Preußen und Hannover
im Kampfe um die Freie Reichsstadt Nordhausen.
(1697—1715.)
Von
Hans Silberborth.
Druck und Verlag: Theodor Müller, Nordhausen am Harz.
Vorwort.
Nachdem ich im Jahre 1927 im Aufträge des Magistrats der Stadt Nordhausen die Geschichte der Freien Reichsstadt Nordhausen der Oeffentlichkeit hatte vorlegen können, war es mein Wunsch, einzelne Themen, die in der Gesamtgeschichte schon angeschlagen waren, noch gesondert und eingehend zu behandeln. Die Bearbeitung des heimatlichen Sagenschatzes und des heimatlichen Brauchtums ließen die Arbeit zwar zeitweilig in den Hintergrund treten, sie hat aber nie ganz geruht. So war es mir wenigstens möglich die Artikel: „Der Nordhäuser Bürgermeister M. Meyenburg als Mansfelder Kupferhändler" in der Zeitschrift des Harz- Vereins für G. u. A., ferner: „Der Höhepunkt der religiösen Streitigkeiten in der Fr. Reichsstadt Nordhausen und die erste und einzige Berufung eines Superintendenten" in der Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Prov. Sachsen und endlich: das Lebensbild Carl Ehr. Fr. Fischers in der Festschrift zur Jahrhundertfeier des Staatl. Realgymnasiums zu Nordhausen herausgehen zu lassen. Als weitere kurze Abhandlung war neben anderen die Behandlung der preußischen Besetzung zu Beginn des 18. Jahrhunderts geplant. Die Verquickung innerpolitischer Zersetzungserscheinungen und der Bedrängnis von außen her hatte mich schon bei der Abfassung der Gesamtgeschichte gefesselt. Doch war mir nicht bewußt, daß die eingehende Bearbeitung solche Ausmaße annehmen müsse, wie es bei Erzielung wenigstens einiger Vollständigkeit tatsächlich der Fall war. Ueberaus reiche Aktenschätze liegen in Berlin, Dresden, Wolfenbüttel und Hannover. Ebenso ergiebig werden die Wiener sein. Diese konnten nicht benutzt werden, brauchten es vielleicht auch nicht, da die Hauptentscheidungen Wiens in unserer Angelegenheit nach Berlin und Nordhausen mitgeteilt wurden und deshalb in den hiesigen Archiven eingesehen werden konnten. Es ist aber meine Hoffnung, das reiche Wiener Material über die Nordhäuser Gesamtgeschichte einstmals an Ort und Stelle ausbeuten zu können.
Daneben bot auch das heimische Archiv eine Unsumme von häufig noch nicht einmal registriertem Material. So dehnte sich die Arbeit und wuchs weit über den Umfang eines bloßen Aufsatzes hinaus. Dem Entgegenkommen der Nordhäuser Stadtverwaltung, die verständnisvoll alle kulturellen Aufgaben unterstützt, ist es zu danken, daß diese Arbeit, die als Sonderwerk keine große Gemeinde von Lesern finden wird, dem Druck übergeben werden konnte und nun in Buchform erscheint.
Natürlich findet die Veröffentlichung einer ins einzelne gehenden Untersuchung nur dann ihre Rechtfertigung, wenn sie wirklich eine Anzahl bisher unbekannter Tatsachen ans Licht zieht und wenn diese Tatsachen wenigstens so bedeutsam sind, daß sie dem Bilde der Zeit, der sie entstammen, wo nicht neue Züge hinzufügen, so doch die alten wesentlich verschärfen und vertiefen. In unserem Falle handelte es sich um den erneuten Nachweis des ungeheuer schwierigen Ringens Preußens um seine Stellung in Nord- und Mitteldeutschland und darum, daß es höchste Anerkennung verdient, wenn ein Staat mit der Tradition eines dauernd ganz unerhörten Kräfteeinsatzes wie Preußen als erster in Deutschland Stellung und Rechte aufzugeben bereit war, um dem größeren deutschen Vaterlande zu dienen.
Auch die Nebenbuhlerschaft Preußens und Braunschweig–Lüneburgs (Hannovers) im 17. und 18. Jahrhundert ist nicht unbemerkt geblieben. Wenn nun die vorliegende Abhandlung ihre Untersuchung bis zu dem Punkte führt, wo ein Ausgleich zwischen Preußen und Hannover erfolgt, so möchte sie nicht an dem Hinweis vorübergehen, daß die friedliche Uebereinkunft in diesem Augenblicke nicht etwa einer gewissermaßen zufälligen Verhandlungsbereitschaft entsprang, sondern einer durchaus naturbedingten Entwicklung. Für Groß-Britannien war die schlagkräftige preußische Armee im Kampf gegen Frankreich lebensnotwendig, und in dem Augenblicke, wo das Schicksal Hannovers an das Englands geknüpft wurde, mußten die welfischen Lande die Rivalität aufgeben und Preußens Bundesgenossen werden. Erst die Trennung Hannovers von Groß-Britannien im 19. Jahrhundert mußte naturbedingt die alte Gegnerschaft wieder aufleben lassen. Hannover ging in Preußen auf. Daß dann die Entwicklung Preußens-Deutschlands zur Weltmacht gegen Ausgang des 19. Jahrhunderts die Haltung Englands gegen den neuen Rivalen veränderte, ist bekannt.
Die kleine Freie Reichsstadt Nordhausen ist im großen ganzen nur Objekt eines Spieles der größeren Mächte. Ihre Ohnmacht war die Ohnmacht des Heiligen Römischen Reiches, und der Untergang ihrer Selbständigkeit mußte spätestens in dem Augenblicke erfolgen, wo das Reich zu Bruche ging.
Der Geschichtschreiber, der in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen die Freie Reichsstadt rückt, hat die Aufgabe, auch die unbedeutenderen Züge seines Vorwurfs festzuhalten. Das konnte, wenn der Fluß der Darstellung nicht gestört werden sollte, nur dadurch geschehen, daß diese geringeren Begebenheiten aus der eigentlichen Darlegung herausgenommen wurden. Außerdem hielt Verfasser für nötig, einige wichtige Dokumente, wenn auch nicht wörtlich, so doch auszugsweise mitzuteilen. Diese Dokumente sowie die kleineren Züge Nordhäuser Lebens sind in Beilagen niedergelegt. Da diese Exkurse aber sür den Freund Nordhäuser Geschichte und Verhältnisse nicht ganz wertlos sein mögen, erscheinen sie nicht am Ende des ganzen Werkes, sondern jedesmal sogleich hinter ihrem Kapitel.
Im übrigen aber möchte auch diese etwas umfangreiche Einzeluntersuchung nur dazu dienen, das Leben der heimatlichen Vorzeit zu erhellen und die Freude an dem bunten, bewegten Leben der Heimat zu wecken.
Nordhausen, im Herbst 1936.
- Dr. Silberborth.
Inhalt
Kapitel I.
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Brandenburg-Preußens Erwerbung der Reichsvogtei und des Reichsschultheißenamtes in Nordhausen; die Schutzhoheit der Stadt.
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Allgemeine Betrachtungen 9–13. Beziehungen Nordhausens zu Sachsen, die Vogtei, das Schultheißenamt, das Schutzrecht 13–16. Beziehungen Nordhausens zu den welfischen Landen 16–18. Beziehungen Nordhausens zu Brandenburg, der Große Kurfürst 18–20. Das Kaiserliche Diplom vom Jahre 1695 21. Das Jahr 1697, Syndikus Harprecht in Dresden 22—23. Brandenburg kauft den Walkenrieder Hof 23—24. Erwerb der Reichsämter durch Brandenburg 25–29. Sachsen wird bedenklich. Syndikus Harprecht 30–32. Lleber- nahme der Aemter durch Brandenburg. Einspruch Nordhausens 32—34. Harprecht und Unverfärth in Quedlinburg. Hofrat Pfeil wird Schultheiß 34—36. Titius' Reise nach Berlin 1699 und sein Erfolg; Nordhausen behält die Aemter bis 1703 gegen Abtretung des Zolls 36—37. Erste Reibereien; Eintreten des Kaisers für Nordhausen im Jahre 1701 37—39. Nordhausen bietet Hannover die Schutzhoheit an, die Preußen erstrebt. Röpenack Schultheiß 39—45. Versuch das Wesen der Aemter und der Schutzhoheit zu klären 46—50. Kegels Reise nach Hannover. Hannover zum Abschluß über den Schutz bereit 50—51. Preußen sucht seine Stellung rechtlich zu stärken 51. Die Welfen in Hildesheim 52. Beilagen zu Kapitel I. Beilage I. Ueber das Schultheißenamt, Urkunde vom Jahre 1542. — Beilage II. Die Verhandlungen von Goslar, Mühlhausen und Nordhausen im Jahre 1694. — Beilage III. Der Fall Harprecht. — Beilage IV. 1. Lieber die Reise des Sekretärs Titius nach Berlin im Jahre 1699. — Beilage IV. 2. Kegels Reise nach Hannover im November und Dezember 1702 53—67.
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Kapitel II.
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Die Besetzung der Stadt Nordhausen und die Uebernahme ihrer Reichsämter durch Preußen.
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Beweggründe für die Besetzung der Stadt; die Besetzung selbst 68—69. Preußen und Hannover 70. Oberst von Tettau 70—71. Stellungnahme und Behandlung der Bevölkerung 72—73. Auswärtige Mächte 73—74. Verhandlung über die Schutzhoheit Preußens. Heucheleien auf beiden Seilen 74—80. Preußen benutzt innerpolitische Verhältnisse Nordhausens 81. Llnzuträglich- keiten durch die Besetzung 82. Stellung der Mächte zur Besetzung 83—84. Umschwung in der Haltung der Nordhäuscr 85—86. Preußen sucht eine rechtliche Grundlage. — Thomasius 86—89. Nordhausens Widerstand versteift sich 89—90. Preußens Versuch, die Aemter einzulösen; Gutachten Röpenacks und Thomasius'; Uebernahme der Aemter 90—100. Widerstand Nordhausens: Hoffmanns erste Reise nach Wien 101—103. Thomasius' Gerichtsverfassung für Nordhausen 103—104. Preußisches Edikt vom 23. 12. 1704; Kaiserliches Edikt, von Nordhausen veröffentlicht 105—107. Verhinderung der Ratswahlen und andere Gewalttaten 108—109. Wiens Stellungnahme; der Niedersächsische Kreis 110—112. Hannovers Einwirken 113—115. Preußens starke Stellung 115—120. Beilagen zu Kapitel II. Beilage V. Das erste Gutachten Christian Thomasius' über die Nordhäusischen Aemter und die Schutzhoheit. — Beilage VI. Die Vorgänge in den ersten Tagen des September 1704 in Nordhausen. — Beilage VII. Reglement für die Besatzung. 121—130.
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Kapitel III.
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Preußens Ansprüche aus Nordhäuser Stadtflur und die Verhandlungen vor der Kaiserlichen Kommission in Goslar.
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Die Stadtflur Nordhausens; die sogenannte Helme- oder Wertherslur 131 bis 135. Preußens Maßnahmen im Jahre 1707 und 1708 136—137. Hofsmann in Hannover, Stade und Wien 138—139. Preußen und das Nordhäuser Brauwesen 140—142. Die auswärtigen Mächte und der Streit um Nordhausen 1709 142—145. Preußens Vorgehen in der Feldflur 145—146. Der Kaiser ordnet eine Kommission zum Schutze Nordhausens an 146—147. Erörterung der Lage nach Einsetzung der Kommission; Preußen und die kaiserliche Kommission 147—151. Preußens weitere Haltung zu Nordhausen; schwere Schicksalsschläge für die Stadt 152—153. Preußen versucht mit Hannover 1710 die gütliche Einigung 154. Die Kaiserliche Kommission; Preußens Vorbereitungen; Thomasius 154—160. Tagung der Kaiserlichen Kommission in Goslar 161—164. von Heimburgs Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen 164. Ende der Kommission 165. Hannover 165—167. Preußen befestigt Nordhausen 168. Nordhausens Beschwerde 169. Das Interregnum nach dem Tode Josephs I. und die außenpolitischen Verhältnisse 170—172. Beilagen zu Kapitel III. Beilage VIII. Thomasius' Deduktion, daß der Tenor des commissorialis der … erhaltenen kaiserlichen Commission zu recht nicht bestehen könne … Beilage IX. Preußischer Gegenbericht wider die am 28. Mai 1710 von der Stadt Nordhausen bei der kaiserlichen Kommission übergebenen Gravamina. Beilage X. Der letzte Brief König Friedrichs an die kaiserliche Kommission vom 13. März 1711. Beilage XI. Beschwerdeschrift des Rates vom 26. April 1712 an Kaiser Karl VI. 173—181.
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Kapitel IV.
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Weitere Wirrungen; die Verhandlungen zwischen Preußen und Hannover; der Erwerb der Aemter durch Nordhausen.
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Hoffmann das vierte Mal in Wien. Kaiser Karl VI. 182—183. Der Niedersächsische Kreis 183—185. Reichskammergericht und Reichshofrat 185 bis 186. Innerpolitische Verhältnisse in Nordhausen 186—192. Die außenpolitische Lage; Verhandlungen zwischen Preußen und Hannover 192—193. Der Tod Röpenacks 193. Friedrich Wilhelm I. von Preußen 194. Die Frage der Erneuerung des Schutzvertrages im Jahre 1713 195. Preußische Denkschrift von 1713 196—197. Hannovers Denkschrift vom Januar 1714 198. Eine Nordhäuser Denkschrift 199. Preußens Informationen. Hannovers Forderungen 199—201. Plothos Projekt vom Mai 1714 202—203. Der Schutz; die Feldflur 203—205. Die Aemter und der Bierausschank 205—206. Hannovers Hilfeleistung bei Ablösung der Aemter 206. Der Vergleich, die Ueber- gabe der Aemter an Nordhausen; Abrücken der Besatzung; Dank Nordhausens an die Herrscher 207—209. Sachsen und der Verkauf der Aemter an Nordhausen 209—210. Des Kaisers Konfirmation des Vertrages 1716 210—211. Beilagen zu Kapitel IV. Beilage XII. Des Schultheißen Ioh. Günther Riemanns Besorgnis um seine Zukunft. Beilage XIII. Die Werthermühle und ihre Rechtsverhältnisse. Beilage XIV. Abmachung zwischen Ilgen, Heusch und Pfeil im Januar 1715. Beilage XV. Die Grenzbeziehung vom 8. Oktober 1715. Beilage XVI. Die kaiserliche Resolution vom 30. Sept. 1716 212—219.
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