Verein der Eichsfelder in Nordhausen

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Der Verein der Eichsfelder in Nordhausen wurde am 5. Oktober 1911 von katholischen Bürgern aus dem Eichsfeld in Nordhausen gegründet. Der Verein entwickelte sich zu einer bedeutenden sozialen und religiösen Institution, die sich der Pflege katholischer Werte und eichsfeldischer Traditionen widmete. Er bot den aus dem katholisch geprägten Eichsfeld stammenden Arbeitern und deren Familien in der überwiegend protestantischen Stadt eine soziale Heimat. Der Verein musste kriegsbedingt 1944 seine Tätigkeiten einstellen.

Geschichte

Nordhausen erlebte im 19. Jahrhundert einen rapiden wirtschaftlichen Aufschwung und wuchs zu einem wichtigen industriellen Zentrum in Thüringen heran. Die Eröffnung mehrerer Eisenbahnlinien ab 1866 führte zu einer massiven Industrialisierung und einem hohen Bedarf an Arbeitskräften, die zu einem Großteil aus dem nahegelegenen Eichsfeld stammten. Die Zuwanderung von katholischen Eichsfeldern führte zu einer spürbaren Zunahme der katholischen Bevölkerung in Nordhausen, das traditionell protestantisch geprägt war.

Kirchliche und soziale Netzwerke der Eichsfelder

Die katholische Bevölkerung organisierte sich in verschiedenen kirchlichen und sozialen Netzwerken, die einen starken Bezug zur Heimat aufrechterhielten. Die Eichsfelder suchten Gemeinschaft und religiösen Anschluss, was zur Entstehung von katholischen Vereinen führte. Im Jahr 1909 begann eine Gruppe von Eichsfeldern, sich informell in der katholischen Gemeinde zum Heiligen Kreuz in Nordhausen zu treffen. Diese Treffen wurden 1911 formalisiert, als der Verein der Eichsfelder in Nordhausen mit dem Ziel gegründet wurde, die Traditionen und Werte der eichsfeldischen Heimat zu bewahren und zu pflegen.

Gründung und Struktur des Vereins

Am 5. Oktober 1911 trafen sich etwa 30 katholische Männer aus dem Eichsfeld unter der Leitung von Christoph Burchardt, um den Verein offiziell zu gründen. Die Gründungsversammlung, die auch von einem Pfarrer begleitet wurde, legte die Grundsätze des Vereins fest, die sich in den Satzungen von 1920 manifestierten. Der Verein definierte sich als katholischer Heimatverein und blieb zunächst eine reine Männervereinigung.

Der Verein setzte sich das Ziel, die katholischen Werte und Bräuche des Eichsfelds in Nordhausen lebendig zu halten und den Mitgliedern eine religiöse und soziale Heimat zu bieten. Neben religiösen Veranstaltungen wie Gottesdiensten und Wallfahrten wurden auch kulturelle Aktivitäten und gesellige Zusammenkünfte organisiert. Der Verein verstand sich als Bindeglied zwischen den Eichsfeldern in der Fremde und ihrer Heimat und förderte eine enge Bindung an die katholische Kirche.

Satzungen von 1920

Die Satzungen von 1920 legten die Mitgliedschaftskriterien und die wesentlichen Ziele des Vereins fest. Gemäß §4 der Satzungen konnten nur katholische Männer aus dem Eichsfeld sowie deren Söhne ab dem 18. Lebensjahr Mitglied werden. Zudem konnten auch Männer, die mit einer katholischen Frau aus dem Eichsfeld verheiratet waren, aufgenommen werden. Frauen wurde die Mitgliedschaft erst ab 1924 gewährt, als die Einheitssatzung des Bundes der Eichsfelder Vereine beschlossen wurde. Diese Satzungen betonten die Bedeutung der religiösen Pflichten und sahen vor, dass beim Tod eines Mitglieds oder dessen katholischer Ehefrau eine heilige Messe gelesen wurde. Soziale, religiöse und kulturelle Aktivitäten

Regelmäßige Vereinsveranstaltungen

Der Verein organisierte eine Vielzahl von religiösen und kulturellen Veranstaltungen. Dazu gehörten unter anderem:

  • Weihnachtsfeiern: Die Weihnachtsfeier am 26. Dezember war eine zentrale Veranstaltung des Vereins und wurde mit einer Bescherung für die Kinder der Mitglieder gefeiert. Diese Feier war von einem Programm begleitet, das die Kinder gestalteten, und förderte den Zusammenhalt der Mitgliederfamilien.
  • Fastnacht und „Fette-Donnerstag“-Fest: Der Verein organisierte Fastnachtsfeiern und das traditionelle „Fette-Donnerstag“-Wurstessen, das als festlicher Höhepunkt vor der Fastenzeit diente.
  • Sommervergnügungen und Schützenfeste: Die jährlichen Sommerfeste und Schützenfeste wurden auf öffentlichen Schießständen in der Umgebung von Nordhausen ausgetragen. Die Schützenkette, die vom Vereinsmitglied Andreas Ballhaus gestiftet wurde, wurde jedes Jahr um ein Kleinod erweitert, das der jeweilige Schützenkönig beisteuerte.

Religiöse Aktivitäten und Wallfahrten

Die religiöse Prägung des Vereins zeigte sich besonders in den regelmäßigen Wallfahrten, die zur Wallfahrtsstätte Hülfensberg sowie zu anderen katholischen Orten führten. Diese Wallfahrten dienten der Stärkung des Glaubens und boten den Mitgliedern eine Möglichkeit, sich mit anderen Eichsfeldern zu vernetzen und Gemeinschaft zu erleben. Neben den Wallfahrten feierte der Verein jährlich ein Stiftungsfest, das den Höhepunkt im Vereinsjahr bildete.

Das Vereinslokal „Zur Harzbahn“

Das Vereinsleben spielte sich hauptsächlich im Vereinslokal „Zur Harzbahn“ in der Reichsstraße 28 ab. Vereinswirt Andreas Ballhaus, selbst Mitglied und später Ehrenmitglied, unterstützte den Verein in vielfältiger Weise und stiftete unter anderem die erwähnte Schützenkette. Für größere Veranstaltungen, zu denen Familienangehörige und Freunde eingeladen wurden, wich der Verein auf andere Gaststätten und Säle aus, darunter das Domrestaurant und die „Finkenburg“.

Der Verein im Bund der Eichsfelder Vereine

Der „Bund der Eichsfelder Vereine“ wurde 1910 gegründet, um die Eichsfelder Gemeinschaften, die sich über ganz Deutschland verteilt hatten, zu vernetzen und den Zusammenhalt zu stärken. Der Verein der Eichsfelder in Nordhausen trat diesem Dachverband 1924 bei und stärkte so seine Bindung an andere Eichsfelder Vereine, insbesondere in industriellen Zentren wie dem Ruhrgebiet. Der Bund organisierte jährliche Treffen, bei denen Mitgliedervereine ihre Fahnen präsentierten und sich über Vereinsaktivitäten austauschten.

Vereinszeitung „Eichsfelder Heimatbote“

Der „Eichsfelder Heimatbote“, die ab 1923 herausgegebene Vereinszeitung des Bundes, diente als zentrale Informationsquelle für alle Eichsfelder in der Fremde. Sie berichtete über Ereignisse und Neuigkeiten aus der Heimat, informierte über die Aktivitäten der verschiedenen Eichsfelder Vereine und ermöglichte den Mitgliedern eine verbesserte Vernetzung. Die Nordhäuser Eichsfelder bezogen die Zeitung zahlreich und nutzten sie zur Dokumentation ihrer Vereinsgeschichte.

Die Vereinsfahne

1924 beschaffte der Verein eine eigene Fahne, die bei religiösen Festen und Umzügen stolz präsentiert wurde. Die Fahne zeigte auf der einen Seite den Heiligen Bonifatius im bischöflichen Ornat, ein Symbol des katholischen Glaubens und eine ikonische Figur für die Eichsfelder. Die Fahnenweihe fand im Rahmen des Stiftungsfests statt und wurde von der Gemeinde feierlich begangen.

Der Verein während des Nationalsozialismus

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 veränderten sich die politischen Rahmenbedingungen für den Verein. Die Vereinsführung wurde nach dem Führerprinzip umstrukturiert, und der Vereinsvorsitzende, nun als „Vereinsführer“ bezeichnet, bestimmte die anderen Vorstandsmitglieder. 1938 wurde der Verein in die NS-Kulturgemeinde eingegliedert und firmierte unter dem neuen Namen „Landsmannschaft der Eichsfelder Nordhausen“. Die Kulturgemeinde überwachte die Aktivitäten der Landsmannschaften und sicherte die ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus.

Obwohl der Verein eine enge Bindung an die katholische Kirche behielt, integrierte er sich in das politische System und versuchte, seine Traditionen unter den neuen Vorgaben zu bewahren. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich der Verein aktiv gegen das Regime stellte, was möglicherweise auf die starke berufliche Verflechtung der Mitglieder mit dem Staatsdienst zurückzuführen ist.

Auflösung des Vereins

Mit der zunehmenden Kriegsintensität und der Mobilisierung der Bevölkerung für den „totalen Krieg“ verschlechterte sich die Lage des Vereins zusehends. Viele Mitglieder wurden zur Wehrmacht eingezogen, und der Vereinsvorsitzende Leo Schäfer wurde 1941 nach Warschau versetzt. 1944 stellte der Verein schließlich alle Aktivitäten ein. Vereinsunterlagen gingen in den Kriegswirren verloren, was eine Wiederaufnahme des Vereinslebens nach 1945 unmöglich machte.

Nachwirkungen und historische Bedeutung

Der Verein der Eichsfelder in Nordhausen war nicht nur ein sozialer Treffpunkt für katholische Eichsfelder in der Diaspora, sondern auch eine kulturelle Brücke zur Heimat. Die Vereinsaktivitäten halfen den Mitgliedern, ihre religiöse und kulturelle Identität zu bewahren und die katholische Gemeinschaft in einer protestantischen Stadt zu festigen. Die Geschichte des Vereins reflektiert die Herausforderungen katholischer Minderheiten in der protestantischen Gesellschaft und verdeutlicht, wie religiöse und kulturelle Institutionen Identität und Zusammenhalt bewahren können.

Quellenlage und historiografische Relevanz

Die Quellenlage zur Geschichte des Vereins ist aufgrund der Zerstörung von Nordhausen und dem Verlust von Vereinsunterlagen lückenhaft. Die wichtigsten Informationen stammen aus Zeitungsartikeln, Festschriften, sowie den Veröffentlichungen im „Eichsfelder Heimatboten“. Einiges an Informationen konnte aus persönlichen Erinnerungen ehemaliger Mitglieder und aus Dokumenten der katholischen Pfarrgemeinde am Dom zum Heiligen Kreuz rekonstruiert werden.

Die Geschichte des Vereins der Eichsfelder in Nordhausen wurde in späteren Jahrzehnten nur wenig erforscht. Historiker und Lokalhistoriker erkannten jedoch die Bedeutung des Vereins für die Sozialgeschichte Nordhausens und die Identitätsbildung katholischer Gemeinschaften in der Fremde.

Literatur