Der Name Sangerhausen

Aus NordhausenWiki
Version vom 2. Juli 2022, 05:43 Uhr von Vincent Eisfeld (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „{{SEITENTITEL:''Der Name Sangerhausen''}} {{Textdaten |VORIGER=Im Dienste der Musik |NÄCHSTER=Vom königlichen Domänenamt Woffleben |AUTOR=Herbert Wein |TITEL=Der Name Sangerhausen |SUBTITEL= |HERKUNFT=Nordhausen-Harz und Goldene Aue |HERAUSGEBER= |AUFLAGE= |DRUCKER= |VERLAG= |ENTSTEHUNGSJAHR= |ERSCHEINUNGSJAHR=1974 |ERSCHEINUNGSORT= |BILD= |QUELLE=Scan |DIGITALISAT= |KURZBESCHREIBUNG= |SONSTIGES= |GND= |BEARBEITUNGSSTAND= |INDEXSEITE= }} {{Bloc…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Textdaten
<<< >>>
Autor: Herbert Wein
Titel: Der Name Sangerhausen
Untertitel:
aus: Nordhausen-Harz und Goldene Aue
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1974
Verlag:
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bild


Der Name Sangerhausen
Dr. Herbert Wein


So oft Sangerhäuser Bürger zur Feder griffen, um sich mit der Geschichte ihrer Heimatstadt zu beschäftigen, galten zumeist auch einige Sätze ihrer Ausführungen der Deutung des Namens „Sangerhausen“. Dies liegt durchaus nahe; denn einmal ist hier die Deutung nicht so einfach wie z. B. bei Namen wie Neustadt, Beyernaumburg (bei der neuen Burg), Aue, Hermannsacker, Salzburg, Friedrichroda, Wilhelmshaven, Düsseldorf usw., oder bei Namen der alten Römerstädte, deren ursprüngliche Bezeichnungen man mühelos in das Deutsche übersetzen kann, wie etwa Aquae = Aachen = die Gewässer, Confluentes = Koblenz = die Zusammenfließenden, so daß kein Wort weiter zu verlieren ist, zum anderen aber gibt der Name Sangerhausen zu Deutungsversuchen Raum, denen nachzugehen sich lohnt. So ist seit dem ersten bekannten Sangerhäuser Chronisten Markus Cyrakius Spangenberg (1555) bis auf unsere Tage die Kette der verschiedenen Deutungen nicht abgerissen, ohne daß bisher Klarheit geschaffen worden wäre, die einwandfrei freilich auch nie zu schaffen sein wird.

Diese mangelnde Erfolgsaussicht soll uns indes nicht abhalten, der Namlens-deutung Sangerhausens nachzugehen. Bleibt es uns auch versagt, die richtige Lösung mit Gewißheit zu finden, so vermögen wir doch bei exakter wissenschaftlicher Arbeit unter Verwertung sämtlicher bisher gewonnener Erkenntnisse die als falsch bewiesenen Deutungen von den zahlreichen vorhandenen - sie betragen mehr als ein Dutzend - auszuschließen, so daß für die übrig bleibenden doch ein Maß von Wahrscheinlichkeit besteht.

Die neuesten mir bekannt gewordenen Äußerungen einer Deutung des Namens „Sangerhausen“ stammen von dem letzten Hauptschriftleiter der ehemaligen „Sangerhäuser Zeitung“, Johannes John, (Nr. 210 der SZ. von 1942), und dem früheren Bankdirektor Carl Schänder (Nr. 87 der SZ. von 1943). John führte aus, die früheste auf uns gekommene schriftliche Erwähnung des Ortsnamens in einem Schriftstück des Klosters Fulda aus dem neunten Jahrhundert lautete „Sangarhusen“. Diese Form scheine der Deutung derer recht zu geben, die den Namen mit dem Bischof Ansgar in Zusammenhang bringen, der z. Zt. Ludwigs des Frommen (814-840) das Christentum in Thüringen ausgebreitet hat. Sangerhausen hätte dann ursprünglich Angarshusen geheißen. John selbst aber hat gegen diese Deutung, die ihm von allen bisherigen sonst die plausibelste ist, zutreffende Bedenken. Mit Recht weist er nämlich darauf hin, daß sich in Angarshusen zwar durch nachlässigen Sprachgebrauch im Laufe der Zeit das erste s abgeschliffen haben könne, unwahrscheinlich aber sei es, daß auch das zweite s, das Genitiv-s, das also eine bestimmte Bedeutung habe, weggefallen sein sollte. Orte mit einem runden s seien zahlreich, z. B. Sondershausen, Aschersleben, Sandersleben usw. Der Wegfall des Genitiv-s sei daher geradezu auffällig. Und da hat John vollauf recht.

Zu diesen Bedenken gegen die Deutung Sangerhausens als Angarshusen tritt indes noch ein weiteres Argument hinzu. Dieses läßt die obige Deutung sogar notwendig als offensichtlich unrichtig erscheinen. Klingt es an sich schon unglaubhaft, daß der Name „Angarshusen“ noch in demselben Jahrhundert, da er für die Siedlung u. U. aufgekommen sein könnte, seine Verwandlung in Sangars-husen erfahren haben soll - womöglich ist die Fuldaer Urkunde sogar schon einige Zeit vor dem Wirken Ansgars geschrieben worden —, so läßt sich mit dem angeblichen Angarshusen die Form „Sangirhusen“ überhaupt nicht vereinbaren. So nämlich hieß Sangerhausen in einer Urkunde Kaiser Ottos III. aus dem Jahre 991. Ein Wechsel von a zu e über i bei dem ersten „e“ in „Sangerhausen“ wäre im Mittelhochdeutschen eine sprachliche Einmaligkeit. Im übrigen dürfte Sangerhausen, das mit seiner ersten Siedlung auf dem Bonifatiusplatz aus vorgeschichtlicher Zeit überkommen ist, zu Zeiten Ansgars längst seinen heutigen Namen in entsprechender Form gehabt haben.

Eine originelle Deutung gibt Schänder. Er meint, älter als die Siedlung Sangerhausen sei wohl die im Dreißigjährigen Kriege verwüstete Ortschaft Kieselhausen, die etwa einen Kilometer westlich von Sangerhausen lag. Die Gegend nördlich und nordwestlich von Sangerhausen, wo vor Jahren der Pfingstgraben mehr gestunken habe als geflossen sei, müsse wohl vor tausend Jahren ein Sumpfland, ein idealer „Sauangar“ oder Sauanger für die Schweine der Kieselhäuser Bauern gewesen sein. Die Wächter, die zum Schutze der Schweine stets hätten in der Nähe sein müssen, hätten sich wohl zunächst Schutzhütten errichtet, aus denen dann im Laufe der Zeit eine feste Siedlung entstanden sei. Die Männer seien die wehrhaften Mannen, die am Anger hausten, gewesen, so daß ihre Siedlung später den wohl 991 zum ersten Male genannten Namen, zu Sangarshusen abgekürzt, erhalten habe.

Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Nicht, daß die Bürger einer in Vergangenheit und Gegenwart stets geachteten Stadt mit ehrwürdigen Traditionen sich schämen müßten, daß sich ihre Häuser auf einem Boden erhöben, auf den in alten Zeiten die wackeren Kieselhäuser Schweinehirten und -hunde den Stolz ihres Dorfes zur lohnenden Mast getrieben hätten, sondern weil dieser Deutungsversuch mit den ortsgeschichtlichen Ergebnissen schlechthin unvereinbar ist. Der Name „Kieselhausen“ nämlich wird zum ersten Male in einer aus dem elften Jahrhundert stammenden Abschrift des aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts herrührenden und in Urschrift verlorengegangenen Hersfelder Zehntverzeichnisses als „Gisilhus“ und sodann in jener schon erwähnten Kaiserurkunde von 991 als „Kiselhuson“ genannt. In beiden Urkunden aber ist auch schon von Sangerhausen die Rede.

Wie schon ausgeführt, findet Sangerhausen im neunten Jahrhundert auch in einer Fuldaer Klosterurkunde, etwa zur Zeit des Hersfelder Zehntverzeichnisses, Erwähnung. Schänders Ausnahme also, daß Kieselhausen älter als Sangerhausen sei, ist durch nichts gerechtfertigt. Das Gegenteil sollte zutreffen. Keine Quelle deutet darauf hin, daß Kieselhausen jemals mehr als fünfundzwanzig Familien gehabt habe. Diese verließen bereits nach 1200 ihre Wohnsitze. Dreizehn Familien ließen sich in dem nordwestlich vor den Wällen der Stadt gelegenen Altendorfe nieder. Es handelt sich hierbei um die erste Siedlung mit dem Namen Sangerhausen, die sich mutmaßlich vom Bonifatiusplatz aus bis an die Gonna herab zu der Straße, die heutel den Namen „Altendorf“ trägt, ausgedehnt hat. Als im neunten Jahrhundert auf dem jetzigen Kirchberge eine neue herrschaftliche Siedlung mit einem mächtigen Fronhof, dem Sitz der Pfalzgrafen von Sachsen und Landgrafen von Thüringen, entstand, ging der Name Sangerhausen von der ersten Siedlung um den Bonifatiusplatz auf die neue Siedlung über, und die alte Siedlung Sangerhausen wurde nun zum „Alten Dorfe bei Sangerhausen“ (antiqua villa iuxta Sangerhusen, wie sie in einer Urkunde von 1266 genannt wird).

Die anderen zwölf Kieselhäuser Familien siedelten in das gerade planmäßig angelegte und in Entstehung begriffene Viertel um den Neuen Markt über. Zur Zeit dieses Vorgangs - also nach 1200 - war Sangerhausen, das nach den gemachten Funden im Gegensatz zum Dorfe — später Wüstung — Kieselhausen bis in vorgeschichtliche Zeit hinein zurückverfolgt werden kann, schon zu einer Stadt mit immerhin ca. 1500 Einwohnern emporgewachsen. Für das Jahr 1204 nämlich ist Sangerhausen bereits als „civitas“, d. h. als eine Stadt im Rechtssinne des Mittelalters, belegt.

Nach alledem dürfte klargestellt sein, daß wir dein Kieselhäuser Säuen weder die Gründung noch den Namen unserer Vaterstadt zu verdanken haben.

Wir wollen uns jedoch nicht auf eine negative Kritik beschränken, sondern auch selbst eine Deutung des Namens Sangerhausen geben.

Wir hatten bereits ausgeführt, daß sich nach unserer Meinung die erste Sangerhäuser Ansiedlung vom Bonifatiusplatz aus allmählich vom Töpfersberg hinab nach Süden bis zur Gonna entwickelt hat. Südlich des Flüßchens (Bach klingt zu lieblos) steigen die Höhen wieder empor. Sie waren vermutlich wie der Beinschuh bewaldet, der erst vor Jahrzehnten entforstet worden ist. Reichten nun die Waldungen nach Norden über die Gonna hinaus oder doch bis an diese heran oder wucherte dort üppiges Riedgras, so mußte Wald oder Gras bei Anlage und Ausbreitung jener Siedlung, die erst Sangerhausen und dann Altendorf hieß, verschwinden. Das konnte durch Rodung oder aber, was für eine große Fläche näher liegt, durch Niederbrennen geschehen. Dann ließe sich das Stammwort Sangerhausen von „sengen“ (althochdeutsch = sangjan) herleiten, und Sangerhausen bezeichnete eine für die Bebauung hergerichtete Stätte ähnlich den auf „rode“ und „schwende“ endenden vielen Siedlungsnamen, die erkennen lassen, daß Wald gerodet worden oder verschwunden ist. Wie sangjan — sengen bedeutet, so bezeichnet das althochdeutsche Wort „sangari“ einen Mann, der den Wald abgesengt hat. Bei dieser Namenserklärung, die wir für die wahrscheinlichste halten, erführe auch die Gründungssage von Sangerhausen im Kerne ihre inhaltliche Berechtigung. Nach ihr sollen 455 n. Chr. drei aus Rom ausgewanderte Patrizier an der Werra den Nortmannsstein erbaut haben. Platzmangel aber habe zu Zwistigkeiten geführt und den Jüngsten zum Wegziehen genötigt. Er sei in die Sangerhäuser Gegend gekommen und habe hier einen von Schäfern zu Weidezwecken abgesengten Platz vorgefunden. Da Klima und Örtlichkeit ihm zugesagt hätten, habe er sich hier ein Haus gebaut und es nach der Sengestatt „Sangehus“ genannt. Dies sei der Ursprung des Namens und der Stadt Sangerhausen gewesen.

An sonstigen Erklärungsversuchen aus älterer und neuerer Zeit seien genannt: Sangerhausen — Sandershausen (Gründer Sander), = Sankt Georgshausen, = Sangenhausen (Sangen sind Ähren), = Sängerhausen, = Angershausen (vom Stamme der Engern), = Sakrarienhaus, und = Zangerhausen (Zangen ist fetter Boden). Eine nähere Kritik hierzu erübrigt sich. (Diese Erklärungsversuche sind teils unsachlich und ohne jede ortsgeschichtliche Stütze, teils märchen- und sagenhaft, teils sprachliche Fehldeutungen.

Über die Frage endlich, ob die Endung -hausen dem fränkischen, hessischen, thüringischen oder etwa noch einem anderen deutschen Stamme zuzuschreiben ist. so daß man in Angehörigen eines dieser Stämme den Namensgeber ersehen könnte, hat die Wissenschaft bisher keine einhellige Antwort geben können. Für thüringisch spricht, daß dort nach dem Jahre 900 viele auf -hausen auslautende Ortsnamen auftreten, die Forscher aber, die auf die Hessen verweisen, haben für sich, daß viele hessische Orts- und Flurnamen in unserer Gegend zu finden sind. Ferner sind im sechsten Jahrhundert n. Chr. neben Friesen und Franken auch Hessen in unseren Raum zugezogen, und nach ihnen wurde deir Hassegau (auch Hosgau) benannt, Sangerhausen aber lag in ihm, so daß auch wir dieser Deutung zuneigen. Der Meinung, die den Namen Hassegau als Hochseegau deutet, kann, was in diesem Zusammenhang abschließend noch hinzugefügt werden soll, nicht beigepflichtet werden. Es soll zwar nicht übersehen werden, daß der Süße und der Salzige See im Hassegau lagen, sein Name aber wird uns zuerst als „Hassega“ und „Hosgowe“ (8. und 9. Jh.) überliefert. Diese Namen „Hasse“ und „Hos“ mit „Hochsee“ zu identifizieren, erscheint sprachlich nicht vertretbar.