Vom alten Brauchtum in den Landen zwischen Harz und Hainleite

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Autor: Hans Silberborth
Titel: Vom alten Brauchtum in den Landen zwischen Harz und Hainleit
Untertitel:
aus: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Staatl. Realgymnasiums zu Nordhausen
Herausgeber:
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1935
Verlag: Verlag Theodor Müller
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Erscheinungsort: Nordhausen
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Vom alten Brauchtum
in den Landen zwischen Harz und Hainleit.


Von
Hans Silberborth.


Alle Völker ohne Ausnahme werden mehr durch Sitten und
Gebräuche als durch Gesetze und Gebote regiert. Je mehr
ein Volk lebendige Sitten und Gebräuche hat, desto weniger
bedarf es der Gesetze.
E. M. Arndt.


Es liegt im Wesen der Wissenschaft und bedingt ihren Wert, daß sie systematisiert und bestrebt ist, vielgestaltiges Leben aus nur wenige Formeln zu bringen. Was das Leben an Glanz und Buntheit dabei verliert, das gewinnt der betrachtende und um Erkenntnis ringende Mensch, der erst dadurch befähigt ist, die Wahrheit in weiter Ferne wenigstens zu erahnen.

Ein ganz besonders farbenschillerndes, krauses Bild bietet unsere Volkheit dar, wenn wir ihr noch heute in fröhlicher Ursprünglichkeit allenthalben blühendes, aber von allem möglichen Kraut und Unkraut überwuchertes Leben durch alle die tausend Fasern und Adern bis in seine vielverzweigten und vielverborgenen Wurzeln zurückverfolgen. Nicht leicht ist es, da Ordnung und Klarheit hineinzubringen, und es ist wohl verständlich, wenn die Wissenschaft der Volkskunde immer wieder versucht hat, von einem Punkt aus das ganze Gestrüpp zu durchleuchten und zu durchdringen, weil ein Absuchen von mehreren Ausgangspunkten aus nur neue Verwirrung im Gefolge zu haben schien. So hat es Grimm versucht, unser gesamtes Brauchtum aus der germanischen Mythologie abzuleiten; Mannhardt hat gezeigt, wie stark urmenschliche Vorstellungen von Vegetationsgeistern noch heute nachwirken. Heute gehen manche Forscher noch weiter in die Anfänge menschlicher Lebensgestaltung zurück und führen noch heute geltenden Brauch auf urzeitliche Furcht vor Toten und Dämonen zurück; was sie aber dabei nicht einordnen können, soll zuweilen nichts weiter als jugendliches, erst in den letzten Jahrhunderten gesunkenes Kulturgut sein, d. h. ein Brauchtum, das einstmals gehobenen Ständen eignete, dann aber, vom Volke vielfach mißverstanden, nach seinem Geschmacke umgebildet und, mit seinen Mitteln ausgestattet, übernommen worden ist. Wieder andere sehen beinah in jedem Brauche kultische Opfer, und noch andere wollen die meisten Handlungen als alten Fruchtbarkeitszauber deuten.

Gewiß eröffnet jeder Durchschlag durch das Urdickicht einen Ausblick, aber der Ausblick läßt nur einen Ausschnitt klar erkennen, und das übrige bleibt ihm verhüllt. Bei der Durchforschung unseres Brauchtums müssen wir doch wohl mehrere Ansatzpunkte wählen und versuchen von da aus, unter Vermeidung von verschlungenen Irrgängen, auf mehreren Wegen zum Ziele zu gelangen.

Dabei ist gerade auf dem Gebiete der Volkskunde, die deutsches Gemütsleben erschließen soll, nichts nötiger, als daß der Forscher nicht nur mit dem Verstände in deutsche Wesensart ein- zudringen bemüht ist, sondern diese Wesensart mit seinem Herzen nacherlebt und miterlebt. Nur darf er, hingerissen von der Liebe zu seinem Stosse, nicht deuten wollen, wo eine Deutung nicht mehr möglich ist, nicht verherrlichen wollen, wo nun einmal an dem oft recht robusten Volksbrauch nichts zu verherrlichen ist. Gar zu leicht und gar zu oft haben gerade dem Volkskundler seine Phantasie und seine Begeisterung auf Kosten der Wahrheit einen Streich gespielt. Wie aber die Geschichte, so soll doch auch die Volkskunde unsere Lehrmeisterin sein, indem sie nur das wahre Wesen unseres Volkes kennen lehrt. Zur Lehrmeisterin aber kann sie nur werden, wenn man aus ihrem Buche herausliest, und nicht, wenn man in ihr Buch hineinliest, was nun einmal nicht darinsteht.

Leicht freilich ist es auch um deswillen nicht, das wahre Wesen unseres Volkes aufzudecken, weil auf dem Gebiete der Volkskunde der Forscher mit Forschen und Deuten allein nicht vorwärts- kommt, wenn er selbst sich schon zu weit von dem einfachen, derben Fühlen und Denken des Volkes entfernt hat. Nicht der wird das Wesen unseres Brauchtums erkennen und erfühlen können, der sich durch jahrelanges Vorgaukeln bunten Flitterkrams die Augen verdorben hat und unfähig zu natürlichem Denken und einfachem Erklären geworden ist, sondern nur der, der aus dem Volke stammend, volksnahe geblieben.

Die Wahrheit, daß noch alle Zeitalter leben, geht einem niemals mehr aus als bei der Betrachtung unseres Brauchtums. Vom Glauben und Brauch der Steinzeit bis auf den Eindruck, den ein Kinobesuch oder eine Radioübertragung gemacht hat, lebt nachweisbar alles bewußt und unterbewußt im Volke und führt zu Aeußerungen aller Art. Dieses eigenartig zähe Festhalten an bestimmten Anschauungen und Lebensformen läßt sich aber nur daraus erklären, daß die Urkräfte der menschlichen Seele seit 5000 Jahren im wesentlichen dieselben geblieben sind. Aller Umbruch der Zeiten, alle Religionen und Lehren, alle Wanderungen und Verwüstungen, alle Entdeckungen und Erfindungen haben die menschliche Grundveranlagung nicht wesentlich zu beeinflussen vermocht. Nur um oberflächliche Klarheit zu gewinnen über die Ueberlagerungen und Überschneidungen, die noch heute sämtlich im Volkstum wirksam sind, treffe ich folgende Anordnung:

  1. Steinzeitlicher Toten- und Dämonenglaube.
  2. Bronzezeitliche Naturbeseelung und Seelenglaube. Beginn des Götterglaubens.
  3. Eisenzeitlicher Seelen- und Götterglaube.
  4. Christliche Anschauung und christlicher Brauch.

Die ersten und ältesten Entwicklungsstufen sind im heutigen Brauchtum deshalb noch z. T. zu erkennen, weil unser Seelenleben gewisse Urformen bewahrt hat. Von den in späteren Entwicklungsstufen ausgebildeten Bräuchen und Vorstellungen sind vor allem die in die Lebensäußerungen unseres Volkes eingegangen, welche an die Jahrtausende alten Wirtschaftsformen der Viehzucht und des Ackerbaus der Germanen geknüpft sind. Dieses Brauchtum scheint mir in seinen wesentlichen Zügen in der Bronzezeit, 2000—800 Jahre vor Christi Geburt, ausgebildet zu sein, als ein mildes und gesundes Klima die Völker Nordeuropas und der südlichen Umrandung der Nord- und Ostsee zu einer außerordentlichen Kulturhöhe auf der Grundlage von Ackerbau, Viehzucht und Schiffahrt führte. Solarifche Veränderungen zwischen 1000 und 700 v. Chr. bedingten es, daß diese Kulturhöhe die folgenden tausend Jahre nicht überall beibehalten werden konnte. Durch einen Klimaumschwung gezwungen, drängten die germanischen Völker nach Süden und eroberten im schwersten Ringen mit den Kelten allmäh- licy den ganzen heutigen deutschen Lebensraum.[1] Wanderungen und Kämpfe beeinträchtigten eine günstige Fortentwicklung; unter ihrem Einfluß wandelten sich auch die Anschauungen und die Formen des gesellschaftlichen Lebens in geringem Ausmaße nach der negativen Seite hin, die Grundhaltung des seßhaften Viehzüchters und Ackerbauers wurde aber doch im wesentlichen beibehalten, rettete sich auch durch die Stürme und Volksverluste der historisch deutlich erkennbaren Völkerwanderungen nach Christi Geburt und war danach, ständig gut unterbaut von der gleichbleibenden sozialen und wirtschaftlichen Struktur, so volksverwurzelt und kräftig, daß der Einbruch des Christentums zwar die alten Götter und Dämonen entthronen und in andere Funktionsbereiche überführen, aber nicht völlig auslöschen konnte und auch nicht auslöschen wollte. Wenn auch das Christentum manchen Volksbrauch umgebogen und seinen ursprünglichen Sinn verdunkelt hat, so hat es doch nur in geringem Maße altes Brauchtum wirklich aus- gerottet. Der tatsächliche Zerfall begann erst, als die bürgerlichindividualistische Kultur alle geistigen Kräfte in bisher unmöglichem Außmaße freiwerden und sich entwickeln ließ und durch die unerhörte Ueberwindung der Natur seit dem 18. Jahrhundert der bisherigen Lebensgestaltung und Lebensanschauung die Grundlage entzog. Dadurch und u. E. allein dadurch und nicht durch das Christentum ist erst in den letzten hundert Jahren vieles alte Lebensgut verschüttet gegangen. Das liegt im Zuge der Entwicklung, man darf es deshalb nicht beklagen, sondern muß es verstehen. Darüber, daß mit dieser Feststellung „noch lange keinem wurzellosen Hinvegetieren von Augenblick zu Augenblick das Wort gesprochen sein soll", habe ich mich schon in der Einleitung zu meinen heimatlichen Sagen geäußert. Heute, wo die Gefahren, die unseren völkischen Bestand bedrohen, klar erkannt sind, kommt es darauf an, zu scheiden zwischen dem, was über Bord gehen mußte, weil es an nunmehr überholte soziale Bedingtheiten geknüpft war, und zweitens dem, was zutiefst in unserer Wesensart ruht. Das erstere ist dahin; es wäre vergebliches Bemühen, es erneuern zu wollen; nicht naturgewachsen, sondern gemacht und verkrampft müßte es erscheinen. Das andere aber, unsere völkische, ewig aus dem Boden unserer Heimat Kraft und Nahrung empfangende Art. kann gar nicht pfleglich genug behandelt werden. Denn nur wenn ein Volk sich auf seine Eigenart und seinen Eigenwert besinnt, sie hegt und pflegt, von ihnen nimmer läßt, kann es seine ihm von Gott verliehenen Fähigkeiten entwickeln und für sich und andere nutzbar machen.

Danach ist also von unserem Brauchtum noch Zweifaches lebendig und gilt es lebendig zu erhalten: Einmal das, was unserer tiefsten Naturanlage entsprossen ist. Unter dem Einfluß dieser Uranlage, die nur sehr oberflächlich durch Erziehung und Konvention abgedeckt ist, stehen wir dauernd, und also äußert sie sich auch dauernd. Vor allem fühlt sich der deutsche Mensch allezeit unter der Hand des allgewaltigen Schicksals, dessen Gewalt er anerkennt, mit dessen Gewalt er aber auch ringt; und so treffen wir immer wieder und zu jeder Zeit auf die Bräuche, die sich bittend und angstvoll fragend an das Schicksal wenden, als da sind: Furcht vor bösen Gewalten, Abwehrmittel dagegen, Wahrsagung und Glückwünschung. Dazu treten die Bräuche, die geknüpft sind an die gegenseitigen Bindungen und Abhängigkeiten der Gesellschaftsschichten sowie an die Ausbildung und Erziehung, soweit sie aus natürlichem Zwang und nicht aus sekundären Ueberlegungen resultieren.

Zweitens ist das lebendig, was an die ursprünglichen Be- schäftigungsformen der Germanen geknüpft ist. Seit Urzeit aber pflegt der Germane in erster Linie das Kriegswesen, die Schiffahrt und den Ackerbau und dann, in einigem Abstand, den Handel. Wo die Entwicklung im Laufe der Zeit und insbesondere im letzten Jahrhundert diese Betätigungen, z. B. das Kriegswesen, umgestaltet hat, ist an sie gebundes Brauchtum abgestorben und läßt sich nicht zu neuem Leben erwecken; soweit andererseits diese Betätigungen naturgebundene, unveränderliche Formen aufweisen, wie z. B. die Landwirtschaft, ist auch noch alter Brauch vorhanden. Aller Hantierung natürlichste Abhängigkeit aber ist durch die Abfolge der Jahreszeiten bedingt. Wenn man also das Jahr in seinem Ablauf verfolgt, wird man auch unser lebendiges Brauchtum erfassen können. Dabei ist freilich zu bedenken, daß neben manchem durchaus bewußt geübten schönen Brauch heute der tiefste Sinn unseres Brauchtums nicht mehr deutlich erkannt, oft kaum noch geahnt wird. Bei Begehung dieser in ihrer Wesenheit nicht mehr begriffenen Bräuche ist es natürlich vielfach zu willkürlichen Abänderungen, oft auch zu Vergröberungen gekommen, oder man hat die Begehung aus äußeren Gründen zeitlich gänzlich verschoben. Hier wäre zu wünschen, daß mit dem wieder Bewußtwerden altheiliger Sitte auch die rechte Form ihrer Begehung wieder Platz griffe.

I. Der Frühlingskreis

Die Zeit der heiligen Nächte von Weihnachten bis zum Dreikönigstage ist die Uebergangszeit vom alten zum neuen Fahre. Es ist eine besonders ausgezeichnete Zeit, voller geheimnisvollen, segenwirkenden, aber auch verderblichen Zaubers und deshalb erfüllt von Sitten, zu denen von der Steinzeit bis auf die jüngste Vergangenheit alle Zeiten beigesteuert haben. Darauf, nach der Jahreswende, folgt eine stille Zeit. Der Mensch muß sich einleben in das neue Jahr und einfühlen in die Befürchtungen und Verheißungen. Die im alten Jahre gestellten Schicksalsfragen haben, vor allem in der Silvesternacht, ihre Beantwortung gefunden. War die Frage aber auch richtig gestellt, und ist die Antwort richtig gedeutet worden? Unter diesen Zukunstsgedanken sind die Menschen ins neue Jahr eingetreten und verhalten sich wartend und still. So sind die germanischen Menschen zu allen Zeiten in den ersten Wochen des neuen Jahres gar still und in sich gekehrt gewesen. Freilich ist es im Laufe des letzten Jahrhunderts ganz besonders trübselig geworden. Das rührt daher, daß die alten fröhlichen und anheimelnden Spinnstuben nun schon seit manchem Jahrzehnt ihre Pforten geschlossen haben, seitdem Flachs nur noch wenig angebaut wird, seitdem die ausländische Wolle die heimische Schafzucht fast zum Erliegen gebracht hat und besonders seitdem der mechanische Webstuhl im Fabriksaal den Frauen und Mädchen die heimische Winterarbeit entwandte. Und die in unserer Heimat anstelle der Spinnstuben getretenen Kränzchen bieten doch nicht vollgültigen Ersatz. Aber auch die mancherlei Polizeimandate haben ihren Einfluß gehabt, daß die Zeit stiller und stiller geworden ist. Leider artete in der traurigen Zeit des 17. Jahrhunderts manches schöne alte Fest in wüste Völlerei und Rauferei aus, daß Staat und Kirche eingreifen und die verwilderten Sitten bekämpfen mußten.

Doch nicht lange währt die natürliche Bänglichkeit der Erwartung, und der Fortfall des Spinnrades und die obrigkeitlichen Verfügungen können nicht hindern, daß neue Freude emporblüht. An den gesunden, natürlichen Menschen tritt die Sorge immer nur für kurze Zeit heran, dann fegt er lebenbejahend und lebensfreudig die schweren Schwaden hinfort. Und die sich allmählich dehnenden Tage und das sich allmählich reckende und streckende neue Leben geben seiner Hoffnungsfreudigkeit recht. Vom Sebastianstage (20. Januar) heißt es: „Fabian und Sebastian Soll der Saft in die Bäume gahn". Liebebedürftigen Mädchen aber, die zur Winterwende schon mehrfach das Schicksal nach dem zukünftigen Liebsten befragt haben, beginnt das Blut so zu pochen, daß sie am Tage Pauli Bekehrung (25. Januar) voll Sehnsucht nochmals die Frage stellen.[2] Bedeutungsvoller als diese Tage des stillen Januar ist der Tag der Lichtmesse (Mariae Reinigung, 2. Februar). Mit diesem Tage beginnen die Feiern, welche die Germanen seit der Bronzezeit abhalten, um das ihrige beizutragen, der langsam zunehmenden Kraft des Lichtes zum Siege zu verhelfen. Dabei ist nicht an die Verehrung eines Sonnengottes zu denken, sondern der Sonne schlechthin, von der alles Leben und Gedeihen aus der Erde abhängig ist. Von dieser altheidnischen ersten Sonnenfeier des Jahres ist nichts auf uns gekommen. Das Christentum hat sie aus dem Gedächtnis der Menschen ausgelöscht, dadurch daß es selbst eine schöne erhebende Lichtfeier an ihre Stelle setzte. Im Gotteshause wurden die Kerzen vom Priester geweiht, und dann zog die Gemeinde, Marienlieder singend, mit angezündeten Kerzen um die Kirche.[3]

Doch wenn auch von dem altgermanischen Sonnenfest, von christlicher Begehung überdeckt, nichts übriggeblieben ist, so hat sich doch für diesen Tag der Lichtmesse ein Brauch erhalten, der wohl in ähnliche ferne Vergangenheit zurückführt wie die alte Sonnenfeier. In Groß-Berndten übt die Bauersfrau zuweilen noch heute den Zauber, daß sie einen Wagenreif auf den Hof legt oder auch wohl nur einen Kreis auf dem Hofe zieht und das Futter für die Hühner dort hinein streut. Dieser Brauch gibt ihr die Gewißheit, daß die Hühner das ganze Jahr hindurch in das Nest und nicht abseits ins Heu oder Gras legen. An anderen Orten gebraucht man einen ähnlichen Bann am Karfreitage. So hat sich in Lieben- rode die Sitte lange erhalten, am Karfreitage die Hühner beim Füttern mit einer langen Kette zu umgeben, um sie ein- für allemal am Weglegen zu hindern. In Rottleberode aber kennt man ein noch sichereres Mittel. Dort glaubt man, man müsse am Karfreitag vor Sonnenaufgang einen Reif auf den Hof legen, in den man dann das Futter streut und dies die Hühner fressen läßt.

Wir trefsen hier auf den alten Aberglauben des Bannens. Diese Kunst des Bannens schrieb man einst vielen Dämonen und Zwergen zu, ja, man glaubte bis in die jüngste Zeit hinein an die Kraft mancher Menschen, diesen Zauber üben zu können.[4] Und ein solcher Bannzauber ist auch bei mancherlei häuslicher Verrichtung nützlich. Die Bauersfrau, die das Futter in einen ganz bestimmten, abgegrenzten Raum tut, zwingt die gefütterten Tiere, die Eier an dem dafür bestimmten Platz niederzulegen.

Doch kann man Lebewesen nicht nur nach den vorgesehenen Punkten hinzwingen, sondern man kann durch den Bann auch feindliche Mächte abhalten, einen bestimmten Raum zu betreten. Deshalb zog man einst, z. B. in Kehmstedt, im Frühjahr Furchen oder gar Ketten um einzelne Felder zur Abwehr böser Geister, die den Saaten schaden konnten.

Ein anderer ebenfalls seit Urzeit geübter Brauch zu Lichtmeß besteht darin, daß am frühen Morgen dieses Tages die Knechte die Mägde und umgekehrt die Mägde die Knechte aus den Betten prügeln, eine Sitte, die in unserer Heimat für den dritten Weihnachtstag als „Kindeln" bekannt ist und deshalb dort ihren Platz finden soll. Wahrscheinlich liegt aber ein Frühjahrszauber vor: Der von jugendlicher Kraft strotzende Menschenleib erhält einen Schlag mit der Lebensrute, auf daß er seinen Zweck erfülle und fruchtbar sei.

Daß schließlich ein solcher Tag, an dem die Sonne sichtbarlich aufgerückt ist, für den Landmann ein Wettertag erster Ordnung ist, beweisen seine vielen Wahrsprüche:

Lichtmessen können die Herrn am Tage essen.
Lichtmessen ist der Winter halb gemessen.
Lichtmeß hell und klar, gibt noch viel Schnee,
aber ein gut' Frühjahr.
Lichtmeß dunkel, macht den Bauern zum Junker
Sonnenschein auf dem Altar, Gras und Futter rar.

In dieser Zeit des Hornungs müssen die Urgermanen auch ein Opferfest gefeiert haben, von dem schwache Nachklänge noch bis zu uns herüber rauschen. Für den Peterstag, Petri Stuhlfeier, 22. Februar, stoßen wir nämlich auf die Sitte des Nistelns. Diese Sitte lebt noch in der Erinnerung in Groß-Berndten, Bischoffe- rode, Kraja, Hainrode unter der Wöbelsburg, Wülfingerode, war also durch die ganze Grafschaft und die angrenzenden Bezirke hin verbreitet. In Klein-Furra wird sie noch heute geübt. Ein Bewohner beschrieb sie folgendermaßen: „Die Knaben schleichen sich in das Nachbarhaus oder zu guten Bekannten und streuen Spreu oder Häcksel in den Hausflur oder die Wohnstube; wer dabei ertappt wird, hat Prügel oder einen Guß kalten Wassers zu gewärtigen." Auch im benachbarten Rüxleben, in Oberdorf und in Rehungen findet das Nisteln noch hin und wieder statt. Doch hat sich die Sitte zuweilen recht verfeinert, indem man statt der häßlichen Spreu auch wohl Blumen in die Stube wirft.

Eine Erklärung für diese eigenartige Sitte des Nistelns wird kaum versucht. Fr. Schmidt weist sie für den Kreis Sangerhausen nicht für den Peterstag, sondern für Matthias (24. Februar) nach. Er erklärt nisteln als nüsseln, d. h. prügeln, weil sich an diesem Tage die Jugend die Köpfe mit Flachsknoten bearbeitete.[5]

Diese Erklärung stößt aber schon sprachlich aus Schwierigkeiten, denn aus einem ursprünglich vorliegenden Nüsseln kann, da die Sprache immer mehr verschleist, nicht das differenzierte Riffeln werden, das allenthalben allein bezeugt ist. Tatsächlich ist nisteln gleich nisten mit einer l-Ableitung und entspricht dem englischen to nestle. Am Peterstage machte die Bauersfrau nämlich den Hühnern die Neste, nistelte also. Dieser Ausdruck wurde dann von der Tätigkeit der Hausfrau auf den Schabernack der Dorfjugend, der an demselben Tage stattfindet und auch in ursächlichem Zusammenhang mit dem Nestbauen steht, übertragen. Die Knaben sangen nämlich einst beim Nisteln:

Nistel, Nistel bunt Ei;
Wenn sie geraten,
gebt mir zwei.

Diese Bitte um eine Gabe am Peterstage muß man zusammenbringen mit dem für diesen Tag bezeugten heidnischen Brauch, den Toten Opfer darzubringen. Das Konzil von Tour verbot im Jahre 567 diese Seelenopfer. Wir haben es also ursprünglich mit einer Opferung zu tun, die den Toten, den Unfruchtbaren dargebracht wurde, um sie zu versöhnen und zu veranlassen, dem neu Heranwachsenden, fruchtverheißenden Leben gnädig zu sein. Wahrscheinlich wurde in Urzeiten den Toten an diesem Tage ein Menschenopfer dargebracht und zwar ein junges Menschenkind. Später traten Speiseopfer an die Stelle des Blutopfers. Die Kinder aber, von denen eines den Toten zum Opfer gefallen war, wurden zu Ostern beschenkt, wenn tatsächlich das Opfer genützt hatte und ein reicher Segen an fruchtträchtigen Eiern eingetreten war. Den Opferbrauch für die den Menschen gefährlich werdenden Toten, die man sich in substantieller Form, nicht als Seelen weiterwirkend dachte, muß man bis in praeanimistische Zeiten, bis in die jüngere Steinzeit zurückverlegen.

Mit diesem Brauch, der im Nistelverse nur noch ganz verschollen anklingt, hat sich m. E. nun im heutigen Nisteln ein zweiter, viel jüngerer Brauch verwoben, auf den das Häckselstreuen und Beschmutzen der Stuben hinweist. Es ist eine Verspottung der Hausfrau, die Nester baut und auf den Frühling hofft; aber der Winter mit seinem Schmutz und abtauenden Schnee ist noch da, er macht sich noch recht unangenehm bemerkbar. Das wird der Hausfrau zu Gemüte geführt, die sich freilich mit einem Kübel Wasser gegen den Schmutz und die ihn verbreitenden Knaben zur Wehr setzt.[6]

Mit des Winters Schmutz und Unsauberkeit hängt auch ein anderer am Peterstage nicht mehr bei uns, aber sonst im deutschen Vaterlande geübter Brauch zusammen. An diesem Tage muß man bei Sonnenausgang mit einem Hammer an die Eckpfosten des Hauses und der Ställe klopfen. Dadurch werden Larven, Ratten, Mäuse und jegliches Ungeziefer vertrieben, und das Vieh bleibt gesund. Dieselbe Vorstellung liegt der Sitte zugrunde, die aus Elende bezeugt ist, daß man am Karfreitag dreimal mit dem Dreschflegel um die Scheune herumdreschen müsse, damit keine Mäuse hineinkommen. Man glaubt, daß tückische Dämonen und Teufel in garstige niedere Tiere eingehen, die sich zur Winterszeit in die Ecken und Winkel der Häuser eingenistet haben und nun mit dem kommenden Frühling gewissermaßen durch einen Reinigungszauber vertrieben werden sollen. Wie ja auch Goethe weiß, daß der Teufel der Herr des Ungeziefers ist, wenn er Mephistopheles sagen läßt:

Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse
Befiehlt Dir, dich hervorzuwagen
Und diese Schwelle zu benagen.

So wird man denn am Peterstage das wertlose Winterungeziefer los; aber auch von dem Wertvollen, was man in Kammer und Küche aufgespeichert hat und was übriggeblieben ist, trennt man sich nun gern und füllt die Vorratsräume mit frischer Ware auf. Die alten schon etwas abgelagerten guten Dinge mögen die Gemeindebeamten, insbesondere mag sie der arme Schulmeister bekommen, und so war der Peterstag auch der Tag, an dem die Kinder ihren Lehrern Erbsen, Bohnen, Aepfel, Speck, Wurst, Eier, Flachs darbrachten und danach ein Schulfest mit ihm begingen.[7]

Nun aber, mit dem Ende des Schmutzmonats, des Februars,[8] rüstet sich alle Welt, den Frühling festlich zu empfangen. Schon wagen Burschen und Mädchen sonntags einen Spaziergang in den Buchenwald und sind erfreut, wenn ihnen aus den bisher toten Farben die feltsam purpurn leuchtende, stark duftende kleine Blüte des Seidelbastes oder besser Zeidelbastes entgegenprangt. Das Erblühen des Zeidelbastes, der Blume, die dem urgermanischen Himmelsgotte Tiwas, Ziu heilig war,[9] kündet die Zeit an, da der Himmelsgott sich ausmacht, sich der Erdmutter zu nähern, auf daß aus ihrer Umarmung alles Leben neu erweckt werde.

Eine solche Zeit regt zu neuer Schaffenslust und neuer Hoffnung an und die Hoffnung zu übermütigem Tun. Wenn die Ströme ihrer Bande freiwerden, wenn man mit der Küstenschiffahrt wieder beginnen kann, wenn der Landmann seine Arbeit im Freien aufnehmen und der Meister daheim ohne künstliches Licht eine Stunde länger werken kann, dann hat man bei all' dem neuen frohen Treiben nach der Dunkelheit und Untätigkeit des Winters wohl Grund, ausgelassen und beinah toll zu sein. Dann muß man faseln, Unsinn begehen, die Fasenacht feiern.[10]

Mit diesem Feste begeht man noch heute eine Kultfeier, die bis auf die Bronzezeit zurückreicht und ihren Ursprung hat in der Verehrung der heiteren und friedlichen Götter der Schiffahrt und des Ackerbaus, offenbar eines Kultus, welcher der Vorgänger der Wanenreligion, der Verehrung des Freyr und Nerthus durch die späteren ingväonischen Germanen ist, im Gegensatz zu der dann aufkommenden Verehrung Wotans oder Odins und seines Kreises, dem Asenkult, der kriegerischer und heroischer ist.

Auch diese Fastnacht ist gedeutet worden als alte Totenfeier, bei der nach Darbringung des Opfers wacker geschmaust und gezecht wurde, um die Toten zu ehren und um durch die Verspeisung der Opferreste selbst an der Segnung durch das Opfer teilzuhaben. Gebäcke, deren Anfertigung an diesem Tage gebräuchlich ist, scheinen, so meint man, späte Nachbildungen des einstigen blutigen Opfers zu sein. So wurden z. B. in Sangerhausen von Fastnacht bis Ostern Brezeln gebacken und zwar nach Innungsvorschrift jedesmal nur von einem Bäcker.[11]

Doch der ganze übermütige Charakter der Fasenacht, der nicht erst mittelalterlich oder nemeitlich, sondern uralt ist, dazu manche andere sinnvolle Ausgestaltung des Festes weisen nicht auf ein Totenfest hin, sondern auf ein Fest, bei dem der abziehende Winter verspottet und der Einzug des Frühlings gefeiert wird. Wahrscheinlich sind dabei auf das Fasefest verschiedene Bräuche anderer Frühlingsfeste, die einstmals etwas später im Jahre begangen wurden, übertragen worden. Ueberhaupt liegt ein bestimmter Brauch selten für eine Begehung allein fest, sondern meist wiederholt er sich in derselben Jahreszeit, manchmal sogar durch das ganze Jahr hin des öfteren.

Im wesentlichen sind in der heutigen Fastnacht zwei ursprüngliche Feiern zusammengeflossen: erstens die Umfahrt der Fruchtbarkeitsgottheiten, insbesondere des zwiegeschlechtlichen Nerthus. Auf einem Wagen hielt die Gottheit feierlichen Umzug durch die Lande, segnete sie, und überall wurde die Erdmutter fröhlich empfangen und verehrt. Zweitens aber deutet noch heutiger Brauch bei der Fastnachtfeier auf ein altes Schiffsfest hin. Bronzezeitliche Felszeichnungen in Schweden, die der Schwede Almgren richtig erklärt hat, zeigen Schiffe ohne Segel und Ruder, auf denen das Sonnenzeichen angebracht ist, in denen betende Menschen stehen und die feierlich über Land gezogen werden. Wir haben es also mit einem Feste zu tun, bei dem nach gebrochener Winterkraft die Schiffe wieder ins Wasser gezogen werden. Noch frühneuzeitlicher Brauch beweist, daß tatsächlich der Beginn der Schiffahrt festlich begangen wurde. Halten doch die Weber vom Niederrhein das Recht, im Frühling im festlichen Zuge die ersten Schiffe ins Meer hinunterzuziehen, damit sie neue Wolle aus England Hollen. Vor allem aber beweist die Ausstattung des Festes bei süd- europäischen Völkern seinen Sinn. Wenn nach den Stürmen des Winters die Nachen wieder zu Wasser gelassen werden können, begeht man ein ausgelassenes Fest, in dessen Mittelpunkt ein Wagen mit der Nachbildung eines Schiffes, der carrus navalis, der Karneval, steht.

Um noch etwa Widerstand leistende Winterdämonen zu vertreiben, laufen vor dem Festzuge die Pritschenmänner her, die mit ihren Pritschen und Peitschen um sich schlagen und knallen, um die Wintergeister vollends zu verscheuchen. Die Verkleidung aller Art und die Masken sollen ursprünglich gegen die bösen Geister unkenntlich machen. Demselben Zwecke dient das zuweilen geübte übermütige Schwärzen der Mädchen, die dadurch entstellt und von den Dämonen nicht erkannt werden. Dieser Brauch des Schwärzens wird mehrfach, auch bei anderen Festen begangen, so z. B. in unserer Heimat in Urbach zu Ostern, wo man die Mädchen heute nur noch zum Schabernack schwärzt, oder zu Walpurgis, um sie für die zum Brocken fahrenden Hexen unkenntlich zu machen, oder zur Kirmeß durch den Erbsbär. Daß auch in unserer Heimat der Aberglaube verbreitet ist, die Begegnung des schwarzen Mannes, des Schornsteinfegers, sei glückbringend, ist auf dieselbe Meinung zurückzuführen.[12]

Die Vertreibung des Winters, der Einzug des Frühlings hat auch zu dramatischen Spielen an diesem Tage Anlaß gegeben. Teilnehmer am Festzuge führen mit verteilten Rollen einen Weltkampf zwischen Winter und Frühling auf, bei denen es nicht bloß zu derben und drastischen Prügelszenen kommt, sondern zu mindestens ebenso drastischen Wortgefechten. Da ist dann der gewiesene Ort, in diese heiteren Plänkeleien auch manche Anspielung auf alle Geschehnisse des Jahres und die daran beteiligten Menschen einzufügen. In unserer Heimat, wo schon in alter Zeit die Fasenacht gegenüber anderen Frühlingsfesten zurücktrat und nie fo ausgestattet war, übt man diese Satire zur Kirmeß. Jedenfalls ist ein derartiges Rüge- und Narrenspiel in den seit alters von rein deutscher Bevölkerung besiedelten Gebieten überall gebräuchlich und beweist, daß zu allen Zeiten die Germanen genug Offenheit und genug Humor besessen haben, ebenso freimütig Kritik zu üben wie sie sich gefallen zu lassen.[13] Aus dem Narrentreiben und dem Rügespiel haben sich dann seit dem 14. Jahrhundert die Fastnacht- spiele entwickelt. Eine niederere Form der Neckerei ist auch in unserer Heimat zur Fastnacht, ähnlich wie die vom 1. April, bekannt, wenn man Kinder zum Kaufmann schickt und sie unmögliche Waren, etwa Zwirnsamen u. dergl., holen läßt, und dieser ihnen Steine in den Korb packt.

Der eigentliche Sinn des Fasefestes ist bei uns sehr früh untergegangen. Deshalb haben wir dafür auch nur geringe Belege. In der Goldenen Aue fanden einst Umzüge mit Verkleidungen und Narrenpossen statt; der Brauch ist längst vergessen. Erhalten hat sich in einigen Orten der Erbsbär zur Fastnacht, der aber im allgemeinen auf die Herbstzeit verlegt ist. Deshalb soll vom Umzug des Erbsbären auch später gesprochen werden. Tatsächlich gehört der Erbsbär aber ins Frühjahr, und wenn er noch in Stempeda im Osten, in Tettenborn im Westen und in Badra im fernsten Südosten unseres Gebietes zur Fastnacht auftritt, so ist das ein Beweis dafür, daß er einstmals in unserer ganzen Heimat bei beginnendem Frühjahr bekannt war. Offenbar ist in dem Auftreten des Bären nur der eine Teil des Fastnachtsspieles übriggeblieben, nämlich die Verhöhnung des Winters, während man den Einzug des Frühlings später feiert und ihn mit anderen Festen in Verbindung gebracht hat. In Badra heißt es noch heute: Der Bär soll den Winter darstellen.[14] In Windehausen beging man einst zu Fastnacht unter ähnlichen Formen das Wildemannsfest, bei dem der wilde Mann auch nichts weiter als der Winter war.[15]

Sonst war es in unserer Gegend noch üblich, zur Fasenacht sich an Schmausereien gütlich zu tun. Am Sonntag und Montag vor dem Feste war Tanz, dann sammelte man im Laufe des Dienstags Gaben ein und verzehrte sie am Dienstagabend. Das Fest wurde besonders gern in den Spinnstuben gefeiert. In Groß- Berndten war man einst so üppig, gar acht Tage zu feiern. Auch in Nordhausen muß es in früheren Zeiten reichlich ausgelassen hergegangen sein, wie die vielen Ratsmandate, z. B. aus den Jahren 1669, 1678, 1695 beweisen. In einer solchen Ratsverordnung heißt es: „… befehlen wir …, daß sich niemand, er sei, wer er wolle, Bürger, Bürgerkind oder Fremder, des Fastnacht- laufens und -Haltens gelüsten lasten noch sich dessen unterfangen, viel weniger einige unserer Bürger für sich oder unter dem Schein des Bierschenkens solche üppigen Fastnachtsgesellen und ihre Anhänger aufnehmen, Hausen noch dulden solle." Besonders Handwerksburschen und Ackerknechte sollen ihre Zusammenkünfte unterlassen und das dabei entstehende „Tumultieren, Schlagen und Raufen."

Doch auch ernsthafte Stücke wurden an diesem Tage von den Schülern des Nordhäuser Gymnasiums aufgeführt.

Mit am längsten hielt sich die Feier am Harzrande, z. B. in Ilfeld und in Dietersdorf, wo man Kuchen und Kräpfel buk, Kaffee, Schokolade und Punsch trank und ein Tanzvergnügen veranstaltete. Und der letzte Rest des einstigen Heischens von Gaben, die man dann am Abend verschlemmte, ist noch übriggeblieben in dem Umzug von Kindern zur Fastnacht. Da singen sie dann, um sich Geld zu erbetteln, das bekannte Lied, das noch mehrfach im Jahre wiedertönt, besonders zu Neujahr:

Rosen rot, Rosen rot,
Zwei auf einem Stengel.
Der Herr ist schön, der Herr ist schön,
Die Frau ist wie ein Engel.

Heute ist die Erinnerung an alten Fastnachtsbrauch nur noch in Steigerthal lebendig, wo vom Fastnachtsdienstag über den Aschermittwoch hinfort bis zum Donnerstag hin wacker geschmaust und oft auch noch am folgenden Montag gefeiert wird. Natürlich hat diese Art der Festbegehung allein durch Tanz und Schmauserei keinerlei Anklang an alte heidnische Bräuche bewahrt, sondern ist nur der Abschied von den gewohnten Mahlzeiten und die Vorbereitung aus die christlich-kirchliche Fastenzeit.

Neben dem Gabenheischen für den Festabend steht in unserer Gegend noch der ernsthaftere Brauch einzelner Handwerke, zu Fastnacht die ausstehenden Forderungen einzutreiben oder sich einen Sonderlohn zu erbitten. Die Schmiede, die Böttcher und Stellmacher, die während des Winters die Gerätschaften für den Landmann haben ausbessern müssen, sind an diesem Tage unterwegs, um den Dank für ihre Arbeit einzufordern. Dazu gesellen sich in manchen Orten noch die Müller und Schäfer. In Haferungen, Nohra, Ilfeld, Sülzhayn, Uthleben u. a. Ortschaften ist es noch heute üblich, daß die Handwerker, vor allem die Schmiede, zu Fastnacht, oder, wie in Sülzhayn und Rottleberode, am Donnerstag vor der Fastnacht herumziehen. Noch bis vor wenigen Jahren sagten sie dabei folgende Verse auf:

Jetzt kommt der Schmied geschritten.
Hätt er ein Pferd, er käm' geritten.
Hätt' er einen Wagen,
Er käme gefahren.
Unsere lieben Alten,
Haben es so gehalten,
Haben es so befohlen,
Die Fastnachtswurst zu holen;
Keine von den kleinsten,
Keine von den größten,
Aber eine von den allerbesten.
Und ist es keine Wurst,
So ist es ein Stücklein Geld,
Ganz wie es dem Herrn gefällt.[16]

Nach Empfang der Wurst trat der Schmied ab mit den Worten:

So will ich mich bedanken.
Der liebe Gott erhalt' es in Ihren Schränken;
In der Stube bei der Tür.
Der Hufschmied trinkt nun ein Glas Bier.

Nun, nach dem Umzug der Fruchtbarkeitsgottheiten drängt alles zum Wachstum. Und der natürliche, unverbildete Mensch wird erfüllt von jauchzender Fröhlichkeit beim Betrachten des frischen Sprießens und Blühens und Befruchtens, das ihn rings umgibt. Ihn ergreift die Seligkeit, die der Anblick hoffnungsfroher junger Keimlinge gewährt, die allem zum Tode verdammten irdischen Leben ein Pfand für ewiges Dasein sind. An diesem Keimen und Aufgehen und Heranwachsen bei aller Natur, auch beim Menschen Anteil zu nehmen, es hilfsbereit zu fördern, ihm den Anreiz zu geben, daß es gerade wachse und nicht verderbe, muß das Bestreben der ganzen menschlichen Gemeinschaft sein.

Wie man am Emporquillen der Saaten, am Emporsprießen der Gräser schon aus rein materiellen Gründen seine Freude hat, so auch an der ordnungsgemäßen Vermehrung des Viehbestandes. Der Gemeindebulle ist ein durchaus nützliches Tier für die Aufzucht der Rinder und die Wohlhabenheit der Bevölkerung. Kein Wunder, wenn die ganze Dorfschaft ein Interesse an dem Wohlbefinden dieses Tieres hat und seine Tüchtigkeit feiert. Bis über die Mitte vorigen Jahrhunderts hinaus stattete Klein-Bodungen seine sogenannte Ochsenhochzeit zu einem übermütigen Feste aus. Am Montag nach Invocavit schmückten frühmorgens die Mägde den Bullen mit grünem Gerank und Blumenkränzen und ließen dann das geschmückte Tier durch den Ort führen. Vor der Gemeindeschenke erhielt der Führer einen Imbiß, während der Bulle vor dem Gasthause stand zur allgemeinen Bewunderung. Dann kam das Tier wieder in den Stall. Am Abend aber fand „das Hochzeitsfest" statt, bei dem der Bauer, der in diesem Jahre die Unterhaltungspflicht für den Bullen hatte, eine Tonne Bier zum besten geben mußte.

Aber auch der Heranwachsenden Menschlein, der kleinen und der größeren, gedenkt man im Frühjahr und nimmt teil an ihrer Freude und an ihrem Stolz, wenn sie wieder einmal bei ihrer Entwicklung eine Stuse emporgestiegen sind. Dann muß man sie auch beschenken oder ourch feinere ooer aoer meist gröbere Späße anregen, sich dem neuen Grade, den sie nun erklommen haben, würdig zu erweisen. Seit alten Zeiten schon wird die Beendigung des alten und der Beginn des neuen Schuljahres als Freudenfest begangen. Die Kleinen, die neu eingeschult werden, erhalten die bunte Tute. Die Größeren feierten einst am 12. März das ausgelassene Gregorsfest. Dieses Fest ist nach dem Papste Gregor IV., einem Kinderfreunde, genannt, der das Schulfest 830 gestiftet hat. Für die Nordhäuser Gelehrtenschule können wir es bis zur Reformationszeit zurückverfolgen, es ist aber wahrscheinlich schon im Mittelalter begangen worden. Abgesehen davon, daß die Kleinen an diesem Tage in die Schule ausgenommen und mit süßem Backwerk beschenkt wurden, war es sür groß und klein so recht ein Fest aus dem Uebermut und der Spottsucht der Germanen heraus, an der sich selbst in gebundener Gemeinschaftskultur der zum Individualismus neigende Charakter unserer Vorfahren erkennen läßt. Um die Schülerlein zu fördern und an diesem Tage ja keine Scheu vor Rang und Stand, Alter und Würde aufkommen zu lassen, galten, ähnlich wie bei den Exkneipen der Studenten, gewissermaßen „umgekehrte Semester". Die Schüler waren die Herren, die Lehrer und Pfarrer mußten gehorchen. Zu ausgelassenem Zuge trat die ganze Schülerschaft mit einem als Bischof verkleideten älteren Schüler an der Spitze an. Dieser schritt unter einem Baldachin daher, den Lehrer und Diakone tragen mußten, bis zur Nikolaikirche. Hier, in der Kirche hielt der „Bischof" eine witzige, mit Anzapfungen von Lehrern und Standespersonen gespickte Rede. Das Fest endete mit einer gemeinsamen stattlichen Mahlzeit aller älteren Schüler.[17]

Am Abend fanden sich dann die vornehmen Kreise der Stadt Nordhausen mit den Pfarrern und Lehrern zu einem recht üppigen und wiederum Redefreiheit in weitestem Maße gewährenden „Convivium scholasticum" zusammen. Hierbei war so ziemlich alles gestattet, und der jüngste Kollege durfte seinen Rektor, den Pastor primarius als Inspektor der Schule oder gar die Herrn Bürgermeister zausen.

Auch diesem schönen, der Spottlust der Germanen so genehmen Feste machte die Verwilderung der Sitten nach dem Dreißigjährigen Kriege den Garaus. Es wurde in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts in Nordhausen „propter excessus" verboten.[18]

Doch nicht nur die Schuljugend hält im Frühjahr Rückblick über die verflossene Zeit und Ausblick dahin, wo das Leben winkt, sondern auch die Lehrbuben werden in die Lehre ausgenommen, die Gesellen machen ihr Gesellenstück und werden zu Meistern erklärt, das alles unter mancherlei Zeremonien und nicht ohne wackeren Umtrunk. Auch die Heeresmusterungen wurden vereinst im Frühjahr aus dem Märzselde oder Maiselde abgehalten. Und bei allem sanden Prüfungen statt, welche den Stand der Tüchtigkeit oder die Reife feststellen sollten.

Nebenher gehen die Prüfungen, welche die Jugend seit uralten Zeiten über ihresgleichen selbst abnimmt, um die Bewährung zu erproben. Der aus der Dorsschule entlassene Knabe wird von den Burschen, den Bengeln, wie sie in unserer Heimat heißen, noch nicht sür voll genommen. Aber ein Jahr nach der Entlassung kann man einmal nachschauen, ob er zu einem tüchtigen „Bengel" herangewachsen ist. Zur Ueberprüsung seiner Tauglichkeit wird er in Nohra und anderwärts in einen Kübel Wasser getaucht, und danach muß er den Burscheneid ablegen. So wird er „gedengelt".

Ganz allgemein dient jeder Wassersegen zur Förderung der Entwicklung und Tüchtigmachung. So ist es auch mit dem Wasserbad, das den Konsirmanden von Klein-Furra und Rüxleben zuteil wird. Die Schüler und Schülerinnen müssen nämlich hier zwei Jahre in die Konfirmandenstunde gehen, und der jedesmal ältere Jahrgang treibt den neu hinzugekommenen durch den Dorfbach. Damit hat man dann die Gewähr für seine Tüchtigkeit und Zünftigkeit.

Jeder unverbildete, naturhafte Mensch fühlt sich als ein Stück Natur, er bildet mit der ganzen Natur, ob Stein, ob Strauch, ob Pflanze, ob Tier eine harmonische Einheit. Erst spätere Religionen und philosophische Systeme nehmen die Trennung von Körper und Geist, Sinn und Seele nicht nur als sprachlichdialektischen Notbehelf an, sondern als unumstößliche Wahrheit. Die Natur und der naturverwurzelte Mensch kennt solchen Unterschied nicht, Körper und Seele, Mensch und Natur sind ihm eins, und so weiß er sich auch jedem Wesen verwandt. Daher meint auch der Mensch, daß die Kräfte der Natur, der Pflanze, des Tieres in ihn eingehen, wenn er, Fleisch von ihrem Fleische, sie genießt. Mit den Frühlingsfesten war einstmals deshalb auch der Genuß von frisch sprossenden Pflanzen allgemein verbunden. Vor noch nicht garzu langer Zeit mußte der in Elende jährlich unter Freuden- gejauchze eingeholte Frühlingsprinz ihm feierlich überreichte Weidenkätzchen oder Knospen verzehren: Die Erstlinge des Frühlings dem Frühlingsgotte, sie beide find eins. Und für den Grünen Donnerstag hat ja allenthalben das deutsche Vaterland diese Sitte beibehalten. Es liegt hierbei ein durchaus heidnisches Brauchtum der germanischen Zeit zugrunde, in der neben die Wanengötter schon die Äsen getreten waren. Der Donnerstag ist dem westgermanischen Donar, dem nordgermanischen Thor geweiht, dem asischen Fruchtbarkeitsgottee.[19]

  1. Auf Grund der Torfmoorforschungen des schwedischen Geologen Sernander hat zuerst Kossinna nachdrücklich auf die Folgen des Klimawechsels in kultureller Beziehung aufmerksam gemacht. Vergl. Kossinna, Mannus IV und Kossinna, die deutsche Vorgeschichte . . ., Leipzig«, 143 ff. — Der Nußbaum kam in der Bronzezeit in ganz Skandinavien fort, Weizen und Hirse konnten bis Finnland angebaut werden. Entsprechend wärmer waren natürlich Polen, Deutschland, Frankreich. Nur so ist es zu erklären, daß die Germanen später, als sie nach Süden drängten, ähnliche klimatische Bedingungen wie einst im Nordland vorfanden, ihre alte Beschäftigungsweise säst unverändert beibehalten konnten und damit uraltes Brauchtum. Straffer hat recht, wenn er schreibt: „In dieser ruhig-schöpferischen und ausgeglichenen Jugendzeit — der Bronzezeit — haben die Germanen ihren inneren Reichtum und ihre riesenhafte Kraft gesammelt, mit der sie dann in der Eisenzeit Alteuropa überwältigten und das neue gestalteten." Und weiter: „Auch wenn wir durch die frühen Geschichtsschreiber nicht das geringste über den bei der Wende zur Eisenzeit einsetzenden Völkersturm wüßten, würde uns der weithinreichende damalige Kulturniedergang ausfallen." — K. Th. Straffer, Die Nordgermanen, Hamburg, 12.
  2. Sonst heißt es: Pauli Bekehr, Gans, gib dein Ei her.
  3. Vergl. Aus der Heimat, 1891, 7.
  4. Friedrich Schmidt, Der Kreis Sangerhausen, 2. Heft, Sangerhausen 1930, 61.
  5. Fr. Schmidt, a. a. o., 98. — Vergl. „Kopfnuß".
  6. Vergl. P. Herrmann, Altdeutsche Kultgebräuche; Jena, 1928 40. Indiculus superstitionum et paganiarum Nr. 3 verbietet das Schmutztest. — Die Römer feierten Anfang Februar ein großes Sühne- und Reinigungsfest.
  7. Wettersprüche: Wie es Petrus und Matthias macht, So bleibt es 40 Tag' und Nacht. — Wenns friert Petri Stuhlfeier, Friert es noch vierzigmal Heuer.
  8. Der Februar heißt germanisch Hornung. Hornung ist zwar nicht mit horo = Schmutz zusammenzubringen, sondern es bedeutet Sohn des Hornes, d. h. der auf den Hornmonat, den Januar, folgende Monat. Viele Bräuche kennzeichnen ihn aber als Schmutzmonat.
  9. Zeidelbast, ahd. Ziolinta. Vergl. im übrigen Herrmann, a. a. o., 36.
  10. Zu Grunde liegt das Verbum faseln = Unsinn machen; mhd. vasenacht. — Von der Kirche ist das Fest dann in Fastnacht umgedeutet, d. h. die letzte Nacht vor Beginn der Fastenzeit. Uebrigens stammt das Wort fasten nicht aus der Kirchensprache, sondern ist gemeingermanisch; unsere heidnischen Vorfahren müßen also mit dem Wort schon einen religiösen Begriff verbunden haben.
  11. Vergl. unten zu Totenfesten das Erntedankfest, Martinsfest und Schlachtefest. — Zu Sangerhausen vergl. Schmidt, a. a. O., 77, Brezel aus lat.bracellum, frz. bracelet = Armring. Armspange, die man den Toten mit ins Grab legte; dann die Nachbildung der Armringes aus Teig.
  12. Eine andere uns nicht einleuchtende Deutung gibt Naumann: Die Leichen, vor denen der Primitive Furcht hat, laufen leicht bläulich oder schwärzlich an. Diese Toten gehen in Dämonen ein, die durch die Bemalung mit Ruß nachgeahmt werden. In Verbindung damit stellt N. das Wort Hüne, das Siebs als der Tote, Hoops als der Dunkle, Schwarze deutet. Selbst auf die schwarzen Husaren verweist Naumann. — Hans Naumann, Primitive Gemeinschaftskultur, Diederichs, 1921.
  13. Das fröhliche Spotten und das sich fröhlich Verspottenlassen scheint ein Charakterzug aller Starken und Selbstsicheren zu sein. Vergl. I. Burckhardt über die Spartaner. I. Burckhardt, Kulturgeschichte Griechenlands, die Polis in ihrer historischen Entwicklung, 2, Sparta.
  14. Mannhardt, Antike Wald- und Feldkulte, II, 184 ff. glaubt im Erbsenbär einen Korndämon nachweisen zu können.
  15. In Hüpstedt und Zaunröden war der „wilde Mann" der Frühling, ein Bursche, mit Laub und grünem Reisig umkleidet, den die anderen Burschen suchen mußten und den sie dann unter lauten Freuderufen durchs Dorf führten.
  16. Die letzten drei Verse stammen aus Sülzhayn. — Am Aschermittwoch verbot der Aberglaube das Spinnen. Um Stolberg und Dietersdorf herum glaubten die Holzfäller, sie dürften an diesem Tage nicht in den Wald gehen, weil dort der Teufel sein Spiel treibe und ihnen ein Unglück zusüge.
  17. Indogermanisch ist der Brauch, an Wendetagen möglichst fröhlich, gar närrisch zu sein und alle Lebensverhältnisse umzukehren. Vergl. die römischen Saturnalien zu Neujahr, bei denen die Sklaven Herren waren. — In unserer Heimat fanden einst in mehreren Dörfern, meist um Pfingsten herum, Feste statt, bei denen die Bauern und Frauen die jungen Burschen und Mädchen bedienten.
  18. Vergl. Silberborth, Gesch. des Nordhäuser Gymnasiums, 70 f.
  19. Bei den Angelsachsen Thunresdaeg; bei den Nordgerm. Thorsdagr. Vergl. auch den Himmelfahrtstag unten S. 208. — Der spätere Ase Donar gehört ganz in die Nähe des Wanen Freyr. Seine besondere Ausgestaltung hat er verhältnismäßig früh erfahren. Er ist neben Tiu eine der ältesten Göttergestalten.