Wie Nordhausen 1806 geplündert wurde: Unterschied zwischen den Versionen

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{{idt2|25}}Ein glücklicher Irrtum war einem Schneider sehr zu statten gekommen. Den ersten durch die Stadt retirierenden Preußen entspringt ein Gefangener, ein Elsässer, flüchtet in das Haus eines Schneiders und Kleiderhändlers, bittet flehentlich um ein Versteck, und beteuert, es solle sein Glück sein, weil seine sieghaften Landsleute ohne Zweifel bald folgen würden. Erst wird er hart abgewiesen, als ihn aber die Frau schärfer ansieht und dem Mann etwas ins Ohr sagt, ändert sich die Szene. Man führt ihn in ein Hinterstübchen, heizt ein, bewirtet ihn mit Kaffee, Backwerk, Braten und Wein, bereitet ein weiches Lager und erweiset ihm alle erdenkliche Achtung und Zuvorkommenheit. Dabei sind die Eheleute unerschöpflich im Lobe des großen Kaisers, so daß der Franzose im Vaterlande selbst keine glühendern Patrioten kennt. Was hatte die Frau dem Manne ins Ohr gesagt? – „Du, das ist Buonaparte, ich kenne ihn!“ – Sie hatte nämlich lange als Haushälterin bei einem Domherrn gedient, das Bild des Obergenerals in ihres Herrn Stube oft beschauet und fand zwischen ihm und dem Flüchtlinge die sprechendste Aehnlichkeit. Erhielten die Leute auch nicht die gehofften kaiserlichen Geschenke, so bewahrte doch der dankbare Franzose das Haus, und, so weit es möglich war, die Nachbarn vor der Plünderung. – Bis nach Martini blieb ich zu Hause, denn wie hätte ich, ein Nordhäuser, dieses echt nordhäusische Fest nicht erst mitmachen sollen, um so mehr, da ich meine Nützlichkeit dort zu lebhaft fühlte, indem ich vielen Menschen als Dolmetscher diente, manches Mißverständnis zwischen Wirt und Einquartierung lösete oder durch herbeigeholte Offiziere schlichtete. Ohne alle Sorge, im Umgang mit lieben Verwandten und allen von der aufgehobenen Universität Halle zurückgekehrten Schulfreunden gehören diese Wochen zu den glücklichsten meines Lebens.“
{{idt2|25}}Ein glücklicher Irrtum war einem Schneider sehr zu statten gekommen. Den ersten durch die Stadt retirierenden Preußen entspringt ein Gefangener, ein Elsässer, flüchtet in das Haus eines Schneiders und Kleiderhändlers, bittet flehentlich um ein Versteck, und beteuert, es solle sein Glück sein, weil seine sieghaften Landsleute ohne Zweifel bald folgen würden. Erst wird er hart abgewiesen, als ihn aber die Frau schärfer ansieht und dem Mann etwas ins Ohr sagt, ändert sich die Szene. Man führt ihn in ein Hinterstübchen, heizt ein, bewirtet ihn mit Kaffee, Backwerk, Braten und Wein, bereitet ein weiches Lager und erweiset ihm alle erdenkliche Achtung und Zuvorkommenheit. Dabei sind die Eheleute unerschöpflich im Lobe des großen Kaisers, so daß der Franzose im Vaterlande selbst keine glühendern Patrioten kennt. Was hatte die Frau dem Manne ins Ohr gesagt? – „Du, das ist Buonaparte, ich kenne ihn!“ – Sie hatte nämlich lange als Haushälterin bei einem Domherrn gedient, das Bild des Obergenerals in ihres Herrn Stube oft beschauet und fand zwischen ihm und dem Flüchtlinge die sprechendste Aehnlichkeit. Erhielten die Leute auch nicht die gehofften kaiserlichen Geschenke, so bewahrte doch der dankbare Franzose das Haus, und, so weit es möglich war, die Nachbarn vor der Plünderung. – Bis nach Martini blieb ich zu Hause, denn wie hätte ich, ein Nordhäuser, dieses echt nordhäusische Fest nicht erst mitmachen sollen, um so mehr, da ich meine Nützlichkeit dort zu lebhaft fühlte, indem ich vielen Menschen als Dolmetscher diente, manches Mißverständnis zwischen Wirt und Einquartierung lösete oder durch herbeigeholte Offiziere schlichtete. Ohne alle Sorge, im Umgang mit lieben Verwandten und allen von der aufgehobenen Universität Halle zurückgekehrten Schulfreunden gehören diese Wochen zu den glücklichsten meines Lebens.“
[[Kategorie:Heimatland]]

Version vom 30. Oktober 2019, 12:09 Uhr

Textdaten
Autor: Hermann Heineck
Titel: Wie Nordhausen 1806 geplündert wurde
Untertitel:
aus: Heimatland. Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1909 (Nr. 15)
Verlag:
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Wie Nordhausen 1806 geplündert wurde.


Nach einem gleichzeitigen Bericht mitgeteilt von Hermann Heineck.


 Ich war junger Student in Göttingen, da überraschte mich am 19 Oktober 1806 mein Freund Gerlach durch die Schreckensnachricht, Nordhausen sei von den Franzosen geplündert und verheert. Seiner Aufforderung, mit ihm heimzueilen, widerstand ich nicht eine Minute. Ihn drängte die Sorge um die Mutter und Schwester, mich die um Eltern und 2 Brüder, welche in der Oberstadt ein Haus bewohnten.

 Sollte ich sagen, die Reise wäre mir unangenehm gewesen, so bliebe ich nicht bei der Wahrheit. Immer war es doch eine Reise, ja wahrscheinlich eine abenteuerliche Reise, und welchem kräftigen Jünglinge käme die je ungelegen! —

 Die Collegia waren ja noch nicht angegangen, und waren sie es, wie leicht hofften wir, im ersten Viertels des Lebens stehend, solche Lücken zu füllen, besonders, wenn das Gewissen durch so wichtige Motive beschwichtigt ist, wie ich sie hatte. Gerüstet mit eisenfester Gesundheit, freiem, fröhlichem Herzen, Lust zum Wandern und zu Abenteuern, wie hätte mir der Ruf dahin, wo mir so viele Herzen entgegen schlugen, unangenehm sein können? Die Sprache der großen Nation konnte ich geläufig plappern, was hatte ich von Freund und Feind zu fürchten? Aus Vorsicht nahmen wir nur so viel Geld mit, als wir notdürftig brauchten; doch steckte mein Freund von seiner Sommerernte einen noch vorrätigen doppelten Louis als Reserve in der Not in die Uhrtasche. Uhren, Ringe und andere Liebhabereien der Plünderer ließen wir hier und suchten auch nicht durch die Kleidung aufzufallen. Gleich am Göttinger Hainberge ereignete sich ein Unfall. Mein Freund glitschte im lebhaften Gespräch aus und zerriß das Beinkleid der Länge nach überm Knie. Hätten wir klassisch gebildeten Leute auch klassisch geglaubt, so würden wir nach diesem Omen umgekehrt sein, aber uns focht es nicht an. Da diese offene Wunde nicht nur den Anstand verletzte, sondern bei dem kühlen Oktoberwetter auch inkommodierlich war, so kehrten wir in Kerstlingerode ein, den Schaden zu bessern, allein in Ermangelung eines Schneiders kam nach langer Beratung kein besseres Mittel zu Tage, als daß ein großes leinenes Pflaster aufgelegt und mit großen Stichen befestigt wurde; was uns bis Duderstadt vielen Stoff zum Lachen gab, besonders, wenn uns Leute begegneten. Nach einem ermüdenden Marsche in der scharfen Luft kamen wir mit der Dämmerung nach Duderstadt, und da war der Bruder Studio allezeit wie im Himmel. Wem von Euch Nordhäusern, Thüringern, Schwarzburgern, aus beiden Grafschaften Hohenstein und Eichsfeldern schlägt nicht das Herz höher und fröhlicher, wenn ihr der wirtlichen „Tanne“ und unserer guten alten Mutter, der Frau Wachtmeister Eickemeyer, gedenkt, wo Haus, Küche und Keller alles geben, was dem Burschen wohltut! Die gute Frau wurde sogar sehr böse, als wir ihr eine Uhr zum Pfände lassen wollten, daß wir ihr nicht zutrauten, sie hielte uns für ehrliche Herren. Wohl kein Student von allen, zu welcher Tageszeit es auch sein mochte, ist je vorübergegangen, ohne einzukehren. Gewiß trug zu dieser Anhänglichkeit bei, daß der Weg von Nordhausen – 4 bis 5 Meilen – uns, die wir nicht die alte Landstraße, sondern den geradesten Weg gingen, eine Wüste Arabia war. In den Dörfern der Grafschaft und des Eichsfeldes herrschte die böse Sitte, daß die Gemeinde-Wirtshäuser jährlich an den Meistbietenden verpachtet wurden, und deshalb alle Jahre einen zu Grunde gehenden Herrn hatten, der sich an diesem Strohhalm halten wollte. Ein Küchenmeister war nie angestellt, und der Kellermeister auf saures Bier und Fusel angewiesen. Keinerlei Art Fuhrwerk war auf dieser Route, nur Fußgänger trug die Not in die Schenke, wo weder Milch, Eier, Wurst noch sonst Eßbares zu finden war. Im Sommer fanden wir auf mehreren Dörfern hintereinander das Wirtshaus mit einem Schlosse verwahrt, und eine alte Nachbarin rief: „Se sin in Fälle!“ Wer wird es da auffallend finden, daß die Phantasie sich schon lange vorher mit der „Tanne“ beschäftigte, daß dieser Trost den müden Fuß beflügelte, und daß uns endlich der grüne Baum im Schilde wie dem Wüstenwandler die Oase entgegenstrahlte. Hätte man auch noch einige Stunden gehen können, man blieb doch, denn auch jenseits war's wüst, höchstens in Mackenrode erträglich. Dann brachten die Herren Juristen etwas Leben in den Ort durch geniale Streiche, und alle Fenster öffneten sich, wenn sie ungeniert auf den Straßen gingen. Einzelne, welche Bescheid wußten, gingen auch wohl durch die Jüdenstraße zum Liebfrauenteiche, um die Statue des hl. Nepomuck zu sehen, eigentlich daneben weg nach den Fenstern des Ursulinerinnen-Klosters zu schielen, wo sich oft die schönen Köpfchen der Zöglinge zeigten, lächelnd schnell verschwanden, um sich verstohlen wieder zu zeigen. Der patriarchalische Eichsfelder unterschied die Fakultäten nicht, wir alle waren „Herren Juristen“; Studenten waren die Schüler schon von Sexta an.

 Diesmal machten wir beiden „Herrn Juristen“ kein Aufsehen, sondern saßen fein still, und ob uns gleich Fisch und Braten trefflich mundete, war uns doch etwas unheimlich, weil uns durch die Stammgäste und Andere gräßliche Gerüchte von dem Schicksale Nordhausens mitgeteilt wurden. Zum Glücke hatten wir beide aber Virgils Schilderung der Fama gelesen und trösteten uns in Ermangelung eines bessern Trostes damit, daß es wohl nicht so schlimm sei und daß wir es nicht ändern könnten.

 Der Unfall meines Freundes zwang uns, möglichst bald auf unser Zimmer zu eilen, denn sollte er anständig weiter reisen, so mußte noch an dem Abende die kunstfertige Hand eines Schneiders den Schaden gründlich heilen, und er war gezwungen das Bett aufzusuchen. Hier zeigte sich mir, was ich in einem langen Leben nachher so oft bestätigt gefunden habe, daß zwei Menschen, von denen der eine raucht, der andere nicht in keinem Lebensverhältnisse zusammen passen. Ich meinte es gut, ich wollte Gesellschaft leisten und entzog mich dem zeitkürzenden Gespräche der Gäste unten in der Wirtsstube. Dennoch wurde ich gescholten, daß ich mich nicht hinlegen, die Stube voll rauche usw. Allein es war mir unmöglich, die Pfeife im schönsten Brande wegzulegen und mich von meinem langentbehrten Freunde, dem Koblenzer Steinkruge mit dem zinnernen Deckel voll schönen Duderstädter Bieres zu trennen, so lange ihm der Stoff der Unterhaltung nicht ausging.

 Bald sollten Pfeife und Krug einen Triumph erleben. Plötzlich sprang nämlich mein Genosse wie von der Tarantel gestochen auf, und rief: „In der Uhrtasche steckt ja der „Doppellouisdor.“ – Welch ein Glück, daß ich noch in den Kleidern war, ich lief hinunter und Hausknecht Joseph eilig zum Schneider. Er brachte auch den schon halb verloren gegebenen Schatz richtig wieder, und schalt uns in seiner Gemütlichkeit derb aus, daß wir ihn durch unsere Unvorsichtigkeit leicht hätten zum Spitzbuben machen können, hätte er das Goldstück verloren oder hätte es einer der vier Schneidergesellen in der Werkstatt gefühlt und herausgenommen. Wir aber versicherten, daß wir auf einen uns allen so bekannten ehrlichen Menschen in keinem Falle Verdacht geworfen hätten und besänftigten ihn am anderen Morgen durch ein reelles Trinkgeld.

 Auf der Reise am andern Tage ereignete sich nichts Bemerkenswertes, als daß wir in den letzten Dörfern vor der Stadt hie und da zertrümmerte Türen und Fenster sahen, welche man als den wirksamsten Schutz gegen Einquartierung ungebessert ließ. Die Stadt selbst, in welche wir mit der Dämmerung einzogen, regte wunderbare Gefühle in uns auf; es waren noch dieselben Straßen, unversehrten Häuser, die Läden erleuchtet, uns bekannte Menschen darin beschäftigt; aber die düstere Oede, die vielen fremden Krieger, die fremde Sprache auf den Gassen, die Spannung über das Schicksal der Lieben, welche desto größer wurde, je näher die Entscheidung war, bildeten einen furchtbaren Kontrast gegen die frohe Stimmung, in welcher wir im Sommer im Cabriolet durch Görings Schimmel hereingezogen wurden. Wir gingen rasch an Bekannten und Unbekannten vorüber und trennten uns an der Kranichgasse. In dem Hause meiner Eltern stand alles am gewohnten Orte, weil die Plünderung in der Stadt nicht so schlimm gewesen war, als in den Vorstädten, sie hatten durch einen sonderbaren Zufall nichts verloren. In der Stube spielten vier Franzosen Karten: sie fuhren drohend auf als mir die Mutter mit einem Schrei in die Arme fiel, aber ein Wort der Verständigung genügte, sie ehrerbietig ja gerührt zu machen; sie waren nicht zu bewegen fortzuspielen, sondern gingen in ein Nachbarhaus, unser Wiedersehen nicht zu stören. Diese Artigkeit, ich möchte sagen Zartheit habe ich häufig auch bei dem gemeinsten Soldaten gefunden, selbst während der Gräuel der Plünderung ist kein anständiges Frauenzimmer beleidigt, und wenn ich mit ihnen von den Plünderungen sprach, schob ihr Nationalgefühl alles auf die Bundesgenossen, besonders die Italiener.

 Zu meinen Eltern war zufällig während des Gefechtes vor der Stadt ein Voltigeur mit gebrochenem Arme gebracht, welcher sehr kläglich getan hatte. Sie hatten ihn durch einen verwandten Chirurg verbinden und in ihrer Wohnstube liegen lassen. Nach dem Gefechte dringen zuerst vier Grenadiere mit gefälltem Bajonett und dem Gruße ins Haus: „Canaillen, Geld!“ Halb des Todes zeigt Mutter instinktmäßig auf die Stube; sie gehen hinein, sprechen mit dem Voltigeur, ziehen beschämt ab und legen beim Weggehen einer nach dem andern die Hand an die Mütze : „Pardon Madame!“ Dadurch ermutigt, hatte es die Mutter dann mit allen Folgenden so gemacht und nicht einer Stecknadel Wert verloren. Ich bin kein Freund und Lobredner der Franzosen, aber man muß auch an den Feinden das Gute nicht verkennen und bedenken, daß der plündernde Soldat in seinem Rechte ist und daß das, was er unbekannten Leuten läßt, von seinen Kameraden doch genommen wird.

 „Hat man damals doch Blücher kaum abhalten können, das mitten in der Stadt seines Königs im Waisenhause befindliche Mehlmagazin anzuzünden, um es dem Feinde zu entziehen! Die Plünderung wurde vom Feinde dadurch gerechtfertigt, daß Blücher ein Gefecht vor der Stadt angenommen, sich kämpfend bis Ilfeld zurückgezogen und die Wege hinter sich im Harze verrammelt hatte, so daß die Corps der Marschälle Soult und Ney liegen bleiben, ja ein großes Lager vor der Stadt beziehen mußten. Außer dem Grunde, daß sich Soldaten und Bürger nicht verstehen konnten, trugen zwei Umstände zu mancher harten Behandlung bei: Nordhausen wird aus der reichen goldenen Aue, der Grafschaft und dem Harze von Markttag zu Markttage verproviantiert; die großen Massen der durch die Stadt rektrierenden Preußen hätten alles geleert, die Dörfer waren geplündert, und es wagte sich auch von den Verschonten lange Zeit niemand in die Stadt. So konnten den hungrigen Kriegern in vielen Häusern auch die gewöhnlichsten Lebensmittel nicht gereicht werden. Dann lagen große Branntweinvorräte in der Stadt, und die Soldaten schöpften aus den auf die Straße gewälzten Fässern mit Töpfen, Flaschen, ja sogar Eimern. Dennoch sind nur 2 Menschen getötet worden; Gott hat die Stadt wunderbar behütet. Man denke sich so viele Tausende trunkener Menschen mit offenem Lichte in allen Winkeln der Häuser herumschweifen, bei den Oktoberstürmen in den ungeheuren Hintergebäuden der Brennereien und Gasthöfen voll Stroh, Heu und Holz mit offenen Lichtern fouragieren, um sich in die Lage der geängsteten Bürger zu versetzen. Doch ist kein Feuer ausgebrochen. Hier und da habe ich selbst auf Böden schwarzgebranntes Holz, ja schwarz geschmauchtes herabhängendes Stroh gesehen, und ich glaube, es werden in manchen Häusern noch solche Reliquien bewahrt. Darin stimmten alle Erzähler überein, daß mit dem Ablaufe der zum Plündern erlaubten Zeit, nach dem Zeichen mit der Trommel, augenblicklich jede Gewalttat aufgehört habe und die größte Ordnung und Sicherheit eingetreten sei.

 Auch die Autorität der Stadtobrigkeit ist während der Schreckenszeit streng aufrecht gehalten. Später konnten selbst Frauenzimmer durch dichte Haufen der noch immer sehr starken Einquartierung gehen, ohne geneckt zu werden. Das vor Nordhausen mehrere Tage aufgeschlagene Lager tat den Einzelnen dadurch so großen Schaden, daß die Soldaten viele Dinge, welche sie sonst unangerührt gelassen, dahinschleppten, z. B. Betten, Kessel, Hausrat, um sie einige Tage zu gebrauchen.

 Diese Erbschaft hat die geringere Klasse ans der Stadt und Umgegend angetreten; diese Leute haben Viertel von Ochsen, Betten, Hausrat, Gefäße und Leinen auf Schiebkarren und Rücken nach Hause geführt. In den ersten Wochen war eine Untersuchung unmöglich, später konnte sie keinen Erfolg haben, so behielt jeder, was er hatte. Einige ernstere Auftritte will ich noch erzählen.

 Im elterlichen Hause eines geliebten Freundes fand ich zwar die Türen und Fenster wieder hergestellt, aber im ganzen Hause war kein Topf, Teller, keine Schlüssel und Flasche unzerschlagen; Silber, Zinn, Kupfer, Betten und Kleider meist entwandt, nichts von Wert gelassen.

 Der alte Mann, welcher den siebenjährigen Krieg vom 15-21. Jahre erlebt hatte, konnte sich in die neuen Franzosen nicht finden, er sagte mir scherzend, es müßten lauter Schlossergesellen geworden sein, denn sie hätten alle Schlösser an Kommoden und Schränken mittelst eines Stichs ins Schlüsselloch mit dem Bajonett gesprengt. Aber ergrimmt war er, als er mir die vielen mit Ladestöcken totgeschlagenen Kanarienvögel, welche ein eigenes Zimmer innegehabt hatten, zeigte; denn sie waren seine Pfleglinge und seine Freude gewesen.

 Ein Lohgerber hatte, wie viele Leute sein Gold- und Silberzeug im Keller vergraben, aber die listigen Franzosen dadurch auf die Spur geleitet, daß er die glatte Kellertür mit rohen, bis unter die Balken gehäuften Häuten versteckt hatte. Die Franzosen sagen: „Spitzbub! viel verschanzt“ und zwingen ihn, die Häute abzuräumen; er springt aber bei passender Gelegenheit an den Hof und entgeht dem nachspringenden Franzosen nur dadurch, daß er sich in den Mühlgraben stürzt, und jener das Stück Kamisol, wobei er ihn gefaßt, in der Hand behält. Der Schatz blieb gerettet, aber im Hause ist es desto übeler hergegangen. – Auch ein Beispiel, wie auf dem Lande gehaust wurde: Der wohlhabende Pächter des eine halbe Stunde von Nordhausen entfernt liegenden Klosters Himmelgarten hatte alles verloren bis auf die ungedroschene Frucht, einen Teil der Schafe und ein zufällig im Harze befindliches Gespann. Die Franzosen spannten die übrigen Pferde an, luden Koffer, Kisten, Betten und alles brauchbare auf und fuhren es ins Lager. Sämtliche Kühe, Schweine, Schafe, Gänse, Hühner usw. wurden geschlachtet oder weggeführt. Die nachfolgenden Plündererer trugen den Rest weg oder vernichteten die Sachen. In der Gesindestube z. B. war ein Haufen ausgeschütteter Bettfedern mit Honig und Baumöl durchmengt; den Fässern waren die Böden eingeschlagen, und es ist schwer, sich einen Begriff von der Verwüstung zu machen, wenn man es nicht gesehen hat. Der Herr und der erste Verwalter haben den Hof nicht verlassen, sie besaßen aber zuletzt nichts als abgelegte Röcke, ein Paar alte Stiefel und ein Paar Pantoffeln, mit denen sie wechselten. Der kranken Frau, welche mit den Kindern in das versteckte Ritterthal bei Lembach geflohen war, konnte in die Bauernhütte nur ein Unterbett vom Gesinde gesandt werden. Leichter aber trägt der Mensch den Verlust der Habe, als das Aufhören aller Lebensgewohnheiten und Bequemlichkeiten.

 Mitten in der Stadt wurden Menschen aus ihrer gewohnten Bequemlichkeit geworfen und mußten Arbeiten verrichten, welche sie nie getan hatten. So sah man eine hohe Ratsperson, deren Mägde entflohen waren, Wasser zum Tränken der Pferde holen; und ein berühmter Jurist mußte die ganze Nacht Ziegelmehl klopfen und die Gewehre putzen, während die Soldaten in seinem besten Zimmer seinen Wein tranken. Es fehlte überhaupt nicht an komischen Szenen, über welche die Haupt-Acteurs später selbst lachten. So konnte sich ein bejahrter, etwas cholerischer Organist, welcher ebenfalls den siebenjährigen Krieg erlebt hatte, in die Franzosen nicht finden, und als sie so, ohne schriftlichen polizeilichen Befehl vorzuzeigen, alle seine Kommoden und Kasten durchwühlen, hofft er durch einen herbeigeholten Offizier die Bösewichter übel zu bestrafen. Er ist aber in seinem Zorn nicht weit in der Straße gelaufen, als ein Trupp, den er nach einem Offizier fragt, ihn faßt, ihn aus seinem Schlafrock spazieren läßt; einige, (wahrscheinlich gelernte Kammerdiener) entledigen ihn auch seiner Weste, legen ihn um, ziehen ihm die Stiefel aus, lösen seine silbernen Knieschnallen, nehmen das wenige kleine Geld aus den Taschen und lassen ihn so nach Hause laufen. Ein anderer Mann hatte sich mit der Frau auf den Taubenschlag geflüchtet und mußte hernach viel über seinen Mut leiden, weil es sich ausgesprochen hatte, daß er bei dem immer heftiger werdenden Einschlagen von Thüren und Schränken, den immer lauteren Fluchen der Franzosen und dem Angstgeschrei des Hausknechtes gesagt hatte: „Ach Frau, sieh doch einmal zu, was die Leute eigentlich wollen.“

 Ein glücklicher Irrtum war einem Schneider sehr zu statten gekommen. Den ersten durch die Stadt retirierenden Preußen entspringt ein Gefangener, ein Elsässer, flüchtet in das Haus eines Schneiders und Kleiderhändlers, bittet flehentlich um ein Versteck, und beteuert, es solle sein Glück sein, weil seine sieghaften Landsleute ohne Zweifel bald folgen würden. Erst wird er hart abgewiesen, als ihn aber die Frau schärfer ansieht und dem Mann etwas ins Ohr sagt, ändert sich die Szene. Man führt ihn in ein Hinterstübchen, heizt ein, bewirtet ihn mit Kaffee, Backwerk, Braten und Wein, bereitet ein weiches Lager und erweiset ihm alle erdenkliche Achtung und Zuvorkommenheit. Dabei sind die Eheleute unerschöpflich im Lobe des großen Kaisers, so daß der Franzose im Vaterlande selbst keine glühendern Patrioten kennt. Was hatte die Frau dem Manne ins Ohr gesagt? – „Du, das ist Buonaparte, ich kenne ihn!“ – Sie hatte nämlich lange als Haushälterin bei einem Domherrn gedient, das Bild des Obergenerals in ihres Herrn Stube oft beschauet und fand zwischen ihm und dem Flüchtlinge die sprechendste Aehnlichkeit. Erhielten die Leute auch nicht die gehofften kaiserlichen Geschenke, so bewahrte doch der dankbare Franzose das Haus, und, so weit es möglich war, die Nachbarn vor der Plünderung. – Bis nach Martini blieb ich zu Hause, denn wie hätte ich, ein Nordhäuser, dieses echt nordhäusische Fest nicht erst mitmachen sollen, um so mehr, da ich meine Nützlichkeit dort zu lebhaft fühlte, indem ich vielen Menschen als Dolmetscher diente, manches Mißverständnis zwischen Wirt und Einquartierung lösete oder durch herbeigeholte Offiziere schlichtete. Ohne alle Sorge, im Umgang mit lieben Verwandten und allen von der aufgehobenen Universität Halle zurückgekehrten Schulfreunden gehören diese Wochen zu den glücklichsten meines Lebens.“