Altes Rathaus (Nordhausen)

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Altes Rathaus
Altes Rathaus

Das Alte Rathaus in Nordhausen wurde in seiner heutigen Erscheinung zwischen 1608 und 1610 im Renaissancestil erbaut.

Geschichte

Die erste schriftliche Erwähnung vom Bau eines Nordhäuser Rathauses stammt aus dem Jahr 1360, für die Errichtung eines Rathauses ist jedoch sicher ein wesentlich früherer Zeitpunkt anzunehmen.[1] Unmittelbar daneben befand sich die Marktkirche; wie in alten Städten üblich, bildeten beide zusammen den Mittelpunkt der weltlichen und geistlichen Verwaltung der bürgerlichen Siedlung. Der Bau wurde typischerweise für die Zeit auch als Kaufhaus genutzt. Das Rathaus von 1360 war ein Um- und Erweiterungsbau des ältesten gewesen. Erbaut sei es durch Hermann von Werther (Martinikirche), Siegfried Kremer (Petrikirche) und Ludwig Burner. Der Umbau war offenbar erfolgt, weil dieser alte Bau unscheinbar, niedrig, im Innern schlecht belichtet und den gesteigerten Ansprüchen der Verwaltung und des Handelsverkehrs nicht mehr genügte. Zudem wurde eine Kapelle für die Ratsmitglieder erbaut.

1562 wurden Ausbesserungen am Rathaus notwendig, zwischen 1608 und 1610 kam es zu einem größeren Umbau. Das Rathaus behielt auch in diesem dritten seiner Bauzustände den typischen Charakter der Vereinigung von Kauf- und Verwaltungsgebäude. Der ehemals offene Arkadengang wurde als Kaufmagazin genutzt. Teile des alten Baues gingen in den neuen über, während das Ganze als Renaissancebau fast einer Neuschöpfung gleichkam. Alt sind u. a. der untere Teil des Treppenturmes mit dem Portale sowie die Ecke, an welcher der Roland steht, ferner die Wand mit den gotischen Türen.

Bei den Veränderungen im Jahre 1883, die einen vierten Bauzustand schufen, wurden u. a. die Kaufmagazine mit Fenstern versehen.

Bei den Luftangriffen auf Nordhausen 1945 brannte das Rathaus aus, der Wiederaufbau wurde 1952 vollendet. Eine steinerne Wappentafel (Theodosius-Stein) über dem östlichen Eingang erzählt in lateinischer Umschrift die Legende der Stadtgründung durch den römischen Kaiser Theodorius II. im Jahre 410. Der Rat der Stadt wird 1524 mit der Einführung eines Ratsdediktes Schirmherr aller Kirchen in Nordhausen und führt damit die Reformation ein. Vor dem Rathaus steht die Kopie des Nordhäuser Rolands, derm Symbol für Freiheit, Macht und Gerichtsbarkeit. Das Original von 1717 befindet sich im Foyer des 1936 errichteten Neuen Rathauses.

Sanierung

Seit Jahrzehnten leidet das Bauwerk unter erheblichen Fassadenschäden, wie ausgewaschener Mörtel, sich auflösende Fugen und verwitterte Steine. 1995 wurde eine Schadenskartierung durchgeführt, gefolgt von einem Gutachten der Bauhaus-Universität Weimar im Jahr 2014. Die Untersuchungen ergaben, dass rund die Hälfte aller Fassadensteine so stark beschädigt ist, dass sie im Falle einer Sanierung komplett ersetzt werden müssten. Die Hauptursachen für die Schäden sind das Eindringen von Wasser in die Fassade aus Kalk-, Sand- und Gipsgestein sowie die Einwirkung von Salzen und Schadstoffen.[2]

Die Finanzierung und die Entscheidung über die Sanierungsmaßnahmen sind bisher nicht erfolgt. Im Jahr 2019 wurden Städtebaufördermittel in Aussicht gestellt. Aktuell besteht die Möglichkeit, dass der Stadtrat 900.000 Euro für die Sanierung der Fassade bereitstellt, wobei zwei Drittel dieser Summe aus Fördermitteln stammen könnten.

Ein weiteres strittiges Thema ist die Art der Sanierung. Während die Rathausführung und der Nordhäuser Denkmalbeirat die Natursteinoptik des Gebäudes erhalten möchten, plädiert das Landesdenkmalpflegeamt dafür, das Bauwerk aufgrund der schlechten Qualität der Steine und der fortschreitenden Verwitterungzu zu verputzen. Ursprünglich soll das Rathaus verputzt gewesen sein, Reste wurden an den Gewänden und Gesimsen gefunden.

Galerie

Beschreibung des Alten Rathauses (1887)

Zitat
Fig. 76
Vorliegende Abbildung desselben giebt uns nebenbei eine treue Darstellung der typischen Form des alten deutschen Rathhauses mit seinem Treppenthurme vor der stattlichen Front und seiner offnen Bogenhalle, wie es sich bis zum Jahre 1883 dem Beschauer vor Augen stellte. Sein Äusseres und Innneres hatte sich aber — um dem jeweiligen Bedürfnisse Rechnung zu tragen — der Wandlungen mancherlei gefallen zu lassen. Doch ehe wir auf diese des Nahem eingehen, wollen wir den Ursprung des Gebäudes zu ergründen versuchen.

Auf der Nordseite desselben ist eine grosse Kalksteinplatte der Mauer eingefügt, welche uns in tief eingegrabener Majuskelschrift folgende Nachricht überliefert : „POST - M - POST - TRIA - CCC - P - L - SIMVL - X - DOM'V - ECCE - PVLCRA - FENESTRATA - RECTANGLA - STAT - SAT - ALTA STRVCTA - ET - CONPLETA DOMVS - CVM - CAPELLA HIIS SVB. STRVCTORIBVS - HERMANO - DE - WERTHRE - SIFFRIDO - KREMER - ET - LVDEWICO - BVRNFR.“

POST - M - POST - TRIA - CCC - P. BIS • X. JVNGE - NOVEQ - PRE - PALMIS - FERIA - SEXTA - FESTO - TYBVR - ET - VA - ENTRARANT - POSTES - VRBIS TVC - ILLIVS - HOSTES - VICTRIX - NORTHVSA - SED - CELI - EST - OPE • FVSA. Oder mit aufgelösten Abkürzungen:

Post M CCCLX. domus ecce pulcra fenestrata rectangula stat sat alta structa et completa domus cum capella, hiis sub structoribus Hermanno de Werther, Sigfrido Kremer et Ludovico Burner.1 und übersetzt: Nach 1360 (Jahren) siehe da das schöne, gefensterte, rechteckige, hinreichend hohe Haus stehen, erbauet Haus samt Capelle unter diesen Bauherrn: Hermann von Werther, Siegfried Kremer und Ludwig Burner. Hermann von W. kommt als Rathsmeister in der Zeit vom Jahre 1340-1370 vor, Ludwig Burner oder Börner als solcher im Jahre 1372 und Siegfried Kremer unter den Bauherrn des Petrithurmes in der an diesem befindlichen Inschrift vom Jahre 1362. (Fig. 70.) — Der darauf folgende Theil der Inschrift, der nicht hierher gehört, lautet in der Übersetzung: Am 14. April des Jahres 1329, am Freitage vor dem Palmsonntage, damals drangen durch die Thore der Stadt die Feinde derselben, aber Nordhausen ist durch himmlische Hülfe Siegerin, da die Truppen zerstreuet werden.

Der erste Theil der Inschrift ist, sehr mit Recht, auf den Bau des Rathhauses bezogen worden, denn unter der domus fenestrata et rectangula können wir doch nimmermehr, wie es Lesser gethan hat, eine Kirche verstehen und von einem anderen öffentlichen Gebäude von dieser Bedeutung wissen wir nichts. Zudem enthielt ja das Rathbaus, wie dies im Mittelalter immer der Fall war, eine Capelle, in welcher die Rathsherrn nach frommer Sitte vor jeder Sitzung eine Messe hörten. Nach dem sogenannten „Rauhen Buche“ fol. 97. dotirt bereits 1360 der Rath einen Altar und eine Vicarei im Rathhause mit 2 Hufen Land in Nordhäuser Flur, und unterm 22. November 13ö2 ertheilen 20 Cardinäle in Avignon der Capelle des heil. Leichnams auf dem Rathhause zu Nordhausen (capella sita in pretorio civitatis Northusen fundata in honore gloriosiss. corporis domini consecrata) einen Ablassbrief, der allen denen, die gedachte Capelle an gewissen bezeichneten Tagen besuchen, Messe oder Predigt darin anhören, zur Beschaffung von Kirchenschmuck und Geräthe beisteuern und für das Seelenheil des Hermann von Werther, seiner Söhne und anderer Genannten, welche diesen Ablass ausgewirkt haben, beten, auf 40 Tage Erlass ihrer Sünden verspricht. Der Rath stiftet 1421 eine zweite Vicarei zu einem zweiten Altäre in der Rathhauscapelle, die Vicare standen unter dem Pfarrer zu St. Nicolai, an den sie auch das Opfergeld einzuliefern hatten. Der Dechant und das Capitel des Domstifts gestatteten unter dieser Bedingung, dass Messe und Gottesdienst auf dem Rathhause abgehalten wurden. Auch das Archi-Diaconatsregister giebt für die Rathhauscapelle zwei Altäre mit zwei Vicareien an. Dieser Vicarei schenken 1463 Hildebrand Stöckey und seine Frau Else Zinsen von ihrem Hause unter den Weiden und 1492 im April bezeugt der Mainzer Weihebischof Frater Georg, dass er eine neue Tafel, den Gekreuzigten mit Maria und Johannes darstellend, auf dem Rathhause geweiht habe und ertheilt denen, die vor demselben beten, die üblichen 40 Tage Ablass (RA.: Of., 1,2.). Noch 1498 wird in den Registern der Pfeilmeister des Altars im Rathhause „vor dem Gewölbe“ und 1500 des Altars mit seinen Zubehörungen im Gewölbe in den untersten Kammern unter der Räthe „Dorntze“ (Zimmer) gedacht, dann scheinen Altar und Gottesdienst zu existieren aufgehört zu haben.

Fragen wir nun nach dem Orte, an welchem damals ein neues Rathhaus erbaut wurde, so verlegt Kindervater in seiner Feuer- und Unglückschronik denselben mitten auf den Kornmarkt; Förstemann folgt ihm in seiner Neubearbeitung der Lesserschen Chronik hierin, während sein Vorgänger Lesser und der noch ältere Frommann ihn an jener Stelle vermuthen, welche später der städtische Wein- oder jetzige Rathskeller einnahm. Dr. Frommann bemerkt kurz, ohne Angabe seiner Quelle: „132? hat das Rathhaus gestanden wo jetzt der Weinkeller ist.“ Sie alle gehen von der irrigen Meinung aus, dass das Rathhaus, wie wir es jetzt sehen, in den Jahren von 1601 bis 1610 von Grund aus neu erbaut worden sei. Abgesehen nun davon, dass man schwerlich das Rathhaus auf den Kornmarkt in die nächste Nähe eines Hospitals (St. Georgen) gebaut haben würde, wissen wir ja auch, dass 1360 der Kornmarkt als ein Hauptplatz der Stadt noch nicht existirte. Das Rathhaus wurde stets am Marktplatze einer entstehenden Stadt angelegt und dieser war in älterer Zeit derselbe Platz, der jetzt noch diesen Namen führt. Bereits in der Urkunde Friedrichs II. über das heil. Kreuzesstift vom Jahre 1220 heisst die St. Nicolaikirche: beati Nicolai in foro.

Wir werden nun den Nachweis liefern, dass der 1360 als vollendet bezeichnete Rathhausbau an derselben Stelle aufgeführt wurde, welche das jetzt bestehende Rathhaus einnimmt, ja dass ein nicht geringer Theil des alten Unterbaues in letzterem enthalten ist.

Nach mittelalterlichem Sprachgebrauch ist Rathhaus mit Kaufhaus oft identisch, wie schon Puttrieh im letzten Hefte seines bekannten Werkes am Beispiele der Stadt Jüterbog nachgewiesen hat und wie ja in mehreren Städten z. B. im benachbarten Sangerhausen die alte Einrichtung noch heute besteht, dass sich im Erdgeschosse des Rathhauses Kaufläden befinden. Auch in Nordhausen war dies bis vor nicht langen Jahren noch der Fall, auch hier bestand das Erdgeschoss des Rathhauses aus einer Reihe von Gewölben, die ihre Parade der einst offenen Bogenhalle zuwendeten, den sogenannten Kauf- oder Gewandkammern, von den ältesten Zeiten an zum Verkauf von Schnittwaaren bestimmt. Dieser Kaufkammern nun wird in den Statuten der Stadt häufig gedacht, dienten sie ja doch dem Verkehre; sie bestanden übrigens bereits vor dem Jahre 1360 wie wir aus dem Artikel 65 der Statutensammlung vom Jahre 1308 erfahren, welcher festsetzt, dass wer: „zu den Koufkameren nicht instet onde gewant snitet, di (der) sal ez den ratluten buze (biissen) nach der stat. rechte.“ Dass sie aber unter dem Rathhause lagen, sagt uns der Artikel 47. des dritten Buchs der 1470 abgegeschlossenen „Bürger Eynung“ ganz klar. Seine Überschrift lautet: „Von den Kouffkammern vnder dem rathhusz. Welch borger hat der Kouffkammern eyne an deme Kouffhusze vndene bye der erden, dye sal nymande vormyten der darynne fuer (Feuer) habe, adir so gethau dingk, die den obersten Kammern geschaden mochten, adir ouch selbir dar in ne haben etc.

Wir ersehen hieraus auch, dass die untern Gewölbe (f, h, i des Grundrisses Fig. 77.), die sogenannten Cavaden bereits unter den oberen, den eigentlichen Gewandkammern, wie sicherlich von Anfang an, vorhanden waren. Dieses Kauf- und Rathhaus stand nun da, wo das jetzige Rathhaus steht: am Fleischmarkte; darüber belehrt uns Artikel 85 des andern Buchs der Bürger-Einung von 1350 mit Nachträgen bis 1456. Derselbe lautet: „Sich hau vereynet dri rete met den virteiln, daz uf eyne siten vor me koufhus sullen sten vnse meteborgere di innunge haben di fleischhouwere alle bi eynander … Welch vnser burger fleisch seilet (verkauft) an mi sunabindo edir an rac dinstage vor mi (dem) koufhus zcu dem margte, der sal daz nvmme (nicht mehr) in den schirren (Fleischscharren) seilen noch vortme zcu dem margte etc.“ Die Fleischscharren befanden sich offenbar an einer andern Stelle, nicht am Fleischmarkte. Als einen directen Beweis der Indentität des jetzigen und des alten Rathhauses entnehmen wir der 1701 leider nur als Fragment erschienenen Chronik von Nordhausen des Quatuorvir E. Ch. Bohne, dem Lesser nachschreibt, folgende Stelle der Beschreibung des damaligen Zustandes des Rathhauses: „Von diesen Cavaden oder Cammern gehet eine von rothen Steinen erbaute Wendeltreppe auf den ersten Saal, allwo nach der linken Hand die Regiments- oder Audienzstube darbey eine kleinere nämlich die Cämmerey-Stube ist, vor diesen beyden ist zu ersehen ein starkes eisernes Gitter roth angestrichen von denen seel. Vorfahren dieser wegen gebauet, aus guter Intention und Meinung, damit die klagenden Partheyen, dero Advocaten etc. nicht gleich zu der Regiments- und Cämmerey-Stuben sich nähern und losdringen alle daselbst vorfallende Consultationes. Berathschlagungen anhören und auffangen oder mit ihrem Gezanke dem sitzenden Rathe verdriesslich sein möchten.“ Nun sagt aber der Artikel 62 des dritten Buchs der 1470 abgeschlossenen Statuten: „Von stehin ymme gegettir vor der dorntzen: Wer zcusschin (zwischen) beiden Thoren stehit vor der dorntzen, wan der ratht vrame keynerlei (irgend welche) Sache spricht vnde des raths knecht heyszet usz treten von des rats wegen, der sal os tliun etc.“ Demnach war das hier genannte „gegettir“ noch im Jahre 1701 vorhanden. Selbst die 1308 genannten Kaufkammern können wir uns nicht leicht an einer andern Stelle denken als am Markte, so dass der Bau von 1360 nur eine Erneuerung des Oberbaues gewesen sein dürfte; Fragmente von sehr altem Muschelkalk-Mauerwerk an den Ecken der westlichen Mauer, welche noch die Löcher aufweisen, in die nach mittelalterlichem Gebrauch beim Versetzen der Quadern die Steiuzange (?) eingesetzt wurde, rechtfertigen diese Annahme. Auch hat dieses Mauerwerk die grösste Ähnlichkeit mit dem an der westlichen Front der benachbarten Nicolaikirche vorkommenden, welches der romanischen Bauperiode zuzuweisen ist.

Auch die kleinen Fensterschlitze der Nordseite des Rathhauses deuten auf ein hohes Alter. Daneben bestand noch das frühere Kaufhaus, welches, als solches bereits aufgegeben, von Privatleuten bewohnt wurde. Nach W. U. 407 bezeugt 1287 der Nordhäuser Bürger Gotscalcus (Gotschalk) „de antiquo mercatorio“ in seinem Hause (in cujus hospitio) eine Schenkung und 1326 tritt Conrad dietus „von me alden Coufhus“ in Nordhausen eine halbe Hufe Land und einen Hof in Görsbach ab (W. U. 832). Die einstige Lage dieses alten Kaufhauses ist nicht zu bestimmen.

Anfangs des 16. Jahrhunderts muss ein Umbau am Rathhause vorgenommen worden sein; aus dieser Zeit stammen jene, jetzt durch Vermaurung den Blicken entzogenen, spätgothischen Tlniren (?), (Fig. 78.) welche früher aus dem offnen Corridore in die Gewandkammern führten (1111 des Grundrisses, Fig. 77.) Auch wurden um diese Zeit die vorderen Gewölbe a b c d e g des Grundrisses in die bis dahin offene Bogenhalle eingebaut und diese dadurch zu einem offnen, an beiden Enden durch Freitreppen zugänglich gemachten Corridor umgestaltet, wie ihn unsere Abbildung Fig. 7(1 darstellt. Die Bauformen der Fahnden der jetzt beseitigten Gewölbe entsprachen jener Zeit. Das Gewölbe a hinter dem Rolande wurde in der Folgezeit als Gefängniss benutzt, so wurde 1534 der Domherr Joh. Fehrer wegen fleischlicher Vergehen drei Tage „hinter den Roland" gesetzt. Der über den Kammern liegende Obertheil des Rathhauses, die „Raths-dornze“ mit ihrem unbedeutenden Zubehör kann von jenem Bau nicht berührt worden sein, da im Jahre 1562 dessen Umbau wegen Baufälligkeit beschlossen wurde, nur der gänzliche Mangel an den dazu nöthigen Mitteln verschob denselben bis in das folgende Jahrhundert hinein. In einer Reihe von Bittschriften um Herabsetzung der Reichsmatricularbeiträge vom Jahre 1563 bis Ausgangs des Jahrhunderts, meist an die Kurfürsten von Sachsen als Directoren des sächsischen Kreises gerichtet, beklagt der Rat den Niedergang des städtischen Wohlstandes wegen Abnahme des hauptsächlichsten Erwerbszweiges, der Brauerei, herbeigeführt durch die Anlage von Concurrenzbrauereien in den benachbarten Grafschaften. Aus diesen Schreiben erfahren wir, dass der Rath seine alte Heimstätte geräumt und am 28. December 1565 „umb Verhütung willen höchster Leibesgefahr“ seine Sitzungen in den Walkenrieder Hof verlegt hat, an welchem eiserne Eigenthumsrechte, für den Fall des völligen Eingehens des Klosters Walkenried, stets geltend gemacht hatte; nur mit seiner ausdrücklich nachgesuchten Erlaubnis durfte 1510 der Abt Iloltegel den abgebrannten Walkenrieder Hof wieder aufbauen. Im November des Jahres 1569 wurde dem Abte der Hof wieder gegen Revers eingeräumt und am 21. desselben Monats wieder Sitzung auf dem alten Rathhause gehalten, wie lange ist unbekannt. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass die Ratssitzungen bis zum vollendeten Umbau des alten Rathhauses auf einem andern städtischen Gebäude, der Brodlaube am Kornmarkte (jetzige N. 6. daselbst und Nr. 42. unseres Plans des alten Nordhausens), über welcher sich nach Böhnes Beschreibung 1701 der Tanzboden befand, abgehalten wurden; dies würde es dann erklären, dass Kindervater das alte Rathhaus auf den Kornmarkt versetzt. Bohne weiss von einem mitten auf dem Kornmarkte stehenden Gebäude nichts; Kindervater nennt aber unter den 1612 abgebrannten Gebäuden auch das alte Rathhaus „jetzo der Tanzboden item die Waage genannt.“ Als der damalige Besitzer des Hauses Nr. 6., der Schuhmacher Müller, 1826 darin einen Keller ausgraben liess, fand man tiefgehendes altes Mauerwerk auf. Ob auch im Riesenhause Rathssitzungen abgehalten worden sind, ist zweifelhaft; vielleicht hat die Bezeichnung desselben in einem Erbbuche vom Jahre 1540 als „dornus consulatus“ (Haus des Ratlies) Veranlassung zu dieser Annahme gegeben, obschon dieselbe nur das Eigenthumsrecht des Ratlies feststellt.

Bei den sehr einfachen Verwaltungsformen einer alten Reichsstadt kleinsten Massstabs dürfen wir uns von den eigentlichen Rathhausräumlichkeiten nur bescheidene Vorstellungen machen; so oft dieselben auch in Urkunden oder Statuten erwähnt werden, bestehen sie stets nur aus einem Zimmer der „Rathsdornze,“ in der alle Sitzungen und Verhandlungen stattfinden, daneben nennen noch die Register der Pfeilmeister von 1484 bis 1525 das Pfeilhaus „poben (über) der Räthe dornzen,“ in welchem Armbrüste und Pfeile verwahrt wurden. Diese Pfeilkammer, wie man sie später nannte, war nach Lessers Angabe noch 1740 im Rathhause vorhanden, und lag rechter Hand nach dem Kornmarkt zu: auch noch ein Überbleibsel des alten Rathhauses, denn beim Umbau desselben 1608 hatte man sicherlich kein Bedürfniss mehr, eine neue Pfeilkammer zu bauen. Dann wird noch die Kämmerei neben der Rathsdornze aufgeführt: in einem Gewölbe unter derselben lagen Blei und Schwefel, auch Hakenbüchsen wurden darin aufbewahrt, sowie in der Kammer hinter und in der unter dem Roland: Kohlen und Salpeter. Zum weitaus grössten Theile wurden aber die untern Geschosse von den Kaufkammern eingenommen, deren in einem Register vom Jahre 1576 vierzehn gezählt werden.

Den tiefeingreifendsten Umbau erfuhr das Rathhaus in den Jahren von 1608 bis 1610, weshalb dieser auch bisher als ein völliger Neubau aufgefasst worden ist. In der Tluit blieben ausser den Gewandkammern, den Cavaden und dem Thurme nur noch einige Theile der Umfassungsmauern bestehen, wie viel von den letztem lässt sich freilich nicht angeben; die östliche Wand scheint fast ganz erneuert zu sein. Die Kreuzgewölbe, welche früher den offnen Corridor deckten und jetzt noch die in der Frontflucht liegenden Bureaus überspannen, der innere Ausbau, die Fenster und wohl auch der grösste Theil des Mauerwerks der obern beiden Stockwerke, sowie die obere Partie des Treppenthurms stammen aus jener Periode. Die Decke des ersten Stockwerks wird von einer Säule gestützt, über der eine Aufsattelung die Inschrift tragt: „haxs hacke zim(mermann) anno 1609.“ Das Capital dieser Säule gleicht ganz denen der halbrunden Wandsäulen, welche das bereits erwähnte Kreuzgewölbe tragen und verweisen demnach letzteres in dieselbe Zeit. Diese Halbsäulen standen auf den Gewölben der vordem Cavaden auf und sind nach dem Abbruch derselben durch Untermaurung bis auf den Grund herabgeführt worden. Die Jahreszahl der Vollendung des Baues: 1610 war in der Wetterfahne angebracht. Zu diesem Bau hatte die Wittwe des Nordhäuser Bürgers Martin Schieferdecker 1500 Meissnische Gülden legirt; für einen Profanbau in damaliger Zeit gewiss eine seltene Erscheinung!

Über die Beschaffenheit der so hergestellten Lokalitäten zu Ausgang des 17. Jahrhunderts giebt uns der schon erwähnte Vietherr Bohne, einige Andeutungen. Die Gewölbe unter den Gewandkammern (f, h, i des Grundrisses I) wurden zu Gefängnissen (carceres publici, custodien, wie sie Bohne nennt) benutzt, sie führten die sehr bezeichnenden Namen: das kleine Loch, das grosse Loch und in Osten: die schwarze Kammer. Die vordem Gewölbe unter dem Corridor, deren Fenster und Thüren sich auf den Fleischmarkt öffneten, dienten wohl meist als Verkaufsläden, späterhin aber auch als Gefängnisse. Auf Freitreppen erstieg man am westlichen und östlichen Ende desselben den offenen Corridor, von dem aus man durch die in Fig. 78. gezeichneten Thüren die sechs Gewandkammern betrat. Die Überwölbungen derselben ruhen auf viereckigen Wandpfeilern und unterscheiden sich hierdurch von den in gleicher Höhe liegenden, wie wir bereits bemerkten von Wandsäulen getragenen Gewölben des vormaligen Corridors. Von den „Kammern“ führte, wie noch jetzt der Fall ist, die Wendeltreppe im Thurm zum ersten Stockwerk empor.

Die baulichen Einrichtungen früherer Zeiten weichen darin von unsern jetzigen ab, dass ihnen das Streben nach möglichster Ausnutzung des Raumes durch Zerfällen desselben in kleine Abtheilungen fremd war: grosse, fast ein ganzes Stockwerk einnehmende Saale machten den Hauptinhalt der Gebäude aus, mochten diese nun Schlösser, Rath- oder Privathäuser sein; für erstem bietet das gut erhaltene alte Schloss zu Heringen ein gutes Beispiel, ln allen grössern alten Privathäusern lassen sich meist noch die Einbauten in den alten ursprünglichen Saal nachweisen, welche durch die zunehmende Dichtheit der Bevölkerung und das steigende Verlangen nach grösserem Comfort veranlasst wurden. So verräth uns auch die sich ununterbrochen durch das ganze Stockwerk des Rathhauses, welches wir nun betreten, hinziehende Balkendecke, dass auch jenes ursprünglich nur ein Saal war, von dessen westlichem Ende zunächst das sogenannte Regiments- d. h. Regierungs- und Gerichtszimmer abgetrennt wurde, neben welchem die Kämmerei lag, vor beiden befand sich das bereits erwähnte rothe eiserne Gitter. Das Innere der Regimentsstube war, entsprechend dem Geschmacke des beginnenden 17- Jahrhunderts, mit reich geschnitzter Holzvertäfelung bekleidet; an einem mit grünem Tuch bedeckten Tischchen, das an der den Nicolaikirchttürmen zugewendeten Mauer unter einem Crucifix stand, thronte der worthaltende d. h. derzeit regierende Bürgermeister, ihm zur Seite sass der Stadtsyndicus, ihm gegenüber hatten die beiden Stadtsekretäre den „Canzleitisch“ inne. Neben diesen stand der Kammerkasten, an welchem zu gewissen Zeiten die beiden Stadtkämmerer die städtischen Einnahmen und Ausgaben besorgten und über diesem zierte ein jetzt dem städtischen Museum überwiesenes Ölbild der Jungfrau mit dem Kinde die Wand. Dieses Bild stammte aus der Erbschaft des Nordhäuser Stadtphysikus und berühmten Botanikers Johann Thal (geb. 1542 in Erfurt, gest: 1583 in Nordhausen). Die Erben konnten sich nicht darüber einigen, wem dieses so werthvolle Erbstück zufallen sollte und so verehrten sie denn dasselbe „zum christlichen guten Andenken“ in das Rathhaus

Nebenbei diente dieses Regimentszimmer auch in ziemlich umfangreichem Maasse als Registratur und es geschahen auch alle Auszahlungen in demselben, während die daran stossende Kämmerei ebenfalls als Registratur und als Sessionszimmer von Commissionen benutzt wurde; sie enthielt einige Inschriften in neu-gothischer Minuskel (alter Mönchsschritft, wie sie Bohne nennt). Am entgegengesetzten östlichen Ende des Saals hatte man zunächst die sogenannte grüne Stube eingebaut, deren Wände und Tische seltsamerweise mit grünem Tuche belegt waren und deren Decke sogar in grünem Anstrich strahlte, in derselben wurden gewisse Anlagen und Gefälle vereinnahmt und die Besoldungen des Stadthauptmnnns und seiner Soldaten ausgezahlt. Zahlreiche an den Bögen der Fenstergewände angebrachte Inschriften deuteten darauf hin, dass einst hier Gerichtssitzungen abgehalten worden waren. An dieselbe wurde später die das Archiv enthaltende Canzleistube und eine Registratur angebaut.

Im Jahre 1733 unternahm der Bürgermeister Job. Gottfr. Riemann (nach Besser pag. 23.) eine Veränderung in den Einrichtungen des Rathhauses in so weit, als er in diesem Stockwerk die Regimentsstube durch Beseitigung der Scheidemauer um den Raum der Kämmerei vergrössern liess, so dass sie den Umfang des jetzigen Stadtverordnetensitzungssaals erhielt. Die Kämmerei wurde auf die östliche Seite des Saals verlegt und die Regimentsstube, leider nach Beseitigung der wahrscheinlich sehr interessanten Holzschnitzereien, durch den Maler Job. Christian Mäter (der durch Aufhebung des Edikts von Nantes aus Frankreich vertriebenen hugenottischen Familie le Maistre angehörig) mit jenen in Öl stumpf auf in Rahmen gespannte Leinwand gemalten Tapeten ausgekleidet, die als wohlfeilerer Ersatz für gewirkte in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. noch beliebt waren und von denen z. B. das Bocholz-Asseburg’sche Schloss in Wallhausen noch so umfangreiche aus derselben Zeit stammende Proben aufzuweisen hat. Sie stellten dar: das Nordhäusische Wappen, biblische Scenen, monochrome Landschaften, allegorische Figuren (die Gerechtigkeit, die Klugheit u. s. w.J als Statuen auf rothen Hintergrund gemalt u. s. w. Leider hat sieh nichts davon bis in unsere Zeit herüber gerettet.

Gegenwärtig wird die alte Regimentsstube, schön und zweckmässig ausgestattet, als Sitzungssaal für die Versammlungen der Stadtverordneten benutzt. Die alte Balkendecke wird durch eine bemalte Verschalung dem Blicke entzogen. Man hat hier von alten kaiserlichen und andern Porträts zusammengebracht, was sich davon noch erhalten hat. Hier hängt auch die 2,35m lange und 90cm hohe in Öl gemalte Ansicht des alten, vielgethürmten Nordhausen; von nur geringem künstlerischen Wert zwar, doch wichtig für unsere Kenntniss des imposanten Äussern der alten Reichsstadt und seiner längst verschwundenen Gebäulichkeiten. Leider hat sie eine flüchtige, ungeschickte Hand dermassen überschmiert, dass die Formen undeutlich gemacht und die ursprünglich neben allen wichtigeren Gebäuden stehenden Nummern vertilgt worden sind, so dass sich dieselben mittelst des am Rande ungeschriebenen Verzeichnisses nicht mehr bestimmen lassen. Ausser letzterem ist noch ein Verzeichniss der Rathsmitglieder, Vierherrn, Geistlichen u. s w. beigefügt, sowie folgende Dedicationsinschrift: „Auss unterthäniger schuldiger Devotion vom Autor Frantz Gebhard Stolberg, Bürger und Maler in Northausen den 22. Junii 1674.“

Vor diesem Sitzungssaale sind ein Vor- und ein Expeditionszimmer angebaut worden und auf der andern Seite des Saales bestehen noch die bereits erwähnten vier Pieren, worunter die vormalige grüne Stube jetzt Büreau des Bürgermeisters ist. Die den Saal und alle Gemächer überspannende Decke wird durch gekehlte Balken, die in der Mitte auf einem mächtigen, reich gegliederten Träger ruhen, in Felder abgetheilt, die von schrägliegenden, an den Bändern gesimsten Brettern ausgefüllt werden. Diesen Träger stützen einige stämmige steinerne Säulen, die aber bis auf eine noch frei im Saale stehende, in die Scheidewände der Zimmer eingemauert sind. Sie stehen auf in der plateresken Manier des beginnenden 17. Jahrhunderts verzierten wülfelförmigen Postamenten und werden von den bereits erwähnten einfach profilirten Capitäln bedeckt, deren quadratische Platten sich mittelst Auskehlung der Ecken den Säulen anpassen.

Durch ein derselben Zeit angehöriges Renaissanceportal, gebildet aus zwei Säulen auf Posamenten, die ein mit einem Giebel und drei kleinen Obelisken bekröntes Gebälk tragen, treten wir zurück in den Thurm, dessen Wendeltreppe uns in das zweite Stockwerk führt. Dasselbe scheint selbst noch zur Zeit Lessers (174U) ausser dem Saale nur in Osten die bereits genannte Pfeilkammer enthalten zu haben, so genannt, weil sie an derselben Stelle eingerichtet worden war, die einst das wirkliche Pfeil- und Armbrustmagazin einnahm. Entsprechend in Grösse der Regimentsstube nebst Kämmerei lag über derselben die „Kaiserstube.“ Ihre Wände waren decorirt mit den Bildnissen des Kaisers Maximilian in ganzer Figur, des auf dem Throne sitzenden Kaisers Karl IV und der Kaiser Ferdinand III und Leopold I so wie der schon beschriebenen Ansicht von Nordhausen vom Jahre 1674. Es wurden in derselben in Gegenwart der drei Rathscollegien und der Sprech- und Obermeister der neun rathsfähigen Gilden die Vorlegung, Prüfung und Abnahme der verschiedenen Jahresrechnungen, die Bestätigung des neuerwählten Raths und die Einweisung seiner Mitglieder in ihre verschiedenen Ämter vorgenommen, auch das „Halsgericht“ darin gehegt und die Huldigung beim Regierungsantritt der Kaiser den Abgesandten derselben geleistet. Auf dem davor liegenden Saale stand verhüllt der prächtig vergoldete Huldigungs- oder Grafenstuhl, der bei der besonders feierlichen Kaiserhuldigung im August 1661 dem kaiserl. Commissar Grafen Anton Günther von Schwarzburg - Sondershausen als Sitz gedient hatte. Grosse illuminirte Landkarten und Planiglobien, doch auch Harnische zierten die Saalwände; neben dem Eingänge zum Kaiserzimmer standen ein Paar vollständige Rüstungen, die noch zum Theil im städtischen Museum aufbewahrt werden.

Die Verschönerungsarbeiten des Jahres 1733 haben sich auch auf dieses Stockwerk ausgedehnt, doch ist nur ein Camin im durch Halbirung der Kaiserstube entstandenen Zimmer des ersten Bürgermeisters noch Zeuge davon. Eine Einfassung aus buntem Rübeländer Marmor umgiebt den vormaligen Feuerraum desselben, den reich mit Rococostuckornamenten umrahmte Marmorplatten bekrönen, die dem in Vergoldung glänzenden Nordhäuser Stadtwappen als Untergrund dienen. Eine zweite Reminiscenz aus dieser Zeit ist ein Aktenschrank, in der Kanzlei an der östlichen Seite dieses Stockwerks. Der aus schlichten, kiefernen Brettern hergestellte Körper desselben ist mit aus starken Nussbaum-Fournieren gesägten Flachornamenten belegt, welche eigenthümliche, nicht zu verachtende Verzierungsweise durch den Kontrast der Farben von pikanter Wirkung ist. Die blau oxydirten Schlösser und Bänder sind hübsch gravirt, ganz im Geschmacke jener Zeit, der man es lassen muss, dass doch, bei aller Neigung zur Überladung, eine elegante, schwungvolle Linienführung im Bereiche ihres Könnens lag.

Die Raumvertheilung entspricht in diesem Stocke ganz der im untern: im Westen des Saals finden wir zwei Stadtrathszimmer, ein Zimmer des ersten Bürgermeisters mit seinem Vorzimmer, in welchem ein grosser Schrank das städtische Archiv birgt; in Osten reihen sich an die schon erwähnte Canzlei die Registratur und zwei Sekretariatszimmer an. Die schlichte Decke des Saals wird halbirt durch einen gekehlten Träger, den eine steinerne Säule mit corinthisirendem Capital stützt.

Die Gewandkammern waren von Alters her Privateigenthum und erst im Jahre 1725 erwarb der Rath die erste aus der Zahl der damals vorhandenen zehn, die Kammer „m“ des Grundrisses von dem Schultheissen Becker in Bleicherode und liess sie 1733 zum Archiv einrichten, das von oben her zugängig gemacht wurde. Als Nordhausen dem Königreich Westphalen einverleibt wurde, besass die Gewandschnittergile noch zwei der Kammern, die seit undenklichen Zeiten ihr Eigenthum waren. Die westphälische Regierung hob sämtliche Gilden auf und zog deren Vermögen ein, so wurden auch diese beiden Kammern zum Domänenfiskus gezogen, von dem sie die Stadt im December 1812 für 400 Franken erkaufte. Nur erst in neuester Zeit wurde die Stadt alleinige Besitzerin ihres Rathhauses: im August des Jahres 1871 erwarb sie eine weitere Kammer von der Wittwe Mackensen, 1872 eine vom Kaufmann Lerche und die letzte im Januar 1874 vom Kaufmann Schönau für 600 Thlr.

Im Herbste des Jahres 1883 wurden nun zur Gewinnung nutzbarerer Räumlichkeiten die Kreuzgewölbe der unter dem offenen Corridor und den beiden Kammern m und n liegenden Cavaden abgebrochen und so hohe Räume hergestellt, die nach aussen dadurch abgeschlossen wurden, dass man die nun wieder offen gewordenen Bögen mit Sandsteinfüllungen aussetzte, die von je einem Paar gekuppelter Rundbogenfenster und einem kreisrunden im Zwickel durchbrochen werden; der Symmetrie wegen wurden die östliche und westliche Mauer mit den gleichen Fenstern versehen. In die durch eingezogene Scheidemauern geschaffenen Gemächer sind das Standesamt, das Meldeamt, die Steuereinnahme und die städtische Sparkasse untergebracht, und die auf der Rückseite des Gebäudes noch verbliebenen Cavaden zum Kesselhaus und zu Kohlenräumen für die bald nach vollendetem Umbau eingeführte Heisswasserheizung des ganzen Rathhauses eingerichtet worden. Die Freitreppe in Westen musste hierbei natürlich fallen und der Haupteingang für alle Geschäftszimmer ist jetzt die Spitzbogenthür im Thurme, die aber in diesem Jahrhundert erneuert worden ist.

Das Äussere des Rathhauses entspricht jetzt freilich der oben (Fig. 76.) gegebenen Abbildung desselben nicht mehr, dennoch ist dieselbe und der Grundriss der alten Cavaden und Gewandkammern gegeben worden, um die Erinnerung an das Alte lebendig zu erhalten.

Fassen wir nun dieses Äussere näher in das Auge, so wird unser Blick zunächst von einem der alten Wahrzeichen Nordhausens angezogen werden: von einer auf der östlichen Seite desselben hoch oben eingemauerten Steinplatte, die in sauberer, zierlicher Sculptur das alte Nordhäuser Stadtwappen: den Adierse'hild (?) mit dem thüringischen Helme trägt, umgeben von folgender Umschrift auf einer Randleiste in Minuskeln : „Anno dni. cccc. x. Theodosius • 2 • nobilissim • hispan rotna-norum imperator * Anno imperii sui quarto haue vrbom. tündavit • libertatibus • armisque • imperialib.us • ditavit • hilf • got • maria • berat.“ In der Übersetzung: Tm Jahre des Herrn 410 gründete der sehr edle Spanier Theodosius der zweite, Kaiser der Römer im vierten Jahre seiner Herrschaft diese Stadt und beschenkte sie mit Freiheiten und dem kaiserlichen "Wappen. Helfe Gott, Maria berathe d. h. befürworte für uns. Kein geringer Grad von Ruhmsucht war es, der einst die Häupter der Stadt zu dieser unsinnigen Behauptung hinriss, in der obenein Theodosius II. mit seinem doch wohl gemeinten berühmteren Grossvater, dem bereits um das Jahr 395 verstorbenen Theodosius I, verwechselt wird. Der Stein war an der Stadtmauer neben dem Töpferthore bis zur Niederlegung des letzteren im Jahre 1833 befestigt und ist von gleichzeitiger Entstehung mit demselben.

In einem Blendbogen über der Thür im Tluirme (?) befand sich früher eine Steintafel mit dem von Genien gehaltenen Stadtwappen, die jetzt im städtischen Museum aufbewahrt wird, wie auch die Sandsteinstatuette eines römischen Imperators und zwei Torsi weiblicher, bekleideter Figuren, die ebenfalls früher dort ihren Stand gehabt haben sollen. Am obern Theile des Thurmes ist eine Sonnenuhr angebracht, eine zweite über dem Rolande unter dem Dachsimse, auf deren allein noch übriggebliebenen steinernen Zifferplatte der Name „KAFPFENSTEYN“ erkennbar ist, während darüber eine Zeile durch Kalkverputz unleserlich gemacht worden ist.

Unter einem glockenförmigen Dache steht an der westlichen Ecke der Südseite die hölzerne Colossalstatue des Rolands; jenes alte Palladium der städtischen Freiheiten, welche vom Aberglauben der Alten direct von der Existenz dieses Bildes abhängig gedacht wurden. Ihrer wird zuerst gedacht in einer Notiz des Fehdebuchs (RA), nach welcher am 19.September 1441 der Oberschreiber Conrad Eischer eine Reihe von Absagebriefen „vor dem Rolande“ in Gegenwart des Rathsmeisters Dietrich von Badungen verlas. Auch eine Inschrift auf dem Laufe einer alten Haubitze (Förstemann, kl. Schriften pag. 156) gedenkt seiner:

Der Adelarn hat mich darczu erkorn
Das ich thv den finden zorn
Rulande vnde dem Riehe bin ich wol belnmt
Mich goss Cvrd solling med siner hand.
Anno dni M CCCC lvm.

darunter das Stadtwappen.

Beim Neubau des Rathhauses wurde das Rolandsbild am 30. August 1609 wieder daran aufgestellt, wie Kindervater nach einem alten Manuseripte berichtet, wobei es ungewiss bleibt, ob dasselbe neu angefertigt oder nur aufgefrischt worden war. Im Februar 1647 versuchte der schwedische Obristleutnant von Canstein den Roland umstürzen zu lassen; als man zu diesem Ende die Beine zu durchsägen begann, fand sich dass diese im Innern durch starke Eisenstäbe verstärkt waren, welcher Umstand das Heiligthum der Stadt rettete. Dasselbe war nach Art der ältesten Bilder geharnischt: Melissantes beschreibt es als Wahrzeichen der Stadt in seiner „Geographia novissima“ vom Jahre 1708 wie folgt: „auf dem Markt steht der grosse Roland wohl auspolirt, geharnischt und hat ein Schwerdt und Helm angethan.“ Die weit ausgedehnte Feuersbrunst des Jahres 1612 hatte zwar das kaum vollendete Rathhaus gänzlich verschont, jene vom Jahre 1710 nur das Dach, die von 1712 wiederum das Dach, jedoch nur theilweis zerstört, doch war bei diesen Bränden der alte Roland unscheinbar geworden, weshalb man im Jahr 1717 das jetzige Bild, welches diese Jahreszahl am Gürtel trägt, neu anfertigen liess. Derselbe schwingt in seiner Rechten ein mächtiges Schwert, während die Linke einen mit dem einköpfigen Adler geschmückten Schild hält. Eine Krone bedeckt sein lang belecktes Haupt und ein rother mit gelben Posamenten verbrämter Rock seinen riesigen Leib. Auf dem Knopfe des Schutzdaches ruht das Nest eines Pelikans, der seine Jungen mit seinem Blute tränkt; ebenfalls ein Wahrzeichen der Stadt.

Ein merkwürdiger, bisher ganz unbeachtet gebliebener Stein ist an der nördlichen Ecke der Westseite in der Höhe des ersten Stockwerks eingemauert, er trägt in Minuskeln die Inschrift. […] Welcher Pfeiler hier 1426 wieder erbaut worden ist, darüber lässt sich nur die eine Vermuthung aufstellen, dass die Inschrift unter der columna reedificata den erneuerten Fensterpfeiler zu beiden Seiten der Ecke bis zu den Fenstergewänden verstehet. Der Stein ist in Material und Verband seiner Umgebung völlig gleich. Ein Conrad Smed (Schmidt) war 1419 und 1428 Rathsmeister und söhnte 142?) in Elend die Duderstaedter mit den Nordhäusern ans; es ist dies ohne Zweifel der hier gemeinte. Auf der Nordseite des Rathhauses ist der bereits im Eingänge beschriebene Gedenkstein zu bemerken; der letzte Rest einer steinernen Chronik, die einst vielleicht die ganze Mauer bedeckte und von der uns Ayrmann in seinem Sylloge Anecdott. noch zwei weitere Inschriften hinterlassen hat.

Der Raum zwischen dem Rathhause und der Nicolaikirche war früher durch Mauern abgeschlossen, die nur erst im Mai 1829 beseitigt wurden, wodurch der jetzige freie Durchgang geschaffen wurde. Der St. Nicolaikirchhof ist bereits im Jahre 1545 geschlossen und die Gemeinde auf den Spende- oder Barfüsser Kirchhof angewiesen worden. Die Mauer vom St. Nicolaikirchhofe erscheint bereits in der Bürger-Einung vom Jahre 1308, wo der Artikel 221 verbietet, Heringe anderswo zu verkaufen als auf der Mauer „di da hört zu sente Nicolaus Kirchove“.

Der Rathskeller

oder früher des Raths Weinkeller (Wynbure), dem Rathhause gegenüber gelegen, wird bereits in den alten Statuten genannt. Nach den Registern standen 1484 Geschütze vor dem Wynbur. Das Areal desselben wurde ansehnlich vermehrt durch ein Vermächtnis« des Bürgers Heim-Swellengrebil, der seinen angrenzenden Sedelhof der Stadt 1442 schenkte (RA.: Q., 15.), ferner 1567 durch Ankauf eines Stücks des angrenzenden Hauses Hans Sommers. Das jetzt stehende Gebäude ist bald nach dem Brande von 1710 erbaut worden. Das einzig Bemerkenswerthe daran sind in Holz geschnitzte Frucht- und Blumenfestons, welche den Eingang umrahmen, ganz im Geschmacke jener Zeit. Nur erst vor kurzem ist es seiner alten Bestimmung zurückgegeben worden.


Zitat
                    — Julius Schmidt: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Nordhausen. Halle: Hendel, 1887. S. 173-185

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Oskar Doering: Nordhausen. (= Deutsche Kunstführer; Band 30) Augsburg: Filser, 1929. S. 55.
  2. Nordhausens Rathaus verfällt seit Jahren, Thüringer Allgemeine, 2. Mai 2023.