Weitere Wirrungen; die Verhandlungen zwischen Preußen und Hannover; der Erwerb der Aemter durch Nordhausen

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Autor: Hans Silberborth
Titel: Preußens Ansprüche auf Nordhäuser Stadtflur und die Verhandlungen vor der Kaiserlichen Kommission in Goslar
Untertitel:
aus: Preußen und Hannover im Kampfe um die Freie Reichsstadt Nordhausen
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1936
Verlag: Verlag Theodor Müller
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Erscheinungsort: Nordhausen am Harz
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IV.
Weitere Wirkungen; die Verhandlungen zwischen Preußen
und Hannover; der Erwerb der Aemter durch Nordhausen.


Wesentlich durch Preußen war nach dem plötzlichen Tode Josephs I. die Nachfolge des Römischen Kaisers schnell geklärt worden. Wider Erwarten hatte sich Preußen sofort für die Wahl von Josephs Bruder Karl entschieden; der Wiener Resident von Bartholdi reiste eigens nach Spanien, um den daselbst gegen Frankreich kämpfenden Habsburger der Ergebenheit des preußischen Monarchen zu versichern. Preußen hoffte für seine wahrlich hochherzige Bereitwilligkeit Entgegenkommen. Es wurde wieder bitter enttäuscht; auch in seinen Nordhäuser Angelegenheiten.

Preußen hatte seit 1710, seitdem die kaiserliche Kommission keine Aenderung in den Zuständen erzielt hatte, die Freie Reichsstadt fester denn je in der Hand. Selbst große Teile der Bürgerschaft hatten nach und nach ihren Widerstand aufgegeben. In der Hauptsache waren und blieben es nur die Bürgermeister und Ratspersonen, die hartnäckig ihre alte Reichsfreiheit, d. h. ihre alten Vorrechte verteidigten und Preußen Abbruch taten. Da aber unter diesen nur wenige fähige Leute waren — die besten Kräfte verhielten sich, wenn sie nicht überhaupt mit Preußen sympathisierten, doch neutral —, so war eigentlich der einzige gefährliche Gegner der Bürgermeister Hoffmann. Konnte Preußen diesen Mann ausschalten, so hatte es gewonnenes Spiel. Um ihn einzuschüchtern, ging unter dem 24. April 1712 aus Cölln an Nordhausen ein „in harten terminis wider Bürgermeister Hoffmann" gehaltenes Schreiben: Wenn er seine Hetze gegen Preußen nicht einstelle, werde Preußen endlich „andere Mittel gegen ihn ergreifen". Hoffmann trat darauf sogleich seine vierte Reise nach Wien an. Daß er dort schon längst geknüpfte Beziehungen ausnutzte, sollte Preußen alsbald zu spüren bekommen.

Schon am 18. Juni mußte Hofrat Günther Riemann, der immer mehr dem alternden Schultheißen Röpenack zur Hand ging, für Berlin ein Gutachten abfassen, wie man am besten die Wirksamkeit Hoffmanns in Wien paralysieren könne. Riemann meinte, man solle in Wien vorstellen, daß Preußen die Aemter rechtmäßig erworben habe und Uebergriffe nicht vorgekommen seien, am allerwenigsten Immedietätsverletzungen. Das Militär sei nicht zur Besetzung der Stadt und Unterdrückung der Bevölkerung vorhanden, sondern nur aus dem Grunde, daß die Aemter ordnungsgemäß verwaltet werden könnten. Dem Einwande, daß Preußen die kaiserliche Kommission erst hinausgezögert, dann durch sein Austreten unwirksam gemacht habe, könne man mit dem Hinweis begegnen, daß Preußen jederzeit zu jeder Einigung bereit gewesen wäre, wenn die Kommission nicht vor allen Verhandlungen den Abzug der Truppen verlangt hätte. Aus die Beschwerden Hoffmanns über gewisse Aeußerungen des Generals Lethmat: Nordhausen solle Preußen als Erbherrn anerkennen, es solle beim Kaiser „um Erlaß aus seinen Pflichten nachsuchen" — auf diese Beschwerden gehe der Vertreter Preußens in Wien besser nicht ein.[1]

Doch die Gegenwirkung Preußens in Wien war nicht stark genug. Einmal war ja Preußens Standpunkt herzlich schwach fundiert; doch das wesentliche war, daß man im Reich das ehrgeizige und offenbar schon viel zu mächtige Preußen nicht emporkommen lasten wollte. So kam es denn, daß Karl VI. genau wie seine Vorgänger Leopold und Joseph am 23. August 1712 Nordhausen jeden Vergleich mit Preußen verbot. Da ferner damals Preußen ja vor allem von der Stadt den abermaligen Abschluß der Schutzherrlichkeit verlangte, erging an sie am 16. September der Befehl, die Stadt solle von keiner Macht, welche es auch sei, den Schutz annehmen. Schließlich folgte am 28. November noch die kaiserliche Ermahnung zu beständiger Treue und zum Ausharren beim Reiche. So hatte Hoffmann wieder einmal mancherlei erreicht.

Erst seit dem September 1712 konnte der vielgewandte Bartholdi, der in mancherlei Missionen häufig von Wien abwesend war, die Sache seines königlichen Herrn, auch was Nordhausen anlangt, wieder vertreten. Daß mit den Begründungen, die ihm der preußische Schultheiß in Nordhausen an die Hand gab, nicht viel zu erreichen war, bemerkte er natürlich sofort. Deshalb versuchte er unter Benutzung einer anderen preußischen Angelegenheit auch hinsichtlich Nordhausens zum Ziele zu kommen.

Immer dringlicher wurde es, die Verwaltung des Niedersächsischen Kreises neu zu regeln. Die Kreisdirektion befand sich noch immer in Händen einer außerdeutschen Macht: Schwedens; und dieses Schweden war nun im Sommer 1712 in größte Bedrängnis geraten. Die Erfolge Dänemarks seinen deutschen Besitzungen gegenüber sind schon oben erwähnt; dazu kam, daß Hannover in Verden eingerückt war. Schweden hatte also tatsächlich Bremen und Verden, auf die seine Kreisdirektion gegründet war, schon so gut wie verloren; es gehörte kaum noch dem Kreise an. Da wollte nun endlich Preußen für Magdeburg und Halberstadt in das Direktorium hinein. Freilich offenbarte sich auch hier seine Rivalität mit Hannover. Hannover besaß ja im Kreise eine ganz ähnliche Stellung wie Preußen. Es hatte ausgedehnte Gebiete in Niedersachsen, gehörte aber bisher mit Rücksicht auf die ältere welfische Linie Braunschweig-Wolfenbüttel noch nicht dem Direktorium an. Daß es Preußen mindestens solange entgegentrat, wie es selbst von der Direktion ferngehalten wurde, war unzweifelhaft. Und so begann denn Hannover, um sich durchzusetzen, dasselbe Spiel wie Preußen. Preußen wollte in das Kreisdirektorium, weil es hoffte, als Direktor sich die Nordhäusische Beute sichern zu können. Hannover benutzte den Eingriff Preußens in Nordhausen, um darauf hinzuweisen, daß ein so gefährlicher Staat nicht Kreisdirektor werden könne. Besonders beim Reichstage in Regensburg suchte es dieser Ansicht Geltung zu verschaffen. Am 30. Juni 1712 stellte daselbst der hannoversche Resident dem Kurkollegium vor, daß allein die Besetzung Nordhausens die traurigsten Zustände im Niedersächsischen Kreise schaffe und kein Kreistag abgehalten werden könne. Freilich verstand demgegenüber der preußische Resident klarzulegen, daß die Neuordnung der Kreisverwaltung herzlich wenig mit der Nordhäuser Frage zu tun habe. Deshalb gaben Kur-Trier, Kur-Böhmen und Kur-Pfalz dem preußischen Residenten auch Recht, der Streit um Nordhausen sei kein Anlaß, die Kreistagungen ausfallen zu lassen.[2]

Durch die Verquickung der Kreissache mit der nordhäusischen gelang es Bartholdi, besonders im November 1712, die Dinge vorwärts zu treiben. Bartholdi hatte mehrere Aussprachen mit dem Vizekanzler Grasen von Schönborn und meinte, nur Hannover hintertreibe die gütliche Einigung. Seine Vorstellungen bewirkten, daß der Kaiser sich davon überzeugte, daß Preußen in das Direktorium des Kreises eintreten und baldigst ein Kreistag stattfinden müsse. Offenbar erhoffte der Kaiser auch durch dieses Entgegenkommen, daß das im Nordischen Kriege noch immer schwankende Preußen endlich gegen Schweden aufträte. Andererseits vermochte Bartholdi der preußischen Auffassung hinsichtlich Nordhausens keine Geltung zu verschaffen. Nicht ganz mit Unrecht wies der Kaiser darauf hin, Preußen gebe mit der Besetzung der Freien Reichsstadt anderen Mächten das schlechteste Beispiel. Die Dänen behaupteten wieder und wieder, daß, wenn sich Preußen herausnehmen könne, die Freie Reichsstadt Nordhausen zu vergewaltigen, sie mit demselben Rechte die Freie Reichsstadt Hamburg in Holstein einverleiben könnten: „Dänischerseits versteift man sich auf dieses Exempel, wider Hamburg zu verfahren und sich an keine kaiserliche Abmachung zu kehren.[3]

Kurz: Während auch Ende 1712 die Nordhäuser Angelegenheit noch in der Schwebe blieb, betrachtete sich Preußen seitdem im Mitbesitz des Direktoriums des Niedersächsischen Kreises. Deshalb wandte es sich schon am 4. Dezember 1712 an Nordhausen mit der Aufforderung, die Kreisumlage zu entrichten, da der im Kreise wütende Nordische Krieg Ausgaben verursache. Unter dem 19. Dezember schrieb Nordhausen zurück: Da Ihro Kgl. Majestät in Dänemark das Hieatvum Kolli auch in diesem Kreise aufgerichtet habe, erfordere es wohl die allgemeine Wohlfahrt, dem ausbrechenden Kriegsfeuer mit vereinten Kräften entgegenzutreten. „Wir können aber vorgängig nicht umhin, wegen des von uns erforderten Betrages allerunterthänigst vorzustellen, daß unser gar elendes und reichskundiges depauperiertes Stadtwesen uns in einen miserablen Zustand gesetzt, daß die ruinierte Stadt und Bürgerschaft außer aller Aktivität, einen Beitrag zu tun, gesetzt ist."[4]

Die endgültige Regelung der Kreisdirektion zwischen Hannover und Preußen geschah am 1. Juni 1714.[5] Jedenfalls vermehrte der Eintritt Preußens in das Kreisdirektorium seinen Einfluß auf Nordhausen.

Ein anderer Weg, die Dinge zu verwirren, so daß niemand mehr Recht von Unrecht scheiden konnte, oder die Verhandlungen solange hinauszuzögern, bis eine klare Entscheidung kaum noch getroffen werden konnte, war der damals bei der Verworrenheit aller Reichsinstanzen so beliebte, eine Reichsgewalt gegen die andere auszuspielen. Nordhausen hatte ja alle Eingriffe Preußens beim Kaiser und Reichshofrate in Wien anhängig gemacht, auch die preußische Zollerhöhung und die Fortnahme eines Teiles des Stadtterritoriums. Nun hatte aber Preußen durch emsige archivalische Studien herausgefunden, daß einstmals seit 1523 generationenlang die Grafen von Honstein mit der Freien Reichsstadt in Speyer beim Reichskammergericht um die Wertherflur prozessiert hatten, natürlich ohne je eine Entscheidung zu bekommen. So zog denn Preußen den Streit um das Territorium auch dorthin, beschuldigte Nordhausen, es habe bei währendem Prozeß eine andere Instanz angerufen, und hoffte jedenfalls, daß die Auseinandersetzungen in Wetzlar sich ewig hinzögern und daß es selbst ebenso lange im Besitze des strittigen Objekts sein werde.

Die völlig unhaltbaren Zustände beim Reichsgericht in Wetzlar hatten 1704—1711 zu einer Suspendierung der Verhandlungen in Wetzlar geführt.[6] Joseph I., tatkräftig wie er war, hatte erst langsam wieder Wandel schaffen müssen; seit 1711 hatte das Reichsgericht seine Tätigkeit wieder ausgenommen, und flugs benutzte Preußen das 1711 mit Josephs Tode eintretende Interregnum, Wien und den Reichshofrat auszuschalten und das Reichskammergericht anzurufen. Beide Gerichtshöfe waren eifersüchtig aufeinander. Schon am 15. Oktober 1712 betonte Wetzlar, die Territorialsache gehöre vor sein Forum. Und am 20. November verkündete ein Reichsgerichtsmandat, die Sache „sei seit 100 Jahren beim Reichsgericht anhängig und dürfe vor kein anderes Gericht gezogen werden bei Strafe von 10 Mark lötigen Goldes." Eine von den vielen Schalkhaftigkeiten der Geschichte war es, daß Preußen entrüstet behauptete, Nordhausen wolle die Sache vor dem Reichshofrate und nicht vor dem Kammergericht nur deshalb verhandelt haben, um sie auf die lange Bank zu schieben.[7]

So verwirrten sich, schon allein durch die völlig unmögliche Reichsverfassung, die Dinge weiter, und es mochte wohl geschehen, daß allein die unhaltbaren Zustände im Reiche genügten, eine stärkere Macht zur Vergewaltigung einer schwächeren anzureizen. Trotz des Kaisers und trotz anderer Gegenspieler mußte Nordhausen allmählich eine preußische Landstadt werden. Auch die Verhältnisse in den Klein- und Kleinststaaten des Römischen Reiches drängten dazu.

Schon von Beginn des preußischen Eingreifens in Nordhausen an war in der Stadt eine kleine preußische Partei vorhanden. Doch diese reichsstadtfeindlichen Kräfte konnten bis zum Jahre 1710 kaum wagen, ihr Haupt zu erheben: Die wenigen Besitzenden und Gebildeten wagten zuviel, und die große Mäste der unzufriedenen Kleinbürger wußte sich keinen Rat. Nun war aber seit Beginn des Jahres 1711 klar, daß auch die kaiserliche Kommission der Stadt nicht im geringsten helfen konnte. Seit diese Kommission versagt hatte, mehrten sich die Stimmen, man solle das Spiel gegen Preußen aufgeben, gegen Preußen, das wahrscheinlich zwar ein recht unbequemer Herr sein werde, das eher alle Kreise der Bevölkerung in politischer und sozialer Beziehung gerecht zu behandeln versprach. Die Opposition gegen die Bürgermeister und Ratsherren erhob ihr Haupt.

Die Führer bei solchen Revolutionen sind immer einige wenige Unzufriedene, die denjenigen Kreisen angehören, gegen die selbst die Erhebung gerichtet ist. Hier ging die Beschwerde zunächst aus von einigen wohlhabenden Bürgern, welche die Brauvorrechte der Bürgermeister angriffen. Ihnen gesellte sich mancher studierter Mann zu, der nur zurückgehalten wurde, weil seine geistige Überlegenheit die Schwachköpfe im Rate hätte verdrängen können. So neigten die beiden juristischen Angestellten der Stadt, die Sekretäre Heidenreich und Titius, je länger, je mehr der preußischen Seite zu. Die wirtschaftlich benachteiligten Kreise schlössen sich mit den politisch benachteiligten zusammen. Im Jahre 1712 nahmen die Unzufriedenen sogar Johann Heinrich Eckhardt, dessen Familie schon lange preußisch gesinnt war, als Syndikus an. Dieser und die Bürger Heinrich Andreas Stuß, ein ehemaliger Offizier, Christian Martin Knochenhauer, ein Branntweinbrenner, sowie Michael Christian Eckhardt, Heinrich Christian Ibe, Joh. Matthias Jordan und Heinrich Müller beschlossen jetzt energisch gegen Bürgermeister und Rat vorzugehen.

Schon Ende des 17. Jahrhunderts war von Nordhausen aus eine Beschwerde an den Kaiser wegen der Brauvorrechte der Bürgermeister, wegen des sogenannten Vorgebräus, gelangt. Jetzt war der Bürgermeister Offney, die Kreatur Joh. Günther Hoffmanns, der schlimmste. Politisch unfähig, wie er war, hatte seine Wahl die Studierten gekränkt, und nun ins Amt gekommen, nutzte er dieses zu seinem Vorteile aus, so daß er die besitzenden Kreise aufbrachte. Es hieß von Offney, daß er „aus einer angemaßten, ganz unumschränkten Macht und souveränen Potestät" handele.[8]

Da man wußte, daß Hannover hinter den Regierenden stand, wandte man sich am 27. August an Preußen um Gerechtigkeit und Ordnung, ein für Hannover sehr peinlicher Schritt. Damals ging aus gut reichsstädtischen, aber rechtlich denkenden Kreisen ein Bericht an Hannover, der klarlegt, daß jede preußische Schreckensherrschaft besser sei als die Knechtung aller Tüchtigen und Rechtschaffenen unter der Fahne der Reichsfreiheit. Hannover suchte die beschwerdesührenden Bürger zu beruhigen: Es werde alles nach Wunsch erledigt, wenn erst der Hauptfeind, Preußen, aus der Stadt sei. Zugleich versuchte es mäßigend auf die Regierenden, vor allen auf Hoffmann und Offney, einzuwirken. Der Minister Hattorf in Hannover, der den Fall Nordhausen sür seinen Kurfürsten bearbeitete, beauftragte den Juristen und Hannöverschen Rat Elias August Stryck mit der Vermittlung.[9]

Stryck weilte im Oktober 1712 im hannöverschen Ilfeld und Niedersachswerfen und lud nach dorthin die streitenden Parteien vor. Der preußische Schultheiß Röpenack, der natürlich nicht gestatten konnte, daß eine mit Preußen rivalisierende Macht als Schlichter über Nordhäuser Streitigkeiten auftrat, verbot zwar, dem Rufe Folge zu leisten; dennoch fanden sich am 24. Oktober die beschwerdeführenden Bürger und der angeklagte Magistrat ein. Stryck erreichte nichts mit seinem Vermittlungsversuch. Draußen in Ilfeld hatte Bürgermeister Hoffmann wohl versprochen, das Vorgebräu der Bürgermeister fallen zu lallen „gegen ein gewisses Geld", als aber der Magistrat nach der Aussprache mit Stryck am 25. Oktober die unruhigen Bürger auf das Rathaus zu Verhandlungen beschied, erklärte man ihnen, der Rat könne in keine ihrer Forderungen willigen. Hoffmann hatte sich von der Sitzung wegen Krankheit beurlauben lassen. Die Bürger beschlossen nun, sich beim Kaiser zu beschweren und ihn zu bitten, Braunschweig-Wolfenbüttel als kaiserlichen Kommissar für die Entscheidung dieser Händel einzusetzen.[10]

Gänzlich unbelehrbar, wie meist bei solchen innerpolitischen Streitigkeiten, weil sie schon zu lange unkontrolliert und ungestraft die Volksgenossen terrorisieren konnten, waren die bevorrechteten Schichten. Hoffmann hat sich sicher große Verdienste im Kampfe um die Selbständigkeit der Reichsstadt erworben; die Beweggründe dieses einstigen Rechtsanwaltes für sein Eintreten müssen im wesentlichen egoistischer Art gewesen sein. Nirgends findet sich bei diesem damals in Nordhausen fast allmächtigen Mann auch nur ein Ansatz, daß er mäßigend auf die Ausbeutungssucht der herrschenden Kreise eingewirkt hätte.

Dieses absprechende Urteil über Hoffmann wird gestützt durch sein Verhalten bei den Ratswahlen. Einer der schlimmsten Mißstände in diesen sogenannten demokratischen kleinen Stadtrepubliken Deutschlands, wie es Mühlhausen und Nordhausen waren, bestand darin, daß immer nur dieselben Geschleckter die einflußreichsten Stellen besetzten und daß, wenn eine Ratsstelle einmal frei wurde, nicht Tüchtigkeit und Wert den Ausschlag gab, sondern das Bestechungsgeld, das den maßgebenden Bürgermeistern und Ratsherrn gezahlt werden mußte. Dieses System verewigte aber nicht nur die schlimmsten Ungerechtigkeiten, sondern wirkte sich auch für die gesamte Politik der Stadt insofern verheerend aus, als schließlich kaum ein tauglicher Mann im Ratskollegium saß und die Stadt von einem Angestellten, ihrem Syndikus, geleitet wurde oder aber von einem klugen, meist ziemlich gewissenlosen Manne, wie etwa im 17. Jahrhundert fast ein halbes Jahrhundert lang von Dr. med. Frommann, dann im 18. Jahrhundert erst von Hoffmann, später von dem zunächst dem Rate opponierenden Riemann. Auch hier verdarb das System nicht bloß den Charakter des einzelnen, sondern wirkte sich auch zum Unsegen des Staatswesens aus. Diese kleinen, nur von ihren katzbuckelnden Kreaturen umgebenen und keiner öffentlichen Kritik ausgesetzten Autokraten wurden nicht nur für sich hochfahrend und überheblich, sondern wurden auch, ohne Kontrolle und Kritik wie sie waren, allmählich so engstirnig, daß sie die Welt Nordhausens für die ganze Welt ansahen und mit dieser Anschauung doch zuweilen, auch für das ganze Staatswesen, recht trübe Erfahrungen machen mußten, wenn sie nicht gar Verbrechernaturen waren, die die Mittel der Allgemeinheit gebrauchten, um ihre Taschen zu füllen. Um ihre Alleinherrschaft zu sichern, lag diesen Männern alles daran, tüchtige Leute nicht etwa zu begünstigen, sondern fernzuhalten von den Geschäften. Durch derart verrottete Zustände mußten weitblickende Männer, die nicht um des augenblicklichen Vorteils willen das hohe Gut der Reichsfreiheit an Preußen verlieren wollten, doch allmählich auf die preußische Seite gedrängt werden. So hieß es schon 1711, daß man den Bürgermeister Pauland dem Kaiser abspenstig machen und zu den Preußen hinüberziehen wolle.[11]

Der Sekretär Heidenreich neigte nach und nach zu den Preußen und mußte im März 1713 zeitweilig suspendiert werden. Die schlimmste Vergewaltigung durch Hoffmann erlitt der zweite Sekretär Titius, der Sohn des großen Stadtsyndikus Titius und der Bruder des berühmten sächsischen Rechtsgelehrten. Selbst von Hannover, das doch die Partei des Rates unterstützte, wurde Titius als der beste Kopf in Nordhausen bezeichnet; man bat, ihn in den Magistrat zu wählen. Wegen seiner Rechtlichkeit hing die gesamte Bürgerschaft ihm an. Aber gerade diese Rechtlichkeit und Tüchtigkeit mußte dem Bürgermeister Hoffmann im Wege stehen. Unter dem Vorwande, er sei in der preußischen Grafschaft Hohnstein begütert und deshalb nicht genügend unabhängig, verhinderte Hoffmann am 6. Januar 1713 seine Wahl.[12]

Dagegen setzte Hoffmann die Wahl solcher Subjekte, wie es der Gewandschnitter Offney war, durch, und im Januar 1713 war es in Nordhausen offenes Geheimnis, daß er dadurch, daß er seine Leute in den Rat gebracht habe, 1000 Taler Bestechungsgelder verdient habe. So war es, was natürlich für Hannover sehr betrüblich war, dahingekommen, daß „die Bürger lieber vom Könige von Preußen regiert werden wollten als von einem Bürgermeister, der alles nach seinem Kopfe tue". Hoffmann selbst hielt es für angebracht, nach Hannover zu reisen und sich von den Vorwürfen zu reinigen. Er beschönigte sein ganzes Verhalten, indem er es so darstellte, als ob es sich nur um „querulierende Bürger" handele, und da Hannover im Kampfe gegen Preußen diesen skrupellosen Mann nötig hatte, tat es so, als ob es seine Beweisführung Glauben schenkte. Auch ein Brief Hoffmanns vom 17. Januar 1713 an Hannover zeigt nur seine engstirnige Selbstsucht.[13]

  1. Pr. St.
  2. Bericht des preußischen Residenten vom 11. Juli 1712.
  3. Pr. St.
  4. Nordh. Archiv, N. F. 1064.
  5. Löwe, Preußens Staatsverträge aus der Zeit König Friedrich Wilhelms I.
  6. Förstemann, Zur Geschichte der preußischen Monarchie, Nordhausen, 1867.
  7. Nordhäuser Archiv signiert.
  8. Hannover, Cal. Br. Arch. Des 24 Nordh. 12.
  9. E. A. Stryck ist ein Neffe des berühmten Samuel Stryck, der erst in Frankfurt a. O., dann in Halle Ordinarius der juristischen Fakultät war. E. A. Stryck war in Kiel Professor, dann wurde er Kurbraunschweigischer Rat. Als solcher ist er 1733 gestorben. — Vergl. den Brief der Stadeschen Regierung an den Kaiser. Nordh. Archiv, N. F. 757.
  10. Bericht Röpcnacks vom 27. Oktober 1712. Pr. St. — Ueber das Nordhäuser Brauwesen vergl. Silberborth, Gesch. der Freien Reichsstadt Nordhausen, 525 ff. Das gröbste Unrecht wurde erst 1726 durch eine neue Brauordnung beseitigt.
  11. Nordh. Archiv N. F. 757.
  12. Trisebergs Bericht an Hannover vom 16. Januar 1713.
  13. Hannover, Des 24 Nordh. 13.