Knappschaftsheilstätte Sülzhayn: Unterschied zwischen den Versionen
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In Kriegszeiten diente die Einrichtung auch als Lazarett. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde das Haus durch die russische Armee genutzt. Danach diente es wieder der Behandlung von Lungenkranken, deren Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stark angestiegen war. Ende der 1960er Jahre wurde das Haus – aufgrund seiner Nähe zur [[ | In Kriegszeiten diente die Einrichtung auch als Lazarett. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde das Haus durch die russische Armee genutzt. Danach diente es wieder der Behandlung von Lungenkranken, deren Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stark angestiegen war. Ende der 1960er Jahre wurde das Haus – aufgrund seiner Nähe zur [[Innerdeutsche Grenze (Kreis Nordhausen)]] zu einem Reha-Zentrum für Querschnittgelähmte. Nach der Wiedervereinigung wurde das Haus weiterhin als Krankenhaus für Querschnittgelähmte verwendet, entsprach aber bei weitem nicht den westlichen Ausstattungsstandards. Als Ersatz wurde in Sülzhayn eine neue Klinik errichtet. | ||
Die Schließung des alten Gebäudes erfolgte am 15. März 1997. Die ehemalige Knappschafts-Heilstätte steht seither leer und ist dem Verfall preisgegeben. Investoren für eine Nachnutzung fanden sich bisher nicht. | Die Schließung des alten Gebäudes erfolgte am 15. März 1997. Die ehemalige Knappschafts-Heilstätte steht seither leer und ist dem Verfall preisgegeben. Investoren für eine Nachnutzung fanden sich bisher nicht. |
Version vom 4. Juli 2024, 08:16 Uhr
Die Knappschaftsheilstätte Sülzhayn war eine Lungenheilstätte im Südharz, die ab 1898 von der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse betrieben wurde. Sie befand sich in der Nähe des Dorfes Sülzhayn und war eine der ersten Volksheilstätten zur Behandlung der Tuberkulose in Deutschland.
Das Objekt wurde für die Unterbringung von Heilstätten- bzw. Klinikpersonal umgebaut und blieb bis 1997 genutzt. Danach verfiel das Gelände und einige Gebäude sind bereits abgebrochen.
Geschichte
Gründung und Bau
Die Heilstätte wurde auf Initiative der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse errichtet, einer Versicherungseinrichtung für Bergleute. Der Vorstand der Kasse hatte bereits am 25. März 1894 in einem Rundschreiben Pläne für eine "Heilstätte für chronisch kranke und rekonvaleszente Versicherte" vorgelegt. Hintergrund war die hohe Sterblichkeit und Invalidität durch Tuberkulose unter den Bergarbeitern.
Nach längerer Standortsuche fiel die Wahl auf ein Grundstück bei Sülzhayn im Südharz. Am 19. Oktober 1895 stimmte die Generalversammlung der Pensionskasse dem Bau grundsätzlich zu und bewilligte am 1. Mai 1896 eine Summe von 550.000 Mark für das Projekt. Die Pläne stammten von Regierungsbaumeister Haße aus Halle an der Saale.
Die Grundsteinlegung erfolgte am 11. August 1896 in Anwesenheit des Aufsichtsrates. Die ersten Patienten konnten im Januar 1898 in provisorisch eingerichteten Räumen aufgenommen werden. Die offizielle Einweihung und Übergabe fand am 15. Oktober 1898 statt. Die Gesamtkosten für den Bau beliefen sich schließlich auf 861.533,46 Mark, hinzu kamen knapp 70.000 Mark für das Inventar.
In Kriegszeiten diente die Einrichtung auch als Lazarett. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde das Haus durch die russische Armee genutzt. Danach diente es wieder der Behandlung von Lungenkranken, deren Zahl nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stark angestiegen war. Ende der 1960er Jahre wurde das Haus – aufgrund seiner Nähe zur Innerdeutsche Grenze (Kreis Nordhausen) zu einem Reha-Zentrum für Querschnittgelähmte. Nach der Wiedervereinigung wurde das Haus weiterhin als Krankenhaus für Querschnittgelähmte verwendet, entsprach aber bei weitem nicht den westlichen Ausstattungsstandards. Als Ersatz wurde in Sülzhayn eine neue Klinik errichtet.
Die Schließung des alten Gebäudes erfolgte am 15. März 1997. Die ehemalige Knappschafts-Heilstätte steht seither leer und ist dem Verfall preisgegeben. Investoren für eine Nachnutzung fanden sich bisher nicht.
Nach 1945
Erweiterungen und Ausbau
In den folgenden Jahren wurde die Anlage stetig erweitert und verbessert:
- 1898 wurde ein Bauernhof im Dorf erworben und zu einem Kuhstall umgebaut, um die Milchversorgung sicherzustellen.
- 1903 erfolgte eine Vergrößerung des Wirtschaftsgebäudes.
- 1907 wurde eine eigene Kirche an die Heilstättengebäude angebaut.
Im Laufe der Jahre wurden die Kläranlage und die Wasserleitungen ausgebaut und verbessert.
Mit dem Kirchenbau 1907 waren die baulichen Anlagen der Heilstätte weitgehend abgeschlossen.
Lage
Die Heilstätte lag etwa 400 Meter über dem Meeresspiegel am Südabhang des kleinen Steigerbergs (auch Steierberg genannt), umgeben von Wald. Der Steigerberg bot Schutz vor Winden aus West, Nord und Ost, während die Südseite offen war und einen weiten Blick bis zu den Vorbergen Thüringens bot. Das Gelände umfasste eine Fläche von 9,5 Hektar Wiese und Wald. Der umliegende Abhang wurde in einen Park mit Promenadenwegen umgestaltet, der Möglichkeiten für Terrainkuren bot. Der Wald bestand vorwiegend aus Buchen.
Die Heilstätte war über eine 500 Meter lange Anfahrtstraße mit der Kreischaussee Ellrich-Benneckenstein verbunden. Die nächsten Bahnstationen befanden sich in Ellrich und Benneckenstein, jeweils etwa eine Stunde Fahrzeit entfernt.
Gebäude
Das Hauptgebäude bestand aus einem Mittelbau und zwei Seitenflügeln mit einer Gesamtlänge von 106 Metern. Die Hauptfront war genau nach Süden ausgerichtet und hatte eine leicht konkave Form. Da das Gelände abschüssig war, musste das Gebäude teilweise auf bis zu 18 Meter hohe Pfeiler gestellt werden.
Der Mittelbau enthielt in drei Geschossen übereinander angeordnete Liegehallen von je 40 Metern Länge und fast 5 Metern Tiefe. In den Seitenflügeln befanden sich die nach Süden ausgerichteten Patientenzimmer, Untersuchungs- und Behandlungsräume sowie Sanitäranlagen.
Weitere Gebäude waren:
- Ein Wirtschaftsgebäude mit Küche, Wäscherei, Bureaus und Personalunterkünften
- Ein Arztwohnhaus mit angeschlossener kleiner Privatanstalt
- Ein Stallgebäude für Pferde und Wagen
- Ein Maschinenhaus mit Turbinen zur Stromerzeugung
- Eine Kläranlage nach dem Rothe-Degener-Verfahren
1907 wurde eine Kirche an den östlichen Flügel des Hauptgebäudes angebaut. Sie bot Platz für 142 Sitzplätze.
Die Architektur war zweckmäßig und sachlich, ohne besonderen Luxus. Wert wurde auf gute Belüftung und Besonnung gelegt. Die Gebäude waren massiv aus Stein erbaut, lediglich die Dächer waren in Holzkonstruktion ausgeführt.
Technische Einrichtungen
Die Heilstätte verfügte über fortschrittliche technische Einrichtungen:
- Eine eigene Trinkwasserversorgung aus Quellen oberhalb der Anstalt
- Eine Kraftwasserleitung zur Stromerzeugung mittels Turbinen
- Elektrische Beleuchtung und elektrischer Antrieb für Aufzüge und Maschinen
- Zentralheizung mittels Niederdruckdampf
- Telefonanschluss und interne Telefonanlage
- Eine Eismaschine zur Versorgung mit Kühleis
Behandlung und Therapie
Die Heilstätte war in erster Linie für die Behandlung der Lungentuberkulose vorgesehen. Aufgenommen wurden Versicherte der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse, die an Tuberkulose erkrankt oder rekonvaleszent waren. Die Auswahl der Patienten erfolgte durch die Knappschaftsärzte, die endgültige Entscheidung traf der leitende Arzt der Heilstätte. Bei der Aufnahme wurden die Patienten gründlich untersucht und in drei Stadien der Erkrankung eingeteilt:
- Stadium I: Leichte Fälle ohne oder mit geringem Bazillenbefund
- Stadium II: Mittelschwere Fälle
- Stadium III: Schwere Fälle mit ausgedehntem Befund
Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug etwa 3 Monate. Behandlungskonzept Die Behandlung folgte dem damals üblichen Konzept der "hygienisch-diätetischen" Therapie nach Hermann Brehmer und Peter Dettweiler. Zentrale Elemente waren:
Kräftige Ernährung: Die Patienten erhielten eine reichliche, fett- und kohlehydratreiche Kost. Für Magenkranke gab es einen speziellen "Magentisch". Aufenthalt an frischer Luft: Tägliche mehrstündige Liegekuren auf den Liegehallen waren vorgeschrieben. Auch im Winter fanden diese statt. Hydrotherapie: Kalte Abreibungen und Duschen dienten der Abhärtung. Geregelte Bewegung: Spaziergänge und leichte körperliche Arbeit (z.B. Gartenarbeit) waren Teil der Therapie. Ruhe und psychische Betreuung: Auf eine ruhige Atmosphäre und geistige Anregung wurde Wert gelegt.
Ab 1900 kam auch die Tuberkulinbehandlung nach Robert Koch zum Einsatz. Daneben wurden Komplikationen wie Kehlkopferkrankungen lokal behandelt. Großer Wert wurde auf die Belehrung und Erziehung der Patienten zu einer gesunden Lebensweise gelegt. Sie sollten nach der Entlassung als "Gesundheitsapostel" wirken und ihre Familien und Kollegen über die Vorbeugung der Tuberkulose aufklären. Personal und Organisation Die Gesamtleitung der Heilstätte lag beim Vorstand der Norddeutschen Knappschaftspensionskasse in Halle an der Saale. Vor Ort wurde die Anstalt von einem leitenden Arzt geführt. Ihm unterstanden:
- Ein oder mehrere Assistenzärzte
- Krankenschwestern der Halleschen Diakonissenanstalt
- Pflegepersonal (Wärter)
- Verwaltungs- und Wirtschaftspersonal
- Ein Maschinenmeister für den technischen Betrieb
1909 waren insgesamt etwa 35 Personen in der Heilstätte beschäftigt. Kapazität und Belegung Die Heilstätte verfügte über 130 Betten für Patienten. Hinzu kamen 25 Betten für Personal. Die tatsächliche Belegung schwankte im Laufe der Jahre:
- 1899: 415 Patienten mit insgesamt 28.165 Pflegetagen
- 1904: 570 Patienten mit insgesamt 38.068 Pflegetagen
- 1908: 618 Patienten mit insgesamt 37.377 Pflegetagen
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer sank von 67,8 Tagen im Jahr 1899 auf 60,5 Tage im Jahr 1908. Erfolge und Statistiken Behandlungserfolge In den Jahren 1900-1908 wurden insgesamt 4301 Patienten behandelt, davon 2710 mit Lungentuberkulose. Bei der Entlassung galten:
- 69,6% als erheblich gebessert
- 18,2% als etwas gebessert
- 4,3% als nicht gebessert
- 0,5% als verschlechtert
- 4,4% als ungeeignet für die Behandlung
- 2,1% wurden strafweise entlassen oder entfernten sich eigenmächtig
- 1,0% verstarben während des Aufenthalts
Bei 38-40% der Patienten mit positivem Bazillenbefund bei der Aufnahme konnten bei der Entlassung keine Tuberkelbazillen mehr nachgewiesen werden.
Langzeituntersuchungen ergaben, dass 40-50% der Behandelten auch 4-5 Jahre nach der Entlassung noch voll arbeitsfähig waren. Die Erfolgsquoten verbesserten sich im Laufe der Jahre, was auf eine bessere Auswahl der Patienten und verbesserte Behandlungsmethoden zurückgeführt wurde.
Die Tagespflegekosten pro Patient betrugen 1908 durchschnittlich 3,89 Mark. Davon entfielen 1,96 Mark auf die Verpflegung. Die restlichen Kosten verteilten sich auf Personal, Heizung, Instandhaltung und Abschreibungen.
Bedeutung und Nachwirkung
Die Heilstätte Sülzhayn war Teil der um 1900 einsetzenden Volksheilstättenbewegung zur Bekämpfung der Tuberkulose. Sie trug dazu bei, die Sterblichkeit und Invalidität durch Tuberkulose unter den Bergleuten zu senken.
Gleichzeitig diente sie als Modell für weitere Heilstättenbauten der Knappschaft und anderer Versicherungsträger. Die hier gesammelten Erfahrungen flossen in den Bau und Betrieb späterer Heilstätten ein.
Die Heilstätte war auch ein Ort der medizinischen Forschung. Der leitende Arzt Emil Kremser veröffentlichte regelmäßig Berichte über die Behandlungserfolge und neue Therapiemethoden.
Literatur
- Emil Kremser: Die Knappschafts-Heilstätte Sülzhayn. Halle: Waisenhaus, 1909.