Hungersnot in der Grafschaft Hohenstein 1770/71: Unterschied zwischen den Versionen
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Ueber die Hungersnot auf dem Eichsfelde in den Jahren 1770/71 ist in diesen Blättern bereits öfter berichtet worden. Selbstverständlich herrschte auch in den angrenzenden Gebieten damals große Not. Wie traurig es in jener Zeit in der Grafschaft Hohenstein aussah, erzählt eine im Knopfe des Ellricher Rathauses aufbewahrte Urkunde. Darin heißt es: "In den Jahren 1770 und 1771 war Mißwachs, große Theuerung und Hungersnoth ; noch zu Ende 1769 kostete ein Scheffel Rocken 16 bis 18 Gr. Anfangs 1770 rthl. 8 Gr. und Ende 1771 und Anfangs 1772 3 rthl. bis 3 rthl. 16 Gr., die übrigen Früchte waren verhältnismäßig eben so theüer. Beym Steigen der Preise und der Hungersnoth wurden unter dem ohnehin schon schlechten, zum theil bey der nassen Erndte ausgewachsenen Rocken, alle Arten Früchte selbst Hafer und Drespe, untergemahlen, Kartoffeln gekocht und hinzu gethan, und von der Armut mit samt der Kleyn verbacken, ja die Noth stieg endlich so hoch, daß Hierselbst arme Leute, von Hunger und Aberglauben getrieben, eine Art Kalk im Jtel geholt haben, welcher vom Frost zermalmt gewesen, welchen sie dafür angesehen, daß derselbe Mehl sep, welches Gott zu ihrer Rettung aus der Erde hervorgehen lasse und diesen Kalk haben sie würcklich unter Mehl gemenget und mit verbacken. Dieses verbreitete sich dazumal in hiesiger ganzen Gegend, und Schreiber dieses erinnert sich noch sehr gut, daß auch ins Hannoversche nach Scharzfeld wo derselbe zumal war, dieses Gerücht erscholl, worauf die Armnth in den umliegenden Dorfschaften, ein ähnliches Wunderwerk bey Nüxey entdecken zu haben glaubte, wo sie eine Art weißen ganz feinen Mergel, Dux genannt, holeten mit unters Brodt backten, davon krank wurden und häufig davon sterben; so daß Obrigkeitswegen dergleichen verbothen, von den Kanzeln der Jrr- thum erkläret, von der Hannoverschen Regierung aber Früchte hergegeben, verbacken, und das Brodt unter die Armuth vertheilet wurde, des Frühjahrs 1772 holeten die Menschen die ersten grünen Kräuter um solche zu kochen, sie trafen mitunter viele schädliche, weil ihnen jegliches grüne Keimchen angenehm war, und auch dadurch und durch den lange erlittenen Hunger wurden noch viele Menschen krank und starben sehr häufig Dies waren traurige, traurige Jahre, selbst für den Wohlhabender« dies Leiden, ohne Allen helfen zu können, mit ansehen zu müssen; viele Familien gingen ganz zu Grunde, andere haben es lange Jahre nachher und manche noch nicht verwinden können; der Mittelstand unter Bürger und Bauer, versetzte, verkaufte, verborgte, nahm ausstehende Kapitalien auf und setzte sein ganzes kleines Vermögen zu, und diese giebt es am mehrsten, der Wohlhabenden nicht so viel. Das Jahr 1772 und die gute Erndte desselben machte dieser höchst erbärmlichen Scene ein Ende. | Ueber die Hungersnot auf dem Eichsfelde in den Jahren 1770/71 ist in diesen Blättern bereits öfter berichtet worden. Selbstverständlich herrschte auch in den angrenzenden Gebieten damals große Not. Wie traurig es in jener Zeit in der Grafschaft Hohenstein aussah, erzählt eine im Knopfe des Ellricher Rathauses aufbewahrte Urkunde. Darin heißt es: "In den Jahren 1770 und 1771 war Mißwachs, große Theuerung und Hungersnoth ; noch zu Ende 1769 kostete ein Scheffel Rocken 16 bis 18 Gr. Anfangs 1770 rthl. 8 Gr. und Ende 1771 und Anfangs 1772 3 rthl. bis 3 rthl. 16 Gr., die übrigen Früchte waren verhältnismäßig eben so theüer. Beym Steigen der Preise und der Hungersnoth wurden unter dem ohnehin schon schlechten, zum theil bey der nassen Erndte ausgewachsenen Rocken, alle Arten Früchte selbst Hafer und Drespe, untergemahlen, Kartoffeln gekocht und hinzu gethan, und von der Armut mit samt der Kleyn verbacken, ja die Noth stieg endlich so hoch, daß Hierselbst arme Leute, von Hunger und Aberglauben getrieben, eine Art Kalk im Jtel geholt haben, welcher vom Frost zermalmt gewesen, welchen sie dafür angesehen, daß derselbe Mehl sep, welches Gott zu ihrer Rettung aus der Erde hervorgehen lasse und diesen Kalk haben sie würcklich unter Mehl gemenget und mit verbacken. Dieses verbreitete sich dazumal in hiesiger ganzen Gegend, und Schreiber dieses erinnert sich noch sehr gut, daß auch ins Hannoversche nach Scharzfeld wo derselbe zumal war, dieses Gerücht erscholl, worauf die Armnth in den umliegenden Dorfschaften, ein ähnliches Wunderwerk bey Nüxey entdecken zu haben glaubte, wo sie eine Art weißen ganz feinen Mergel, Dux genannt, holeten mit unters Brodt backten, davon krank wurden und häufig davon sterben; so daß Obrigkeitswegen dergleichen verbothen, von den Kanzeln der Jrr- thum erkläret, von der Hannoverschen Regierung aber Früchte hergegeben, verbacken, und das Brodt unter die Armuth vertheilet wurde, des Frühjahrs 1772 holeten die Menschen die ersten grünen Kräuter um solche zu kochen, sie trafen mitunter viele schädliche, weil ihnen jegliches grüne Keimchen angenehm war, und auch dadurch und durch den lange erlittenen Hunger wurden noch viele Menschen krank und starben sehr häufig Dies waren traurige, traurige Jahre, selbst für den Wohlhabender« dies Leiden, ohne Allen helfen zu können, mit ansehen zu müssen; viele Familien gingen ganz zu Grunde, andere haben es lange Jahre nachher und manche noch nicht verwinden können; der Mittelstand unter Bürger und Bauer, versetzte, verkaufte, verborgte, nahm ausstehende Kapitalien auf und setzte sein ganzes kleines Vermögen zu, und diese giebt es am mehrsten, der Wohlhabenden nicht so viel. Das Jahr 1772 und die gute Erndte desselben machte dieser höchst erbärmlichen Scene ein Ende. | ||
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Version vom 17. Januar 2020, 12:47 Uhr
Kategorie:Überarbeiten Ueber die Hungersnot auf dem Eichsfelde in den Jahren 1770/71 ist in diesen Blättern bereits öfter berichtet worden. Selbstverständlich herrschte auch in den angrenzenden Gebieten damals große Not. Wie traurig es in jener Zeit in der Grafschaft Hohenstein aussah, erzählt eine im Knopfe des Ellricher Rathauses aufbewahrte Urkunde. Darin heißt es: "In den Jahren 1770 und 1771 war Mißwachs, große Theuerung und Hungersnoth ; noch zu Ende 1769 kostete ein Scheffel Rocken 16 bis 18 Gr. Anfangs 1770 rthl. 8 Gr. und Ende 1771 und Anfangs 1772 3 rthl. bis 3 rthl. 16 Gr., die übrigen Früchte waren verhältnismäßig eben so theüer. Beym Steigen der Preise und der Hungersnoth wurden unter dem ohnehin schon schlechten, zum theil bey der nassen Erndte ausgewachsenen Rocken, alle Arten Früchte selbst Hafer und Drespe, untergemahlen, Kartoffeln gekocht und hinzu gethan, und von der Armut mit samt der Kleyn verbacken, ja die Noth stieg endlich so hoch, daß Hierselbst arme Leute, von Hunger und Aberglauben getrieben, eine Art Kalk im Jtel geholt haben, welcher vom Frost zermalmt gewesen, welchen sie dafür angesehen, daß derselbe Mehl sep, welches Gott zu ihrer Rettung aus der Erde hervorgehen lasse und diesen Kalk haben sie würcklich unter Mehl gemenget und mit verbacken. Dieses verbreitete sich dazumal in hiesiger ganzen Gegend, und Schreiber dieses erinnert sich noch sehr gut, daß auch ins Hannoversche nach Scharzfeld wo derselbe zumal war, dieses Gerücht erscholl, worauf die Armnth in den umliegenden Dorfschaften, ein ähnliches Wunderwerk bey Nüxey entdecken zu haben glaubte, wo sie eine Art weißen ganz feinen Mergel, Dux genannt, holeten mit unters Brodt backten, davon krank wurden und häufig davon sterben; so daß Obrigkeitswegen dergleichen verbothen, von den Kanzeln der Jrr- thum erkläret, von der Hannoverschen Regierung aber Früchte hergegeben, verbacken, und das Brodt unter die Armuth vertheilet wurde, des Frühjahrs 1772 holeten die Menschen die ersten grünen Kräuter um solche zu kochen, sie trafen mitunter viele schädliche, weil ihnen jegliches grüne Keimchen angenehm war, und auch dadurch und durch den lange erlittenen Hunger wurden noch viele Menschen krank und starben sehr häufig Dies waren traurige, traurige Jahre, selbst für den Wohlhabender« dies Leiden, ohne Allen helfen zu können, mit ansehen zu müssen; viele Familien gingen ganz zu Grunde, andere haben es lange Jahre nachher und manche noch nicht verwinden können; der Mittelstand unter Bürger und Bauer, versetzte, verkaufte, verborgte, nahm ausstehende Kapitalien auf und setzte sein ganzes kleines Vermögen zu, und diese giebt es am mehrsten, der Wohlhabenden nicht so viel. Das Jahr 1772 und die gute Erndte desselben machte dieser höchst erbärmlichen Scene ein Ende.