Die Sander in Nordhausen und Rom im 15. und 16. Jahrhundert

Aus NordhausenWiki
Textdaten
Autor: Hermann Sander
Titel: Die Sander in Nordhausen und Rom im 15. und 16. Jahrhundert
Untertitel:
aus:
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1939
Verlag: Göttingen : Ernst Große
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Dieser erste Teil der Reihe „Sander-Northusen. Geschichte einer Bürgerfamilie“ wurde nicht fortgesetzt. Die ursprüngliche Arbeit stammt aus dem Jahr 1934.
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bild
Digitalisat:
Editionsrichtlinien:
  • Sperrschrift wird nicht wiedergegeben.
in Vorbereitung


Die Sander
in Nordhausen und Rom
im 15. und 16 Jahrhundert


Von
Hermann Sander






Dem Andenken an
Paul Sander
weiland Professor der Wirtschaftsgeschichte
an der Deutschen Universität in Prag.






Vorwort

Die Schrift „Sander-Northusen, Geschichte einer Bürgerfamilie“ handelt von einer Familie Sander, die zuerst in der Reichsstadt Nordhausen, dann in Göttingen und später in Kitzingen ansässig war. Mitglieder dieser Familie, die im 15. und 16. Jahrhundert die Heimatstadt verließen, nannten sich zur Unterscheidung von gleichnamigen Fremden teils vorübergehend teils ihr lebenlang „Sander von Northusen“. Um heute auch im Buchtitel, und zwar in kürzester Form, die Familie von anderen zu unterscheiden, wurde für sie die Bezeichnung Sander-Northusen gewählt.

Die Schrift besteht aus vier selbständigen Teilen, deren jeder einzelne für seinen engeren Bereich von einigem Belang sein mag, während alle vier zusammen nur familienkundliche Bedeutung haben können.

Die vier Teile tragen die Titel:

  1. Die Sander in Nordhausen und Rom im 15. und 16. Jahrhundert.
  2. Bilder aus dem Göttinger Bürgerleben im 16. und 17. Jahrhundert.
  3. Schicksale eines schwäbischen Pfarrers im 17. Jahrhundert.
  4. Bilder aus dem fränkischen Bürgerleben im 17. und 18. Jahrhundert.

Der hier vorliegende 1. Teil beruht, soweit er Nordhäuser Verhältnisse betrifft, vornehmlich auf ungedruckten Akten des Nordhäuser Stadtarchivs. Die Auffindung der wichtigsten Quellen verdankt der Verfasser dem im Jahre 1919 verstorbenen Dr. Paul Sander, Professor der Wirtschaftsgeschichte an der Deutschen Universität in Prag.

Für die römischen Abschnitte der Darstellung wurde vielfach, jedoch mit manchen Abweichungen und Hinzufügungen, Dr. Karl Heinrich Schäfers „Johannes Sander von Northusen“ (Rom 1913) benutzt, ein Werk, an dessen Gestaltung und Erscheinen der Unterzeichnete wesentlichen Anteil genommen hatte.

Die graphologische Charakterskizze des Johannes Sander wurde von der wissenschaftlichen Graphologin Martha Sander in Königstein i. T. entworfen.

Den Plan von Nordhausen um 1560 zeichnete der Nordhäuser Geschichtsforscher Karl Meyer im Februar 1911 als Anlage zu dieser Schrift.

Königstein im Taunus, den 3. Juli 1939.

Der Verfasser.

Die ersten Sander in Nordhausen

Der Name Sander ist die deutsche Abkürzung des griechisch- lateinischen Alexander, zu deutsch „der Männerabwehrende". Als der Name sich bei unseren Vorfahren einbürgerte, gemahnte er sie nicht etwa an den heldenhaften Mazedonier, sondern an einen Heiligen, der mit seiner Mutter Felicitas und sechs Brüdern im zweiten Jahrhundert zu Rom den Märtyrertod erlitten haben soll. Der Gedenktag der „Sieben Brüder" ist der 10. Juli.

Seltsamerweise war es ein Enkel des urdeutschen und heidnischen Kriegshelden Widukind, der den Namen des fremden, frommen Mannes im Sachsenlande heimisch machte. Widukind und seine Kampfgenossen hatten das Christentum nur der Not gehorchend und äußerlich angenommen. Das wußten ihre Zwingherren, die fränkischen Kaiser, gar wohl, und um die Bekehrung der Unterworfenen allmählich zu verinnerlichen, ließen sie die Söhne der sächsischen Vornehmen als Geiseln an ihrem Hofe und in den fränkischen Klöstern zu Christen erziehen.

So wurde auch Widukinnd Enkel Walbracht ein überzeugter Christ. Als er herangewachsen war und sich anschickte, in die Heimat zurückzukehren, hegte er den frommen Wunsch, die Herzen seiner Landsleute für das Christentum zu gewinnen. Das beste Mittel, den Sachsen die Überlegenheit des Christengottes vor Augen zu führen, dünkte ihn wunderwirkende Reliquien zu sein. Um solche zu erlangen, zog er ums Jahr 850 mit einem Empfehlungsschreiben des Kaisers Lothar ausgestattet nach Rom und trug dem Heiligen Vater sein Anliegen vor. Gern erfüllte Papst Leo IV. den Wunsch des treuherzigen Sachsen, indem er ihm den Leichnam des Märtyrers Alexander zum Geschenk machte. Hocherfreut zog Walbracht zurück nach Westfalen, und in Wildeshausen an der Hunte, dem Stammsitz des Widukindschen Geschlechts, bereitete er der kostbaren Reliquie eine würdige Ruhestätte.

Von Wildeshausen aus hat sich der Ruhm des heiligen Alexander durch mannigfaltige Wunder unter dem Sachsenvolke verbreitet. Viele Kirchen wurden ihm geweiht, und dann auch viele Sachsenkinder auf seinen Namen getauft. Letzteres geschah jedoch erst mehrere Jahrhunderte später, als das Volk sich an den fremden Namen gewöhnt hatte und anfing, neben den altgewohnten deutschen Namen auch die der Heiligen zu gebrauchen.


Älter als der Name Sander ist der Ort, in welchem wir Träger desselben suchen, die Reichsstadt Nordhausen. Etwa um die Zeit der Unterwerfung Widukinds (785) ließ Karl der Große im thüringischen Helmegau am Südhange des Harzes den Reichshof Nordhausen und daneben einen Heerlagerplatz anlegen. Um 910 erbaute der spätere König Heinrich I. auf der Bergecke nördlich der fränkischen Anlagen eine Burg, in deren Schutz alsdann eine Kaufmannssiedlung entstand, aus der sich die Oberstadt entwickelte. Stark befestigt, bildete sie den Hauptteil der Stadt. Aus der älteren fränkischen Siedlung wurde die Vorstadt Frauenberg. Andere Vorstädte erwuchsen vor der westlichen Stadtmauer und wurden später durch besondere Befestigungen geschützt.

Im Jahre 1220 erhob der Kaiser Friedrich II. den Ort zur Reichsstadt. Damals wurde Nordhausen durch drei Reichsministerialen verwaltet, den Vogt, den Schultheiß und den Münzmeister. Neben den Ministerialen gewannen bald die angesehensten Familien der Bürgerschaft Einfluß, die „gefreundeten Geschlechter", die sich aus alteingewanderten Adligen der Umgegend und zu Wohlstand gelangten Kaufleuten zusammensetzten. Sie bemächtigten sich 1277 der Herrschaft, und nun leitete ein patrizischer Rat die Geschicke der Stadt, bis er im Jahre 1375 von den Gilden der Handwerker gestürzt wurde.


Die lateinisch geschriebenen Urkunden Nordhausens aus dem 13. Jahrhundert erwähnen mehrere kaiserliche Beamte und Bürger des Namens Alexander. Als erster in einer Urkunde mit der deutschen Form des Namens Benannter begegnet uns seit 1348 Herr Sander, der Probst des Klosters auf dem Frauenberge. Seine Vettern waren zwei Brüder, die Priester Eckebrecht und Sander. Es scheint sich hier also um eine Familie zu handeln, in welcher der Name Sander öfter vorkam. Ob die Sander des 15. und 16. Jahrhunderts mit dieser Familie, einem der alten Alexander oder späteren Einwanderern Zusammenhängen, muß dahingestellt bleiben. Im ältesten Bürgerbuche Nordhausens finden wir unter den Neubürgern der Jahre 1366 und 1367 einen Sanderus de Uteleybin (Uthleben) und einen Sander de Asterode verzeichnet.


Schon etwa 15 Jahre bevor die beiden Neubürger sich in Nordhausen niederließen, dürfte dort ein Bürger gleichen Namens gewohnt haben, der einen Sohn Wernher hatte. Wernher wird in Urkunden von 1395 bis 1429 siebenmal erwähnt. Sein Zuname lautet 1395 und 1413 Sanders, 1420 Sander, 1423 Sanders, Sander und Sanbir, 1429 Sander. Vielleicht deutet die Unsicherheit der Schreibweise darauf hin, daß der Zuname damals noch nicht als fester, ererbter Familienname galt, sondern von dem Namen des Vaters abgeleitet war und erst durch Wernher zum Familiennamen gemacht wurde.

Eine Pergamenturkunde vom 3. März 1395 berichtet uns über Wernher folgendes:

Wernher Sanders hatte vor Jahren Frau Katharinen, Hermann Folkels Witwe, als eheliche Wirtin heimgeführt. Seine Stieftöchter waren gestorben, der Stiefsohn Heinrich Folkel aber herangewachsen und Priester geworden. Nun, da er zu seinen Jahren gekommen war, legten ihm Wernher und Frau Katharine Rechenschaft über sein Erbe ab und vertrugen sich gütlich und freundlich mit ihm über die Auszahlung. Statt aller Ansprüche, die er seines Vaters und seiner Schwestern wegen gehaben möchte, wollen sie ihm 20 Mark Nordhäuser Währung binnen drei Jahren reichen unö geben: 5 Mark im ersten, 5 Mark im zweiten und 10 Mark im dritten Jahre. Wenn aber, was Gott friste, Frau Katharine sterben sollte, so soll Herr Heinrich statt 10 Mark aus deren Nachlaß einen Weingarten erhalten, gelegen vor der Stiege am Frauenberge.

Achtzehn Jahre später wurde Wernher in den Rat der Reichsstadt berufen. Der Rat bestand aus drei Abteilungen oder Ratsregimenten, die abwechselnd je ein Jahr lang als „sitzender Rat" die Regierung führten. Jedes Ratsregiment zählte 27 Mitglieder, nämlich 18 Vertreter der neun ratsfähigen Gilden, 8 Vertreter der vier Viertel der Oberstadt und einen Vertreter der Neustadt. Die neun ratsfähigen Gilden waren die der Kaufleute oder Gewandschnitter, die meist Tuchhandel trieben, der Schneider, Tuchmacher, Bäcker, Schmiede, Krämer nebst Sattlern, Kürschner, Schuster nebst Gerbern und der Knochenhauer oder Metzger. Die Kaufgilde genoß das höchste Ansehen und übte den größten Einfluß aus, doch gab es auch in den Handwerkergilden stets einige Männer, die genug Fähigkeiten und höhere Bildung besaßen, um die wichtigsten Stadtämter verwalten zu können. Der Regel nach blieb der Ratsherr bis zum Tode im Amt und in seinem Ratsregiment, und die jährlich stattfindende Neuwahl des sitzenden Rates galt meist nur der Ausfüllung entstandener Lücken. Doch kam es bisweilen auch vor, daß ein Ratsherr aus seinem ursprünglichen Ratsregiment heraus in ein anderes gewählt wurde, wobei persönliche oder Zweckmäßigkeitsgründe bestimmend gewesen sein mögen; sei es, daß man nicht zwei nahe Verwandte im gleichen Ratsregiment haben wollte, sei es, daß bestimmte Personen für bestimmte Ämter gebraucht wurden. Wernher Sanders, der 1413 als Vertreter der Bäckergilde in den Rat gekommen war, hätte der Regel nach in den Jahren 1416,19 und 22 wieder zum sitzenden Rat gehören müssen, während uns zwei Urkunden über den Verkauf von Jahreszinsen beweisen, daß er nicht 1422 sondern erst im folgenden Jahre an der Regierung teilhatte.

Wernher war ein begüterter und wohltätiger Mann. Um 1420 versteuerte er 14Vs Morgen Ackerlandes, und als 1423 anläßlich einer der häufigen Fehden jener Zeit ein Haferzins als Kriegssteuer erhoben wurde, hatte er einen hohen Betrag zu zahlen. Die Ewige Spende, eine fromme Stiftung, bedachte er bei Lebzeiten mit reichlichen Schenkungen und bei seinem Tode mit einem Hause am Siechentor.


In dem Haferzinsregister vom Jahre 1423 finden wir auch einen Matthias Sander verzeichnet, und zwar als Bewohner des Töpfertor-Viertels der Oberstadt. Er hatte keinen Haferzins zu zahlen, was vielleicht darauf schließen läßt, daß er damals ein junger Mann war, der noch kein Land geerbt oder erworben hatte. Da in dem Zinsregister sonst kein Sander erwähnt wird, liegt die Vermutung nahe, daß Matthias ein Sohn Wernhers gewesen sei.

In den Jahren 1430 bis 1441 wird öfters ein Mann erwähnt, der auch der Sohn eines Sander gewesen zu sein scheint, aber nicht zu den durch Gilde, Hausbesitz oder Steuerzahlung gekennzeichneten Bürgern, sondern zu den durch kurzfristige Dienstverträge gebundenen Angestellten der Stadt gehörte. Er hieß mit Vornamen Peter und war Stadtbote und Vorsitzer oder Gefangenen-Aufseher, daneben Freischöffe des Femgerichts. Einen festen Zunamen führte er noch nicht und wird bald Peter Sanders, bald Peter Vorsitzer, bald Peter unser Bote genannt.

Auch zwei geistliche Personen gehören als solche nicht zur Bürgerschaft, können aber aus ihr hervorgegangen sein, nämlich Johannes Sander, anscheinend ein Franziskanermönch, der am 15. Oktober 1440 vom Erzbischof von Mainz das Recht der Beichte und Predigt erhielt, und Katharina Sanders, die 1480 als Priorin eines Frauenklosters zu Nordhausen erscheint.

Im Gegensatz zu den drei Letztgenannten gehört ein Kerstan Sander ebenso zur Bürgerschaft wie vor ihm Wernher und Matthias. Das Ratsämterbuch führt ihn in einem Verzeichnis vom Jahre 1476 unter den Gildevorstehern auf. Diese, zwei an Zahl für jede Gilde, wachten über die Durchführung der eingehenden und strengen Gildesatzungen und wirkten bei der Bestellung des Stadtregiments mit. Kerstan wohnte auf dem Frauenberge und war ein waffentüchtiger Mann. Während sich wenigbemittelte Leute bei Erwerbung des Bürgerrechts für den Kriegsfall mit einer Hellebarde, bemitteltere mit einer Armbrust ausrüsten mutzten, gehörte er zu denjenigen Wohlhabenden, die bereits mit Feuerwaffen umzugehen wutzten und zur Verteidigung der Stadt die Hakenbüchse führten. Und wenn das Sturmläuten die wehrhaften Bürger zu den Waffen rief, dann übernahm Kerstan, mit Panzer, Eisenhut und Zubehör gewappnet, die Führung einer der 22 Bürgerrotten, aus denen vornehmlich die Kriegsmacht der Stadt bestand. Er war Rottmeister der 40 Mann starken Rotte von Bewohnern des Frauenberges, die nach ihrer Schutzpatronin „Beata Virgo" hietz. Gelegentlich wurde ihm die Verteidigung des Bielentores übertragen, das mit 5 Mann besetzt und mit 8 Armbrusten nebst Spannhaken und Spanngurten, 4 Handbüchsen, 3 Wippen zum Steineschleudern und anderem Kriegsgerät ausgerüstet war. Um 1492 scheint Kerstan gestorben zu sein.

In der Zeit von 1424 bis 1492 ist außer Kerstan kein Sander als Bürger oder Einwohner von Nordhausen nachweisbar. Nun wurden aber im Jahre 1455 und bald danach drei Sander zu Nordhausen geboren, von denen der erste Kurialbeamter, die beiden anderen unmittelbar nacheinander Ratsherren wurden, also alle einen in Norbhausen ansässigen Vater von einigem Ansehen voraussetzen lassen. Als der erste der drei im Jahre 1476 in Leipzig immatrikuliert wird, ist Kerstan Gildemeister, und kaum ist Kerstan aus der Zahl der Rottmeister ausgeschieden, so treten die beiden anderen in diesem Amte auf. Somit dürfte die Vermutung nahe liegen, daß diese drei Sander Söhne Kerstans waren. Sie hießen Johannes, Albrecht und Hans. Daß zwei Brüder die im Grunde gleichen Namen Johannes und Hans trugen, kam in jener Zeit häufig vor und wird auch im folgenden durch Beispiele bestätigt.

Der Rotanotor Johannes Sander vor der Reformation

Johannes Sander, am 14. Juli 1455 zu Nordhausen geboren, bezog im Sommer 1476 die Universität Leipzig, wo er nach zweijährigem Studium der Rechtswissenschaften die Prüfung als Baccalaureus bestand. Später erlangte er auch den akademischen Rang eines Magisters, der in der philosophischen Fakultät dem Doktortitel entsprach. Er trat in den geistlichen Stand und wurde Kleriker der Diözese Mainz, zu der Nordhausen gehörte. Als solcher konnte er Pfründen oder kirchliche Ämter erwerben, die oft Sinekuren waren, ö. h. Einkünfte gewährten, ohne Pflichten aufzuerlegen.

Vermutlich dem Beispiel eines Verwandten folgend, begab er sich nach Rom, um dort Amt und Würden zu erlangen. In der Hauptstadt der Christenheit gab es damals eine sehr zahlreiche deutsche Kolonie, die sich vornehmlich aus päpstlichen Beamten und aus Handwerkern zusammensetzte, aber auch viele Angehörige anderer Stände, darunter etwa 40 öffentliche Notare, umfaßte. Letztere waren fast ausnahmslos Kleriker und benutzten ihr Amt häufig als Ausgangspunkt zu weiterem Aufstieg. Vermutlich hat Johannes Sander erst einige Jahre als öffentlicher Notar gewirkt, bevor er 1494 in den Dienst der Kurie oder päpstlichen Verwaltung trat.

Das Papsttum jener Zeit war aufs tiefste verweltlicht. Innozenz VIII. sorgte hauptsächlich für seine natürlichen Kinder, während im Kirchenstaat das Faustrecht herrschte; unter Alexander VI., der die Gegner mit Gift und Dolch beseitigte, bildeten die Untaten seines Sohnes Cäsar Borgia das Stadtgespräch; Julius II. zeichnete sich durch Kriegstaten und großartige Bauten aus, und Leo X. überbot alle Vorgänger durch Prachtwerke. Unter frommen Vorwänden wurden gewaltige Abgaben der Gläubigen nach Rom gezogen und zu weltlichen Zwecken verwendet. Wohl blühten Kunst und Wissenschaft, aber Glaube und Christentum litten Not.

Da das Leben in Rom außerordentlich teuer war, pflegten die Kurialbeamten ihr Einkommen dadurch zu vermehren, daß sie sich möglichst viele heimatliche Sinekuren verschafften, deren Einkünfte sie in der Ferne genießen konnten. Auch Johannes Sander bediente sich dieses Mittels. Da seine Vaterstadt im Erfurter Archidiakonat des Erzbistums Mainz lag, so kamen für ihn in erster Linie Pfründen in Nordhausen und Umgegend sowie in Erfurt in Betracht. Im Jahre 1506 finden wir ihn im Besitz von sechs Bikarien, nämlich je einer am Kreuzstift, dem Altendorfkloster und der Petrikirche zu Nordhausen, zweier an der Pfarrkirche zu Ellrich und einer zu Udersleben. Aus diesen Pfründen bezog er 68¼ Schock Groschen, 8½ Scheffel Roggen, 2½ Scheffel Gerste und 4 Scheffel Hafer im Gesamtwert von 170 rheinischen Goldgulden mit einer Kaufkraft von etwa 7400 Mark unserer Vorkriegswährung. Spätestens zu Anfang des Jahres 1508 erwarb er noch eine weit bessere Pfründe, nämlich eine Domherrnstelle in Erfurt. Von den Pfründeneinnahmen mußte er gelegentlich einen Teil als eine sogenannte Subsidienzahlung an feinen Mainzer Erzbischof abliefern.

Etwa im Jahre 1495 erlangte Johannes das Amt eines Rota-Notars an der päpstlichen Kurie. Als solcher wird er in den Protokollen der Rota erstmalig am 26. und 28. September 1496 genannt, wo er bei einem großen Prozesse um die Domscholasterei von Breslau wichtige Urkunden des kaiserlichen Notars Sebald Ziegler in Nürnberg als dessen Bevollmächtigter geltend machte.

Die Rota war der höchste Gerichtshof für kirchliche Zivilsachen der ganzen katholischen Welt und für die weltlichen Zivilsachen des Kirchenstaats. Sie bestand aus 12 Auditoren, deren jedem 4 Notare zugeteilt waren. Letztere führten den Titel „Causarum sacri palacii Apostolici notarius", d. h. Prozeßnotar des Heiligen Apostolischen Stuhls, und blieben unabhängig von dem Wechsel der Auditoren lebenslänglich im Amte. War ein Auditor zeitweise von Rom abwesend, so führten seine Notare die ihnen zugewiesenen Prozeßsachen selbständig weiter. Dann ließen sie auch die prozessierenden Parteien in ihre Wohnung kommen und nahmen dort die nötigen Verhöre vor

Von den vier Notaren eines Auditors wurde je einer durch den Papst, den Vizekanzler, den Kämmerer und den Auditor ernannt, nachdem die Kandidaten auf Kenntnisse, Fähigkeiten, Vergangenheit und Lebenswandel geprüft waren. Bei der Anstellung legte der Notar einen Diensteid ab. Er gelobte, sein Amt fleißig und getreu zu verwalten, nur die gesetzlichen Sporteln von den Parteien anzunehmen, nicht als Anwalt in Prozessen, die vor dem eigenen Auditor verhandelt würden, aufzutreten, die Protokolle und Akten sorgfältig einzutragen, Aktenabschriften zum festgesetzten Preise herzustellen und das Amtsgeheimnis treulich zu bewahren.

Die Rotanotare bildeten eine Genossenschaft mit bestimmten Ämtern und Satzungen. An ihrer Spitze stand ein Dekan, der den Vorsitz führte und die Tagesordnung der Mitgliederversammlungen bestimmte. Ein für jedes Semester erwählter Schatzmeister verwaltete die Kasse und führte das Mitgliederverzeichnis.

Der oberste Vorgesetzte der Notare und zugleich der Protektor ihres Kollegiums war der päpstliche Vizekanzler. Vor ihm mußten Verhandlungen über etwaige schwere Vergehen von Notaren oder juristische Meinungsverschiedenheiten geführt werden. Sonst hatte im allgemeinen das Kollegium der Notare selbst die Aufsicht über seine Mitglieder, und besonders war es dem persönlichen Einfluß der Auditoren entzogen.

Wie die übrigen Beamten der Kurie, so nahmen auch die Rotanotare an den feierlichen Prozessionen und Gottesdiensten des päpstlichen Hofes teil. In einem Verzeichnis der Teilnehmer der Fronleichnamsprozession vom 14. Juni 1498 finden wir Johannes Sander als Notar unter dem Auditor Jakob de Dragatio, und neben ihm unter demselben Auditor einen Notar Franciscus Sanderi. Vielleicht war der später nicht mehr nachzuweisende Franz Sander ein älterer Verwandter des Johannes und hat diesem den Weg nach Rom gewiesen und erleichtert.

Etwa die Hälfte aller Rotanotare stammte aus dem deutschen Reiche und leider ebenso auch die Hälfte aller Rotaprozesse, ein bedenkliches Zeichen kirchlicher Mißstände.

Die Namen der Notare werden in den Prozeßakten selten genannt, doch einigemal wird Johannes Sander erwähnt. In einem 1501 beginnenden Streit um eine Stiftspfründe wird er als Zeuge benannt, und am 9. Oktober 1503 tritt er als Zeuge für die Wiederaufnahme der Diensttätigkeit eines Auditors auf. Als im Oktober 1508 nach den großen Sommerferien die Sitzungen der Rota in feierlicher Weise wieder eröffnet wurden, fiel ihm die Verlesung der für die Rota geltenden Vorschriften zu, und am 4. November 1514 legte er einen Eid auf die veränderten Satzungen des Notarkollegiums ab.

Die Einnahmen der Rotanotare regelten sich nach genauen Tarifen und erreichten bei hinreichender Beschäftigung eine beträchtliche Höhe. Johannes Sander, der mit Arbeiten überhäuft war, konnte von der Befugnis Gebrauch machen, einen der bei der Kurie zugelassenen öffentlichen Notare als Gehilfen anzustellen. Das Handbuch seines „Substituten“, des Notars Joachim Meynders, ist noch vorhanden.

Nach Berufen gesondert, fanden sich die deutschen Bewohner Roms in verschiedenen Bruderschaften zusammen. Die Kurialbeamten bildeten den Stamm der angesehensten Vereinigung, die nach der Jungfrau Maria als Beschützerin der Seelen (Beata Maria de Anima) Anima-Bruderschaft oder kurzweg Anima hieß, eine Kirche und ein Hospiz unterhielt und eine Anzahl von Häusern besaß. Dieser Anima-Bruderschaft trat Johannes am 10. Februar 1505 bei, indem er eigenhändig seinen Namen „Johannes Sander de Northusen“ in das Mitgliederbuch eintrug und 2 große Golddukaten stiftete.

An der Spitze der Bruderschaft standen mehrere Provisoren, von denen einer als Provisor regens, auch Regent oder Rektor genannt, die Geschäfte führte. Alle zeitweiligen und früheren Provisoren zusammen bildeten einen Verwaltungsausschuß, die Kongregation.

Johannes widmete sich der Anima mit hingebendem Eifer. Im Oktober 1505 konnte er der Bruderschaft ein Vermächtnis eines deutschen Geistlichen überreichen; etwa zwei Jahre später unternahm er es, ein halbzerstörtes Haus derselben zu einem ihrer schönsten Besitztümer auszubauen.

Zu diesem Zweck schloß er am 18. Februar 1508 mit den Provisoren einen Vertrag, wonach er das unmittelbar an die Animakirche anstoßende Haus für sich und zwei von ihm zu bestimmende Mietsnachfolger gegen eine Jahresmiete von 16 Golddukaten in Pacht nahm, mit der Verpflichtung, für die Instandsetzung des Gebäudes innerhalb der nächsten zwei Jahre 500 Dukaten aufzuwenden. Das Haus sollte einen Keller und drei Stockwerke mit einer steinernen Treppe enthalten. Der Hofraum durfte zu einem Gärtchen eingerichtet und mit einer Halle mit darüber befindlichem Heu- und Strohboden versehen werden. Ein Bild der Jungfrau Maria sollte die Front des Hauses zieren.

Schon nach Jahresfrist hatte Johannes nicht 500 sondern 1000 Dukaten im Vorkriegswerte von vielleicht 40 000 Mark verbaut, weswegen die Bruderschaft beschloß, ihm den Pachtzins auf 12 Dukaten zu ermäßigen und die Bestimmung eines dritten Mietsnachfolgers zu gestatten. In der Pachturkunde von 5. Februar 1509 heißt es: „Herr Johannes Sander errichtete das Haus zu bemerkenswertem Vorteil des Hospizes in prächtiger Weise“, und das war keine Übertreibung.

Das „Sanberhaus“, wie es genannt wirb, steht noch heute und ist wegen seines künstlerischen Wertes in die Zahl der römischen Nationaldenkmäler ausgenommen worden.

Die Straßenseite ist mit Sgraffit-Berzierungen reich geschmückt. Am unteren Stockwerke waren vier Brustbilder, darunter das des Erbauers, angebracht. Das rundbogige Tor zeigt im Schlußstein Johannes Sanders Wappen und darüber die Inschrift: „Jo. Sander Northusanus Rotae Notarius sec. 1508.“

Die steinerne Treppe hinaufsteigend, gelangt man im ersten Stockwerk zu den Wohnräumen, im zweiten durch einen kleinen Vorraum in das große Empfangszimmer. Ein breiter Fries mit zierlichen Wandmalereien aus der antiken Mythologie läuft oben an den dunkelroten Wänden entlang. Die von Längs- und Querbalken getragene Decke ist durch eine Holztäfelung in viele kleine Quadrate geteilt, die einen Stern auf himmelblauem Grunde ein- schließen. Im dritten Stockwerk gewährte eine die ganze Front einnehmende halboffene Bogenhalle dem Lichte und der Luft freien Zutritt und dem Bewohner einen behaglichen Erholungsraum. Dieses Stockwerk ist groß genug, um nach erfolgter Schließung der Bogenhalle heute dem Rektor der Anima als Wohnung zu genügen.

An der Hofseite des Hauses stellen offene Laufgänge, über weit vorspringende Träger gewölbt, die Verbindung mit dem Hinterhause her.


Nach Form und Bildschmuck ein Werk der wiedererweckten antiken Kunst, läßt das Haus vermuten, daß sein Erbauer eher dem Geiste des Humanismus als dem des mittelalterlichen Christentums huldigte, eine Vermutung, die durch einige Sprüche, die am und im Hause stehen, bestätigt wird.

Nur einer von vier Sprüchen bewegt sich in katholisch-christlichen Gedankengängen, und der ist nicht frei gewählt, sondern gehört zu einer Pflichtleistung. Der Bauvertrag bestimmte nämlich: zum Zeichen, daß das Haus Eigentum der Anima bleibe, müsse „solita pictura“ (das übliche Bildnis) der Jungfrau Maria mit einer entsprechenden Inschrift an der Front angebracht werden. Das Bildnis findet sich zwischen zwei Fenstern des zweiten Stockwerkes, der Spruch darüber und somit am dritten Stockwerk, auf dessen dem Sonnenlicht geöffnete Bogenhalle er anspielt:

„Quos de Theutonica socios hic gente tueris
Consortes superi fac pia Virgo solis.“

(„Laß die Genossen aus deutschem Geschlecht, die hier du beschützest, Heilige Jungfrau, schau'n einst das himmlische Licht.“)

Ein anderer, über dem ersten Stockwerk stehender Spruch, wünscht dem Gebäude langen Bestand, kleidet den Wunsch aber nicht in fromme christliche Worte, sondern in schwerverständliche Bilder der antiken Astronomie und Mythologie:

„Hec domus expectet Lunas Solesque gemellos,
Phoenicas natos ne ruat ante duos.“

Zu deutsch dem Sinne nach etwa: „Dieses Haus möge eine Sonnen- und Mondperiode zu gewärtigen haben, daß es nicht falle, bevor zweimal ein Phönix erstand“, also nicht vor zweimal 500 Jahren.

Am kennzeichnendsten, weil ganz frei gewählt und der täglichen Betrachtung des Hausherrn gewidmet, sind zwei Denksprüche im Fries des Empfangzimmers. Der erste, der 10. Satyre des Juvenal entnommen, gibt die prophetische Warnung wieder, die der weise Solon an den sich seines Glücks und Reichtums rühmenden König Krösus richtete, bevor diesen das Unglück ereilte:

„Respicere ad longae jussit spatia ultima vitae.“

(„Achten, hieß er, auf langen Lebens endlichen Ausgang.“)
Der zweite besagt nach Seneca:

„Divitiae cum labore acquiruntur, cum timore possidentur,
cum dolore dimittuntur.“

(„Reichtum wird mit Mühe erworben, mit Furcht besessen, mit Schmerz verloren.“)

Beide Sprüche bekunden antike Lebensweisheit, der christliche Wünsche und Hoffnungen fremd sind.

Für Johannes Sanders Sinnesart ist neben den Sprüchen sein Wappen sehr bezeichnend. Es findet sich nicht weniger als fünfmal im Sanderhause und zeigt in gespaltenem Schild rechts ein halbes goldenes Kreuz auf schwarzem Grunde, links einen halben gekrönten Adler in goldenem Felde. Zweifellos ist es nicht ein vom Vater ererbtes Wappen, denn im 15. Jahrhundert sind heraldische Figuren in den Siegeln von Bürgerfamilien noch sehr selten, während Hausmarken die Regel bilden. Und vollends konnte ein Bürger von Nordhausen es sich nicht erlauben, den Wappenadler seiner Stadt im eigenen Wappen zu führen. Johannes wird das Wappen auf Grund päpstlicher Verleihung geführt haben. Aus dem Kreuz, dem Sinnbild der Kurie, und dem Adler der Reichsstadt Nordhausen zusammengesetzt, bezeichnet es deutlich den Kurialbeamten aus Nordhausen und paßt damit aufs beste zu der Innschrift am Portal des Sanderhauses und manchen eigenhändigen Eintragungen, in denen Johannes stets seiner Heimat und seines Kurialamts gedenkt. Heimatliebe und Selbstbewußtsein waren offenbar hervorstechende Züge in seinem Wesen.


Johannes hat das Sanderhaus bis zum Tode bewohnt. Eine Nachricht aus späteren Jahren beziffert seinen Hausstand auf sechs Personen. Sein erster Hausmeister hieß Wessel Schütte.

Von dem Rechte, drei Mietsnachfolger zu bestimmen, machte er am 28. Februar 1509 Gebrauch, indem er die Söhne seiner einzigen Schwester ernannte. Diese Schwester, Margarete mit Namen, stand cihm anscheinend deswegen am nächsten, weil sie von der gleichen Mutter wie er stammte, während Albrecht und Hans Sander einer zweiten Ehe des Vaters entsprossen waren. Margarete war mit dem Nordhäuser Bürger Martin Ferer verheiratet; ihre Söhne hießen Nikolaus, Johann und Joachim Ferer.

Nikolaus Ferer hatte in Leipzig und Erfurt studiert, als Kleriker der Mainzer Diözese die niederen Weihen empfangen und sich dann nach Rom begeben, wo er bei seinem Oheim wohnte, als dieser ihn zum Mietsnachfolger einsetzte. Im folgenden Jahre 1510 wurde er mit einem ansehnlichen Kurialamt beliehen und zum Scriptor registri supplicationum oder Sekretär beim Amt für Eingaben und Gesuche ernannt. Der Oheim hatte ihn offenbar an Sohnes Statt angenommen, denn wiederholt wird er als einziger der drei Brüder mit dem Namen Ferer alias Sander bezeichnet.

Johann Ferer widmete sich nach Besuch der Universität Erfurt dem geistlichen Stande und erlangte später eine Domherrenstelle am Kreuzstift in Nordhausen. Wohl nur für kürzere Zeit weilte er 1514 in Rom und schrieb sich damals mit Nikolaus Ferer zusammen in das Mitgliederbuch der Anima ein.

Der jüngste Bruder, Joachim, blieb weltlichen Standes und Bürger seiner Vaterstadt.

Die Opferfreudigkeit und Tatkraft, die Johannes Sander bei dem Hausbau bewies, veranlaßte die Anima-Bruderschaft, ihn im Jahre 1509 zum zweiten Provisor zu erwählen. Der päpstliche Skriptor Wilhelm von Enckevort bekleidete damals das Amt des Regenten. Am 15. September verpachteten die Provisoren dem Rotanotar Dietrich von Eynem ein Haus der Bruderschaft für 50 Dukaten Miete und unter der Bedingung, daß er 100 Dukaten zur Ausbesserung des Hauses aufwenöen und 200 Dukaten für den im Werke befindlichen Kirchenneubau beisteuern würde. Auch in den folgenden Jahren waltete Johannes als zweiter Provisor und war bei verschiedenen ähnlichen Amtsgeschäften tätig. Die wichtigste Aufgabe jedoch bestand in der Geldbeschaffung für den erwähnten Kirchenneubau. Am 9. November 1509 wurde unter dem Borsitz Enckevorts und Sanders beschlossen, eine Anleihe innerhalb der Bruderschaft aufzunehmen. Nicht alle Mitglieder zahlten den ihnen zugeöachten Anteil, Johannes Sander aber entrichtete im Juni 1510 die von ihm erwarteten 50 Dukaten, trotzdem er noch hohe Ausgaben für sein Haus zu machen hatte. Im folgenden Jahre führte er mit seinen Amtsgenossen einen Prozeß zu Ende. Der Kardinal Perauöi hatte der Anima 518 Golögulden vermacht, die päpstliche Kammer aber das Legat eingezogen. Nun erlaubte Papst Julius II. den Provisoren, entweder das Geld aus gewissen deutschen Einkünften des Kardinals und den Kreuzzugbeiträgen zu erheben, — falls nämlich Kaiser Maximilian seine Einwilligung dazu gebe und die Kammer das Geld nicht schon vorher belegt habe, — oder sich aus der päpstlichen Jahressteuer von neu erlangten Pfründen in Deutschland zu befriedigen. Beide Geldquellen waren recht unsicher, und als die Provisoren erfuhren, daß in St. Gallen für die apostolische Kammer noch an 500 Gulden von der Jubiläumskollekte des Jahres 1500 lägen, hielten sie diese Quelle für aussichtsreicher und bevollmächtigten einen Mitbruder in Konstanz, diese oder andere der Kammer in Deutschland zustehenden Gelder bis zu dem Betrage des Legats einzutreiben.

Ein anderes Legat bereitete den Provisoren eine besonders große Enttäuschung. Der Kardinal Melchior Copis, ein steinreicher Mann, hatte der Anima 1000 Dukaten vermacht und später von seinem Bruder eine große Erbschaft übernommen mit der Verpflichtung, die Animakirche und ihr Hospiz von Grund auf neu zu erbauen; er konnte sich aber bei Lebzeiten nicht von dem Gelde trennen und begnügte sich damit, die Anima zu seiner Universalerbin einzusetzen. Das ließ auf eine Erbschaft hoffen, deren heutiger Wert mehrere Millionen Mark ausmachte. Leider starb der Kardinal aber gerade während einer zufälligen Anwesenheit an der Kurie, und nach altem Herkommen zog die päpstliche Kammer die Hinterlassenschaft aller an der Kurie sterbenden Prälaten ein, sofern sie nicht eine besondere päpstliche Erlaubnis zum Testieren erlangt hatten.

Papst Julius II. war kein Gönner der Anima und suchte von ihr nur Geld beizutreiben. Am 20. Oktober 1510, als Johannes Sander zweiter Provisor war, mußte die Anima 15 Dukaten zu den Kosten der vom Papste geführten Kriege beisteuern. Sie sollte das Doppelte zahlen, doch sträubten sich die Provisoren, die als ungerecht hoch empfundene Steuer zu entrichten, und ließen es auf das Interdikt, die Ausschließung vom öffentlichen Gottesdienst, ankommen. Dieses wurde in der Tat verhängt und Johannes wie alle anderen Provisoren mit einer Kirchenstrafe belegt. Das machte aber keinen allzu tiefen Eindruck auf die Bestraften, und erst nachdem 5 Dukaten nachgelassen waren, bezahlten sie am 15. Januar 1511 die übrigen 10 Dukaten der Kriegssteuer aus der Hospizkasse.

Inzwischen ging der Kirchenbau rüstig vorwärts und im Juli 1511 konnte bereits zur Herstellung des Hauptgiebels und dann zum Bau der Gewölbe in den drei Schiffen der Kirche geschritten werden.

Aus dem Jahre 1511 ist uns ein Zeugnis über die Rota und die Anima erhalten, dem wir besonderen Wert beimessen dürfen: ein Zeugnis Martin Luthers, der gerade zu der Zeit, als der Rotanotar Johannes Sander neben dem Regenten Wilhelm von Enckevort Provisor war, in Rom weilte. Von allen Kirchen der Stadt, die Luther „wie ein toller Heiliger" damals durchlief, ist neben dem Pantheon die Animakirche das einzige Gotteshaus, dessen Besuch er in späteren Jahren erwähnt. Mit großer Wärme rühmt er in seinen Tischreden, daß sie die beste in der Stadt sei und einen deutschen Pfarrer besitze, vor allem aber, wie das Evangelium daselbst in deutscher Sprache gelehrt werde.

Die Veranlassung, die Luther nach Rom führte, war ein Streit innerhalb des Augustinerordens, der vor dem Gerichtshof der Rota entschieden wurde. Und auch für diesen Wirkungskreis unseres Johannes hat Luther eine anerkennende Bemerkung, indem er von der Rota sagt: „da die Händel und Gerichtssachen fein rechtmäßig gehört, erkannt, verrichtet und geörtert werden.“

Am 17. März 1513 wurde Johannes als Nachfolger Enckevorts zum Regenten der Anima erwählt und damit auf den wichtigsten Vertrauensposten der deutschen Kolonie zu Rom gestellt.

Zur Dienstpflicht des Regenten gehörte die Führung von sechs Büchern über die allgemeinen Einnahmen und Ausgaben, die besonderen Kirchenbaukosten, die Häuser und sonstigen Besitzungen und schließlich die Verträge der Bruderschaft. Johannes ließ die noch heute vorhandenen dickleibigen Folianten durch den Sakristan in sein Haus bringen und begann seine Eintragungen im Einnahmen- Register mit den Worten: „Recepta per me, Johannem Sander de Northusen, notarium Rotae, hospitalis beatae Mariae Theutonicorum provisorem.“ Nach einer kurzen Schilderung seiner Wahl folgen die Buchungen, die er in allen sechs Bänden mit sorglichster Genauigkeit durchführte.

Selten verging ein Tag ohne eine Eintragung oder Verhandlung. Bald kommt ein Mieter eines der mehr als zwanzig zählenden Animahäuser, um die Halbjahrsmiete zu bezahlen, bald ist der einträgliche Opferstock der Kirche zu leeren, bald sind Schenkungen lebender oder Legate verstorbener Freunde der Anima in Empfang zu nehmen. Dann liefert das römische Bankhaus der Fugger die Erträgnisse von Sammlungen ab, die in Deutschland für das Hospiz veranstaltet werden, und oft sind Beiträge neuer Mitglieder zu verzeichnen, denn Johannes läßt es sich angelegen sein, das Bruderschaftsbuch angesehenen deutschen Pilgern und Besuchern der Stadt zur Eintragung vorzulegen. Manche politisch bedeutsamen Männer sind darunter, wie der Vertreter des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg und die Gesandten des späteren Kardinal-Erzbischofs Albrecht von Brandenburg, viele kirchliche Würdenträger aus deutschen Gebieten von der fernen Insel Ösel bis Lüttich, und auch seine beiden Neffen Nikolaus und Johann Ferer.

Mühsamer noch als die Verwaltung der Einnahmen war die der Ausgaben. Jeden Monat wurden der Sakristan und die sieben Kapläne der Kirche mit je 2 Dukaten besoldet, die sie neben freier Wohnung und Verpflegung bezogen, alle zwei Monate erhielt der Organist sein Gehalt, und oft legte der Armenpfleger seine Abrechnungen vor. Für die Kirche wurden laufend die Kerzen an den Leuchtern und Altären erneuert, Schmucksachen ausgebessert und angeschafft. An bestimmten Feiertagen, wie Fronleichnam und Palmsonntag, brachte die besondere Ausschmückung der Kirche erhebliche Ausgaben.

Ferner überwachte der Regent das gesamte Inventar der Anima, welches sich in der Kirche, den Dienstwohnungen, dem Hospiz und einem Nebenhospiz befand, und sorgte für Ausbesserung und Ergänzung desselben. Es ist für Johannes bezeichnend, daß die wichtigsten und für lange Jahrzehnte letzten Inventaraufnahmen der Anima von ihm eigenhändig als Regent geschrieben sind.

Schon in öer dritten Woche nach seiner Wahl nahm er eine genaue Besichtigung des der Anima angegliederten Andreas-Spitals vor und brachte den Befund in einem langen Protokoll zu Papier. Zum Spital gehörte eine kleine Kirche mit einem besonderen Kaplan als Seelsorger und Spitalverwalter. Den Haushalt führte eine Spitalmutter, der auch die Frauenabteilung unterstand. Mit der im Amt befindlichen war Johannes nicht zufrieden, weswegen er eine neue mater hospitalis einsetzte. Das spärliche und für den Winter nicht genügende Mobiliar ließ er durch Matratzen und Bettzeug ergänzen.

Im Dezember 1513 schritt er zur Bestandesaufnahme im eigentlichen Anima-Hospiz. Zuerst besuchte er die drei Schlafzimmer der sechs Kapläne und verzeichnet« das sehr reichliche Bettzeug. Dann ging er hinüber zu den Hospizräumen, sah die Stube des Kirchendieners, die beiden Säle der Pilger und der Pilgerinnen und den Wohnraum und die Küche des verheirateten Hospitalverwalters. Jeglichen Hausrat schrieb er genau auf nach Stückzahl und Beschaffenheit, vom wertvollen Bett bis zur schlichten Tortenform, denn alles war Eigentum der Bruderschaft.

Die Einführung eines neuen Sakristans gab ihm Veranlassung, im Mai 1514 auch noch das Inventar der Anima-Kirche zu verzeichnen, wobei er alle die vielen oft alten und wertvollen Stücke einzeln mit größter Sorgfalt beschrieb: 12 silberne und vergoldete Kelche, kostbare Monstranzen, Vortragskreuze, Weihrauchgefäße, Leuchter und Kirchenfahnen; dann eine lange Reihe von teuren und farbenprächtigen priesterlichen und bischöflichen Gewandstücken, Altardecken und Teppichen; endlich den Vorrat an weißen und vergoldeten Wachskerzen und Fackeln.

Öfters wurden die Dienstgeschäfte durch Feiern unterbrochen, bei denen Johannes als Regent die Anima vertrat, wie am 22. April 1514, als der kaiserliche Gesandte, Kardinal Matthäus Lang, ein feierliches Hochamt in der Anima-Kirche hielt, und zwei Monate später, als derselbe Würdenträger an der Fronleichnamsfeier der Bruderschaft teilnahm.

Neben all solchen Verrichtungen war Johannes andauernd mit den Sorgen und Arbeiten beschäftigt, die der kostspielige Kirchenneubau verursachte. Er setzte es durch, daß die päpstliche Kammer im Juli 1513 wenigstens das Recht der Anima auf 1000 Dukaten aus der erwähnten Erbschaft des Kardinals Melchior Copis anerkannte. Doch von der Anerkennung bis zum Empfang des Geldes war es ein weiter Weg, denn Papst Leo X. verwies die Bruderschaft darauf, sich mit einem Teil der aus Deutschland eingehenden Pfründensteuer bezahlt zu machen. Ein noch mißlicheres Zugeständnis war es, wenn der Papst der Bruderschaft gewisse Forderungen überließ, die Kardinal Copis bei einigen Schuldnern im Gebiete der Herzöge von Sachsen hinterlassen hatte. Im folgenden Jahr erlangte Johannes eine Vergünstigung, die leichter etwas einbringen konnte und dem Papst garnichts kostete: einen zehnjährigen Ablaß für alle, die etwas zum Kirchenbau beisteuerten. Die sichersten und ergiebigsten Einnahmen erwuchsen dem Bauamt aus Sammlungen in Deutschland, besonders in der Diözese Mainz.

Während seiner Bauleitung in den Jahren 1513 und 14 verausgabte Johannes aus der Anima-Kasse 620 Dukaten für den Kirchenbau. Er bezahlte den Steinmetz und den Maurermeister, kaufte Blei und Ziegelsteine für das Dach, schaffte eine Winde zur Hinaufschaffung von Baumaterial an und vieles andere. Am 16. Juni 1514 wurde die Inschrift vollendet, die er mit Zustimmung der Bruderschaft an der Front der Kirche anbringen ließ: „Templum beatae Mariae de Anima hospitalis Theutonicorum 1514.“

Sechs Wochen nach der erfreulichen äußeren Vollendung der Kirche verlor Johannes seinen Lieblingsneffen und Hausgenossen Nikolaus Ferer durch einen frühzeitigen Tod. Wie der Oheim selbst vermerkte, starb „Nicolaus Ferer alias Sander de Northusen“ am 2. August, nachmittags um 4 Uhr und wurde am selben Tage zu Mitternacht unter feierlichem Geleit der Priester und Mitglieder der Bruderschaft im Chor der Kirche beigesetzt.

Am 24. Dezember 1514 übergab Johannes die Regentschaft cm Wilhelm von Enckevort. In 22 Monate langer Amtsverwaltung hatte er sich durch Umsicht und Gründlichkeit, Eifer und Pflichttreue hervorgetan. Die musterhaft geführten Geschäftsbücher und Inventarverzeichnisse sind noch heute rühmliche Denkzeichen und für seine Eigenart nicht minder aufschlußreich als das prunkvolle Sunderhaus mit seinen Sprüchen und Wappen.

Johannes Sander war in Rom zu Ansehen und Wohlstand gekommen, doch dem Geiste seines Volkes fremd geworden. Wohl sah er die Schäden der Kirche aus nächster Nähe: die Verweltlichung des Papsttums, die Geldgier der Kurie, den Handel um Kirchenämter, das Schwinden christlichen Sinnes; aber er war mit dem Gefüge der Kirche aufs engste verbunden, lebte selbst von deutschen Prozessen und von Pfründen, die für heimatlich« Seelsorge bestimmt waren, nahm für die Anima Kreuzzugsbeiträge und Ablaß in Anspruch, teilte die kühle Philosophie der führenden römischen Kreise, die Freude an Kunst und Wissenschaft und die Verständnislosigkeit für den Drang nach neuem Glaubensleben, der sich im deutschen Volke regte.


So erscheint uns Johannes aus seinen Worten und Taten. Aus seiner Handschrift aber ersieht der Graphologe folgendes Charakterbild:

„Johannes Sander verfügte über gute vielseitige Gaben, nämlich praktischen, klaren Verstand, tatkräftigen Willen und starke Gefühle. Auf dem Boden der Wirklichkeit stehend, hatte er Sinn für nützliche Dinge, doch fehlte es ihm nicht an geistigen Bedürfnissen und höherem Streben. Er liebze Kunst und Wissenschaft und forschte nach Erkenntnissen.

Wenn er seinen Obliegenheiten mit Eifer und Ausdauer nachkam, so bestimmten ihn nicht der Wunsch nach Selbstvervollkommnung und sittliche Grundsätze, sondern Liebe zur Sache und Tätigkeitsdrang. Er brauchte einen Wirkungskreis, in dem er selbständig und frei anordnen konnte, denn er fühlte sich überlegen und befähigt, andere zu leiten.

Seinen Mitmenschen brachte er Wohlwollen entgegen, doch wird der Verkehr mit ihnen nicht reibungslos gewesen sein, denn Johannes konnte hartnäckig auf seiner Ansicht bestehen. Er war lebhaft und geneigt, sich Hinreißen zu lassen, doch bewahrte ihn Vorsicht und Vernunft vor Unbesonnenheit und seine Bildung vor Geschmacklosigkeit. — Don ehrenhafter Gesinnung und freimütig, trat er vor Menschen selbstbewußt auf, während er sich dem Schicksal bejahungsbereit und gläubig überließ.

Alles in allem ein Mensch, der dem Lebenskampf in jeder Weise gewachsen war.“

Die Ratsherren Albrecht und Hans Sander

Um die Zeit als Johannes Sander Kurialbeamter wurde, erscheint Albrecht im Dienste seiner Vaterstadt. Ein Verzeichnis von 1493 führt ihn als Rottmeister der 11. Bürgerrotte auf, die nach St. Nikolaus, dem Schutzpatron der Marktkirche, benannt war. Im folgenden Jahre wurde er zum Vorsteher der Bäckergilde gewählt und sechs Jahre später als Vertreter der Gilde in den Rat berufen.

Der Rat bestand noch wie zu Wernher Sanders Zeit aus drei Ratsregimenten mit je 18 Vertretern der Gilden und 9 der Stadtviertel, doch war seine Leitung den Handwerkergilden entglitten. Nach der Verfassung von 1375 wechselten nicht nur die drei Ratsregimente von Jahr zu Jahr, sondern auch innerhalb des jeweils regierenden von Halbjahr zu Halbjahr die wichtigsten Amtsträger, insbesondere die Bürgermeister. Es gab deren in jedem Ratsregiment vier, von denen zwei in der ersten und zwei in der zweiten Hälfte des Jahres das Amt verwalteten. Ein Bürgermeister war also ein halbes Jahr lang mit einem Genossen zusammen im Amt und kam dann erst nach zweieinhalb Jahren wieder an die Regierung. Es mußte sich bald Herausstellen, daß ein so häufiger Personenwechsel eine feste und vorausschauende Stadtpolitik unmöglich machte, und man half dem Übelstande ab, indem man die Bürgermeister aller Ratsregimente als einen ständigen, mit großen Vollmachten ausgestatteten Ratsausschuß walten ließ.

Dieser Ausschuß, die Herren Ältesten genannt, führte tatsächlich die Regierung der Stadt. Von einem „ewigen", das heißt sich selbst ergänzenden Rat, unterschied er sich durch seine Ergänzung aus den vom Rat gewählten Bürgermeistern. Wären letztere nach Maßgabe der Verteilung der Ratssitze gewählt worden, so hätten unter den Ältesten die Handwerker überwiegen müssen. Das war aber keineswegs der Fall, sondern im Rat und erst recht unter den Ältesten herrschten die in der Kaufgilde vereinigten Tuchhändler oder „Gewandschnitter" und ihr Anhang vor. Durch altes Ansehen, wirtschaftliche Bedeutung, weiteren Blick und engen Zusammenhalt ausgezeichnet, stützte die Kausgilde sich vornehmlich aus die ihr meist durch Herkunft, Besitz und Bildung nahestehenden Vertreter der Stadtviertel und der Tuchmacher. Einige andere Gilden gewann sie dadurch, daß sie besonders einflußreichen Vertretern derselben einen Teil der höheren Stellen überließ. Auf diese Weise erlangte und behauptete sie den entscheidenden Einfluß bei der Bürgermeisterwahl und damit im Ausschuß der Ältesten. Da zwischen den Familien der Ältesten vielfach verwandschaftliche Beziehungen bestanden, konnte ein kundiger Mann jener Zeit sagen, die Herren Ältesten seien ein „gefreundeter", das heißt durch Verwandtschaft verbundener, aristokratischer Rat.

Albrecht Sanders Eintritt in den Rat vollzog sich in folgender Weise. Als der regierende Rat gegen Ende des Jahres 1499 zur Bestellung des Ratsregimentes für 1500 schritt, war aus dem nun wieder an die Reihe kommenden Ratsregiment von 1497 ein Vertreter der Bäckergilde, Kurt Brinkmann, gestorben. Er muß ein tüchtiger Mann gewesen sein, denn er hatte in den Jahren 1494/97 das Bürgermeisteramt bekleidet. Nun brachten die beiden im regierenden Rat sitzenden Vertreter der Gilde in Gemeinschaft mit zwei anderen Vertretern ihrer Gilde, vermutlich den derzeitigen Gildemeistern, als Ersatzmann Albrecht Sander in Vorschlag. Da der Rat den Vorschlag guthieß, trat Albrecht in das Ratsregiment ein, welches 1500 und demnächst wieder 1503 regierte. Zu den Bürgermeistern dieser Jahre gehörte an erster Stelle Jonas Koch, der Vater des Reformators Justus Jonas.

Drei Urkunden sind uns erhalten, in denen Albrecht als Ratsherr genannt wird. Die erste, vom 30. Juni 1500, gibt ein Beispiel für die Namensgleichheit zweier Brüder, indem sie besagt, daß der Rat dem Hans Stoghusen eine Leibrente verkaufte, die nach dessen Tode an seine Geschwister Margareten, Hansen und Heinrich Stoghusen fallen soll; die zweite vom März 1503 bestätigt ein Vermächtnis von 180 rheinischen Gulden für Totenmessen; in der drei Monate später ausgestellten dritten verspricht der Rat einem Halberstädtischen Domherrn 45 Gulden Jahreszins für ein Darlehen von 900 Gulden.

Nur zweimal gehörte Albrecht dem sitzenden Rate an. Als sein Ratsregiment für das Jahr 1506 erneut bestätigt wurde, war er wie auch die beiden Vertreter des Rautenviertels gestorben. Sicher ist es kein Zufall, wenn bei den Ersatzwahlen sofort ein anderer Sander gewählt wurde, sondern eine Folgeerscheinung der im Rat herrschenden Vetternwirtschaft einflußreicher Familiensippen. Wie viele Beispiele erkennen lassen, arbeiteten sich diese dermaßen in die Hände, daß jede von ihnen fast ständig im Rate vertreten war, indem, wenn das eine Mitglied starb, möglichst bald ein naher Verwandter desselben mit einer Ratsstelle bedacht wurde. Hans Sander, der unmittelbar nach Albrecht in den Rat trat, gehörte nicht der Bäckergilde an und konnte deshalb nicht den Ratsplatz dieser Gilde erhalten, deshalb wurde ihm als Albrechts nächstem ratsfähigen Verwandten ein Platz des Rautenviertels eingeräumt.

Nach der Stadtverfassung wurden die neuen Vertreter eines Stadtviertels von dem im regierenden Rat sitzenden Vertretern dieses Viertels völlig selbständig und ohne Mitwirkung anderer Bürger vorgeschlagen. Diese seltsame Einrichtung begünstigte natürlich die Vetternwirtschaft. Wenn etwa ursprünglich die Vertreter der Stadtviertel aus den nicht zu einer ratsfähigen Gilde gehörigen Bewohnern jedes dieser Viertel genommen werden sollten, so verfuhr man jetzt anders, indem man sowohl Bewohner anderer Stadtviertel als auch Angehörige von Ratsgilden zu Vertretern eines Stadtviertels berief. So wurde jetzt neben Hans Sander Gerlach Pockeram zum Vertreter des Rautenviertels gewählt, und Pockeram war 1491 und 1496 Gildemeister der Krämergilde gewesen.

Hans Sander mag um 1460 geboren sein. In einem spätestens 1492 angelegten Einwohnerverzeichnis ist er an dritter Stelle hinter Albrecht Sander und unmittelbar vor Martin Ferer, dem Mann der echten Schwestern des Johannes, eingetragen. Im Jahr 1493 finden wir ihn unter den Armbrustschützen der Stadt und als Rottenmann der 11. Rotte St. Nikolaus, deren Führer Albrecht Sander war. Später wurde er zum Rottmeister der 5. Rotte St. Andreas ernannt und für die Verteidigung des Altentors eingeteilt. Dieses war im Norden der Oberstadt am Ausgang nach der Vorstadt Altendorf gelegen, bestand aus zwei Tortürmen und war mit einigen Hakenbüchsen und anderen Waffen ausgerüstet. In noch späterer Zeit übernahm Hans die Führung der 6. Rotte St. Georius, die den Namen des Patrons der Hospitalkirche am Kornmarkt trug.


Hansens Tätigkeit im Rate der Stadt dauerte etwa 20 Jahre und fiel in eine sehr bewegte und bedeutende Zeit. Wir glauben deshalb im Rahmen seiner Lebensdarstellung auch über Ereignisse berichten zu dürfen, bei denen sein Name zwar nicht besonders genannt wird, die ihn aber nahe berührt haben und bisher in ihrem Zusammenhange wohl nicht ganz richtig geschildert worden sind.

Bekanntlich waren im 15. Jahrhundert wirtschaftliche Veränderungen eingetreten, deren nachteilige Auswirkungen weite Kreise des niederen Volkes mit starker Unzufriedenheit und mit Feindseligkeit gegen die Wohlhabenden erfüllten. In erster Linie richtete sich der Unwille meist gegen die reiche Geistlichkeit, die in Stiften und Klöstern nicht selten ein faules und anstößiges Leben führte und oft als Grundherrschaft ähnlich wie der Adel die Bauern bedrückte.

Neben dieser sozialen Bewegung lief eine kirchliche einher, die vornehmlich von führenden Schichten des Volkes getragen wurde. Die kirchlichen Mißstände waren so unerträglich geworden, daß fast alle Regierenden ernstlich nach Abhülfe strebten, auch diejenigen, die später der katholischen Kirche treu blieben.

Zu letzteren gehörte Herzog Georg von Sachsen, der in den thüringischen Landen des Hauses Wettin herrschte, als nächster Nachbar einer der Schutzherren der Reichsstadt Nordhausen war und als Inhaber des Reichsschulzenamtes daselbst oft mit dem Rate der Stadt zu tun hatte. Er bekämpfte vornehmlich die Verwahrlosung der Stifte und Klöster, die Übergriffe der geistlichen Gerichtsbarkeit, den Ablaßhandel und die Subsidienzahlungen, lauter Mißstände, denen wir in unserer Darstellung begegnen.


Gleich im ersten Jahre von Hans Sanders Ratsamt erhob der Erzbischof von Mainz, zu dessen Sprengel Nordhausen gehörte, von allen Geistlichen seines Gebiets eine Subsiöienzahlung, um die Kosten zu decken, die ihm aus der Erlangung des Erzbistums erwachsen waren. Wie der Rotanotar Johannes Sander, der in Rom die Einkünfte von sechs heimischen Pfründen verzehrte, so mußte auch der ärmste Geistliche der Mainzer Diözese den zwanzigsten Teil seines kirchlichen Jahreseinkommens beisteuern, und all dies Geld ging außer Landes.

Im Jahre 1507 begegnete uns Hans als einer der vier Vormünder und Vorsteher der „Bruderschaft Unser lieben Frauen der Diener", einer Genossenschaft zum Wohle der städtischen Angestellten und Söldner. Zwei der Vormünder waren Ratsherren, deren einer dem sitzenden Rate angehörte.

Aus dem Jahre 1509, wo Hansens Ratsregiment wieder regierte, sind zwei Vorgänge bemerkenswert. Zu Ostern wurde Klaus Sandemaus Nordhausen an der Universität Erfurt immatrikuliert; die Vermutung liegt nahe, daß der junge Student ein Sohn des Ratsherrn war, denn er wohnte später im Rautenviertel, das Hans vertrat, und stand wie Hans in nahen Beziehungen zu Gerlach Pockeram. Sodann wurde im Herbst Michael Meyenburg vom Rat als Stadtunterschreiber angenommen, damals noch ein unerprobter Jüngling, bald aber der einflußreichste Mann und eine überragende Gestalt der Reichsstadt.

Im folgenden Jahre betrat ein anderer Mann die politische Bühne Nordhausens, unabhängig vom Rat und diesem oft widerwärtig, nämlich Leonhard Busch, den Herzog Georg im April 1510 zum Reichsschulzen ernannte. Busch verwaltete das Amt mit großer Tatkraft und diente dem Herzoge als Vertrauensmann. Da dem Rat das von ihm unabhängige Schulzenamt und die Einmischung des Herzogs in städtische Angelegenheiten höchst störend und ärgerlich waren, so entstand bald eine heftige Feindschaft zwischen den Herren Ältesten als Führern des Rats und Leonhard Busch.

Während der Jahre 1510, 1511 und 1512 finden wir Hans unter den Schoßherren, die am Vorabend des Dreikönigstages über die Einnahmen aus dem Schoß des Vorjahres abrechnen. Zu Schoßherren wurden jährlich je zwei Mitglieder der drei Ratsregimente gewählt und zwar im ganzen vier aus den Ratsherren der Gilden und zwei aus denen der Stadtviertel. Als Entgelt für seine Arbeit erhielt der Schoßherr ½ Schock Groschen.

In den Abrechnungen sind die Einnahmen nach den Stadtteilen verzeichnet. Zuerst kommen die vier Viertel der Oberstadt: das Neuwegs-, Altentor-, Töpfer- und Rautenviertel; dann folgen die Vorstädte: Frauenberg, Neustadt, Sand, Flickengasse, Weiden, Grimmel, Nieöeck und Altendorf. Bon einer Gesamteinnahme von etwa 1000 Schock Groschen entfallen ungefähr 7 Zehntel auf die vier Viertel der Oberstadt, unter denen wiederum das volkreiche Rautenviertel die anderen erheblich übertrifft. Die übrigen 3 Zehntel werden von den acht Vorstädten aufgebracht und dabei 1½ Zehntel allein von der Neustadt, die es an Schoßzahlungen manchem Viertel der Oberstadt gleichtat.

Die Verschiedenheit der Steuerkraft der einzelnen Stadtteile stand in engem Zusammenhang mit der Beschaffenheit und Zahl ihrer Häuser, deren Wert in vielen Abstufungen zwischen weniger als 50 und mehr als 1000 Gulden lag. Die Viertel der Oberstadt teilten sich ziemlich gleichmäßig in die ansehnlichsten Häuser; daneben gab es im Neuwegsviertel die wenigsten, im Rautenviertel die meisten geringeren Häuser. Die Neustadt konnte es hinsichtlich Zahl und Größe ihrer Häuser einigermaßen mit einem Oberstadt-Viertel aufnehmen, doch wurde sie von den reichsten Bürgern gemieden, denn wer zu Vermögen kam, strebte nach der Oberstadt. Der Frauenberg zählte 90 wohlbevölkerte Häuser bescheidenster Art. Sand mit Flickengasse waren einem Stadtviertel an Größe gleich und nicht ganz so ärmlich wie der Frauenberg, aber weniger bevölkert. Das Altendorf zeichnete sich vor Grimmel und Frauenberg nur durch einige wenige Häuser besserer Art aus; räumlich von der übrigen Stadt am meisten abgesondert, barg es eine unruhige Bevölkerung.


Im Jahre 1511 hatte sich der Rat mit einem Vorfall zu beschäftigen, dessen ersten Anlaß er jedenfalls selbst nicht billigte. Der Bürger Martin Ferer, der Schwager des Rotanotars und somit auch dem Ratsherrn Hans Sander verwandt, hatte sich trotz eines Verbotes des Herzogs Georg in einer weltlichen Streitsache an ein geistliches Gericht gewandt. Als er sich dann im Gebiet des Herzogs betreffen ließ, wurde er von dessen Amtmann zu Langensalza, Sittich von Berlepsch, gefangen gesetzt. Nun trat der Nordhäuser Rat für seinen Mitbürger ein und beschwerte sich beim Herzog über Ferers Festnahme. Der Herzog schrieb darauf am 11. April, er werde den Amtmann anweisen, Ferer des Gefängnisses zu entledigen und auf einen Urfrieden, das heißt ein Gelöbnis, sich nicht rächen zu wollen, auskommen zu lassen; doch solle der Rat dafür sorgen, daß seine Mitbürger in weltlichen Sachen nicht geistliche Gerichte anriefen, da er sonst strafen müsse.

Aus dem Sitzungssaal und der Rechenstube des Ratshauses hinaus und durch alle Teile der Stadt führte Hansen das Amt eines Kriegsmeisters oder Pfeilherrn, welches er 1512 bekleidete. Es war besonders verantwortungsvoll und wurde von zwei Ratsherren verwaltet, deren einer am Dreikönigstage, der andere zu Johannis das Amt antrat und ein Jahr lang behielt. Dementsprechend fand an diesen beiden Tagen eine Rechnungslegung statt.

Die Kriegsmeister hatten im Kriegsfälle zusammen mit dem Stadthauptmann, einem im Solde des Rats stehenden Ritter, die kriegerischen Maßnhmen zu beschließen und zu leiten. In Friedenszeit lag ihnen hauptsächlich die Sorge für alles Kriegsgerät der Stadt ob. Sie sollten gemäß der Satzung von 1470 „alle Geschütze und Gezeug, die zu ihrem Amte dienen und gehören, auch alle Waffen und Geschütze auf den Toren und Türmen, im Pfeilhause, auf den Mauern und wo sie dieselben sonst haben, mit des Rats Zeichen zeichnen, in ein Register beschreiben und verzeichnet ihren Nachfolgern geben, überantworten und beweisen; wer das nicht tut und darüber betroffen wird, gibt eine Mark und sitzt vier Tage inne, ohne Gnade."

Hansens Amtsgenosse war erst Lorenz Junker, dann Gerlach Pockeram. Ihre Tätigkeit wurde erschwert durch den Umstand, daß die Kriegsvorräte der Stadt an den verschiedensten Plätzen untergebracht waren. Nach einem Verzeichnis von 1514 lagerten im Pfeilhause über der Ratsstube große Mengen von Pfeilen in 16 Tonnen, 28 Schauben und 2 Fässern, außerdem etwa 80 neue Armbruste, deren Verbleib sorgfältig nachgewiesen werden mußte, und einige Hundert lange Spieße; in dem Gewölbe unter der Kämmerei Salpeter, Schwefel, Blei und ein kleiner Vorrat fertigen Pulvers; vor dem Gewölbe Pfeile und einige Fässer gestoßener Holzkohle; unter der Ratsstube Salpeter und mehrere Schock Hakenbüchsen; unter der Kämmerei Pfeile. Lederne Löscheimer wurden auf dem Tanzboden, im Wachthause vorm Adler in der Neustadt und im Altendorf verwahrt, der Hauptvorrat an fertigem Pulver im Wülfingsturm, die Geschütze nebst Steinkugeln, Karren und Wagen im Büchsenhaus zu St. Georgen. Außerdem waren sämtliche 76 Türme und Tore der Stadt mit Kriegsmaterial zur sofortigen Benutzung versehen.

Im Bauernkriege

Der Rotanotar Johannes Sander nach der Reformation

Klaus, Hans der Jüngere und Andres Sander

Hans Sander, Klausens Sohn

Anhang