Konzentrationslager Mittelbau-Dora

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Das Konzentrationslager Mittelbau-Dora, auch bekannt als Dora-Mittelbau, wurde am 28. August 1943 als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald errichtet. Es befand sich am Südhang des Kohnsteins, nördlich von Nordhausen und westlich von Niedersachswerfen. Ursprünglich unter der Bezeichnung Arbeitslager Dora geführt, diente es primär als Produktionsstätte für die Mittelwerk GmbH, wo Kriegswaffen wie die V2-Rakete und die V1-Flugbombe hergestellt wurden.

Die Gefangenen wurden hauptsächlich im Stollen bzw. in den unterirdischen Fertigungsanlagen eingesetzt. Im Oktober 1944 erlangte das Lager unter der Bezeichnung Konzentrationslager Mittelbau eigenständigen Status und wurde direkt vom SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt verwaltet. Dem Hauptlager wurden zahlreiche Nebenlager und Außenkommandos zugeordnet, wodurch der Lagerkomplex fast 40 Nebenlager umfasste.

Während der 18 Monate seines Bestehens wurden rund 60.000 Gefangene aus 21 verschiedenen Nationen in Mittelbau-Dora interniert. Etwa 20.000 Häftlinge des Lagers verloren aufgrund der extremen Arbeits- und Lebensbedingungen ihr Leben. Am 11. April 1945 wurde das Lager von der US-Armee befreit.

Heute dient das ehemalige Lagergelände als Gedenkstätte Mittelbau-Dora, die an die Geschichte des Lagers und seine Opfer erinnert.

Vorlauf

Raketenfertigung in Peenemünde

Für die ab 1943 geplante Serienfertigung der deutschen Aggregate 4 (A4) Rakete, besser bekannt als V2, ergab sich in den Produktionsstandorten wie Peenemünde die dringende Frage nach ausreichenden Arbeitskräften. Im April 1943 empfahl der "Arbeitseinsatz-Beauftragte" Jaeger im Sonderausschuss A4 den Einsatz von KZ-Häftlingen für die Raketenmontage. Diese Empfehlung wurde von den Leitern der Heereswaffenamts und in Peenemünde bereitwillig aufgegriffen.

Eine Delegation unter Leitung des leitenden Ingenieurs Arthur Rudolph besichtigte die Heinkel-Werke in Oranienburg, wo bereits KZ-Häftlinge eingesetzt wurden. Rudolphs anschließender Bericht warb offen für den Häftlingseinsatz und pries die günstigen Unterbringungskosten, die Arbeitsleistung der Häftlinge sowie die Übernahme der Bewachung durch die SS. Auch die bessere Geheimhaltung der Raketenproduktion durch den Einsatz von KZ-Insassen wurde als Vorteil angeführt.

Bereits am 19. April 1943 verfügte der Sonderausschuss A4, dass in der Montagehalle Fi in Peenemünde KZ-Häftlinge eingesetzt werden sollten. General Walter Dornberger begrüßte ebenfalls die geplante Zwangsarbeit und besprach zusammen mit Ausschussmitgliedern beim Besuch der zukünftigen Montagewerke in Friedrichshafen und Wiener Neustadt den "geschlossenen Einsatz" von insgesamt 2200 Häftlingen aus Konzentrationslagern.

Am 17. Juni 1943 trafen die ersten 200 KZ-Häftlinge aus Buchenwald in Peenemünde ein, zur Hälfte Deutsche und Russen. Sie wurden zunächst mit dem Bau eines Drahtverzaunung um die Halle Fi beauftragt. Am 11. Juli folgte ein Transport mit 400 weiteren Häftlingen, überwiegend französische Zivilisten ohne Fachausbildung, was bei den Verantwortlichen auf Unmut stieß. Beide Häftlingstransporte waren ohne vorherige fachliche "Musterung" der Insassen zusammengestellt worden.

Am 4. August 1943 fiel die Entscheidung, die gesamte A4-Fertigung in den vier Serienwerken Peenemünde, Wiener Neustadt, Friedrichshafen und Berlin-Falkensee durch insgesamt 6500 KZ-Häftlinge vornehmen zu lassen. Der schwere britische Luftangriff auf Peenemünde in der Nacht vom 17. auf 18. August 1943 machte diese Pläne jedoch zunichte. Zahlreiche der eingesetzten Häftlinge wurden dabei getötet oder verletzt.

Nach dem Angriff wurden die Produktionspläne geändert. Das neue zentrale Montagewerk für die A4 entstand in den unterirdischen Stollenbauwerken des Kohnstein-Massivs bei Nordhausen. Dorthin wurde auch die Produktionsausrüstung aus den anderen geplanten Standorten verlegt. Die bisher in Peenemünde eingesetzten KZ-Häftlinge wurden Mitte Oktober 1943 über das KZ Buchenwald in das neu errichtete Außenlager Mittelbau-Dora des KZ Buchenwald verlegt. Dort mussten sie wie weitere aus Buchenwald verlegte Häftlinge unter schwersten Bedingungen den Ausbau der unterirdischen Stollenanlagen vorantreiben.

Obwohl das Häftlingslager in der Montagehalle Fi im Oktober 1943 aufgelöst wurde, blieb ein kleineres KZ-Außenlager bei der Luftwaffenerprobungsstelle Peenemünde-West bis Frühjahr 1945 bestehen. Die dort inhaftierten Häftlinge wurden bei verschiedenen Bau- und Montagetätigkeiten auf dem Flugplatz, im Hafen sowie auf den Heeresversuchsanlagen eingesetzt.

Im Februar 1945 ließ die SS einen Großteil der Häftlinge aus Peenemünde abtransportieren. Sie wurden per Schiff und Bahn zunächst in das Außenlager Ellrich-Juliushütte verlegt, bevor sie im April das Hauptlager Mittelbau-Dora erreichten. Die rund 250 in Peenemünde verbliebenen Häftlinge wurden Mitte April auf einen Todesmarsch in Richtung Rostock getrieben. Die Überlebenden konnten Anfang Mai 1945 von der Roten Armee befreit werden.

Errichtung des Lagers am Kohnstein

Unterbringung im Stollen und Raktenproduktion

Als die ersten 107 Häftlinge am 28. August 1943 aus dem Lager Buchenwald eintrafen, war die unterirdische Stollenanlage im Kohnstein-Massiv bereits weit fortgeschritten. Der 1.800 m lange Fahrstollen B durchzog das Massiv von Nord nach Süd, während der parallele Fahrstollen A noch etwa 200 m fehlte. Insgesamt 42 Querstollen ("Kammern") von je 166 m Länge verbanden die beiden Hauptstollen und waren als Lager- und Montagehallen für die A4-Raketen vorgesehen. Die Kammern 25-42 waren kreisrund ausgebrochen, um große Tanks von 70 m Länge für die Raketenmontage aufzunehmen.

In den Fahrstollen A und B mussten noch Planierungsarbeiten sowie der Einbau von Gleis- und Belüftungssystemen erfolgen. Auch fehlten noch Transformatorstationen, Licht-, Wasser- und Heizungsanlagen. Schließlich waren in einigen Kammern Werkstätten, Büros und Lagerräume einzurichten. Der komplette Stollenausbau wurde im Januar 1944 abgeschlossen.

Da die oberirdischen Bauarbeiten für das geplante Barackenlager zunächst kaum vorangingen, wurden die Häftlinge anfangs notdürftig in Zelten vor dem Stollenmundloch untergebracht. Ab Oktober 1943 sperrte die SS sie in den Kammern 39 und 43-46 ein, in denen vierstöckige Holzpritschen errichtet wurden. Die katastrophalen hygienischen Verhältnisse in diesen "Schlafstollen" mit Enge, Gestank, Ungeziefer und fehlenden sanitären Anlagen führten in Verbindung mit Hunger, Krankheiten und den mörderischen Arbeitsbedingungen zu enormen Verlusten. Ende 1943 befanden sich bis zu 10.000 Häftlinge in dieser unterirdischen Massenunterkunft.

Bis März 1944 starben nach Zählungen der SS über 3.000 Häftlinge im oder am Kohnstein, weitere 3.000 wurden nach Majdanek und Bergen-Belsen deportiert, da sie für die Arbeit zu geschwächt waren. Das entsprach einer Sterblichkeitsrate von etwa einem Drittel der bis dahin 17.000 nach Dora gebrachten Häftlinge. Das Massensterben wurde von den Lagerverantwortlichen hingenommen, solange die Raketenproduktion noch nicht angelaufen war.

Bereits im Herbst 1943 war der Bau eines oberirdischen Lagers auf der Südseite des Kohnsteins geplant worden. Priorität hatten jedoch zunächst die Unterkünfte für SS-Wachmannschaften, von denen bis Ende 1943 die Hälfte fertiggestellt war. Das eigentliche Häftlingslager mit Unterkunfts-, Wirtschafts- und Sanitätsbaracken wurde erst im Sommer 1944 bezugsfertig, so dass viele Häftlinge über ein halbes Jahr in den Stollen ausharren mussten.

Mit der schrittweisen Inbetriebnahme der Produktionsanlagen ab Januar 1944 mussten die Häftlinge schließlich als Arbeitskräfte geschont werden. Im März waren die Montagehallen für die V2-Endmontage weitgehend fertiggestellt, darunter auch die große Prüfhalle 41 mit 16 m Deckenhöhe zum Aufstellen der 14 m langen Raketen. Die ersten Raketen verließen das Werk bereits an Silvester 1943, wenn auch mit erheblichen Qualitätsmängeln.

Aufbau der oberirdischen Lagers

Mit der Aufnahme der Raketenmontage änderten sich die Anforderungen an die Arbeitskräfte grundlegend. Während zuvor überwiegend einfache Hilfsarbeiter bei den Bauarbeiten eingesetzt wurden, benötigte man nun für die Fertigung qualifizierte und leistungsfähige Fachkräfte. Im Gegensatz zu den Baustellen, wo die Ausbeutung der Arbeitskraft im Vordergrund stand, gab es in der Fertigung technische und wirtschaftliche Grenzen für einen derart exzessiven Ressourcenverbrauch. Insbesondere die Arbeit an den sensiblen Raketenbauteilen erforderte hochspezialisierte Facharbeiter, und selbst die ungelernten Kräfte mussten in einem längeren Anlernprozess geschult werden. Somit lag es im ökonomischen Interesse des Betriebsleiters, die Lebensbedingungen der Häftlinge deutlich zu verbessern, um ihre Arbeitskraft zu erhalten.

Eine Hauptursache für die hohe Krankheits- und Sterblichkeitsrate waren die katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den unterirdischen Schlafstätten. Um die Arbeitsleistung zu steigern, war es unerlässlich, die Häftlinge in oberirdische Baracken zu verlegen. Nach Fertigstellung der Produktionsanlagen und Gebäude für die Wachmannschaften, wurde ab Januar 1944 das für den Bau eingesetzte Häftlingskommando sukzessive aufgestockt. Auf dem von Zäunen und Wachtürmen gesicherten Gelände entstanden neben Wirtschaftsgebäuden zahlreiche Baracken für Verwaltung und Unterkunft. Im Sommer 1944 kamen dann noch das Krematorium und das als "Bunker" bezeichnete Gefängnisgebäude hinzu.

Vor der Errichtung der Baracken mussten im hügeligen Gelände umfangreiche Erdbewegungen durchgeführt werden, um ebene Bauflächen zu schaffen. Die Baracken wurden überwiegend aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt, die per Bahn angeliefert und von den Häftlingen mühsam zum Lager transportiert werden mussten. Zusätzlich wurde eine Schmalspurbahn zur Versorgung verlegt sowie Zufahrtsstraßen und Teile des Appellplatzes befestigt.

Im Spätsommer 1944 zeigte sich das Lager in seiner endgültigen Gestalt: Das Eingangstor lag zwischen zwei langen Verwaltungsbaracken für SS und Gestapo. Dahinter befand sich der große Appellplatz, gesäumt von weiteren Wirtschafts- und Verwaltungsgebäuden. Links neben dem Platz lagen die als "Sportplatz" bezeichnete Fläche und das Gefängnisgebäude. Auf der rechten Seite die Bibliothek, später auch ein Bordell, dann einige Unterkunftsbaracken und der Häftlingskrankenbau mit Krankenstation und dem auf einem Hügel errichteten Krematorium. Im hinteren Bereich konzentrierten sich die über 50 Unterkunftsbaracken, viele durch den aus Tarnungsgründen stehengelassenen Wald verdeckt.

Ab Dezember 1943 wurden die Häftlinge nach und nach aus den Stollen in die neuen Baracken verlegt, ein Prozess der sich bis Juni 1944 hinzog. Einige mussten sogar bis zu neun Monate in der Dunkelheit ausharren. Mit dem Umzug verbesserten sich die Lebensbedingungen für viele erheblich: Trockene, saubere und beheizte Räumlichkeiten, Sanitäranlagen und Waschgelegenheiten, medizinische Versorgung und eine etwas bessere Verpflegung sowie geringfügig humanere Arbeitsbedingungen für die Raketenmontage führten ab April 1944 zu einem deutlichen Rückgang der Sterblichkeit.

Dieser Rückgang war jedoch nicht allein auf die verbesserten Bedingungen zurückzuführen. Zum einen wurden sämtliche Schwerkranken und Sterbenden kurzerhand in andere Lager wie Majdanek und Bergen-Belsen deportiert. Dort ging das Sterben ungemindert weiter. Zum anderen musste ein Großteil der rund 12.000 Häftlinge im Sommer 1944 die katastrophale Aufbauphase nicht durchleiden, da kontinuierlich neue Häftlinge aus anderen Lagern zur Verstärkung herantransportiert wurden. Die erschöpften Arbeitskräfte vom Stollenbau wurden hingegen in neu errichtete Außenlager zur Fortsetzung der Bauarbeiten verlegt. Der Umzug in die Baracken ging also mit einem sukzessiven Austausch der entkräfteten Häftlinge gegen "unverbrauchte" einher.

Montage der A4-Rakete im Kohnstein

Das unterirdische Mittelwerk im Kohnstein war in den Anfangszeiten vor allem ein reiner Montagebetrieb für die A4-Rakete, die auch unter dem Namen "Vergeltungswaffe 2" oder V2 bekannt war. Für den Zusammenbau dieser hochkomplexen Waffensystems wurden vorgefertigte Einzelteile von rund 450 Zulieferunternehmen aus ganz Deutschland und den besetzten Gebieten benötigt. Diese fertigten insgesamt etwa 200 verschiedene Baugruppen und Komponenten, die sich wiederum aus geschätzten 450.000 Einzelteilen zusammensetzten.

Nach ihrer Anlieferung in das Mittelwerk wurden diese vorgefertigten Raketenanteile auf der sogenannten "Taktstraße" im ausgedehnten Fahrstollen B von Häftlingen des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora zusammengebaut. Die Häftlinge arbeiteten unter strenger Aufsicht deutscher Techniker und Vorarbeiter der Rüstungsindustrie. Sie montierten alle wesentlichen Raketenanteile, jedoch keine empfindlichen Komponenten wie die elektrische Innenausstattung oder den Sprengkopf - diese stammten von externen Spezialisten.

Die fertigen, 14 Meter langen A4-Raketen wurden dann per Bahn auf speziellen Rungenwagen der Reichsbahn abtransportiert. Um sie vor Entdeckung durch alliierte Luftaufklärungsflüge zu schützen, waren die Wagen mit Tarnnetzen abgedeckt. Zunächst erfolgte die abschließende Qualitätskontrolle und Endabnahme der montierten Raketen noch bei einer externen Firma, der Demag AG in Falkensee. Nachdem jedoch im Februar 1944 eigene Prüfstände in der vertieften Halle 41 des Mittelwerks fertiggestellt worden waren, konnte dieser letzte Schritt dort vor Ort durchgeführt werden.

Obwohl damit alle Voraussetzungen für einen Hochlauf der Raketenproduktion gegeben waren, blieb der monatliche Ausstoß bis zum Herbst 1944 starken Schwankungen unterworfen. Ursachen dafür waren vor allem technische Mängel und Konstruktionsschwächen der hochkomplizierten Rakete selbst, die ständig Änderungen in der Produktion erforderten. Aber auch politische Prioritätensetzungen und militärische Entscheidungen der NS-Führung beeinflussten die Produktionsraten. So brach die Montagezahl beispielsweise im Frühsommer 1944 dramatisch ein - von über 430 Raketen im Mai auf nur noch 86 im Juli. Erst ab September 1944 wurden wieder konstant zwischen 600 und 700 Raketen pro Monat zusammengebaut, was jedoch immer noch weit unter den hochgesteckten Planungen von 1800 monatlichen Einheiten lag.

Ein Teil der produzierten A4-Raketen diente als Testmuster für die Weiterentwicklung der Waffe und wurde daher in die Erprobungszentren nach Peenemünde und auf den Truppenübungsplatz Heidelager in Polen gebracht. Die räumliche Trennung von Entwicklungs-, Fertigungs- und Teststandorten brachte jedoch enorme logistische Hürden mit sich. So verzögerte sich beispielsweise die Behebung des Problems der "Luftzerleger" - Raketen, die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auseinanderbrachen - über Monate, da die Ursache für die mangelnde Wandfestigkeit an den unterschiedlichen Standorten nur schwer zu analysieren war.

Um Ausfälle bei den zahlreichen Zulieferbetrieben auszugleichen, die durch alliierte Luftangriffe getroffen wurden, übernahm das Mittelwerk daher ab 1944 schrittweise selbst zusätzliche Fertigungsschritte. So begann man dort nach und nach mit der Produktion der Mittel- und Hecksegmente sowie der Rudermaschinen der A4-Rakete. Dies verschärfte allerdings den von Anfang an bestehenden, akuten Mangel an Facharbeitern im Mittelwerk weiter. Zur Bewältigung des gewaltigen Arbeitskräftebedarfs wurden daher fortlaufend neue KZ-Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern und Rüstungsbetrieben ins Lager Mittelbau-Dora und dessen neue Außenlager überstellt.

Viele dieser Häftlinge waren von den katastrophalen Lebensbedingungen und der unmenschlichen Behandlung bei den vorangegangenen Stollenausbauarbeiten körperlich derart geschwächt, dass sie für die präzise und anspruchsvolle Raketenmontage kaum mehr einsetzbar waren. Daher wurden sie oftmals in die neuen Außenlager verlegt. Ende September 1944 kamen beispielsweise fast 300 jüdische Häftlinge ins Lager Dora, als das Volkswagenwerk seine Produktion der Flugbombe V1, einem Konkurrenzprojekt zur A4, aus Sicherheitsgründen aus einem Stollen in Lothringen in das Mittelwerk verlagerte. Diese Häftlinge waren zuvor speziell für die V1-Fertigung angelernt worden.

Insgesamt erwies sich der Produktionskomplex rund um die A4/V2 als ungeheuer personalintensiv und logistisch äußerst anspruchsvoll. Die dezentrale Struktur mit weit verteilten Standorten für Entwicklung, Zulieferung, Montage und Tests sowie der Mangel an Fachkräften durch den Raubbau an den als Zwangsarbeitern eingesetzten KZ-Häftlingen erwiesen sich bis zum Kriegsende als schwerwiegende Konstruktionsfehler des gesamten Projekts.

Produktion der V1 und weiterer Waffen

Ursprünglich war geplant, die Fertigung der Flugbombe Fi 103 (V1) in dem im Erzbergwerk Tiercelet einzurichtenden unterirdischen Werk durch KZ-Häftlinge aufzunehmen. Aufgrund alliierter Bombenangriffe auf die Fertigungsanlagen der Volkswagenwerk GmbH in Fallersleben und dem drohenden Verlust von Betrieben in Frankreich nach der Landung der Alliierten in der Normandie entschied man sich Mitte 1944 jedoch, die Produktion in das Mittelwerk zu verlagern.

Der Geschäftsführer der Volkswagenwerk GmbH, Ferdinand Porsche, wandte sich direkt an den Reichsführer SS Heinrich Himmler mit der Bitte, die Verlagerung der Fi 103-Fertigung in das unterirdische Mittelwerk unter SS-Kontrolle zu unterstützen. Himmler stimmte zu und beauftragte den SS-Obergruppenführer Hans Kammler, Porsches Plan umzusetzen. So erhielt das Mittelwerk Ende Juni 1944 den ersten Produktionsauftrag für Teile der Fi 103.

Im August 1944 begann die Fertigung kleinerer Pressteile, im September die Montage größerer Komponenten. Ab November 1944 erfolgte dann die Endmontage der kompletten Fi 103-Flugbombe im Mittelwerk. Dabei übernahm das Mittelwerk die Hauptfertigung von der Volkswagenwerk GmbH, die zuvor den Hauptauftrag hatte. Das Volkswagenwerk wurde quasi zu einem Zulieferer des Mittelwerks.

Die Montage der Fi 103 erfolgte räumlich getrennt von der Montage der A4-Rakete (V2) in eigens dafür hergerichteten Querkammern, die zuvor als Schlafstollen für die KZ-Häftlinge gedient hatten. Zur Flugbomben-Produktion wurden auch die 300 jüdischen Häftlinge aus dem KZ Natzweiler-Struthof herangezogen, die im September 1944 in das Außenlager Dora verschleppt worden waren.

Neben den aus Konzentrationslagern deportierten Häftlingen arbeiteten auch deutsche Zivilarbeiter in der Flugbommen-Fertigung. Ursprünglich war eine monatliche Produktionsrate von 3000 Fi 103 geplant, doch wurde diese Zahl anfangs deutlich unterschritten. Im Januar 1945 wurden etwa 1500, im Februar 1945 rund 2400 Flugbomben montiert. Insgesamt verließen im Mittelwerk etwa 6000 Fi 103 und 6000 A4-Raketen die Montagebänder, wobei die deutlich komplexere A4-Produktion den Großteil der Fertigungskapazitäten beanspruchte.

Im Herbst 1944 kam die Fertigung des neuartigen Düsenjägers Heinkel He 162 mit dem Decknamen "Schildkröte" als weiterer Produktionsauftrag für das Mittelwerk hinzu. Ein Probeflug dieses mit einem Strahltriebwerk von BMW ausgerüsteten Flugzeugs verzögerte sich jedoch bis Dezember 1944. Obwohl viele technische Details noch gar nicht feststanden, legte der Leiter des Mittelwerks, Albin Sawatzki, bereits Mitte Oktober 1944 einen detaillierten Fertigungsplan für die He 162 vor. Dieser sah für Januar 1945 den Anlauf der Zellen- und Triebwerksproduktion vor. Im Sommer 1945 sollte laut Plan bei einem Arbeitskräfteeinsatz von 1000 deutschen Zivilisten und 7000 Häftlingen, darunter mindestens 30% qualifizierte Fachkräfte, eine monatliche Fertigungsrate von 1000 Flugzeugen erreicht werden. Angesichts der räumlichen Enge und der verspäteten Flugzeugentwicklung war dieser Produktionsplan völlig unrealistisch und utopisch. Es ist sogar zweifelhaft, ob überhaupt jemals eine komplette He 162 im Mittelwerk endmontiert wurde.

Anfang 1945, als die Niederlage unmittelbar bevorzustehen schien, erhielt das Mittelwerk zusätzlich den Produktionsauftrag für die beiden Flugabwehrraketen "Taifun" und "R4M" - obwohl auch diese Waffensysteme noch längst nicht serienreif entwickelt waren. Über einige Versuchsstarts der "Taifun"-Rakete bei Ilfeld kam die Fertigung nicht mehr hinaus. Die detaillierten, aber realitätsfernen Produktionspläne der letzten Kriegsmonate verdeutlichen den zunehmenden Realitätsverlust im NS-Rüstungsministerium und bei der Luftwaffe.

Ausdehnung des Mittelwerks und die Einbindung des KZ-Systems in die Region Nordhausen

Aufgrund der Schwierigkeiten, in unmittelbarer Nähe von Nordhausen einen geeigneten Standort für die zum Kalibrieren der A4-Triebwerke notwendigen Prüfstände zu finden, wurden zwei solcher Anlagen im thüringischen Lehesten im Thüringer Wald errichtet. Diese Prüfstände wurden durch unterirdische, bombensichere Einrichtungen mit der erforderlichen Versorgung an flüssigem Sauerstoff und Stickstoff ausgestattet. Als Arbeitskräfte für den fünfmonatigen Bau wurden vorwiegend Häftlinge aus dem neu eingerichteten Außenlager "Laura" des Konzentrationslagers Buchenwald herangezogen. Nach Fertigstellung konnten die Prüfstände Ende Januar 1944 den Betrieb aufnehmen.

Ursprünglich war geplant, die Anlage in Lehesten als Zweigwerk der Demag Luftfahrtgerätewerke zu betreiben. Im November 1943 fiel jedoch die Entscheidung, die Prüfstände zumindest vorübergehend der Mittelwerk GmbH zu unterstellen. Um Tarngründe zu wahren, gliederte man die Anlagen im Januar 1944 nicht direkt dem Mittelwerk ein, sondern der Steinbruch-Verwertungs-Gesellschaft mbH, deren Gesellschafteranteile die Mittelwerk GmbH übernehmen sollte.

Neben den Prüfständen in Lehesten sollte dem Mittelwerk zeitweise auch das sogenannte "Vorwerk West" oder "Rebstock" im Ahrtal unterstellt werden. Unter diesen Tarnbezeichnungen wurde eine unterirdische Anlage betrieben, in der die Bodenanlagen für die motorisierten A4-Abschussbatterien ausgerüstet wurden. Allerdings unterstand Rebstock wohl bis zum Sommer 1944 der zuständigen Heeresanstalt.

Nach einigen Diskussionen über die Zuständigkeiten wurde im Juli 1944 vereinbart, dass die Mittelwerk GmbH Teile ihrer unterirdischen Anlagen in Rebstock für die geplante V1-Produktion des Volkswagenwerks ausbauen und übergeben sollte. Zunächst waren in Rebstock deutsche Zivilkräfte und Soldaten im Einsatz, später auch Mitarbeiter des Peenemünder Entwicklungswerks. Für den weiteren Ausbau der Anlage für das Volkswagen-Projekt wurden Ende August 1944 in zwei Transporten 206 KZ-Häftlinge aus Buchenwald in das neu errichtete Außenlager Rebstock überstellt. Nach kurzer Zeit kamen weitere rund 300 jüdische Häftlinge aus dem VW-Werk Tiercelet hinzu, sie wurden aber bald wieder in das Hauptlager des KZ Mittelbau-Dora verlegt.

Die weitere Aufrüstung von Rebstock für die VW-Fertigung wurde jedoch abgebrochen, da die Firma Gollnow & Sohn, die zuvor in Rebstock tätig war, ihre Produktion in Richtung Nordhausen und Artern verlagerte. Aus diesem Grund wurde das Außenlager Rebstock Ende 1944 aufgelöst und die verbliebenen Häftlinge nach Artern überstellt, wo Gollnow unter der Tarnbezeichnung "Firma Geyer" einen neuen Standort bezog.

Mit der zunehmenden Bedeutung des zentralen Produktionsstandorts im Kohnstein und dem Aufbau weiterer Vorwerke weitete sich die Mittelwerk GmbH ab dem Sommer 1944 zu einem Großunternehmen aus. Einen wesentlichen Schritt in diese Richtung bildete die Eingliederung der Wifo-Außenstelle in Niedersachswerfen als neue Abteilung Werkserhaltung aufgrund eines entsprechenden Erlasses des Rüstungsministeriums.

Neben dem Hauptwerk in der unterirdischen Anlage im Kohnstein errichtete die Mittelwerk GmbH zahlreiche weitere Betriebs- und Fertigungsstandorte sowie Depot- und Lageranlagen im Raum des Südharzes. Dazu gehörten ein Reparaturwerk für A4-Raketen auf dem Gelände der Heeresmunitionsanstalt in Kleinbodungen sowie Außenlager und Depots in den Orten Bischofferode, Niedergebra, Roßla und Kelbra zur Lagerung von Raketenteilen. In vielen dieser zumeist neu errichteten Anlagen wurden KZ-Häftlinge aus neu geschaffenen Nebenlagern des KZ Mittelbau-Dora zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Für geplante neue Projekte wie die Fertigung des Düsenjägers He 162 und Baugruppen der Flugabwehrrakete "Taifun" musste die Mittelwerk GmbH aufgrund der begrenzten Kapazitäten im Kohnstein weitere Standorte in der Region erschließen, so in Ilfeld und Niedersachswerfen.

Insgesamt war das Rüstungsunternehmen mit seiner Hauptanlage, zahlreichen Betriebsstandorten und immer mehr Außenlagern in den letzten Kriegsmonaten stark im Südharzer Raum präsent. Mit dieser lokalen Ausdehnung des zentralen Rüstungsprojektes wuchs das KZ-System des Mittelbau-Dora-Komplexes zunehmend in die regionale Gesellschaft und Infrastruktur hinein.

Belegschaft

Der Mittelwerk-Komplex zur Fertigung der A4-Rakete ging direkt aus dem Peenemünder Versuchsserienwerk hervor. Dementsprechend kam ein Großteil des zivilen deutschen Personals des neuen Unternehmens aus der Heeresanstalt in Peenemünde. Darunter befanden sich viele leitende Ingenieure und Angestellte, die in entsprechende Abteilungen des Mittelwerks versetzt wurden. Aufgrund dieser personellen Kontinuitäten kann das Personal aus Peenemünde durchaus als Stammbelegschaft des Mittelwerks bezeichnet werden. Die engen organisatorischen und personellen Verbindungen zwischen dem Entwicklungswerk Peenemünde und dem Montagewerk Mittelwerk zeigen, dass die weit verbreitete Vorstellung einer klaren Trennung zwischen den beiden Einrichtungen nicht den Tatsachen entspricht.

Zu Beginn der A4-Montage im Dezember 1943 waren bereits knapp 1700 deutsche Arbeiter und Angestellte im Mittelwerk beschäftigt. Mit über 1200 Personen stellten die aus Peenemünde versetzten Arbeitskräfte den größten Anteil. Etwa 250 weitere zivile Arbeiter stammten aus den Rax-Werken in Wiener Neustadt, deren Maschinenpark und Belegschaft überstürzt in den Südharz verlagert worden waren. Die restlichen rund 230 Arbeitskräfte wurden von Zulieferbetrieben übernommen oder vor Ort neu eingestellt beziehungsweise dienstverpflichtet. Zusätzlich waren etwa 600 bis 700 Zivilarbeiter als Ingenieure und Vorarbeiter beim unterirdischen Ausbau des Stollenwerks für die Wifo tätig. In den folgenden Monaten trafen kontinuierlich weitere Techniker, Verwaltungskräfte und Facharbeiter aus Peenemünde und Zulieferbetrieben ein, sodass die Gesamtzahl der Zivilbeschäftigten bis Mai 1944 auf rund 2500 und bis Oktober 1944 auf 3000 Personen anstieg.

Neben den zivilen Beschäftigten wurden auch KZ-Häftlinge bei den umfangreichen Bauarbeiten zum Ausbau der unterirdischen Produktionsanlagen eingesetzt. Die Verwaltung und den Einsatz der Häftlingsarbeit übernahm zunächst die mit den Bauarbeiten beauftragte Wifo. Diese richtete eine eigene Arbeitseinsatz-Stelle ein, die die Aufgaben der SS-Arbeitsverwaltung übernahm und mit den Arbeitseinssatzführern der Konzentrationslager zusammenarbeitete. Die Wifo vermietete die von den Häftlingen geleisteten Arbeitstage an die als Subunternehmen beauftragten Baubetriebe weiter. Mit der Ausweitung der Bauarbeiten für die Verlagerungsprojekte ging die Zuständigkeit für den Häftlingseinsatz im Sommer 1944 jedoch an das zentrale Arbeitseinsatzbüro der SS-Sonderinspektion II über.

Zu Beginn des Jahres 1944 war das von der Mittelwerkleitung eingeplante Belegschaftssoll von 2000 deutschen Führungskräften für die Raketenmontage weitgehend erreicht. Von den ebenfalls vorgesehenen 16.000 Häftlingen befanden sich aber erst etwa 5000 im Mittelwerk. Die Häftlingszahl stieg in den Folgemonaten nicht weiter an, sondern sank sogar leicht. Man hatte erkannt, dass der Einsatz von Häftlingen bei der komplexen Raketenmontage nur begrenzt möglich war, da sie über einen längeren Zeitraum eingearbeitet und ständig überwacht werden mussten. Die geplante Symbiose von technischer Modernität und Zwangsarbeit stieß hier an Grenzen.

Um dieses strukturelle Dilemma der Zwangsarbeit zu umgehen, leitete die Mittelwerkführung drei Gegenmaßnahmen ein: Erstens wurden in Kooperation mit der SS Prämiensysteme und Gruppenakkorde für Häftlinge und deutsche Vorarbeiter eingeführt, um den Leistungsanreiz zu erhöhen. Zweitens versuchte man, qualifiziertere Fachkräfte unter den Häftlingen zugewiesen zu bekommen. Drittens wurde das Verhältnis von Häftlingen zu Zivilarbeitern zugunsten der zivilen Kräfte verändert, obwohl ursprünglich ein Verhältnis von acht zu eins geplant war.

Neben den Komplikationen durch die Zwangsarbeit verursachte auch der Untertagebetrieb Probleme. So litt ein Teil der deutschen Zivilarbeiter unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Arbeit im Stollen. Ein Prüfbericht stellte sogar fest, dass der Untertagebetrieb auf Dauer stark gesundheitsschädlich sei und die Fertigung in Friedenszeiten möglicherweise aus dem Stollen herausgenommen werden müsse. Diese Einschätzung stand im Widerspruch zu Hitlers Forderung nach vollständiger Untertageverlagerung der deutschen Industrie.

Während im Mittelwerk zunächst der unterirdische Ausbau der Produktionsanlagen vorangetrieben wurde, begannen die SS-Führungsstäbe unter Kammler im Frühjahr 1944 in der Umgebung mit dem Stollenvortrieb für weit umfangreichere unterirdische Anlagen. Hierfür wurden ebenfalls überwiegend KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte eingesetzt. Zu diesem Zweck richtete die SS ab März 1944 mehrere Außenlager rund um Nordhausen ein. Aber auch Häftlinge aus dem Lager Dora mussten auf den neuen Baustellen arbeiten. So waren im Mai 1944 von den insgesamt rund 16.000 Insassen dieses Lagers nur etwa 5000 bei der A4-Montage im Mittelwerk tätig, während mehr als doppelt so viele auf den Baustellen der Kammler-Stäbe arbeiten mussten. Somit blieb das Lager Dora trotz seiner zentralen Bedeutung für die Raketenproduktion in erster Linie ein Lager für Bau- und Zwangsarbeit.