Zur Einweihung der St. Blasii-Kirche in Nordhausen am 31. Oktober 1949

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Zur Einweihung der St. Blasii-Kirche in Nordhausen am 31. Oktober 1949
Zur Einweihung der St. Blasii-Kirche in Nordhausen am 31. Oktober 1949 (Cover)
Autor Friedrich Trautmann
Verlag Nordhausen
Erscheinungsjahr 1949
Umfang 15 Seiten
 Im Bestand der Stadtbibliothek Nordhausen.
Stand: 3. Mai 2016
Editionsrichtlinien:
  • Dieser Text wurde teilweise Korrektur gelesen und spiegelt somit keinen endgültigen Bearbeitungsstand wider.


ZUR EINWEIHUNG
DER ST. BLASII-KIRCHE
IN NORDHAUSEN


AM 31. OKTOBER 1949




VON
FRIEDRICH TRAUTMANN
PFARRER AN ST. BLASII



Vorwort

Am Reformationstag 1949 steht die St. Blasii-Kirche wieder bereit zur Verkündigung und zur Anbetung, und sie wird dazu drei bisher selbständige Gemeinden in sich zu neuer Einheit sammeln. An dem Tage ihrer Neueinweihung kann uns nur Dank erfüllen, Dank gegen den lebendigen Gott, dessen Führen in der Geschichte dieser Kirche deutlich wird, und von dessen gnadenvollem Bewahren in der inneren und äußeren Not der Jahre um 1945 dieser ehrwürdige Bau ein Zeugnis ist.

In solcher Dankbarkeit lassen wir uns durch dieses Büchlein hineinführen in das neu bereitete Gotteshaus und wollen dem betrachtenden Wort des langjährigen Pfarrers dieser Kirche lauschen, dessen Besonnenheit und nimmermüde Tatkraft die Wiederherstellungsarbeiten so bald nach der Zerstörung beginnen und zum Abschluß bringen ließ. Die Denkmäler und Symbole dieses Gotteshauses, der Dienst seiner Orgel und vor allem das Bildwerk seiner Fenster reden zu uns von dem Geheimnis des dreieinigen Gottes, von seiner Menschwerdung, von seinem Leiden, von seinem Leben, Regieren und Richten, und selbst noch im Gemäuer seiner toten Steine ist es uns ein Abbild des Gefüges der Kirche Jesu Christi, seines die Welt umfassenden Planes und unseres ewigen Heils.

In solcher Dankbarkeit trifft uns aufrüttelnd Gottes mahnender Ruf: „Ihr aber, als die lebendigen Steine, bauet euch zum geistlichen Hause und zum heiligen Priestertum.“ (1. Petr. 2)

Unser Dank, wenn er echt ist, muß zu dem Gebet werden: Gott schenke es der Gemeinde St. Blasii-Petri in seiner Barmherzigkeit, daß diese ihre Kirche zu einem Orte werde, da es allein um seine Ehre geht; und die sich hier um den in Wort und Sakrament gegenwärtigen Herrn Jesus Christus Sammelnden füge er zu einer Gemeinde, die „mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung“ in dieser vergehenden Welt bezeugt, daß sie lebendige Hoffnung hat für die Armen und Bedrängten, Trostlosen und Mühseligen, weil sie auf den wartet, dessen Reich kein Ende hat.

So möge der Dank dieses Tages das Leben der Gemeinde selbst gestalten zum Lobe dessen, dem dieser Bau neu geweiht ist.

Führ,
Propst und Pfarrer der St. Blasii-Petri-Gemeinde.

„Alles vergehet“

In den Chroniken unserer tausendjährigen Stadt Nordhausen finden wir die Aufzählung einer stattlichen Zahl von Kirchen, die heute kaum noch bekannt sind. Wer weiß noch etwas von der Hospitalkirche St. Martini mit ihrem hohen Turm, dessen Pyramide von kleinen Ecktürmchen umgeben war und 1833 abgebrochen wurde? Am Domberge stand das Hospital St. Elisabeth mit einer im Jahre 1828 niedergerissenen Kapelle. Beim Brande am 21. August 1612 wurde die Kapelle des Hospitals St. Georg — Ecke Kornmarkt und Töpferstraße — ein Raub der Flammen. Hier soll Luther, der wiederholt in Nordhausen war, gepredigt haben. Die Spendekirche beim Spendekirchhof trug ihren Namen nach einer alljährlich daselbst verteilten Armenspeisung. Heute tummeln sich auf dem Spendekirchhof die Kinder im munteren Spiel und ahnen kaum mehr, daß sie sich in der Umgebung einer früheren Kapelle und auf dem Gelände einer ehemaligen Begräbnisstätte der Nicolai- und Blasiigemeinde befinden.

Über den Ruinen unserer Stadt steht es unsichtbar für den besinnlichen Wanderer und Kenner geschrieben: „Alles vergehet“. Wie lange wird es währen, und es wissen nicht mehr viele die Stätten, an denen unsere Kirchen standen, die am 4. April 1945 beim Bombenangriff zerstört wurden!

Wir hatten hier gepflegte evangelische Kirchen. Wer denkt von uns Älteren nicht mit Wehmut an das schöne Geläut, das kurz vor der Tausendjahrfeier 1927 so ergänzt wurde, daß jede der sechs evangelischen Kirchen ein Dreigeläute hatte? Die achtzehn Glocken waren auf H-Dur abgestimmt. Auch unsere Orgeln konnten sich hören lassen. Alle Typen der Orgelbaukunst waren vertreten, von der Konzertorgel bis zur reinen Barockorgel. Jede Kirchengemeinde hatte ihren Gemeindesaal, von denen vier nach 1925 neu errichtet oder erworben wurden. Sie dienten dem kirchlichen Unterricht, den Versammlungen der regen Frauenhilfen und Mütterkreise, der Jugend und den Kirchenchören. Hier wurde Gottes Wort ausgelegt, die Gestaltung des Gemeindelebens beraten, Wege christlicher Nächstenliebe wurden tatkräftig und vorbildlich beschritten.

„Alles vergehet“, so kündet es der einsam gen Himmel ragende Stumpf der Jacobikirche, die mit allen benachbarten Gemeinderäumen, auch mit der früheren Lateinschule, den Bomben zum Opfer gefallen ist. Diese Kirche war die jüngste unter ihren Nordhäuser Schwesterkirchen, vollendet im Jahre 1749 nach Abbruch des alten Gotteshauses unter ihrem Pfarrer Fr. Chr. L e s s e r, dem bedeutenden Chronisten unserer Stadt. Wenn wir auf dem jetzt kahlen Rähmen stehen, liegen die Ruinen der Frauenberger Kirche in unserem Blickfeld. Sie nahm unter ihren Nordhäuser Schwestern eine Sonderstellung ein. In ihrer romanischen Stilreinheit mit der Form der alten Basilika war sie ein Schmuckkästlein. Nach ihrer sehr starken Beschädigung grüßte noch einige Wochen den von der Neustadtstraße her Kommenden über alle Vergänglichkeit hinaus im Triumpfbogen der Spruch: „Gott ist Liebe.“ Ob wir dieses Gotteshaus in seiner ursprünglichen Form, wie es Absicht und Wille ist, wieder aufbauen können?

Nicht mehr erstehen wird die Marktkirche, auch Nicolaikirche genannt. Sie war bis 1945 unsere Hauptkirche und birgt die Gebeine der Eltern des Justus Jonas, des Freundes Luthers.

Die Petrigemeinde beklagt als Opfer des Bombenangriffes ihren hochangesehenen Pfarrer Johannes L i p p e r t, der über 25 Jahre im Segen hier wirkte. Mit seiner Frau und seiner einzigen Tochter und deren drei Kindern fand er im Keller des Pfarrhauses am Katastrophentage unserer Stadt den qualvollen Tod des Verbrennens. Wie bei der Frauenberger- und Jacobigemeinde sind auch hier alle kirchlichen Gebäude gänzlich zerstört oder sehr stark beschädigt. Von der Petrikirche stehen an Mauerresten im wesentlichen der Hohe Chor mit anschließender Sakristei, die nach unserer Planung als Raum für die kirchliche Jugendarbeit eingerichtet werden soll. Der Turmunterbau ragt ohne die früher als Wahrzeichen und von fernher richtunggebende, weithin sichtbare Spitze mahnend gen Himmel. Mit geringen Beschädigungen ist die Altendorfer Kirche davongekommen.

Wir wenden uns dem Geschick und der Geschichte unserer Blasiikirchc zu. Ihre beiden Türme, die durch eine Brücke (der höchsten Brücke unserer Stadt!) verbunden sind, werden nunmehr mit denen des benachbarten katholischen Domes Wahrzeichen der Stadt Nordhausen sein. Nach der Chronik Kindervaters war der niedere Turm dem anderen an Höhe gleich und vor Menschengedenken vom Donner heruntergeschlagen worden Nach der genannten Chronik redet uns der kleinere Turm mahnend also an.

„Daß ich so niedrig bin, ist nicht des Bauens Schuld,
Weil ich an Höhe dem, der bei mir steht, sonst gleichte:
Der Donner schlug mich ab; doch weil des Höchsten Huld
Auch mitten in der Not sich augenscheinlich zeigte,
So blieb mein Nachbar stehn. Ich wurde ruiniert
Und bin nach dieser Zeit nicht wieder aufgeführt.
Hinfüro sehe man mich als ein Beispiel an
des, was vor andern ist erhaben und erhöhet
Immassen es der Sturm viel eher treffen kann
Als das, was niedrig ist und in der Tiefe stehet.
Denn wenn der Donner oft in hohe Gipfel fährt,
So bleibt der niedre Strauch oft unversehrt.“

Auch der hohe Turm hat wiederholt in Gefahr gestanden, sehr ernst am 24. April 1624 mittags um 12 Uhr, als „ein starkes Donnerwetter entstund und binnen einer Stunde in einen der Türme an der hiesigen Domkirche, in den Turm der Kirche Petri und in den hohen Turm der St. Blasiikirche schlug.“ Die Feuersbrünste 1710 und 1712 hat er mit seinem kleinen Bruder und mit dem gesamten Kirchenraum überdauert, so daß in den Turmräumen nach der Feuersbrunst im Jahre 1710 der Türmer und Hausmann von der Marktkirche in den Blasiikirchturm übersiedeln und von hier seinen Wächterdienst bis zum Jahre 1895 versehen konnte. Die Witwe des letzten Wächters, Frau Luise Gerlach, wurde im Jahre 1943 hochbetagt bestattet.

Wie dankbar müssen wir sein, daß diese beiden Türme mit ihren Glocken als Zeugen der Vergangenheit auch im Jahre 1945 erhalten geblieben sind. Alle Chronisten geben vier Glocken an. Die sogenannte Stimmglocke, die durch drei Schläge in drei Pulsen den Mittag anzeigte und beim Vaterunser angeschlagen wurde, ist im Jahre 1917, im ersten Weltkrieg, abgegeben worden. Ihre Nachfolgerin, im Jahre 1927 beschafft, mußte im zweiten Weltkrieg denselben Weg gehen. Der niedere Turm enthält die Fis-Glocke mit der schönen Inschrift „Sabbata pango. — funera plango. — noxia frango. — Excito lentos. — paco cruentos. — dissipo ventos. — (Ich schlage die Sabbattage an, ich beklage die Bestattungen, ich breche das Schädliche (die Blitze), ich treibe die Langsamen an, ich beschwichtige die Grausamen, ich zerstreue die Winde.) Durchmesser: 1,28 m. Diese Glocke stammt aus dem 14. Jahrhundert. Die größte Glocke mit einem Durchmesser von 1,58 m hat mit römischen Zahlen die Angabe 1488 und trägt Bildwerke durch Einritzen in den Mantel: Kreuzigungsgruppe, St. Andreas, St. Blasius, einen Krüppel b schenkend, und St. Martin. Um den Hals Minuskelinschrift: maria - sanctus blasius — andreas — martinus, bet‘ vor uns. Im Turmhelm be findet sich das kleine Glöckchen („Seigerglöddein"), gegossen 1426, mit dem Durchmesser von 0,70 m, das weithin hörbar die Viertelstunden schlägt. Nach der Zerstörung des Geläutes auf dem Petrikirchturm ist dort das traditionelle Abendläuten um 8 Uhr verstummt und übernommen von der mittleren Glocke der Blasiikirdie um 6 Uhr abends. Die Altendorfer Kirche ist diesem Beispiel bald gefolgt. — Drei Schüler vor allem Walter Knorr, der inzwischen verunglückte Sohn unseres früheren Organisten Erich Knorr, haben von sich aus die Anregung zu diesem neuen Abendläuten gegeben und einige Monate selbst die Glocke zum Schwingen und Klingen gebracht.

Bei jeder Restaurierung geht trotz aller Sorgfalt ein Teil der Einrichtung verloren, oder er unterliegt Veränderungen. Diesmal sind die Verluste oder Veränderungen durch die Zerstörungen bedingt. Von der großen Zahl der Epitaphien, die Kindervater in «einer Chronik aufführt, sind seit Jahrzehnten nur noch einige hinter dem Altar zu sehen. Einen unersetzlichen Verlust haben wir dadurch erlitten, daß das Epitaphium für den Bürgermeister Michael Meyenburg von Cranach d. J. und das Epitaphium für Michael Meyenburgs erste Frau (Ecce homo) von Cranach d. Ä. an dem Orte ihrer Sicherstellung restlos verbrannt sind. Das Epitaphium des Cyriakus Ernst (gest. 17. Juni 1585) ist erhalten. Südlich der Orgel sehen wir diese Renaissance-Holzschnitzerei mit Darstellungen der heiligen Geschichte von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt. Die Gestalt des Heilandes stand ehemals frei vor diesem Relief; sie ist abhanden gekommen. Unterhalb des Mittelbildes Ernst und seine Familie knieend. In der Architektur verteilt die vier Kardinaltugenden.

Die Figuren des früheren Hochaltars werden zu gegebener Zeit im Hohen Chor ihre Aufstellung finden. Die Kanzel wird einer Restaurierung unterzogen werden. Sie wurde im Oktober 1592 gesetzt als Stiftung von Cyriax Ernst, dem späteren Bürgermeister. Als erste Amtshandlung wurde von ihr aus die Traurede für den nicht mehr bekannten Verfertiger gehalten. Getragen wird dieses Werk der Spätrenaissance von einer bärtigen Männergestalt. Nach Förstemann, der auf Lessers Chronik zurückgeht, sollen wir hier die Wiedergabe Abrahams haben, wie er seinen Sohn Isaak opfert. Andere Chronisten sprechen von einem bärtigen Krieger mit einem Schild in der Hand. Wieder andere von Moses. Dieser Darstellung sind wir gefolgt und haben die Gesetzestafeln mit den zehn Geboten zugefügt. Die Kanzelbrüstung zeigt Reliefs, getrennt durch Pilaster, an denen die Figuren der vier Evangelisten und des Moses, des Jesias und des Jeremias angebracht sind. Die Reliefs enthalten untere Flachbogen die Geburt Christi mit der Anbetung der Hirten; Himmelfahrt Christi; Sündenfall; Christi Taufe; den Gekreuzigten zwischen Maria und Johannes, am Fuße des Kreuzes Magdalena; die Auferstehung Christi. Die Reihenfolge ist also zeitlich nicht geordnet.

Bei der Restaurierung des Taufsteines ist in dessen Fuß eine Urkunde in lateinischer Sprache gefunden worden, die uns bestätigt, daß es sich hier um eine Stiftung der Frau Ottilie Ernst aus dem Jahre 1591 handelt. Als Verfertiger ist Lorentz Frohhaußen, Bildschnitzer und Tischler allhier, genannt.

Bei der Reparatur der Orgel wird der im Stile des Klassizismus schön geschnitzte Prospekt wegen starker Beschädigung so ersetzt, daß die Orgelpfeifen den Prospekt bilden. Bei der Anordnung der Orgel wird das dritte Manual das Instrument nach der Südseite hin erweitern. Dadurch ist auch Platz für Chor und Orchester gewonnen, zumal die seither von Süden nach Norden hinaufführende Treppe verlegt ist und jetzt von Westen nach Osten an der Südseite zu den Emporen führt. In derselben Richtung gehen wir auf der gegenüberliegenden Treppe an der Nordseite empor.

Nach Förstemanns Chronik verschwanden bei einer Reparatur im Anfang des 19. Jahrhunderts die Schlußsteine der Gewölbe. Diese sind wahrscheinlich bei den Restaurierungsarbeiten von 1909 bis 1911 wieder eingesetzt und erscheinen im Hohen Chor in ihren ursprünglichen Farben. Im ersten Schluß des Chorgewölbes in einem runden blauen Felde der Bischof Blasius mit rotem Talar und goldenem Meßgewand, auf dem Haupt die Bischofsmütze, in der Rechten ein Buch, daneben die Jahreszahl 1489, in der Linken den Bischofsstab, daneben die Zahl 1591. In diesem Jahre wurde die Blasiikirche einer gründlichen Reparatur unterzogen. 1489 ist das Jahr der Fertigstellung unserer Kirche in ihrer heutigen Gestalt. Die 1234 erstmalig erwähnte Kapelle wurde wegen Baufälligkeit stark überholt und mit Seitenschiffen versehen, von denen das südliche eine notwendig erachtete Erweiterung während des Baues erfuhr. Im zweiten Gewölbeschluß erscheint der heilige Martinus zu Pferde in rotem Rock und goldenem Mantel. Darunter ein von ihm beschenkter Krüppel. Daneben der dritte Schlußstein im Hohen Chor mit Andreas und der Jahreszahl 1732, in welchem Jahre der Chor geweißt wurde. Auch die Gewölbe im Schiff tragen Schlußsteine mit „Schilde- reien“. Über der Südempore ein weißes Larnm mit einer Fahne, daneben ein goldener Kelch. Weiter nach Westen ein Pelikan, seine Jungen mit seinem Blute tränkend. Der dritte Schlußstein im Westen zeigt uns einen Adler. Eine andere Darstellung des Adlers haben wir im westlichen Teile des Mittelschiffes über der Orgel. Weiter nach Osten ein Löwe mit noch drei Löwenköpfen. Der dritte Schlußstein im Mittelschiff wird in schlichter Ausführung die Jahreszahl 1945/49 tragen, während der über der Nordempore erhalten ist und uns einen Männerkopf und ein Kreuz zeigt.

1945/1949 — diese Zahlen erinnern uns an die sehr starken Beschädigungen der altehrwürdigen Blasiikirche und an all die Mühen und Beschwernisse der Wiederherstellungsarbeiten, die am Tage der Einweihung noch nicht ganz beendet sein können. Dafür waren die Schäden zu groß, die durch zwei in unmittelbarer Nähe der Ostseite niedergehende Bomben verursacht wurden. Das Gewölbe der Sakristei drohte einzustürzen. Der Schiefer des Daches war fast völlig abgedeckt, die Schalung versehrt, die Sparren angeschlagen, Steingesimse fehlten. Die Fundamente der südöstlichen Querschiffsecke waten eingedrückt und mußten unterfangen werden. Die Südwand des Querschiffes mußte fast bis zur Hälfte abgetragen und deren Giebel neu aufgerichtet werden. Das anschließende Gewölbe war zum großen Teil herabgestürzt und hatte die südliche Empore durchgeschlagen. Ebenso wurde die nördliche Empore durch das niedergehende Gewölbe des Querschiffes mitgerissen. Hier mußte die ganze Nordostecke abgetragen und von Grund auf neu errichtet werden. Daß der Putz beschädigt war, versteht sich von selbst. Sämtliche Türen mußten erneuert werden, audi die Beleuchtung und deren Anlagen. Die Heizung war schadhaft. Unsere Orgel hätte keiner so großen Reparatur bedurft, wenn sie nicht am ersten Juni 1945 unter dem Wüten eines an religiösem Wahnsinn leidenden Heimkehrers sehr starke Beschädigungen erhalten hätte. Auch dem Altarraum setzte der Kranke durch seine blinde Zerstörungswut stark zu, so daß der Hochaltar nicht mehr gerettet werden konnte. Der Barockaltar hat Aufstellung in der Sakristei gefunden, die seit April 1949 als Tauf- und Traukapelle sowie für Andachten benutzt wird. Der ganze Hohe Chor ist nach Beseitigung der sogenannten Betstübchen, die nicht mehr erhalten werden konnten, lichter und weiter geworden. Ihn krönt ein neuer Altar, den nunmehr wieder die liturgischen Gewänder schmücken werden, was auf dem vorangehenden Altar wegen seiner Bauart nicht gut möglich war. Wir folgen dabei einer guten Tradition der Blasiikirche, in der bis zum Jahre 1805 die Meßgewänder getragen wurden, — Kindervater setzt sich in seiner Chronik mit denen auseinander, die durch die liturgische Ausgestaltung der Gottesdienste und die Beibehaltung liturgischer Gewänder zu der Behauptung kamen, es handle sich hierbei um einen Rückfall in den Katholizismus.

Von vier Fenstern sind die Maßwerke, die zerstört waren, in getreuer Nachbildung erneuert. Die gänzlich zertrümmerten Scheiben sind ersetzt durch neue mit Rautenverglasung in echt antikgelblicher Tönung. Zusammen mit dem Putz der Decke und der Ausgestaltung des Innern verleihen sie dem Gotteshaus eine zur Andacht führende Ruhe. Der Blick wird hingelenkt auf den C.ruzifixus, der, dem früheren Triumpf- bogen entnommen, nach einer gründlichen Restaurierung als wertvolles Stück spätgotischer Kunst auf dem neuerrichteten Altar seine zentrale Stellung gefunden hat. Mit Bedacht ist vermieden, das Kreuz wiederholt anzubringen. Das gut manneshohe Kruzifix zieht die andächtige Gemeinde an und wird überhöht von den drei Chorfenstern. Sie gelten schon heute als bedeutendes Kunstwerk und sind ein schönes Ergebnis der Zusammenarbeit der beiden Pfarrer mit dem Nordhäuser Kunstmaler Martin Domke, der in hingebender Arbeit die Entwürfe gefertigt und die Herstellung in den Kunstwerkstätten der Firma Müller in Quedlinburg überwacht hat.

Diese Kunstwerke sollen in ihrer Zeitlosigkeit Bedeutung für die Jahrhunderte behalten. Sie verbinden die Gegenwart mit der Frühgotik des 12.—14. Jahrhunderts. Im heiligen Bezirk haben die bunten Fenster eine ganz besondere Aufgabe. Die des 12. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine starke Leuchtkraft der Farben und die handwerkliche Art der Bleiverglasung aus. Unsere drei Fenster sind zwar keine Nachahmungen des 12. Jahrhunderts, aber die Art der früheren Jahrhunderte wiederzugeben, ist dem Künstler gelungen. Darin liegt das Einzigartige dieses Werkes des 20. Jahrhunderts. Es sind erzählende Fenster, Bilderbücher, die uns letztes, heiliges Geschehenen verkündigen. Kein Strich ist gemalt, sondern Buntglas mit Blei verbunden wirkt in der Ferne als Glasmosaik, als farbiger Teppich in starker Farbenglut. Dieser Eindruck ist das Entscheidende. Dabei sind in der Hauptsache die Urfarben Rot, Gelb und Blau verwandt. Im Mittelfenster steigert sich die Lichtkraft. In den beiden Seitenfenstern sind die Hauptpersonen (Maria im linken Fenster, Christus im rechten Fenster) in der Mitte dargestellt. Im Mittelfenster schauen wir Christus stets im zweiten Feld von links. Eine Einheit der drei Fenster untereinander ist durch den farbigen Untergrundton erreicht, der durch alle Felder der einzelnen Fenster hindurchgeht.

Im Fenster links vom Beschauer bildet die Geburt Christi das Thema. Wir lesen von oben: Verkündigungsengel, Maria, rechts ein Stilleben mit weißen Lilien als Sinnbild der Reinheit. Im zweiten Feld die Geburt Christi. Links der Stall, angedeutet durch Stier, Esel und Schafe. In der Mitte Maria mit dem Jesuskind, rechts sitzend Joseph. Im dritten Feld Verkündigung an die Hirten: Links die Hirten, in der Mitte Verkündigungsengel, rechts die Könige unterwegs nach Bethlehem. Im nächsten Felde links Anbetung durch die knieenden Könige, in der Mitte Maria mit dem Kinde, daneben knieende Hirten. Im unteren Felde Darstellung der Flucht nach Ägypten, links Joseph, in der Mitte Maria, dabei als feiner Zug ein kleines Eichhörnchen. Rechts ein ruhender Esel. Im Hintergrund dieses Feldes wird nach einem alten Stich von Merian in einer Silhouette der Stadt Nordhausen das Gedenken an die markantesten Baudenkmäler unseres völlig zerstörten Stadtkerns wachgehalten.

Das Fenster rechts vom Beschauer zeigt uns im untersten Feld das heilige Abendmahl. Während sich alle anderen Jünger zu Christus hinkehren, wendet sich Judas als einziger ab. Er ist auch dadurch gekennzeichnet, daß er einen Fisch von der Tafel stiehlt. Darüber Gethsemane, im Mittelfelde Christus, den Kelch des Vaters annehmend. Im linken und rechten Feld die schlafenden Jünger. Im dritten Feld von unten sehen wir im Mittelpunkt als Hauptszene den Judaskuß, links die herannahenden Kriegsknechte, rechts die sich abwendenden Jünger. Jesus vor Kaiphas setzt die Bildreihe fort mit der Hauptdarstellung im Mittelpunkt. Links das Volk, das den Heiland zu geißeln und zu bespeien beginnt. Rechts heftig gestikulierende Schriftgelehrte. Im Mittelfeld des obersten Bildes bricht Christus unter der Kreuzeslast zusammen. Rechts geißelschwingende Kriegsknechte und Volksmenge. Links die trauernde Maria. Durch die statische Gestalt des Christus strömt eine überzeugende Ruhe aus, während die Seitenfelder sehr bewegt bleiben.

Fortsetzung und Höhepunkt der Leidensgeschichte Christi ist der Cruzufixus auf dem Altar. Er stammt offenbar aus der Zeit um 1500. Darauf deutet die prachtvolle Gestaltung des- Körpers, in der bei allem Schmerz das Überwinderhafte liegt. Mit seinem oberen Ende ragt das Kreuz in das unterste Feld des Mittelfensters hinein. Der verfinsterte Mond, die verfinsterte Sonne und die dunklen Farben stellen die Verbindung dieses Fensters mit der Kreuzigung Christi dar. Links hält ein Engel eine Schale mit Brot in der Hand, rechts einen Kelch mit Blut. In dem zweiten Feld von unten wird Christus von den Emausjüngern an dem erkannt, „da er das Brot brach“. Rechts in dieser Reihe sehen wir als Stilleben durch eine geöffnete Türe die Mondsichel in der klaren Nacht im wunderbaren Himmelsblau. In der dritten Reihe von unten gibt sich Christus durch seine Wundmale zu erkennen. Auf der einen Seite die erschrockenen Jünger, links der ungläubige Thomas, der die Hand in seinem Zweifel hochhebt. In der vierten Reihe von unten fährt Christus segnend gen Himmel, die Jünger schauen dem Auffahrenden nach. In der obersten Reihe dieses Fensters sdiauen wir Christus, „zur Rechten Gottes“. Hier haben wir wohl die bedeutendste und eindrucksvollste Wiedergabe, die das größte innere Ringen aller Beteiligten verursacht hat. Gott Vater ist dargestellt als der Ewigwachende. Von dem Vaterauge geht eine Lichtfülle aus, die auch nach unten dringt und bis ins Maßwerk hinein sich ausbreitet. Als Vorlage dienten hier die Kapitel 4—6 aus der Offenbarung Johannis. Danach ist der erhöhte Herr allein würdig, die sieben Siegel des Lebensbuches zu lösen. Die Rolle öffnet sich aus der Hand Gottes in die Hände des Heilandes. Wie die Rolle sich öffnet, so löst sich auch ein Teil der sieben dargestellten Siegel. Dem Bericht der Offenbarung Johannis folgend, sind in diesem Felde links Wesen wie ein Mensch, Löwe, Stier und Adler zu sehen.

Dreimal kommt die Trinität zur bildlichen Darstellung. Das Vaterauge ist eingeschlossen in ein gleichseitiges Dreieck. Drei ineinandergreifende Ringe verbinden die Träger der Dreifaltigkeit, Vater, Sohn und Heiligen Geist, der als Taube im Maßwerk sichtbar ist. Die Taube schwebt in anderer Ausführung auch über der Maria im Maßwerk des Weihnachtsfensters. Durch das Sichtbarmachen der stigmatisierten rechten Hand auf der Christusseite und der erhobenen linken im Felde Gott-Vaters sind der Vater und der Sohn vollends zur Einheit eines Wesens verbunden. Die Füllung der Maßwerke ist der Verkündigung der Fenster angepaßt. So durch die Sterne über der Geburtsgeschichte und die Marterwerkzeuge des Passionsfensters, während im Maßwerk des Dreifaltigkeitsfensters die reiche Fülle der Regenbogenfarben ausmündet.

Der Künstler scheint bis zur Grenze des Möglichen in der Wiedergabe des Übersinnlichen gelangt zu sein. Das ist unser Gesamteindruck von den Fenstern, an denen man sich nie satt sehen kann. Immer wieder erhoben und innerlich bereichert nach der Entdeckung neuer Schönheiten scheiden wir aus dem Altarraum, dessen schönen Schmuck der Chorfenster unsere arme Generation den Kommenden übergibt, um die Quelle des inneren Reichwerdens und des Gottesfriedens zu zeigen, auf daß heute und morgen verkündet werde:

„Gott aber stehet ohn‘ alles Wanken.“

Auch gestern war dies das Zeugnis unserer Kirche.

„Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit.“ So stand es im früheren Triumpfbogen und verband die Gemeinde mit dem Ewigen, verband sie über die Konfessionen hinaus als Kinder Gottes mit der Vergangenheit.

Magister Johann Spangenberg war der erste evangelische Pfarer der St. Blasiikirche. Hatte Lorenz Süße schon vorher in der Petrikirche Luthers Lehre verkündigt, so fand die Reformation durch Johann Spangenberg, der aus Stolberg kam, in seiner Antrittspredigt am Sonntag Misericordias domini (10. April 1524) ihren Eingang in Nordhausen. Michael Meyenburg stand ihm zur Seite und wird als Kopf der Reformation in Nordhausen bezeichnet. Johann Spangenberg blieb immer ihr Herz als echter Schüler Luthers. Um die Reformierung des Schulwesens machte er sich sehr verdient. Als Generalsuperintendent nach Eisleben berufen, beschloß der durch Wort und Schrift angestrengt tätige Spangenberg nach vier Jahren dortiger Wirksamkeit am 13. Juni 1550 sein segensreiches Leben.

Aus der Reihe der nicht unbedeutenden Prediger unserer Kirche sei M. Johann Heinrich Kindervater noch hervorgehoben, der am 31. Oktober 1706 von der Regler-Kirche in Erfurt hierher kam und bis zu seinem Tode i. J. 1726 hier wirkte. Abgesehen von seiner segensreichen Seelsorgertätigkeit, in der er sich besonders bei den Feuerbrünsten seiner Pfarrkinder annahm, war er sehr rege „als Vater der Waisen“ in dem neugegründeten Waisenhaus. Er ist der Verfasser von sechzehn Schriften, u. a. der Feuer- und Unglückschroniken der Stadt Nordhausen. Am bekanntesten sind seine beiden Büchlein über die Blasiikirche (Gloria Templi Blasiani und Arcana). Er hat uns das Wort Luthers überliefert, der sagt: Er wisse keine Stadt am Harze und sonst, die sich dem Evangelio so bald unterworfen als die Stadt Nordhausen, des werde sie vor Gott und der Welt vor anderen in jenem Leben Ehre haben.

Soll uns dieses von Johann Heinrich Kindervater überlieferte Wort Luthers nicht Ansporn sein? Seit 1945 sind wir in eine neue Entwicklung unserer Kirche eingetreten. Diese äußert sich hier darin, daß Nordhausen der Sitz einer Propstei geworden ist. Die Blasiikirche wird die Hauptkirche der Stadt Nordhausen sein, zugleich die Propsteikirche. Eine weitere Änderung ist die Folge der Verringerung der Einwohnerzahl: Wir haben mit Wirkung vom 1. April 1949 die vereinigte Kirchengemeinde St. Jacobi-Frauenberg. Die Westgemeinde ist aus Teilen der Jacobi- und Altendorfer Gemeinde mit St. Nicolai II gebildet und wird den Namen Justus-Jonas-Gemeinde tragen. Das neue Siegel unserer Gemeinde wird in der Mitte die Blasiikirche zeigen. Auf der einen Seite den Stumpf des Petrikirchturmes, auf der anderen die Ruine der St. Nicolaikirche. Darin kommt zum Ausdruck, daß außer dem alten Teil der Nicolaigemeinde die Kirchengemeinde St. Petri mit St. Blasii vereinigt ist unter dem Namen St. Blasii-Petri. Drei Pfarrstellen sind vorgesehen. Vorläufig sind zwei davon besetzt, und zwar ist Propst Führ zugleich Pfarrer des Gemeindebezirks St. Petri/Nicolai I und der Verfasser dieser Zeilen weiterhin Pfarrer des Bezirks St. Blasii.

Wir blicken am heutigen Tage dankbar zurück und empor. „Alles vergehet“ — so klang es düster durch die Ruinen unserer Stadt. So klingt es heute noch. „Gott aber stehet ohn' alles Wanken“. — So sei der Inhalt der Verkündigung in unserer wiederhergestellten Blasiikirche. Wir sind dankbar, daß Gott uns die Kraft gegeben hat, die großen Schwierigkeiten, die wir bei der Wiederherstellung der Blasiikirche hatten, zu überwinden. Allen, die geholfen haben,1 sei aufrichtiger Dank gesagt: allen Werktätigen, allen Firmen, Unternehmern und Lieferanten, Herrn Architekt Schumann für seine Planung und Leitung, Herrn Bauführer Gutmann, Herrn Ältesten Baumgärtel als dem Vorsitzenden des Bauausschusses für seinen stets hilfsbereiten Einsatz, dem Bauamt unserer Stadt, und nicht zuletzt Herrn Oberbaurat Dr. Dobert, der uns mit Rat und Tat zur Seite stand. Die wiederhergestellte Blasiikirche ist auch ein Zeugnis der Opferfreudigkeit der Christen in aller Welt, unserer Provinzkirche und ihrer Leitung, der Gemeinde in allen ihren Gliedern und darüber hinaus. Für alle Hingabe, die uns in den letzten vier Jahren zuteil wurde, bleiben wir immer zu Dank verbunden. Soli deo gloria! Gott allein zur Ehre! — so wollen wir die Arbeit geleistet haben in Verbindung mit der Vergangenheit, der Zukunft entgegen. Denn wir stehen auf der Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wir haben keinen Anspruch auf Glück, aber wir wollen und dürfen Hoffnung auf Gnade haben, wenn unsere Schuld auch noch so groß ist. Unsere größte Schuld in der Vergangenheit waren menschliche Vermessenheit und maßloser Hochmut, der den Menschen allein anbetete. Möge uns diese Erkenntnis zur demütigen Dankbarkeit führen. „Denn alles vergehet, Gott aber stehet ohn‘ alles Wanken.“ So wollen wir zum Vater Jesu Christi im Hoffen und Glauben aufschauen:

„Du bist ja doch unter uns, Herr, und wir heißen nach deinem Namen; verlaß uns nicht!“