Bürgerkrieg in Nordhausen!

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Textdaten
Autor: Erich Trautmann
Titel: Bürgerkrieg in Nordhausen!
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aus: Festschrift Jahrtausendfeier
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Erscheinungsdatum: 1927
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Erscheinungsort: Nordhausen
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Bürgerkrieg in Nordhausen!
Von
Erich Trautmann.

Unterdrückung und Haß stehen seit Jahrzehnten dunkel und hart in den Straßen der Freien Reichsstadt. Hie die Geschlechter – hie die Handwerker: es ist einer der härtesten Klassenkämpfe, die das Mittelalter ausfocht. Hier das Alte – dort das Neue. Es gibt nur ein Entweder-Oder, es gibt keine Aussöhnung. Die Geschichte bleibt sich immer gleich, kein Geschehnis ist in seinem tiefsten Grunde neu.

Die Parteiwirtschaft der Patrizier ist vollkommen, man weiß nichts, was ihr Hochmut und Brutalität gleichzusetzen ist. Die „reichen Geschlechte“ sind durch Verwandtschaft zu einer großen Familie verbunden. Alles andere ist Plebs, - „gemeiner Bürger“. Wem allein stehen die Ratsstellen zu, wer allein sitzt in der Regierung der Stadt? Die Patrizier führen unbeschränkt das Regiment. Die Diktatur der Geschlechter verschmäht es, auch nur irgendwie ihr wahres Gesicht zu verhüllen.

Was steht gegen diese Gewaltherrschaft einer dünnen Oberschicht? Die breite Masse der Bürger. O, sie haben einst klein und arm angefangen, sie waren nichts als Tagelöhner. Generation aber um Generation weihte ihr Leben der harten, unverdrossenen Arbeit. So ging es vorwärts, Geld kam allmählich, es kam Wohlhabenheit und schließlich kamen Selbstbewußtsein und Stolz. Der neue Stand war da, der Bürger war da. Die Berufe organisierten sich, es gab Zünfte, Innungen; die Tüchtigen der Meister wurden an die Spitze gestellt.

Die Adligen sagen den neuen Stand, sie sahen, wie der Erfolg mit ihm war – und sie fanden sich damit ab auf ihre Art. Steuern zahlen! Ein großes Leben führen kostet Geld, die Stadt großartig regieren kostet erst recht Geld – nun, möge es der Plebs zahlen! Jeder Bürgermeister unserer Zeit kann seine Vorgänger in jenen Jahrhunderten um die Findigkeit beneiden, mit der neue Steuerquellen entdeckt und rücksichtlos ausgeschöpft wurden.

Gut, der Handwerker zahlte. Durfte er dafür nichts verlangen? Oho, er durfte das wohl. Und er verlangte, er stellte Forderungen auf. Laßt uns teilhaben nach Recht und Gerechtigkeit am Regiment der Stadt!

Die Antwort von oben war Hohn und Spott.

Die Bürger beruhigten sich nicht, die Gärung ist da. Es gibt die erste Revolte. Sie wird mit Leichtigkeit niedergeschlagen. Die Rädelsführer trifft harte Strafe und Verbannung. 8ß Bürger müssen 1338 die Stadt und Hab und Gut verlassen. Ihr Besitztum raffen die Herrschenden an sich. Aber es nützt nichts, die Glut glimmt im Geheimen weiter. Die Söhne vergessen nicht, was den Vätern angetan wurde. Die Fleischer stehen in der ersten Linie der geheimen Verschwörungen. Sie trifft die ganze Härte des Geschlechterstandes, der sich in seiner Herrschaft bedroht sieht. 1360 greift man plötzlich zu: die gesamte Fleischerinnung wird aufgehoben. 41 Fleischer und ihre Familien müssen auf „ewig“ Stadt und Heimat verlassen.

Immer härter setzt das Patriziertem dem revoltierenden Bürgerplebs den Fuß in den Nacken. Die unbewaffneten Handwerker sehen ein, daß sie auf dem Wege des Kampfes nichts erreichen können. Die Besonnenen mahnen zu Verhandlungen. So geht man demütig zu den Herren. „Sagt uns wenigstens, wozu wir arbeiten und frohnen. Sagt uns, wo unsere Steuergelder bleiben. So will es doch ein ordentlich Regiment!“ Verachtung und Hinaufwurf – eine andere Antwort verdienen diese Krämerseelen nicht. Die Bürger aber lassen nicht nach, sie sind still und zäh, sie kommen Jahr um Jahr starrköpfig wieder. Und hört, wie drohend schon ihre Sprache wird!

Der offene Ausbruch des Konflikts ist unvermeidlich. Die Patrizier spüren, daß schon morgen die Bürger die Fahne des Aufstandes hissen können. Es gibt nur eine Rettung! Zuvorkommen! Zuerst den Schlag führen!

Das Jahr 1375 hat begonnen. Die Entscheidung ist da. Der Rat der Stadt will die Unterdrückten mit einer fruchtbaren Drohung einschüchtern: Wird nicht endlich restlos klein beigegeben, werden so viele der gemeinen Bürger auf das Rad geflochten, daß alle Räder der Stadt nicht ausreichen. Euch das Rad, uns die Macht!

Die brutalste Sprache macht auf jene, die zu allem entschlossen sind, keinerlei Eindruck mehr. Das fühlen die Patrizier. So muß also zugegriffen werden. Blut und Gericht! Der Plan ist fertig. Als der 18. Februar grau und trübe anbricht, hat der Rat seine gesamte Macht mit großen Verstärkungen zusammengezogen, die Stadttore sind verschlossen. Mit dem grauenden Morgen soll das Blutbad beginnen. O, man kennt einzeln die aufrührerisch Gesinnten! Heute heißt es: Das Gift der Revolution mit Stumpf und Stiel ausrotten, vertilgen, verbrennen, zerstampfen.

Aber – was ist das ? (Jenes Bürgertum damals schlief nicht.) Längst schon haben die Meister den Tag der Entscheidung kommen sehen. Waffen waren geschmiedet, man hatte heimlich geübt, der Kampf war gut vorbereitet! Nun war der Funke in die zum Platzen geladene Atmosphäre geflogen – jetzt heraus zum Sturm!! Und so quellen aus allen Häusern, aus allen Gassen die Haufen der Bewaffneten hin zum Rathaus. Rache, Abrechnung!

Die Patrizier sehen ihren Plan der Ueberrumpelung verloren. Eben noch Angreifer, müssen sie sich eiligst zur Verteidigung auf das „hus zcu deme Resen uff deme holtzmargte“, in das Riesenhaus, zurückziehen. Die Bürgerhaufen drängen nach. Ein blutiger Kampf entbrennt. Die Handwerker greifen an mit dem Mut der Verzweifelten. Wehe ihnen, wenn dieser Aufstand mißlingt. Und so wird ihnen der Sieg! Als sich der Trag früh zu Ende neigt, ist das Riesenhaus in den Händen der Aufrührerischen, was übrig blieb von den Geschlechtern, wird in Ketten hinweggeführt.

Der Sieg der Revolution des 13. Februar ist auf der ganzen Linie vollständig. Die Bürger allein haben die Macht in den Händen. Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf, Eine Anzahl der Patrizier wird zum Block geführt, der Henker hat reiche Arbeit. Wie einst die Fleischer, trifft jetzt die Geschlechter das gleiche harte Los: 41 Familien werden für immer aus der Stadt gewiesen. Gesetz wird: niemals ein Verwandter der Vertriebenen im neuen Rat!

Die Stadtrepublik ist da! Anstelle der hinweggefegten Diktatur der Geschlechter wird ein demokratischer Rat gesetzt: gewählt aus der Mitte des Volkes, des Bürgertums. Für das Volk durch das Volk! Die Freiheit hat den Sieg errungen, 5 Jahrhunderte blieb mit geringen Veränderungen jene demokratische Verfassung, die Handwerker und Zünfte selbst ihrer Stadt gegeben haben.

An jedem 13. Februar 1375, in den Stunden, da das Riesenhaus, die Hochburg der Reaktion, fiel, wurde für alle Zeiten die Freiheitsliebe des Nordhäuser Bürgertums geboren, die unbeirrbare freiheitliche Gesinnung seiner Bevölkerung, der Nordhausen auch heute noch den Ruf und den Ruhm einer liberalen Stadt verdankt.