern in meinem kleinen Thale, , Versteckt in einem Buchenhain. Dies Thal — o laß, daß ichs Dir male — Drängt sich in eine Felsenschlucht hinein, Und oben auf den Felsenhäuptern neigen Die alten Buchen sich, als wollten allzumal Sie in dies wunderschöne Thal Mit ihren Kronen niedersteigen: Dies Thal, das, wenn es oben stürmt, Ihr Stolz von tausend Armen schirmt. Und welche Stille! Da saust das Gekreische Der lauten Welt nicht um mein Ohr: Nur leise wallt, mit lieblichem Geräusche Ein Bach aus einer Felsengrott' hervor. Noch tiefer blinkt ein See, um den aus dunklen Hainen Ein Chor Hamadryaden schleicht, Und der — versteht sich nur im Kleinen — Dem grausigen Avernus gleicht. O Freund, wie mich der Anblick rührte, Als mich zum ersten Mal Das Ohngefähr zu diesem Thal Und seinen süßen Wundern führte! Ein nie gefühlter Schauder fuhr So wunderbar durch meine Glieder Wie ein erhab'ner Schrecken nieder. Da rief ich: O Natur, Natur! Wer Deine Freuden kennt, der braucht den großen Haufen Der Glanzgestalten nicht für seine Ruh' Die falschen Freuden abzukaufen: Schön, über Alles schön bist Du! Wohl dem, der von der Welt geschieden Sich treu zu Dir und Deiner Stille hält; Denn sucht er Ruhe — Ruh' und Frieden — Sucht er vergebens in der Welt. Er läßt den reichen Schwelger prahlen, Der da in seinem Himmel lebt, Wo er sich hinter Austerschalen Bis an das fette Kinn begräbt Und in der schwelgerischen Halle Mit Aberwitz die Stunden würzt, Die er auf einem Rheinweinfalle Hinunter in den Magen stürzt. Man hat diesen kleinen „Avernussee“ des Dichters wahrscheinlich im Himmelreich bei Ellrich zu suchen, und zwar wird Tiedge mit dem See den jetzigen Bontel gemeint und besonders die Bergschlucht im Auge gehabt haben, wo jetzt der Eisenbahntunnel das Gebirge durchbricht. Diese Gegend hat allerdings etwas „Schauerliches“, trotzdem die gerühmte Stille erheblich durch die Bahn gestört ist. Eine gleiche Anziehungskraft wie diese düstere Waldpartie im Himmelreich bildete für den Dichter die Kelle oder, wie er sie umtaufte, die Neptunsgrotte, bekannt geworden besonders durch die Göckingk'sche Romanze. Tiedge besuchte die Höhle zum erstenmale im Juni 1782 und beschreibt sie seinem Freunde Mohr: „Diese Grotte ist eine tiefe weite Höhle in dem mit Eichen und Buchen bewaldeten Kalkgebirge, der Kohnstein genannt. Göckingk, der in der Nähe ein Landhaus bewohnte, hat einen ziemlich bequemen Stufengang aushauen lassen, der zu der frischen, klaren Quelle führt, die init ihrer stillen Wasserfläche die ganze Höhle ausfüllt. Aber in der hohen Wölbung ist eine Öffnung, durch welche der Tag fällt und wie ein geistiges Mondbild auf der unbewegten Wasserfläche schwimmt. Tief unten in der Höhle nichts als Wasser und Nacht. Man fühlt sich, wie von der Unterwelt Nähe, so schauerlich kalt umweht, daß man umhersuchen möchte nach der stygischen Uferstelle, wo der Kahn anlegt, in welchem der alte Fährmann die Seelen der Verstorbenen zu der Schattenwelt führt“ ,Das ganze Kohnstein- gebirge“, heißt es dann weiter, „stellt übrigens so wunderbar romantische Formen dar, daß es wohl zu dem bekannten alten Roman: „Die Insel Felsenburg“ begeistern konnte, dessen Verfasser ein Buchdruckergehülfe in der freien Reichsstadt Nordhausen gewesen sein soll.“ Göckingk hatte von dem Domdechanten von Spiegel in Halberstadt das Landgut Wülferode bei Werna, das „neue Haus“ gepachtet und versah seinen Dienst als Kanzleidirektor von hier aus, während er im übrigen mit der Gesellschaft in Ellrich wenig Verkehr hatte. So kam es auch, daß Tiedge den von ihm verehrten Göckingk nicht sogleich kennen lernte, sondern ihn nur öfter auf Spaziergängen von weitem sah; „er ist,“ so schreibt Tiedge, „eine lange Gestalt und geht einen raschen Gang. Stark vorwärts geneigt trägt er den Kopf, als ob dieser immer strebte den Füßen vorauszueilen. Deutet dies wohl nicht ein wenig die Ungeduld des ausgezeichneten Mannes an, die, verfolgt von dem kleinlichen Lebensverkehr, nicht anders als in fliehender Stellung erscheinen kann?“ Man riet Tiedge ab, Göckingk zu besuchen, und letzterer selbst fand sich veranlaßt, die Annäherung des jungen Musenfrcundes fürs erste zwar nicht verletzend, aber bestimmt abzulehnen. Diese anfängliche Zurückhaltung seitens Göckingk hielt indessen den schwärmerischen Hauslehrer nicht ab, in Göckingk einen der ersten Dichter seiner Zeit zu verehren und er beklagte es sehr, daß sein Ruf, der „so weit in Deutschland umhcrklingt,“ in Ellrich so wenig Wiederklang fände. Um sich trotz der ablehnenden Haltung Göckingks, die wohl in dem kühlen Verhältnis dieses zum Kammerdirektor ihren Grund haben mochte, dem Dichter ohne ausdringlich zu erscheinen zu nähern, schickte Tiedge das oben mitgeteile Gedicht an Göckingk mit der Bitte, es dem deutschen Museum zum Abdruck zu übergeben. Der gute Kanzleidirektor entsprach jedenfalls der Bitte, und das Gedicht erregte die Aufmerksamkeit des alten Dichters und Dichterfreundes Gleim in Halberstadt. Dieser schrieb anfangs 1784 an Tiedge: „Ich habe von Ihnen, lieber Tiedge, ein Gedicht im deutschen Museum gelesen, welches Hoffnungen erweckt. Die Natur scheint die Muse zu sein, welche Sie begeistert, und so könnten Sie vielleicht unseren Kleist fortsetzen. Unsere guten alten Dichter sind tot oder verstummt; es ist gut, daß junge Talente an ihre Stelle treten.“ In dem bekannten Gleimschen Kreise, dem vor allen Göckingk selbst, Eberhard, Klamer Schmidt, der Domdechant von Spiegel u. a. angehörtcn, führte man ein poetisches Leben. Gleim schmückte ein Zimmer seines Hauses mit den Bildnissen seiner Freunde und trieb den Freundschaftskultus, der sich besonders in einem äußerst umfangreichen und regen Briefwechsel zeigte, auf das äußerste; man gründete eine Büchscngesellschaft, indem unter den Mitgliedern, zu denen auch Damen gehörten, eine Büchse herumging, in die jedes Mitglied seinen poetischen Beitrag hineinthat: Sonnabends verlas sodann Vater Gleim die poetischen Büchsenschätze, und der beste Beitrag wurde gekrönt. Daß Tiedge aufs höchste erfreut war, in diesen poetisch gesinnten Freundeskreis ausgenommen zu werden, versteht sich bei seiner empfindsamen Natur von selbst. Gleim und Tiedge begannen einen regen Briefwechsel, und gar zu gern wäre der junge Dichter zum alten Gleim nach Halberstadt übergesiedelt, wenn er nicht vertragsmäßig an seine Hauslehrerstelle bis zum Jahre 1788 gebunden gewesen wäre. Inzwischen, und sicher nicht ohne Gleims Vermittlung, hatte sich auch das Verhältnis Göckingks zu Tiedge freundschaftlicher gestaltet, und letzterer verkehrte viel im Göckingk'schen Hause. Doch der stets freundliche Göckingk war es nicht allein, der den jüngeren Freund nach Wülferode zog; eine ebenso große Anziehungskraft übte auf ihn Göckingks zweite Frau Amalie, die Schwester seiner 1781 verstorbenen Ferdinande, (Nantchen genannt in seinen Gedichten) und der zeitweilige Besuch von Elise von der Recke und deren Freundin Sophie Becker bei Göckingk. Elise oder eigentlich Charlotte von der Recke war die Tochter des Rittergutsbesitzers Grafen von Medem und mit dem preußischen Kammer- Herrn Magnus von der Recke auf Neuenburg unglücklich verheiratet. Die Ehe wurde 1777 getrennt. Elise kehrte mit ihrem einzigen Töchterchen in das Elternhaus zurück, und mehrfaches Unglück steigerte ihren angeborenen Hang für das Mystische so, daß sic sich eine Zeitlang von dem bekannten Abenteurer Cagliostro täuschen ließ. Sie bekannte später ihren Irrtum, schrieb darüber 1779 sogar ein besonderes Buch und ging, um sich von einer schweren Krankheit zu erholen, mit ihrer Freundin Sophie Becker 1784 nach Karlsbad. Letztere hat-über diese und die sich daran anschließenden Reisen ein Tagebuch geführt, das manches Wertvolle auch über Tiedgc und Göckingk enthält. Elise von der Recke war nicht nur in der deutschen Littcratur sehr bekannt, sondern hat auch selbst schriftstellerisch gewirkt, insbesondere Gedichte und geistliche Lieder geschrieben. Selbstverständlich stand sie mit den hervorragenden Männern der Zeit im Briefwechsel und zu diesen gehörte auch Göckingk. Sie trat im Juli 1784 ihre Reise in Gesellschaft des Arztes Hofrat Lieb, ihrer Freundin Sophie und einer zweiten Gesellschafterin Julie Reinhardt an und besuchte auf der Rückreise im November 1784 zum erstenmale Göckingk in Wülferode, welcher ihr bis Nordhausen entgegengckommcn war. Tiedge schrieb über den Besuch an Gleim: „Daß wir die herrliche Elise von der Recke, deren schöne Seele Sie aus dem Museum werden kennen gelernt haben, hier bei uns gehabt haben, hat Ihnen Göckingk geschrieben; ich freute mich, sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Die Kurländische Reisegesellschaft blieb den Winter über in Deutschland und hielt sich zumeist in Wülferode, abwechselnd aber auch in Weimar, Gotha und anderen Orten auf. Im Göckingk'schen Hause entfaltete sich ein sehr geselliges Leben, und der Hausherr sah sich genötigt, zu Ehren der Gäste Festlichkeiten zu geben“. Unter dein 18. November schreibt Sophie Becker in ihr Tagebuch: „Vorgestern gab Göckingk dem benachbarten Adel einen Ball, der recht froh und schön anfing und beschloß. Ich habe lange nicht so viel getanzt. Auch hier sah ich unseren Freund — Göckingk — von der besten Seite. Er tanzte selbst am meisten, zog immer die Vergessenen zum Tanze und hatte ganz die Miene eines frohen Mannes. Dennoch ist's in seiner Seele nicht so hell …“ Unter dem Bekanntenkreise Göckingks ist zuerst der Hauptmann von Wurmb zu Wolkramshausen zu nennen, ein Bruder von Schillers Schwiegermutter, Frau von Lengefeld; er war der einzige intimere Freund, während die übrigen Bekannten der Umgegend nur sehr formell iu der Göckingkschen Familie verkehrten: „Der Geheime Rat von Arnstedt mit seinen drei Fräulein Töchtern, Herr von Bode mit seiner Frau, und noch eine Lieutenants- Witwe gingen nur par conveimnLs mit Göckingk um“ sagt Sophie Becker. „Der alte Geheime Rat ist ein geiziger und zugleich wollüstiger Witwer, der das Kartenspiel liebt und oft in seiner mürrischen Laune eine Freude stört. Elise sprach viel mit ihm, bequemte sich zum Kartenspiele, zog ihn nachher auch zum Tanze auf und erhielt den alten Murrkopf zu Göckingks großer Freude den ganzen Tag heiter und froh.“ Zu dem Kreise gehörte endlich noch ein Herr von Hagen zu Stöckey, der Vater der Dichterin Christiane von Hagen, die durch Veranstaltung von Rosenfesten in Stöckey eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, und neben dem bekannten Inspektor Schmaling wird noch eine Frau Oberst Brettin aus Ellrich als dazu gehörig genannt. Durch Göckingk wurde die Reisegesellschaft in dem Halberstädter Freundeskreise, vor allem beim Vater Gleim eingeführt, indem sie am 17. Januar 1785 von Ellrich aus mit Schlitten über den Harz nach Halberstadt fuhr und viele der dortigen Göckingkschen Freunde kennen lernte. Gleim machte im März in Wülferode einen Gegenbesuch, und der längere Aufenthalt desselben gab auch Tiedge Gelegenheit, in der Familie fast täglich zu verkehren. Er bekam Einladungen zum Mittagessen und fand reichliche Gelegenheit, sich mit seinem väterlichen Freunde Gleim zu unterhalten, der ihn gern nach Halberstadt mitgenommen hätte und nach acht Tagen wieder abreiste. „Er ist“, so schreibt Sophie Becker über Gleim, „ein großer Verehrer des Preußischen Hauses und spricht gern von den Kriegen, die Friedrich geführt hat. Eine seiner guten Eigenschaften ist, daß er gar keinen Gelehrtenneid und Stolz besitzt und allen Talenten die bereitwilligste Gerechtigkeit widerfahren läßt.“ Der Reisebegleiter Gleims war der Referendarius Schwarz aus Halberstadt, „ein guter lebhafter Kopf und recht feiner Dichter.“ Derselbe faßte in Wülferode eine große Neigung für Sophie Becker und heiratete sie später. Er starb als Gerichtsdirektor in Halle 1830. Im Mai 1785 verließ die Reisegesellschaft, nachdem sie vorher nochmals in Halberstadt gewesen, das gastliche Wülferode für immer, um wieder nach Karlsbad zu fahren. Göckingk begleitete sie über Nordhausen, Eisleben, Merseburg nach Leipzig, wo man gemeinsam in das Theater ging, und weiterhin bis Dresden. Im „neuen Hause“ trat nun die alltägliche, gewohnte Stille wieder ein und Göckingk, der übrigens in Ellrich selbst auch eine Wohnung hatte, sehnte sich nach einem anderen Wirkungskreise; im folgenden Jahre 1786 wurde ihm dieser Wunsch erfüllt, und er erhielt eine Ratsstelle bei der Kriegs- und Domänenkammer zu Magdeburg. Nunmehr hatte auch für Tiedge der Ellricher Aufenthalt jeden Reiz verloren, und nur zu sehr klagte er in seinen Briefen an Gleim, daß er „von der Galeere“ nicht loskommen könne. Seine Stellung wurde ihm von Tag zu Tag unbehaglicher, besonders da der Kammerdirektor, wie schon die Becker berichtete, in seinem Schmerze um den Verlust seiner Gattin, sein finsteres, ernstes Wesen gegen seine Umgebung richtete und keine heiteren Gesichter um sich sehen konnte. Erst nach geraumer Zeit gelang es dem Dichter, das Herz des Direktors umzustimmen, so daß er sich wieder seinen Kindern widmete. Endlich im Frühjahr 1788 konnte Tiedge an seinen Freund Mohr schreiben: „Mein Aufenthalt naht sich seinem Ende. In Hellen prophetischen Träumen schwebt mir schon das neue Leben in Halberstadt vor unter den herrlichen Menschen, die so hoch stehen im Reiche der Geister. Ich habe noch einmal alle meine Lieblingsstellen der hiesigen Gegend besucht: meinen kleinen Avernussee in der schauerlichen Bergschlucht, die merkwürdige Wasserhöhle, endlich die große Laube in dem Garten des Göckingkschen Landhauses; in diesem Garten aber besonders die Stellen, welche die hohe Elise und die liebenswürdige Sophie geheiligt und mit ganz jungen Eichen bepflanzt haben.“ Tiedge ging bald darauf nach Halberstadt, wurde dann später 1792 Gesellschafter beim Domherrn von Stedern, 1799 siedelte er nach Berlin über, reiste 1804—1806 mit Frau von der Recke durch Deutschland, die Schweiz und Italien und lebte dann zuerst in Berlin und von 1819 an in Dresden, wo er am 8. März 1841 starb. Tiedge war Erzieher und Gesellschafter geblieben, und sein Lebensabend hätte sich zweifellos weniger sorgenfrei gestaltet, wenn er nicht in Elise von der Recke eine Beschützerin und Freundin gefunden hätte. Als Dichter findet Tiedge noch ein bescheidenes Plätzchen in der Litteratur- geschichte, weniger seiner Gedichte als seines Hauptwerkes der „Urania“ wegen. Man liest sie schon lange nicht mehr, und doch war sie in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts als offizielle Lektüre ein wertgehaltenes Buch des deutschen Unterrichts auf den Gymnasien. Der Dichter besingt in der Urania Gott, die Unsterblichkeit, die Wahrheit, die Tugend und die Freiheit. Im übrigen ist ihm großes nicht gelungen, und von seinen Dichtungen erhalten sich nur zwei kleine Lieder, auf die Tiedge selbst gewiß nur wenig Wert gelegt hat, erstlich das Lied: „An Alexis send' ich Dich“, dann aber ein Lied, welches so volkstümlich geworden, daß man im Volke den Namen des Dichters nicht mehr kennt, ein Lied, das auch in Polen vielfach gesungen wird, das Lied „Der Kosak und sein Mädchen“ mit den Anfangszeilen: „Schöne Minka ich muß scheiden! Ach Du fühlest nicht die Leiden, Fern auf freudelosen Haiden Fern zu sein von Dir; Finster wird der Tag mir scheinen, Einsam werd' ich gehn und weinen Auf den Bergen, in den Hainen Ruf ich Minka Dir.“ 16. Mshlfahrtseinrichtiingen in Ellrich. Die Mehlersche Stiftung. 1. Leben Johann Martin Mchlers nach dem im sogenannten blauen Buche des Pfarrarchivcs enthaltenen Abriß desselben von Primarius Schmaling. „Es stammte derselbe aus einer guten Familie, zu welcher auch Prediger in der Grafschaft gehörten. Sein Vater hieß auch Johann Martin und war Bürger, Sattler und zugleich Viermann in Ellrich, seine Mutter hieß Maria Margarethe geb. Küfnern. 1715 den 1. Januar erblickte er hier das Licht der Welt. Schon während seiner Schuljahre starb ihm sein Vater, und nach Endigung derselben ward er von seiner Mutter bey dem Sattlermeistcr Spoeteln allhier in die Lehre gegeben. Drei Jahre stand er darin und reifete darauf elf Jahre lang auf seine Profession in die Fremde, an Orte, wo er viel lernen konnte und auch viel lernte. Darauf kehrte er in seine Vaterstadt zurück und heirathete 1743 Jungfer Annen Magdalenen, Meister Joh. Andr. Schroeters, Bürgers und Schuhmachers allhier mittelste Tochter, mit der er den 17. Nov. copulirt ward, 15 Jahr in der Ehe lebte und zwei Söhne und zwei Töchter erzeugte. 1759 den 3l. Oktober ließ er sich mit Jungfer Even Rosinen Dorotheen, Mstr. Joh. Zacharias Feists, Bürgers und Weißbäckers allhier, jüngsten Tochter copuliren, die ihm vier Söhne und vier Töchter gebar. Seine sämmt- lichen Kinder starben vor ihm hin, und auch sein ältester Sohn ohne Nachkommenschaft, ob er sich schon vcrheirathet hatte. Er selbst hielt sich durch Thätigkeit und Mäßigkeit bei guten Kräften bis ins Jahr 1790, worin er zu verwelken anfing, um Martini das Bett hüten mußte und auf demselben an der Auszehrung am 1. Weihnachtstage, 25. December 1790 Todes verblich; seines Alters 76 Jahr weniger 6 Tage. Er ward in der Frauenbergskirche gleich vorn am Eingänge und Chor begraben. Es war derselbe ein Mann von nicht geringem Verstände und vieler Erfahrung. Bei Gottes Segen, dessen er sich bey sehr fleißigen mit vieler Achtsamkeit angestellten Uebungen des öffentlichen und des häuslichen Gottesdienstes würdig zu machen suchte, erwarb er sich, da seine erste Anlage nur in 40 Rthlr. bestand, durch seinen Fleiß und genaue Sparsamkeit das große Vermögen, wozu ihm auch seine beiden Frauen gut einschlugen. Er verließ dasselbe mit vieler Gelassenheit am Ende, und weil die nahen Verwandten, die er zu manchen Zeiten zu sich nahm, nicht nach seinem Sinne waren, und er gern sein gesammeltes Vermögen immer beysammen gelassen wissen wollte, stiftete er das Armen-Jnstitut.“ 2. Das Testament Mchlers. Im Brandjahre 1860 kam das Originaltestament abhanden, wurde aber im Oktober 1866 bei dem Amtsantritte des Bürgermeisters Kohlmann wohlbehalten im Depositenschranke des Magistrats vorgefunden. Es lautet: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Nachdem ich in meinem hohen Alter bei gutem Verstände erwogen habe, daß das Ende meiner Lebenstage wegen meines hohen Alters herannahet, so will ich noch bei völligen Gemütskräften und Verstände festsetzen: wie es mit meinem unter Gottes Beistände und Segen zwar mit Mühe, jedoch aber auf eine rechtmäßige und redliche Art erworbenen Vermögen gehalten werden solle. Nämlich: 1. Befehle ich meine durch Christi Blut theuer erlösete Seele in die Hände meines Erlösers Jesu Christi, mein entseelter Leichnam aber soll von meiner überlebenden Ehefrau, jedoch nach alten Gebrauch, zur Erde bestattet werden. 2. Mein zeitliches Vermögen anbelangend, so setze ich meine liebe Ehefrau Johannen Rosinen, geb. Feisten zu meiner Universal-Erbin meines sämmtlichen Vermögens, cs habe Namen, wie es wolle, beweglich und unbeweglichen Mobilien, moveutieu, baarem Gelbe und Briefschaften, dergestalt ein, daß sie daran Lebenslang den Nießbrauch oder usum t'ruotum haben soll: jedoch ist mein Anziehe-Zeug davon ausgeschlossen, als welches der Sohn meines verstorbenen Bruders, Johann, Engelhardt Mehler, mit Namen Heinrich Mehler in Elbingerode, jedoch ohne eine eidliche Lpsoitiontioir von meiner lieben Ehefrau zu verlangen haben und erhalten soll. Da aber meine Ehefrau nur in Absicht des Nießbrauches, damit sie ordentlich davon leben kann, zur Erbin in mein Vermögen eingesetzt ist, so soll und darf sie auch von der Substanz des Vermögens nichts veräußern, auch von dem Ueberschuß des usus kruetus nichts verschenken, sondern es soll der Ueberschuß durch sie, ohne davon Rechnung abzulegen und ohne daß sich darum wer bekümmern darf, alljährlich mit Zuziehung des unten bestimmten Predigers, unter zwanzig Arme, Wittwen und Waisen, vertheilet werden, meine Frau mag bey ihrem Leben wählen, welche sie will. Ich entbinde auch meine liebe Ehefrau von jedem Eyde, der von ihr auf irgend eine Art gefordert werden könnte Auch soll kein Invsubarium von meinem Nachlasse entworfen werden, und soll sie in Ruhe das, was ich ihr vermache, genießen. Sollte aber meine Ehefrau auf den Einfall kommen, sich wiederum zu verheyrathen, so wird dieselbe von meiner Verlassenschast ausgeschlossen, und soll es auf diesem Falle bey der mit ihr errichteten Ehestiftung lediglich sein Bewenden haben, mein Vermögen aber, außer den festgesetzten lernten denen Armen zu Ellrich vermacht seyn, doch sollen diese Arme, Alte, schwache und hülfsbedürftige Einwohner oder Bürger aus Ellrich und arme Wittwen und Waisen armer Bürger seyn. 3. Die nach der Ehestiftung vom 9. Oktober 1759 meiner lieben Ehefrau ausgesetzten 2 Acker Grummet-Wiesen sollen auch meiner Verlassenschast wieder Zuwachsen, indem meine Ehefrau durch den ihr ausgesetzten Nießbrauch von meinem Vermögen weit besser bedacht ist. Dagegen soll aber ihr eigenthümliches Vermögen, welches nach der Ehestistung in 100 Rthlr. baarem Gelde, einem Acker Wiesen bey dem neuen Hause an Herrn Denecken belegen und 70 Rthlr. zur Ausstattung vor die angeschafften Kleider bestehet, zu ihrer freyen Disposition, als ihr völliges Eigenthum auch nach meinem Tode überlassen bleiben. 4. Will und verordne ich, daß meine liebe Ehefrau als Universal-Erbin an die Vier Kinder meines verstorbenen Bruders, Johann Engelhardt Mehler, welche noch bey ihrer Mutter, Maria Christine verwittwete Mehlerin zu Elbingerode sind, nämlich an Johann Heinrich, Maria Elisabeth, Johann Georg, und Johann Ernst, von meinen Capitalien fünfhundert Rthlr. Courant in einer »«zertrennten Summe binnen Jahresfrist, von meinem Ableben angerechnet, auszahle. Doch sollen diese meine 4 Bruders Kinder davon keine Interessen von meiner Frau fordern können. Diese 500 Rhtlr. sollen folgendermaßen vertheilet werde»; es soll davon der älteste Johann Heinrich, zweyhundert Thaler haben, die übrigen MO Rthlr. aber sollen unter die dreh übrigen Geschwister in gleiche Theile vertheilet werden. 5. Setze ich feste und will, daß meiner verstorbenen Schwester, Anna Sophie Mehlern verehel. Thormannin, Tochter, Henriette Thormannin, welche sich jetzt im Stifte St. Laurentii zu Halberstadt aufhält, jährlich so lange sie lebt, dreißig Rthlr. in gutem Courant, ohne alle Kosten, von den Interessen meines Vermögens geschickt werden sollen; und soll dieses Geld meine Ehefrau, so lange sie lebt, ihr zustellen, nach ihrem Tode aber soll dasselbe von dem aäministratore meines Vermögens ihr zugeschickt werden. 6. Soll meine liebe Ehefrau als Universal-Erbin, an meine beiden Vettern, Andreas Bischof zu Osterode fünf und Siebenzig Rthlr. und an Lieborius Bischof allhier in Ellrich auch fünf und Siebenzig Rthlr. nach Jahresfrist von meinem Ableben angerechnet, doch ohne daß sie Interessen fordern dürfen, auszahlen und geben. 7. Sollte es nun dem Höchsten gefallen, auch nieine liebe Ehefrau nach mir, aus dieser Zeitlichkeit abzufordern; so will und verordne ich, daß mein sämmtliches Vermögen ein ewiges und immerwährendes Institut für Arme seyn und bleiben soll: denn es sollen jährlich die Interessen von meinen Capitalien und das Einkommen oder Pachte von meinen Ländereyen unter die Armen, wie 8 9 festgesetzet werden soll, ausgetheilct und bezahlet werden. Hierbey setze ich nun feste, daß mein Gasthof und sämmtliche Ländereyen, welche in l'/,, Hufe bestehen, nie sollen und dürfen verkaufet werden, sondern dieser Gasthof soll auf immer ein Mehlerscher Gasthos verbleiben. Es sollen nach dem Tode meiner lieben Ehefrau diese sämmtlichen Grundstücke, nebst dem Gasthofe um eine billige Pacht an einen guten und ehrlichen Mann, der hinlängliche Caution stellen kann, von dem aävainistratori verpachtet werden, weil ein Wirth in Ellrich, ohne Länderey zu haben, nicht bestehen kann. Auch sollen nach meiner lieben Frauen Tode meine sämmtlichen mobilisn, movontian und hinterlassenes Vieh von Einem Hochedlen Magistrate an den Meistbietenden, mit Zuziehung des Administratoris meines Nachlasses verkaufet werden und sollen diese Gelder zu Capitalien geschlagen werden und die Interessen sollen, wie ich verordnet, an die Armen vertheilet werden. 8. Ich will, daß mein Brau-Hauß in der Kirch-Gasse von meiner Frau eigenmächtig so bald als möglich, oder nach ihrem Tode, falls cs noch nicht verkaufet, von Einem Hochedlen Magistrate alhier mit Zuziehung des Administratoris meines Nachlasses an den Meistbietenden soll verkauft werden, und sollen die davon einkommenden Gelder auf Interessen ausgethan und nach meiner Frauen Ableben, wie ich verordnet habe, davon die Interessen den Armen gegeben werden. 9. Ferner will ich, daß alle Einkünfte von meinem Gasthofe und Ländereyen, wie auch alle Interessen von meinen hinterlassenen Capitalien, außer den 30 Rthlr., die meine Schwester-Tochter lebenslang genießen soll, nach meiner lieben Frauen Tode, an Zwantzig Arme und hülflose Wittwen und Waisen, auch an arme Männer, die sich nicht mehr helfen und ihren Unterhalt sich nicht verschaffen können, sollen vertheilet werden; doch sollen diese, wie schon gesagt, Ellrichsche Bürger und hier erzogene Einwohner oder deren hinterlassene Wittwen und Waisen seyn, damit nicht diese Wohl- that fremde Leute, die dürftig und der Stadt zur Last sind, heran locken möge. Die Auswahl dieser 20 Personen soll lediglich dem ackministrarori meines Nachlasses überlassen werden, dock soll er allemahl jährlich dem Magistrat allhier schriftlich vor der Austheilung des Geldes diese 20 Personen, die das Geld empfangen sollen, anzeigen und melden, damit Ein Hochedler Rath sehen möge, ob dieselben der Wohlthat auch würdig sind. Auch setze ich feste, daß nach meiner Frauen Tode diese Interessen am Martini-Tage alljährlich von dem ackminisbrators in dessen Hause mit Zuziehung einer Magistrats-Person sollen vertheilet werden. Dieses mein Armen-Jnstitut, das ich zu Gottes Ehre und zum Besten unserer Stadt verordne, soll ein ewiges Institut seyn, wer cs ändert, oder die Capitalien sich zueiguen und die Interessen, die blos für Arme bestimmt sind, an sich zu ziehen sucht, sey verflucht. Niemand, als bis es Gott ändert, mag es ändern. 10. Setze und verordne ich, daß der Herr Pastor Thilo, so lange als er lebt, der Administrator des Nachlasses meines Vermögens seyn soll und soll selbiger bei Lebzeiten meiner Frau das, was von den Interessen übrig bleibt, mit ihr unter die Armen, wie oben sestgesetzet, vertheilen, nach meiner Frauen Ableben aber soll selbiger das sämmtliche Einkommen von meinem Vermögen einnehmen, unter die Armen mit Zuziehung einer Magistrats-Person gewissenhaft und redlich austheilen, doch soll derselbe keine Caution machen, dahingegen aber jährlich Rechnung an Einen Hochedlen Magistrat alhier oblegen; für seine Mühe aber und in Betracht seines schlechten Dienstes jährlich 40 Rthlr. von den einkommenden Interessen erhalten. So will ich auch, daß nach dem Tode des Herrn Pastor Thilo der jedesmalige Diaconus, weil er eine sehr schlechte Einnahme hat, der Administrator meines Nachlasses sey und soll er vor seine Mühe und zur Vermehrung seines Gehaltes 40 Rthlr., als ein pars oalarii haben, und sollen diese Gelder von den einkommenden Einkünften genommen werden. Dafür soll er verpflichtet seyn, die einkommenden Einkünfte einzunehmen und sie an die Armen mit Zuziehung einer Magistrats-Person zu vertheilen: er soll Rechnung davon ablegen und soll auch, damit das für die Armen bestimmte Vermögen gesichert sey, hinlängliche Caution machen. Sollte aber einer von den Predigern, die ich zu Administratoren meines Nachlasses verordne, nicht redlich zu Werke gehen, oder keine Caution machen können und wollen; so ersuche Einen Hochedlen Magistrat alhier, einen andern redlichen Mann dazu zu erwählen, der hinlängliche Caution setzet. Doch soll und darf dieses seinen Nachfolgern nicht zum xraejuäis und Nachtheil gereichen, und soll sobald ein anderer Diaconus gesetzet wird, ihm die Lasse übergeben werden, damit die Sache bey meiner Verordnung bleibe und er die Lmolumsuts davon erhalte. 11. Damit nun keiner meiner Verwandten oder Erben sich unterstehet, diesem meinem wohlüberlegten letzten Willen entgegen zu handeln oder solchen gar anzufechten und Streitigkeiten zu erregen, so verordne ich hierdurch ausdrücklich, daß derjenige, welcher diesen meinen letzten Willen nicht respectiren sondern entgegenhandeln und Streitigkeiten darüber erregen wird, seines Vermächtnisses gänzlich verlustig und völlig enterbet seyn, dessen Antheil aber der hiesigen St. Johannis-Kirche anheim fallen soll. Dieses ist mein wohlüberlegter letzter Wille, und daferne solcher nicht als ein zierliches Testament angesehen werden sollte; so soll solcher dennoch als ein Oockicüll dicket eoininiss: oder als jede andere zu Recht beständige letzte Willens-Meynung oder Schenkung auf den Todesfall angesehen werden und ersuche Einen HochEdlen Magistrat der hiesigen Stadt Ellrich diesen von mir ohne Ueberredung gefertigten und verschlossenen im Gericht übergebenen letztem Willen verwahrlich aufzubehalten, solchen nach meinem Ableben zu publiciren und Obrigkeitlich darüber zu halten. Urkundlich habe ich diese meine testamentarische Disposition bedächtig überlegt, genau durchlesen, an allen Seiten unterschrieben und mit meinem Petschaft besiegelt. So geschehen Ellrich, den 8ten October 1790. Johann Martin Mehler. (O. 8.) Noch setze ich feste, daß ein HochEdler Rath unserer Stadt vor seine Mühe und vor Abnahme der Rechnung jährlich fünf Rthlr. haben und erhalten soll, und soll dieser Nachtrag eben so gültig seyn, als wenn selbiger in meiner Disposition enthalten wäre. Ellrich, den 8ten October 1790. (O. 8.) Johann Martin Mehler. 3. Vermögen des Mehler'schen Instituts. Der Gesamtwert des hinterlassenen Vermögens ohne die Mobilien, Vieh rc. betrug ungefähr 7000 Thlr. An unbeweglichen Gütern waren außer einem Gasthause und einem gleich nach Mehlers Tode für 450 Thlr. verkauften Hause 44^ Acker Land vorhanden. Unter der westfälischen Regierung erlitt das Mehlersche Institut einige Einbuße, indem es z. B. zu der gezwungenen westfälischen Anleihe dreimal 400 Francs zahlen und auch sonst westfälische Obligationen als Wertpapiere annehmen mußte, die nicht zurückgezahlt wurden. Noch jetzt befinden sich im Besitz des Instituts zwei Obligationen über 100 resp. 200 Francs, welche uneingelöst blieben. Im Laufe der Zeit traten Veränderungen in der Höhe des Kapitalvermögens ein; im allgemeinen erhielt sich die Summe aber in der alten Höhe, bis das Brandjahr 1860 der Stiftung einen schweren Schlag zufügte: Der Mehlersche Gasthof brannte ganz nieder. Zum Wiederaufbau war zwar eine Versicherungssumme von 3630 Thlr. vorhanden, aber sie reichte bei weitem nicht aus, und das Institut hat nicht nur die Summe von 4500 Thlr. zum Bau noch leihen, sondern noch mehrere eingegangene Kapitalien dazu verwenden müssen. Die Kosten des Neubaues beliefen sich auf ca. 8500 Thlr. Bei den Verlusten, die das Institut durch das Abbrennen des Gasthofcs erlitt, ist noch in Anschlag zu bringen, daß in den Jahren 1853—1858 der 'Neubau des Hintergebäudes und andere größere Reparaturen einen Kostenaufwand von 2316 Thlr. verursacht hatten. Der neuerbaute Gastof wurde am 26. Aug. 1862 von dem Pächter bezogen. (Es ist das jetzige Hotel „Zum Schwarzen Adler.“) Im Anfänge des Jahres 1865 bestand das Gesamtvermögen der Stiftung aus 15 542 Thlr. Im Jahre 1890 wurde das Gasthaus verkauft, ein Teil der Kaufsumme wurde zur Deckung von ausstehenden Schulden benutzt. Seit 1893 werden jährlich 300 Mark kapitalisiert, um den Ausfall der Zinsen wegen Rückganges des Zinsfußes auszugleichen. 4. Verteilung an die Armen. Laut Bericht des Administrators Wernicke konnten bis zum Todesjahre der Witwe Mehler (1816) jährlich nur 45 Mk. verteilt werden, 1817 wurden dagegen schon 189 Mk., 1818 bereits 214 Mk. verteilt. Seit diesem Jahre nimmt die Höhe der jährlich verteilten Summen bis zum Jahre 1860 mit verschiedenen kleineren Schwankungen stetig zu und erreichte zu Zeiten die Höhe von 844 Alk. Infolge des Brandverlustes erfolgte seit 1860 ein starker Rückgang, 1862 konnten z. B. nur 159 Mk., 1863 nur 67 Mk., 1865 gar nur 27 Mk. verteilt werden. Von diesem Jahre an steigt die Summe wieder ununterbrochen, sodaß in den letzten Jahren durchschnittlich 1000 Mk. jährlich an Arme zur Verteilung gelangen konnten. 5. Abweichungen von den testamentarischen Bestimmungen. Nach dem Testamente sollen nur 20 Arme bei den Verteilungen bedacht werden. Eine Abweichung von dieser Bestimmung scheint dadurch veranlaßt worden zu sein, daß der Magistrat 1826 bestimmte, es sollten 40 Arme ausgewählt werden und zwar 20 Arme in dem einen Jahre, 20 in dem nächsten Jahre berücksichtigt werden. Eine andere Abweichung ist durch den Prediger Lincke eingeführt, indem seit November 1853 an arme Konfirmanden und Schulkinder Bibeln und Bücher verteilt wurden. Nach dem Testament ist der Termin der Verteilung der 10. Nov. jedes Jahres. Es haben jedoch arme Konfirmanden seit vielen Jahren zu Ostern Unterstützung empfangen. 8. Das Hospital St. Spiritus. Das Hospital hat nach einer Nachricht Leukfelds schon kurze Zeit nach dem Tode der Stifterin des Klosters Walkenried, der Gräfin Adelheid, bestanden. Es wurde nämlich am 1. Mai jedes Jahres ein Leichen- Gedächtnis für diese Gräfin vom Abte von Altenkampen angeordnet, a» welchem die Walkenrieder Mönche nicht nur in der großen Klosterkirche, sondern auch in allen dazu gehörigen Kapellen Seelenmessen halten, ferner auch an die in der Herrschaft Clettenberg und sonderlich in dem Hospital St. Spiritus zu Ellrich befindlichen Armen eine gewisse Summe Geldes austeilen mußten. — Aus diesen Angaben können wir schließen, daß das Hospital bereits am Anfänge des 12. Jahrhunderts vorhanden war, und daß es damals bereits denselben Zwecken diente, wie noch jetzt. Arme aufzunehmen und zu verpflegen. Die Kirche St. Spiritus wird für den besonderen Gottesdienst der Hospitanten erbaut sein, und ihr Ursprung aus derselben Zeit der Gründung des Hospitals stammen. — Das Vermögen des Hospitals wird unter Aufsicht des Magistrats von zwei Vormündern verwaltet. Im Jahre 1590 erhielt das Stift besondere Statuten, die zum größten Teile jetzt noch gültig sind. Bedingung der Aufnahme ist, daß der Aufzunehmende in Ellrich geboren, das 50. Lebensjahr überschritten, seine Bedürftigkeit nachweist und eine Aufnahmesumme von 150 Mk. zahlt. Die Gesamtzahl der Hospitaliten darf 34 nicht überschreiten. Die Bewohner hatten in früheren Jahren das Recht, in sämtlichen umliegenden Ortschaften für die Stiftung Almosen einzusammeln. 0. Verschiedene Vermächtnisse. 1. Die Witwe des Ökonomen Albert Michelmann in Ellrich vermachte am 5. Oktober 1887 dem Magistrate 600 Mk. zur Bildung eines Legats unter dem Namen „Albert Michelmannsches Legat.“ Die jährlichen Zinsen davon werden an arme Stadtbewohner Ellrichs verteilt. 2. Der Kaufmann Friedrich August Bernhardt Stockelmann in Schleusingen bedachte laut seines Testaments vom 1. Februar 1886 die evangelische Hauptkirchengemeinde zu Ellrich mit 7 500 Mk., ebenso die Schulgemeinde zu Ellrich mit der gleichen Summe. Die Zinsen der ersten Stiftung werden zu kirchlichen Zwecken, die der zweiten Stiftung zur Anschaffung von Lehrmitteln verwandt. 3. Die Witwe Luise Margarete Scharffe, geb. Eichhorn in Ellrich, wandte 1867 in ihrem Testamente der St. Johanniskirche 600 Mk. zu mit der Maßgabe, daß die Summe zur Neubeschaffung von Kirchenglocken für die damals im Bau begriffene Kirche verwandt werden sollte, was auch geschehen ist. 4. Der praktische Arzt Dr. Friedrich Hartung in Gemünden, von Geburt ein Ellricher, vermachte bereits zu seinen Lebzeiten der Stadt Ellrich 10000 Mk. und in seinem Testamente noch einmal dieselbe Summe mit der Bestimmung, daß die Zinsen solange zum Kapital zu schlagen seien, bis das ganze Kapital 300000 Mk. betrüge. Diese Summe sei dann zu Gemeindezwecken zu verausgaben, z. B. zum Neubau der Hospitalskirche, Anlegung eines neuen Friedhofes u. s. w. Die Summe ist zur Zeit auf ca. 32000 Mk. angewachsen. Es wird also noch manches Jahrzehnt hingehen, ehe Ellrich mit der Stiftung rechnen kann. — Zum Andenken an den Stifter ist jetzt eine Straße in Ellrich „Hartungsstraße“ genannt. 5. Verschiedene andere kleinere Vermächtnisse an Ellrich treten erst mit dem Tode noch jetzt lebender Personen, die den Nutznieß der Zinsen haben, in Kraft. v. Die Feuerwehr. Infolge der vielfachen Brände in Ellrich entwickelte sich das Feuerlöschwesen der Stadt sehr früh. Die Stadt hatte ihre gedruckte Feuerordnung vom 14. November 1765 und eine eigene Spritzengesellschaft. Die große Spritze, welche die Stadt im vorigen Jahrhundert besaß, wurde 1666 in Nordhausen angefertigt und kostete 136 Thaler. Die Stadt trat der Feuersocietät des Fürstentums Halberstadt bei, weil die Taxe der Häuser so hoch stieg, daß die Grafschaft bei großen Brandschäden keine Sicherheit stellen konnte. Im vorigen Jahre ivurde das Feuerlöschwesen reorganisiert, und neben der Bildung eines Rettungsvereins ist auch eine Berufsfeuerwehr eingerichtet. An Spritzen sind zur Zeit vier vorhanden. IV. Die Denkmäler Ellrichs. Die Stadt besitzt zwei Denkmäler, ein Denkmal für den hochseligen Kaiser Friedrich III. und ein Kriegerdenkmal. ä. Das Kaiser Friedrich-Denkmal. Das Denkmal ist auf dein Marktplatz aufgestellt und am 3. September 1893 enthüllt, durch die Bürger der Stadt waren die Küsten aufgebracht worden. Der solide Unterbau des Denkmals ist aus Braunläger Granit von der Firma Volk und Fuhrmann in Braunlage hergestellt, während die Statue aus der Kunstgießerei Gladebeck in Berlin stammt. Kaiser Friedrich, in der Uniform der Pasewalkcr Kürassiere, stützt die linke Hand vorgestreckt auf den Pallasch, die rechte, in die Seite gestemmt, trägt den Feldherrnstab. Von seinen Schultern fällt der Krönungsmantel in reichen Falten nieder. — Sämtliche Kriegervereine Ellrichs und der Umgegend, Gesangvereine, die Schulen, Behörden und Ehrengäste beteiligten sich an der Einweihungsfeier. Die Festrede hielt der Oberprediger Harraß unter Zugrundelegung des Spruches Sal. 10, 7: „Das Gedächtnis der Gerechten bleibet im Segen.“ 8. Das Kriegerdenkmal. Das Denkmal steht gleichfalls auf dem Marktplatze, wurde vom hiesigen Kriegerverein unter Beihülfe der Stadt errichtet und am 25. August 1872 unter Beteiligung vieler Kriegervereine enthüllt. Das Denkmal besteht aus einem hohen Obelisk aus Nixeier Sandstein, der auf einem kräftigen Quaderunterbau steht. Die Spitze des Obeliskes krönt ein Adler mit ausgestreckten Schwingen, der einen Lorbeerkranz im Schnabel trägt. An der Vorderseite des Obelisks befindet sich ein eisernes Kreuz mit der Inschrift: „Von 1813—1871. Mit Gott für König und Vaterland.“ An der Vorderseite des Unterbaues befindet sich eine Tafel mit der Inschrift: „Zur Erinnerung der denkwürdigen Kriegsjahre von 1866, 1870/71. Im Kriege gegen Österreich starben für das deutsche Vaterland von hier: Unsere lieben Brüder Wilhelm John und Friedrich Pallessen P am 3. Juli bei Königgrätz. August Wilhelm Henning gest. im Lazarett zu Brünn. Ehre den Tapferen, die uns ins Jenseits vorangingen!“ Eine Tafel auf der Rückseite des Denkmals hat folgende Inschrift: „Gott war mit uns, Ihm sei die Ehre! Im Kriege gegen Frankreich starben den Heldentod von hier unsere lieben Brüder August Lücke P am 18. August 1870 bei Eiravslotte Wilhelm Starke P am 4. Februar 1871 bei ^.rdais Hermann Gustav Stephani gest. am 28. September 1870 in 84ckuu Louis Christoph gest. den 12. März 1871 in Ua R.oclis1l6 Louis Baumgarten ch am 4. Februar 1871 bei iVlorivillars Gewidmet von ihren treuen Kameraden der Stadt Ellrich.“ 18. Die Post irr Ellrich. Um das Jahr 1690 wurde unter dem Postmeister Sabeln ein ordentliches Postamt in Ellrich angelegt; vorher war schon eine Posthalterei daselbst, denn ein gewisser Paul Liebenrodt hielt eine fahrende Post mit 2 Pferden zwischen Ellrich und Nordhausen, die einst in der Dunkelheit irre fuhr und mit Wagen und Pferden von dem Felsen des Kohnsteins herabstürzte. 1779 wurden die sonst ganz offenen Postwagen halb verdeckt. 1786 gab es die ersten Uniformen für die Beamten. Auch nach Bleicherode über Nordhausen ging eine Post, die aber nicht lange Bestand hatte. Das Ellricher Postamt war sehr ansehnlich, unter ihm standen die Posthaltereien zu Bleicherode, Elbingerode, Benneckenstein, Stöckey bis nach Kassel hin. Bis zum gegenwärtigen Jahre wurden von Ellrich aus täglich Posten nach Benneckenstein über Sülzhayn und nach Braunlage über Zorge und umgekehrt abgelassen, die jetzt aber durch die Eröffnung der Harzquerbahn, resp. der Südharzbahn eingegangen sind; der Postverkehr von Zorge wird jetzt nach Walkenried geleitet. So ist auch in dieser Beziehung durch die Umgehung Ellrichs bei den Bahnbauten die Stadt in einen toten Winkel gelegt. 19. Die CUricher Flora. Infolge des Vorherrschens des Gypses bei Ellrich ist die Flora unserer Gegend eine eigenartige und mannigfaltige; als Merkwürdigkeit ist zu erwähnen, daß Trabis alpilia in ganz Norddeutschland nur bei Ellrich gefunden wird. Von den sonst bei Ellrich vorkommenden Pflanzen nennen wir folgende charakteristischen: Gelbe Osterblume (Gnomons rullunouloiäsg) Wolliger Hahnenfuß (Uununouius lunuAinosus) Trollblume (Drollius euroxusim) Gypskraut (O^psoxdilu rsxeus und luZtiqiatg.) Waldvöglein (tüopbuluntbera. rubra) Frauenschuh (O^xripoäium 6ulesolus> Fliegcnähnl. Frauenthräne (Opbrvs museilers.) Salomonssiegel (kolz^onubum »t'ticiualch Türkenbund iOilium LlurtuKon) Siebenstern (Drisntulis suropava) Enzian (6entiunu Mrmuuic», ouwpestris, viliubu) Engelsüß (Lolz'poäium vulZurs) Schwarze Nießwurz (llelloborus nixer) Roter Fingerhut (Oixibulis purxurss.) Königskerze (Vsrbusuum Dbupsu8) Augentrost (iluxbrusis, oküeinulis und Oäontitss) Fünsfingerkraut (kotsnbilis.) Tausendgüldenkraut (Lr^tbrusu venbuurium) Aronstab (Lrum maculatum) 30. De«ktafel der für Cürrch michligste« Creig«isse. Ein Großfeuer zerstört in Ellrich 32 Wohnhäuser und Nebengebäude. Der Graf von Sayn-Wittgenstein läßt sich in Ellrich huldigen. Durch Feuer werden 25 Häuser und Nebengebäude in Ellrich zerstört. Die Regierung der Grafschaft Hohenstein wird nach Ellrich verlegt. Die Grafschaft Hohenstein kommt zu Preußen. Die Nordhäuser Vorstadt brennt ab. 30 Wohnhäuser brennen in Ellrich ab. Ellrich wird im liebenjährigen Kriege schwer heimgesucht. König Friedrich II. gründet die Kolonie in Ellrich. Die Kriegs- und Domänenkammerdeputatton befindet sich in Ellrich. König Friedrich Wilhelm IH. und die Königin Luise besuchen Ellrich. Ellrich wird von den Franzosen geplündert. Ellrich wird unter der westfälischen Herrschaft eine Llairio. Herzog Karl von Braunschweig weilt auf seiner Flucht in Ellrich. Die mittlere Stadt und die westliche Vorstadt brennen ab. Die ganze innere Stadt brennt nieder. Enthüllung des Kriegerdenkmals. Gründung der ersten mechanischen Weberei in Ellrich. Enthüllung des Kaiser Friedrich-Denkmals. S1. Sagen ans Ellrich. 1. Die vier Hufeisen in der Nikolaikirche. Wie bereits auf Seite 90 dieses Buches erwähnt ist, wurden bis zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts in der Nikolaikirche vier Hufeisen gezeigt, an die sich die an gleicher Stelle erzählte Sage knüpft. Diese ist verschiedentlich dichterisch behandelt worden, z. B. von dem österreichischen Dichter Johann Nepomuk Vogl, von Wilhelm Hosäus in Dessau, von M. Eichler und anderen. Wir lassen hier die Bearbeitung von Hosäus und die von Eichler folgen: Der Graf von Hohenstein. Zu Klettenberg die ganze Nacht Aufspielen die Bässe und Geigen, Da leuchtet der Saal in festlicher Pracht, Da schlingt sich der jauchzende Reigen; Da geben die Becher güldenen Glanz Und Gaukler lassen sich schauen, Und lüstern im buhlenden Mummenschanz Necken sich Ritter und Frauen: Nach altem Brauch Graf Hohenstein Begehet den jährlichen Fastnachtsreihn. Und wie die Sonne nun steigt herauf Bon flatternden Nebeln umflossen, Steigt auch ein neues Begehren ihm auf, Antreibt er die müden Genossen: „Wohlauf, getummelt und frisch aufs Pferd, Hinaus ins duftige Weben, Gen Hohenstein, mein Schloß ists wert, Da sprudelt noch reicher das Leben, Da birgt der Keller noch firneren Wein, Da streichen die Fiedler noch lustiger drein.“ Und nieder zu Thale ziehet der Troß Bon Rittern und Knappen und Knechten, Voran der Graf auf flandrischem Roß, Als gält's zu turnieren und fechten. Rings alles still, still Wald und Flur, Nicht regt sich ein lebendes Wesen, Zur Buße scheint sich fromm die Natur Heut stille Messe zu lesen. Den Reitern selbst im Sattel graut, So starb, ach, jeder lebendige Laut. Da liegt ein Städtchen am lieblichen Hang, Schmuck Ellrich, seit alten Zeiten, Mit Hellem, silbernem Glockenklang Grüßt's traut nach allen Seiten. Und wie der Zug vor dem Kirchlein hält, Läutet der dienende Knabe, Aufs Knie die gläub'ge Gemeinde fällt Zu verehren die göttliche Gabe; Der Weihrauch dampft, die Kerze brennt Zu der mystischen Wandlung heil'gemMoment. Da ruft der Gras durch die wallenden Reih'n: „Wohlauf, nach dem Geigen und Leiern, Wer folgt mir zu Roß in die Kirche hinein, Nun Aschermittwoch zu feiern?“ Er schauet sich um, doch keinem steht Zu solchem Frevel das Herze: „„Graf fürchtet die göttliche Majestät, Laßt ab vom teuflischen Scherze!““ — „Ihr feigen Knechte, so reit' ich allein, Erkennet den Grafen von Hohenstein!“ Hoch bäumt das Roß, es weigert den Tritt, Doch zwingt er's mit Peitsche und Sporen, Und in Schweiß gebadet mit zitterndem Schritt Zieht's ein zu den offenen Thoren. Und wie es schreitet, lösen dem Tier Die Eisen sich lind von Len Hufen Und endlich steht's in des Höchsten Revier Und nahet den heiligen Stufen. Und das Volk zur Seite sich dränget dicht Und wartet entsetzt auf Gottes Gericht. Mit bebenden Gliedern, den Blick verstört, Der Priester zum Frevler sich wendet: „Hat, Graf, der Satan das Herz euch bethört, Daß frech den Ew'gen ihr schändet?“ Und er tritt ihm entgegen im hohen Chor, Daß er das Urteil ihm künde, Und hält den Leichnam des Herrn chm vor, Zu wehren der schreienden Sünde. Der Graf starrt, doch das Roß, o sieh, Beugt der geweihten Hostie das Knie. „Weh, wehe, Verruchter, beschämt vom Getier, Es neigt sich der ewigen Krone! Was that euch derHeiland, daß schmachvoll ihr Wieder ihn geißelt mit Hohne? Hat er nicht in Gnaden die Sünde gewandt, Den Tod für euch getragen, Daß ihr ihn jetzt mit lästernder Hand Von neuem ans Kreuz müßt schlagen!? Seht aber ihn bluten durch euern Spott Und fürchtet den rächenden, ewigen Gott!“ Den Grafen durchschauerts mit eisigem Graus, Er wirst vom Rosse sich nieder; Was da er erfahren, wer sagt es aus, Er öffnet die Lippe nicht wieder. Drauf leiten sie füll, man merket es kaum, Das geängstete Tier zur Pforte, Und draußen nimmt es ein Knecht am Zaum Und beruhigt's mit mildem Worte; Der Priester aber sodann am Altar Von neuem bringet ein Opfer dar. Und da die Sonne gesunken ins Thal Längst hinter den dunklen Tannen, Erhebt sich seufzend der Graf zumal Und schreitet stumm von dannen; Ein Büßer kehret er in sein Haus, Nicht denkt er an Flöten und Geigen, Er winket die Freunde leise hinaus, Vergällt ist auch ihnen der Reigen. Und einsam die kalte Märzennacht Er nun mit Beten und Weinen durchwacht. IV. llosäus. L. Der Säuferkönig von Ellrich. Gen Ellrich zogen viele Herrn Zu einem Trinkgelage; Sie wollten dorten gar zu gern Erörtern eine Frage: Wem wohl von ihnen allen doch Zukäm die hohe Ehre, Daß er im ganzen Sachsenland Der größte Zecher wäre. Zum „Säuferkönig“ wollten sie Denselbigen erheben, Und ihm, zum Zeichen seines Ruhms, Ein Ehrenkettlein geben. Nun saßen bei dem^edlen Wein Die Herrn im hohen Saale Die ganze Nacht und zechten froh Aus goldenem Pokale. Nicht lang, so waren alle schon Vom Trünke hochbegeistert, Und mancher von der Zecherschar Sank unter'n Tisch bemeistert. Nur einer saß noch stramm und fest, Bon Klettenberg, der Junker; Ob er schon austrank dreißig mal, Noch fordert frischen Trunk er. Und endlich in dem weiten Saal Sitzt er allein beim Becher, Da meint er rechtens, daß er sei Der König aller Zecher. Die güldne Kette läßt er sich Als Ehrenzeichen geben, Und dann, um heimzureiten flugs, Sich auf sein Rößlein heben. Zum Thore geht's. Da höret er Ein Glöcklein klar und Helle, Zur Frühmess' rust's der Frommen Schar In Sankt Niklaus Kapelle. Der Junker meint: Wohl paßlich ist's, Dem Heil'gen Dank zu bringen, Daß er mir ließ in dieser Nacht Das Stücklein gut gelingen. Tr giebt dem Pferde seine Spor'n Und winket seinem Knechte, Dann reitet in das Kirchlein ein Gottlos der Schwerbezechte. Es scheut das Roß. Bon seinem Huf, — O Wunder, das geschiehst! — Man an dem heiligen Altar Die Eisen fallen siehet. Auf glatter Bahn stürzt es und reißt Den Reiter in's Verderben. So mußte für die Frevelchat Der Säuferkönig sterben. — Zu Ellrich in Sankt Nikolaus Wird man noch heut' Dir weisen, Fragst nach dem Säuferkönig Du, Die vier verlornen Eisen. Ll. Livdlor. 2. Das Abendläuten. Als vor mehreren Jahrhunderten die Umgebung Ellrichs noch dicht bewaldet war und sich Teiche und Sümpfe ringsherum ausbreiteten, verirrte sich eine Gräfin von Clettenberg bei einem Spazierritt und wurde mitten in der Wildnis von der Dunkelheit überrascht. Nach langem, vergeblichem Umherirren hörte sie eine Abendglocke läuten; sie folgte dem Schalle und kam glücklich nach Ellrich. Aus Dankbarkeit dafür stiftete sie der Kirche eine Summe Geldes mit der Bestimmung, daß in Zukunft jeden Abend um 8 Uhr geläutet werden solle. Diese Sitte hat sich bis zum heutigen Tage erhalten. 3. Die Goldquelle im Limbachthal. Einst wohnte in Ellrich ein Fleischer, der an einem Abend spät vom roten Schuß heimkehrte. Als er das Limbachthal erreichte, hielt er an einer Quelle an, um zu trinken. Mit dem Wasser schöpfte er aber Schlamm hoch, der sich in seiner Hand schnell erhärtete und schwer wurde. Neugierig nahm er einen Klumpen mit nach Hause, und als er ihn besah, war es reines Gold. Er merkte sich die Quelle und die Nacht, in der dieses geschehen, und holte sich alljährlich Gold. Als er nach mehreren Jahren seinen Freunden davon Mitteilung machte und sie einlud, mit ihm hinzugehen, hatte die Quelle die Wunderkraft verloren, und sie brachten nichts anderes mit nach Hause als Schlamm. 4. Der rote Schuß. Eine Stunde von Ellrich erhebt sich ein schöner Berg „der rote Schuß“, der seinen Namen von dem dort häufig vorkommenden roten Mergel hat. Das Volk aber erzählt sich von diesem Berge folgende Sage: Vor mehreren hundert Jahren lebte in Ellrich ein berüchtigter Wilderer. Lange Zeit versuchten die Förster vergebens, ihn bei seinem verbrecherischen Handwerk zu überraschen. Da kam nach Ellrich ein junger Jäger, der sich vornahm, nicht eher zu rasten, bis er ihn unschädlich gemacht hätte. Eines Abends überraschte er den Wilderer im Walde, gerade als dieser mit dem Ausweiden eines Rehbockes beschäftigt war. Der Wilderer, der sich nicht ergeben wollte, legte auf den Jäger an, und ehe dieser zum Schuß kommen konnte, streckte ihn die Kugel des Wilddiebes nieder. Die Erde trank das unschuldig vergossene Blut, und der ganze Berg errötete empört ob dieser Frevelthat für alle Ewigkeit.
Quellenverzeichnis1. Hohensteinsches Magazin, herausgegeben vom Oberpfarrer Gottlieb Christoph Schmaling in Ellrich. 1788—1791. 2. A. B. Michaelis, Sammlung einiger die Stadt Ellrich betreffenden Nachrichten. 1752. 3. Urkunden und Akten des Magistratsarchivs in Ellrich, besonders „das rote Buch“ daselbst. 4. Das „rote Buch“ im Pfarrarchiv zu Ellrich. 5. Krieg, Beiträge zur Geschichte der Stadt Ellrich. 6. Urkundenbuch des Stiftes Walkenried. Abt. I. 7. Heinrich Eckstorms Chron. Walkenried. 8. Leukfeld, Antiquitates Walkenredenses. 9. I. G. Hoche, Vollständige Geschichte der Grafschaft Hohenstein. 1790. 10. Geologische Specialkarte von Preußen. 1870. 11. v. Posern-Klett, Sachsens Münzen im Mittelalter. 12. 6 Artikel über Ellrichs Vergangenheit in der Ellricher Zeitung. Jahrgang 1890 und 91. 13. Zeitschrift des Harzvereins. III. Band. 14. Verschiedene Beiträge aus der Zeitschrift „Harzer Monatshefte“. 15. Desgleichen aus der „Heimat“. 16. Chronik der Mehler'schen Stiftung. |