Nordhausen im Jahre 1848: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 10. September 2024, 13:44 Uhr

Textdaten
Autor: Karl Vocke
Titel: Nordhausen im Jahre 1848
Untertitel: In flüchtigen Skizzen dargestellt
aus:
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [19. Jh.]
Verlag: Thiele
Drucker: Fr. Thiele
Erscheinungsort: Nordhausen
Quelle:
Kurzbeschreibung: Der Text bietet eine ausführliche Beschreibung der Stadt und ihrer Umgebung im Jahr 1848, wobei der Autor auf verschiedene Aspekte wie Sehenswürdigkeiten, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft eingeht. Der Verfasser schildert detailliert seine Eindrücke von zahlreichen Orten im Harz, darunter Stolberg, Sondershausen und der Brocken, und hebt dabei sowohl die landschaftlichen Schönheiten als auch die historische Bedeutung dieser Orte hervor. Neben den reinen Ortsbeschreibungen enthält der Text auch persönliche Erinnerungen des Autors sowie Reflexionen über die sozialen und politischen Verhältnisse seiner Zeit.
Digitalisat: PDF (16 MB)
40 Seiten ; 8°
Eintrag in der GND: [1]
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Nordhausen


im Jahre 1848.


In flüchtigen Skizzen dargestellt


von


Karl Vocke,
ehemaligem Buchhändler zu Salzungen, derzeitigem Privatmann in
Nordhausen.



Zum Besten der Kleinkinderbewahranstalt in Nordhausen.
______
Auf Kisten des Verfassers
gedruckt bei Fr. Thuele in Nordhausen.




1.

Diese hier niedergeschriebenen Skizzen über Nordhausen sind nicht etwa historische Fragmente oder Forschungen, sondern vielmehr nur Beobachtungen aus der gegenwärtigen Zeit. Daher findet der Leser nur Anschauungen der Zustände neuester Zeit. Eben so wenig beabsichtige ich eine Topographie zu liefern, deren es überhaupt schon mehrere giebt, wovon ich aber nur einige gelesen habe, z. B. diejenige von Duval in dem bekannten Werke "Thüringen und Harz." Um originell zu sein, habe ich absichtlich alle Schriften über Nordhausen bis jetzt noch nicht gelesen, um eine wahre Darstellung über Nordhausen, wie es ist, und nicht wie es war, dem geehrten Leser vorführen zu können. Nur die Eindrücke, welche diese altehrwürdige Stadt in ihrer jetzigen Gestaltung, in ihren commerciellen und gewerblichen Verhältnissen mit ihren Anstalten für Unterricht, Kunst- und Wohlthätigkeits-Instituten auf mich hervorgebracht hat, finden hier ihre Besprechungen. Gewiß wird es vielen achtbaren Bürgern von mehrfachem Interesse sein, was ein Fremder, der mit besonderer Liebe und Ehrerbietung seit seiner frühesten Jugend derselben zugethan war, über ihren Wohnort berichtet. In der Nähe von Nordhausen geboren, in einer der Nachbarstädte erzogen und zu meinem Berufe herangebildet, war mein Entschluß, als in diesem Frühjahre die politischen Unruhen mich veranlaßten, mein Buchhändlergeschäft zu verkaufen, kurz gefaßt, gerade hier meine Wohnung aufzuschlagen. Zwar gelobte ich mir in Folge einer harten, dreifachen und quälenden Censur, welche ich als Verleger einiger Werke und Herausgeber eines nun schon seit acht Jahren bestehenden Volksblattes – über welches sich namentlich ein adeliger Verwaltungsbeamteter die strengste Censur anmaßte und mir jahrelang mein Geschäftsleben verbitterte – vielfach habe erdulden müssen, selber, nie wieder eine Feder zu ergreifen, um Ansichten und Meinungen zu veröffentlichen; aber ein Besuch der hiesigen Kleinkinderbewahranstalt, dieser freundlich-gemüthlichen Stiftung eines guten Menschen und mehrerer hiesigen Bewohner, hat meinen Entschluß wankend gemacht und mich veranlaßt, zum Besten dieser Anstalt noch einmal die Feder zu ergreifen, und so habe ich denn binnen einigen Tagen dieses Werkchen geschrieben. Möge der freundliche Leser um des guten Zweckes willen mir des flüchtigen Stiles wegen gütigst Nachsicht schenken und die biedern Bewohner Nordhausens mein Werkchen theilweise als ein Zeichen der Anerkennung betrachten, da ich mich, wenn auch vielleicht noch gänzlich unbekannt, unter ihnen recht behaglich fühle. Still, einfach und fast gänzlich zurückgezogen durchlebte ich fast zehn Monate in meinem guten Nordhausen und durchwanderte fast immer allein die höchst reizenden Umgebungen. Und wie wohl that mir diese Unbekanntschaft mit Menschen, dieses Fürmichsein, diese mir selbst auferlegte Einsamkeit, im Gegensatz zu meiner frühern, rauschenden Geschäftsthätigkeit, sowie zu dem täglichen Umgange mit vielen Menschen.


2.

Nichts macht auf ein empfängliches Gemüth einen ergreifenderen Eindruck, nichts stimmt die Seele zu sanfteren und erhebenderen Gefühlen und zu dankbareren Gesinnungen gegen den liebenden Allvater, als wenn man einen lieben Ort, wenn man seine Heimath nach langen, langen Jahren zum ersten Male wieder begrüßt. So ging es mir, als ich Nordhausen und mein Jugendland nach einem Zeitraume von beinahe zwanzig Jahren wieder betrat. Die hohe Spitze des St. Petrithurmcs, welche mein suchendes Auge über die knospenden Pappeln hervorragen sah, so wie manches Oertchen, worunter vorzüglich das so romantisch gelegene Auleben, weckten so viele süße Erinnerungen aus der Rosenzeit meines Jugendlebens in mir, daß ich den gewaltigen Gefühlen meines Herzens nur durch Thränen der reinsten Freude und der tiefgefühltesten Dankbarkeit gegen Gott Erleichterung zu verschaffen vermochte. Noch stand das mir so wohl bekannte Sundhäuser Doppelthor unverändert mit seinen vielen Einzelwohnungen und dem runden Uhrthurm, von welchem gerade helle Glockenschläge in die milde Frühlingsluft hinaustönten, als ich durch diesen Eingang die Stadt betrat. Wie so oft hatte ich ihn als Knabe an der Hand meines vielgeliebten, noch lebenden Lehrers betreten und mich jedesmal gefreut, wenn eine Heerde fetter Schweine unsern Eingang erschwerte. Was Erwachsene ärgert, macht muntern Buben öfters doppelte Freude. – Dieses Thor hat die frequenteste Passage, daher selbst bei der trockensten Witterung das Pflaster feucht und schmutzig angetroffen wird. Nun ja, der stete Schmutz auf den Straßen und den nächsten Wegen um die Stadt wäre etwa die Schattenseite, aber hinwiederum auch eine Lichtseite, da er ein sicherer Beweis eines starken und lebhaften Verkehrs ist. Eigenthümlich ist der höchst piquante Geruch beim Eintritt in die untern Theile der Stadt, welche die Ausdünstungen der zahlreichen Brennereien und Viehmastungen erzeugen.


3.

Da nun die Hauptbeschäftigungen der hiesigen Einwohner schon durch den Geruch wahrgenommen worden sind, so sollen dieselben auch zuerst erörtert werden. Ohnstreitig sind Magdeburg, Halle und Nordhausen die drei vorzüglichsten Handels- und Gewerbeorte in der preußischen Provinz Sachsen, welche weit über die Grenzen des deutschen Vaterlandes in großen Handels- und Seestädten ihre Verbindungen haben. Die überaus fruchtbare Umgegend Nordhausens, namentlich das lange und breite Helmethal, sowie die Landschaften an den Ufern der tiefschleichenden Unstrut, Gegenden, die man, ihrer ungemeinen Kornergiebigkeit wegen, die güldene Aue benannt, bedingt ohnstreitig einen bedeutenden Handel mit Getraide, dessen Hauptstapelplatz Nordhausen ist. Durch die Zuführungen des Getraides aus weiten Umkreisen bildet die Stadt einen der wichtigsten Getraidemärkte in der preußischen Monarchie. Alle Städte Thüringens, des Eichsfeldes, des Harzes und eines Theils von Hessen richten sich nach den Getraidepreisen Nordhausens. Der Handel mit Getraide in Nordhausen ist daher namhaft und die Bewohner des Harzes und des Eichsfeldes versorgen sich größtentheils lediglich mit Getraide von Nordhausen. Täglich, nur hohe Fest- und Sonntage ausgenommen, kommen bedeutende Zufuhren an Getraide in die Stadt an, und noch nie ist der Fall vorgekommen, daß Getraide zurückgestellt wurde, denn die Fruchtmäkler, die gleichsam eine berechtigte geschlossene Innung bilden, fördern den schnellen Absatz. Den meisten Verbrauch des Getraides haben die Brennherren, Bierbrauer und Bäcker. Schon seit Jahrhunderten sind die Brennereien, die wirklich von Bedeutung sind, im besten Flor und keine Stadt Deutschlands genießt einen solchen allgemeinen Ruf hinsichtlich der Branntwcinfabrikation, wie Nordhausen. "Nordhäuser" nennt man jeden guten Kornbranntwein, auch wenn derselbe nicht hier erzeugt worden, daher der Name "Nordhäuser" mit "Branntwein" gleichbedeutend geworden ist. Wohlfeilheit des Getraides und des Branntweins hängt natürlich von einer guten Ernte ab; treten Mißernten ein, besonders auf dem Harze und dem Eichsfelde, so ist folglich auch die Nachfrage nach Getraide in unserer Stadt stärker und die Preise steigen. In der theuern Zeit der letzten verflossenen Jahre frug man am Thüringerwalde nicht nach den Preisen in den zunächst liegen- den großen Städten, sondern nur nach denen Nordhausens. So groß ist also der Einfluß des hiesigen Kornhandels, daß er selbst auf die entferntesten Gegenden Einfluß übt. Dieses Jahr erfreuen sich die Brennherren einer bedeutenden Nachfrage nach Branntwein, und die Böttcher können nicht schnell genug die Fässer liefern. Ebenfalls wichtig ist die Viehmastung, und mancher Bewohner hat über 100 Stück Schweine und gegen 50 Stück Rindvieh zur Mästung in den Ställen stehen, und wenn erst das Salz billiger wird, wie in Aussicht stehet, so kann die Mästung noch vorzüglicher werden, da starke Salzzuthaten in der Fütterung eine gute Mästung bewirken.

Nächst den Brennereien beschäftigen die hiesigen sechs Tabaks- und Cigarren Fabriken die meisten Menschen, und zwar gegen 200 Personen, die größtentheils aus hiesiger Stadt sind. Ausgebreitete Geschäfte macht die im besten Rufe stehende Schreibersche Cichorienfabrik, welche ebenfalls eine Menge hiesiger Bewohner beschäftigt, doch kann nicht geleugnet werden, daß diese Fabrik einen ungünstigern Einfluß, als die vorhergenannten auf die ärmern Klassen der Bewohner hat, indem durch den Anbau der Cichorienwurzeln auf Pachtländereien der Pacht ungewöhn- lich im Preise steigt und die Felder, trotz der starken Düngung, ausgemergelt werden. Mehrere achtbare Kaufleute haben in der wohlmeinendsten Absicht, ihren ärmern Mitbürgern einen Verdienst mehr zu verschaffen, eine Schwefelholzchenfabrik errichtet, die den besten Absatz verspricht. – Ebenfalls von Belang ist eine hiesige Färberei und Druckerei, welche sehenswertheste Maschinen besitzt. Auch die Fabrik baumwollener Zeuge der Gebrüder Cramer bringt Nahrung und Verdienst in die Stadt. Nennenswerth, wenn auch nicht von bedeutendem Umfang, ist die Chaisenfabrik des Herrn Bösenroth. Die Fürst'sche Bücher- und Bleiweißfabrik ist eingegangen. Unter den bürgerlichen Nahrungszweigen zeichnen sich die hiesigen sechszehn Brauereien, welche Lagerbier, Broihan und einfaches Braunbier produciren, so wie die Schlächtereien in Verfertigung guter Würste und einige Wollwebereien besonders aus. Vier Möbelfabriken, von Tischlermeistern etablirt, liefern geschmackvolle solide gearbeitete Möbel in der neuesten Façon, Spiegel mit den prächtigsten Einfassungen; Toilettengegenstände von den feinsten Holzarten in den zierlichsten Formen rc. Sämmtliche Möbelfabriken beschäftigen ohngefähr 30–40 fremde Gesellen und senden ihre Waaren bis in die Gegenden von Weimar, Mühlhausen und Duderstadt. Hier erlaube ich mir den Wunsch zu äußern, daß eine öffentliche Zeichnen- und Gewerkschule von tüchtigen Lehrern der Zeichenkunst und der Mathematik gegründet werde, damit diese Pflanzschule Bildung und Geschmack pflegen möge. Die Läden der Gold- und Silberarbeiter, sowie der Uhrmacher bieten eine mannichfache Auswahl eleganter und guter Waaren. Noch wäre der bedeutende Absatz der hiesigen Schuhwaaren hervorzuheben, die wirklich gut und sehr billig sind, weshalb sich fast alle Bewohner des benachbarten Gebirges und des flachen Landes nur mit hier gefertigtem Schuhwerk versehen. Sonst sind alle bürgerlichen Gewerke würdig vertreten und alle ohne Ausnahme hier zu finden.


4.

Der Ackerbau hat nicht den Umfang den man von der Größe und Macht einer ehemaligen freien Reichsstadt zu erwarten berechtigt ist. Das Weichbild enthält kaum 1/2 Quadratmeile und mag noch denselben Bestand haben, den es bei der Gründung der Stadt hatte. So wie andere ehemalige freie Reichsstädte fand Nordhausen im Mittelalter nie Gelegenheit, sein Gebiet durch Ankauf von Dörfern, Ländereien oder Waldungen zu erweitern, denn es lag inmitten der drei großen Grafschaften Stolberg, Schwarzburg und Hohnstein. Die Besitzer dieser Grafschaften waren viel zu mächtig und reich, als daß sie sich genöthigt gesehen hätten, von ihren weitläufigen Besitzungen etwas zu veräußern, im Gegentheil hätten lieber sie, und zwar besonders die Grafen von Hohnstein, die Stadt selber zu einer ihrer Landstädte gemacht. Daß die Schnabelsburg an den Magistrat verkauft und zerstört wurde, geschah nicht aus Drang der Umstände, sondern aus List. Jedoch hinderte dies nicht, daß hiesige Bürger auswärtige Grundstücke erwarben, somit aber auch Unterthanen derjenigen Herren wurden, in deren Ländern sie sich ankauften. Noch heute umgrenzen drei Theile des Nordhäuser Weichbildes die Besitzungen des Hrn. Grafen zu Stolberg-Stolberg, der zugleich auch Landesherr eines Theils der Grafschaft Hohnstein ist. Erfreulich ist der Anblick der vielen, zum Theil großen theils in der Stadt, theils in der Nähe derselben gelegenen Gärten, von denen jedoch die meisten nicht zur Zierde und zum Vergnügen, sondern zum Nutzen dienen. Sehr viele geschickte Gärtner treiben hier den Gemüsebau im Großen und können füglich mit den Erfurtern und Bambergern wetteifern. Eine eigentliche Zunft bilden die hiesigen Gärtner nicht; doch da die Kunstgärtnerei auch hier wohl in Aufnahme kommen könnte, so wird sich vielleicht in Verbindung mit dem Verschönerungsverein ein Gartenverein hier zum Nutzen und zur Zierde der Stadt bilden. Anlagen in öffentlichen Gärten giebt es hier nicht, denn die Gärten beim Lux'schen Gesellschaftshause und beim Hammer sind zu beschränkt und derjenige beim Kaffeehause eine bloße Obstanlage. Die wenigen Baumschulen pflegen bloß Setzlinge zum Behufe der Ergänzungen an Chausseen und eine wirkliche Obstbaumschule von Belang findet man nur in dem Stolbergschen Dorfe Windehausen.


5.

Der Detailhandel ist bedeutend, weniger das Gasthofswesen. Einige Jahrmärkte, drei in jeder Woche abzuhaltende Victualienmärkte, so wie das ansehnliche Postamt nebst Posthalterei, die vielen Chausseen und Communicationswege, die gleich Strahlen in verschiedene Gegenden von der Stadt auslaufen und die Frachtfuhren vermehren die Lebhaftigkeit des Verkehrs. Viele Kaufleute betreiben daher Speditions- und Wechselgeschäfte. Die Posten befördern eine schnelle Verbindung zu den Eisenbahnstationen, und haben eine so pünktliche Einrichtung, daß dieselben noch zu rechter Zeit vor dem Abgange der Eisenbahnzüge in Halberstadt, Weimar und Halle ankommen. Nach letzterem Orte fährt täglich jeden Nachmittag ein Omnibus, welcher eben auch die Verbindung bezweckt. Ein anderer Omnibus unterhält bloß die Verbindung zwischen Nordhausen und dem Städtchen Bleicherode, und fährt wöchentlich dreimal her und hin. Am Lebhaftesten wird die Berlin-Casseler Chaussee, von Halle über Nordhausen nach Heiligenstadt, befahren und begangen. Außerdem führen von hier Straßen nach Sondershausen, nach Weimar über Frankenhausen, nach Wernigerode über Ilfeld, nach Quedlinburg und Halberstadt über Stolberg und eine neue in diesem Jahre erst gebaute Landstraße nach Herzberg. Somit fehlt es keineswegs an Erleichterungen des Handelsverkehrs und eines bequemen Reisens, nur wären noch einige Vicinalstraßen nach Ellrich und Heringen zu wünschen. Zahlreiche Gasthöfe bieten dem Reisenden eine vollkommene Unterkunft und jeder Fremde findet für seinen Stand und seine Lebensanforderungen eine angemessene Aufnahme. Gasthöfe ersten Ranges sind der schon seit vielen Jahren bekannte "Römische Kaiser" am Kornmarkte; "Berliner Hof" in der Rautenstraße und "Dresdener Hof" vor dem Sundhäuser Thore, in welchem letzteren sich zugleich die Posthalterei, so wie auch der Sitz des landwirthschaftlichen Vereins der goldenen Aue in einem besondern schönen Gebäude befindet. Der Gasthof "Zum englischen Hofe" existirt zur Zeit nicht mehr. Andere sehr gut eingerichtete Gasthöfe sind: "Der Erbprinz" am Kornmarkte, "Zum goldenen Löwen" und "Schwan" in der Neustädterstraße, "Zum Schiff" und "Zum Mohr".


6.

Ehe ich mit Erwähnung der verschiedenartigen Erwerbszweige schließe, will ich nur Einiges über Buchhandel, welchen ich einst selber betrieb, und ihre Nebenbranchen, so wie über Kunst und Literatur mir zu bemerken erlauben. Unter den Künsten, worunter ich Malerei, Musik, Bildhauerei, Theater und Poesie besonders verstehe, kann ich in so fern wenig berichten, indem hierselbst wenige Personen sich denselben ausschließlich hingeben. Musik hat das gesammte Publikum zur Sommerszeit fast alle Sonntags- und Donnerstags-Nachmittage im Gehege für wenige Groschen, wo die neuesten Compositionen, auch ältere werthvolle Musikstücke vorgetragen werden. In den Herbstmonaten erscheint gewöhnlich die Ballenstädter Hofschauspielgesellschaft, die aber nur mittelmäßig zu nennen ist. Zwar besitzt Nordhausen ein eigenes Theatergebäude im Gasthause "Zum Berliner Hofe", doch sind Decorationen und Zuschauerräume den Anforderungen eines jetzigen Kunstgeschmacks nicht angemessen. Wie ich noch als selbstständiger Buchhändler in Salzungen wirkte, suchte ich aus besonderer Vorliebe für Nordhausen immer in reger Geschäftsverbindung mit den hiesigen Herren Buchhändlern zu bleiben und habe daher, trotz mancher Hindernisse, Vieles in meinem Wirkungskreise befördert. Jetzt sind hier drei namhafte Buchhandlungen, die sämmtlich auch einigen Verlag haben und ihre rühmliche Thätigkeit thut den sonderbar Privilegirten Boten der Sondershäusischen Hofbuchhandlung vielen Abbruch. Nur in einer der hiesigen Buchhandlungen erscheint eine Zeitschrift, nämlich "das Nordhäuser Nachrichtsblatt", in welchem, außer Gewerbs- und amtlichen Anzeigen, manche gute Aufsätze zu lesen sind. Politische Zeitungen erscheinen hier nicht. Die periodischen Blätter des Nordhäuser Neuigkeitsboten haben nur eine kurze Zeit existirt. Schade ist es, daß die vom Herrn Dr. Burckhardt redigirte "Politische Zeitung" nach einem halbjährigen Bestehen, wegen Mangel an Abonnenten, nicht fortgesetzt werden konnte.

Ihre Tendenz war rein politisch, der Styl kräftig und klar. Außer: "Fliegenden Blättern des demokratischen Vereins" erscheint noch ein "Nordhäuser Intelligenzblatt", welches sich durch weißes Papier, schönen Druck, Man- nigfaltigkeit der Aufsätze und eine beispiellose Billigkeit auszeichnet und wie es scheint immer mehr Verbreitung findet. Gelesen werden hier, was sich von den intelligenten Gesinnungen des gebildeten Publikums erwarten läßt, vielerlei politische Zeitungen, vornämlich "Die preußische Staatszeitung", die Magdeburger- und Weserzeitung und namentlich der Teutsche; merkwürdiger Weise jedoch fast gar keine politischen Zeitungen aus dem südlichen Deutschland. Ein politisches Lesekabinet ist im Gasthofe zum Erbprinzen eingerichtet, bei welchem man sich ohne große Kosten leicht betheiligen kann. Journalzirkel halten alle drei Buchhändler und erfreuen sich dieselben einer regen Theilnahme. Zu einer leichten und angenehmen Unterhaltungslectüre bieten die ansehnliche Leihbibliothek des Herrn Cramer und die des Herrn Antiquar Fischer eine reiche Auswahl.

An gelehrten Männern ist hier keinesweges Mangel, doch nur wenige sind zugleich Schriftsteller. Gegenwärtig sind als Literaten Herr Prediger Baltzer, Herr Dr. Burckhardt, Herr Duval, Herr Professor Dr. Förstemann, Herr C. Kosack, Herr Professor Kützing, Herr Oberlehrer Ritzsche u. A. zu nennen. An humoristischen Werkchen, Aufsätzen und Gedichten haben es die Herren Hallenslebcn und Fischer durchaus nicht fehlen lassen.


7.

Die Schulen und höhern Lehrinstitute mögen auch hier in kurzen Umrissen angedeutet werden. Zu einer öffentlichen Prüfung habe ich leider keine Einladung erlangen können, halte auch übrigens auf Schulprüfungen nicht sonderlich viel, indem bei einem Examen hauptsächlich die Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit der Lehrer hervorleuchten und die wissenschaftlichen Vorträge wochenlang vorher mehr mechanisch eingeübt werden. Aus älterer Zeit besteht das hiesige Gymnasium, an welchem einst der berühmte Kraft Director war. In neuerer Zeit wurde eine höhere Töchterschule und in neuester auch eine Realschule begründet. Der starke Besuch beider Anstalten bezeugt, daß dieselben treffliche Lehrer haben. Wenn eine Realschule hauptsächlich in solchen Gegenständen unterrichtet, welche in das materielle Leben eingreifen, z. B. in der Mathematik, der Naturkunde, Naturlehre, Physik, Technologie, englischen Sprache, Handelsgeographie, im Zeichnen und in der Astronomie, so kann ein starker Besuch nicht fehlen und der Einfluß eines solchen Unterrichts wird auf die Ausbildung der Gewerbe von unberechbarem Erfolge sein und muß zugleich in gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Beziehung den Mittelstand mit höher gebildeten Ständen in nähere und angenehmere Verbindung bringen. Freilich sollten solche Anstalten, wie überhaupt alle Schulen, Gymnasien rc., Staatseigenthum sein, damit auch dem ärmsten Kinde nach seiner Wahl und seinen Fähigkeiten, der Besuch einer jeden Schule frei stehen konnte. Auffallend ist es mir übrigens immer noch, daß man in Realund Bürgerschulen unter der lebendigen Sprache stets nur die französische lehrt, während doch die englische Sprache von ungleich größerem Vortheil für unsere Nachkommen sein wird und muß, indem durch die bedeutenden, ja großartigen Auswanderungen der Deutschen nach Amerika wir immer mehr und mehr in nähere Geschäftsverbindung mit Amerika treten.

Vor dem Töpferthore haben die Volks- und die Realschule sehr anständige und zweckmäßige Lokale und das Gymnasium befindet sich in einem seiner Bestimmung angemessenen Gebäude, einem ehemaligen Kloster, das sehr glücklich und entfernt von dem Geräusch der Welt liegt. Sämmtliche Schulen verwaltet eine besondere städtische Behörde und alle Lehrerstellen, sowie auch Pfarreien werden vom Magistrat besetzt.


8.

An Kirchen fehlt es in Nordhausen nicht und man findet selten eine protestantische Stadt, die, bei gleicher Größe, 5 evangelische Kirchen, 2 evangelische Kapellen, 1 katholische Kirche, 1 freie evangelische Gemeinde und 1 Synagoge aufzuweisen hat, denn selbst Hamburg enthält nur 4 Pfarreien. Es haben daher die Bewohner Nordhausens hinreichende Gelegenheit, ihre Gemüther zur Andacht zu erheben und Predigten zur Erweckung und Stärkung ihres Glaubens zu hören.

Ich habe alle Gotteshäuser und zwar mit Liebe besucht, indem unter den hiesigen achtbaren Predigern wirklich viele gute Kanzelredner sind und der würdig gehaltene Gottesdienst mein empfängliches Gemüth feierlicher stimmte.

Die St. Nikolaikirche möge hier die Gallerie eröffnen; sie liegt am Hauptmarkte, getrennt durch ganz enge Gäßchen vom altehrwürdigen Rathhause und einer Reihe Häuser, ist ohne Thurm und äußerlich von keiner sonderlichen Bauart. Innen ist sie aber hell und freundlich und unter den evangelischen Kirchen der Stadt die schönste. An ihr amtirt ein Prediger, der zugleich die Oberleitung in kirchlichen Angelegenheiten führt. Die Gemeinde dieser Kirche hatte zu ihrem Seelsorger eigentlich den Prediger Baltzer gewählt, dem aber die Bestätigung vom Konsistorium nicht ertheilt wurde. Dadurch nun entstand hier die freie evangelische Gemeinde, indem die Kirchhörigen sich von dem Sprengel der St. Nikolaikirche trennten. Diese Kirche wird sehr wenig besucht und nur einmal fand ich eine zahlreiche Versammlung in ihr, nämlich als im Monate August der Generalsuperintendent Herr Möller aus Magdeburg eine Rede hielt.

Unweit des Pferdemarktes steht die St. Blasiikirche, die zugleich Garnisonkirche ist, ein altes, großes, halb in gothischem Style ausgeführtes Gebäude. Sie steht frei, hat zwei ungleiche Thürme und ist auf einer Seite hin mit schönen Lindenbäumen und einem zierlichen Gärtchen recht anmuthig umgeben. Das Schiff ruht auf ungemein dicken Pfeilern, so wie überhaupt die ganze innere Bauart massiv ist. Einige gut ausgeführte Epitaphien und mehrere ausgezeichnete Gemälde fesseln den Blick des Fremden. Der Geistliche an dieser Kirche ist ein sehr beliebter Prediger und die Versammlung ist stets zahlreich.

In dem am höchsten gelegenen Stadttheile liegt, von einem ummauerten Friedhofe umringt, die St. Petrikirche von ganz gewöhnlicher Bauart mit einem hohen Thurme, der weithin gesehen wird. Auf dem Altan dieses Thurmes hat man eine entzückende Aussicht weit in die Landschaft hinaus bis auf die entfernten Höhen des Eichsfeldes und der Hainleite und nach den nahen Gebirgen des Harzes. Auf diesem Thurme ist eine Schlaguhr und eine geräumige Wohnung für einen Wächter. Das Innere der Kirche ist ganz einfach; nur ein schönes in Holz geschnitztes Crucifix vermag das Auge zu fesseln. Luther hat in dieser Kirche gepredigt und aus hoher Achtung für diesen Glaubenshelden besuchte ich dieserhalb diese Kirche einigemal, fand

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aber nur 18-20 Kirchgänger versammelt, ja einmal waren der Organist, der Kantor, ein alter Mann und ich die einzigen männlichen Zuhörer. Es muß dem sonst sehr braven Geistlichen ein schmerzliches Gefühl sein, daß die Zeitereignisse die Gemeindeglieder so sehr von dem Besuche der Kirche abhalten.

Ebenfalls von einem ummauerten Friedhofe umgeben liegt in einem andern Theile der Stadt auf einem sanft absteigenden Hügel die Frauenberger Kirche, zu einem ehemaligen Kloster gehörig, mit einem kleinen Schieferthurme auf dem Kirchdache. Sie ist in Kreuzesform gebaut, sehr lang aber schmal, ist aber innen recht nett und reinlich. Eine hübsche Kanzel und zierlich ausgeschnitzte Figuren am Altar sind die einfachen Ausschmückungen dieser Kirche. In ihr predigt ein allgemein beliebter Mann von freundlichem Aeußern und gemüthlichem Charakter, der seine Zuhörer zu fesseln weiß. Auf dem Friedhofe dieser Kirche liegt mein Bruder, der Kaufmann Ludwig Bocke, beerdigt. Er starb, kaum verheirathet und nur etwas über ein Jahr hier ansässig, an einer langwierigen Krankheit.

Die schönste und reichste Straße, die Neustädter, gehört zu dem Kirchspiel St. Jacobi, auch Neustädter Kirche genannt. Sonst umgab dieses aus den Steinen der Walkenrieder Klosterkirche sehr einfach gebaute Gotteshaus ein Friedhof, welcher gegenwärtig jedoch nicht mehr als Begräbnißplatz benutzt wird, da derselbe außerhalb der Stadt, vor das Siechenthor, jenseits der Zorgebrücke, zweckmäßig verlegt worden ist. Jetzt ist der Platz um diese Kirche theilweise gepflastert und mit Akazien bepflanzt. Die innere Einrichtung dieser Kirche ist so originell, daß ich mich nicht erinnere, jemals eine solche angetroffen zu haben. Die Malerei ist etwas theaterartig und einem gottesdienstlichen Gebäude durchaus nicht angemessen. Ihr Prediger scheint sehr beliebt zu sein, da ich stets eine zahlreiche Versammlung fand.

Einsam, von einem hügeligen Friedhofe anmuthig umgeben, liegt die Altendörfer Kirche "Zu unsrer lieben Frau", eine kleine gemüthliche Kirche ohne Thurm. Die drei Glocken, die einen harmonischen Klang haben, hängen unter einem kleinen Dache inmitten aufgeworfener Grabeshügel.

Innerhalb der Stadt an der alten festen Mauer entlang, an welcher sich noch aus grauer Zeit ein Wartthurm

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lehnt, der jetzt zu einem Begräbnißgewölbe dient, liegt der größte Garten Gottes, wo Saat zur Ewigkeit reift, mit geschmackvollen Monumenten von Eisen und Alabaster geziert.

Die beiden evangelischen Betsäle werde ich später erwähnen. Die freie evangelische Gemeinde hält ihre kirchlichen Versammlungen in dem großen schönen Saale im Lux'schen Gartengebäude am Eingange des Geheges. Der Gottesdienst dieser Gemeinde, geleitet vom Herrn Prediger Baltzer oder dessen Amtsgehilfen wird sehr zahlreich, und selbst von Landleuten, besucht.

Auf einem sonnigen, schönen freien Platze durch eine Mauer von der geräuschvollen Straße getrennt, beschattet von einigen prächtig belaubten Lindenbäumen, liegt die schönste mit zwei gleichen Thürmen verzierte Kirche, der Dom, schon von der Kaiserin Mathilde gestiftet, dem katholischen Cultus gehörend. Wie aus einem Guß geformt, steht dieses Gebäude da, mit seinen hohen Fenstern und seinen künstlichen Bildhauerarbeiten auf den glatten Mauern. Prächtige Glasmalereien, kunstvolle steinerne Statuen, geschmackvolle Emporkirchen und Stühle verzieren die weiten Hallen dieses Gotteshauses. Nur Schade, daß die Stimme des Predigers durch den Schall so unangenehm gestört wird. Zwei Geistliche versehen den Gottesdienst. Der Kaplan ist ein guter Kanzelredner. Die Gemeinde scheint nicht zahlreich.

Unweit der Hagenstraße gelangt man durch ein schönes Gitterthor auf einen Blumenplatz, auf welchem die neue schön gebaute und von innen sehr angenehm in's Auge fallende würdig decorirte Synagoge steht. Die hiesige jüdische Gemeinde ist zahlreich und größtentheils wohlhabend, doch hält sie keinen Rabbiner, sondern ihr Lehrer leitet den Gottesdienst und ist derselbe ebenfalls ein vorzüglicher Redner. Die Begräbnißstätte der Israeliten liegt außerhalb der Stadt östlich auf einem Hügel unweit des Weges, welcher nach dem Dorfe Bielen führt.

Recht passend darf hier der hiesigen Freimaurerloge Erwähnung geschehen. Wenn gleich die Loge, nahe am Dome gelegen, kein kirchliches Gebäude heißen kann, so hat sie doch den erhabenen Zweck, Gutes zu verbreiten und die Noth unglücklicher Menschen zu lindern, und hat also doch hauptsächlich eine religiöse Bestimmung.

Außer dem Gottesdienst der freien evangelischen und jüdischen Gemeinde sind im Ganzen genommen die Kirchen verhältnißmäßig wenig besucht, eine Beobachtung, die ich, außer Leipzig, in vielen großen Städten wahrgenommen habe, Es liegt dies nicht etwa in einer Nichtachtung, oder Hintanansetzung des Kirchengehens selber, oder etwa gar an einer Lauheit des Glaubens, sondern vielmehr an dem zu großen Drange, selbst des Sonntags zu arbeiten und sich an den wichtigen Angelegenheiten des politischen Lebens im Vaterlande zu betheiligen. Auch mögen wohl hie und da die Geistlichen selber die Ursache davon sein,

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indem sie den gläubigen Sinn und die wahre Andacht nicht eifrig genug anregen, und mehr der Form nach als aus dem Herzen zu ihren Zuhörern sprechen. Schmerz- lich habe ich die größte Zahl der Lehrer mit ihren Schü- lern in den Kirchen vermißt, und müssen wohl nur wich- tige Gründe sie von der Pflicht, dem Gottesdienste re- gelmäßig beizuwohnen, abhalten. Mögen die Lehrer, wel- che ja den wichtigsten Beruf des Lebens haben, ferner nicht mehr am Kirchenbesuch gehindert werden, damit die sorgenden Eltern die Erzieher ihrer Kinder häufiger als bisher in den erbaulichen Versammlungen erblicken.


9.

Kein Anblick macht auf mein Herz einen freudigern und rührendern Eindruck, als der Anblick von Gebäuden, die der Wohlthätigkeit, der Pflege des Alters, der Armuth und dem Siechthum gewidmet sind. Und wie reich haben unsere würdigen Vorfahren durch milde Anstalten die Stadt beglückt, wie bekundet sich in den frommen Stiftungen ihr wahrhaft christlicher Sinn! So Mancher fand in seinem hilflosen Alter, in seinen traurigen Umständen und bei schwindenden Kräften ein ruhiges Asyl im Hospitale. Ja, ein Mensch, der aus Liebe zu Gott und seinen Mitmen- schen nur eine solche segensreiche Stiftung zu bedenken vermochte, der muß schon auf Erden die reinste Freude in seinem Herzen gefühlt haben, er lebte schon im Him- melreich, er ahnte schon die Göttlichkeit in sich. So mögen denn die hiesigen Hospitäler noch vielen Segen und eine feste Beruhigung dem unverschuldet Verarmten, dem hilf- losen Gebrechlichen und dem schwachen Alter gewähren.

Unter den vier Hospitälern: "St. Elisabeth", dem "Kloster", dem "Siechhof" ist das zu St. Martini das reichste, indem es weitläufige Wohnungen und bedeutende Grundstücke hat. Im Siechhofe, welcher außerhalb der Stadt, recht frei und angenehm von Gärten umgeben, an der Zorge liegt, befindet sich eine kleine Krankenanstalt und eine Kapelle, in welcher alle Sonntage Gottesdienst abgehalten wird. Sämmtliche Hospitäler verwaltet der Magistrat.

Obgleich den hiesigen Bedrängten und Hilfsbedürftigen aus den Stiftungen große Unterstützungen zufließen; so hat man doch noch für nöthig gefunden, zur allgemeinen Linderung der Noth eine Almosensammlung einzuführen. Außerdem wird die Barmherzigkeit der Bewohner von auswärtigen Armen, besonders vom Eichsfelde, und von durchgehenden Handwerksburschen sehr in Anspruch genommen. So oft hatte ich Gelegenheit, die ausdauernde Geduld im Spenden zu bewundern und noch heute ist der Wohlthätigkeitssinn ein schöner Zug der hiesigen Bürger. Mancher wird es kaum glaublich finden, daß nur durch die Gaben einzelner Pfennige oder Dreier, wöchentlich an fünfzig Thaler an Bettler gereicht wurden. Wohl sind viele unter den Empfängern, die auch nicht die geringste Gabe verdienen, besonders unter den Handwerksburschen, deren Verhältnisse ich sonst nie kannte, denn es ist oft vorgekommen, daß liederliche Stromer, welche binnen einigen Stunden 10-15 Sgr. und die Taschen voll Brot in der Stadt zusammen gefochten haben, in niedern Kneipen oder auf Dorfschenken Alles sogleich wieder verzehren und durch solches liederliches Benehmen den Stand der Handwerksburschen in Miscredit bringen und dem wirklich braven reisenden Handwerksgesellen schaden; - allein der edle Geber frägt nicht erst, ob der Bittende die Gabe verdient oder nicht. Eine Gabe mit Freundlichkeit dargereicht ist dem Empfänger theurer, als ein größeres Geschenk in Begleitung mit harten Worten oder gar mit Schimpfreden. Man wird mich vielleicht verkennen, daß ich etwas stark die derbe Wahrheit geschildert habe, doch hatte ich dabei bloß die gutgemeinte Absicht, den Blick der edlen Geber von Geschenken zur Linderung der Noth auf wirklich vorhandene Nothstände zu wenden. Ich glaube nicht ohne Erfahrung zu sein, habe stets ein warmes Herz für Unglückliche gehabt, und bin mein ganzes Leben hindurch

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eifrig bemüht gewesen, die wahre Ursache der jetzt in Deutschland überall eingerissenen Verdienstlosigkeit und Armuth zu ergründen und ich habe gefunden, daß das Uebel theils in den politischen Verhältnissen, in den beschränkten Umständen des freien Handels, in den Hindernissen einer freien Niederlassung und den zu wenig materiellen Kenntnissen in den untersten Ständen, theils aber auch in den noch unendlich vielen fast nutzlosen Weideplätzen u. s. w. liegt, die alle cultivirt werden könnten. Doch ist hier der Platz nicht, mich näher und weitläufiger darüber auszudrücken.

Vielmehr wünschte ich einen wohlmeinenden Plan realisirt zu wissen und komme auf die besagte Summe zurück, welche Bettler und Strenzer wöchentlich hier zusammen fechten. Wenn aber in jeder Woche 50 Rthlr. in Pfennigen, und sollte es auch nur die Hälfte dieser Summe sein, zusammen gebracht würden, was könnte damit für eine edle, allgemeines Wohl befördernde Anstalt gestiftet werden, die den jetzigen Bewohnern zum Ruhme, den Nachkommen zum Segen und der Stadt zur schönsten Zierde gereichen würde. Ich meine "die Einrichtung einer allgemeinen Krankenpflege in einem heiter gelegenen Hause mit Garten." Ich selbst würde meinen Beruf, ja selbst mein Leben der Pflege dieser Anstalt widmen, wenn mein Vorschlag Eingang fände. Zwar ist eine kleine Anstalt für Kranke im Siechhofe, doch ist diese der ursprünglichen Stiftung zufolge, nur für hiesige arme Gebrechliche begründet. Wie viele Eltern hiesiger Stadt und Umgegend haben Söhne in weiter Ferne und diese Eltern werden mit mir fühlen, wie tröstend und beruhigend es sein muß, wenn ihre erkrankten Söhne in der Fremde eine liebe Pflege in angemessenen Räumen finden. Wie so viele unter den reisenden Handwerksjünglingen erkranken am kalten Fieber, an erlahmten Gliedern, Brustbeschwerden, trockenem Husten, Reißen in den Gliedern, offenen Wunden, Frostschaden, Ausschlag u. s. w., in Folge einer langen Reise, übeler Witterung, schlechter Getränke und ungewohnten Nachtlagers.

Noch muß ich die geehrten Leser an die täglich wachsende Uebervölkerung und die damit genau zusammenhängende Verdienstlosigkeit, welche auch hier, wie fast in allen deutschen großen Orten herrscht, erinnern. Man hat viel über diesen Gegenstand geschrieben und allerlei Versuche gemacht, dem Uebel zu begegnen und Abhilfe zu treffen, aber die Uebervölkerung mehrte sich und so auch die Zahl der Besitzlosen und Armen,

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Die Auswanderung nach Nord-Amerika, aber im Großen, ist meiner Ansicht und Erfahrung nach, das einzige und wirksamste Mittel, der Uebervölkerung zu wehren, dem Besitzlosen Land und dem Verdienstlosen Arbeit zu verschaffen. Die Folgen dieser Mittel bringen augenblickliche Hilfe, und ich kann dies durch ein Beispiel beweisen. Die Magistratsbehörde in Salzungen bei Eisenach ließ vor einigen Jahren über 100 besitzlose, aber arbeitsfähige, ganz arme Personen nach Nord-Amerika überschiffen, welches der Stadt ohngefähr gegen 10,000 Fl. rh. kostete. Aus eigenen Mitteln reiseten aus Stadt und Umgegend ebenfalls über 100 Personen, die jedoch nicht ohne Vermögen waren, mit nach Amerika. Augenblicklich fühlte man, daß die übrigen Armen mehr Verdienst fanden und daß mehr Raum wurde, sich etwas Land anzukaufen. Im vorigen Jahre wanderten über 700 Personen aus Annaberg in Sachsen unter Leitung eines Vereins, welcher in Leipzig zusammengetreten. Aber alle diese Auswanderungen, so wie diejenigen, welche die Texas- und Mosquito-Vereine leiten, stehen zu einzeln da, als daß dieselben sowohl für die Auswanderer, als auch für das Mutterland von großem Nutzen sein könnten.

Ein allgemeiner deutscher Verein, in Besitz einiger Millionen Thaler und unter dem kräftigen Schutze der deutschen Fürsten, müßte eine Auswanderung von ohngefähr 5 bis 600,000 verdienstloser, besitzloser, aber arbeitsfähiger Personen leiten. In den ungeheuren weiten Länderstreken des Wiscontistaates, am Ohio, Missouri oder Mississippiflüsse, die noch in der üppigsten Fülle des Naturzustandes liegen, sollte dann der allgemeine deutsche Verein einige 1000 □Meilen acquiriren, mehrere Dörfer und Städte anlegen, aber die Kolonie im steten und innigen Verbande mit dem deutschen Mutterlande erhalten. Auch aus Nordhausen sind viele Bürger oder deren Söhne nach Nord-Amerika ausgewandert, ein Beweis, daß ein Mangel an Verdienst und Arbeit auch hier einzutreten anfängt, daher habe ich blos meine Ansicht leichthin angedeutet und der Leser wird mir diese Episode meines guten Willens und der Wichtigkeit des Gegenstandes wegen gern verzeihen.


10.

Die Wohlthätigkeitsanstalten für Erwachsene glaube ich alle erwähnt zu haben und gehe nun zu denen der Kinder über. Seit einigen Jahren wirkt recht wohlthätig ein Frauenverein, der für dauerhafte und warme Kleidung armer Kinder sorgt. Der Kleinkinderbewahranstalt habe ich schon bei der Einleitung zu diesen flüchtigen Skizzen gedacht und muß die wohlüberlegten Anordnungen dieser freundlichen Stiftung als höchst lobenswerth anerkennen. Ohne Unterschied können hier täglich, des Sonntags ausgenommen, Kinder vom zweiten bis zum sechsten Jahre Aufnahme, Pflege und Speise finden; und Anweisung in leichten Arbeiten und Spielen erhalten. Die Mädchen werden vorzugsweise im Stricken freundlich unterrichtet und sämmtliche Kleine lernen leichte Gedichte und kurze Gebete. Beim Eintritt empfängt jedes Kind einen blauen Ueberwurf und beim Essen ein Vortuch. Die Kosten dieses Instituts bestreitet eine geschlossene Gesellschaft, wovon ein Ausschuß die Direction übernimmt und die specielle Aufsicht leitet.

Eine der erhabensten Stiftungen ist das Waisenhaus. Der Gründer dieser Anstalt muß wie ich, der selbst seit seiner frühesten Jugend eine elternlose Waise war, tief gefühlt haben, wie verlassen solche Kinder, die nie den süßen Namen Vater oder Mutter über die Lippen gebracht haben, in der großen schönen Schöpfung da stehen. Ach! wie oft habe ich als Knabe meine Gespielen beneidet, wenn sie heim zu Vater und Mutter eilen konnten oder wenn sie mir von ihren Eltern so viel Liebes und Gutes erzählten. Diese kostbare Freude, theure Eltern lange zu besitzen oder sie einst im Alter liebreich verpflegen zu können, habe ich nie gekannt und nie gefühlt. – Mit solchen Gedanken betrat ich, einige Kleinigkeiten zum Geschenke für die Waisen unter dem Arm, das hiesige Waisenhaus. Ein Schwarm lärmender und fröhlicher Kinder sprang wohlgemuth im Hofe umher und ich mußte erst abwarten, bis sich die harmlose Kindermenge verlaufen hatte. Einige Waisenkinder, die ich bat, mich zum Waisenvater zu führen, wiesen mir eine Thür, wo er zu suchen sei. Wohl hätte ich erwarten dürfen, daß mich die Waisen mit Artigkeit und Freundlichkeit begleitet hätten. Ein Mann militärischen Schrittes, mit einem Ehrenzeichen auf

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der Brust und einem wohlgepflegten Schnurrbarte versehen, producirte sich mir als Waisenvater. Nachdem ich den Wunsch geäußert, das Waisenhaus und seine Einrichtung zu besichtigen und meine für die Waisen mitgebrachten Sachen abgegeben hatte, wurde ich polizeimäßig nach Namen, Stand u. s. w. gefragt. Eine solche Begegnung hatte ich nicht erwartet und kann ich nicht bergen, daß ich mich durch dieselbe unangenehm berührt fühlte. Im Laufe des Gespräches ergab es sich, daß der Herr Waisenvater auch Feldzüge mitgemacht habe und Lieutenant sei. Die Kinder mögen allerdings von diesem militärisch gebildeten Manne mit Fleiß zur Ordnung und Reinlichkeit angehalten werden, denn sie schienen mir, die Wahrheit zu gestehen, von Gesundheit zu strotzen; die Knaben haben aber offenbar zu wenig Beschäftigung, da ihnen weder Garten- noch Feldarbeit angewiesen werden kann. Bei aller Achtung, die ich für den Herrn Lieutenant habe, ist, nach meinen Begriffen, den Kindern gegenüber, sein Aeußeres zu vornehm. – Zur schönen Jahreszeit ist in dem Betsaale des Waisenhauses jeden Sonntag Nachmittag von 4 - 5 Uhr Gottesdienst, welchen die Prediger der Stadt der Reihe nach versehen.


11.

Sonstige Vereine, zu nützlichen Zwecken sowohl, als zur geistigen und körperlichen Erholung und zum Vergnügen, sind hier viele und mannigfache errichtet worden und zeigen dieselben von einer hohen Bildungsstufe, einer humanen Denkungsart und einer großen Intelligenz. Freilich sind geschlossene Gesellschaften, die nicht das allgemeine Wohl, sondern nur ein Sonderinteresse im Auge haben, mehr ein Rück- als ein Fortschritt zu nennen und hemmen nicht nur die allgemeine Geselligkeit, sondern auch das allmählige Verschmelzen der verschiedenartigen Stände in einander; bei wissenschaftlichen Vereinen hingegen, die mehr die allgemeine Wohlfahrt bezwecken wollen, können solche geschlossene Gesellschaften nur rühmenswerth heißen, und wir nennen als solche: das Lesekabinet, den landwirthschaftlichen Verein, die Gesangvereine, den demokratischen Verein, den Gesellenbildungsverein; – ferner den Verschönerungsverein, Turnerverein, die Schützengesellschaft, den Leichenbestattungsverein und einige Badeanstalten.

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Gesellige und angenehme Unterhaltung findet man in mehreren comfortabel eingerichteten Bierlokalen und außerhalb der Stadt, in den Kegel'schen und Lux'schen Gärten; in dem Schießhause; auf dem Hammer und in dem Weinberge; so wie in den Gasthäusern der benachbarten Dörfer Crimderode, Petersdorf, Sundhausen und Salza. Das schönste, einladendste Etablissement der Umgegend ist jedoch der "Zoll bei Niedersachswerfen", im breiten Zorgethale, wenige Schritte vom malerisch geformten Kohnstein gelegen, mit guter Gastwirthschaft und allerliebstem Garten.

Ein Spaziergang um die Stadt gewährt die mannichfachsten Genüsse und die angenehmste Erholung für den Bürger, dem eine solche körperliche Bewegung eine Pflicht mehr ist, seine Gesundheit zu erhalten und zu erfrischen. Die Anlagen werden von Jahr zu Jahr bedeutend verschönert und wenn auch Nordhausen hierin den Nachbarstädten Sondershausen und Mühlhausen nicht gleich zu stellen ist, so hat die Stadt doch eine größere Abwechselung und freiere Aussicht voraus. Wie Sondershausen sein Loh besitzt, wo im Frühjahr immerwährend die Nachtigallen schlagen, so hat Nordhausen sein Gehege, in dessen schattigen labyrinthischen Gängen man mit Vergnügen wandelt, und für die geschmackvollen Anlagen dem Verschönerungsvereine von Herzen dankt. Diese schöne Waldung ist um so mehr ein kostbares Kleinod, indem man so nahe bei der Stadt in der frischesten Waldeskühle auf bequemen Wegen lustwandeln kann. Am Abhange des Geheges ist eine schöne fast gerade Kastanienallee. Malerisch und überaus reizend ist der Anblick dieser Allee, wenn man aus dem Altendorfer Thore in's Freie tritt, wo die mit frischem Grün geschmückten Kalkfelsen des Kohnsteins und die waldigen Höhen des Harzes den Hintergrund bilden. Es ist übrigens recht sehr zu beklagen, daß die Wege nicht fester planirt sind, denn bei einigermaßen nasser Witterung sind alle Fußsteige gar sehr schmutzig. Wie leicht aber könnte diesem Uebel abgeholfen werden, da das geeignetste Material genugsam in der Nähe vorhanden ist und Sand, Schlacken, Schieferbruchsteine und Flußkiesel eine solche Festigkeit geben, daß auch die stärkste Feuchtigkeit nicht einzudringen vermag. Haufen von Schieferstücken liegen auf den Feldern der Buchholzer Flur und die Besitzer würden ihre Felder gewiß gern räumen, wenn man nur die Schiefern wegholen wollte.


12.

Die vielen Angestellten bei den vier hier befindlichen königlichen Behörden, so wie eine stete Garnison, bisher einige Compagnien der 4ten Jäger-Abtheilung, verschaffen den Bewohnern viel Verdienst und Nahrung, ebenso der zahlreiche Besuch der Schulen und der Aufenthalt der vielen Durchreisenden. Während ich diese Zeilen niederschreibe, wimmelt die Stadt von verschiedenen Truppenmassen, von Infanterie von der Linie und von der Landwehr, von Husaren und Kürassieren, von Artillerie zu Pferd und zu Fuß und mitunter eilt, wie verloren, noch ein zurückgebliebener Jäger durch die Straßen. Am 11. December hielten auf dem großen weiten, aber wüsten Exercierplatze diese sämmtlichen Truppen Uebungen, denen zuzusehen mir eben so interessant, wie neu war. Das Militär ist von den Bürgern stets gut und freundlich behandelt worden und nie hat man von Excessen zwischen Bürgern und Militär gehört. Auch unsere Nachbarstädte Stolberg, Benneckenstein und Sondershausen haben bedeutende Einquartirungen gehabt. Unter der reußischen Garnison in Sondershausen fand ich noch Manchen, den ich aus den Zeiten meines frühern mehrmaligen Aufenthalts in dem Fürstenthum Reuß-Ebersdorf, wohin ich wegen Vormundschaftsangelegenheiten reisen mußte, indem mein Vater als reußischer Pachtinhaber zu Gleina verstorben war, recht gut kannte. Hier in Sondershausen erfuhr ich nun mit Bestimmtheit, daß der thätige und liebenswürdige Regent Heinrich LXXII., souverainer Fürst j. L. die Regierung an den Durchlauchtigsten Herrn Heinrich LXII., Fürsten Reuß zu Schleiz, abgetreten habe. Der Fürst von Reuß-Ebersdorf kann die Beruhigung mit sich nehmen, mit der unermüdlichsten Thätigkeit und mit den edelsten Gesinnungen und Aufopferungen das wirkliche Wohl seiner ihm stammverwandten Unterthanen befördert zu haben. Ich selbst kann viele seiner Wohlthaten rühmen; als Erlasse von Steuern und Geldstrafen, Geschenke von vielen tausend Klaftern Holz für Hilfsbedürftige und Verringerung der Abgaben. In seinem Fürstenthum entrichtete man, wie im Großherzogthum Oldenburg, die wenigsten Abgaben und doch konnte man diesen edlen Fürst mit Undank lohnen und seine Handlungsweise in Zeitungen auf gehässige Art entstellen. Was hat dieser gute Fürst nur allein Gutes und Herrliches in Bezug auf Verschönerungen und Neubauten einer großen Anzahl von Kirchen und Schulen aus seinen eigenen Mitteln gethan? Wie groß und schnell war seine Hilfe bei den furchtbaren Bränden zu Schleiz und Hirschberg und bei dem Hagelschlage des Ortes Remptendorf? Und sollte dieses hochsinnige fürstliche Herz eines segnenden Andenkens nicht werth sein?

Doch wieder zu Nordhausen zurück! Die städtische Verwaltung ist musterhaft, wie überhaupt jetzt in allen Orten das Gemeindewesen sich sehr vervollkommnet hat. Hier ist in einigen Zweigen die Administration um so schwieriger, weil bei dem bergigten Terrain der Stadt viel Hindernisse zu beseitigen sind. Eigentlich städtische Gebäude besitzt Nordhausen wenig, nur das Rathhaus, Brauhaus, eine Apotheke, das Barfüßerchor, sämmtliche Schulen, einige Mühlen und die Thorhäuser, welche aber von königlichen Beamten besetzt sind, können als solche genannt werden.

Eine alterthümliche Merkwürdigkeit der Stadt ist die am Rathhause befindliche Rolandssäule (Rügelandssäule) als Wahrzeichen der hohen Gerichtsbarkeit, der Reichsunmittelbarkeit. Lustige Buben zwingen den Roland dem Zeitgeiste zu huldigen, und stecken ihm daher von Zeit zu Zeit eine weggeworfene Cigarre in den Mund.

Von alterthümlichen Gebäuden aus der Zeit der ehemaligen freien Reichsunmittelbarkeit ist, außer den Kirchen, Hospitälern und einigen Wartthürmen an den noch rings um die Stadt sichtbaren doppelten Mauern, nur noch das Barfüßer-Thor übrig. Vor einigen Jahren bestand noch das feste Töpfer-Doppel-Thor von imposantem Ansehen mit colossalen Thürmen, tiefen Zwingern und vielen Steinhauerarbeiten. Dasselbe hat zweckmäßigern Gebäuden und einem freien mit Blumenbosquets versehenen Raume Platz machen müssen, der zugleich den schönsten Eingang in die Stadt bildet und den heitersten Eindruck hervorruft.

Eigentliche Volksfeste sind außer dem großen achttägigen Jahrmärkte im Frühjahr und Herbst und dem Schützenfeste, welches jedoch nur von einer geschlossenen Gesellschaft abgehalten wird, nur der Martinsabend. Dieses Fest, bei welchem namentlich bunte Lichter nicht fehlen dürfen, feiert die ganze Stadt, dem großen Reformator zu Ehren, in Saus und Braus, und zwar jeder Hausvater mit seinen sämmtlichen Hausgenossen und Gästen, ganz vergnügt zu Hause. Vorher wird, und zwar Abends gegen 5 Uhr, am Rathhause das kräftige Lutherlied abgesungen und sodann mit allen Glocken geläutet. Den andern Tag nachher, den 11. November, feiert die katholische Gemeinde das St. Martinsfest in seiner ursprünglichen Weise. Der Bischof St. Martin war der Schutzheilige eines Theiles des Thüringer Landes, besonders der Städte Erfurt und Stolberg, wo man ihm zu Ehren Kirchen und Altäre widmete. Wie das Fest sich nach Nordhausen übersiedelte, bleibt hier unerörtert.

Nur noch wenige Worte über den Charakter der Bewohner im Allgemeinen. Der Nordhäuser ist, wie schon oben erwähnt worden, wohlthätig, daher edlen Sinnes, bieder, gemüthlich, wenn auch nicht so lebenslustig, wie unser Nachbar, der Sondershäuser. Er vermeidet gern Alles, was Aufsehen erregen könnte, ist treu und rechtlich in Handel und Wandel, und übt die edelste Tugend der Deutschen, die Gastfreundschaft gegen seine Geschäftsfreunde.

Es giebt hier eine Menge Justizcommissäre. Ein preußischer Justizcommissar hat vielmehr Amtsbefugnisse und einen größern Wirkungskreis, als die Advokaten bei uns in den sächsischen Fürstenthümern. Ohne einen Justizcommissar kann bei den Gerichten keine Klage, selbst nicht die geringste Kleinigkeit eingereicht werden, während bei uns ohne Advokaten unsere Angelegenheiten vom Richter schriftlich oder mündlich ohne besondere Form angenommen werden. Durch die Justizcommissäre werden aber die Geschäfte im Gerichte erleichtert, nur scheint mir diese Art etwas kostspielig, zumal jede Eingabe an das Gericht, so wie Verkaufsacten u. dergl. in Stempelpapier eingehüllt werden müssen. Ich kenne das preußische Justizwesen gar nicht, habe auch wenig darüber erfahren können, obgleich mein Bruder (der O.-L.-G.-Assessor Julius Bocke in Magdeburg) und mein Schwager (der L.- und St.-G.-Rath Bech in Cölleda) preußische Beamte sind. Wenn man übrigens die ungeheure Menge von Gesetzen, Verordnungen, amtlichen Bekanntmachungen, Edicten, Cabinetsbefehlen, polizeilichen Vorschriften bedenkt und wiederum die vielen Gesetzaufhebungen in's Auge faßt, so muß man gestehen, daß es eine Unmöglichkeit ist, dieses Alles auswendig zu lernen, und daß daher in dieser Hinsicht die Justizcommissäre unentbehrlich sind. Wie sind aber hiergegen z. B. im Fürstenthum Reuß j. L. die Gesetzsammlungen so einfach. – Nirgends auch habe ich hier von einem Friedensrichter vernommen, der die streitenden Parteien zu versöhnen sich bemühete. Als einst im Lux'schen Saale Einiges über Preußisches Gerichtsverfahren vorgetragen wurde, hörte ich mit Aufmerksamkeit zu, und habe ich recht gehört, so kommt bei Berichten, Untersuchungen u. dergl. viel auf die Einsicht, den Scharfsinn und das edle Herz eines Einzelrichters an. In eben dieser Versammlung mußte ich hören, daß zwei Bürger, politischer Aeußerungen wegen, in ordinären Gefängnissen, gleich Mördern und Dieben, eingekerkert seien; fernerhin wurde ein Untersuchungs-Bericht eines Naumburgers, der, wegen politischer Handlungen verdächtigt, verhaftet gewesen war, vorgelesen und man mußte unwillkührlich schaudern, als man die schrecklichen Worte vernahm, daß von zwei preußischen adeligen Justizbeamten dem Inquirenten der Wunsch geäußert worden, denselben mit der Folter gequält zu wissen.– Klingen solche Aeußerungen in unserer Zeit nicht fabelhaft? Das Schreckliche, was ich gehört und die Hitze, welche im Saale herrschte, hatten mein Gemüth furchtbar aufgeregt. Ich eilte in's Freie, den Weg hinter dem Lux'schen Garten entlang bis an einen steinernen Tisch. Da lag die friedliche Stadt im Silberglanze der Vollmonds beleuchtung vor mir, unten im Thale wallten Nebel auf und nieder und über mir schimmerten unzählige Sterne am Firmament und frische Luft durchströmte meine Brust. O um wie Vieles herrlicher war das Verweilen an diesem Plätzchen unter Gottes freiem Himmel, als das vor wenigen Minuten im Lux'schen Saale. Dort hörte ich nur Schreckliches und die Gedanken, daß die Menschen (die edelsten Geschöpfe Gottes) sich selber unter einander Plagen, verstimmte mein Gemüth, – hier die Betrachtung der Natur in einer sternenhellen Nacht war nur allein vermögend, mir wieder neuen Lebensmuth zu geben. Ich fand nur Trost und Erquickung in dem Gebet, daß Gott das edle Herz des Königs zur Gnade und Barmherzigkeit gegen alle politischen Gefangenen lenken, daß der erhabene König uns durch Frieden, Freude geben, uns vom Anblick der vielen Waffen befreien und dem Lande recht viele – der Leser wird wohl über die Kindlichkeit meiner Gesinnungen lächeln, – Friedensrichter schenken möge! Gebet und die reine Luft hatten mein Herz erleichtert, die Luft, welche wir Himmel nennen und die dennoch so schwer ist, unzählige Welten in ihrem unermeßlichen Raume in Schwingungen zu erhalten.


13.

Jeder Mensch, wenn er nicht ganz stumpf für die Schönheiten der Natur und Kunst ist, hat irgend eine Vorliebe oder Neigung, welche nur allzu oft in Leidenschaft ausartet. Da liebt Einer das mechanische Kartenund Würfelspiel; ein Anderer das im Denken übende Schach oder Damenbrettspiel, das Theater, die Jagd, die Musik, das Tanzen; wieder Andere halten sich gern Pferde, Hunde und Tauben; Viele wieder die schönsten Zierden der Natur, Blumen, und die muntersten Thierchen der Welt, die gefiederten Sänger. Man gönne daher jedem Menschen seine Art sich zu erholen, zu vergnügen und sich an seinen Lieblingsgegenständen zu ergötzen, denn ein Jeder reitet sein Steckenpferd. Nur die Trunksucht kann ich nicht zu diesen hier erwähnten Neigungen rechnen, da diese Schmach und Elend mit sich führt, doch müssen wir auch im Trunkenbold den Menschen lieben, nur seine Fehler hassen und ihn mit Liebe auf andere Wege zu leiten suchen.

Aber unter allen Erholungen und Vergnügungen, die der Mensch sich erlauben darf und die zugleich eine dauernde und angenehme Rückerinnerung gewähren, sind die reinsten die Wanderungen in der Natur. Kann man Landpartien oder kleine Reisen in Gesellschaft seiner Familie oder mit lieben Freunden unternehmen, so bieten dieselben größeren Reiz, indem gegenseitige Mittheilungen den Genuß erhöhen. Nur der gebildete und edle Mensch vermag allein wohl mit Genuß kleine Wanderungen zu unternehmen, weil er in sich selbst einen Freund und Kenntnisse und Gefühl genug hat, um jedes Schöne auszufinden. Es mögen nun die herrlichen Umgebungen Nordhausens, die so mannigfach und so lieblich ganz in der Nähe liegen, in kurzgefaßten Schilderungen angedeutet werden und Manchem ein Fingerzeig sein, sich, gleich mir, Gesundheit, heiteren Muth, ein dankerfülltes Herz gegen Gott und ein harmloses Vergnügen zu verschaffen. Nicht nach einer systematischen Ordnung beschreibe ich die nahen und fernen Landschaften, sondern wie ich solche durchwandert habe und wie es der Harz mit seinen regellosen Bergzügen und Thälern bedingt.


14.

Kann ich wohl Worte genug finden, meine Empfindungen Andern schriftlich mitzutheilen? – Empfindungen, die das bebende Herz vor Wonne und Wehmuth zu sprengen drohen? - Wie soll ich die Gefühle schildern, mit welchen Worten meine Freude ausdrücken, die mich erfüllte, als ich nach einem Zeitraume von zwanzig Jahren den Ort meiner Schul- und Lehrzeit wieder erblickte. Sondershausen nämlich mit seinen jovialen Bewohnern, wo ich mit so vieler Liebe erzogen wurde, wo ich Freunde mit so viel Treue erhielt? Noch leben die meisten meiner Lehrer, jedoch zerstreut wohnend, in Folge ihrer Versetzungen. Zweien meiner Lehrer, wovon der eine schon längst, der andere erst vor einem Jahre, diese Welt mit einer andern bessern vertauschte, widme ich in diesen Blättern eine ehrende Erinnerung. Obgleich sie nicht tiefe Wissenschaften, sondern nur untergeordnete Unterrichtsgegenstände lehrten, hatten doch beide durch ihre Zuneigung zu mir einen entscheidenden Einfluß auf meine Lebensrichtung.

Herr Graf, ein geborner Elsasser, erhielt durch seine Kenntniß der französischen Sprache und wegen seiner Geschicklichkeit im Zeichnen und Malen eine Lehrerstelle am Böse'schen Institut, wurde auch später Lehrer der beiden Prinzen, Söhnen des jetzigen reg. Fürsten. Seine Enkel Wilhelm und Ida Aßmann, Kinder der fürstlichen Hofschauspielerin, Madame Aßmann, wurden meine innigsten Freunde, die ich auch auf meinen Lebenswegen stets bewährt und treu gefunden habe. Wir trafen uns später- hin in Altenburg und Leipzig wieder, und kann ich es der mütterlichen Fürsorge der Madame Aßmann nicht genug danken, daß sie mich, den damals achtzehnjährigen Jüngling, um den sich Niemand sehr kümmerte, während meines zweijährigen Aufenthaltes in Altenburg anhielt, meinem Berufe treu und gewissenhaft nachzustreben und fleißig den Gottesdienst zu besuchen, was ich auch that und den erhebenden Genuß hatte, die berühmtesten Prediger jener Zeit zu hören, als den Schloßprediger Sachse, den Stiftsprediger Franke und den Superintendenten Großmann. Durch dieses aufmerksame Achthaben der Madame Aßmann, der Mutter meiner Freunde, wurde ich von rauschenden Zerstreuungen des Weltlebens abgehalten und an häusliche Ordnung gewöhnt, auch ersparte ich nicht allein durch dieses Verfahren während der Zeit meines Aufenthaltes in Altenburg nahe an 200 Rthlr., sondern ich lernte auch die edlern Genüsse einer gebildeten Unterhaltung kennen, welche ich in den Abendzirkeln dieser edlen Dame fand. Durch diese Familie blieb ich auch in immerwährender schriftlicher Verbindung mit meinem Lehrer Herrn Graf.

Zugleich will ich aber beweisen, wie viele treffliche, edle Menschen es auch unter dem noch so häufig schief beurtheilten Stande der Schauspieler giebt.

Auch dem zweiten Lehrer, Herrn Casorti, von dem ich in der italienischen Sprache und im Tanzen unterrichtet wurde, widme ich einige Zeilen zum Andenken. Se. Durchlaucht hatten Herrn Casorti und seine Gesellschaft auf ein Jahr engagirt, und daher von Nordhausen nach Sondershausen berufen. Oefters hatte mich Herr Casorti nach Nordhausen mitgenommen, wo er und seine Familie dem katholischen Gottesdienst beiwohnten. Einst stellte ich ihm die Frage, wie man sich die Dreieinigkeit Gottes in einer Person am wahrhaftigsten denken könnte? Da erhielt ich die mir unvergeßliche Antwort: Denke Dir, mein Kind, Gott den Vater über Dir, Jesum den Sohn Gottes in Dir, und Gott den heiligen Geist für Dich! – Kann wohl der würdigste Prediger eine trefflichere Definition geben, als dieser Seiltänzer? – Die Familie Casorti fand ihren Tod in den Fluthen der Ostsee, als sie auf einem Schiffe von Kopenhagen nach Stockholm reisen wollte.

Als Literaten haben sich von meinen Lehrern folgende hervorgethan: Herr Educationsrath Böse, jetzt Pfarrer in Klingen; Hr. Rector Trautwein in Frankenhausen; Hr. Regierungsrath Weise in Merseburg und Herr Director Hoffmann in Naumburg.


15.

Sonst bestand die Verbindung zwischen den Nachbarstädten Sondershausen und Nordhausen nur in Feldwegen, so wie es überhaupt im Fürstenthum Sondershausen zu meiner Zeit gar keine Chausseen gab. Jetzt führen von Sondershausen chaussirte Verbindungswege nach Nordhausen, Frankenhausen, Greussen und zum Theil nach Langensalza. Dennoch ist der Straßenverkehr nicht frequent geworden, denn Sondershausen liegt zu sehr abgesondert. "Abgesondert," da hätten wir ja gleich des Namens Ursprung. Nur der fürstliche Hof, die Landeskollegien und das Militär beleben die Stadt und bringen Verdienst und Wohlhabenheit unter die Bürger.

Die Straße von Nordhausen nach Sondershausen führt auf weiten Umwegen über die Höhe des Scherrenbergs über dem Haidenhause. Meiner Ansicht nach wäre es aber vortheilhafter, zum Theil auch bequemer gewesen, wenn der Straßenzug über das Stolbergische Städtchen Heringen und das Hammethal hätte geleitet werden können, wodurch das Städtchen Heringen an Verkehr gewiß bedeutend gewonnen hätte.

Die Lage des Schlosses und der Stadt Sondershausen im engen Wipperthal, von bewaldeten Höhen umgeben, ist unaussprechlich lieblich und zumal jetzt viel angenehmer geworden durch Anlegung eines vortrefflichen Parkes, welcher aus Schutthaufen, öden Plätzen und morastigen Sümpfen entstanden ist. Se. Durchlaucht haben sich durch Gründung dieses Parkes, der jetzt die schönste Zierde seiner Residenz ist, ein bleibendes Denkmal selbst gesetzt und Tausende von Menschen mögen ihn im Stillen gesegnet haben. Aus allen Anlagen spricht die höchste Kenntniß und der feinste Geschmack in der Gartenkunst und dem Schöpfer dieser Anlagen sollte ein gebührendes Erinnerungszeichen des Dankes aufgestellt werden. Oder verdient ein Gärtner, der durch sein Genie Tausenden von Menschen die reinste Freude bereitet, nicht eher ein Monument, als ein Krieger, der Tausende von Menschen opfern läßt?

Würdig und dem feinen Geschmack der jetzigen Zeit angemessen, läßt Se. Durchlaucht auch sein Schloß herstellen und giebt somit vielen Bewohnern seines Fürstenthums auf mehrere Jahre hinreichenden Verdienst. Die Stadt selbst ist von schlechter Bauart und nur die Neustadt, so wie das Schießhaus mit seinen jungen Anlagen und die Wipperbrücke lassen die Stadt etwas freundlicher erscheinen. Die vom verstorbenen Fürsten errichtete Lohmusik, welche zur Sommerszeit stattfindet, wird auch von dem jetzigen Regenten begünstigt und die fürstliche Hofkapelle dürfte wohl eine der vorzüglichsten in Europa genannt werden. Ebenfalls vom Vater des jetzigen Fürsten wurde das Theater hinter dem Schlosse erbaut. Zu meiner Zeit war eine besondere fürstliche Hoftheatergesellschaft, die durchgehends aus gebildeten und geschickten Künstlern bestand. Fast täglich war Theater und eine Oper, an welcher Se. Durchlaucht Wohlgefallen fand, mußte öfters 4-5mal hinter einander aufgeführt werden. Das mußte freilich die Sänger etwas ermüden, doch der gute Gehalt und der angenehme oder vielmehr fröhliche Aufenthaltsort ließ diese Unannehmlichkeit übersehen. Sämmtliche Schwarzburger Unterthanen hatten freien Zutritt und somit hatte auch ich viele Jahre hindurch die schönsten Genüsse des Lebens dem Fürsten zu verdanken.


16.

Pittoresker, aber auch wahrhaft romantischer, liegt wohl keine Harzstadt, als Stolberg, die Residenz des reg. Grafen von Stolberg-Stolberg. Die Häuser sind zwischen himmelhohen Bergen und ganz versteckt, indem fast jede Straße in einem andern Thale liegt und man also nur Häuser und Wald erblickt. So viel Thäler sich hier vereinigen, eben so viel Bäche fließen hier zusammen, die vereinigt die liebliche Tyra bilden, welche durch eins der schönsten Harzthäler strömt. Stolberg bietet durch seine mannichfachen Naturschönheiten, herrlichen Anlagen, Eigenthümlichkeiten und Merkwürdigkeiten so viel Außerordentliches dar, daß füglich die Stadt einen längern Aufenthalt des Reisenden bedingt, denn von hieraus kann man die Schönheiten prächtiger Harzgegenden mit aller Bequemlichkeit genießen, auch findet man in den guten Gasthöfen für längeres Verweilen ein gutes und billiges Unterkommen. Ohnstreitig hat für den Naturfreund Stolberg in seiner unmittelbaren Nähe mehr anziehende Punkte aufzuweisen, als die größeren Städte Nordhausen und Sondershausen, und war es von jeher mein Wunsch, eine gediegene Geschichte und mit Ansichten der herrlichen Gebirgsform geschmückte Topographie der Grafschaften Stolberg und Hohnstein erscheinen zu sehen. Möchte doch Herr Duval, welcher wie mir bekannt ist, seit vielen Jahren Materialien zu einem solchen Werke gesammelt hat, noch die Archive zu Stolberg benutzen können, um uns ein erschöpfendes Werk über diese herrlichen Gegenden zu liefern.

Eine prächtige fast zierliche Chaussee führt von Nordhausen in vier und einer halben Stunde, durch lauter stolbergisches Gebiet, über die Dorfschaften Petersdorf, Buchholz und Stempeda nach Stolberg. Auf der Anhöhe vor dem Buchholzer Chausseehause hat man einen vollständigen Ueberblick der Vorberge des südlichen Harzes bis in die Gegend des Eichsfeldes. Wie im Abglanze des feurigsten Purpurs erheben sich seitwärts die massenhaften Ruinen des gewaltsam zerstörten Grafenschlosses Hohnstein; weiter in der Ferne erblickt man den Hausberg bei Lauterberg; ganz nahe vor uns, über Feldfluren hin, ragen aus dichtem Grün die Trümmerhaufen und der gewaltige, runde Thurm der Ebersburg hervor; etwas rechts auf freier Waldhöhe liegt das freundliche und weiße stolbergische Jagdschloß Eichenforst. Dieses eben beschriebene Waldpanorama sucht man vergebens in gleicher Pracht am Thüringerwalde, der überhaupt in Bezug auf die Schönheiten der Natur dem Harze nachsteht.

Statt die Chaussee durch Buchholz zu verfolgen, ging ich über eine Feldfläche, auf der eine große Menge Schieferhaufen umherlagen, und dann, das Dorf Hermannsacker rechts liegen lassend, auf einem gebahnten Fußwege fort. Die Burgruinen Ebersburg, auf einem nicht hohen Berge, im engen Thale des Fischbaches gelegen, bildet eine so überaus liebliche Waldlandschaft, daß ich mich jedesmal recht behaglich und glückselig in diesem kleinen Thale befand. Unterhalb der Ruine liegt ein einzelnes Schenkhaus von lebendigen Hecken niedlich umzäunt, nicht weit von diesem Hause ein Teich, die Eckmauer einer Kirchruine, und eine Mühle. Alles liegt in angenehmer Abwechselung zerstreut im Thale entlang und belebt, so wie ein sehr begangener Fußweg, der quer durch dieses Thal führt, diese Waldgegend. Gehet man dem Bache entlang aufwärts, so wird das Thal immer enger und einsamer und bei jedem Schritte wechseln die Formen der waldbewachsenen Höhen wie Coulissen, wo die Ruine bald sichtbar wird, bald verschwindet. Diese Ruhe hier, der beschränkte Himmelsraum, zuweilen von Raubvögeln schweigend durchrauscht, diese kleinen blumigen Wicken vom durchsichtigen Bache murmelnd durchrieselt, das sanfte Gezwitscher der Vögel, stimmen das Gemüth zu der tiefsten Melancholie. Dieses Wässerchen, auch Krebsbach genannt, ist so klar und frisch und ohne alle Beimischung, daß ich diesem Wasser zum Theil meine jetzt wiederhergestellte Gesundheit zu verdanken habe.

Die Ruine Ebersburg nebst einer großen dicht bestandenen Waldung mit dem Dorfe Hermannsacker bildet eine Herrschaft, welche, so wie das zwei Stunden entfernte Dorf Breitenstein, ein besonderes Amt ausmacht, dem reg. Grafen von Stolberg-Roßla gehört und vom gräfl. Landgerichte zu Roßla verwaltet wird. – Nach einigen hundert Schritten, immer am Ufer des Baches hinab, erreicht man bei einer steinernen Brücke die Chaussee wieder. Hier am Ausgange eines kleinen Gehölzes öffnet sich dem Blicke ein herrliches Landschaftsbild, wo inmitten einer Thalweitung das zierliche Landhaus zu Rottleberode, von weitläufigen englischen Gartenanlagen umgeben, blendend weiß durch das dunkle Grün üppiger Erlen hervorschaut. Ein großer Teich, theils zur Zierde, theils von großem und vielfachem Nutzen, erhöhet die Anmuth der Landschaft. Sehenswerth ist das großartige Eisenhüttenwerk Josephshütte, zu dessen Besichtigung man die Erlaubniß nachsuchen muß.

Eine Allee von schlanken eng aneinander gepflanzten Pappeln zieht sich quer durch das Thal bis an das schöne gräfl. Chausseehaus, wo sich die Straße nach Stolberg und nach Roßla theilt. Das Chausseehaus, brillant mit dem gräfl. Wappen verziert, ist zugleich ein Gasthaus, wo sich öfters die Gebildeten der ganzen Umgegend fröhlich versammeln. Vor dem Gast- und Chausseehause ist ein großer Halbkreis, von Buschwerk umgeben und mit Bänken besetzt. Ein künstlich von Holz gefertigter und mit den stolbergischen Landesfarben, schwarz und gelb, angestrichener Wegweiser, kündigt dem Reisenden den rechten Weg.

Die Straße nach Stolberg führt durch das reizende Waldthal der Tyra; Fußgänger können, den herrschaftlichen Weg am rechten Ufer des Baches verfolgen, welcher abwechselnder ist, indem hier die Ansicht der verschiedenen Mühlen, Hammerwerke und anderer einzelnen Gebäude durch Bäume nicht gehindert wird. Alles ist so schmuck und so fürstlich angelegt, daß die ganze Grafschaft ein großer Garten zu sein scheint. Man muß den feinen Geschmack und den außerordentlichen Kunstsinn des höchstseligen reg. Herrn Grafen Joseph von Stolberg-Stolberg rühmen, daß er mit solcher Liebe und Ausdauer so schöne und zweckmäßige Bauten und Chausseen herrichten ließ, welche besonders den Bewohnern Stolbergs Nahrung und Vergnügen verschaffen. Daher sei Seiner auch in diesen Blättern freundlich und dankbar gedacht! –

Stolbergs Lage ist bereits beschrieben, den schönsten Anblick aber über Schloß und Stadt gewährt die Stellung, wenige Schritte unterhalb der gräfl. Domaine Hainfeld. Blendend weiß, mit dunkelblauen Schieferdächern und vergoldeten Kuppeln strahlt die gräfl. Residenz auf einer mäßigen Höhe hervor, im Hintergrunde von schön belaubten hohen Waldbergen umkränzt. Tief aus dem Thale ragen die Thürme und Häuser der Stadt empor. Die Stadt hat ziemlich regelmäßige, gut gepflasterte lange Straßen mit zum Theil ansehnlichen Häusern besetzt, worunter man an vielen alten Häusern die Holzschnitzerei bewundert; aber überall ragen die grünen Berge in die Stadt hinein. Für den Fremden ist allerdings das Schloß das Sehenswertheste, zu welchem man auf verschiedenen gebahnten Wegen hinaufsteigt. Die Aussicht vom Schlosse ist zwar sehr beschränkt, aber der Blick in die grünen Waldesthäler hinab und auf die Häusermasse der Stadt ist sehr anziehend. Rings um das Schloß, das sehr weitläufige und viele Gebäude enthält, ziehen sich in mannichfachen Krümmungen, hinauf und hinab, terrassenförmig, englische Parkanlagen, die zum Spazierengehen freundlich einladen. Im Schlosse selbst zeigt ein Kastellan den Fremden die allerliebste Schloßkirche, die prachtvollen Zimmer, die auserlesene Bibliothek nebst andern Sehenswürdigkeiten. Etwas bergab liegen noch andere gräfl. Häuser und die sehr große schöne Stadtkirche mit herrlichem Glockengeläute und zwei Kanzeln, auf deren einer Dr. Luther gepredigt hat. Neben dieser Kirche steht in alterthümlicher Bauart die St. Martinskapelle. In der Stadt möchten das hohe gräfl. Justizcanzleigebäude, das Waisenhaus und das Hospital zu besichtigen sein. Im Laufe des nächsten Sommers wird auf dem Hospitalplatze eine neue Kirche erbauet, welche eine Zierde der Stadt werden wird, da man von dem gräfl. Baurath nur etwas Schönes erwarten darf. Am Ausgange der Stadt stehet das schöne Schießhaus mit kunstvollen Alleen und Anlagen. Der jetzige reg. Herr Graf ist ein noch ganz junger Mann, erst in diesem Jahre mit Ihrer Durchlaucht, der liebenswürdigen Prinzessin Auguste von Waldeck vermählt, zur Freude des ganzen Landes, welche sich bei dem Einzug in die Residenz so innig ausgesprochen hat. Möge dieses hohe Paar recht lange die Bewohner Ihrer Grafschaft beglücken, wie es alle Grafen aus dem uralten Stolberger Hause immer gethan haben. – Ueberhaupt sind die Grafschaften Stolberg nicht so klein an Umfang und wohl größer und wichtiger, als manches souveraine Fürstenthum. Außerdem besitzen die Grafen von Stolberg viele und ansehnliche Herrschaften im Großherzogthum Hessen, in Schlesien, am Thüringerwald und in Holstein.

Sr. Erlaucht der reg. Graf zu Stolberg-Stolberg besitzen im Zusammenhange liegend drei Aemter, als: Stolberg und Heringen unter preußischer und das Amt Neustadt unter dem Hohnstein unter hannöverscher Hoheit. Sämmtliche Amtsorte, so wie andere stolbergische Städte sind durch Chausseen mit der Residenz verbunden. Man sagt, Sr. Erlaucht würde die Justizverwaltung an den Staat abtreten, es wäre aber nur zu beklagen, wenn man sich einer Hoheitsberechtigung freiwillig begäbe, die über ein Jahrtausend das allehrwürdige Grafenhaus unangetastet ausgeübt hat und unter deren schirmendem Schutze sich die dem gräfl. Hause angestammten Unterthanen so glücklich gefühlt haben. Noch nie ist die Liebe und treue Anhänglichkeit sämmtlicher Stolberger gegen ihren Regenten erkaltet gewesen, so wie ich überhaupt in meinem vielbewegten Leben genugsam erfahren habe, daß kleinere Fürsten eher sich die Zuneigung ihrer Unterthanen erworben haben, als größere Mächte, z. B. Frankreich, Neapel. Auch findet man in kleinern Staaten sogenannte Majestätsverbrechen nie oder höchst selten, ein Verbrechen, welches ich gar nicht kenne, indem ich stets meinem Fürsten mit leidenschaftlicher Liebe zugethan war.

Sr. Erlaucht, der reg. Hr. Graf lassen Ihre Länder durch eine Justizcanzlei, eine Kammer, ein Forstcollegium, ein Bergamt, ein Polizeiamt und eine Straßenbau- und Garteninspection verwalten.


17.

Und nun hinaus in die frischgrüne Waldespracht am Auerberge zum schönsten Plätzchen, welches in der Nähe der Stadt Stolberg zu finden ist. Zierliche Wegweiser mit in Eisen durchbrochener Schrift zeigen dem fröhlichen Wanderer die sanft ansteigenden planirten Wege. Bis man die Höhe des Auerbergs erstiegen hat und überrascht vor einem weiten mit reinlichem Kies belegten runden Platze stehet, braucht man ohngefähr fünf Viertelstunden. Inmitten des besagten Raumes erhebt sich ein hohes, durchbrochenes, im edelsten Style erbauetes Kreuz. Auf Stufen gelangt man in das geschmackvoll eingerichtete Innere, wo mehrere schöne Zimmer zum Aufenthalt für den Herrn Grafen angebracht sind. Ein kleines Museum von ausgestopften Vögeln, sämmtlich in den nahen Waldrevieren geschossen, belehren den wißbegierigen Fremdling. Ein Wärter, der im Umfange der die Josephshöhe umgebenden Waldungen in einer Mooshütte wohnt, begleitet den Wanderer bis zum Altan des Kreuzes. Da siehet man mit einem Blick frei über alle Harzberge hinweg bis an den Brocken, der den äußersten Hintergrund bildet. Die vielen waldbewachsenen Bergeszüge, deren Füße sich immer ineinander verschlingen, die vielen glänzenden Teiche auf den Bergeshöhen, zum Nutzen der Bergwerke angelegt, die einzelnen Ortschaften, Schlösser, Ruinen und Bergeskuppen können bei heiterer Witterung den Beschauer einen ganzen Tag fesseln. Wie auf einer Landcharte siehet man deutlich die stolbergischen Dörfer Schwende, mit der sehenswerthesten Kirche, Hain, das gräfl. Asseburgische Dorf Dankerode, ferner Poppenrode, auf hoher Bergesebene liegen. Tief im Thale schaut freundlich aus dunkelem Grün das Schloß Stolberg hervor und drüben, über den Eichenforst hinaus, siehet man einen großen Theil der goldenen Aue mit den Ruinen des Kyffhäusers und der Rothenburg. Der Possenthurm giebt die Lage an, wo Sondershausen liegt. Rückwärts schaut der Blick weit in das ebene Land in die Gegend nach Magdeburg und Halle, wo besonders der Petersthurm sichtbar ist. Die Victorshöhe, welche man von hieraus bemerkt, bietet bei Weitem nicht eine so prachtvolle Aussicht dar, indem man von derselben auch keinen einzigen Ort deutlich übersehen kann. Während der schönen Jahreszeit ist in einem besondern Gebäude eine Gastwirthschaft, und in einem andern Gebäude befindet sich ein schön decorirter Saal.

Auf verschiedenen gebahnten Fahr- und Fußwegen gelangt man wieder auf die zierliche Chaussee, die von Stolberg nach Harzgerode führt. Ein gräfl. Forst- und Gasthaus "Zum Auerberg" ladet freundlich zur Ruhe und Erquickung ein.


18.

Andere nicht minder prachtvolle Punkte in Stolbergs Nähe sind der Eichenforst, welcher von Nordhäusern noch am meisten besucht wird, obgleich eine eigentliche Wirthschaft hier nicht zu finden ist. Die Umsicht ist hier zwar nicht so weit, als die von der Josephshöhe, aber dennoch sehr schön und ausgebreitet. Man übersieht die goldene Aue in ihrer ganzen Länge und mit allen ihren Ortschaften, die schwarzburgischen und Eichsfelder Gebirgszüge.

Weniger besucht ist der Tannengarten, so wie Eichenforst, nur ein gräfl. Lusthaus ohne Wirthschaft. Das etwas Düstere der Umgebung mag wohl Wenigen anziehend erscheinen. Ein schöner Weg leitet den Wanderer von Stolberg nach dem Tannengarten.

Drei Stunden von Stolberg liegt das stolbergische Amtsstädtchen Neustadt, in lieblich fruchtbarer Gegend. Auf der Höhe über dem freundlich gebaueten Städtchen sind die weitläufigen Ruinen des Schlosses Hohnstein, welches einem ganzen Länderbezirke den Namen gab. Auch hier ließ der selige Herr Graf Joseph durch die verschönernde Hand des Gärtners passende Anlagen und Anpflanzungen in und um die Ruinen errichten. Im Städtchen befindet sich ein großes gräfl. Kammergut, zu welchem das Vorwerk Harzungen gehört, ein Justiz- und Rentamt, ein gräfl. Gasthaus und ein Schloß mit einem großen englischen Park. Am Rathhause stehet ein Roland, welcher in keiner Harzstadt weiter und nur noch in dem Dorfe Questenberg angetroffen wird. Im Amtsbezirke Neustadt sind mehrere Bergwerke auf Eisen, Silber und Braunkohlen im Betrieb, der Herrschaft gehörig.


19.

Das Selkethal, voll ergreifender Naturschönheiten, behauptet den Vorzug unter allen Harzthälern. Von der Lieblichkeit und der reichen Abwechselung der Landschaftsbilder war ich so eingenommen, daß ich dieses schöne Thal einmal allein und einmal in Begleitung meines Schwestersohnes, eines Zöglings der Klosterschule Roßleben, vom Ursprunge der Selke bis zum Städtchen Ermsleben mit dem größten Vergnügen bereis't habe. Anfangs rieselt die Selke hell und frisch von dem anhaltinischen Städtchen Günthersberge bis zum stolbergischen Dorfe Straßberg in einem flachen Thale ruhig hin, nur einige Mühlen in Bewegung setzend. Erst bei Lindenberg und bei der bedeutenden Silberhütte vor Alexisbad trübt sich die Selke durch die starke Benutzung in den Silberwaschwerken. Tiefer und enger, aber auch reizender wird das Thal bei Alexisbad, nackte Marmorfelsen ragen zu Tage empor, malerisch vom Gesträuch umwachsen; die Felsen werden steiler, die Waldungen üppiger und die Wege mit Sitzen, Lauben, Buschwerk schöner und geschmückter. Zwischen Alexisbad und Mägdesprung liegt eine Mühle, die Konradsmühle, recht traulich an lichten Wiesen und am Einflusse eines kleinen Baches in die Selke. Dieses kleine Büchlein, das von Stein zu Stein in kräuselnden Wellen daherschäumt, rinnt eine Stunde lang zwischen herrlichen Waldeshöhen, die ein elysisches Waldrevier und die süßeste Einsamkeit in ihrem Schoße bergen. Der Mägdesprung, der sehenswertheste Ort im ganzen Selkethale, vermag den wissenschaftlich gebildeten Reisenden Tage lang aufzuhalten. Sämmtliche herrschaftliche Eisenhüttenwerke, Gießereien, Bohrmaschinen werden dem Fremden gegen billige Trinkgelder auf die zuvorkommendste Weise gezeigt und erklärt. Für alle anhaltinischen Orte, im Selkethale entlang, ist hier eine Kirche einfach am Abhange des Gebirgs erbaut. Außer den vielen Eisenfabriken beleben die hier sich kreuzenden Straßen den Ort, und dem Gasthofe fehlt es öfters an Raum zur Unterbringung der Gäste. Den Selkefluß verfolgend, werden die Partien immer mannigfaltiger. Eisenhämmer, Mühlen, Jagdschlösser, rauchende Meiler, das alte Schloß Falkenstein, Alles wie in kostbarem Rahmen eingefaßt, wechseln in angemessenen Zwischenräumen. Bald beengen nackte Felsen das Thal, wo rauschend die trübe Selke hindurcheilt, bald erweitert sich das Thal und giebt blumigen Wiesen Raum, bald zeigen sich hohe Berge, von dichtbelaubten Waldungen bewachsen. Ist das obere Selkethal bei Alexisbad und Mägdesprung von Menschen stark belebt, so herrscht hingegen hier die tiefste Ruhe. Am Ausgange der Selke in's Freie liegt das ansehnliche Dorf Meisdorf mit einem Schlosse und Gute des Grafen von der Asseburg, dem die Herrschaft Falkenstein, mit dem ehrwürdigen Schlosse gl. N., fünf Dörfern und weitläufigen Waldungen gehört.

Den Rückweg nahm ich über Ballenstedt und Gernrode. Beide Städtchen am nördlichen Fuße des Harzes in ungemein lieblicher Gegend gelegen, gehören dem anhaltinischen Fürstenhause. Auf dem Stubenberge logirt man ganz vortrefflich, und den moussirenden Birkenwein fand ich sehr billig; es war der erste, den ich getrunken habe.


20.

Am Merkwürdigsten auf dem Harze bleibt immer der Besuch des fabelhaften Brockens, welcher von Nordhausen aus schon eine kleine Reise genannt werden kann. Zwei Wege führen von hier zum Urvater Brocken und jeder hat sein Eigenthümliches; näher ist der über das Städtchen Ellrich, Walkenried mit seiner schönen Klosterruine und seinen Kreuzgängen, das gewerbereiche Zorge, Braunlage oder Oderbrück auf den Brocken. Entfernter, aber ebenfalls sehr angenehm ist der Weg über Ilfeld, mit dem Kloster und der Kirche, durch ein schönes zweistündiges Waldthal nach dem Gräfl. Stolb. Wernigerödischen Forstund Kirchorte Rothesütte, dem Städtchen Benneckenstein, bei dessen Schießhause man die schönste Ansicht des Brockens genießt und welches in diesem Jahre so viel Aufsehen erregt hat, dem braunschweigischen Flecken Tanne, über die königl. hannöverschen Hüttenwerke und Eisengießereien Königshof und Rothehütte im Bodethale, das Städtchen Elbingerode und durch ein schönes prachtvolles Thal nach Wernigerode, der größten aller stolbergischen Städte und der Residenz Sr. Erlaucht des reg. Grafen Ludwig von Stolberg-Wernigerode. Unbedingt räume ich der Stadt Wernigerode die schönste Lage am Harzgebirge ein, da die Gegend Waldgebirge und flache Feldfluren zur freundlichen Schau stellt. Am hochgelegenen Schlosse zieht sich weit in die Waldungen hinein ein großer umgatterter Thiergarten, und nach der Stadt zu ein um den ganzen Schloßberg sich hinziehender Garten, oder vielmehr mehrere Gärten. Das Schloß hat nicht das freundliche und brillante Ansehen, wie das Stolberger, aber die Aussicht ist köstlich, und wird von keinem Harzschlosse übertroffen. Wernigerode besteht aus drei Theilen, der Stadt, der Vorstadt Nöschenrode, und Hasserode; es ist viel Gewerbs- und Handelsthätigkeit im Orte; außerdem ist sie der Sitz aller gräfl. Oberbehörden, hat 9 Kirchen, ein schönes Rathhaus, einen kostbaren Brunnen auf dem Markte, ein Waisenhaus und einige Hospitäler.

Um die bedeutenden gräfl. Eisenhüttenwerke in Ilsenburg zu besehen, wählte ich den Weg über Drübeck nach diesem Städtchen, und ich habe wohl daran gethan, denn das Ilsethal ist ein wahrhaft zauberisches Thal und von dem milden Selkethale im Charakter sehr verschieden. Während die Selke mehr ruhig dahinfließt, brauset die Ilse mit lärmendem Tosen in tausend Wasserfällen über ungeheure Granitblöcke in die fruchtbare Ebene hinab.

Der Weg, durch lauter stolbergisches Gebiet führend, beträgt von Wernigerode bis auf die Spitze des Brockens fünf und eine halbe Stunde und fängt erst zwei Stunden unterhalb des Brockens an zu steigen. Auf dem Plateau, die Heinrichshöhe genannt, theilt sich die Straße nach dem Brocken, Ilsenburg und dem stolbergischen Dorfe Schierke. Ein Wegweiser bezeichnet die Richtigkeit der Pfade. Vom Nebel ganz durchnäßt, kam ich mit meinen Begleitern auf der Höhe des Brockens an, auf welche ich seit meiner Kindheit mich gesehnt hatte. Aber dichter kalter Nebel verhüllte die Aussicht; nur einmal lichteten sich die Wolken und einige Minuten lang konnten wir die Lage der Stadt Wernigerode, einen Strich Landes und einige Berge erblicken. Der Thurm ist von Holz und sämmtliche Gebäude sind massiv gebaut, aber immer sehr freundlich und nett hergerichtet. Die Wirthschaft ist sehr gut und Alles im Verhältnisse überaus billig.

Meine Retourreise nahm ich auf Umwegen über Schierke, die hannöverschen Bergstädte Andreasberg und Lauterberg, beide Orte im Oberharze liegend. Vor Andreasberg genießt man ein malerisches Gebirgspanorama, nur in dunkler Färbung, da in hiesiger Gegend bloß Nadelholzungen vorherrschen. Interessanter aber ist der Fußweg vom Oderteiche am Rehbergergraben hin und man muß unwillkürlich den menschlichen Geist bewundern und ihm Achtung zollen, daß er solche kolossalen und zweckdienlichen Schöpfungen zu errichten im Stande war.

Ebenfalls ein sehr angenehmer Weg geht durch das Thal der Lutter und der Oder von Andreasberg nach Lauterberg, welches Städtchen, nur eine Gasse bildend, wunderlieblich am Fuße des Hausbergs liegt. Seit einigen Jahren besteht hier eine Kaltwasserheilanstalt, der größere Beachtung zu wünschen wäre, da wirklich die Umgegend des Städtchens nicht reizender und abwechselnder gedacht werden kann. Nordhausen ist sieben Stunden von hier entfernt und führt der Weg zwar durch fruchtbare aber ziemlich reizlose Fluren.


21.

Zum Schlusse dieser flüchtigen Skizzen erwähne ich bloß noch einiger Partien, die aber alle zu entfernt von Nordhausen liegen, als daß ich sie näher beschreiben könnte. Dahin gehört der Besuch des Kyffhäusers und der Rothenburg, des Eichsfeldes mit den schönen Städten Heiligenstadt und Duderstadt, Großbodungen und der Hasenburg rc., welche Herr Duval in seinen gediegenen Werken: Kyffhausen und Rothenburg, das Eichsfeld rc. trefflich beschrieben hat; ferner das Wipperthal von Wippra nach Rammelsburg, welche Gegend eine der lieblichsten des Harzes ist, und wie so manche andere Harzpartie noch in keinem Harztaschenbuche eine würdige Darstellung gefunden hat.