Wilhelm Gesenius, der Theologe und Orientalist (1786–1842)
Wilhelm Gesenius,
der Theologe und Orientalist (1786–1842).
Von Pastor Dr. Karl Benkenstein.
Sein Vater war der wegen seiner Kenntnisse und seines Charakters hochgeschätzte Arzt Dr. med. Wilhelm Gesenius. Seine Mutter war eine Tochter des „Juris Considtus“ und „Aktua- rius“ Gangloff. In dieser Ehe wurden noch zwei Töchter geboren, Julie Johanne Karoline (geb. am 9. Juni 1790, getraut am 5. Oktober 1808 mit dem Königlichen Westfälischen Friedensrichter Elias Wilhelm Friedrich Saalfeld, gest. als Witwe am 3. Juli 1854) und Friederike Louise Antoinette (geb. am 27. Juni 1795, gestorben am 7. März 1797). Das Glück, ihrer Eltern sich zu erfreuen, haben die beiden überlebenden Kinder nicht lange genossen, denn schon am 1. April 1801 starb der Vater, kaum 40 Jahre alt; am 22. August 1809, kurz vor ihrem 52. Geburtstage, folgte ihm die Mutter nach, nachdem sie noch den Eintritt ihres Sohnes in die akademische Laufbahn erlebt hatte. Alle diese Nachrichten finden sich in den Kirchenbüchern der hiesigen St. Blasii-Gemeinde, der auch Friedrich August Wolf, der geniale Philologe, als Schüler des Gymnasiums bis zum Jahre 1777 angehört hatte. Der Name Gesenius erfreute sich bereits in Kirche und Wissenschaft eines guten Rufes. Justus Gesenius († 1673 als Generalsuperintendent in Hannover) hat als Dichter religiöser Lieder (vgl. die Nummern 65, 79, 118, 126, 382 des provinzial-sächsischen Gesangbuches) den Anspruch auf ein bleibendes Gedächtnis erworben. Zu lichtestem Glanze sollte der Name indessen erst durch unsern Wilhelm gelangen. Der Knabe empfing zunächst Privatunterricht, trat dann in die Tertia des Gymnasiums ein und besuchte diese Anstalt bis zum Herbste 1803. Heber das Gymnasium berichtet anschaulich Dr. Hans Silberborth in seiner frisch und lebensvoll geschriebenen „Geschichte des Nordhäuser Gymnasiums“, Nordhausen. 1922. Seine Stätte war an der Stelle der jetzigen Mädchen- Mittelschule in der Predigerstraße. Es war die nach dem großen Brande der Oberstadt 1710 auf der Stelle des früheren Dominikanerklosters 1711 aufgeführte Schule, die im Jahre 1866 teilweise nach der Straße hin durch einen massiven Neubau mit Aula ersetzt und im Jahre 1884 durch den noch fehlenden Flügel nach der anderen Seite ergänzt wurde. Der im Hintergründe des Platzes nach dem Primariusgraben hin noch verbleibende Rest, der schon bisher in seinem Obergeschoß zur Wohnung des Direktors gedient hatte, wurde gleichzeitig 1884 umgebaut und diente in verbesserter Gestalt noch weiterhin zunächst dem gleichen Zwecke, hernach, als das Gymnasium, infolge Ueberganges der Anstalt an den Staat, in die bisherige Volksschule an der Morgenröte verlegt wurde (Juli 1891), zur Wohnung der evangelischen Schwestern. Auch dieser Rest mußte im Jahre 1913 weichen, um für den Neubau der an der Mittelschule fehlenden Turnanstalt Raum zu schaffen. Seitdem ist, abgesehen von einigen Grenzmauem nach benachbarten Grundstücken, auch die letzte äußere Spur jenes altehrwürdigen Gebäudes geschwunden, in dessen Räumen Wolf und Gesenius so oftmals ein- und ausgingen. Aeltere Schüler werden sich noch seiner klosterartig altertümlichen, in eine geheimnisvolle Dämmerung gehüllten Gänge und Klassenzimmer erinnern. Im Gymnasium genoß der junge Schüler u. a. den Unterricht der beiden Rektoren Poppe (f 1801), dessen Zögling schon Wolf gewesen war, und Lenz. Lenz war Anhänger der Philanthropen, jener neuen, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgekommenen pädagogischen Richtung; zu ihren Hauptvertretern Basedow und Salzmann hatte er vielfache, zu dem letztgenannten, wohl edelsten Vertreter († 1811 in Schnepfenthal), auch nahe verwandtschaftliche Beziehungen als Schwiegersohn (vgl. Silber- borth „Gesch. d. Nordh. Gymn.“, S. 112...). Die philanthropische Methode suchte er auch in seinem hiesigen Wirkungskreise, vornehmlich aber auf dem Gebiete der lateinischen und der griechischen Sprache, deren warmer Freund er war, durchzuführen. Selber durchglüht von Begeisterung für das Bildungsideal der Antike, als dessen Herold damals von Halle aus unser Wolf weithin seine gewichtige Stimme erhob, strebte er, die gleichen Gefühle in den Herzen seiner Schüler zu entzünden. Für unsern Gesenius bekam nun Lenz noch dadurch eine ganz besondere Bedeutung, daß er nach seines Vaters frühem Tode ganz in das Haus des Rektors übersiedelte und dort für die weitere Dauer seiner Schulzeit verblieb. Unmittelbar im Umgänge mit seinem tüchtigen Erzieher leben, unter seinen Augen gleichsam heranreifen, — welches Gück für einen strebsamen Jüngling! Gesenius hat diese günstige Fügung- wahrgenommen und aus dem unmittelbaren Verkehr mit dem hochverehrten Manne, den er je länger je mehr als väterlichen Freund schätzen lernte und bis an sein eigenes Ende in dankbarster Erinnerung behielt, mannigfachste Förderung geschöpft, besonders wohl auf dem Gebiete der alten Sprachen. Jene ausgezeichnete Kenntnis der lateinischen Sprache, die er später in seinen Werken bekundet, wird er in der Hauptsache schon dem Lenz verdanken. Auch Hebräisch hat er gern getrieben und war unter seinen Mitschülern der beste in diesem Fache. Wie der Primaner von berufener Stelle beurteilt wurde, das erhellt klar aus einem Schreiben, das Lenz im April 1803 an „die Herren Bürgermeister, Scholarchen und Senioren zu Nordhausen“ richtet. Darin heißt es: „Gesenius ist der fähigste, allumfassendste Kopf unter den Primanern, dem auch von Seiten der drei toten Sprachen (Lat., Griech., Hebr.), wie der französischen und englischen, nicht minder seiner vielerlei wissenschaftlichen und Sachkenntnisse kein einziger unserer jetzigen Gymnasiasten gleich oder auch nur sehr nahe kommt. Er ist überhaupt die jetzt leider einzige Zierde derselben und unseres Gymnasiums. Am meisten zeichnet er sich durch eine seit langen Jahren unter den Nordhäuser Gymnasiasten vielleicht beispiellose Stärke im Griechischen und durch eine gleiche Tüchtigkeit, die griechischen und römischen Dichter in allen ihren verschiedenen Versmaßen wiederzugeben, aus.“ So war er denn aufs beste vorgebildet, als er im Herbste 1803 — ein Abiturium gab es damals noch nicht — unsere Stadt verließ, um sich auf der Hochschule dem theologischen Studium zu widmen. Aller Voraussicht nach mußte ihn dieses Studium dereinst ins Schulamt oder Pfarramt führen. Die Vorbildung für beide Berufe war damals noch wesentlich einheitlich. Auch Fr. A. Wolfs Bestallung zum „Collaborator bei dem Paedagogio zu Ilfeld“ (21. 10. 1779) war unter dem Titel eines Kandidaten der Theologie erfolgt. Das geistige Leben auf den deutschen Hochschulen stand damals noch völlig unter dem Zeichen des Rationalismus. Begründet vor allem durch den Hallischen Philosophen Christian Wolff († 1754), vielfach beeinflußt durch englischen Deismus und französischen Naturalismus, alles Erkennen auf den natürlichen Verstand stellend, je länger je kühler und kritischer sich zur überkommenen Lehre und zu aller Ueberlieferung stellend, hat diese sogenannte Aufklärungsperiode zweifelsohne in mehrfacher Hinsicht auf der einen Seite ebenso befruchtend gewirkt, indem sie die natürlichen Bedingungen des Erkennens, die gegebenen Zusammenhänge des Geschehens nachdrücklich betonte und die Traditionen unter das prüfende Auge nahm, wie sie auf der anderen Seite durch ausschließliche Hervorhebung des Rationalen, Nützlichen und Zweckmäßigen verdünnend, verflachend wirkte, indem sie dem Gefühle, der Phantasie, der Geschichte zu wenig Rechnung trug. Zwar die Religion, geläutert im Feuer kritischer Prüfung, sollte bleiben, aber ihre Mysterien entfielen bei solcher Grundanschauung von ganz allein. Die Hauptvertreter dieser Geistesrichtung auf dem Gebiete der Theologie (Ernesti in Leipzig, † 1781, Joh. David Michaelis in Göttingen, 11791, Semler in Halle, † 1791, u. a.) haben, persönlich fromm und ein gewisses Maß des Offenbarungsglaubens für sich noch festhaltend, doch die neue Methode in ihr Fach eingeführt. Ihre überaus zahlreichen Schüler wirkten, an Radikalismus die Meister zum Teil weit überbietend, jahrzehntelang in Schul- und Pfarrämtern und Universitäten. Der Rationalismus, über den schon Kant und mehr noch die nachfolgende deutsche Philosophie in Jakobi, Fichte, Schelling und Hegel weit hinausgeführt hat, kann heutzutage als wissenschaftlich erledigt gelten, seine Spuren aber treten dem, der die Entwickelung der geistigen Strömungen kennt, noch in der Gegenwart deutlich vor Augen. Solcher Art war die Bildungssphäre, die damals, getragen von der vollen Gunst des Zeitgeistes, auf unseren deutschen Hochschulen fast ausschließlich herrschte. So war sie auch in Helmstedt, der damaligen braunschweigischen Landesuniversität, wohin sich unser junger Studiosus im Herbste 1803 wandte, um sich, wie schon gesagt, der Theologie zu widmen, aber nicht nur im Sinne des sogenannten Fachstudiums. Die Grenzlinien zwischen Theologie und Philologie, zwischen dem theologischen und dem philologischen Studium, die Fr. A. Wolf hernach gezogen hat, waren damals noch nicht vorhanden. Beide Stände hatten, wie schon bemerkt wurde, die gleiche Vorbildung. Die Professoren lasen zumeist aus beiden Fächern. Das kann uns nicht weiter wunder nehmen. Zwischen beiden Fächern bestehen ungesucht überaus zahlreiche Berührungspunkte, sodaß selbst in der Gegenwart der Uebergang vom einen zum andern nicht ganz selten ist. Ist doch das theologische Studium, ganz abgesehen von dem natürlichen Interesse des Theologen für alles mit der Erziehung der Jugend Zusammenhängende, besonders geeignet, in der glücklichsten Verbindung mit den mannigfachen Gebieten der philologisch-philosophischen Disziplinen zu erhalten! Der Alttestamentler findet vielseitige Anregung zum Studium der semitischen Sprachen, eine der wichtigsten Ueber- setzungen des A. T., die Septuaginta, ist griechisch geschrieben; der Neutestamentler tut wohl daran, seine griechischen und lateinischen Kenntnisse zu bewahren, wenn möglich zu erweitern; der Kirchengeschichtler kann von der allgemeinen Weltgeschichte, mit der die Kirchengeschichte durch tausend Fäden verbunden ist, nicht Abstand nehmen; der Systematiker muß in der Philosophie zu Hause sein, um sich mit den in Psychologie und Logik behandelten Grundfragen des Erkennens und mit den jeweiligen Zeitströmungen auseinanderzusetzen usw. So können wir auch von vornherein bei einem begabten und lerneifrigen Jünglinge von der Art unseres Gesenius annehmen, daß er den Kreis seiner Studien nicht zu eng gezogen habe. Die schon von der Schule her vorhandene Neigung zum Hebräischen wurde gefördert durch Pott und Lichtenstein, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß er hier den Grund zu jener für seine Zeit universalen, fast beispiellosen, später so viel bewunderten Kenntnis der semitischen Sprachen, also der dein Hebräischen verwandten Sprachidiome, insbesondere des Aramäisch-Syrischen, des Arabischen und des Geez (der alten äthiopischen Sprache), gelegt hat. Eifrig trieb er auch unter Bredows Leitung klassisch-philologische Studien, griechischen und lateinischen Schriftstellern widmete er größten Fleiß. Sein Interesse für Kirchengeschichte wurde geweckt durch Henke. Letzterer, bekannt besonders durch seine sechsbändige „Allgemeine Geschichte der Kirche“ (1788 ...), deren frischer, lebensvoller Ton auch von gegnerischer Seite anerkannt wurde, lehrte in durchaus rationalistischem Sinne, ziemlich pietätlos, was ihm den gerechten Tadel „eines genialen und oft bodenlosen Absprechens“ zugezogen hat. Seinem Einflüsse ist es wohl zuzuschreiben, daß unser Gesenius selber hernach als Professor wiederholt kirchengeschichtliche Vorlesungen gehalten hat. Berühmt waren Henkes öffentliche Disputationen, und der tiefe Eindruck, den sie auf ihn machten, erweckte in dem Studenten — laut eigenen Zeugnisses — frühzeitig das Verlangen, selber einmal die akademische Laufbahn einzuschlagen. 1806, 20jährig, verließ er Helmstedt und siedelte nach Göttingen über. Hier bot sich ihm willkommene Gelegenheit, unter den Theologen Eichhorn († 1827) und Tychsen († 1834, Vater der durch Ernst Schulzes gleichnamigen Epos verherrlichten Cäcilie Tychsen) seine Studien hauptsächlich in der orientalisch-philologischen Richtung noch zu vertiefen. Hier machte er auch die Bekanntschaft jenes Dr. Jul. Aug. Ludwig Wegscheider († 1849), der hernach in Halle als Hauptvertreter des sogenannten Vulgärrationalismus mehrere Jahrzehnte hindurch eine weitreichende Wirksamkeit entfaltete und mit ihm durch Gesinnung, Freundschaft und Verwandtschaft zeitlebens eng verbunden blieb. In Göttingen hielt er sodann, nachdem er am 19. August 1806 zum Dr. phil. promoviert war, in den folgenden 5 Semestern Repetitorien und Vorlesungen aus den verschiedenen Gebieten der klassichen und semitischen Philologie und der Theologie. U. a. wurden Homer und Hesiod, Juvenal, hebräische und arabische Grammatik, das 1. Buch Mose, Einleitung ins Alte Testament behandelt. Sein Wirken, soviel Anklang es auch fand, wurde indessen nachhaltig erschwert durch den berühmten Altphilologen Heyne († 1812), der, ähnlich wie er seinerzeit schon unserm Landsmann Wolf kühl begegnete, so auch unserm Gesenius keinerlei Gunst entgegenbrachte, wobei das gleiche Geschick unserer beiden Landsleute letzthin wohl auf die gleiche Ursache zurückging. Heyne, unbestrittener Diktator, anerkannte Autorität in seinem Gebiete, empfand es im einen Falle übel, daß Wolf ihm gegenüber von Anfang an in Methode und Betrieb seiner Studien seine volle, bewußte Selbständigkeit bewahrte, im anderen Falle, daß Gesenius nicht aus seiner Schule hervorgegangen war. In beiden Fällen freilich erlebte Heyne noch den Aufstieg der beiden jungen Gelehrten zur vollen Höhe der akademischen Laufbahn. Unzweifelhaft aber war jene Gegnerschaft Heynes der Grund für unseren Gesenius, seit dem Herbst 1808 sich von der klassischen Philologie zurückzuziehen und sich, wenigstens amtlich, ausschließlich der Theologie und der hebräisch-semitischen Sprachforschung zuzuwenden, also jenes Sonderfach zu seiner Domäne zu wählen, auf dem er später nimmer welkenden Lorbeer ernten sollte. Dem festen Willen folgte rasch die Tat, indem er nun zuerst sich an eine größere Aufgabe wagte, die er im Gedanken bereits seit einiger Zeit mit sich trug, zu deren Bewältigung ihm die Göttinger Universitätsbibliothek, deren große Bücherschätze schon Wolf mit glühendem Eifer ausgeschöpft hatte, reiche Fundgruben darbot. Es war die Ausarbeitung eines großen hebräischdeutschen Handwörterbuches über das Alte Testament. Das Werk, für das er durch den Professor Joh. Sev. Vater (namhaften Alttestamentler, bekannt insbesondere durch seine Fragmenten-Hypothese über die Entstehung des Pentateuchs und durch seinen Kommentar darüber, † 182G) einen Verleger in F. C. W. Vogel-Leipzig, der auch die meisten seiner sonstigen Werke übernahm, gefunden hatte, erschien in 2 Bänden in den Jahren 1810 und 1812. Mit allem Eifer hatte er daran in Heiligenstadt gearbeitet, wohin er 1809, und zwar als Professor am dortigen Gymnasium, berufen war. Er hatte dieses Amt, obgleich es ihn zunächst der Hochschule entrückte, aus finanziellen Gründen angenommen, denn in Göttingen waren seine Einnahmen, da er fast ausschließlich auf den Ertrag seiner Vorlesungen und des Privatunterrichts angewiesen war, zu dürftig, auch die Aussichten auf Beförderung an Ort und Stelle zu gering, als daß seines Bleibens hier dauernd gewesen wäre. In der freundlichen, anmutig gelegenen Stadt hat er sich wohlgefühlt, auch mit seinen an der Anstalt wirkenden Kollegen, zum großen Teile katholischen Priestern, sich gut gestanden. Das Amt ließ ihm die willkommene Muße zur Fortsetzung seiner Arbeiten, als deren Früchte sein Versuch über die maltesiche Sprache (den interessanten arabisch-italienischen Dialekt der Insel Malta) und der 1. Band des bereits erwähnten Lexikons 1810 erschienen. Doch war sein Bleiben hier nur vorübergehend. Aehnlich wie der junge Wolf während seiner kurzen Tätigkeit als Kollaborator am Gymnasium zu Ilfeld und als Rektor des Gymnasiums zu Osterode am Harz durch seine Erstlingswerke sich den Weg zur Professur in Halle bereitete, so auch unser Gesenius während seines Aufenthaltes in Heiligenstadt. Maßgebende Kreise in Preußen waren auf ihn aufmerksam geworden und beeilten sich, den jungen Schulmann für die akademische Laufbahn zu gewinnen. Bereits am 9. Februar 1810 erfolgte seine Berufung zum außerordentlichen Professor der Theologie in Halle; die Beförderung in eine ordentliche Professur folgte schon am 16. Juni 1811, nachdem er das angebotene Ordinariat in Breslau abgelehnt hatte; dazu kam als äußere Ehrung 1827 der Titel eines Konsistorialrates, als er die Berufung nach Göttingen zur Nachfolge des großen Eichhorn (Theologe und Orientalist, † 1827) ausschlug. Schon 1813, bei Wiedereröffnung der zeitweilig geschlossenen Halleschen Universität, war ihm die Würde eines Dr. theol. verliehen. So hatte er in Halle in schnellem Lauf alle Stufen akademischer Würden erklommen. Und seiner heimatlichen Universität ist er treu geblieben, so oft auch ehrenvolle Anerbietungen von auswärts — die letzte kam 1832 von Oxford — an ihn herantraten. Hier in Halle hat er seitdem als Gelehrter, als Forscher und Lehrer in fast 33jähriger Tätigkeit jenes Wirken entfaltet, das den Ruf seines Namens und den Ruhm deutscher Wissenschaft durch die gelehrte Welt aller Länder verbreitete. Seinem Namen war es wesentlich mit zu danken, daß der Hörerkreis der theologischen Fakultät in Halle jahrzehntelang Zahlen aufwies, wie keine andere deutsche Universität. Die theologische Fakultät in Halle hat durch ihre ausgezeichneten Mitglieder jederzeit bis in die jüngste Gegenwart auf die angehenden Theologen eine starke Anziehung ausgeübt und hat demgemäß auch immer zu den bestbesuchten Fakultäten Deutschlands und des deutschen Sprachgebiets überhaupt gehört. Aber die Zahl von rund 900 Studierenden der Theologie, die Halle in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts aufwies, hat doch hernach keine Universität, auch Halle nicht, jemals wieder erreicht. Gesenius und der ihm bereits von Göttingen her befreundete Wegscheider (Dogmatiker, † 1849) waren zu ihrer Zeit die Leuchten theologischer Wissenschaft in Halle. Und der Glanz ihres Namens, insbesondere des Gesenius, verblich auch dann nicht, als ihnen seit 1826 in dem geistesmächtigen Tholuck (Neutestamentler, Universitätsprediger, † 1877), sehr gegen ihren Willen, ein Kollege zur Seite trat, der die theologische, noch völlig im Rationalismus wurzelnde Richtung jener Männer grundsätzlich bekämpfte und mit der Macht seiner Persönlichkeit in langer Arbeit das religiöse Fühlen, das theologische Denken je länger je mehr in andere Bahnen hinüberleitete. Die Tätigkeit des Universitätsprofessors hat vornehmlich 2 Felder der Wirksamkeit. Er als Fachgelehrter ist auch in erster Linie zum Forscher auf seinem Gebiete berufen, als dessen wissenschaftliche Autorität, als dessen kundiger Vertreter er vor allen mit Recht angesehen wird. Er soll aber auch die zu seinen Füßen sitzende akademische Jugend in die Wissenschaft einführen, sie darin heimisch machen, sie anleiten zu selbständiger Erfassung und Behandlung der Probleme und zu eigener Geistesarbeit befähigen. So wird der Gelehrte zum Lehrer, der Besitzende zum Gebenden, und es erblüht eine wundervolle Verbindung zweifachen Schaffens, das aus der Stille der Gelehrtenstube von ganz allein in die vielbewegte Welt hineinführt, sodaß wir jenes oft gefällte Werturteil wohl verstehen können, daß unter allen Berufen, bei voller Würdigung jedes einzelnen, doch vielleicht das Amt des akademischen Lehrers, alles in allem, ein besonderes Ideal darstelle. Und wenn nun naturgemäß beide Befähigungen, die des Gelehrten und die des Lehrers, nur selten in gleicher Höhe in der Einzelpersönlichkeit sich vermählen,— bekanntlich gehen Gelehrsamkeit und Lehrbegabung nicht immer Hand in Hand, — in unserem Gesenius waren beide Gaben im vollsten Umfange vorhanden. Er war Gelehrter in höchster Potenz. Seine zahlreichen Leistungen beweisen das. Sie zeigen zugleich, wie er in steigendem Maße sich seines Faches bemächtigt. Er hat als Forscher die theologische und die mit ihr vermöge des Alten Testaments eng zusammenhängende semitische Sprachwissenschaft durch bahnbrechende Werke bereichert und gefördert, hat in allen seinen Werken, seiner fortschreitenden Erkenntnis entsprechend, von Auflage zu Auflage — und kaum jemals haben die Schriften eines wissenschaftlichen Autors so viele Auflagen erlebt wie die seinen — gefeilt und gebessert, getreu dem Grundsätze, den er in allem Schaffen unwandelbar befolgte: „Dies diem docet.“ Er war einer der größten Hebräer aller Zeiten, zu seiner Zeit unbestritten der gründlichste Kenner der hebräischen und der ihr verwandten Sprachen. Es darf in diesem Zusammenhänge einmal darauf hingewiesen werden, daß unter diesen Sprachkennern und -forschem deutsche Theologen — wir nennen aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert nur Ewald, Stade, Dillmann, König, Kautzsch, Merx, Strack, Steuernagel — eine Ehrenstellung einnehmen. Aber unter diesen Männern steht Gesenius in vorderster Reihe. Sein schon erwähntes „Hebräisch-deutsches Wörterbuch über das A.T.,“ 1810—1812, erbringt dafür den vollgültigen Beweis. Einen kleineren, an Umfang nicht wesentlich dahinter zurückbleibenden, Auszug aus dem eben genannten 2bändigen Werke stellt sein 1815 erschienenes „Neues hebräischdeutsches Handwörterbuch über die Schriften des Alten Testaments“ dar, das seit der 2. Auflage, 1823, den Titel „Hebräisches und Chaldäisches Handwörterbuch über das A. T.“ führte (das Wort „chaldäisch“ hier in herkömmlicher Weise noch gebraucht für den in einigen Büchern des A. T. vorkommenden west-aramäischen Dialekt; vgl. Kautzsch, „Grammatik des Biblisch- Aramäischen, 1884, § 6). In zahlreichen Auflagen, nach des Verfassers Tode von tüchtigen Gelehrten bearbeitet, fand es weite Verbreitung und erfreut sich in beteiligten Kreisen bis zur Stunde andauernder Beliebtheit. Die Behandlung der einzelnen Vokabeln ist gründlich, die Anlage in der Entwickelung und Reihenfolge der Bedeutungen übersichtlich, sodaß auch der Anfänger vor dem umfangreichen Bande nicht zu erschrecken braucht, auf zahlreiche Textstellen des A. T. wird erläuternd eingegangen, verwandte Erscheinungen, besonders aus dem Aramäisch-Syrischen und Arabischen, aber auch aus dem Sainarita- nischen und Aethiopischen (Geez), Analogien aus dem Griechischen und Lateinischen, werden reichhaltig herangezogen. Sein Bestreben war (2. Aufl., Vorrede S. IV), „die vorgefundenen Spracherscheinungen in einen organischen Zusammenhang zu bringen und sie zu erklären.“ Die Sprache des Buches ist flüssig und klar, was bekanntlich (man denke nur an die Kommentare des berühmten Alttestamentlers Hitzig in Heidelberg, † 1875) nicht von jedem Gelehrten behauptet werden kann. Wer dieses Buch für seine Studien benutzt, der wird auch jetzt noch die anerkennenden Worte gern unterschreiben, mit denen seiner schon 1842 Erwähnung geschieht: „Wie ein geordnetes Hauswesen uns freundlich und wohltuend anspricht, so auch, wenn wir von der Heerstraße der Lektüre ab- und in dem Wörterbuche einkehren müssen; so freundlich, reinlich und ordentlich tritt uns hier alles entgegen, wir werden so rasch und richtig bedient und erlangen leicht obendrein für unser Gedächtnis noch einen Zehrpfennig mit auf den Weg.“ („Gesenius. Eine Erinnerung für seine Freunde,“ von R. H. S. [Robert Haym?], Berlin 1842, S. 20). So war es in der Tat ein rechtes Handwörterbuch, für den gereiften Kenner und nicht minder auch schon für die Hand des jungen Anfängers geeignet, ein Lexikon, das auf allen Stufen aufsteigender Erkenntnis nützliche Dienste leistet. Die 2. Auflage bringt, worauf Verfasser (S. VII der Vorrede) besonders hinweist, eine „gedrängte Abhandlung über die Quellen der hebräischen Wortforschung nebst einigen Regeln und Beobachtungen über den Gebrauch derselben.“ In diesem Aufsatz, den er „besonders für Lehrer des Hebräischen und angehende Sprachforscher“ geschrieben hat, bietet er u. a., nach dem Maße und Umfange der ihm vorliegenden Sprachdenkmäler, einen kurzen, aber gehaltvollen, interessanten Ueberblick über die Eigenart, Geschichte und Verbreitung der semitischen Sprachen, der, neben Th. Nöldekes Skizze „Die semitischen Sprachen“ (Leipzig, 1887) und C. Brockeimanns Abriß „Semitische Sprachwissenschaft“ (Leipzig, 1906), auch heutzutage noch lesenswert ist und das gewährt, -was er nach des Verfassers Absicht gewähren soll, nämlich einen kurzen, lehrreichen Einblick in die semitische Sprachengruppe, die, einst so weit verbreitet, im Laufe der Zeiten mehr als einmal das Absterben blühender Zweige erlebte. So war der allmähliche Untergang des dem Hebräischen aufs nächste verwandten Phönizisch-Punischen mit der Eroberung von Tyrus durch Alexander den Großen (332) und mehr noch mit der barbarischen Zerstörung Karthagos durch die Römer (146) besiegelt; von seinem einstmals ansehnlichen Schrifttum sind nur dürftige Reste erhalten. In der Anfangszeit der Makkabäer (c. 165) ist auch das Hebräische ausgestorben und im Volksmunde durch das Aramäische ersetzt. Das Syrische (so die allgemeine Benennung des Aramäischen in christlicher Zeit) ist, nachdem es jahrhundertelang den Orient zum großen Teile beherrscht und eine reiche Literatur geschaffen hatte, durch das mit dem Islam hereindringende Arabische mehr und mehr aus seiner einstigen Machtstellung verdrängt und fristet nur noch in einigen kleinen Bezirken ein kümmerliches Dasein. Seit dem 13. Jahrhundert mag auch die äthiopische Sprache (Geez-Sprache im aksumitischen Königreiche Abessyniens) im Volksgebrauche erloschen sein. |