Das Nordhäuser Gehege und der Nordhäuser Korn: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 30. Dezember 2019, 14:46 Uhr
Das Nordhäuser „Gehege“ und der Nordhäuser „Korn“.
Von Dr. Silberborth.
Eine Plauderei über Nordhausens nächste Umgebung und seine Gewerbe.
Dem Fremden ist von Nordhausen im allgemeinen nur zweierlei bekannt: das Nordhäuser Gehege und der Nordhäuser Korn. Wenn man nun diese Kenntnis auch als einigermaßen rudimentär ansprechen muß, so ist doch nicht zu leugnen, daß sie bei einer gewissen Dehnung der Begriffe „Gehege“ und „Korn“ nicht völlig unzulänglich ist. Der großen Menge des Volkes geht ja gottlob die erstaunliche Vielwissenheit des Allerweltsweisen ab, und sie hat sich gerade deshalb den unbefangenen, wir können sagen künstlerischen Blick auf das Wesen der Dinge bewahrt, mit dem sie aus dem Durcheinander von Dingen und Begriffen jedesmal die Hauptsache klar erkannt und richtig erfaßt. So setzt das Volk und der Fremdling auch das Gehege und den Nordhäuser Korn als bestimmte, anschauliche, äußerst schmackhafte Teile für ein unbestimmtes, unanschauliches und gänzlich unschmackhaftes Ganzes, und wenn der große Anempfinder Heinrich Heine bekanntlich von der Musenstadt an der Leine schreibt, sie sei berühmt durch ihre Universität und ihre Mettwurst, so ist er genau solch großer Künstler wie Herr Hinz oder Kunz, die über Nordhausen äußern, es sei berühmt durch sein Gehege und seinen Schnaps. Wenn der Fremde nach Nordhausen kommt, um Geschäfte zu erledigen, und er will für einen Augenblick der Arbeit oder den Straßen der Stadt entrinnen, dann eilt er in den nächsten Park Nordhausens, in das Gehege; und wenn der Nordhäuser Besuch empfängt, und es ist gerade Alltags und viel zu tun, so daß für weitere Besichtigungen und Ausflüge keine Zeit bleibt, so führt er den Besuch ins Gehege. Das erste, worauf man immer verfällt, ist diese städtische waldige Anlage. Die Warnungstafel: „Komm mir nichts ins Gehege!“ ist von keinem Nordhäuser aufgestellt worden, er „kommt“ gern ins Gehege und läßt gern ins Gehege kommen. So kennt und liebt denn der Nordhäuser sein Gehege, und alle Welt kennt und liebt es auch; und wenn der eilige Besucher vielleicht auch die vielen schönen anderen städtischen Anlagen und waldigen Hügel in Nordhausens nächster Umgebung schnell durchwandert hat, - das erste war doch das Gehege, der erste Eindruck aber soll ja der nachhaltigste sein, und so werden ihm dann alle die anderen flüchtig berührten Naturschönheiten zum „Gehege“. Bei diesem Namen föllt ihm ein, wie er voll Staunen aus der schönen Gartenstadt des Geiersberges mit ihren schmucken Häusern und Villen an den Westhang des Bergrückens getreten ist und ihn mit herrlichstem Buchenwald bestanden gefunden hat. Er wird sich an die sauberen Fußpfade erinnern, die sich durch diesen Buchenhain dahinwinden, an die mancherlei hübschen Ausblicke hinab ins Zorgetal und auf das Dorf Salza sowie in die Ferne gegen das Eichsfeld zu, an den stattlichen Gehegeplatz mit seinen Wirtschaften, Erholungsplätzen, Tonhallen und Konzerten, an die tausendjährige Märwigslinde und die schlanken Säulen der Buchen, und er wird sich endlich daran erinnern, wie er befriedigt am Kützingdenkmal vorbei wieder der Stadt zugestrebt ist. Freilich, er wird bei seinen Steifzügen durch das Gehege solches Gefallen an Nordhausens waldigen Anlagen gefunden haben, daß er das nächste Mal seine Forschungsreisen etwas weiter ausdehnen und durch das Gehege an den Mühlgraben und in das Zorgetal hinabeilen wird. Da wird er dann die schattige Kastanienallee entdecken sowie den prächtigen Stadtpark mit seinen Erinnerungsstätten an Deutschlands geistige Führer, mit seinen Weihern, seinen Baumgruppen und Wiesenflächen. – Doch wer kann die Namen aller dieser Wege und Anlagen behalten! – Ist auch gar nicht nötig; der Besucher hat ja schon einen: das schöne Nordhäuser Gehege, – in einem paßt er doch wieder: er charakterisiert die Schönheit der nächsten Umgebung Nordhausens. Sollte unser Wandersmann und Freund aber nicht für die Luft in Tälern und Niederungen sein, oder sollte er eine etwas urwüchsigere Natur derjenigen vorziehen, in welcher die pflegende und ordnende Hand des Gärtners schon etwas reichlich eingegriffen hat, – sollte der Wanderer Höhenluft, weite Fernsichten, wunderliebliche Talblicke, wohlgepflegte, aber nicht nach kunstgärtnerischen Gesichtspunkten angelegte Wege und Wälder aufzusuchen wünschen, dann wird es ihn nicht hinunterziehen an den Stadtpark, sondern er wird auf dem Geiersberge bleiben, hinauswandern aufs Feld und hier den ersten von Ost nach West ziehenden, mit Kirschbäumen bepflanzten Fußweg einschlagen, der ihm ein mitteldeutsches Landschaftsbild enthüllt, wie er es, fünf Minuten vom Rande einer stattlichen Mittelstadt entfernt, selbst im ausblickreichen Thüringer- und Hessenland so leicht nicht wiederfinden wird. Im Norden erscheint über das wellige rot- und weißsteinige Vorland hinweg der Harz, wuchtig ansteigend im Poppenberg, dem Bergrevier von Ellrich, dem Ravensberge; davor erglänzen im Sonnenstrahle die alten Porphyr- und Melaphyrgemäuer des Hohnsteins und der Ebersburg. Im Westen bauen sich die eigenartig geformten Muschelkalkberge des Eichsfeldes auf, und im Süden umfaßt der Blick über Nordhausen hinweg die Goldene Aue mit ihrem fruchtbaren Gefilde, der glänzenden Zorge und Helme und den schmucken Dörfern sowie die Hainleite und den Kyffhäuser, den wir diesmal zur Abwechslung nicht „sagenumwoben“ sein lassen wollen, sondern dessen jäh aus der Aue herausragenden, vielzertalten Horst wir in der Ferne umwoben sehen von seinem feinen, blaugrauen Dunstschleier. Der Wanderer merkt: Dieser Blick ist viel überwältigender, umfassender als der von irgendeinem Punkte des Geheges aus, und dennoch erscheinen vor dem geistigen Auge die Erinnerungsbilder, ungezwungen stellen sich Vergleiche ein, und selbst diese Umschau bringt unser Freund in späterem Gedenken deshalb vielleicht mit dem Nordhäuser „Gehege“ in Verbindung. Und wenn er dann weiter gen Westen wandert und das „Wilde Hölzchen“ betritt oder den „Kuhberg“ emporsteigt, alles Gegenden voller landschaftlicher Reize, die in weniger als einer halben Stunde von Nordhausen aus zu erreichen sind, so mag ihn auch bei diesen östlichen Hängen des Zorgetales manches an das geliebte Gehege gemahnen, obwohl wenigstens der Kuhberg mit seinen Kieferwaldungen ganz anderen Charakter trägt und obwohl sich von „Wildes Hölzchen“ und dem aus dem Winkel zwischen ihm und dem Bergrücken Hohenrodes herausführenden Hermann-Schmidt-Weg so einzig schöne Ausgucke in das in der Ferne rechts und links von weißen Gipsfelsen eingefaßte und im Hintergrunde vom dunkelen Harz abgeschlossene Zorgetal auftun, wie sie das Gehege nirgends aufzuweisen hat, Blicke, die einmal wieder beweisen, daß trotz des von den armseligen Menschlein konstruierten Gegensatzes zwischen Natur und Kunst die Natur doch die größte Künstlerin bleibt. Das wäre in aller Kürze einiges vom Nordhäuser „Gehege“. Doch haben wir ja am Anfang unserer Betrachtungen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Nordhausen durch zweierlei bekannt sei: durch sein Gehege und durch seinen Korn, und der geneigte Leser wird uns keine derartige Böswilligkeit zutrauen, daß wir nur die einen der Nordhäuser Genüsse hervorheben, während wir die anderen ganz unterschlagen. Auch der Herr Herausgeber des „Harzes“, auf dessen Veranlassung wir uns von Nordhausen und seiner Landschaft ein Bildchen zu zeichnen erkühnt haben, würde sicher unser Opus zu blaß und farblos finden, wenn wir dem Antlitze Nordhausens nicht eine leicht, vom „Korn“ hervorgerufene Röte auflegten. Frische Kraft, Sinn für die Realitäten des Lebens gehören nun einmal zu diesem Gesicht, und die Bedenken, die bei der Schriftleitung wegen vielleicht allzu großen Naturalismus und Materialismus aufkommen könnten, hoffen wir dadurch leicht zu zerstreuen, da0 wir den Nordhäuser Korn ganz nur als herrliches Produkt der herrlichen Nordhäuser Landschaft aufzufallen gewillt sind, und daß wir auch in diesem Falle den Schnaps, ebenso wie Heinrich Heine seine Göttinger Mettwurst pars pro toto nennt, nur als das dem Fremden geläufige bodenständige Gewächs Nordhausens für alle die anderen mitansehen. Oben vom Geiersberg aus haben wir einen Blick hinabgetan in die Einsenkung der „Goldene Aue“, welche die Helme und Zorge durchströmen, und welche sie mit fruchtbarsten Schwemmland ausgefüllt haben. Da gedeihen die Saaten, da werde die Halme ährenschwer. Der Bäcker und die der Landessitte entsprechend viele Kuchen backende Hausfrau hatte aus der Aue un den Unstrutlanden Getreide überreichlich, und so ward der Ueberschuß zu „Bornewyn“, wie er schon 1507 heißt, zu Branntwein verwertet. Die lebensfrohe Nordhäuser Bevölkerung fand bald, daß das eine oder andere und nich ein anderes Gläschen Korn der Verdauung durchaus zuträglich sei, besonders im Anschluß an Schweine- und Gänsebraten, Lieblingsspeisen der Aueanwohuer. And dasselbe fand man selbstverständlich bald im. ganzen deutschen Baterlande und über seine Grenzen hinaus, so daß die achtzig Branntweinbrennereien Nordhausens mit ihren fünfhunderttausend Hektoliter Korn jährlich kaum die Nachfrage befriedigen konnten und der „Nordhäuser“ die Ehre der Stadt hinaus trug in alle Welt und ihren Ruhm predigte allen Völkern. Daher stellt sich jedem Fremden mit dem Namen Nordhausen sogleich eine gewisse Ideenverbindung ein, und ein behagliches Schmunzeln, wie es das Antlitz des standhaften Prinzipienreiters bei seinem Kaffee oder Sodawasser gar niemals verschönen kann, gleitet über seine ehrlichen Züge. Doch wir sagten schon oben: Das Urteil der Menge trifft immer das wesentliche Wohl, verallgemeinert zuweilen aber ein bißchen stark. Da ist es schon richtig daß der Nordhäuser Branntwein ein Charakteristikum ist für Nordhausen und aus seiner Umgebung erwachsen ist wie das Kind aus der Mutter Schoß. Doch ist er gewissermaßen nur der Erstling,, den/ die Mutter viele Jahrzehnte lang voller Stolz immer zuerst präsentiert Hatz den sie Nun aber allmählich als mündig in alle Welt hinausgelassen hat, wo er denn nun in vielerlei Spritfabriken ebensogut gedeiht, wie' in der Heimat voreinst. Andere, später geborene und lange vernachlässigte Kinder rücken in die bevorzugte Stelle ein. – Oben vom Geiersberg aus haben wir auch die weißen Gipsfelsen allüberall aufleuchten sehen, die sich als breites Band um den ganzen Südfuß des Harzes schmiegen. Weiter nach Süden hin verschwinden sie unter rotem Sandstein, unter jugendlichem Schwemmland, unter harten Muschelkalken, bergen aber gerade hier, von den Deckschichten geschützt, das kostbare Kali, und zahlreiche Schächte bohren sich deshalb südlich von Nordhausen in die Tiefe, die Schätze der Erde zu heben. So wurde Nordhausen ein Zentrum mitteldeutschen Kalibergbaues und befriedigt durch eine stattliche Bergbauindustrie die mannigfachen Bedürfnisse der Schächte. Wenn man also von der völkerernährenden und völkererfreuenden Erde ein wenig in die Diese geht, und wenn man sich mit seinem Anteil und seinen Kenntnissen nicht allzu stark bloß aus die Oberfläche einst eilt, dann erkennt mairn auf und aus dem Boden erwachsen, in. Nordhausen noch einen anderen Erwerbszweig, als die Brennerei. Doch am Menschen und seinem Denken haftet nun einmal die Gewohnheit wie das berüchtigte Nessushemd, er kann sie nichr abstreifen, und so übersieht er auch in diesem Falle die ganze gewaltige Kali- und Gipsindustrie Nordhausens und seiner Umgebung und denkt bei Nordhausen immer wieder nur an bei Nordhäuser Korn. Und um aus allem anderen nur noch ein Drittes hervorzuheben: Oben vom Geiersberge aus haben wir auch die waldbestandenen Berge des Harzes gegrüßt, haben den langen Zug der Hainleite in ihrem grünen Baumschmuck gesehen und die einsamen Wälder des Eichsfeldes. Kein Wunder, wenn an den rauschenden Bächen die Sägemühlen nimmer stillstehen, wenn der Holzreichtum der Umgebung dem Handel und Gewerbe Nordhausens Anreiz gegeben hat und sich von Nordhausen Tischlereien, Möbelfabriken und mancherlei andere damit zusammenhängende Gewerbe eingestellt haben. Bald sind neben den heimischen Nutzhölzern auch fremde verarbeitet worden, und so hat auch in dieser Beziehung ein ganz und gar aus den Produkten des heimatlichen Bodens erwachsenes Handwerk und Kunsthandwerk sich in Nordhausen zu reicher Blüte entfaltet. — Branntwein, Kali und Holz — Nordhausen wäre nicht Nordhausen, wäre nicht auf diese Weise, auf seine Weise im deutschen Vaterlande erstanden ohne die drei. Womit denn nicht gesagt sein soll, daß nicht noch mancherlei anderes Gewerbe in Nordhausen erblüht sei aus dem nahrhaften Boden der Heimat, ganz zu schweigen von den vielen Erwerbszweigen, die munter gedeihen und grünen, seitdem der menschliche Geist weiteste Räume der Erde zu überwinden gelernt hat. Doch davon wollen wir hier nicht sprechen, sondern gehorsam dem unruhigen Augenzwinkern des Herrn Herausgebers folgen, das uns auffordert, endlich zum Schlüsse zu kommen; denn Papier ist heute teuer und nicht mehr so geduldig wie in der guten alten Zeit. Auch bei unseren beiden Freunden, dem Nordhäuser Gehege und dem Nordhäuser Korn, bemerken wir schon ein leichtes Schmollen, weil ihnen so mancherlei an die Seite gestellt worden ist. Da wollen wir sie nicht durch ein weiteres noch mehr betrüben. Auch können sie mit Recht aus die Ueberschrift verweisen und uns bedeuten, daß es, wenn sie nun einmal als Prachtgewächse der Heimatlichen Scholle herausgestellt werden, nicht angängig ist, sie von allem möglichen Unkraut überwuchern zu lassen. Nein, wenn ihnen seither auch viele Geschwister an die Seite getreten sind, sie zu überflügeln drohen oder sie gar schon überflügelt haben, - das Recht der Erstgeburt soll dem Nordhäuser Gehege und dem Nordhäuser Korn immerdar bleiben; dafür sorgt hoffentlich auch die sich ewig gleich- bleibende Einstellung des menschlichen Geistes, für den auch heute noch trotz aller Revolutionen „das Jahr eine Heiligende Kraft übt“ und dem auch heute noch das „göttlich ist, was grau für Alter ist“. |