Gasanstalt Nordhausen: Unterschied zwischen den Versionen
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In vielen Nordhäuser Haushalten stand in der Küche bis nach 1945 eine [[Wikipedia:Grude (Herd)|Grude]]. Dieser Kochherd wurde mit Grus (grobkörniger Kohlestaub) befeuert. Die glühende Asche hielt vorgekochte Speisen warm (wie die Kochkiste unter dem Federbett in den Kriegsjahren). Hergestellt wurden Gruden von der Nordhäuser [[Mabag]]. Kohlengrus konnte sackweise mit dem Bollerwagen von der Gasanstalt abgeholt werden. | In vielen Nordhäuser Haushalten stand in der Küche bis nach 1945 eine [[Wikipedia:Grude (Herd)|Grude]]. Dieser Kochherd wurde mit Grus (grobkörniger Kohlestaub) befeuert. Die glühende Asche hielt vorgekochte Speisen warm (wie die Kochkiste unter dem Federbett in den Kriegsjahren). Hergestellt wurden Gruden von der Nordhäuser [[Mabag]]. Kohlengrus konnte sackweise mit dem Bollerwagen von der Gasanstalt abgeholt werden. |
Version vom 20. Dezember 2023, 08:28 Uhr
Die Gasanstalt Nordhausen befand sich an der Geseniusstraße 18 am Zorgeufer und produzierte zwischen 1857 und 1971.
1992 wurde die gewerbliche Nutzung der Gebäude aufgegeben. Die rund 23.000 m² große Brachfläche im Stadtgebiet blieb bis 1997 bewohnt.
Geschichte
Im Februar 1856 beabsichtigten einige Bürger, darunter Stadtverordneter Carl Arens, die Bankiers Heinemann Bach und Samuel Frenkel, die Kaufleute Ludwig Salfeldt und Arnold, eine Gasanstalt in Nordhausen zu erbauen. Doch der Plan zerschlug sich zunächst. Am 14. März 1857 schloss die Stadt schließlich einen Vertrag mit der Deutschen Continental-Gasgesellschaft zu Dessau über den Bau einer solchen Anlage. Von Juni bis Dezember wurde die Gasanstalt am rechten Zorgeufer vor dem Siechentor errichtet. Während der Bauarbeiten kam es Anfang Juli 1857 zu Arbeitsniederlegungen und damit zum ersten Streik in der Nordhäuser Geschichte. Innenminister von Westphalen ordnete an: „Gegen die angezeigte Arbeitseinstellung ist mit aller Strenge nach meinem Circular-Erlasse einzuschreiten. Die sofortige Entlassung sämtlicher Schuldigen ist herbeizuführen und mit Ausweisung aller nicht Einheimischen, nicht zur Haft und Anklage gezogenen Teilnehmer zu verfahren.“ (Berlin, 3. Juli 1857)
In der Stadt wurden seit dem 13. Juni 1857 Gasrohre verlegt. Die Beleuchtung der Straßen durch Gas erfolgte seit dem 18. Mai 1858.
Am 24. September 1867 kam es zur ersten Verlängerung des Vertrages zwischen der Gasanstalt und der Stadtverwaltung auf Lieferung von Gas. 1871 errichtete man einen zweiten Gasbehälter.
Während eines orkanartigen Sturms am 6. Juli 1881 wurde der neuerbauten, 26 Meter hohen Schornstein eingerissen. Der im Gaswerk 1857 in Betrieb genommene Gasbehälter wurde 1896 auf eine größere Speicherfähigkeit umgebaut. 1911 folgte ein dritter Gasbehälter, dessen Fassungsvermögen größer war als das des erste und zweite zusammen.
1883 brannten 503 Gasflammen. Die Beleuchtung der öffentlichen Plätze durch besondere Brenner erfolgte seit 1892.
Die Kosten der Beleuchtung durch Gas betrugen:
- 1892: 544 Gaslaternen und 2 Kandelaber — 17.456 Mark
- 1902: 644 Gaslaternen (Auerbrenner seit 1900) — 27.772 Mark
- 1912: 801 Gaslaternen und 4 elektrische Bogenlampen, seit 1907 — 37.709 Mark
Der Betrag, welchen die Gasanstalt zahlte, stieg von 27.910 Mark (1910) auf 33.263 Mark (1912).
1880 war Ferdinand Schulz Direktor bzw. Dirigent der Gasanstalt,[1] 1897 Reg.-Baumeister Albert Kerl (geb. 28. Dezember 1857),[2][3] 1909 Ingenieur Otto Brückner,[4][5] 1911 Max Rackwitz.[6][7] Am 11. Februar 1927 verstarb der Direktor Hans Buhe. Sein Sohn war der NSDAP-Funktionär Klaus Buhe, der ebenfalls in dem Betrieb tätig war. Am 18. Mai 1938 feierte das Gaswerk sein 80-jähriges Bestehen. Gerhard Florin, erster Nordhäuser Ritterkreuzträger, war bis zu seiner Einberufung Direktor des Nordhäuser Gaswerkes. Im Juli 1941 kam er als Hauptmann und Bataillons-Kommandeur an die Ostfront.
In vielen Nordhäuser Haushalten stand in der Küche bis nach 1945 eine Grude. Dieser Kochherd wurde mit Grus (grobkörniger Kohlestaub) befeuert. Die glühende Asche hielt vorgekochte Speisen warm (wie die Kochkiste unter dem Federbett in den Kriegsjahren). Hergestellt wurden Gruden von der Nordhäuser Mabag. Kohlengrus konnte sackweise mit dem Bollerwagen von der Gasanstalt abgeholt werden.
Während der Luftangriffe auf Nordhausen 1945 wurden das Areal und das Rohrnetz getroffen; die Produktion begann ein Jahr später wieder in beschränktem Umfang.
Im Mai 1958 wurde das 100-jährige Bestehen gefeiert. Das Werk erzeugte allerdings nur noch einen Teil der benötigten Gasmenge. Der Hauptanteil kam durch Fernleitungen aus Mühlhausen.
Am 30. April 1971 kam es zur Einstellung der Gaserzeugung, da Nordhausen ein Jahr zuvor an die Gasfernleitung angeschlossen wurde. Der Ofenblock wurde am 19. Februar 1972 gesprengt, der Schornstein fiel am 13. März.
1992/97 wurde die Nutzung des Geländes aufgegeben und die Gebäude verfallen.
Heutiger Eigentümer des Objektes ist der Landkreis Nordhausen.
Baugeschichte und -substanz
Die meisten Gebäude und Nebenanlagen auf dem Grundstück der ehemaligen Gasanstalt stammen aus dem 19. Jahrhundert. Davon sollten drei Gebäuden nach Expertenmeinung der Kommission für Denkmalpflege in zukünftige Planungen des Areals am Siechenhof einbezogen werden. Die anderen Bauten auf dem Gelände sind größtenteils einfache An- und Umbauten. Ihre Bausubstanz wurde bis 1990 so stark beschädigt, dass das Betreten polizeilich verboten wurde. Im Laufe der Zeit entstand durch unplanmäßige Erweiterungen eine Zusammensetzung verschiedener technischer Gebäude. Nach Ende der 1930er Jahre verringerte sich die bebaute Fläche des Geländes schrittweise wieder auf den Stand von 1856.
Wohn- und Verwaltungsgebäude
Das hervorstechende Wohn- und Verwaltungsgebäude auf dem Gelände hat eine besondere Baugeschichte. Die ersten Bauakten stammen vom 16. August 1859, und es wird angenommen, dass das Gebäude um 1855–1856 erbaut wurde. Dies basiert auf der Tatsache, dass die Gasversorgung der Stadt Nordhausen bereits 1856 begann und das Gelände zuvor als Feld genutzt wurde. 1878 erfolgte eine Erweiterung des Gebäudes um einen zweigeschossigen Anbau im Osten. 1899 kam es zur Verlegung des Haupteingangs nach Süden, was zu einer Veränderung der ursprünglichen symmetrischen Grundrissorganisation führte. Der letzte größere Umbau erfolgte 1897. Trotz der langjährigen Nutzung zeigt das Gebäude, bedingt durch seine massive Bauweise, nur geringe Mängel. Allerdings gibt es Probleme wie Feuchtigkeit im Kellergeschoss und Schäden am Dach. Der klassizistische Charakter des Gebäudes wurde durch die baulichen Veränderungen, insbesondere durch den Anbau von 1897 und die Verlegung des Haupteingangs, beeinträchtigt. Das Gebäude diente ursprünglich als Villa des Fabrikbesitzers und war bis in die 1940er Jahre hinein als Wohnhaus in Gebrauch. Parallel dazu wurde das Erdgeschoss für die Verwaltung der Werke und als öffentliche Anlaufstelle genutzt. Ab den 1940er Jahren diente das Gebäude ausschließlich der Werksleitung und steht seit 1992 leer.
Magazingebäude
Die Errichtung des Magazingebäudes begann nach der Erweiterung des Werksgeländes 1896, als die Continental-Gaswerke Dessau, Niederlassung Nordhausen, das südlich angrenzende Grundstück erwarben. Dies führte zur Ausdehnung des Werksareals bis an die Grenzen des Siechenhofes. In der Planungsphase 1897 beabsichtigten die Werke, ein dreigeschossiges Magazingebäude samt einer neuen Schmiede zu errichten. Es wurde jedoch nicht der ursprüngliche, sondern ein modifizierter Entwurf realisiert. Das Gebäude und die Schmiede blieben bis 1926 nahezu unverändert. In dieser Zeit wurden im Magazingebäude lediglich einige Trennwände angepasst, um Platz für eine Wohnung und eine Musterküche zur Ausstellung von Gasgeräten zu schaffen. 1926 erfolgte eine Erhöhung der Schmiede um ein Lagergeschoss, und 1937 wurde auch sie aufgestockt, was die letzte bedeutende bauliche Änderung darstellte.
Der Zustand des Magazingebäudes ist, abgesehen von geringfügigen Mängeln, als stabil zu bezeichnen. Der Anbau der Schmiede störte allerdings den ursprünglich symmetrischen Charakter des Gebäudes. In aktuellen Planungen wird ein Rückbau der Schmiede auf den Grundentwurf von 1896 vorgeschlagen, um die ursprüngliche symmetrische Gestaltung wiederherzustellen.
Seit seiner Fertigstellung im Jahr 1897 wurde das Magazingebäude hauptsächlich als Lager und Ausstellungsraum für Gasanlagen und -geräte genutzt. Die frühen Anpassungen umfassten den Einbau einer Wohnung und einer Musterküche. Der Schmiedeanbau diente als Schmiede, Garage und zusätzliches Lager. Mit der Aufstockung von 1935 entstand eine weitere Wohnung im Anbau. Bis zur Stilllegung des Areals im Jahr 1992 behielt der Bau größtenteils seine ursprünglichen Funktionen bei.
Ammoniakfabrik
Der Begriff „Ammoniakfabrik“ wurde ab 1880 gebräuchlich, obwohl er ursprünglich nur einen westlichen Anbau des Horizontalofengebäudes bezeichnete.
Die Errichtung des ursprünglichen Gebäudes fand zwischen 1856 und 1879 statt, wobei es zwischen zwei älteren, inzwischen abgerissenen Gebäuden eingefügt wurde. Die Position der ehemaligen Gebäude ist heute noch anhand der Anhydrit-Giebelmauerwerke in der Nordfassade ersichtlich. 1910 erfolgte die Installation einer Brandwand mit Brandschutztüren, um die beiden Anbauten voneinander zu trennen. Die technischen Einbauten wurden größtenteils zwischen 1950 und 1970 entfernt oder verfielen.
Der bauliche Zustand des Gebäudes ist deutlich beeinträchtigt. Durch Brand und Einsturz wurde das Dach schwer beschädigt, was zu einer Durchfeuchtung des Inneren und teilweiser Vegetation auf dem Boden führte. Der Wechsel von Tau- und Frostperioden verursachte umfangreiche Rissbildungen im Estrich. Die in 5 Metern Höhe befindliche Galerie des Horizontalofens ist aufgrund thermischer Belastung stark deformiert. Die Klinkeraußenwände zeigen jedoch nur geringe Schäden.
Bis zur Stilllegung der Gaswerke im Jahr 1972 wurde das Gebäude weiterhin als Horizontalofen genutzt. Nach der Übernahme des Geländes durch den Schachtbau Nordhausen diente es als Lager und steht seit 1992 leer.
Literatur
- Stadtarchiv Nordhausen (Hrsg.): Chronik der Stadt Nordhausen. 1802 bis 1989. Horb am Neckar: Geiger, 2003. ISBN 9783895708831
Externe Verweise
- Gaswerk Nordhausen, rottenplaces.de
Einzelnachweise
- ↑ Adressbuch und Wohnungs-Anzeiger für die Stadt Nordhausen 1880. Nordhausen: Theodor Müller, 1879. S. 94. (Digitalisat)
- ↑ Adreß-Buch der Stadt Nordhausen für das Jahr 1897, S. 64, abgerufen am 10. Januar 2023.
- ↑ Mitglieder-Verzeichniss … Johannis-Loge genannt "Zur gekrönten Unschuld (PDF), S. 10, abgerufen am 10. Januar 2023.
- ↑ Alpenverein Sektion Erfurt, Jahresbericht Erfurt 1909. S. 33. (Digitalisat)
- ↑ Adreß-Buch der Stadt Nordhausen : für das Jahr 1910/1911 - Nordhausen. S. 22. (Digitalisat)
- ↑ Felix Haese: Die Harmonie-Gesellschaft in Nordhausen. Nordhausen: 1911. S. 35. (Digitalisat)
- ↑ Adreß-Buch der Stadt Nordhausen : für das Jahr 1912 - Nordhausen - JPortal, S. 142. (Digitalisat)