Michael Neander als Schriftsteller (1525–1595)

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Textdaten
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Autor: Hermann Heineck
Titel: Michael Neander als Schriftsteller (1525–1595)
Untertitel:
aus: Das tausendjährige Nordhausen in Geschichte und Sage in Roman und Dichtung ; Pflüger – Thüringer Heimatblätter (Heft 5, 1927)
Herausgeber: Bernhard Klett
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Erscheinungsdatum: 1927
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Kurzbeschreibung:
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Michael Neander als Schriftsteller (1525–1595)


Mit einem Bilde
Von H. Heineck, Stadtarchivar

Wer über das Leben dieses großen Pädagogen nachliest, findet ihn zumeist gewürdigt nach seiner Tätigkeit als Erzieher überhaupt, im besonderen nach seinem Wirken als Rektor der Klosterschule zu Ilfeld am Harz.

Die nachfolgende Skizze beschäftigt sich nicht nur mit der pädagogischen Schriftstellerei dieses Mannes, sondern zieht die gesamte Tätigkeit Neanders als Schriftsteller in Betracht.

Einige kurze Nachrichten aus seinem Leben mögen vorausgehen.

Michael Neander ist 1525 in Sorau geboren und 1595 in Ilfeld gestorben. 1547—1550 wirkt er als Lehrer in Nordhausen. Seine Frau ist eine Nordhäuserin. Seine Kinder gehen nach Nordhausen zurück. Sein Freundschaftsverhältnis zu den angesehensten Nordhäuser Familien ist so eng, daß wir keinen Anstand nehmen, ihn zu den Unseren zu zählen. In einem Festvortrag — 1925 — habe ich diese Verhältnisse ausführlich entwickelt; der Vortrag ist im Verlag Von C. Haackes Buchhandlung unter dem Titel „Aus dem Leben Michael Neanders“ erschienen (8°, 40 Seiten).

Als Neander sein Lehramt 1550 in Ilfeld antritt, wird seine Tätigkeit gelähmt durch den vorhandenen Mangel an passenden Lehrbüchern. Sein Unterrichtsziel ist, den Schüler fest im Latein und Griechisch zu machen, denn diese beiden Sprachen sind ihm „fundamentum doctrinarum, artium et facultatum“. Neben Latein und Griechisch verlangt Neander hebräischen Unterricht für alle Studierenden, denn die hebräische Sprache ist die „alma mater omnium lingua- rum“ — ein sprachwissenschaftlicher Irrtum, welcher noch weit bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein geherrscht hat.

Wenn Neander besonders für den Unterricht im Griechischen passende Schulbücher haben will, muß er sie selbst schreiben, und er macht sich sogleich an die Arbeit. Erst sind es einfache Texte, die er den Schülern in die Hand gibt. In den folgenden Auflagen seiner Schulbücher gibt er zum griechischen Text lateinische Uebersetzung und kurze sachliche oder grammatische Erklärungen, dis sich im Unterricht als notwendig herausgestellt haben. Dabei sind die Texte weniger vollständige Schriftstellerausgaben, als Anthologien — Neander bevorzugt den Ausdruck Aristologien, „Auswahl des Besten“. — Sie sind einmal in der Absicht zusammengestellt, die Sprache praktisch einzuüben, anderseits wollen sie dem Schüler allerlei nützliche Kenntnisse Mitteilen.

Diese Auswahlsammlungen sind kennzeichnend für das Zeitalter. Das klassische Altertum gilt als die Fundgrube aller Lebensweisheit. Und so wagt man gar nicht, dem überlieferten Stoff eine neue Form zu geben. Man zieht aber nicht nur die klassischen Schriftsteller heran, sondern, wenn diese für das Leben nichts Brauchbares bieten, auch die Schriftsteller zweiten und dritten Ranges, die Kirchenväter, ja selbst die Byzantiner. Nach sachlichen Gesichtspunkten werden die aus allen Jahrhunderten herausgepflückten Stellen dann vereinigt — die so entstandenen Bücher können uns weder ästhetisch noch sprachlich befriedigen.

Der Schüler erhält die Bücher zum Auswendiglernen. Neanders Schriften sind daher für die Schulzwecke der Gegenwart nicht mehr zu verwenden, wenn sie auch Zeugnis davon ablegen, daß der Mann, welcher sie geschrieben hat, aus eingehender, gründlicher Sachkenntnis heraus schrieb.

Dieser Klasse von Schulschriften gehört auch Neanders viel gerühmtes Opus aureum — das goldene Buch — an, über dessen Inhalt ich folgendes mitteile, weil es die Schulbücher Neanders kennzeichnet, viel genannt, aber weniger gekannt wird. Ich schicke voraus, daß bies goldene Buch griechische Texte mit lateinischer Uebersetzung und Anmerkungen enthält. Im Verlag der großen Baseler Firma Oporinus — findiger Buchhändlergeist gab dem Buche den Namen opus aureum — erscheint die erste Ausgabe 1559; weitere vermehrte Auflagen erschienen 1574 und 1577. Der Inhalt ist:

  1. Die alten Gedichte des Pythagoras und Phokylides (dem Rat zu Tennstedt gewidmet).
  2. Sentenzen aus Theognis (dem Senat in Bremen gewidmet).
  3. Griechische und lateinische Sprüche in zwei Teilen (darin das Gedicht über Leid und Freud der Lehrer), (den Söhnen des Kurfürsten August von Sachsen gewidmet).
  4. Kapitel aus den Dichtungen des Märthrerbischofs Nilus (dem Rat zu Hildburghausen gewidmet).
  5. Der Raub der Helena von Eoluthus (den Bürgern und dem Rate der Stadt Nordhausen gewidmet. 5. März 1559).
  6. Des Tryphiodor Gedicht über den Fall von Troja (dem Magistrat zu Görlitz zugeeignet).

Spätere Ausgaben enthalten noch Beiträge von Neanders Schülern Matthäus Götz und Lorenz Rhodomannus.

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Neben Latein, Griechisch und Hebräisch liegt Neander vor allem daran, daß man „Pietatem“ aufs allerfleißigste studiere. Die Frömmigkeit soll wie die lateinische Grammatik gelernt werden. Die Bücher dazu verfaßt Neander selbst. Schon 1556 gibt er „den kleinen griechisch-lateinischen Katechismus Luthers heraus, aus ihm können die jungen Leute Frömmigkeit und griechische Sprache lernen“. Die Lehrmethode führt über die Bibel zur Weisheit des griechischen und lateinischen Schrifttums. Neanders Ethik scheut nicht davor zurück, auch das gute Moralische in den Lehren der Heiden und Türken anzuerkennen. Und so stellt er neben Luther und Augustinus, neben Tauler und den heiligen Bernhard auch die Aussprüche von Aristoteles, Plato und Xeno- phon, denn „ihre Sprüche gehören auch zum täglichen Brot, dessen die Christenheit und die heilige Kirche Wohl brauchen mag, sofern es nur nicht Wider Glauben und Liebe laufen tut“.

Dieser Gedankengang führt uns von selbst aus einen Punkt, der Neanders pädagogisches Wirken erst in das rechte Licht zu stellen imstande ist. Was wir bisher gehört, erklärt nicht das Ansehen, welches Neander in seiner Zeit genießt. Er war ein ungemein sprachgelehrter Mann, der besonders im Griechischen Wohl zu den Leuchten seiner Zeit gehörte. Laurentius Rhodomannus, sein auf diesem Gebiete noch bedeutenderer Schüler, hat dies stets unverhohlen bezeugt. Seine Schriftstellerei auf dem Gebiete der Pädagogik ist unzweifelhaft verdienstvoll, aber schon der große Friedrich August Wolfs hat von Neander bemerkt, „daß er kein singulärer Kopf als Schriftsteller“ gewesen sei.

Aber Neanders treuer Eifer wirkt durch Lehre und Beispiel so anregend auf die Schüler, denen er Rektor und Lehrer und Hausvater, alles zugleich, ist, daß seine Schule ein leuchtendes Vorbild für seine Zeitgenossen wird. Gleich einem Trotzendorf in Goldberg und einem Sturm in Straßburg bekümmert sich Neander in stiller, selbstverleugnender Hingebung um das Einzelnste im Leben seiner Schüler. Mit wärmster Teilnahme leistet er seine saure, oft mit Undank gelohnte Arbeit — auch in den schweren Zeiten der Pestilenz ist er kein Mietling, sondern hält treu zu seinen ihm übergebenen Zöglingen. Hören wir seine eigenen Worte:

Pestilenz

„In Pestilenzzeiten habe ich auch nicht wenig Gefahr ausgestanden. In den Jahren 1550—1590 ist vier- oder fünfmal in Ilfeld und den umliegenden Orten ein großes Sterben eingetreten. Gleichwohl habe ich die Schule nie auseinanderlaufen lassen. Etliche Male sind Knaben während der Schulstunden krank geworden, manche auch gestorben. Andere waren schon beim Betreten der Klasse angeseucht, haben auf den Bänken gesessen und andere angesteckt. Da Hab' ich viel Mühe und Gefahr mit den Knaben gehabt. Die von weit her waren, habe ich im Kloster behalten, ihnen selbst allerlei Arzenei präpariert. Etlichen habe ich helfen können, andere haben sterben müssen, und es sind das manchmal recht betrübte Zeiten gewesen.

Trotzdem hat Gott mich bis auf diese Stunde gnädig in ziemlicher Gesundheit behütet und mir aus aller Not und Gefahr geholfen.“ Eine solche Treue im Amt aber kann nur auf dem Boden einer lebendigen Frömmigkeit entstehen — solche wahre Frömmigkeit ist ein Grundzug in Neanders Wesen. Sie spiegelt sich auch in den wenigen deutschen Schriften wieder, die Neander verfaßt hat.

Es gibt deren nur drei: a) „Menschenspiegel, das ist von den Menschen vor und nach dem Falle“. Das Büchlein hat er seinen Eltern und Geschwistern zugeschrieben; es hat mehrere Auflagen seit etwa 1560 erfahren. Um eine Probe Neanderscher Schreibweise zu geben und zugleich seine Abhängigkeit von Luthers Gedankenwelt in bezug auf den nahenden jüngsten Tag aufzuweisen, mögen folgende Stellen aus der Ausgabe von 1620, nachdem Neander schon fünfundzwanzig Jahre tot war, folgen:

Seite 45. a. Wir haben nun alle Tage den jüngsten Tag zu erwarten. Sagte doch auch Dr. Martin Luther — und ich habe es selber oft aus seinem Munde gehört — er wolle den jüngsten Tag nicht erleben, aber seine Kinder würden ihn erleben.

Seite 46. b. Es kostet jetzt ein Paar Hosen zu machen, mehr denn das Tuch und das andere, das dazu gehört. Alles muß durchhackt, zerstochen, verbrämet, „verkördert“ und durchnähet sein. „Der arß der muß zu jüngst auch sein gekörder haben, damit er ja nit ungeschmücket bleibe“"

b) Pädagogisch wertvoll ist das in deutscher Sprache abgefaßte, Wohl dem Nordhäuser Bürgermeister Erasmus Schmidt zu Liebe niedergeschriebene, aber erst 1581 veröffentlichte „Bedenken Michaelis Neandri an einen guten Herrn und Freund, wie ein Knabe zu leiten und zu unterweisen, daß er ohne groß Jagen und Treiben und Eilen mit Lust und Liebe vom 6. Jahre seines Alters an bis auf das 18. Jahr Wohl und fertig lernen möge Frömmigkeit, lateinische, griechische und hebräische Sprache, die Künste und endlich die ganze Philosophie“. 78 Seiten, kl. 8°

c) Eine rechte evangelische Trostschrift ist auch das Büchlein „Vom seligen Absterben derer, so jung in der Jugend ab st erben,“ 1588 erschienen. Der Gedankengang ist dabei unter anderem der, für manchen wäre es gut, wenn er schon in der Jugend wegstürbe, dann verursache er nicht das Herzeleid, das oft den Menschen und seine Familie und seine Freunde bekümmere. Er beruft sich dabei auf zwei Nordhäuser Familien. Ich gebe diese beiden Stellen ausführlich wieder.

Seite 37. (Bezieht sich auf Justus Jonas und seinen Sohn Justus Jonas den Jüngeren.)

„War sonst auch noch zu derselben Zeit ein hoher trefflicher Mann, ein Doktor der heiligen Schrift, des Mannes Gottes, Luthers, großer und vertrauter Freund, mein Freund auch, so daß ich mit demselben hohen Manne oft und viel zu tun hatte, viel um ihn und bei ihm war, mit ihm und den Seinen aß und trank.

Dieser Mann hatte einen Sohn, so beredt, weise und hochverständig wie sein Vater, vor der Zeit gelehrt, sein Vater sähe seine Freude und Lust an ihm, redete gern von ihm und rühmte ihn. Dieser Sohn ward bald Magister und kurz darauf Doktor juris. Er kam an des Königs von England Hof, wurde dort Wohl geachtet und gehalten. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, ist auch etliche Male bei mir in Ilfeld gewesen. Als er sich aber, nachdem er nach Deutschland zurückgekommen war, an eines großen Fürsten Hofe von demselben Fürsten überreden ließ, ihm -nicht gute Sachen in fremden Landen auszurichtertt, da ward er darüber ergriffen. Es ward ihm der Kopf im Königreich Dänemark abgeschlagen.“ (Justus Jonas der Jüngere † 1567.)

Seite 39 bezieht sich auf den beklagenswerten Todesunfall Thals, des berühmten Verfassers der Silva Hercynia 1588.

„Der treffliche Mann von großem Verstände und vielen hohen Gaben, Doktor Joh. Thal, der treffliche Arzt und Historiker, war Physikus in Nordhausen und etliche Jahre auf der Ilfeld er Schule gewesen, mein besonders treuer Freund, und es geblieben, solange er lebte. Brach dieser nicht den Schenkel durch Schuld eines Kutschers so gefährlich und übel, daß ihm beide Röhren durch die Stiefel herausragten? Er starb daran nach drei Wochen, trotzdem drei tüchtige Chirurgen allen Fleiß an ihn verwandten. Das geschah, als er von einem hohen Adligen ins Sachsenland geholt wurde. Dem Kutscher gingen seine feurigen Pferde durch ins weite Feld, weit ab von der Straße. Da hat er etliche Stunden allein, von jedermann verlassen, aus der Stelle, mitten auf dem Felde, unter dem freien Himmel liegen bleiben müssen mit großen Wehklagen und Schmerzen, ehe ihm ein Mensch zu Hilfe kommen konnte.

Diesen seinen elenden, jämmerlichen, unverhofften Tod beklagen noch täglich Herren, Fürsten, Grafen, die vom Adel und viele andere gute Herren, Leute und Freunde, die ihn gern gebrauchten. Sie hörten ihn gern reden und schwatzen von mancherlei guten, nötigen und lustigen Dingen. Denn Thal war kein geringer, sondern ein Wundermann. Er hatte dieses Lob und Zeugnis auch bei den vornehmsten Aerzten in Deutschland und den benachbarten Ländern, er hat es noch und wird es zu allen Zeiten behalten. Was er in der Arzneiwissenschaft und in der Botanik (in re herbaria) vor vielen anderen Aerzten geleistet hat, das bezeugen seine vielen Bücher, die er mit großem Fleiß, Mühe und Arbeit in langer Zeit und fleißiger Beobachtung geschrieben und hinterlassen. Sie sind zum Teil gedruckt und werden, so Gott will, noch gedruckt werden.“ (Dies hat sich allerdings nicht erfüllt.)

Welche große Liebe der Humanist Neander im Gegensatz zu Hunderten seiner Zeitgenossen der deutschen Sprache entgegenbringt, soll noch an einem Beispiele gezeigt werden. Während er noch 1590 in den Vorschriften für die Klosterschüler einschärft, es soll keiner beim Spielen seine Muttersprache reden, sondern auch das Spiel soll der Uebung im Lateinisch- und Griechischsprechen dienen, hat er in seiner 1585 erschienenen Schrift elkiee vetu8 ei 8apieri8 veierum laiinorum 8apien1um den früheren Ausgaben auf Seite 321—351 einen vierten Teil hinzugefügt unter dem Titel „Weisheit der alten deutschen Weisen“. Die Begründung für die Zufügung dieses Anhangs steht auf dem Titel und ist so kennzeichnend für Neander, daß ich sie vollständig übersetzt wiedergebe:

„Weisheit der alten deutschen Weisen oder sprichwörtliche Aeußerungen über fast alle die Dinge, die im gewöhnlichen Leben der Menschen vorzufallen pflegen. Dabei sind die einzelnen Vorfälle mit solch einfacher Kürze dargelegt, daß in der deutschen Einfachheit nicht weniger Verstand und Weisheit steckt als in den Lehren und weisen Aussprüchen eines Plato und der übrigen klugen Griechen und Lateiner. Ja manchmal st eckt in dendrei Worten eines deutschen Sprichwortes all das drin, was in den Büchern sämtlicher Philosophen an Weisheit und Bildung vorgeschrieben und überliefert ist (unum aliquando proverbium germanicum tribus verbis complectitur cuncta quae in omnium philoso- phorum libris sapienter et erudite fuerunt tradita et praescripta).“

Ich werde an anderer Stelle auf diese Schrift näher eingehen und muß mich begnügen, einige Proben dieser humorvollen volkstümlichen Weisheit zu geben, da Neander manches davon sicher beim Unterricht einflocht als Parallelgedanken zu den lateinischen Sprüchen. So stellt sich dem lateinischen

Trans mare ducatur cattus,
mau vociferatur,

(Bringt eine Katze auch in ferne Lande, immer wird sie beim Miau bleiben), ein deutsches

Der Frosch hüpft wieder in den Pfuhl,
wenn er auch sitzt aus goldnem Stuhl

gegenüber; dem lateinischen

In terra sumraus
rex est super omnia nummus

(Auf Erden ist höchster Gebieter über alles das Geld) geht nebenher

Hast du Geld, so tritt herfür,
hast du keins, tritt hinter die Tür

Noch ergötzlicher ist aber die „Weisheit von der Gasse“, die Neander besonders in der Ilfelder Gegend gesammelt hat und von deren Mutterwitz nur einige Kostproben vorzulegen ich mich nicht enthalten mag.

„Ich hoffe nicht, daß unser Herrgott so übel an mir tut,“ sagte jener Kranke, „daß er an mir zum Mörder werde.“

„Ich strafe mein Weib mit guten Worten,“ sagte einer und warf ihr eine Bibel an den Kopf.

„So wollt' ich's haben!“ sagte der Teufel, da sich ein paar Mönche rauften.

„Uebung macht den Meister,“ sagte jener, warf sein Weib zum Fenster hinaus und wollte sie fliegen lehren.

„Unserm Herrgott ist nicht zu trauen,“ sagte der Bauer und fuhr das Heu am Sonntag ein; usw.

Wir haben oben gesehen, wie die Schule Neanders vor allem Wert legt auf den fremdsprachlichen Unterricht und die Religion.

Daneben tritt Singen und Schreiben[1] und praktisches Rechnen, auch etwas Geschichte. Das sind die Lehrgegenstände, die wir auch in der Nordhäuser Schulordnung von 1583 treffen. Dabei ist nicht zu vergessen, daß auch diese Unterrichtsgegenstände teilweise dem Sprachunterricht dienstbar gemacht werden. Denn im Rechnen wird auch in griechischer und hebräischer Sprache Zählen geübt. Geometrie scheint auch bei Neander nicht unter die Schulunterrichtsgegenstände gefallen zu sein.

Aber zwei Unterrichtsgegenstände führt der Ilfelder Rektor ein als ganz neu, wozu er die Vorliebe wohl aus seiner schlesischen Jugendzeit schon mitgebracht hat. Die Kenntnis der Pflanzen und Tiere, die Naturwissenschaften, stellt er in seinen Stundenplan ein und daneben die Erdkünde. Der naturwissenschaftliche Unterricht Pflegte sonst nur auf den Hochschulen in engster Verbindung mit der Medizin betrieben zu werden. Seine Schüler, die „Neandrici“, werden daher allgemein als die am besten Vorbereiteten für die Universitätsstudien anerkannt. Er schreibt für seine Schüler ein Handbuch, für die Wissenschaft sein „Lehrbuch der Geographie“ und ein „Handbuch der Physik“.

Sprechen wir zuerst von der Erdkunde. Neanders Lehrbuch ist auch insofern bemerkenswert, es bringt die Erdkunde in engen Zusammenhang mit der Geschichte. Die mathematische Geographie wird kurz behandelt; Neander steht gleich Luther und Melanchthon aus dem Standpunkt des Ptolemäus, die Sonne bewege sich um die Erde als ihren Mittelpunkt.

Das „Lehrbuch der Geographie“ sollte eigentlich der bekannte Schwiegersohn Melanchtons, Dr. Caspar Peucer, schreiben, und er hatte sich bei einem Besuche in Ilfeld auch dazu bereit erklärt. Als aber die Verhältnisse dies unmöglich machten — Peucer mußte jahrelang im Gefängnis schmachten, weil er in Glaubenssachen seinen Kurfürsten August von Sachsen irregesührt hatte —, übernahm Neander die Aufgabe, die ihn seit 1572 bewegte.

Gehen wir auf das Buch etwas näher ein, schon um den oft schiefen Urteilen der Handbücher, die gutgläubig von einander abschreiben, ohne das Buch selbst gelesen zu haben, entgegenzutreten.

Es ist allerdings ganz richtig, ein Erdkundebuch, wie wir es verstehen, ist Neanders Schrift nicht. Er steckt noch ganz in den Anschauungen seiner Zeit und streut zahlreiche Nachrichten aus den klassischen Schriften der Griechen und Römer ein, die für Neanders Zeit gar nicht mehr Geltung haben. Auch dem Literarisch-Biographischen gönnt er nach unserem Gefühl einen zu breiten Raum. Aber, wo er etwas anderes weiß, da geht er auf die handelspolitische und ökonomische Bedeutung der Länder und Städte ein und unterrichtet uns nicht zum wenigsten auch über die Neue Welt.

So rechnet er Mailand zu den größten Städten Europas, hervorragend durch Bodenfruchtbarkeit und regen Handel; Venedig wird ebendeshalb ausführlich behandelt. Paris findet die rechte Würdigung, und auch von Lissabon und dem nordöstlichen Europa — Finnland, zum Schwedenreich gehörig, ist schön, fruchtbar und lieblich anzusehen, aber zu kalt usw. — weiß er zu berichten. Dabei sind die Worterklärungen, die er gelegentlich gibt, gut und treffend: „Grönland, von der grünen Ebene benannt; Stockholm, die Hauptstadt von Schweden, von Natur und Kunst befestigt, im Sumpfe gelegen wie Venedig, auf Pfählen erbaut, was auch der Name ausdrückt“, und anderes mehr.

Ueber Amerika gibt Neander das neueste Schrifttum; von Japan lautet sein Urteil: die Bewohner sind von Heller Farbe, sie zeichnen sich aus vor vielen Völkerschaften in Europa durch ihre natürliche Beschaffenheit und die Schärfe chres Geistes!

Daß das Buch auch an kulturgeschichtlich wertvollen Einzelheiten reich ist, zeigt der Abschnitt über die Religion und das Opferwesen bei den alten Preußen (Seite 572 ff.), die Erzählung vom Ei des Kolumbus (Seite 427) und die Bemerkung über den Vulkan Hekla auf Island, der von bösen Geistern aller Art bewohnt ist (moii8 manibu8, empu8i8 atque 1emuribu8 elarux. Seite 415). Die Pyramiden Aegyptens und die darüber handelnden neueren Reisewerke fehlen ebensowenig wie die Nachrichten über Aethiopien und über die Nordlandreise des Engländers Martin Forbissen vom Jahre 1572.

Bei der Beschreibung von Krain vergißt Neander nicht, über die verschwindenden und wiederkommenden Seen zu sprechen. Und wenn er den Apennin das Rückgrat Italiens nennt, so treffen wir hier auf Anschauungen, die ganz neuzeitlich anmuten.

Auf Seite 180 kommt Neander auf die kaiserliche Reichsstadt Nordhausen zu sprechen und gebraucht folgende Worte:

„Nordhausen ist eine kaiserliche Stadt; in dieser Republik zeichnen sich aus durch Weisheit, Gelehrsamkeit, tüchtiges Wesen und Beredsamkeit die Familien Ernst, Hoffmann und Schmidt. Ferner ragen hervor durch gleiche Eigenschaften und durch Gesetzeskenntnis der Licentiat beider Rechte Georg Wilde und der Bürgermeister Joh. Günther Wiegand, beide einst Ilfelder Schüler, jetzt Nachbarn, Gevattern und liebste Freunde. Als Mediziner aber wirkt mit Lob und hohem Ruhme in der freien Stadt der berühmte und gelehrte Johann Thal, den ich liebe mehr wie mich selbst, (animae meae plus quam dimidium.)

Mit Gefahr seines Lebens hat dieser Mann alle Winkel des Harzes, Thüringens und Sachsens botanisch durchforscht.“

Neanders Geschichtswerk sei mit wenig Worten nur berührt. Auch hier geht er seine eigenen Wege. Nachdem er auf den ersten hundert Seiten die alte Geschichte behandelt hat, kommt er zur Zerstörung des römischen Kaiserreiches, und von Seite 147 an spricht er über das Auftreten der Sarazenen. Die Kreuzzüge werden mit dem lateinischen Namen als Argonautenzüge angesprochen. Seit 1202 beherrschen die Tartareneinfälle die Politik von Westeuropa, und so sind es die Türkenkriege, welche schließlich die ganze geschichtliche Teilnahme Neanders beanspruchen, ein Verfahren, welches als zeitgemäß am Ende des sechzehnten Jahrhunderts begreiflich ist.

Wir kommen zum Schluß auf Neander als den Verfasser einer Physik, also des Lehrbuches der Naturwissenschaften, zu sprechen. Was wir jetzt unter Physik verstehen, kannte die Zeit der Reformation und Nachreformation nicht. Das ganze Gebiet der Naturwissenschaften und der Naturlehre überhaupt war ein Teil der Medizin.

Die Medizin hatte die ganze Natur zu betrachten und zu erforschen, welche Gesetzmäßigkeiten in derselben sich finden, welches ihre eigentümlichen Kräfte und Wirkungen, welches die Veränderungen in den einzelnen Teilen sind. Sie soll die Gestirne, die Urstosfe, die lebenden Wesen, den Menschen, die aus der Erde hervorgehenden Dinge, die Pflanzen, die Metalle und die Edelsteine erkunden. Der Medizin gebührt es auch, die Verwendung des einzelnen zu beachten. Dabei wird die Weisheit des Schöpfers klar hervor- treten, der dem Menschen den Wohnplatz bereitet, Nahrung und Heilmittel gewährt und bei der großen Verschiedenheit der Krankheiten fast für jede einzelne ein Heilmittel geschaffen und jedem Organe eine ihm entsprechende Hilfe gewährt hat.

Michael Meyenburg (Karl Schiewek)

So ist die Medizin eine Universalwissenschaft, welche aber nicht etwa die Natur auf dem Wege der Erfahrung durchforscht, sondern der Naturlehre werden die Schriften der Alten zu Grunde gelegt. Wird eine neue Erfahrung gemacht, so verschließt man sich von vornherein den Weg des Versuchs — man will das Neue aus den alten Grundlehren erklären, aus der herrschenden Ansicht von den Qualitäten usw. Man las ja deshalb so eifrig die alten Schriftsteller, weil man alle Weisheit in ihnen bereits vermutete. Statt die eignen Sinne zu gebrauchen, statt selbst auszuproben, zu sammeln und zu prüfen, blieb man am alten hängen.

Nur in einem Punkte geht die naturwissenschaftliche Ansicht der Reformation über die des Mittelalters hinaus. Das Christentum des Mittelalters vertritt die düstere Ansicht, daß die Welt als eine diesseitige und irdische der Zerstörung und dem Tode verfallen ist und die Mängel des Sündhaften an sich trägt. Daher ist es besser, sich von ihr fernzuhalten, um nicht die Seele durch ein Wohlgefallen an der Welt zu beflecken. Die Renaissance und die aus ihr erwachsende Reformation hat durch das wieder erweckte Studium der Alten eine andere Ansicht gewonnen. „Mich berührt das Geschrei der Scheinheiligen nicht,“ sagt Philipp Melanchthon in seiner Rede de doctrina physica „welche unter dem Deckmantel der Religion die Naturforschung tadeln und darüber ein gewaltiges Geschrei erheben, als ob der Geist dadurch dem von Gott geoffenbarten Worte entfremdet würde!“

Und so steht Neander auf Melanchthons Schultern, aber seine Schrift ist inhaltlich viel umfassender. Melanchthon in seiner Schrift „Elemente der Physiklehre“, die er 1549 dem Bürgermeister Michael Meyenburg zu Nordhausen widmet, behandelt in den drei Büchern derselben im ersten das Allgemeine aus der Physik, den Bau des Himmels nach der Lehre des Ptole- mäus. Das zweite Buch handelt von den allgemeinen Begriffen, welche der Physik im engeren Sinne zu Grunde liegen. Ausgehend von den sogenannten „drei Prinzipien des Aristoteles“, der Motive, der Form und der ihr innewohnenden Neigung, sich zu verändern, betrachtet er den Naturkörper dem Kunsterzeugnis gegenüber. Insofern der Stoff sich verändert, kommt er auf die Begriffe von Ursache, Wirkung, Zufall, Zweck, Raum, Zeit und Ort zu sprechen. Das dritte Buch endlich bezieht sich auf die vier Grundstoffe, die „Qualitäten ersten Grades“ (Wärme, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit), zweiten Grades (schwer, leicht, hart, weich) und dritten Grades, außerdem auf die Ursachen, durch welche die Körper sich verbinden oder abstoßen.

Die Physik Neanders ist viel umfassender. Sie zerfällt in zwei Teile, die eigentliche Physik und die Lehre vom Menschen. Die Welt wird eingeteilt tn eine ätherische und eine elementare Region. Zur ätherischen Region gehören die Gestirne, zur elementaren alles, was aus den vier aristotelischen Elementen besteht. In bezug auf die Gestirne vertritt Neander den Standpunkt des ptolomäischen Systems, den er mit seinem Freund Spangenberg teilt. In dem Abschnitt über die Gestirne fehlt natürlich die Prognostikstellung nicht, in welcher Frage Neander ganz ein Kind seiner abergläubischen Zeit ist. Dann werden von Seite 94 an die Metalle und Steine, von Seite 148 die Pflanzen (auch Ackerbau und Düngung, die Pflanzen besonders mit Bezug auf ihre Verwendbarkeit in der Heilkunde), zuletzt von Seite 313 an die Tiere behandelt.

Der zweite Teil ist ein Lehrbuch der Anthropologie und Psychologie. Der Mensch und seine Glieder (äußere, innere). Die Arzneien und ihre Wirkungen aus den Menschen. Die menschliche Seele, der Tod, das jüngste Gericht und das ewige Leben. Jedem Teile ist eine Bücherkunde beigegeben, die Neanders Werk für den Geschichtsforscher der Fachgebiete zu einem wertvollen Hilfsmittel von bleibendem Wert macht.

Welche Fragen, damals wenig oder nur im engsten Kreise bekannt, von Neander angeschnitten werden, darüber noch einige Nachrichten.

In der Vorrede, die sehr lesenswert ist, macht er auf den auf lignum Sasafras aufmerksam und schreibt über den Tabak Worte, die damals Wohl in unserer Gegend zum ersten Male gehört worden sind: „Der Tabak ist ein erst jüngst entdeckter Stengel, der unfern Vorfahren vollständig unbekannt war. Er wird auch petum, herba Nicotiana, Sana sancta oder sancta sana et panacaea genannt, wegen seiner erstaunlichen Eigenschaften, vermöge deren er heilen und helfen kann bei fast allen Krankheiten (propter stupendas virtutes quibus mederi ac succurrere potest morbis fere omnibus).“

Neanders Schulbuch, das wird sich Wohl aus dieser Inhaltsangabe ergeben haben, ist kein Buch, das unserm heutigen Begriff von Physik entspricht. Es ist ein Lehrbuch der Mineralogie, Zoologie und Botanik, der Anthropologie und Psychologie. Die Schrift enthält viel Aberglauben und Wunderlichkeiten. Immerhin gebührt Neander das bleibende Verdienst, als erster die Naturwissenschaften in den Lehrbetrieb der Lateinschulen des sechzehnten Jahrhunderts hineingestellt zu haben.

In Neanders Schriftstellerlaufbahn müssen wir überhaupt zwei Abschnitte unterscheiden. Der erste umfaßt die Zeit etwa von 1553 bis 1570. In ihm verfaßt er seine besonders aus der Tätigkeit an der Ilfelder Klosterschule hervorgegangenen Sprachbücher (die Aristologien und Grammatiken), in Religion die Katechismen. Von 1570—1580 hat seine Feder in der Hauptsache geruht.

Der zweite Abschnitt von 1580—95 ist der Herausgabe der für einen größeren Leserkreis bestimmten Bücher gewidmet. Es erscheint die Physik, die Geographie, die Geschichte, nach dem Tode die Theologie.

Als Gelegenheitsschriften bezeichne ich die in deutscher Sprache ausgegebenen drei Büchlein.

Zugleich bemerke ich, daß ein wissenschaftliches Schriftenverzeichnis der Bücher Michael Neanders leider noch fehlt.

  1. Welchen Wert Neander dem Schönschreiben beilegt, ganz im Gegensatz zu vielen seiner gelehrten Zeitgenossen, beweist folgende Stelle im „Bedenken“: „Es gilt und Hilst hier nicht, daß man vorgibt, daß gemeiniglich gelehrte Leute schlecht schreiben. Trotzdem ist es nicht recht und wohlgetan. Ein Beispiel ist noch lange keine Lehre; im Gegenteil, es ist Wahrheit, daß die Gelehrten selber an ihrer schlechten Schrift keine Freude haben, gern besser schreiben würden und von Herzen darüber klagen, daß sie es in ihrer Jugend nicht besser gelernt haben.“