Richard Hesse: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 4. Juli 2024, 15:04 Uhr

Richard Hesse
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geb. 20. Februar 1868 in Nordhausen
gest. 28. Dezember 1944 in Berlin-Fronau
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Richard Hesse (geb. 20. Februar 1868 in Nordhausen; gest. 28. Dezember 1944 in Berlin-Frohnau) war Zoologe und Hochschullehrer. Er leistete bedeutende Beiträge zur vergleichenden Anatomie, Tiergeographie und Ökologie.

Leben

Herkunft und Ausbildung

Sein Vater Herrmann Hesse war Kaufmann und widmete sich der Seifen- und Essigfabrikation. Er hatte ein ausgeprägtes Interesse an den Naturwissenschaften. Die Vorfahren seiner Mutter Thusnelda Hesse, geborene Stolberg, lassen sich bis 1663 als Bürger in Nordhausen nachweisen. Richard Hesses älterer Bruder Paul lebte als Kaufmann in Venedig und erwarb sich einen Ruf als Molluskenforscher.

Hesse besuchte zunächst das Realgymnasium in Nordhausen und wechselte später zum Gymnasium, wo er 1887 das Abitur ablegte. Anschließend begann er ein Germanistikstudium in Greifswald, brach dieses jedoch bald ab, um in Halle Naturwissenschaften zu studieren.

Akademische Laufbahn

In Halle promovierte Hesse unter Hermann Grenacher zum Dr. phil. Danach setzte er sein Zoologie-Studium in Tübingen fort. Dort arbeitete er als Assistent unter Professor Theodor Eimer und habilitierte sich mit der Schrift „Zur vergleichenden Anatomie der Oligochaeten“ (Ordnung der Borstenwürmer). 1901 wurde Hesse zum außerordentlichen Professor ernannt.

Das Wintersemester 1905/06 verbrachte er an der Zoologischen Station in Neapel, wo er umfangreiche Forschungsarbeiten durchführte. 1909 nahm Hesse einen Ruf als Ordinarius für Zoologie an die Landwirtschaftliche Hochschule in Berlin an. 1914 folgte die Berufung auf einen Lehrstuhl für Zoologie an der Universität Bonn. Aufgrund des Ersten Weltkriegs konnte er die Lehrtätigkeit in Bonn erst von 1916 an für zehn Jahre aufnehmen. 1926 wechselte Hesse als Leiter des Zoologischen Instituts an die Universität Berlin (heute Humboldt-Universität zu Berlin). Diese Position hatte er bis zu seiner Emeritierung 1935 inne.

Privatleben

In Tübingen heiratete Hesse die Tochter des Philosophen Otto Pfleiderer. Nach eigenen Angaben verlebte er dort "die schönste Zeit seines Lebens". Nach seiner Emeritierung widmete sich Hesse weiterhin intensiv der wissenschaftlichen Arbeit. Er starb am 28. Dezember 1944 in Berlin-Frohnau.

Wissenschaftliches Werk

Hesses wissenschaftliche Arbeit umfasste mehrere Schwerpunkte:

Vergleichende Anatomie und Histologie

In Tübingen führte Hesse umfassende Untersuchungen an wirbellosen Tieren durch. Er beschrieb detailliert deren spezielle anatomische und histologische Verhältnisse und belegte seine Erkenntnisse mit eigenen meisterhaften Zeichnungen. Von 1886 bis 1902 widmete er sich besonders der Erforschung der Lichtempfindungsorgane niederer Tiere wie Medusen, Platt- und Strudelwürmer, Ringelwürmer, Blutegel und Mollusken. Ein wichtiger Beitrag war die Untersuchung der Insektenaugen, bei der Hesse die mikrotechnischen Schwierigkeiten der mikroskopischen Studien mit großem Geschick bewältigte. Er konnte in den Sehzellen fast aller von ihm untersuchten Tiere feine Fibrillen nachweisen, deren Enden er als die nervösen reizaufnehmenden Elemente identifizierte.

Tiergeographie und Ökologie

Über zwölf Jahre beschäftigte sich Hesse intensiv mit den ökologischen Grundlagen der Tierverbreitung. Das Ergebnis war sein 1924 erschienenes Werk "Tiergeographie auf ökologischer Grundlage". Darin behandelte er die Verbreitung der Tiere über die Erde und ihre Anpassung an die Umwelt. Hesse wertete dafür die gesamte erreichbare Fachliteratur aus und beschrieb die Verbreitung der Meerestiere, der Tiere in Binnengewässern sowie der Tierwelt des Waldes, des Hochgebirges, der Polargebiete und der Inseln. Ein bedeutender Beitrag Hesses war die Verbreitung und Weiterentwicklung der erst 1915 von Wilhelm von Boetticher wiederentdeckten „Klimaregel“. Diese basierte auf den von Carl Bergmann 1847 beobachteten Zusammenhängen zwischen der Körpergröße homoiothermer (gleichwarmer) Tiere und Klimafaktoren. Durch Hesses Veröffentlichung in der Zeitschrift "Naturwissenschaften" (13. Jahrgang, 1925) erlangte die Bergmannsche Regel allgemeine Anerkennung.

Hesse verdeutlichte anhand zahlreicher Beispiele, dass in kalten Klimazonen bei Säugetieren die wärmeabgebende Oberfläche durch Verkleinerung der Anhängsel (Ohrmuscheln, Schwanz) und durch Verkürzung des Halses und der Beine zur geringeren Wärmeabgabe führt. Er zeigte auch Zusammenhänge zwischen Herzgröße und Stoffwechselaktivität bei Wirbeltieren auf.

Beziehungen zwischen Struktur und Funktion

In späteren Jahren wandte sich Hesse verstärkt den Beziehungen zwischen mikroskopischen und anatomischen Teilerscheinungen und ihrer Bedeutung für den gesamten Organismus zu. Dies mündete in sein 1910 erschienenes Werk "Der Tierkörper als selbständiger Organismus", das den ersten Band des Buches "Tierbau und Tierleben" von Hesse und Franz Doflein bildete. Dieses Werk gilt als bleibendes Standardwerk der zoologischen Literatur.

Wichtige Publikationen

"Abstammungslehre und Darwinismus"

Dieses populärwissenschaftliche Werk basierte auf sechs Vorträgen, die Hesse im Winter 1901 im Rahmen eines Volkshochschulkurses in Stuttgart hielt. Es erschien 1902 in der Reihe "Aus Natur und Geisteswelt" des Teubner Verlags Leipzig-Berlin und erreichte acht Auflagen. Besonders das Kapitel "Vom Ursprung des Lebens auf der Erde" spiegelt Hesses charakteristische kritische Sachlichkeit wider.

"Der Tierkörper als selbständiger Organismus"

Dieses 1910 erschienene Werk bildete den ersten Band des umfassenden Werkes "Tierbau und Tierleben". Hesse beschränkte sich darin nicht auf die Beschreibung einzelner Tiere, sondern arbeitete das allen Lebewesen Gemeinsame heraus. Auf Grundlage der damals modernsten Forschungsergebnisse schilderte er die tierische Organisation und Lebensweise sowie die Entwicklungs-, Fortpflanzungs- und Vererbungsgesetze.

Nach dem Tod seines Co-Autors Doflein arbeitete Hesse ständig an der Aktualisierung des Werkes. 1935 erschien eine zweite Auflage, und bis kurz vor seinem Tod stellte Hesse auch den zweiten Teil "Das Tier als Glied des Naturganzen" für eine völlig überarbeitete Ausgabe fertig. Diese erschien jedoch erst nach seinem Tod. Der Jenaer Nachfolger Ernst Haeckels, Prof. Ludwig Plate, urteilte 1936: "... wir haben in deutscher Sprache kein Werk, welches so umfassend und harmonisch alle wichtigen Tatsachen der Zoologie schildert und ihr Verständnis dem Leser durch zahlreiche Abbildungen erleichtert."

"Tiergeographie auf ökologischer Grundlage"

Dieses 1924 erschienene Werk war das Ergebnis von Hesses zwölfjähriger Beschäftigung mit den ökologischen Grundlagen der Tierverbreitung. Es behandelte die Verbreitung der Tiere über die Erde und ihre Anpassung an die Umwelt. Hesse wertete dafür die gesamte verfügbare Fachliteratur aus und beschrieb die Verbreitung der Tiere in verschiedenen Lebensräumen.

Das Buch enthielt zahlreiche klassische Beispiele, die bis heute in Lehrbüchern angeführt werden, wie etwa die geographische Verbreitung verschiedener Pinguinarten in Relation zu ihrer Körpergröße. Hesse diskutierte auch Ausnahmen von den beobachteten Regeln und versuchte, diese zu erklären.

Die Bedeutung dieses Werkes wird dadurch unterstrichen, dass es noch 1951 in aktualisierter Form unter dem Titel "Ecological Animal Geography" (John Wiley & Sons, New York) neu aufgelegt wurde.

Wissenschaftliche Anerkennung

Richard Hesse galt als einer der bekanntesten Zoologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Berufungen an renommierte Universitäten wie Berlin und Bonn zeugen von seiner hohen Reputation in der Fachwelt.

Im März 1933 wurde Hesse in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina aufgenommen, was als hohe wissenschaftliche Ehre galt. Die Leopoldina ist die weltälteste naturforschende Akademie und in Alter, Größe und Relevanz vergleichbar mit der Royal Society in London und der Académie des Sciences in Paris. Anlässlich seines 70. Geburtstages 1938 erhielt Hesse Glückwünsche von Zoologen aus der ganzen Welt, was die internationale Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen unterstreicht.

Nachwirkung

Hesses Werke, insbesondere "Tierbau und Tierleben" sowie "Tiergeographie auf ökologischer Grundlage", beeinflussten Generationen von Zoologen und Ökologen. Sie galten lange Zeit als Standardwerke und werden teilweise bis heute zitiert.

Die von Hesse weiterentwickelte und popularisierte Bergmannsche Regel ist nach wie vor ein wichtiges Konzept in der Biogeographie und Ökologie. Seine detaillierten anatomischen und histologischen Untersuchungen, besonders zu den Lichtsinnesorganen niederer Tiere, trugen wesentlich zum Verständnis der Evolution von Sinnesorganen bei. Hesses Arbeiten zur ökologischen Tiergeographie legten wichtige Grundlagen für das sich entwickelnde Feld der Ökologie und beeinflussten das Verständnis von Anpassungen der Tiere an ihre Umwelt.

Werke

  • Abstammungslehre und Darwinismus, Teubner Verlag Leipzig-Berlin, 1902
  • Der Tierkörper als selbständiger Organismus, Fischer Verlag, 1910 (2. Auflage 1935)
  • Tiergeographie auf ökologischer Grundlage, Fischer Verlag, 1924
  • mit Franz Dorflein: Tierbau und Tierleben, 2 Bände, Fischer Verlag, 1910-1914