Über die jetzt auf dem Kornmarkte aufgefundenen alten Grundmauern
Bei der jetzt vorgenommenen Planierung des Kornmarktes sind unter dem bisherigen Straßenpflaster 3 Mauerzüge blosgelegt worden, welche begreiflicherweise die Aufmerksamkeit der hiesigen Alterthumsforscher auf sich gezogen haben. Die eine Mauerzug zieht sich in der Richtung von Westen nach Osten, von der Nordostecke der Krämerstraße nach der Südgrenze des 2. (von der Töpferstraßen- und Kornmarktecke belegenen) Hauses. Der zweite Mauerzug zieht sich von dem an der Südostecke der Krämerstraße belegenen Goldarbeiter Kloß’schen Hause (welches in alter Zeit „die Brotlaube“ war) in der Richtung von Süden nach Norden bis vor das Arpert’sche Haus (in alten Zeiten das Gildehaus der Schumacher-Innung), wo er abbricht; jedenfalls ist von hier ab in der weiteren Richtung nach Norden bereits in früherer Zeit der obere Theil des Mauerzuges herausgebrochen und entfernt worden, während sich der untere Theil desselben noch in der Erde finden wird. Der dritte Mauerzug ist erst in den letzten Tagen blosgelegt worden und läuft von der Nordseite des Weiß’schen (früher Sickel’schen) Hauses on einer etwas gebogenen Linie nach der Ecke des an der Südostecke der Krämerstraße belegenen Goldarbeiter Kloß’schen Hauses. Augenscheinlich ist dieser dritte Mauerzug die südöstliche Fortsetzung des vorher beschrieben zweiten. Man fand bei der jetzigen Pflasterung des Kornmarktes von dem dritten Mauerzuge nur wenige Spuren, weil bereits 1874 der Obertheil desselben, aus mächtigen Dolomit- und Gypsquadersteinen bestehend, herausgebrochen und befestigt worden sind. Am letzten Donnerstage wurden Nachforschungen nach diesem Mauerzuge angestellt und diese führten zu der Auffindung noch ansehnlicher Reste und zu der Ueberzeugung, daß durch diese Mauer der nördliche (der nach dem heutigen Kornmarkt führende) Ausgang der Schuhgasse gesperrt und geschlossen worden ist. Die Breite der Mauer beträgt 80 cm, woraus zu schließen ist, daß die älteste Stadtmauer lange nicht so breit als die spätere gewesen ist. Der anliegende Boden bestand aus Bauschutt, ja es fanden sich auch Spuren eines älteren Kieselsteinpflasters.
Die Herkunft des letzteren Mauerzuges ist am leichtesten zu bestimmen. Wie ich bereits in meiner größeren Arbeit „Die Reichsstadt Nordhausen als Festung“ (abgedruckt in der „Festschrift zur 20. Hauptversammlung des Harzvereins in Nordhausen 1887“ und in der Zeitschrift des Harzvereins, Jahrgang XXI) ausführlich dargelegt habe, hat meiner Ansicht nach die alste Stadt Nordhausen im 10. Und 11. Jahrhundert nur das heutige Marktviertel umfaßt, ist im Osten von der heutigen Neuen Straße, der Rautenstraße und dem Kornmarkte begrenzt worden und die älteste Stadtmauer ist in jeder Zeit an der Westseite dieser genannten Straße und des Kornmarktes hingelaufen. Vor dieser ältesten Stadtmauer, an ihrer Ostseite, lag wohl der Stadtwallgraben, welcher nach seiner Ausfüllung im 12. Und 13. Jahrhundert in jene Straßen verwandelt wurde, um eine Verbindung der m 12. Jahrhundert entstandenen Petrivorstadt mit der Altstadt herzustellen. Der jetzige Kornmarktsplatz aber wurde erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, nach Entstehung des Blasiiviertels, nach Abbruch jenes Ostzuges der ältesten Stadtmauer und anch der gleichzeitigen Umschließung der beiden neuen Stadtviertel (Petri- und Blasiiviertel) durch die neue (jetzige) Stadtmauer da angelegt, wo diese beiden mit der Altstadt zusammenschließen. Bei jener beseitigung des überflüssig gewordenen (und den Verkehr hemmenden Ostzuges der ältesten Stadtmauer ist auch das älteste Stadthauptthor nebst seinen Befestigungsanlagen abgerbochen worden. An Stelle dieses Stadtthores, wohl des ursprünglich einzigen, trat dann das Töpferthor). Das äöteste Stadtthor suche ich zwischen Kohlgasse und Schuhgasse und sehe dessen Eingang in der von der oberen Rautenstraße nach dem Töpfermarkt führenden (östlich vom Rathhause liegenden) Straße- Die beiden Häusercomplexe, welche auf der Südseite und Nordseite dieses Straßeneinganges (zwischen Kohlgasse und Rautenstraße – zwischen Rautenstraße, Kornmarkt und Schuhgasse) liegen, werden auf den Standort der beseitigten Thorbefestigungsanlagen des ältesten Stadtthores gebaut sein.
Was nun den zuerst erwähnten Mauerzug anbelangt, so ist er für die Geschichts- und Alterthumskunde unserer Stadt ein Fragezeichen. Keine der bislang bekannt gewordenen Urkunden giebt auf die Frage: „Wozu ist die Mauer angelegt worden?“ eine Andeutung, geschweige denn eine Antwort. Es sei mir deshalb gestattet, eine Vermuthung auszusprechen: Die beiden ersten an der Töpferstraßen- und Kornmarktecke liegenden Häuser sind auf dem Standorte des alten Georgshospitals erbaut. Die Hospitäler und Siechenhäuser aber lagen in den ältesten Zeiten stets außerhalb der Stadt. Dasselbe wird auch mit dem Georgshospitale der Fall gewesen sein. Die Gründungszeit desselben ist vollständig unbekannt und reicht wohl in die Zeit zurück, wo nur die Altstadt (und auf dem Frauenberge das Dörfchen Altnordhausen) vorhanden war. Es wird nun in jener alten Zeit (vor 1220 und wahrscheinlich schon vor dem 12. Jahrhundert) der in Rede stehende erste Mauerzug vor der Stadtmauer nach und um das alte Georgshospital gelaufen sein, dieses geschützt und mit der Altstadt verbunden haben. Eine andere Erklärung ist für jetzt nicht zu geben.
Aus der nachstehenden Skizze, welche ich des leichteren Verständnisses wegen beigebe, ist der Lauf der oben besprochenen 3 Mauerzüge zu ersehen.